Der Fukushima- Effekt in Deutschland und Japan – „mehr Demokratie wagen“ ?
Das deutsche Paradigma zwischen Vertuschung und Aufklärung
Der erdrutschartige Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat den Beweis erbracht:
Deutschland ist wach gerüttelt und bereit, die politischen Konsequenzen aus dem Reaktor-Unglück in Fukushima zu ziehen.
Die Anti-Atombewegung hat neuen Auftrieb erhalten –
250 000 Menschen gingen bundesweit auf die Straßen, um gegen die Atomkraftnutzung in gegenwärtiger Form zu protestieren –
und dies,
nachdem schon die Politik, namentlich Kanzlerin Angela Merkel durch das in Kraft gesetzte Moratorium die Unzulänglichkeit der Atomkraftwerk-Technologie eingestanden hatte.
Die deutsche Bevölkerung ist alarmiert –
und auch das zeigt die letzte Wahl, die Wähler und Träger der ökologischen Anti-Atomkraftbewegung – gebündelt in der Grünen Partei – stammen aus allen Teilen der Bevölkerung.
Ist diese Entwicklung eine Ermutigung auch für die Bürgerbewegung in Japan?
Ein Häuflein aufrechter junger Japaner formte sich schon zum Protest
und marschierte noch etwas hilflos, aber entschlossen durch die Straßen von Tokio,
noch im leisen Aufschrei.
Die zynische "Volksverdummung" funktioniert nicht mehr im „hermetischen Japan“, starrer konservativer Traditionen.
Bisher hatte die „Vertuschung“ den Gang der Zeit und den Lauf der Dinge bestimmt –
im Politischen über eine sogenannte „liberal-demokratische“ an sich aber stockkonservative Partei, die sich – ungeachtet vieler Skandale – über Jahrzehnte an der Macht halten konnte.
Der wirtschaftliche Erfolg im Nachkriegs-Japan gab dem Modell recht und verhinderte eine aufkommende Opposition.
Jetzt aber, nach dem Fukushima- Unglück, wo die existenziellen Interessen der Nation bedroht sind, ist Aufklärung angesagt,
ungeschminkte Offenlegung aller Wahrheiten.
Die ökologischen Bürgerbewegungen in Deutschland können ein Vorbild sein,
gerade wenn es um die Durchsetzung von bürgerlichen Rechten und Freiheiten geht,
um das Recht auf Aufklärung,
um das Recht auf Wahrheit.
Mit wie viel Bewunderung blickten Westeuropäer in den Tagen des Tsunami-Unglücks nach Nippon, fast konsterniert, mit welch fatalistischer Fügung und stoischer Gelassenheit die über ein ganzes Volk hereinbrechende Naturkatastrophe ertragen wurde.
Disziplin war überall sichtbar – und dahinter das Vertrauen eines Volkes in die „lenkende Hand des Staates“, der die Heimsuchung noch nur mäßig unter Kontrolle hatte.
Die Autoritätsgläubigkeit der Japaner ist aus europäischer Sicht frappierend.
Trotzdem muss man sich – gerade als Deutscher - kritisch fragen, ob diese Fügsamkeit und ein blindes Vertrauen in Staat und Wirtschaft (AKW-Betreiber) nicht Duckmäusertum und politische Apathie nach sich ziehen.
Ist es nicht die Atom-Wirtschaft, die in diesen schweren Stunden der nationalen Katastrophe die Tugenden und Traditionen der Japaner überstrapaziert, ja missbraucht?
Die Aufklärungspolitik der Atomkraftwerksbetreiber in Fukushima ist höchst unbefriedigend, werden doch – neben der Internationalen Atomenergie-Behörde die gesamte Weltöffentlichkeit und vor allem die unmittelbar Betroffenen in Japan hinters Licht geführt.
Ein Skandal?
Die Vertuschungspraxis in Japan erinnert an die Praktiken der KPdSU nach dem Reaktor-Unglück von Tschernobyl – noch vor der „Glasnost und Perestroika-“ Politik Michael Gorbatschows.
Das Groteske dabei – in Sachen Pseudo-Aufklärung führen die AKW-Betreiber sich vielfach selbst ad absurdum.
Wurden nun 100 000-fach überhöhte Strahlungswerte gemessen oder
doch 10 000 000-fache?
Wie kam es, dass eine Hoch-Technologie Nation wie Japan, die Pläne eines US-Atomkraftwerks an der japanischen Küste umsetzte, ohne die Sonderbedingungen des Landes wie Erdbebengefahr und Tsunami-Bedrohung zu berücksichtigen?
Der Fukushima- Effekt hat fast über Nacht Deutschland politisch verändert.
Dieser Fukushima- Effekt wird auch Japan verändern und sogar die Welt, obwohl die Supermacht USA und andere große Staaten wie Indien, Russland und die Volksrepublik China weiterhin auf Atomenergie setzen,
aus Mangel an Alternativen,
aber auch deshalb, weil ein „kritisches Bewusstsein“ im Umgang mit Atomenergie noch nicht da ist.
Da es in chinesischer Sprache lange keinen Umwelt-Begriff gab, fehlte die Sensibilität für das Gesamtphänomen – also ging man rücksichtslos mit der Umwelt um – bis zum Umdenken in neuester Zeit, das mehr von Luftverschmutzung als von Einsicht bestimmt ist.
Auch die Nachbarn der Deutschen, die Franzosen, leisten sich 57 Atomkraftwerke, selbstbewusst aber auch unreflektiert,
eben weil es noch kein ökologisches und kernkraftkritisches Bewusstsein gibt.
Risiken werden verniedlicht,
Vorfälle in AKWs kaschiert,
Diskussionen abgewürgt –
und das in einem Staat, der in Nordafrika Freiheit, Demokratie und Menschenrechte für alle mit Bomben durchsetzen will.
Abschottung und nationale Einzelgänge aber sind heute in einer globalisierten, vernetzten Welt nicht mehr möglich.
Der „Hermetismus“ funktioniert nicht mehr – er ist anachronistisch und muss, bei aller Traditions- und Eigenheitenwahrung stolzer Nationen überwunden werden.
Die „Identität“ eines Volkes muss dabei nicht aufgegeben werden.
Interkultureller Dialog ist verstärkt angesagt, gerade wenn es gilt, Probleme, die die gesamte Schöpfung bedrohen, gemeinsam zu leisten.
Wir haben nur eine Welt – gehen wir verantwortungsvoll mit ihr um.
Hiroshima, Nagasaki, Tschernobyl und Fukushima warnen, mahnen!
Japanische Stele am Schlosspark in Bad Mergentheim.
In Städten mit partnerschaftlichen Beziehungen blickt man noch aufmerksamer und besorgter nach Japan - die Betroffenheit der Menschen vor Ort nach der Naturkatastrophe mit Erbeben, Tsunami und dem Reaktor-Unglück im AKW Fukushima ist aufrichtig und ausgeprägt.
Blick in den "Japanischen Garten" am Kurpark von Bad Mergentheim.
Trotz der weiten Distanz - Kulturdenkmäler sind Brücken, die Menschen verbinden.
©Carl Gibson. Alle Rechte vorbehalten
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