Als ich noch im Banat lebte, war sie fast unstillbar:
die Sehnsucht nach den Wurzeln,
nach dem Ursprung,
nach der Heimat der Ahnen im Schwarzwald oder in Schwaben.
Sie erfüllte sich endlich im Jahr 1979.
Fluchtartig verließ ich - kaum aus dem Gefängnis entlassen - Sackelhausen, Temeschburg und Rumänien, ohne das Elternhaus betreten zu haben,
ohne echten Abschied.
Würde ich je wieder kommen?
Dreißig Jahre sann ich dann von Deutschland aus zurück,
zu den eigenen Wurzeln,
zur eigenen Herkunft,
auf der Suche nach dem Selbst,
nach nationaler Identität und der geistigen Heimat im Sinne des Nietzsche - Wortes:
"Ja, ich weiß, woher ich stamme".
Im wunderschönen Monat Mai,
wo alle Knospen sprangen
und wo in manchem Herzen die Liebe aufgegangen,
wollte es der Zufall, dass dann die lange erstrebte Reise plötzlich möglich wurde -
eine Reise zurück in den Südosten Europas jenseits des lange währenden Eisernen Vorhangs,
eine Heimfahrt ins Banat,
nach Siebenbürgen
und noch darüber hinaus bis zur Donau
und in die Karpaten der Walachei.
Geplant war diese große Fahrt ins Blaue so nicht -
alles ergab sich so,
weil der Reiz der Veränderung uns vorwärtstrieb,
als wir auf dem Weg waren,
neugierig zu erfahren,
was anders und was neu war in den ehemaligen Ostblockstaaten
nach dem Fall des Kommunismus vor zwei Jahrzehnten.
Über weite Strecken wurde es dann eine "Donau-Reise",
- dieses Mal nicht "gegen den Strom" wie in der Jugend,
sondern mit dem Strom.
Wir erlebten viel Geschichte, Kultur und Natur sowie zahlreiche
menschliche Begegnungen im Gespräch.
Meine Lebensgefährtin Monika und ich starteten vom "Ländle" aus gen Bayern zum ersten Etappenziel Bad Griesbach. Von dem Bäderdreieck um Bad Füssing sollten wir aber nicht allzu viel sehen.
An der "Walhalla" in Donaustauf bei Regensburg griffen wir erstmals zur Kamera
und verewigten von der heiligen Halle aus den Ausblick auf die uns nach Süden geleitende Donau:
"Die Walhalla" - Musentempel der Deutschen hoch über der Donau bei Regensburg.
Ein Hauch von Akropolis - auf mächtigen Säulen ruht das Dach
Der Donau-Strom auf dem Weg zur Mündung ins Schwarze Meer von der Walhalla aus betrachtet
Eine Besichtigung von "Castra Regina" war nicht vorgesehen.
Während meiner Studien in den Jahren 1982 -1984 hatte ich viel Zeit in Regensburg verbracht.
Regensburg, geschichtsträchtiger Ort seit Philosophenkaiser Mark Aurel,
ist auch heute noch eine meiner Lieblingsstädte.
Ein später Freund lebte lange dort,
der leider viel zu früh verstorbene Dr. Joachim Koch, Kollege und
Pionier der "philosophischen Praxis" in Deutschland.
Von Bad Griesbach aus erkundeten wir zunächst das Nachbarland Österreich,
namentlich das Inn-Viertel,
das Salzkammergut, Braunau, Bad Ischl,
Gmunden, Schärding,
die Drei-Flüsse-Stadt Passau und andere Orte,
die ich früher -"auf den Spuren Lenaus", Franz Schuberts und später mit Michael auch Thomas Bernhards erkundet hatte bzw. noch ausloten sollte.
Der Traunstein am Traunsee von Gmunden aus betrachtet.
Die Salzach im Nobel-Kurort Bad Ischl.
Nicht nur Kaiser Franz Josef und Kaiserin "Sissi" prägten die Stadt
Hier wohnte der Komponist Franz Lehar
Barockfassaden in Schärding
In Schärding - Blick auf den Inn
Im Stadtkern von Braunau am Inn - fast 100 Meter ragt der Kirchturm in den Himmel
Der Inn vor Braunau - ein mächtiger Nebenfluss der Donau
Durch den Bayerischen Wald reisten wir nach Tschechien, genauer nach Prag.
Franz Kafka
Zentral in der Stadt auf dem Weg zum Hradschin
Ein "steinerner Gast" in Bronze erinnert an Mozarts "Don Giovanni" -Uraufführung in Prag
Etwas von dem Land Vaclav Havels hatte ich nach 1989 bereits gesehen. Die Hauptstadt mit dem Hradschin war aber neu für mich, während Monika Prag schon recht gut kannte.
Im Herzen der Stadt Prag nach dem Regen
Es folgten Wien, mein alter Studienort. Also machte ich den "Cicerone".
Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der ehemaligen Kaiserresidenz wurden während eines sonnigen Sonntags abgeklappert - fast auf die Art fernöstlicher Touristen, schließlich waren wir auf dem Weg ins Banat.
Wo bin ich? In Wien!
Auf dem Weg zur Hofburg - Wien
Spiegelungen - Modernes Glashaus in einer belebten Einkaufsstraße in der Nähe des Stefansdoms
Wien - Im Hofgarten
Von der Bühne begeistert: Monika vor dem Burgtheater in Wien
Auf die Kultur-Metropole Wien folgte
Bratislava (Pressburg) , die Hauptstadt der Slowakei.
Hoch über der Altstadt von Pressburg thront die Burg
Donaubrücke in Bratislava von der Burg aus gesehen - im Hintergrund Bauten im Einheitsstil des sozialistischen Realismus
fuhren wir zurück in das kaum 50 Kilometer entfernte Österreich,
ins Burgenland, ein reizvolle Erholungsregion, die wir über den Umweg durch die Steiermark erreicht hatten.
Der "schönere Weg" ist manchmal dem "schnelleren" vorzuziehen. Also erlebten wir die Gipfel der Steirer Alpen aus der Ferne und die Semmering-Gegend.
In Eisenstadt locken "Schloss Esterhazy" und das Haydn-Haus
Das Klavier des Komponisten Josef Haydn, ausgestellt im Wohnhaus in Eisenstadt
In und um Rust und Eisenstadt verbrachten wir mehrere Tage.
Der Winzerort Rust am Neusiedler See
Wir erlebten die Urlaubs- und Wein-Region Neusiedler See -
und von dort aus die angrenzende ungarische Seite: bei Sopron (Ödenburg).
Wer Störche sehen will, ohne sich auf die lange Fahrt - etwa nach Großau in Siebenbürgen - begeben zu wollen, der findet ein kleines Störche-Paradies bereits in
Rust am Neusiedler See.
Abendstimmung bei Mörbisch am Neusiedler See mit Rohr und Rohrsänger.
Die von Konrad Lorenz ausgiebig erforschten Graugänse mit Nachwuchs bekamen wir zwar mehrfach zu Gesicht, aber nie richtig aufs Bild.
bei Sopron hatte der Eiserne Vorhang zuerst einen gewaltigen Riss bekommen:
Foto: Carl Gibson
Teil der Grenzanlage bei Sopron - im Hintergrund ein "Wachturm".
Foto: Carl Gibson
Wir reisten weiter nach Ungarn hinein, besichtigten die Stadt Szombathely
und das Städtchen Köszeg.
Das sympathische Grenzstädchen Köszeg war eine kleine Entdeckung.
Das Stadtzentrum von Köszeg
"In einer kleiner Konditorei" in Köszeg
Ein Geheimtipp für Feinschmecker. Wer Törtchen, Mignos, Kipferl "Mehlspeis" in allen Formen und selbst gemacht genießen will, sollte dieses Café besuchen.
Es kann den ehemaligen k. u- k. Hoflieferanten in Bad Ischl durchaus das Wasser reichen.
Wir probierten die Creme-Schnitten ... - und andere Touristen ließen sich gleich alle Nusskipferl einpacken, weil es so günstig war - nach dem Motto: "Wir zahlen mit Euro".
In Köszeg erlebten wir ein Vereinsfest agrarischer Produzenten aus der Region - und wir wurden zu Essen und Trinken eingeladen.
Die Menschen haben mit dem Umbruch der Gesellschaft zu tun, gerade im Bereich der Wirtschaft. Wir erwarben etwas Hausmacher- Wurst und Schinken.
Das Überangebot an Salami, Schinken, Paprika etc., das ich vor 1989 noch auf den Märkten in Györ erlebt hatte, gibt es nicht mehr. Die Produkte in den Läden sind teuer - und den Menschen fehlt das Geld, um ihren Alltag zu bestreiten. Junge Leute hoffen weiter auf die EU.
Für die Besichtigung von Budapest nahmen wir uns einen Tag Zeit.
Ich hatte die ungarische Hauptstadt zuletzt im Jahr 1995 erlebt - auf dem Weg nach Kiew. Inzwischen hatte sich einiges verändert, nicht nur zum Guten hin.
In Budapest
Alltag in Budapest
Vier europäische Hauptstädte auf einer Fahrt -
und noch waren wir gute zweihundert Kilometer vom Banat entfernt,
bis ins noch fernere Siebenbürgen oder gar die Walachei jenseits der Karpaten waren es gar 500 Kilometer.
Würde Monika am exotischen Ungarn Gefallen finden?
Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen sind mit dem Klang der Sprache und der ungarischen Kultur vertraut, schließlich gehörten beide Regionen bis 1918 zu Ungarn.
Doch Deutsche, die kaum ein Wort verstanden?
Wie würde der Exotismus der Magyaren ankommen? Andere Mentalitäten? Die Welt des ehemaligen Ostblocks nach dem Umbruch?
Am Wohl oder Wehe dieser Fragen entschied sich die "Banat-Weiterreise".
Doch - der Weg war das Ziel.
Nicht nur im Buddhismus, auch bei uns!
Jede der vier Hauptstädte war eine Welt für sich.
Wir konnten natürlich nicht alles sehen. Wer weit reisen will, muss Konzessionen machen.
Wir waren bereit dazu.
Manches stadthistorisch-architektonische Kleinod auf der Strecke, das ich immer schon hatte sehen wollen, wurde trotzdem mitgenommen.
Am zehnten Tag schließlich, nach einer weiteren Umweg- Fahrt quer durch Süd-Ungarn,
am Balaton-See vorbei bis an die serbische Grenze bei Mohacs erreichten wir die Großstadt Szeged, wo wir übernachteten.
Am Tag darauf kam schließlich der Grenzort Cenad in Sicht und somit auch das Banat auf rumänischer Seite,
meine Heimatregion um Temeschburg.
Regen am Balaton-See in Ungarn.
Was würde ich vorfinden in der "alten Heimat" nach mehr als 30 Jahren Abwesenheit?
Die Spannung stieg - Emotionen kamen auf, unbestimmte Gefühle und Erinnerungen ...
Die rumänische Grenze bei Cenad
Das "Willkommen" im Land der Rumänen:
Ein übel gelaunter Grenzbeamter von der alten Sorte und kaum 10 km weiter ein Dorfpolizist mit dem Ruf nach einer Straßenbenutzungs-Vignette.
Ich mimte den ahnungslosen Beifahrer, der kein Rumänisch verstand, im Kopf die schon lange zurechtgelegte Vorstellung:
Schnell rein ins Land, sich eine Meinung bilden, Gewissheit bekommen, was Sache ist ...
und schnell wieder raus aus der alten Mausefalle, die jederzeit wieder zuschnappen kann,
wenn man denn auf die falschen Leute trifft, auf Leute von gestern, die sich mit demokratischen Veränderungen noch schwer tun.
Sackelhausen wollte ich wieder sehen, das Dorf, wo ich meine Kindheit und Jugend verlebt hatte, Temeschburg, meine Geburtsstadt und dann - nichts wie weg!
So war das angedacht.
Es sollte anders kommen - wie fast immer im Leben.
Foto: Carl Gibson
Banater Heideland - Am Horizont "Sonden", "Bohrtürme".
Auch im Banat kennt man das "Schwarze Gold"
Banater Dorf
Die ersten Ortschaften tauchten auf - Großsanktnikolaus, eine kleine Stadt,
die Banater Dörfer wie Perlen an der Kette mit ihren typischen Häusern im Waggon-Stil, Giebeln, Mauern, Zäumen, Korridoren auf Pfeilern und Säulen, mit den von Reben überspannten Innenhöfen, den Gärten, den geweißten Akazienbäumen etc. etc.
Typisch Banat: Maulbeerbäume am Straßenrand. Mit den Blättern fütterten wir "Schüler" seinerzeit die Seidenraupen.
Auf den Feldern - die weite Sicht bis zum Horizont, alles eben!
Der humusreiche Boden: schwarz und fruchtbar.
Die LPGs und Staatsfarmen: zum Teil verkommen, herabgewirtschaftet, plattgemacht.
Banater Dorf (Sandra) unweit der ungarischen Grenze
Was neu war für mich: die "veränderte Perspektive".
Die Region nahe an der Grenze hatte ich früher nie sehen können. Sie war für mich und andere Ausreisewillige gesperrt, da Fluchtgefahr bestand.
Erst ab Billed erinnerte ich mich wieder an die gute alte Zeit der Kindheit, als die Welt noch weitgehend heil und in Ordnung war.
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