Sonntag, 1. Juni 2014

Carl Gibson über Paul Goma, US-Präsident Jimmy Carter, die Bewegung für Menschenrechte und das Erdbeben in Bukarest 1977 – Auszug aus: Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur, 2008 - In Bukarest. Freiheit und Menschenrechte für alle - Aufbruch im Morgenrot

Carl Gibson über Paul Goma, US-Präsident Jimmy Carter, die Bewegung für Menschenrechte und das Erdbeben in Bukarest 1977 – 


Auszug aus: Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur, 2008





Das "Rumänische Athenäum"


1. Satz: Bolero - Aktion

                                                                                  Allegro vivace e affectuoso

In Bukarest. Freiheit und Menschenrechte für alle - Aufbruch im Morgenrot


                        Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden, Rosa Luxemburg

Schreiben im Sozialismus war nie einfach. Meine Bekannten aus der literarischen Szene hatten es ebenso erfahren müssen wie andere Literaten, denen ich erst in späteren Jahren begegnen sollte. Das freie Wort war einfach nicht gefragt. Stattdessen erwartete die argusartig wachsame Partei vorauseilenden Gehorsam, Selbstzensur und Sujets, die der ideologischen Ausrichtung nicht zuwiderliefen; schlechthin plumpen Konformismus und langweilige Geistlosigkeit, verpackt in ästhetische Konstruktionen, die mehr verhüllten als sie offenbarten. Mit Reportagen aus dem Arbeitsleben, Geschichten wie Der Traktorist oder Der Lokomotivführer und mit Essays und Abhandlungen über die Weitsicht der Partei und ihres weisen Führers waren immer noch Preise zu gewinnen.

Einer, der früh aufstand und sich als Bürger und als Schriftsteller mit seinen Werken dagegen wehrte, war Paul Goma. Er war vielleicht nicht der Begabteste unter den Kunstschaffenden, womöglich auch nicht der Gelehrteste - aber mit Sicherheit war er der Aufrichtigste und Mutigste und, was noch viel gewichtiger ausschlug: er war der Einzige unter den vielen Schriftstellern und Dichtern, der, wie einst Émile Zola, den Mut aufbrachte zu sagen: J’accuse - ich klage an! Goma, 1935 in Bessarabien geboren, ehemaliger politischer Häftling und Opfer der Zensur, die es zu verhindern wusste, dass seine gesellschaftskritischen Romane im Inland gedruckt wurden, galt vielen Beobachtern der literarischen Szene als rumänischer Solschenyzin, besonders nachdem es ihm gelungen war seinen Gefängnisroman Ostinato in einem Frankfurter Traditionsverlag zu veröffentlichen. Unter den rumänischen Schriftstellern der Gegenwart war er ein kritischer, vor allem aber ein beherzter Charakter, der es schon als Jugendlicher und Student gewagt hatte, die Konfrontation mit der Staatsführung zu suchen, während die meisten anderen seiner Zunftkollegen - getreu der Redewendung aus den Türkenkriegen, das gebeugte Haupt bleibe vom Schwert verschont - feige zurückwichen und sich mit den politischen Gegebenheiten zu arrangieren suchten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Goma


Paul Goma hatte in Anknüpfung an den Geist der Charta 77 mehrere so genannte offene Briefe verfasst, deren Texte über den Radiosender Freies Europa einer breiten Öffentlichkeit in Rumänien bekannt wurden. In einem ersten Solidaritätsschreiben an Pavel Kohout verglich Goma die deprimierende politische Situation in beiden Staaten nach der Niederschlagung der liberalen Bestrebungen im Jahr 1968 mit dem lakonischen Vermerk, Rumänien sei lediglich von Rumänen besetzt. „Wir leben und überleben im demselben Lager (…) Ihr, Tschechen und Slowaken, hattet ein 1968; die Polen hatten ein 1956 und ein 1971; die Ostdeutschen hatten Berlin und haben einen Biermann. Wir, Rumänen, haben keine solchen Fixpunkte. Ihr, wie auch die Polen, die Ostdeutschen, Ungarn und Bulgaren, seid unter russischer Besatzung; wir Rumänen aber sind von Rumänen besetzt. Wir leben alle unter der gleichen Ferse. (…) Überall dasselbe Fehlen von Bürgerrechten, dieselbe Verhöhnung des Menschen, dieselbe Unverschämtheit der Lüge. Überall : Armut, wirtschaftliches Chaos, Demagogie, Unsicherheit und Terror.“

Goma formulierte provozierend, nicht selten sarkastisch und zynisch. Doch er artikulierte sich prägnant und brachte die Dinge, die eigentlich jeden angingen, schonungslos auf den Punkt. Die allgemeine Heuchelei war seine Sache nicht. Die Erklärung der Charta 77 war im Januar des gleichen Jahres verbreitet worden - Pavel Kohout war damals ihr bekanntestes Gesicht, weitaus bekannter als der Dramatiker und spätere Präsident Vaclav Havel, der ebenfalls an vorderster Front der Menschenrechtsbewegung agierte. Im zweiten, an den zunehmend weltfremder werdenden Diktator gerichteten Schreiben forderte Goma Staatschef Ceauşescu auf, sich wie 1968, als Ceauşescu sich dem Einmarsch in die Tschechoslowakei widersetzt hatte, an die Spitze der Liberalisierungsbewegung zu setzen, um die Missstände im Land zu beseitigen. Parteichef Ceauşescu solle seinem Dissidentenimage im sozialistischen Lager Ehre machen und an der Unabhängigkeitspolitik gegenüber Moskau festhalten und darüber hinaus dem eigenmächtigen Walten der Staatssicherheit im Land Einhalt gebieten. Doch erst mit dem dritten Schreiben, in welchem sich der Schriftsteller an die Mitgliedsstaaten der KSZE - Folgekonferenz wandte, die 1978 im blockfreien Belgrad stattfinden sollte, erzielte er die beabsichtigte Breitenwirkung und Resonanz. Denn dieser so genannte Dritte Brief, eine indirekte Reminiszenz an ein berühmtes Gedicht Eminescus, in welchem Goma auf die Nichtrespektierung der seinerzeit in Helsinki verankerten Menschenrechtsprinzipien in Rumänien abhebt, wurde von Radio Freies Europa ausgestrahlt.

Dadurch erreichte Goma mit seinem offenen Brief, der praktisch nur von acht Personen unterschrieben worden war, die Menschen in Land - auch mich. Alle Teilnehmerstaaten, unter ihnen auch die Mitglieder des Warschauer Paktes, hatten die Schlusserklärung unterzeichnet und sich damit verpflichtet, für die Respektierung der Menschenrechte in ihren Ländern zu sorgen. An diese Verpflichtung, die von keinem der Ostblockstaaten eingelöst wurde, erinnerte Goma in seinem offenen Brief und forderte Gleichgesinnte auf, wie bereits in der Tschechoslowakei praktiziert, sich seinem Appell anzuschließen. Mehr Demokratie wagen, war wieder angesagt - wie 1968 in Prag.

Als treuer, wenn auch nicht systematischer Hörer des eigentlich verbotenen Radiosenders Freies Europa, der immer wieder gestört wurde, hatte ich die Entwicklungen mitverfolgt und bald den Entschluss gefasst, mitwirken zu wollen. Bei dieser bedeutenden Protestaktion galt es unbedingt dabei zu sein, zumindest für mich; denn diese Menschenrechtsbewegung erschien mir als die geeignete Plattform, meinem Weg der Selbstverwirklichung näher zu kommen. Für mich war die Aktion nicht nur ein Mittel zum Zweck, ein Trick, um schnell an einen Reisepass heranzukommen und damit ein Sprungbrett in den Westen, sondern sie repräsentierte vielmehr ein Forum von Gleichgesinnten und Mitstreitern, eine gesellschaftskritische Gemeinschaft, nach der ich lange schon gesucht hatte. Die von Präsident Jimmy Carter immer wieder global eingeforderten Menschenrechte selbst erschienen mir als Dietrich, das verrostete Schloss der pseudosozialistischen Gesellschaft zu knacken. Das war eine etwas egozentrisch-machiavellistische Denkweise, doch eine, die vielleicht Erfolg versprach.

Paul Goma, heute nach einigen historischen Eskapaden recht kontrovers diskutiert und in der jüngsten Vergangenheitsbewältigungsdiskussion nicht zufällig des Antisemitismus bezichtigt, blieb mir auch nach dem späteren Kennerlernen in Paris freundschaftlich verbunden. Inzwischen, nach fünfundzwanzig Jahren anhaltender Verbitterung, schweigt er beharrlich auch alten Kombattanten gegenüber. Trotzdem bleibt er für mich bis heute eine zeitgeschichtliche Persönlichkeit, ein ehemaliger Opponent und Kritiker des kommunistischen Systems, der aus der damaligen Zeit heraus begriffen werden muss; aus jenen Tagen, als er der Träger einer Idee war und eine Bewegung verkörperte - auch wenn er sich inzwischen gewandelt hat und es sich, noch radikaler geworden, mit vielen, die ihn vorher schätzten, verdorben haben sollte. Historische Meriten bleiben, auch wenn die Persönlichkeit eines Menschen bei Krankheit, Elend und im Altwerden verfällt.

Goma hat den von Staatspräsident Ion Iliescu Jahre zu spät formulierten Versöhnungsaufruf nicht angenommen und ist nicht in seine Heimat zurückgekehrt. Dafür wird er, der lange Zeit Verfolgte, gewichtige Gründe haben. Als Dissident über Jahrzehnte, der immer noch das Gefühl nicht los wird, ihm sei grobes Unrecht geschehen und sein Vaterland habe ihn noch nicht wirklich rehabilitiert, sollte er wie andere Charaktere der Zeitgeschichte wenigstens in der Wissenschaft im historischen Kontext betrachtet und bewertet werden, aus seiner zeitspezifischen Rolle heraus, keinesfalls absolut. Denn jeder Dissident, der irgendwann opponiert und für neue Ideen eintritt, bringt eine Biographie mit, die nach seiner Aktivität weiter geht, ohne sich dem Menschlich-Allzumenschlichen entziehen zu können.

Goma galt als so genannter Dissident, obwohl er im eigentlichen Sinne des Wortes, das einen Parteiabweichler oder Parteisektierer umschreibt, kein Dissident war. Er war ein politisch Andersdenkender vom Beginn an bis heute, ein Antikommunist, der im Land selbst, im Geist der tschechischen und slowakischen Intellektuellen, tatsächlich - nicht mehr sondern wenigstens etwas - Demokratie wagen wollte. Nach der Veröffentlichung seines offenen Briefes an die KSZE-Konferenz war Goma wie üblich unter Hausarrest gestellt worden. Der telefonische Kontakt zu ihm war unterbunden. Da höchstwahrscheinlich auch jede Korrespondenz von entsprechenden Stellen abgefangen wurde, verblieb mir und anderen potentiellen Unterzeichnern der Solidarisierungspetition nur noch die Möglichkeit, selbst nach Bukarest zu reisen in der Hoffnung, den aufrührerischen Schriftsteller vielleicht persönlich anzutreffen. Das war eine neue Herausforderung, die Anfang und Ende sein konnte. Die Boleromelodie kam wieder auf - und mit ihr die unbestimmte Dumpfheit des Unbewussten und des Irrationalen, das mit der rationalen Aktion im Widerstreit lag. Wieder galt es zu handeln statt zu zaudern.

Kurz entschlossen machte ich mich zur Reise bereit und nahm den Zug in die Hauptstadt, nachdem ich meine prinzipielle Zustimmung zur Petition trotzdem schriftlich ausformuliert und der Post übergeben hatte. Eine der beiden Möglichkeiten werde zum Ziel führen, hoffte ich. Dieser neue, öffentlich gemachte Protest als Solidarisierung sollte meinen Weg in die Freiheit beschleunigen. Im Grunde aber war auch dieses Vorhaben nur ein kümmerlich inspirierter emotionaler Akt, jugendlicher Aktionismus, der von verzweifelter Hilflosigkeit zeugte - denn, nach dem schon im Vorfeld Erlebten hätte ich wissen müssen, dass eine Protestbewegung, über die bereits ausgiebig in den Sendungen von Radio Freies Europa berichtet worden war, schnell von den Sicherheitsorganen gestoppt und erstickt werden würde, noch bevor sie Fuß fasste. Ungeachtet meiner einschlägigen Erfahrungen mit der Geheimpolizei, ließ ich mich wieder zu einer naiven, fast unreflektierten Aktion hinreißen, aus einem Mangel an Alternativen vielleicht. Ein jugendlicher Enthusiasmus trieb mich an; aber auch ein Anflug von Verzweiflung an meinem apathisch lethargischen Umfeld.

Auf dem Bukarester Hauptbahnhof angekommen, steuerte ich zunächst die amerikanische Botschaft an, die Mission der verehrten Leitnation der Freiheit. Es war eine Premiere. Unweit des Intercontinental-Hotels stieg ich aus dem Taxi und ging die nächsten hundert Meter zu Fuß. Zielgerichtet bewegte ich mich auf den großzügigen, etwas abgelegenen Hofeingang zu, der weitaus weniger gesichert schien als der Zugang zu der von Terroristen bedrohten Deutschen Botschaft. Die auszumachenden zwei, drei Milizuniformen im Gespräch mit Passanten ignorierte ich einfach und marschierte entschlossen durch bis auf das Gelände der diplomatischen Vertretung, ohne von dem auffallend bunt gekleideten amerikanischen Soldat im weißen Wachhäuschen aufgehalten zu werden. Während des sich anschließenden Gesprächs mit einer Konsulatsangestellten rumänischer Herkunft, einer so genannten naturalisierten Amerikanerin, übergab ich dieser ein Brieflein an den wohl mächtigsten Mann der Welt. Bereits Tage zuvor hatte ich das in der Brusttasche mitgeführte Schreiben an den Präsidenten der Vereinigten Staaten ausgearbeitet und darin auf die allgemeine politische Situation verwiesen, verbunden mit der Bitte um Hilfestellung bei der Umsetzung allgemeiner Menschenrechte, sprich: bei meiner Ausreiseangelegenheit. Solche Bettelbriefe politisch Verzweifelter waren fast schon Mode und gehörten zum Ritus beginnender Opposition.

Jimmy Carter, der bescheidene Erdnussfarmer aus Georgia und tiefgläubige Baptist, hatte sich schon frühzeitig für die weltweite Respektierung der Menschenrechte eingesetzt, für Religionsfreiheit und allgemeine politische Freiheiten. Nun blickte auch ich zu ihm hoch wie zur Statue vor der Spitze Manhattans und erhoffte mir, wie mancher verfolgte rumänische Baptist, von seiner Präsidentschaft zumindest moralische Unterstützung. Der höchste Repräsentant der Vereinigten Staaten war in meinen Augen nicht nur der Bannerträger der Freiheitsidee, sondern sogar ihr Garant. Solange der rumänische Staat um die Gunst der Meistbegünstigtenklausel buhlte, einer profanen Handelserleichterung, die allerdings viel zum ökonomischen Überleben des devisenarmen Landes beitrug, solange bestand Einflussmöglichkeit - und, aus unserer Sicht, Hoffnung. Ferner war das Schriftstück, hinter dem sich ein oppositioneller Wille offenbarte, eine weitere Absicherung für den Fall eines klanglosen Verschwindens von der Oberfläche, mit der ich jederzeit rechnen musste.

Nachdem ich in dem knappen Gespräch mit der Angestellten meine Situation kurz umrissen hatte, mit dem sondierenden Hinweis, möglicherweise auch in die USA einreisen zu wollen, verabschiedete mich und ging. So unauffällig wie ich gekommen war, konnte ich dann auch das Gelände wieder verlassen. Zügig mischte ich mich unter die Passanten und ging rasch auf das alles überragende Luxushotel zu, dessen Interieur mich bereits im Vorjahr so sehr beeindruckt hatte. Doch diesmal ersparte ich mir den frustrierenden Gang durch die Lobby. Schließlich war dies keine Vergnügungsreise auf der Suche nach Ergötzlichkeiten, sondern eher eine Fahrt ins Ungewisse und weitaus ernsterer Natur.

Die eigentliche Herausforderung stand noch bevor, nicht viel anders als bei der ersten Visite. Und um mich herum fehlten reizende Impulse. Statt der Harmonien einer Großstadtlandschaft, die in anderer Konstellation erlebt und genossen werden kann, war nur beklemmende Trostlosigkeit zu fühlen. Die Auswirkungen der jüngsten Naturkatastrophe waren zu greifen. Seit dem fürchterlichen Erbeben vom 4. März 1977 war kaum ein Monat ins Land gegangen. Überall Spuren der Zerstörung. Wüste überall inmitten dichter Zivilisation - wie nach einem großen Bombardement, wie nach einem Krieg.

Gleich neben dem Hotel lag ein großer Haufen Schutt, die Reste der Ienei-Kirche, die bei den Aufräumarbeiten gleich mit platt gemacht worden war. Erhaltungsappelle, wie der Ruf von Pfarrer Gheorghe Calciu-Dumitreasa, das alte Heiligtum vor der Zerstörung zu bewahren, waren klanglos verhallt. Ein Befehl, wohl von ganz oben, hatte sein Schicksal besiegelt, weil das alte Bollwerk östlicher Orthodoxie aus der Sicht der Kommunisten einfach nicht mehr in die neue Zeit passte. Zunächst war die Ienei-Kirche von einer Abrissbirne - versehentlich - sanft touchiert und dann, einmal irreparabel beschädigt, ganz niedergerissen worden. Die einmaligen historischen Malereien in den Innenräumen scherten niemanden. Schließlich gab es noch ein paar andere Kirchen in der Stadt. Bukarest hatte schon viele Katastrophen erlebt, die Pest, verheerende Brände und Überschwemmungen der schlecht kanalisierten Dîmboviţa. Doch diese letzte Kalamität, dieses Beben, das der Führer - in Nigeria weilend - nur als abstrakte Meldung während eines Galadiners mitbekam, war die wohl schrecklichste.

Als ich mich auf den Straßen umsah und die Blicke über die Fassaden schweifen ließ, waren überall noch Risse zu sehen, die einen möglichen Einsturz der Gebäude andeuteten. Abgründe taten sich auf, Schreckensbilder. Was hatte ich nicht alles gehört. Liebende von einer schweren Betondecke erschlagen, mitten im Liebesglück? Andere Horrorgeschichten, die echt waren. Toma Caragiu, ein Volksschauspieler, war unter den Opfern und andere Prominente, deren Namen mir nicht viel sagten. Auch jetzt war das Grauen immer noch präsent und verödete mir jede Lust an einer Besichtigung. Der Promenade überdrüssig, winkte ich nach einem Taxi und ließ mich in die Drumul Tabărei fahren, in jene Neusiedlung, wo der ketzerische Schriftsteller angeblich wohnte. Die Adresse kannte ich aus dem Radio.

Die Fahrt führte auf einer weiten Alle hinaus aus der Kernstadt in die Peripherie der Millionenmetropole, einen sozialistischen Boulevard entlang, in eine Plattenbauregion im ostblocktypischen Einheitsstil in einer Dimension, wie ich sie später nur noch in Kiew und in den tristen Siloburgen der Pariser Vorstädte erlebt habe. Vor einem mehrstöckigen Wohnblock mit der Aufschrift Z 21 stoppte der Wagen. Dies schien eine bessere Wohnsiedlung zu sein, zumindest waren die Bauten erst vor Jahren errichtet worden. Vorsichtig, doch zielstrebig tastete ich mich an das farblose Gebäude heran, überprüfte nochmals die Adresse und betrat dann durch die nicht verriegelte Gebäudetür das Treppenhaus.

Ungewissheit lag in der Luft. Was würde passieren? Wie sah er wohl aus? Wie würde ich ihn ansprechen? Was würde ich ihm sagen? Und würde ich ihn überhaupt antreffen? Schließlich hatte ich bereits über den Sender aus dem Englischen Garten in München erfahren, die Securitate hätte vor Gomas Appartement einen menschlichen Wachhund postiert, einen Höllenhund, dem die Aufgabe zukam, mögliche Sympathisanten der Menschenrechtsaktion von Goma fern zu halten - mit Zähnen oder Fäusten. Der Schläger war, wie es hieß, ein ehemaliger Boxer mit einem zu allem Übel noch deutsch klingenden Namen, der im Auftrag des Geheimdienstes das tat, was er am besten beherrschte: er verprügelte Menschen. Jeder, der sich Gomas Wohnung näherte, musste damit rechnen, brutal zusammengeschlagen zu werden - und dies im staatlichen Auftrag mit höchster Sanktion.

Verunsichert, mit einem merkwürdig flauen Gefühl im Bauch, tastete ich mich vorwärts, ohne einen Prügelknaben zu entdecken. Als ich dann zum Fahrstuhl ging, um in das dritte Stockwerk hochzufahren, stürzten plötzlich drei Männer auf mich zu, die vermutlich in einem Versteck unter der Treppe auf ein Opfer gelauert hatten: Obskure Gestalten in Mänteln und mit Hut, in ihrer anachronistischen und zugleich zeitlosen Montur an die Unbestechlichen aus New York erinnernd - nur agierten diese in anderer Mission.
„Wohin des Weges, so eilig, Kleiner“, höhnte einer der Typen mit der souveränen Mine eines Katers, der gerade eine kleine Spitzmaus gepackt hat. Nur sagte er nicht wirklich Kleiner, sondern, dem Jargon der Sicherheitsleute verpflichtet, Schwänzchen, was einen negativen Euphemismus gleichkam. Drei Gesichter musterten mich mit anklagendem Ernst. Was sollte ich antworten?

„Zu Paul Goma will ich“, gab ich wortkarg und trocken zurück. Sonst fiel mir nichts ein.
„Und was willst du bei diesem Lump?“

Eine Antwort blieb aus. Wie sollte ich mich rechtfertigen? Und welches Gesetz untersagte es mir, mich frei im Land zu bewegen und an der Tür von Menschen zu klingen? Es gab kein solches Gesetz - und es war auch nicht üblich, dass Personen am Verlassen ihrer eigenen Wohnung gehindert wurden; dass sie in den eigenen vier Wänden brüskiert und ihre Gäste vor ihnen von eindringenden Geheimdienstlern zusammengeschlagen wurden. Das alles war schon geschehen, bevor ich an Gomas Tür pochte. Einer der grauen Gestalten forderte mich auf, den Personalausweis vorzuzeigen: „Temeschburg?“ stellte er mit Erstaunen fest. Dann wollte der Geheimpolizist auch noch einen Arbeitsausweis sehen, den Nachweis eines ehrbaren Broterwerbs. Auch damit konnte ich dienen.

„Seit wann vertragen sich Deutsche und Hebräer wieder?“ höhnte einer der Männer. Es war ihnen inzwischen bewusst, dass sie es mit einem Deutschen zu tun hatten, mit einem Angehörigen der zweitgrößten Minderheit im Land, also mit einem Nichtrumänen und vermutlich mit einem jener zahlreichen Pass-Aspiranten, die nur eines wollten: weg, nichts wie weg!

Doch zu einer Beantwortung der eher beiläufig eingestreuten Bemerkung rhetorischer Natur kam es nicht mehr. Von wüsten Beschimpfungen begleitet, wurde ich aus dem Gebäude gedrängt und gleich zum nächstgelegenen Milizstandort gefahren um dort, nach einer unbestimmten Wartezeit von Stunden, von zwei anderen Geheimdienstlern auf eine recht grobe Art verhört zu werden. Wieder fühlte ich mich abgefertigt und wie eine Nummer behandelt. Offensichtlich war ich nicht der erste potentielle Petitionsunterzeichner, der hier in Empfang genommen und durchgeschleust wurde. Während der Befragung wurde der nicht anwesende und als übler Vaterlandsverräter eingestufte Goma ebenfalls mit wüsten Beschimpfungen überzogen, die teilweise von derben Ausdrücken durchsetzt waren.

Goma selbst stand zu jenem Zeitpunkt nicht mehr unter Hausarrest wie in den Wochen vor seinem dritten Brief. Auch er war bereits einige Tage vorher, am 1. April 1977, verhaftet worden und wurde, teilweise unter lebensbedrohliche Drogen gesetzt, so lange verhört, bis er Besserung gelobte und versprach, nie wieder staatsfeindliche Handlungen unternehmen zu wollen. Während ich befragt wurde, saß er in irgendeiner Untersuchungshaftzelle im Gefängnis Rahova und harrte der kommenden Dinge, die von den Aussagen verhörter Sympathisanten, wie ich einer war, nicht unwesentlich beeinflusst werden konnten. Nach alter stalinistischer Methode wurde auch diesmal nach belastenden Aussagen gesucht, die ausreichten, um den Schriftsteller zu kriminalisieren und ihm dann in einer angestrebten Verurteilung den moralischen Nimbus zu nehmen. Die Autorität, Legitimität und Legalität der Menschenrechtsaktion sollte damit aufgehoben werden: „Schreib, dass Goma dir Geld abverlangt hat, um dich bei deinen Ausreisebestrebungen zu unterstützen“, forderte mich einer der Untersuchungsrichter recht plump auf.

„Goma ist ein Gauner, ein missratener Schreiberling, dessen Sachen hier im Land niemand lesen will; er ist ein Schurke und Spitzbube, ein mieser Bauernfänger, der dumme Leute aufs Eis führt, um selbst bekannt zu werden … Profilieren will er sich, mehr nicht, und dies auf Kosten seines Vaterlandes. Sicher hat er dir etwas versprochen … schreib, Lauskerl, dass es so ist! Und schreib schnell, Kindchen, was ich dir sage, sonst schlag ich dir den Schädel ein, und zwar so, dass dein Gehirn an die Wand spritzt … “ drang der andere weiter in mich. Beide wirkten wenig zimperlich und aggressiv; sie stießen Drohungen aus, schlugen aber nicht zu. Schließlich hatte man sie psychologisch geschult, um Menschen auch verbal einzuschüchtern und erfolgreich zu erpressen.

Für mich galt es auszuharren und die Situation zu ertragen. Obwohl an ganzen Leib bebend, versuchte ich standhaft zu bleiben und weigerte mich dabei, den Suggestionen zu folgen. Solche Ungeheuerlichkeiten konnte ich nicht zu Protokoll geben und unterzeichnen, ohne mein Gewissen aufzugeben. Auch sprach jede Logik dagegen. Wie konnte ich den couragierten Schriftsteller, der als einziger Repräsentant seiner Zunft aufgemuckt hatte, irgendwie belasten, wo ich ihm doch noch nie begegnet war und wo ich auch sonst nie mit ihm kommuniziert hatte? Goma hatte sich als Stimme des Volkes artikuliert, als ein Gewissen innerhalb einer trägen Nation, die noch im Tiefschlaf war. Gerade ihm sollte ich nun Geldgier unterstellen oder andere niedere Straftaten in die Schuhe schieben - wie Herr Goe die Marmelade? Das war unmöglich. Doch genau dieses Absurde, die offensichtliche Lüge, wurde von mir erwartet - gemäß der alten Erkenntnis, dass einer, der in die Falle geraten ist, alles tut, um wieder heraus zu kommen. Jeder, der aufgrund seiner Lage erpressbar war, sollte auch erpresst werden. Das hatte Methode. Mit etwas Glück gelang es mir dann doch zu widerstehen und - auch ohne Kollaboration - den Kopf wieder aus der Schlinge zu ziehen.
Nach der mehrstündigen Befragung im Stil der mittelalterlichen Inquisition, die doch nicht so brutal verlief, wie ich es gleich nach der Festnahme befürchtet hatte, ein Verhör, in dem ich nicht mehr aussagen konnte, als dass ich eine Menschenrechtspetition mit unterzeichnen wollte, einigten sich die Angestellten des Innenministeriums darauf, mich in Begleitung eines Blauuniformierten nach Temeschburg zu verbringen und dort die Verhöre fortzusetzen. Scheinbar fügten sich meine Aussagen nicht ganz in ihr Konzept - und waren vielleicht doch nicht ganz so wichtig. Schließlich gab es da noch vierhundert weitere Sympathisanten, die in irgendeiner Form Kontakt zu Goma gesucht hatten, die nun systematisch ausgequetscht werden konnten.

Was ich im Vorjahr hier schon einmal erfahren durfte, wiederholte sich. Wieder wurde ich zum Bahnhof verbracht und in den Zug gesetzt; wieder in das Abteil für besondere Fälle, unmittelbar hinter der Lokomotive. An meiner Seite saß erneut ein schweigsamer Geselle in Blau, mehr Bluthund als Engel, mit der Aufgabe, mich sicher nach Temeschburg zu verfrachten. Er bewältigte seinen Auftrag gut. Es war ein rituelles Déja-vu. Am Tag darauf saß ich wieder am vertrauten Platz im Keller der Geheimdienstzentrale am Leontin-Sălăjan-Boulevard mit schweren Gedanken befrachtet - Stalins bedrohlicher Schatten war wieder da und viel präsenter als der rumänische Stalinist, nach dem diese Schreckensadresse benannt worden war. Der Stalinmythos war eigentlich schon etwas verblasst. Die Büsten und Statuen des Menschheitsverbrechers, dessen Taten nach Titos Einschätzung selbst über die Verbrechen Hitlers hinausgingen, wurden vielerorts gestürzt und eingeschmolzen als Wink auf bessere Zeiten; in anderen Köpfen aber erlebte er eine Renaissance und ließ seinen Ungeist weiter wirken. Was kam nunmehr auf mich zu?


Anmerkung: Dieser Text bzw. das fast Tausend Seiten starke Gesamtwerk entstand fast 30 Jahre nach den Ereignissen - nur aus dem Gedächtnis. Dabei verwechselte ich die Inei-Kirche (Foto unten) mir der demolierten Kirche von Vacaresti.
Erst mein Besuch bei der CNSAS (Bericht unten) verschaffte mir in vielen Punkten Klarheit.





Paul Goma über Carl Gibson: 


„In Freundschaft und  Wertschätzung“.


"Ich glaube fast alles, was Carl Gibson sagte", 


"Seine Urteile über Herta Müller und Richard Wagner sind wahr"












S. 557, (6. November)

:“Cred aproape tot ce a spus Carl Gibson. 

Il cunosc … de 33 ani, stiu ca e un pasionat – dar nu mincinos: und nedreptatit, un ranit, un om care a suferit cu adeverat de ciomagul Securitatii timisorene – dar nu un veninos. 

Judecatiile despre Herta Müller si Richard Wagner sunt adevarate, interventia lui intarindu-mi certitudinea de impostorat a “Actiunii banatene” in general a componentiilor ei, in special. 

Mai aveam oarecari indoieli, fata de informatiile provenite de la romani, dar iata, acum dinspre svabii lor vin. Iar ticalosia lor cea de neiertat: acuzatia, in bloc, a comunitatii svabesti (prin extindere si sasesti) de nazism”.

 "Ich glaube fast alles, was Carl Gibson sagte", 

"Seine Urteile über Herta Müller und Richard Wagner sind wahr".


Ein späterer Kommentar zum indirekten Selbstinszenierungs-Versuch des Partei.-Genossen Richard Wagner, eine komische Lanze für Paul Goma zu brechen:



Paul Goma ist ein großes Thema! 

Was Altkommunist Richard Wagner in seiner Diskreditierung des ersten großen und wichtigsten Dissidenten während der Ceausescu-Diktatur zu erwähnen vergaß!

Richard Wagner ist Paul Goma wohl nie begegnet!

Paul Goma schenkte mir den oben abgelichteten Roman mit der Inschrift:

„In Freundschaft und  Wertschätzung“.


Das besagt alles!


Paul Goma wurde ins Exil abgedrängt. Er wurde verbannt, ohne die Möglichkeit, seine Werke in der Muttersprache zu veröffentlichen. Seine Staatsbürgerschaft wurde ihm vom rumänischen Staat entzogen.


Paul Goma erhielt Briefbomben in Paris und wurde mehrfach von Securitate-Agenten im Ausland bedroht.


Goma unterstützte SLOMR gleich nach der Niederschlagung und Verhaftung der Gründer Dr. Ionel Cana, Gheorghe Brasoveanu und des orthodoxen Pfarrers Gheorghe Calciu-Dumitreasa von Paris aus
 und machte Werbung für die Sache von SLOMR zusammen mit 

Eugen Ionesco.

Goma folgte nicht dem Rückruf von Rumäniens Wendehals-Präsident Ion Iliescu, weil viele Dinge im postkommunistischen Rumänien noch im Argen lagen.

Goma wurde genau so wenig „rehabilitiert“ wie ich es wurde, obwohl mehrfach gefordert.

Richard Wagner wiederholt den Antisemitismus-Vorwurf gegen den Goma von heute, ohne darzulegen, wie er zustande kam.

Damit denunziert und diffamiert er eine Person, die er weder kennt, noch deren Wirkung er begreift.

Was führte zu dem Antisemitismus-Vorwurf?

Paul Goma, der ein streitbarer Schriftsteller ist und nicht unbedingt ein sachlicher Historiker, vertrat die These:

Der Kommunismus sei den Rumänen von außen aufgezwungen worden, 

unter anderem durch die Mitwirkung von kommunistischen Funktionären jüdischer Herkunft, die auf sowjetischen Panzern ins Land kamen – nicht gerufen, sondern als Helfer der sowjetischen Besatzungsmacht.

Auch wenn der späte Goma sich in einer Diskussion, die noch nicht ausdiskutiert ist, verrannt haben sollte, schmälert das noch nicht seine historischen Verdienste.

Doch was weiß ein „loyaler Kritiker“, der nie ein „Dissident“ sein wollte, nie ein Kämpfer im Widerstand, sondern immer nur ein Opportunist, der besserwisserisch über andere herzieht und mit Steinen wirft, vom Andersdenkertum und existentieller Exponiertheit!?


Carl Gibson


Mehr unter:




Zur
Opposition von Carl Gibson -

Sympathisant der Menschenrechtsbewegung von Paul Goma

Original-Erklärung Carl Gibsons
als Anhänger der
Menschenrechtsbewegung
von Paul Goma
im Frühling 1977




Im März 1977 bebte in Bukarest die Erde.
Die Naturkatastrophe richtete schwere Schäden an.


Foto: Carl Gibson

Sitz der Regierung Rumäniens in Bukarest, Oktober 2010

Gleichzeitig gab es in der rumänischen Hauptstadt ein kleines "politisches Beben",
das die regierende Kaste um Nicolae Ceausescu zutiefst verunsicherte.

Im Gefolge der "Charta '77"-Bewegung von Vaclav Havel und Pavel Kohout
in der Tschechoslowakei hatte der
rumänische Schriftsteller Paul Goma 
zur Solidarität mit der Bürgerbewegung im Bruderstaat aufgerufen und nationale Reformen angemahnt.

Daraus entwickelte sich die so genannte "Paul Goma Menschenrechtsbewegung".

Einer der Sympathisanten und potenzieller Unterzeichner der von Goma ausgearbeiten und veröffentlichten "Petition", die sich an Ceausescu und die KP richtete,
war der Jugendliche Carl Gibson aus dem Banat.


Foto: Carl Gibson

Die langjährige Machtzentrale von Diktator Nicolae Ceausescu:

Das ehemalige Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei,
heute Sitz von diversen Ministerien.


Carl Gibson wurde vor Gomas Appartement im Viertel "Drumul Taberei", Bukarest verhaftet
und musste die oben publizierte Erklärung abgeben.

Wie es heißt, wurde er "eingeladen", eine Erklärung abzugeben,
"freiwillig"!

Teile der Erklärung wurden dem jungen Deutschen aus dem Banat in die Feder diktiert,
 speziell der Passus, er wolle "nur" ausreisen,
diese Ausreise durch den Protest und die Unterzeichnung der Petition Gomas beschleunigen -
er strebe aber keine "politisch-gesellschaftlichen Veränderungen" an.


Die Aktion, an Paul Gomas kommunismuskritischer Menschenrechtsbewegung mitwirken zu wollen, sollte für Carl Gibson noch zahlreiche Konsequenzen haben,

Verfolgung, Bespitzelung, ein "Schauprozess" in der Vorzeige-Fabrik "1. Juni" , Verhöre, U-Haft u. a. mehr.






Écrasez l’ infâme Ein Rendezvous mit dem zwangsexilierten Dissidenten Paul Goma


Aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit 

Jeder Emigrant ist ein Odysseus auf dem Weg nach Ithaka. Jede wirkliche Existenz zieht eine „Odyssee“ nach. Mircea Eliade, Im Mittelpunkt

Am nächsten Tag traf ich Paul Goma, den wichtigsten der rumänischen Dissidenten, zweifellos aber den bekanntesten. Er wirkte primär durch seine Haltung und als Träger einer Idee; erst in zweiter Linie wurde er als politischer Schriftsteller und Romancier registriert. Das machte ihm Kummer. Doch er lebte damit. Wir hatten uns in einem Straßencafé verabredet. Schon saß ich da, als er kam. Ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit weißem Rundbart, einer wuchtigen Brille mit starken Gläsern und dunklem Rahmen, auf dem Haupt eine graue Lotsenmütze. Er steckte in einer hellbraunen Kaschmirjacke mit Kapuze, am Hals ein karierter Wollschal. Es war kalt und windig. Wir begrüßten uns und bestellten Tee. Er studierte mich - und ich ihn. Wir kannten uns schon lange, waren uns aber noch nie begegnet.
„Ich habe dir eines meiner Bücher mitgebracht - und dir eine Widmung hineingeschrieben, als kleine Wertschätzung deines Engagements!“ sagte er ruhig. Interessiert nahm ich es entgegen und bedankte mich.
Gherla?“ konstatierte ich anerkennend.
„Ja, Gherla, ein unseliger Ort in Siebenbürgen, ein Unort wie Aiud und Jilava“ sagte Goma und fügte hinzu: „Dieses Buch ist mir noch das liebste von allen, die ich geschrieben habe!“
Vor einiger Zeit hatte ich in Ostinato geblättert, in der deutschen Fassung, ohne systematisch zu lesen und ohne in größere Begeisterung zu verfallen. Später auch in anderen Werken. Vieles davon war schwere Kost und Geschmacksache. Gemessen an den Literaten der Weltliteratur, die ich viel häufiger las als moderne Autoren, hatten Gegenwartsschriftsteller einen schweren Stand. Bei Goma hing darüber hinaus noch viel vom Talent seiner Übersetzer ab, die vieles von den Subtilitäten der rumänischen Sprache und der in ihr mitschwingenden Atmosphäre kaum ins Französische oder ins Deutsche herüberretten konnten. Auch befreundete Schriftsteller konnte man nicht immer gut finden. Wie bei anderen schreibenden Freunden auch, setzte ich mehr auf die ideelle Relevanz der Aussage als auf den Individualstil, gerade bei politischen Büchern. Solschenizyn, mit dem Goma gelegentlich verglichen wurde, schrieb systematischer, archaischer und sprachlich differenzierter. Jelena Bonner, die Gattin des Dissidenten Sacharow, schrieb später während ihres kurzen Aufenthalts im Westen, quasi zwischen Tür und Angel, die Dokumentation In Einsamkeit vereint über ihren Alltag an der Seite Sacharows am Verbannungsort Gorki auf eine nahezu unliterarische Art. Goma stand stilistisch irgendwo dazwischen. Sein naturalistischer Stil wirkte manchmal direkt, derb und provozierend, nicht immer fein, aber redlich.
Doch ich wollte hier nicht über Literatur reden, noch über Fragen der Wertung oder Ästhetik, sondern ausschließlich über menschenrechtliche Fragen. Schließlich war er primär ein politischer Schriftsteller, ein Zola unseres Jahrhunderts, einer der frei und unverblümt redete, der klagte, anklagte, der polemisierte und polarisierte - bis zum heutigen Tag!
„Wie lebt es sich so in Paris?“ fragte ich zunächst mehr rhetorisch mit leichter Ironie, nebenbei am heißen Tee nippend.
„Bis auf die Bomben, die selbst in Friedenszeiten über uns herunter krachen, ganz anständig. Hier in Frankreich darf ich mich artikulieren und mit jedermann reden - soviel ich will, ohne belauscht zu werden. Politische Meinungen hat hier jeder. Die gesellschaftliche Kultur ist einfach anders - und der Zivilisationsgrad der Bevölkerung. Keiner hindert mich daran zu schreiben, was ich will. Und ich kann alles drucken lassen, was ich verfasst habe. Selbst die Publikumsverlage machen mit, vielleicht auch aus Solidarität mit den Menschen in Rumänien und Osteuropa - oder weil es eine Sache des politischen Anstands ist, bestimmte Themen zu drucken, auch wenn sie sich nicht groß verkaufen. Der Homme des lettres steht hier in Frankreich immer noch hoch im Kurs - und auch der kritische Essay, bis hin zum provozierenden Pamphlet. Kurz, ich kann als Schriftsteller veröffentlichen, soviel ich will. Und hier kennt man auch keine Zensur! Der Franzose unserer Tage weiß kaum noch, was das Wort bedeutet. Deshalb erinnere ich in meinen Lesungen auch daran und verweise darauf, wie es hinter dem Eisernen Vorhang zugeht, speziell im autoritären Rumänien, an die Maulkörbe dort und das generelle Leben in Unfreiheit. Doch gerade deshalb lebe ich hochgradig exponiert, ohne am Morgen zu wissen, ob ich den Abend noch erlebe, ohne sicher sein zu können, dass es überhaupt ein Morgen geben wird! Sie wollen mich immer noch ausgrenzen und fertig machen. Auch hier an der Seine. Es gefällt ihnen einfach nicht, wenn ich über Radio Freies Europa mit den Menschen im Land kommuniziere und den Eingesperrten von Wahrheiten berichte und von Freiheiten, die es in Rumänien noch lange nicht geben wird, wenn die gegenwärtigen Verhältnisse anhalten!
So oder so! Der lange Arm der Revolution, du weißt ja, was damit gemeint ist, greift nach mir … Sie haben mich in New York bedroht und in Kanada, ganz so nebenbei in Montreal, in der U-Bahn … Und sie sind auch hier, mitten unter uns. Sie bewegen sich frei im freien Westen … wie die Fische im Wasser - und keiner kann ihr destruktives Vorgehen aufhalten. Ich glaube, sie werden auch in Zukunft nicht aufhören, uns zu diskreditieren, zu diffamieren! Mit allen Mitteln! Sie bestechen Journalisten, sie kaufen Verleger, sie lassen Bücher drucken … Geld spielt keine Rolle, wenn es darum geht, ihre Lügen aufrechtzuhalten. Dahinter stecken auch ökonomische Interessen. Und mit der blanken Fassade erhalten sie sich selbst. Der Schein des Scheins ist für Uneingeweihte noch schwerer zu durchschauen.“
Goma wirkte ernst, besorgt und schon leicht verbittert. Nicht jeder sah die Dinge so klar. Vieles war selbst erlebt und existentiell fundiert. Auch die Enttäuschung über die allgemeine Ohnmacht. Sein Zynismus konnte nicht alles auffangen. Irgendwo stand er allein und kämpfte gegen alle. Das Gefühl war mir nicht ganz fremd. Doch gemessen an seiner radikalen Kompromisslosigkeit, war ich eine konziliante Natur.
Als er vor zwei Jahren öffentlich aufmuckte, gab es weder Intellektuelle noch bekannte Schriftstellerkollegen, die ihm gefolgt wären. Persönliche Animositäten, Neid, aber auch Angst und Opportunismus hielten viele ab, sich etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen, Position zu beziehen und eindeutig Flagge zu zeigen. Weshalb sollten sich erstrangige Namen mit einem zweit-, ja drittklassigen Schriftsteller einlassen, nur weil er moralisch im Recht war? Sie würdigten ihn vielmehr herab, sie stigmatisierten und schnitten ihn - zu Unrecht! Denn nur er erhob seine Stimme, als die selbst erkorene Elite versagte.
Der Schriftsteller in Rumänien zur Zeit der Ceauşescu-Diktatur: Das war fast immer der feige Schriftsteller - und das galt auch für Deutsche und Ungarn. Zivilcourage, geistiges Vorreitertum? Weit gefehlt! Duckmäuserisches Mitläufertum war ein Kennzeichen der Intellektuellen im Sozialismus - ostblockweit!
Goma hatte auch nach seiner Zwangsexilierung von Frankreich aus weitergemacht und aufgeklärt, unterstützt nur von Ionesco. Er hatte sich auch für die Sache der Freien Gewerkschaft SLOMR engagiert, nachdem diese unterdrückt worden war und, noch bevor ich im Westen eingetroffen war, als provisorischer Sprecher von Paris aus weiter öffentlich für die Bewegung geworben.
Wie es schien, hatte er noch nichts von seiner kommunismuskritischen Haltung eingebüßt. Doch ich merkte, dass er hart am Wind segelte - und dass er es nicht einfach hatte. Wer sich mit einem allmächtigen Gegner herumschlägt, wer sich mit einem totalitären Staat anlegt, mit einem repressiven System, das über einen effizienten Geheimdienst selbst im Ausland agiert, wird von vielen Seiten angefeindet. Das ertragen nur ganz wenige.
Neben den tatsächlichen Feinden gibt es noch Rivalen, Neider, die kreative Energie abziehen und den Aufklärer schwächen. Hinzu kommen noch die Herausforderungen des Alltags, die oft vergessen werden. Bücher schreibt man nicht über Nacht. Sondern sie entstehen oft unter extremem Verzicht in einer Schwerstarbeit von Jahren, wobei das Erlittene vielfach wieder und wieder erlitten werden muss. Ein Schriftsteller im Exil hat nicht selten Schwierigkeiten, im teuren Paris oder sonst wo seine Miete zu bezahlen, obwohl seine Bücher veröffentlicht werden. Was hat er von seiner Arbeit? Zehn Prozent? Ein Hungerlohn in teurer Zeit! Aber selbst die Botschaft wird nicht immer verstanden. Das Abgeschnittensein von den Wurzeln und vom vertrauten Umfeld daheim in Bukarest, wo man viel direkter reden konnte, so richtig gerade heraus auf Rumänisch, wo man einen, nahe am Knastjargon, schnell einmal irgendwohin schicken konnte, zurück zum Ursprung, das fehlte Goma in fremden Paris und in der kultivierten Umgebung der aktiven Exilanten. Paul Gomas Ton wurde zunehmend sarkastischer: „Ich bin ein Schriftsteller, der aus seinem Vaterland vertrieben wurde, nur weil die Mächtigen nicht hören wollten, was ich zum gesellschaftlichen Miteinander zu sagen hatte, zu den Spielregeln einer zivilisierten Demokratie. Nie habe ich allzu viel gefordert! Nur an einem Prinzip sollten sie festhalten: Wenn ihr Gesetze macht, dann haltet euch daran, respektiert sie auch und setzt sie um, vor allem das, was an internationalen Vereinbarungen ratifiziert wurde - soviel, mehr nicht! Und mit welchem Resultat? Noch bin ich am Leben und sitze hier in Paris - in der Einsamkeit des Exils - wie ein Fisch auf dem Trockenen!“
Goma wirkte verärgert. In meinem längeren Interview mit Max Bănuş hatte selbst ich die Respektierung der rumänischen Verfassung angemahnt und diese Constituţie sogar noch in ein positiveres Licht gerückt, als es ihr eigentlich als undemokratischer Verfassung zustand. Doch die Respektierung der schon bestehenden Gesetze, ein Aspekt, den die Charta 77-Anhäger um Kohout und Vaclav Havel für die Tschechoslowakei angestrebt hatten, war nur ein Anfang, ein erster Schritt. Das Ziel war die Umwandlung der autoritären, ja totalitären Gesellschaft in eine demokratische. Darauf hoffte Goma von Paris aus und machte, unterstützt nur von Eugen Ionesco, unverzagt weiter. Trotzdem war eine gewisse Resignation nicht zu verkennen. Skepsis kam auf, selbst bei mir: „Auf was können wir noch hoffen? Dürfen wir die Ideale aufgeben - und mit ihnen das Handeln?“ fragte ich leicht provokativ nach, ohne die Aussichtslosigkeit unseres Tuns verstärken zu wollen.
„Nun“, holte der Bärtige, denn das war sein Spitzname bei der Securitate, zögerlich aus „ich kann nur für mich sprechen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich weiter agieren, weiter schreiben und meiner Linie treu bleiben … Auch auf die Gefahr hin, das ich scheitern werde. Dass sie mich von einer Sekunde zur anderen auslöschen können, daran habe ich mich gewöhnt. Schon seit geraumer Zeit lebe ich mit Briefbomben und mit den profanen Schwierigkeiten, die jeder andere Schriftsteller in der Fremde auch hat. Er will etwas mitteilen; doch die meisten Zeitgenossen interessiert seine Botschaft überhaupt nicht … Manchmal komme ich mir vor wie einer, der überhaupt noch nichts publiziert hat … Von mir liegt mehr in der Schublade als im Bücherregal steht. Wie du vielleicht weißt, schreibe ich nach wie vor in Rumänisch. Das macht weitere Schwierigkeiten. Die Sachen müssen erst in mühsamer Arbeit adäquat übersetzt werden, bevor die Menschen hier in Frankreich oder im Westen etwas von den Wirklichkeiten sozialistischer Lebenswelten erfahren. Und was noch schlimmer ist: In Rumänien, dort, wo ich tatsächlich wirken will und wo ich eigentlich gehört werden sollte, gerade dort bleiben meine Werke vorerst tabu, vielleicht für alle Zeiten … Bis auf die wenigen Sachen, die Radio Freies Europa gesendet hat und noch sendet, kennt man nichts von mir in meiner Heimat! Doch war es je anders? Der große Ovid ließ, als er vor zweitausend Jahren nach Tomis in die Verbannung  musste, immerhin ein Oeuvre zurück, die Metamorphosen, die Kunst des Liebens - und er schickte seine Briefe vom Pontus heim nach Rom und seine tristen Elegien! Doch was ließ ich zurück? Nichts! Belele! Ärger! Das ist Dichter-Los, Dissidenten-Los und namenlos: Mein Los! Hier lebe ich  inmitten einer amorphen Masse, anonym und zurückgezogen, isoliert wie auf einer Klippe, die ins Meer ragt, nicht weniger einsam als Ovid unter den Geten am Schwarzen Meer! Aber, darf ich klagen? Selbst die Götter kannten das Exil!“
„Und was ist mit dem kulturellen Widerstand im Land, mit der literarischen Opposition?“ hakte ich nach.
Goma blickte mich verdutzt, ja fast beleidigt an: „Widerstand? Welch ein Hohn! Selbst wenn Diogenes nach ihm suchte mit seiner Leuchte oder am hellsten Tag mit einer Lupe bewaffnet - er würde ihn nicht finden. Wir durchleben sonderbare Phänomene in Rumänien, Erscheinungen, die noch nicht genau definiert wurden. Wie soll ich die Dinge nennen? Defaitismus? Persönliche Feigheit? Politischer Autismus? Viele kluge Köpfe, die das offizielle Programm nicht mitmachen wollen, verkriechen sich in ihren Kammern und schweigen! Innere Emigration nennt man das auch heute! Fast alle Schriftsteller sind Feiglinge und schnöde Opportunisten! Ihre Tschorba reicht ihnen wie bei Stendal die Kartoffelsuppe … Und ihre fade Mămăliga, die nie explodieren wird! Sie wollen weiter mit der Feder hantieren, statt mit der Spitzhacke und Schaufel im Steinbruch! Steineklopfen behagt den feinen Leiten nicht! Also verkriechen sie sich - kuschen und schweigen! Geistige Autoritäten, dass ich nicht lache! Sie, die hehren Geister und Hüter der Moral, tolerieren jede Perfidie und segnen jede Schandtat ab wie Popen! Und damit folgen sie - gewollt oder ungewollt - dem Plan der Kommunisten und sanktionieren auch den Status quo in der Politik auf ihre Weise … Was soll ich tun? Gerade hier und jetzt - und allein?
Soll ich mich mit jedem anlegen, der nichts tut, der schweigt? Kann ich sie alle zur Raison rufen, die Leute aus dem Schriftstellerverband, an ihre Ehre appellieren - oder an ihr möglicherweise noch vorhandenes Gewissen? Wer hört mir zu? Du vielleicht, Ionesco, die Idealisten von der Liga und ein kleines Häufchen Unverbesserlicher vielleicht? Und ein paar stille Fans! Ja, wir haben Fans! Doch die stille Bewunderung unserer Verrücktheit nutzt keinem, an wenigsten der Gesellschaft, die es zu verändern gilt! Wahrscheinlich bleiben wir hier im Exil nur einsame Rufer in der Wüste! Propheten, denen keiner lauschen will … Das nemo propheta in patria gilt immer noch. Vielleicht werden wir hier am lauten Puls der Welt endgültig vereinsamen … Oder vom Lärm um nichts erschlagen werden. Ionesco ist schon auf dem besten Weg in die Selbstisolation, auch der scheue Cioran, der keine Lust mehr hat. Den Goncourt-Preis verschmähte er, um ein Signal zu setzen gegen die omnipotente Scheinheiligkeit! Nur wer rezipiert heute solche Gesten? Wen schert noch Philosophie, nach Sartre, nach Camus? Bestimmt werden auch wir einsam untergehen, ohne dass auch nur etwas von unserer Botschaft gehört wird … Was soll’s? C’ est la vie, sagte der Franzose immer schon, fast genauso fatalistisch wie sein Bruder, der Rumäne, der wirklich alles erträgt … Maisfladen explodieren nicht, sagen einige mit Recht! So sind die Rumänen nun einmal - fatalistisch, duldsam, nicht viel rebellischer als die viel verachteten Nomaden aus Hinterindien. Die Geschichte hat sie leidensfähig gemacht! Du kennst den Knast und weißt, was er aus freien Menschen macht, Krüppel und Geisteskrüppel! Wer lange Turtoi essen musste und Arpakasch bis zum Überdruss wird nicht nur friedfertig, sondern auch fatalistisch passiv, ja nihilistisch und depressiv, bereit alles zu ertragen, auch ein Leben ohne Würde. Irgendwann bestimmen nur noch Ekel und Melancholie, Sisyphus und Don Quichotte! Wie soll ich darauf reagieren? Mit Erbrechen vielleicht?
Die Heuchelei stinkt zum Himmel, überall - und keiner rümpft die Nase! Meine Arbeit ist fast getan! Darf ich schon Bilanz ziehen? Je ne regret rien, pflichte ich Edith Piaf bei. Das war mein Weg, mein Tao und vielleicht auch meine Bestimmung - und ich bereue nichts, I did it my way.
Gomas Jammern wirkte müde und enttäuscht. Die Desillusion hatte ihn verbittert. Nur wenige Freunde wussten davon, dass er einst auch der Musik nahe stand, nicht nur dem Chanson, sondern der ernsthaften Musik, während andere, fern von Bach, nur die Kunst der Fuga beherrschten - ganz nach einem geflügelten Wort der Rumänen in Reimform: Fuga-i ruşinoasă, dar sănătosă! Die Fuga - also die Flucht - ist schändlich, doch heilsam! Also erst das Leben retten, überleben - und dann nach der Moral Ausschau halten.
In den Nachwirren der Ungarnrevolution, als andere davonliefen, um ihre Haut zu retten, Goma aber als Student opponierte und wie Freund Felix in Temeschburg in den Knast ging, übte er nach der Entlassung gleich mehrere Berufe aus - auch als Musiker. Vielleicht blies er damals die große Tuba und schlug die Pauke? Genau weiß ich es nicht mehr. Aber er hatte auch einen Sinn für Bolero, Tango und triste Walzer an traurigen Sonntagen - und er war ein Stehaufmännchen nach meinem Geschmack, das sich täglich neu motivieren und neu entwerfen konnte.
Aufgeben war Gomas Sache nicht: „Im Land muss sich bald etwas tun, sonst werden sie den Diktator nie los! Eure Gewerkschaft war schon ein großer Schritt in die richtige Richtung und eine Erhöhung dessen, was ich damals begonnen habe. Doch es muss noch mehr werden. Die Vielen müssen aufspringen! Und der Kopf der Hydra muss weg - der unsterbliche Kopf. Das klingt paradox - aber der Fisch stinkt vom Kopf her, besagt eine Volksweisheit, die man selbst in Afrika kennt. Bei uns im Land ignoriert man sie immer noch, obwohl jeder inzwischen merkt, wie kräftig es schon muffelt in der Baracke! In Polen rotieren inzwischen die Regierungschefs - bei uns in Bukarest hingegen rotieren nur die Vasallen unterhalb des Diktators … Ach, hören wir auf damit, all das regt mich viel zu sehr auf!“
Gomas cholerischer Charakter trieb ihm das Blut in die Schläfen. Auch mir war diese Art des Ärgerns vertraut, ein innerer Aufruhr, der auch mich nachts ergriff, wenn ich über die allgemeine Heuchelei nachdachte, vor allem aber über Personen, die sie mit ihrem bigotten Handeln erst ermöglichten. Manches konnte ich gut nachvollziehen, denn ich entstammte Verhältnissen, in welchen die kleinbürgerliche Heuchelei bis zum Exzess kultiviert wurde, so sehr, dass sie selbst in meinem persönlichen Umfeld in nächster Nähe Opfer forderte. Und dabei war die Scheinheiligkeit die Wurzel aller Übel!
Eine ganze Reihe französischer Geister hatten ihr den Kampf angesagt und sie vehement bekriegt wie die vielköpfige Hydra, von Villon bis zu Voltaire und Cioran. Hatte nicht noch Nietzsche mit ausgerufen: Écrasez l’ infâme
Doch die Hydra der Heuchelei hatte wohl neun Köpfe - und der letzte, der Unsterbliche, von Herakles am Wegrand verscharrt, schien wieder munter zu sprießen.
In Rumänien, in einem europäischen Land, das auf seine zweitausendjährigen Wurzeln stolz ist und das sich von den Römern herleitet, trieben noch im Jahr 1980 und darüber hinaus die kulturellen Paladine des Diktators ihr Unwesen; Panegyriker der Superlative wie Adrian Păunescu, der einen Ceauşescu-Kult inszenierte, dass selbst die Koreaner vor Neid erblassten. Die anständigen Intellektuellen kuschten, schauten zu und applaudierten Beifall, während Goma als Vaterlandsverkäufer und Schurke diffamiert wurde. Nach einer guten Stunde verließen wir das Café und spazierten noch eine Weile durch einen nahen Park.
Die Rosen blühten nicht mehr. Dafür zeigten sie ihre Dornen. So nebenbei berichtete ich ihm von meinem Hineinschlittern in die Dissidenz, von meiner Verhaftung vor seiner Wohnung und von dem Versuch der Securitate, falsche Angaben aus mir herauszupressen, die ihn möglicherweise hätten belasten können. Das alles überraschte ihn nicht. Das hatte Methode und gehörte zu den Geschäftspraktiken der Securitate. Auch hier rechnete er jederzeit mit dem Schlimmsten. Dann sprach ich von den antisemitischen Tiraden gegen ihn. Für die Securitate war er ein Fremdling aus Bessarabien, der eine Jüdin zur Frau hatte, also ein Philosemit, während ich ein liberalkonservativer Deutscher war. Auch das wunderte ihn nicht. Vielfach hatte er die stalinistischen Verhörmethoden erlebt, die sich durch nichts von einem Gestapo-Verhör unterschieden. Und Goma kannte das Wasserpredigen und das Weintrinken der Kommunisten in- und auswendig. Wir ergingen uns dann auch noch in Klatsch und Tratsch und redeten nicht mehr ganz so ernst über Trivialitäten an Rande, über die Zerstrittenheit der Rumänen im Exil, über die Unart jedes kleinen Opponenten, den Marschallstab führen zu wollen, über antiquierte Strömungen, über die ewig Gestrigen, über individuelle Eitelkeiten einzelner Leader sowie über die Kunst, sich selbst im Wege zu stehen und gute Sachen zu verhindern, statt sie zu fördern.
Goma war ein feuriger Kopf, ein streitbarer Geist; ein Schriftsteller, der mehr geachtet als geliebt wurde - und er hatte manche Neider und Feinde, selbst im Exil. Wo Menschen sind, ist viel Allzumenschliches.
Kurz vor der Verabschiedung skizzierte ich ihm noch meine künftigen Pläne und den angestrebten Weg in die internationale Politik. Auch sprach ich über ein mögliches Projekt, die freie Gewerkschaftsbewegung historisch-literarisch dokumentieren zu wollen, ohne zu ahnen, dass dies noch fünfundzwanzig Jahre reifen sollte und verwies auf die Bestrebung, noch eine Weile auf dem engen Pfad, der früher mit Tugenden verknüpft wurde, weiterschreiten zu wollen. Dann schieden wir wie zwei alte Kombattanten in der Hoffnung, uns in besseren Tagen wiederzusehen. Was wurde aus Paul Goma?
Er lebt auch heute noch in Paris und fährt fort, auf seine Weise den Kommunismus in Rumänien zu bekämpfen, allerdings in einer wesentlich radikalisierten Form. Den Aufruf zur Rückkehr in seine Heimat, den der Altstalinist und Wendelhals der ersten Stunde Ion Iliescu nach langen Jahren der Bedenkzeit endlich formulierte, ignorierte Goma - aus vielen Gründen. Und selbst in jüngster Zeit, als er von Koordinator Vladimir Tismăneanu in die Kommission zur Analyse und Aufarbeitung des Kommunismus in Rumänien berufen werden sollte, verscherzte ihm seine lose Zunge Teilnahme und Mitwirkung.
Nur in meiner Geburtsstadt, wo man es seit der Proklamation von Temeschburg mit der Aufarbeitung des Kommunismus und dem Aufbau demokratischer Strukturen ernst nahm, wurde seinen Verdiensten eine Ehrung zuteil, indem im Bürgermeister Ciuhandu die Ehrenbürgerschaft der Stadt anbot - eine Geste, die Goma gerne annahm, die aber einen Sturm der Proteste hervorrief, weil Goma sich inzwischen aufs Glatteis begeben hatte. Goma, oft zum Juden gestempelt, war - bis zu einem hohen Grad selbstverschuldet - in eine Antisemitismusdiskussion hineingeraten, die bis zum heutigen Tag anhält und die viel von seinem Renommee als Dissident geschmälert hat.





Mehr zur Materie:


Eine notwendige Reise in das Land meiner Geburt - nach 30 Jahren Abwesenheit.


Das EU-Land Rumänien
ist auf dem Weg in die Demokratie - der politische Wille zur Veränderung ist da,
doch der Weg bleibt steinig.

Die hier veröffentlichten Fotos entstanden zufällig - sie dokumentieren etwas von dem Status quo in Bukarest, von der Aufbauarbeit in einer Stadt, die man im Westen kaum kennt.

Selbst die aus Rumänien stammenden Deutschen, Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, erreichen auf ihren Fahrten nach Hermannstadt, Kronstadt oder Temeschburg nur selten das höchst sehenswerte "Paris des Ostens", die rumänische Hauptstadt Bukarest.




Ceausescus Palast






Gigantomanie?
Zu groß für eine gewöhnliche Kamera.
Stalinistische Baukunst.




Springender Brunnen in Bukarest


Mihai Eminescu - poeta laureatus




Rumänisches Athenäum




Das ZK der RKP - Machzentrale der Kommunisten Ceausescus




Mahnmal für die Opfer der antikommunistischen Revolution von 1989



Mahnmal, Detail -
der Sockel bröckelt wie die Erinnerung an die Helden der Revolution


Namen der Gefallenen - beim Sturz des Diktators Ceausescu






  Foto: Michael Blümel

Antikommunistischer Bürgerrechtler Carl Gibson vor dem ehemaligen
Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei






Ienei-Kirche


Blick in eine orthodoxe Kirche in Bukarest






Blick auf das Athenäum vom Königsschloss aus





Blick auf ein kapitalistisches Bauwerk



Hotel Intercontinental in Bukarest- zur Zeit Ceausescus gebaut







George Enescu Museum


Kirche


Unterwegs in Bukarest







Die alte Ienei-Kirche


Ienei-Kirche, Detail



In der Ienei-Kirche




Ienei-Kirche


Sitz der Regierung


Ovid in Bukarest

 Foto: Michael Blümel

Zwei Exilierte



Ein Parteigebäude im Diplomatenviertel


Triumphbogen in Bukarest







Casa Gorjara - ein rumänisches Spezialitätenrestaurant
mit traditionellem Ambiente



Casino





Wasserspiel


Die rumänische Trikolore


CEC-Gebäude (Bank)


Das städtische Krankenhaus in Bukarest
an der Dimbovita



Bibliotheksneubau



Am Präsidentenpalast in Cotroceni



Vor dem Präsidentenpalast in Cotroceni




Kirche bei Cotroceni



Das Gebäude der rumänischen Gauck-Behörde CNSAS



Mein Bericht in der "Siebenbürgischen Zeitung" nach dem Einblick in meine Securitate-Opfer Akte




Technologischer Fortschritt





Strom-, Telefon- und Internetleitungen




Kabelsalat

  Foto: Michael Blümel

Gesicherte Baustelle.
Im Mittelalter warf man Leute ins Loch,
heute fallen sie selbst hinein.



Der ehemalige Königspalast - heute Kunstgalerie

Am Palast



Dracula - Mythos und Geschichte






Flohmarkt - hier findet man auch die Publikationen jener Schriftsteller deutscher Zunge,
die angeblich im Kommunismus verfolgt wurden.




Blick von Hotelzimmer aus auf eine sich wandelnde Architektur weg vom sozialistischen Einheits-Plattenbau hin zum Individuellen.



 Ergänzende Berichte zur Thematik:



Eine abenteuerliche Reise zur CNSAS nach Bukarest - zur Opfer Täter-Debatte
oder
wie das Opferlamm freiwillig die Schlachtbank besichtigt!



"Keine zehn Pferde bringen mich wieder nach Rumänien",
meinte mein alter Mitstreiter Erwin Ludwig von SLOMR Temeschburg,
als ich auszuloten versuchte, ob er vielleicht auch zu einer spontanen "Heimkehr" bewegt werden könnte.

Heinrich Heine war irgendwann heimgekehrt aus dem fernen Paris in das in fast 40 Staaten zersplitterte Deutschland, obwohl die Grenzer nach Konterbande suchten und der frivole Poet mit "scharfer Feder und Zunge" vielleicht sogar steckbrieflich gesucht wurde.
Daraus entstand schönste Dichtung - "Deutschland, ein Wintermärchen".

Friedrich Nietzsche war einst heimgekehrt in seine Einsamkeit von Sils-Maria!
Weshalb, das beschreibt er nicht in seiner Polemik gegen Richard Wagner,
sondern in "Zarathustra", in dem Buch "für alle und keinen".

Weshalb sollten wir es nicht auch noch wagen, nach 30 Jahren "Exil" in der Fremde,
die nie richtig hatte "Heimat" werden können,
trotz "Vaterland " und "Mutterland?

Endlich wollte ich es wissen:

Was war aus Rumänien geworden?

Nach Nicolae Ceausescus Sturz,
nach dem Fall des Kommunismus, den wir von der freien Gewerkschaft SLOMR bereits 1979 mit eingeleitet hatten?

War die "Securitate immer noch im Dienst"?

Herta Müller hatte sich dort im Land ihrer Herkunft erneut verfolgt gefühlt im Jahre Domini 2008!
Und sie war trotzdem hingereist, mutig, wie sie ist!

Ungeachtet vieler Gefahren am Wegrand und auf noch unbekannten Bahnhöfen war sie mit ihrem früheren Gatten aus Perjamosch bzw. der RKP Richard Wagner bald darauf wieder in die ehemalige Diktatur Ceausescus gereist!

Um Brücken zu bauen?

Um dort mit der Konrad Adenauer-Stiftung (KAS) an einem Tisch in Hermannstadt (Sibiu) zu sitzen,
zu tafeln und dabei über die
EU-Integration Rumäniens zu reden,
namentlich mit KAS-Präsident Dr. Bernhard Vogel,
Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen a. D.,
um zu diskutieren,
wohin Rumäniens Reise geht - noch vor dem Nobelpreis!

Von der "Securitate" und ihrer Nachfolgeorganisation SRI,
die bei der CNSAS die Dossiers der Verfolgten nachträglich gefälscht haben soll,
berichteten Herta Müller und die KAS seinerzeit nichts.

(Ich schrieb darüber auf http://www.siebenbuerger.de/ ellenlange Kommentare . umsonst!)

Einmal wurde sie von der alten oder neuen Securitate (SRI) verfolgt - und einmal nicht!?

Mein Mistreiter Erwin Ludwig blieb bei seiner Meinung:

"In Rumänien regieren immer noch die Kommunisten!

Traian Basescu ist nicht besser als Ion Iliescu!
Hat einer seine CNSAS-Akte zu Gesicht bekommen?"

Wohl kaum!

Was konnte ich erwidern?
Nicht viel!

Ich konnte nur reisen, mir selbst ein Bild von der "neuen", veränderten Lage im "EU-Land Rumänien" machen oder es gleich bleiben lassen!

Die CNSAS hätte mir die Kopien meiner Akte auch per Post zugeschickt!

Doch wollte ich Gewissheit haben, um Ruhe zu finden, dann musste ich schon selbst dahin,
in die Höhle des Löwen,
in die Mausefalle, um kritisch zu überprüfen,
wie die rumänische Gauck-Behörde CNSAS tatsächlich arbeitet und
ob die demokratisch geläuterten Rumänen es diesmal ernst meinen mit der
kommunistischen Vergangenheitsaufarbeitung.

Ein Versuch war der
"Bericht zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien", auch "Raport final" oder "Raportul Tismaneanu" genannt.

Der Koordinator des von Präsident Traian Basescu in Auftrag gegebenen Berichts, Professor Vladimir Tismaneanu, heute in Maryland, USA,
an der dortigen Universität mit der Geschichte des Kommunismus in Osteuropa beschäftigt, auch mit Dissidenz und Widerstand,
wurde hundert-, ja tausendfach angefeindet : für diese Aufklärungsarbeit!

Er macht weiter, unter anderem auf seinem Blog: http://tismaneanu.wordpress.com/

während andere zwielichtige Gestalten der Zeitgeschichte, die Vergangenheit auf den Kopf stellen, nur um das eigene Versagen unter den Roten zu verdecken, vergessen zu machen.

Was hatte da eine dieser zwielichtigen Gestalten öffentlich gemeint?
Seine Akte will er nicht sehen - und unsere will er auch nicht sehen ...

Doch, doch!

Mich interessieren alle Akten, die etwas zur Wahrheitsfindung beitragen, Genosse Tarnkappendichter!

Und ich analysiere und interpretiere die Akten auch gerne selbst - über die ausgewählten und vorgesetzten erlesenen Zitate hinaus!

Nachdem ich als "Forscher bei der CNSAS akkreditiert" und eine erste Kurzvisite ins Banat und nach Siebenbürgen im Mai dieses Jahres erfolgt war, wagte ich es im September noch einmal -
die Fahrt in die "Mausefalle"
bzw in die "Höhle des Löwen" ,
der zu meiner Zeit noch quicklebendig war und kräftig zubeißen konnte,

diesmal begleitet, nicht von der Malerin Monika Nickel, wie im Frühling,
sondern von Maler, Graphiker und Buch-Illustrator Michael Blümel aus Bad Mergentheim.

Monika kannte die "Mausefalle" bereits aus eigener Anschauung - und Michael, der waschechte Bundesbürger und Illustrator der "Symphonie der Freiheit" wollte sie erst kennen lernen -

und mit ihr den "A-posteriori-Kitzel" einer roten Diktatur.

Die "Mausefalle" als Schreckens-Phänomen an sich hatte ich schon mehrfach erlebt
:
Im großen Gefängnis Ostblock,
im Land Rumänien ,
in der "Folterkammer der Securitate" mit und ohne Erwin Ludwig,
dann
- nach meiner Ausreise - bei einer Fehlausfahrt vor Berlin in der DDR,
wo nach mir gefahndet wurde (1984),
schließlich in Kiew (1995), wo ich nie richtig wissen konnte, ob ich noch einmal "entrinnen" werde, ohne von einer allmächtigen Katze aufgefressen zu werden, die am Ausgang der Mausefalle wartet.

Also reiste ich mit Michael, dem Maler, 2000 Kilometer gen Osten, nach Bukarest.

Nach mehreren Tagen und zum Teil unfreundlichen Berührungen mit der allpräsenten Polizei in Rumänien erreichten wir schließlich das Ziel, Bukarest, die Hauptstadt Rumänies,
die in Sachen Verkehr "das vollendete Chaos" ist - noch jenseits von Italien und Kairo.

Wir waren da - zwei Tage vor dem Termin am 4. Oktober bei der CNSAS,
in der Matei Basarab Straße Nr. 41.

Da war noch viel Zeit für Malerei, Kultur, Stadtbesichtigung und Architektur, auch wenn mir stressbedingt die Muße fehlte:

Bauten vom Feinsten zogen uns magisch an:


Foto: Der freundliche Taxifahrer Emil


Diktator Ceausescus Protzbau im stalinistischen Stil.

Die halbe Nation arbeitete jahrelang, um diesen Prestigeklotz zu vollenden.

Heute:
Sitz des Parlaments.
 Leute wie Emil sind stolz darauf, dass Rumänien das zweitgrößte Gebäude der Welt aufweisen kann - später Dank an den Führer der Nation!?


Nach der Prolet-Kultur des schlechten Geschmacks sahen wir uns noch ein paar historische Sehenswürdigkeiten an, Bauten, die Bukarest zum "Kleinen Paris" machten:


Foto: Michael Blümel

Imposanter Jugendstil-Bau - Das Museum "George Enescu"



Foto: Carl Gibson

Die Ienei-Kirche.
Das Schicksal von Vacaresti blieb ihr erspart - sie überdauerte auch Ceausescu, der andere Kirchen niederreißen ließ.


Foto: Carl Gibson

Eine Adresse für Bonzen - Offizierskasino, auch heute?


Foto: Carl Gibson

Die "Dimbovita" - Fluss und Kanal



Foto: Carl Gibson

Der "Cismigiu"-Park


Foto: Carl Gibson

Einer darf nicht fehlen: Graf Dracula -
Rumänien gedenkt "Vlad Tepes" - dem Vorbild für "Dracula"

Vor der Pflicht kam die Kür -
Wir sahen uns die berühmten Gemälde an, im Königsschloss, fanden aber keine Zeit mehr für den berühmten "Pfähler"!

Nach mehr als 30 Jahren! 

Bukarest zwischen Pflicht und Kür im Intermezzo mit einer Herta Müller- Lesung




Wer in einem Land entwürdigt, gedemütigt, misshandelt, gefoltert und ohne Grund in ein Gefängnis geworfen wurde, der wird es sich gut überlegen, ob er sich noch einmal exponiert, ob er noch einmal die schwer errungene "Freiheit" aufs Spiel setzt, sich in Gefahr begibt und riskiert, aufs Neue "alles" zu verlieren.

Was brachte mir die "Heimkehr"?

Die anschließende Fahrt zur CNSAS in die "Höhle des Löwen" nach Bukarest, an den Ort,
wo ich mehrfach verhaftet, verprügelt, gedemütigt worden war?
Die Ruhe der Seele?

Ein kluger Kopf begibt sich nicht ohne Grund in die Höhle des Löwen,
wenn er denn Äsops Fabel gelesen und die Botschaft auch verstanden hat?

Der "Horror-Trip" in das "Land aller Möglichkeiten", Rumänien, das auch heute noch ein von Polizei durchsetzter Staat ist, begann mit einer ersten Polizei-Kontrolle und dem Ruf nach einer "Vignette".

Das moderne Wegelagerertum der Weststaaten,
ausgerichtet, den Autofahrer überall zur Kasse zu bitten und zu melken, wo es nur geht (Maut, Toll!!!) via "Vignette"
hat nun auch den EU-Staat Rumänien erreicht. Abkassieren ist angesagt in Zeiten knapper Kassen.

Die Rumänen erheben eine Straßenbenutzungsgebühr - fällig für alle Straßen,
denn Autobahnen haben sie nicht, bis auf ein kleines Stück zwischen Pitesti und Bukarest, kaum 150 Kilometer.

Wer keine Vignette hat, riskiert sehr hohe Geldstrafen.
Wir hatten Glück - der Polizist wurde durch einen Anruf abgelenkt, und wir durften weiter fahren, bis zu einer Tankstelle, wo eine "Vignette" erworben werden konnte.

Dann fuhren wir in eine der zahlreichen Radar-Falle!
(Die Behörden der Rumänen haben schnell begriffen, wie man Geld verdient, ohne zu arbeiten: Mit Vignetten und Radar - nicht anders als hier überall! )

Der Dorfpolizist in Traian Vuia auf dem Weg vom Banat nach Siebenbürgen wollte gleich den Wagen stilllegen, nachdem wir die "Grüne Versicherungskarte" nicht auf Anhieb finden konnten, die in einem EU-Land nicht einmal benötigt wird, oder?

Ein Horrorszenario - mit Angstschweiß und viel Adrenalin!

Was hätten wir getan in der Einöde vor Transsylvanien "ohne Auto"?

Mit "Furcht und Zittern" ging es weiter,
durch Roma-Siedlungen bei Tirgoviste und neue Polizei-Kontrollen, bis nach Bukarest in das alte "Miliz- Ghetto" im Umfeld der Matei Basarab-Straße.

In dieser Stress-Konstellation erlebte ich Bukarest - nach mehr als 30 Jahren!

Es wurde ein Deja- Vu mit hoher emotionaler Belastung!
Überall Spuren früherer Verfolgung - überall Polizei!

Das Gehirn regte sich, ich erinnerte mich, auch an viel Unerquickliches.

Trotzdem begaben wir uns auf Spurensuche - ich wollte die Stellen sehen,
wo ich früher "opponiert" "protestiert" hatte,
damals als einige meiner deutschen Landsleute noch hier an der

Partei-Kaderschmiede "Stefan Gheorghiu" studierten.

Die deutschen "KP-Genossen" von gestern" leben heute saturiert in der Bundesrepublik Deutschland
- ihren Opportunismus von einst, als sie noch mit den "roten Wölfen" heulten,
haben sie längst verdrängt, ja vergessen.

Die Unverschämtesten aus ihren Reihen beschimpfen heute von scheinbar sicherer, protegierter Warte aus sogar die ehemaligen antikommunistischen Dissidenten,
die Aufrechten des Widerstands gegen die Diktatur, als Helfershelfer der Securitate und als "nützliche Idioten",

ohne zu bedenken, dass sie selbst über viele Jahre "nützliche Idioten der Kommunisten" waren.

Aber, weil sie selbst der verbrecherischen Partei Ceausescus als "Mitglied" angehörten und dem System, diesem huldigten und stützten, waren sie damals für all die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen blind.

Nur noch ein paar Dissidenten und "Betroffene" erinnern an das,
was in der Ceausescu-Diktatur Alltag war.


Foto: Carl Gibson


Die Kader-Schmiede der Rumänischen Kommunistischen Partei -

Die marxistisch- leninistische Hochschule "Stefan Gheorghiu" -

Wer als RKP- Politiker, Journalist, Historiker etc. im Rumänien Ceausescus
Karriere machen wollte, musste hier studiert haben.

Davor: "Der Löwe"!

In dem kommunistisch-nationalistischen Hymnus "Pui de lei" werden die Rumänen
als "Junge Löwen" glorifiziert, die, aus dem Fels gebrochen, überall wachsen und gedeihen -

vivat, crescat, floreat!?

Ja, ich erinnerte mich!

Vis – à-vis des Löwen liegt der Präsidentenpalast Traian Basescus – und
nicht sehr weit entfernt …. „Cartierul Primaverii“, das „Stadtviertel des Frühlings“,
wo Ceausescu und sein Clan lebten
und wo heute immer noch die Bonzen hausen,
die Nomenklatura der Neuzeit, Wölfe im Schafsfell, Wendehälse und Chamäleons aller Art, Demagogen der Sonderklasse, oft als lupenreine Demokraten kaschiert.

Fürst Potjomkin lässt grüßen, mit neuen Fassaden –
und der Pawlowsche Hund auf der Straße,
der fügsam den Schweif absenkt und nach dem Knochen schnappt,
den man ihm gnädig zuwirft – für gute Dienste!

Foto: Carl Gibson

Wachturm vor der Residenz des Präsidenten der Republik.
Vom Palast sieht der Bürger nichts.


Foto: Carl Gibson

Das "Rumänische Athenäum"


Der Zufall wollte es, dass in diesen Tagen am 27. und 28 September die aus Rumänien stammende Herta Müller in diesen "heiligen Hallen" lesen sollte -
in dieser "Arena" oder "Circus" wie die Nobelpreisträgerin im Gespräch mit
Gabriel Liiceanu (Phänomenologe und Chef des Verlagshauses "Humanitas) sagte.

Eine "Dissidentin", betonte Herta Müller vor Ort,
sei sie nicht gewesen,
aber sie hätte im Kindergarten mit der Leiterin des Kindergartens lebhaft kritisch diskutiert.

Ob sie auch der RKP und der "Securitate" seinerzeit etwas "Kritisches" zu berichten hatte, damals zu Ceausescus Zeiten,
das sagte Herta Müller nicht.


Foto: Michael Blümel

Carl Gibson, einer der schärfsten Kritiker von Herta Müllers Werk,
vor der "Humanitas"-Buchhandlung neben der Ienei-Kirche im Herzen der Hauptstadt Bukarest.

Eine Teilnahme an der Werbeveranstaltung im "Rumänischen Athenäum" wollte ich mir dann doch nicht zumuten.

Gabriel Liiceanu von der Phänomenologischen Gesellschaft in Rumänien und Kopf des Verlages "Humanitas", der gerade Herta Müllers "Atemschaukel" in rumänischer Sprache herausgab,
dachte wohl mehr ans Geschäft, als an "kritische Fragen" und historische Wahrheiten.

Den "Dingen auf den Grund gehen", die "Wesenheit schauen", "des Pudels Kern" entlarven - das wollte dieser wohlwollende Intellektuelle nicht.

Foto: Michael Blümel

Bürgerprotest am Piata Unirii in Bukarest - Was aussieht wie Werbung, ist eigentlich der friedfertige "Aufruhr" eines Bürgers, der sich von einem ausländischen Konzern benachteiligt fühlt.


Es folgte ein besinnlicher Ausklang am Abend im Hotel:


Foto: Carl Gibson

Sonnenuntergang über den Neubau-Dächern von Bukarest - Folgt bald die "Morgenröte"?




Zur Authentizität, Qualität und zum Aufklärungswert der Securitate- Akten bei der CNSAS in Bukarest.

Furcht und Zittern? Vendetta oder Aufklärung!?

Wie wichtig sind die bei der CNSAS abrufbaren Akten der "Securitate"?

Dienen sie der Vergangenheitsaufarbeitung und Kommunismusbewältigung im EU-Land Rumänien?

Sagen sie etwas zur möglichen Präsenz von "Securitate-Strukturen" in Deutschland aus,
mit Details über Spitzel, alte - und neue - IMs?

Oder sind diese Akten doch nur ein billiges Mittel zur "Abrechnung",
von einzelnen Personen genutzt
und gegen andere eingesetzt als "Instrumente" der
Diskreditierung, Diffamierung und Diversion?

In meinem Werk "Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu- Diktatur"
(es entstand in den Jahren 2005 - 2008, Bd. 1)
war ich noch sehr skeptisch, was die Offenlegung der Aktenbestände aus den Archiven des kommunistischen Geheimdienstes über die CNSAS betraf.

Würde die rumänische Gauck-Behörde CNSAS wirklich alles offen legen,
was in den Archiven der "Securitate" aufgefunden wird?

Wie zuverlässig arbeiten die CNSAS-Mitarbeiter heute?

Wie vollständig und wissenschaftlich korrekt dürfen sie überhaupt arbeiten,
um nicht irgendwo auch "nationale Interessen" des gegenwärtigen Rumänien,
Mitglied der EU und der NATO, zu gefährden?

Bestehen alte Strukturen weiter,
die durch allzu viel Offenheit, "Glasnost" und "Perestroika" enttarnt werden könnten?

Meine Erwartungen waren recht hoch -

Ich wollte "Gewissheit" haben;
trotzdem beherrschten mich "gemischte Gefühle",
da die negativen Erfahrungen während der Ceausescu-Diktatur auch nach drei Jahrzehnten nicht vergessen oder weggewischt werden können.

Wer einmal in einem KZ einsaß,
wer den GULAG aus eigener Erfahrung kennt oder sonst eine Deprivierungseinrichtung totalitärer Systeme ganz egal wo auf der Welt,
wer ein Opfer von Folter, Gewalt, Terror wurde,
der wird nicht vergessen, wo die grobe Menschrechtsverletzungen aller Art begangen wurden.

Er wird im Rahmen einer umfassenden Vergangenheitsaufarbeitung und
Vergangenheitsbewältigung
nach der ab 1945 erfolgten "Entnazifizierung"
nun auch
eine konsequente "Ent-Stalinisierung" fordern,

doch nicht beliebig via zufälliger "Denunziation",
sondern korrekt auf wissenschaftlicher Grundlage.

Demokratie ist nur möglich, wenn die totalitären Strukturen alter Ordnungen aufgegeben werden.
Das ist eine Sache des Bewusstseins und umfassender Aufklärung.

Der Einzelne muss das für sich selbst leisten - und, wo es möglich ist,
über Wissenschaft auch für die Allgemeinheit.


Foto: Carl Gibson

Die rumänische Gauck-Behörde "CNSAS" in Bukarest


Es war kurz vor 9 Uhr, als ich am 4.Oktober 2010 auch meine Foto-Dokumentation aufnahm.
Wie offen war Rumänien wirklich?

Die Gegend um mich herum in der Matei Bararab-Straße:
Ein Polizei-Nest seit Jahrzehnten - bis heute.

An verschiedenen Stellen war sie zu sehen: Einrichtungen des Innenministeriums, Stätten, wo ich früher nach spontaner Verhaftung zum Teil brutal verhört worden war.

Das mulmige Gefühl im Bauch von vor 30 Jahren kam wieder auf.

Und trotzdem fotografierte ich die Einrichtung CNSAS, bis der Pförtner in Uniform, der alles beobachtet hatte, aus dem Bau heraus und auf mich zu stürmte:

"Was machen Sie denn da?
Das ist eine Behörde!
Und fotografieren ist hier eigentlich nicht erlaubt".

Das klang fast wie in alten Zeiten!

"Ich schieße nur Erinnerungsfotos",
gab ich zurück und verwies gleich auf meine Anmeldung
als "petent" in "eigener Sache" und
als "akkreditierter externer Forscher" aus dem Ausland.

Das stimmte die Autoritätsperson an der Pforte dann doch etwas freundlicher.

Als kleines Entgegenkommen durfte mein Begleiter Michael das CNSAS-Gebäude und sogar den Lesesaal mit betreten, solange ich nur in "eigener Sache" tätig war.

Am zweiten Tag, als ich als "Forscher" aktiv wurde und in fremde Akten Einblick nahm, musste mein Begleiter draußen bleiben.

Alles hatte seine Ordnung.

In der Vorhalle des CNSAS-Baus waren einige Ausstellungsstücke aus dem Ausspionierungsarsenal der "Securitate" zu sehen:

Wanzen, Mini- und Observations-Kameras, Objektive etc.

An einem Pfeiler sah man ein prägnantes George Orwell-Zitat über das Verhältnis von Wahrheitskontrolle und Machtausübung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus dem Werk "1984" .

"Big Brother is watching you"?

Damals und heute - hier und dort?

Das Wissenschaftspersonal rief meine Securitate-Opfer-"Akte" ab - sie kam
aber erst gegen 11 Uhr, nachdem die Arbeit im Archiv für fast zwei Stunden unterbrochen worden war.

Ich nutzte die Zeit, um einige Wälzer über das "System der Securitate" durchzublättern, die in einem allen zugänglichen Bücherschrank zur Verfügung standen.
Dort auch sonstige Literatur zur Vergangenheitsaufarbeitung, u. a. Zeitzeugenberichte aus der stalinistischen Zeit bzw. aus der Ceausescu-Ära.

Was fand ich später dann im meiner "Securitate-Opfer-Akte" vor?

Mehr, als ich erhofft hatte!

Gleichzeitig aber auch viel weniger, als in der Akte in zwei Bänden hätte sein müssen.

Einige generelle Aspekte, was ein Akten-Einblick bei der CNSAS bringen kann und wie mit diesen Akten umzugehen ist, habe ich in einem Bericht dargelegt:


Jede Akte ist individuell.
Deshalb muss sie auch individuell analysiert werden, was nur mit hohem "Sachverstand" möglich ist.

Nur wer die Zeitverhältnisse sehr genau kennt,
wer selbst jahrelang in "Opposition" war,
wer die Securitate über Jahre selbst erlebte,
wer das Instrumentarium von Desinformation, Deviation etc. aus wissenschaftlicher Sicht kennt,
der kann vielen "Verdrehungen" und "Verfälschungen", die in den Protokollen und Berichten mitschwingen,
durchschauen und entsprechend werten.

Das Zitieren aus "Akten" ist gefährlich und kontraproduktiv,
da der Gesamtkontext in der Regel ignoriert wird.

In "Abrechnungsfeldzügen", wie wir sie gerade erleben, wird oft nur zitiert, um anzuprangern, um bestimmte Personen in eine Ecke zu stellen, um zu stigmatisieren und um zu diskreditieren.


Zur "Vollständigkeit" bzw. zum "Umfang" einer Akte:

In meiner Akte fehlt nach meiner Einschätzung sehr viel Material zu Vorladungen,
Verhaftungen,
U-Haft, Verhören, Prozess, Gefängnisaufenthalt etc.

Ebenso fehlt fast die gesamte Dokumentation meiner kommunismuskritischen Aktivitäten im rumänischen Exil von 1979 nach der Ausreise bis zur Revolution 1989.

Die Berichte des "Auslanddienstes" der Securitate sind wohl noch nicht freigegeben
wie die Akten militärischer Ermittlungsbehörden,
die - laut "Raport final zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien (Tismaneanu-Report) -
auch noch hinter verschlossenen Türen lagern.

Westliche Journalisten, die nicht unbedingt viel von der Securitate- Materie verstehen,
stellen oft die Frage:

"Wie umfangreich ist diese oder jene Akte" -

und folgern daraus, je mehr Seiten vorliegen, desto "bedeutender" sei der Fall.

Diese Annahme ist falsch.

In einzelnen Akten ist viel nichtssagender Ballast vorhanden (Rezensionen, Duplikate, irrelevante Beilagen zur Korrespondenz etc.).

Andererseits wurden politisch inaktive Personen nur aufgrund ihrer Vertrauens-Position ( etwa Universitäts-Dozent) observiert, nur um die "Loyalität" zu Partei (RKP) und Staat zu überprüfen. 

(Solche Observierungen von "eigenen Leuten" haben nichts mit Widerstand zu tun,
ein Aspekt, der leider manchen Ahnungslosen im Westen a posteriori vorgegaukelt wird.

Das ist gezielte Irreführung und Täuschung, wird aber sogar von Personen mit Wissenschaftsanspruch praktiziert.

"Akten" dürfen bei der CNSAS natürlich nicht fotografiert werden.

Eigene Akten-Dokumente werden jedoch als "Kopien" ausgehändigt oder auf Antrag ins Ausland verschickt.

Kleine Begebenheit am Rande:

Bei der CNSAS traf ich Mircea Dinescu, den Dichter,
der in den Tagen der "blutigen Revolution" 1989 in Bukarest und des Sturzes von Diktator Nicolae Ceausescu weltbekannt wurde -
als Gesicht eines "demokratischen" Rumänien",
dass das "kommunistische Wappen" aus der rot-gelb-blauen Trikolore gerissen hatte.

Mircea Dinescu, vor Jahren noch vom damaligen Präsidenten Ion Iliescu als
eine Art Großgrundbesitzer (mosier) und Kapitalist denunziert,
ist heute in Rumänien ein bekannter Mann mit nahezu täglicher Fernseh-Präsenz,
während sich sein deutscher Übersetzer, der Dichter Werner Söllner, als ehemaliger Securiate-Informant zu erkenn geben musste.

(In meinem Erinnerungswerk "Symphonie der Freiheit" habe ich Mircea Dinescu und seiner damaligen Rolle als Apologet der Freiheit ein ganzes Kapitel gewidmet.)

Jetzt sitzt Dinescu seit Jahren im CNSAS-Ausschuß,
während andere Dichter und Dissidenten bereits unmittelbar nach der Revolution ins Abseits gedrängt wurden - wie Ana Blandiana.

In dem CNSAS-Gremium achtet Mircea Dinescu darauf, dass alte Seilschaften nicht weiter ihre "Spielchen" machen können
bzw. dass de Demokratisierungsprozess im Land über "Aufklärung" weiter geht.

Im Gespräch mit dem Dichter verwies ich u.a. auf die lässige Art bestimmter Belletristen wie herta Müller,
Gerüchte und Mythen in die Welt zu setzen,
etwa Parolen wie:

"Ohne Haftbefehl gehe ich nicht mit",

wenn die Securitate naht, um eine Verhaftung durchzuführen
bzw. auf die sonderbare Lust,

"Securitate"-Akten aus den Beständen der CNSAS zur persönlichen "Vendetta" einzusetzen, um ehemalige IMs abzuschießen
und andere Personen zu desavouieren und zu diskreditieren,

selbst Leute aus dem Widerstand gegen den Kommunismus.

Da Demagogie und Lügen aller Art zum Alltag in Rumänien gehören,
regte das Mircea Dinescu nicht allzu sehr auf.

"So ist das eben", meinte Micea Dinescu schmunzelnd.

Nach zwei arbeitsreichen Tagen bei der CNSAS von 9 Uhr - 16 Uhr im Lesesaal
blieb noch etwas Zeit für "Sightseeing" - nicht im Sinne von West-Touristen, die Bukarest erkunden,
vielmehr aus der Perspektive des Zeitzeugen, der sich fragt,
was sich alles veränderte nach den Ereignissen der antikommunistischen Revolution von 1989,
nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und des kommunistischen Weltreichs überall in Europa
und in der Sowjetunion.

In Rumänien blieben die Kommunisten weitere sieben Jahre an der Macht -
während in Polen und in der Tschechoslowakei ehemalige Bürgerrechtler und antikommunistische Dissidenten zu Staatschefs avancierten,

namentlich
Lech Walesa
und

Vaclav Havel.


Foto: Carl Gibson

"Modern Times" auch in Bukarest, Oktober 2010.

Was ich in Prag, Bratislava und Budapest feststellte, gilt uneingeschränkt auch für die rumänische Hauptstadt:
Der Kapitalismus ist angekommen.

Der Glaspalast eines Mobilfunk-Riesen erinnerte mich an die alte Weisheit -

"Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen",

das passt vorzüglich zur Pseudo-CNSAS-Aufklärung der "Guten und Gerechten" - "dopo Nietzsche"!


Foto: Carl Gibson

Nicolae Ceausescus Königsschloss -
nach dem Zepter kam der Palast - um welchen Preis?

Gigantomanie des "Titans des Titanen" in der "goldenen Epoche", in "Zeitalter des Lichts" und des "Neuen Menschen".

Personenkult und Projekte wie der "Donau-Kanal",
das beabsichtigte "Schleifen deutscher Dörfer im Banat und Siebenbürgen",
der Ausverkauf der Minderheiten und eben solche Wahnbauten ohne Sinn und Zweck führten Rumänien in die politische Isolation und in den wirtschaftlichen Ruin.

Schuld daran war nicht nur Partei- und Staatschef, Diktator Ceausescu, sondern die gesamte Nutznießerschar der Rumänischen Kommunistischen Partei - landesweit.





Foto: Carl Gibson

Helden-Denkmal,
das an die mehr als 1 000 Opfer der blutigen, antikommunistischen Revolution von 1989 erinnert.

Erste Verfallsspuren auch hier: Die Marmorplatten bröckeln -
der "Kampf um Freiheit und Demokratie"
ist fast schon vergessen:

Die Rumänen haben Wichtigeres zu tun - sie stehen im Kampf um das Dasein, Tag für Tag.



Foto: Carl Gibson

Das "Intercontinental"-Hotel im Zentrum der Hauptstadt Bukarest
war schon zur Zeit von Diktator Ceausescu ein wichtiger Devisenbringer.

In unmittelbarer Nähe:
Die US-Botschaft - heute ein gegen den internationalen Terrorismus abgesichertes Bollwerk.

Um 1977/78, zur Amtszeit von Präsident Jimmy Carter und seiner weltweit wirkenden Kampagne für "Menschenrechte"
galt die USA als "Leitnation der Freiheit".

Wir Dissidenten hatten seinerzeit große Mühe, um an den Securitate-Aufpassern vorbei in die Botschaft zu gelangen, um dort nach Unterstützung für unsere oppositionellen Aktionen (SLOMR) zu suchen.


Foto: Michael Blümel

Der ehemalige antikommunistische Oppositionelle und Regimekritiker Carl Gibson
vor dem alten ZK-Gebäude der Kommunisten von Diktator Ceausescu,

diesmal ohne "Petition" oder "Hungerstreikerklärung" in der Tasche.

Späte Genugtuung: Der Sieg der Wahrheit über die große Lüge,
der Demokratie über Totalitarismus.





Foto: Carl Gibson

Eine Gedenktafel an der Wand des Zentralkomitees der RKP erinnert an die Kommunistische Diktatur in Rumänien




Foto: Carl Gibson

Künftige "Staatsbibliothek" in Bukarest, wenn wieder Geld zum Weiterbauen da ist?



Foto: Carl Gibson

Gedenken an den verfolgten und Verfemten des rumänischen Kommunismus Coposu,
seine Büste neben der Ienei-Kirche in Bukarest ragt heute richtungsweisend in das Licht des Himmels.









Foto: Carl Gibson

Das "CEC"-Gebäude. Heute ist die CEC-Bank eine unter Tausenden, früher war CEC das einzige Geldinstitut in Rumänien.





Foto: Carl Gibson

Das Gebäude des Rumänischen Fernsehens - heute belebt Konkurrenz das Geschäft - in allen Medienbereichen.



Mit solchen Impressionen ging die Fahrt nach Bukarest ihrem Ende entgegen.
Die "Höhle des Löwen" lag bald hinter uns.

Aufatmen konnten wir beide aber erst, als wir nach dem Passieren der rumänischen Grenze in Richtung Ungarn auch der "Mausefalle" entronnen waren, ohne dass die Katze zugebissen hätte.

Zeit für Hoffnung!?


Wenn wir die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit nur Kommunisten überlassen, dann wird es keine Aufarbeitung geben! Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Wer die Verlogenheit und das Täuschungshandwerk verinnerlicht hat, der wird weiter die Wahrheit verfälschen und im eigenen Interesse andere hinters Licht führen.

Der Bock darf nicht länger Gärtner sein und Täter nicht länger Opfer!

 










 

 

 
 
 
 







 
 







 
 













Copyright: Carl Gibson

Fotos: Carl Gibson
Copyright: Carl Gibson