Aus der Reihe:
Deutschland ist schön - Reisebilder von Carl Gibson:
Bad Wimpfen am Neckar,
- mit Nikolaus Lenaus Albigenser-Gedicht "Das Vogelnest"
von Carl Gibson
Eingang zur Kirche St. Peter, romanische Fassade
Die Türme
St. Peter, Seitenansicht
St. Peter, Detail
Sandsteinfiguren
St. Peter, Detail
Die Auslotung
eines literarischen Motivs führte mich zum ersten Mal in die Stauferstadt über
den Neckar:
Ein in Stein
gehauenes „Vogelnest“
im Kreuzgang des Klosters im Tal vor Bad Wimpfen.
Der Dichter
Nikolaus Lenau, an dessen Monographie ich in den achtziger Jahren arbeitete, hatte
das in Stein gehauene „Vogelnest“ in seinen „freien Albigenser-Dichtungen“
poetisch verewigt,
ein Werk
eines unbekannten Bildhauers, das schon Kunst war und als Kunst die Jahrhunderte
überdauert hatte –
Lenaus Thema
im Gedicht:
Die Zerstörung des
Erdenglücks aus einem hybrishaften Ressentiment heraus und die nachträgliche,
reuevolle Kompensation der schlimmen Tat über die Erschaffung eines Kunstwerks.
Der Romantiker
Lenau war um 1840 von Weinsberg aus - und wohl begleitet von Gastgeber Justinus Kerner - in das Kloster vor den
Toren Wimpfens gereist, um Einkehr zu halten, um sich in den Geist der alten Zeit
zu vertiefen, der anders gefühlt und anders gebaut hatte.
1985
stand ich an derselben Stelle als Teil einer Gruppe, die durch den Kreuzgang
geführt wurde – und tatsächlich:
Das Vogelnest war noch da.
Der Klosterführer
vergaß dann auch nicht, auf Lenaus poetische Schilderung hinzuweisen.
Ohne auf die Hintergründe der Albigenser- bzw. Katharer-Ausrottung
einzugehen, zitierte er einige Verse daraus, um dann unkritisch weiter zu
machen.
„Das Gedicht geht noch weiter“,
entfuhr
es mir halblaut, doch verzichtete ich darauf, die Materie weiter öffentlich
vertiefen zu wollen.
Der vernichtende Kreuzzug des Papstes gegen die
die sogenannten Ketzer in der Provence ( im 13. Jahrhundert) war schon
lange her.
Nur die Kunst hielt die Erinnerung
daran wach, über die Kunst,
die Erinnerung an Genozid und Massenmord
an Unschuldigen,
an ein besonderes Verbrechen der
Kirche im Namen von Jesus Christus.
Zur
gleichen Zeit, als die auch heute noch stolze und imposante Stauferpfalz
Wimpfen aus dem Boden gestampft wurde, wurden Festungen, Burgen, Städte, Dörfer
in der blühenden Provence niedergemacht und vom Erdboden vertilgt – im Zeichen
des Kreuzes und gegen die Freiheit des Christenmenschen.
Unzählige
freie Christen fanden damals den Tod.
Insofern
verweist das blühende Wimpfen auf eine der größten Tragödien des Christentums in
der fernen Provence.
Blick auf das ehemalige Stift
Nikolaus Lenau
Das Vogelnest
An eine Kirche kam ich einst zu wallen,
Mit Klosterzellen, längstverlaßnen Hallen;Ich trat hinein und fühlte schier Bedauern
Und wie geheime Scheu vor den Erbauern,
Daß mir in ihrem Haus der Glaube fehlte,
Der sie so fromm zum schönen Werk beseelte.
Wo waren sie? – ich trat auf ihre Grüfte;
Gemähtes Gras auf allen Hügeln lag,
Zum Abend neigte sich der Sommertag,
Die Luft war lieblich von dem Heugedüfte.
Ein zitternd Spiel ergriff das Laub der Linde,
Ganz ruhig lag das Heu im Abendwinde,
Da war kein leichtes Schwanken mehr und Beben,
Still drunter das gemähte Menschenleben.
Der Kirchhof ist vom Kreuzgang eingeschlossen,
Wo Efeuranken an den Fenstern sprossen;
Die schlanken Pfeiler sind so fest gestellt,
Die Bögen leicht und kühn emporgeschnellt,
Hoch, luftig ragt der fromme Bau noch spät,
Die Mönche einst in keuscher Himmelskühle
Bewahrend vor der dumpfen Erdenschwüle;
Der Geist, der so gebaut, ist längst verweht.
An spitzgebognen Fenstern ist zu schauen
Laubwerk und manche Blum in Stein gehauen;
Vor allen Bildern zierlich, wahr und lebend
Ein steinern Vogelnest am Aste schwebend.
Der Jungen Schnäblein heischend aufgerissen,
Die Mutter sie zu atzen hold beflissen,
Sie wärmend mit den aufgespreizten Schwingen;
Die Kleinen werden fliegen bald und singen.
Ich stand gefesselt von des Meisters Macht
Und sann gerührt, was er sich wohl gedacht.
Hat er im Bild die Kirche still verehrt.
Wie sie getreu die Kinder schützt und nährt?
Wollt er vielleicht die Mönche traulich necken
Mit einem Bild der Liebe, Sehnsucht wecken? –
Da kam ein Hauch vom Bildner mir gesendet:
Sein klagendes Gewissen hats vollendet.
Es hat ein Mönch gelebt in jenen Tagen,
Wo glauben hieß, den Zweifelnden erschlagen;
Er aber war noch einer von den alten,
Von jenen frommen, rührenden Gestalten.
Rein, wie die Luft nach letztem Wetterstreiche,
Keusch, wie das Auge ruht auf einer Leiche,
Und alle segnend, allen mild und gut,
Wie Frühlingswärme auf den Saaten ruht,
So war sein Herz, so lebten seine Sitten,
Er kränkte niemand und verletzte keinen,
Und flossen Tränen ihm, so sinds die seinen,
Die nächtlich von der bleichen Wange glitten.
Frohlockten die Kreuzpilger mit der Kunde,
Wie überall die Ketzer gehn zu Grunde,
Wie jetzt die Welt so voll von Haß und Schmerz.
Ein Ungeist kam, daß er die Welt verderbe,
Die Menschheit tränkend mit dem Kelch der Leiden,
Den er gefüllt so kraftgedrang und herbe,
So rasend in den tiefsten Eingeweiden,
So reich an Qual, eh eine Stund entrückt,
Als hätt er ein Jahrhundert ausgedrückt
Und alle Bitterkeiten ohne Rest
Auf seiner blutgen Kelter ausgepreßt.
Die Kreuzgeschmückten brachen und zerstörten
So manche Burg; der Freiheit kühne Fechter
Zu Tausenden verbrannten, und sie hörten
Im Tode noch der Feinde Lustgelächter.
Den Mönch erfaßt ein schauderndes Erstaunen
Bei solchen Taten, mörderischen Launen.
Ein banges Grübeln quält ihn zu ergründen:
"Ist, was ich seh, des Frevels ganze Völle?
O Mensch, wo steht die Grenze deiner Sünden?
Kommt, wer sie sucht, bis in das Herz der Hölle?"
Und vor sich selbst muß dieser Fromme zittern;
Der Name Mensch, aus welchem kein Erlösen,
Scheint ihm ein tiefer Abgrund alles Bösen,
Er lauscht in seine Brust, ob nicht verstohlen
Hier gleiche Ungeheuer Atem holen?
Und vorwurfsvoll erschreckt ihn die Geschichte,
Wie er ein Knabe einst den Wald durchzogen
Und sah ein Vöglein heim ins Nest geflogen.
Das grüne Laub hielt sie in dunkler Hut;
Doch strich der Wind, den grünen Schleier hebend,
Der Knabe sah das Nest am Wipfel schwebend.
Zerstört hinfiel die Brut, und ihn ergriff,
Daß er es heut noch hört, der Klagepfiff,
Womit im Wald die Mutter sich verlor.
Der dort ein Nest, hier Burgen wirft mit Steinen?
Der düstre Groll, der gern den Bau vernichtet,
Wo sich ein Glück auf Erden eingerichtet?
So klagt der Mönch und kann sichs nicht vergeben,
Daß er den Vöglein brach ihr junges Leben.
Und das Zerstörte wieder aufzubauen,
Hat er das Nest im Felsen ausgehauen.
Oft sah man ihn zu seinem Bilde kehren,
Um seine stille Wehmut dran zu nähren.
Fachwerkhaus
Vom Krieg verschont?
Alte Bausubstanz im neuen Glanz
Bad Wimpfen
Zierbrunnen (Löwenbrunnen) in Bad Wimpfen
Röhrenbrunnen in Bad Wimpfen
Fachwerkfassaden
Evangelische Kirche
Golgata-Gruppe - Christus am Kreuz
Die Passion geht weiter
Der blaue Turm - er überragt alles
Die Auots verweisen auf die Dimension des Bauwerks
Turm, Detail - in freier Luft zur schönen Aussicht
Altes Gebäude
Noch ein Turm
Schwibbogen
Der Neckar unterhalb von Bad Wimpfen
Es gibt den "Geist der Zeit", den "Zeitgeist", aber auch den Ungeist einer Zeit.
Der Ungeist ihrer Zeit führte die Kreuzritter seinerzeit ins Heilige Land
und der gleiche Ungeist veranlasste den Papst,
Kreuzritter gegen die Katharer in die Provence zu schicken,
um dort zu morden und blühendes Leben auszulöschen.
Einer freien Christenkirche, einem frühen Protestantismus gegen blinde Orthodoxie und Dogmatik,
wurde so der Garaus gemacht.
Lenau hat es auf den Punkt gebracht:
Es geschah
"in jenen Tagen,
Wo glauben hieß, den Zweifelnden erschlagen".
Das Ressentiment,
die Unreflektiertheit,
der Fanantismus,
der Sache Gottes blind dienen zu wollen,
ließ den Papst,
den Unfehlbaren,
fehlbar werden.
Der Spätromatiker Nikolaus Lenau, der auch dem Reformator Savonarola
ein poetisches Denkmal setzte, lebte in einer auflärenden und
revolutionären Zeit, wo Despotismus und Absolutismus fast schon
überwunden waren.
Im 20. Jahrhunder jedoch kehrte der Fanatismus zurück -
als
Totalitarismus,
als Kommunismus,
Stalinismus,
Faschismus,
Nationalsozialismus,
Maoismus,
materialistisch-marxistisch-leninistisch ideologisiert und definiert,
ohne Gott,
aber auch im Namen Gottes,
fundamentalistisch,
als religiöser Fanatismus.
Die Resultate des totalitär-religiösen Größenwahns:
Genozid,
Massenmord,
Terror.
Menscheit, politische und religöse Führer sind nicht klüger geworden!
Und die Kunst?
Sie mahnt wie die Geschichte.
"Sein klagendes Gewissen hats vollendet."
Fotos: Carl Gibson
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Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim. Seit dem 18. Juli auf dem Buchmarkt.
399 Seiten.
Publikationen des
Instituts zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa,
Bad Mergentheim
Zur Geschichte des Kommunismus,
zu Totalitarismus
und zum Thema Menschenrechte
Aktuell in der Presse
Copyright © Carl Gibson 2019
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