Nikolaus Lenau Welke Rose,
Rosen, Literatur und Politik,
Nikolaus Lenau An die Entfernte
Kapitel-Auszug (MS) aus:
Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit:
In Genf – oder:
Kann die UNO einen Diktator zur Rechenschaft ziehen?
"Daß alles Schöne muß vergehen
Und auch das Herrlichste verwehen,
Die Klage stets auf Erden klingt;
Doch Totes noch lebendig wähnen,
Verwirrt das Weltgeschick und bringt
Das tiefste Leid, die herbsten Tränen."
Nikolaus Lenau
Nikolaus Lenau
Welke Rose
In einem Buche blätternd, fand
ich eine Rose welk, zerdrückt,
und weiß auch nicht mehr, wessen Hand
sie einst für mich gepflückt.
ich eine Rose welk, zerdrückt,
und weiß auch nicht mehr, wessen Hand
sie einst für mich gepflückt.
Ach, mehr und mehr im Abendhauch
verweht Erinnerung; bald zerstiebt
mein Erdenlos, dann weiß ich auch
nicht mehr, wer mich geliebt.
verweht Erinnerung; bald zerstiebt
mein Erdenlos, dann weiß ich auch
nicht mehr, wer mich geliebt.
Zum Thema Rosen und Politik:
Kapitel-Auszug (MS) aus:
Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit:
In Genf – oder:
Kann die UNO einen Diktator zur Rechenschaft ziehen?
Frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht. Präambel der Schweizer Verfassung
An
den Bahnhof der Stadt kann ich mich heute nur noch vage erinnern. Als
Wanderer zwischen den Welten, als interkultureller Emissair, habe ich in
all den Jahren so viele Bahnhöfe erlebt, gewaltige und kleine,
historische und profane, architektonisch herausgeputzte und verkommene,
freundlich heitere und trostlos trübsinnige, dass mein Gedächtnis sie
nicht mehr genau auseinander halten kann. Ein Bahnhof hat oft mehr von
Abschied als von Willkommen und ist nicht selten verknüpft mit
unfreiwilligen Transporten und Reisen ins Ungewisse, mit Trauer und
Melancholie. Aber ein Bahnhof ist auch eine Stätte der Beweglichkeit,
ein guter Ort, um dem bunten Treiben zu folgen, um nachzudenken.
Menschen strömen auf und ab, und Züge fahren hin und her. Auch auf
Bahnhöfen ist alles im Fluss, selbst die Gedanken.
Bevor
ich auf den brieflich vereinbarten Treffpunkt zusteuerte, wo mein
Gastgeber bestimmt schon meiner harrte, ging ich wie gewöhnlich in den
ersten Blumenladen in der Vorhalle, um einen Strauß zu besorgen. Bisher
hatte ich es immer so gehalten, wenn ich besuche abstattete und wusste,
dass eine Dame das Haus führt. Blumen öffnen das Herz und machen
Menschen empfänglich.
„Was darf es sein, mein Herr?“ sprach mich ein junges Fräulein an.
„Rosen“
erwiderte ich wie einer, der weiß, was er will. „Fünf weiße Rosen,
bitte!“ Die Frau sah mich etwas erstaunt an, denn weiße Rosen wurden
wohl nicht oft verlangt, und brachte mir dann fünf kräftige Rosen, die
aber nicht richtig weiß waren, sondern eierschalenweiß mit einer
leichten Tendenz ins Grünliche. Als ich sie entgegen nahm, verspürte ich
sogleich einen leichten Hauch von dem schwachen, süßlichmilden Duft,
den sie verströmten. Ja, diese Rosen dufteten noch. Sie sahen makellos
aus und so frisch, als wären sie kaum erst geschnitten worden – und sie
dufteten. Noch einmal sog ich mit einem tiefen Zug das zarte Parfüm ein,
bezahlte großzügig, bedankte mich und ging dann zum Treffpunkt am
Hauptausgang.
Diesmal
wurde ich warm empfangen. Der Herr im besten Alter, der mich dort schon
nervös entgegenfieberte, war von hagerer Statur, hatte dunkle Haare und
einen markant ernsten, doch freundlichen Blick. Halb verunsichert kam
er auf mich zu, begrüßte mich dann aber mit einer Herzlichkeit, die nur
Menschen zusteht, die man seit langem gut kennt. Die gemeinsame Sache
einte uns. Er schien vor Tatendrang zu sprühen und wirkte auf mich wie
ein hektischer Enthusiast, der die ganze Welt mit einem Ruck aus den
Angeln heben will. Man sah es ihm gleich an, dass er ein geradliniger
und pflichtbewusster Charakter war, ein Mensch für den, im Gegensatz zu
den meisten anderen Zeitgenossen, der höhere Zweck mehr zählte als die
Bestreitung des trivialen Alltags. Er hieß Ganea. Sein Vorname war Ion.
Viele Rumänen führen diesen Vornamen. Wie hätte er denn sonst heißen
sollen? Ion entspricht dem deutschen Namen Johann oder kurz Hans, der
als Taufnamen bei den Deutschstämmigen im Banat genauso häufig herhalten
musste wie Ion bei den Rumänen. Stammte ich nicht selbst aus einer
Sippe, die mütterlicherseits seit fünf Generationen diesen Vornamen
kultivierte, so als ob keine weiteren Namen auffindbar gewesen wären.
Mein Urgroßvater, ein k.u. k. Soldat, der bereits 1922 an den Folgen des
Kriegseinsatzes starb, hieß Johann oder populär Hans. Sein Sohn, mein
Großvater hieß Hans. Und dessen jüngerer Bruder, streng nach dem Namen
des Paten getauft, wurde auch Hans gerufen; ebenso wie sein Sohn Hans
hieß. Gott sei Dank, bekam mein Bruder den viel verbreiteten Vornamen
Jahre vor mir ab – wie das halbe Dorf - und bewahrte mich davor. Das war
die Gnade der späten Geburt, die auch noch andere Vorteile mit sich
bringen sollte. Mehr zufällig als gezielt erhielt ich einen königlichen
Namen, der mir imponierte, weil er nobel klang und weil er dort selten
und damit unverwechselbar war. Später hörte ich selbst noch die Namen
Hans Hans und Ion Ion als ultimative Steigerung und Gipfel der
nominellen Phantasielosigkeit. Dahinter stand die Macht der Tradition,
die so einfach nicht zu durchbrechen war. Durfte ich mich da wundern?
Als
1990, wenige Monate nach der Revolution, in Rumänien erstmals wieder
freiere Wahlen abgehalten werden konnten, forderte Ion Ratiu, ein
Exilpolitiker, der von London ausgewirkt hatte, den Postkommunisten Ion
Iliescu heraus. Und Stelian Diaconescu, ein Dichter von europäischem
Format, entschied sich für das Pseudonym Ion Caraion, was genau in
meinen Ohren genau so witzig klang wie Ilie Pintilie, ein heute etwas
vergessener Revolutionär aus dem Geschichtsbuch. Ion ist ein archaischer
Allerweltsname, dessen Ursprünge auf den Evangelisten zurückgehen und
in das orthodoxe Griechentum hineinreichen. Wohl deshalb führt die halbe
Nation der Rumänen diesen Namen. Die anderen tragen mit Vorliebe die
Namen berühmter Urahnen, die teils von bedeutenden Cäsaren abgeleitet
sind wie: Traian, Adrian, Claudiu, Tiberiu, Marcu, Marius, Cesar oder
aus denen römische Geistergrößen hervorleuchten wie Virgil, Liviu,
Ovidiu, Cicerone und andere mehr, um so, nach Ion Luca Caragiale, als waschechte Rumänen
zu gelten und auf die antike Herkunft der an sich noch jungen Nation zu
verweisen. Dahinter verbirgt sich eine Art historischer Komplex der
Spätgeborenen, der die Zeiten überspringen und die spät geformte
nationale Identität durch eine edle, über zwei Jahrtausende
zurückreichende Herkunft kompensieren will. Nach Decebalus, ihrem geto-dakischen Ahnherrn, oder nach Burebistas, der
das Dakerreich vom Pontus bis nach Makedonien ausdehnte, wurde
merkwürdigerweise kaum jemand benannt; auch nicht nach Caligula und Nero
oder nach dem noch edlen Diktator Sulla Felix, der in Mozarts Oper Sila heißt.
Gerade nationalistisch orientierte Rumänen akzentuieren in der
Nachfolge ihres historiographischen Übervaters Nicolae Iorga immer
wieder ihre romanische Herkunft und ignorieren dabei gern die Tatsache,
dass ihre gegenwärtige Hochsprache erst im 19. Jahrhundert auf der
Grundlage des Französischen und des Italienischen durch das Einfügen
zahlreicher Wörter erweitert und reformiert wurde, ohne dabei etwa ein
Drittel des alten Wortschatzes slawischen Ursprungs verleugnen und
ausmerzen zu können.
Wie
ich bald feststellen sollte, spielten bei Ion Ganea nationalistische
Überlegungen keine übergeordnete Rolle. Er war ein politisch denkender,
engagierter Emigrant, der sich als Liberaler verstand. Als solcher hatte
er seinerzeit in Bukarest gewirkt, bevor die einzige Partei des Landes,
die Kommunisten, nach einem erfolgreich durchgeführten Staatsstreich
unter der Regie Moskaus das politische Monopol für sich reklamierten, um
die Alleingestaltung der Volksrepublik und später der Sozialistischen
Republik zu übernehmen. Jetzt kam es ihm darauf an, Mittel und Wege zu
finden, um von Genf aus die Respektierung der Menschenrechte in seinem
Heimatland durchzusetzen. Die 1975 in der finnischen Hauptsstadt
Helsinki abgehaltene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa, kurz KSZE, an welcher seinerzeit auch die Ostblockstaaten
teilnahmen und sogar gewisse Verpflichtungen eingegangen waren, hatte
diese Weichenstellung theoretisch ermöglicht. Die praktische Umsetzung
gewisser Liberalisierungsbestrebungen jenseits des Eisernen Vorhangs
jedoch war nach wie vor reine Illusion. Trotzdem war Ion nicht davon
abzuhalten, für eine gute, ihm und anderen wichtig erscheinende Sache
aktiv zu werden. Er war zweifellos ein Idealist alter Schule – und die
Rechtfertigung seiner Existenz bestand im konkreten Einstehen und
Handeln für einen höheren Wert. Das Eintreten für ein Ideal, für eine
ethische Zielsetzung, für Menschenrechte, für die Ideale der
Französischen Revolution, die besonders im Ostblock von den politischen
Akteuren zynisch verachtet wurden, verband uns intuitiv. Obwohl es nie
ausführlichere Wertediskussionen gegeben hatte, verstanden wir uns auf
Anhieb. Damals war ich zwar noch recht jung an Jahren, brachte aber eine
natürliche Autorität ein, die auf dem Faktischen beruhte und auf meine
mehrjährige, sehr intensive Oppositionstätigkeit zurückging, die für
sich sprach. Das individuelle Handeln unter Repressionsbedingungen und
der Gestus des weiteren antitotalitären Wirkens auch im Westen zählten
mehr als die Person dahinter. Mein oppositionelles Agieren im Land wurde
allgemein anerkannt; nicht zuletzt von Ion, mit dem ich seit Monaten
über die anstehende Aktion, deren geistiger Urheber er war,
korrespondierte und häufig telefonierte. Ion bestach mehr durch eine
fast naive Geradlinigkeit, die ihm generell Glaubwürdigkeit verlieh, als
durch intellektuelle Prägnanz. Wir kannten uns also schon etwas. Sein
Geld verdiente der Liberale, wie manch anderer geschickte
Kunsthandwerker in der Schweiz, als Uhrmacher in einer traditionellen
Werkstatt. Unmittelbar nach meiner Ankunft bestiegen wir seinen Wagen
und fuhren in ein nahe gelegenes Wohnviertel, wo er mit seiner Gattin
ein kleines Appartement bewohnte. Kinder hatten sie keine.
Während
wir die viel befahrenen Hauptalleen der City entlang fuhren, hatte ich
genügend Zeit, die ersten Eindrücke dieser an sich recht kleinen, von
ihrem Format her aber wahren Weltstadt aufzunehmen und diese auf mich
wirken zu lassen. Nach einem doch etwa stürmisch rasanten Aufstieg aus
dem unscheinbaren Provinznest Sackelhausen hatte ich zunächst die nahe
Universitätsstadt Temeschburg ausgelotet; dann erlebte ich die erste
kleine Metropole Europas, die Hauptstadt des Staates, Bukarest; das
gigantische London hatte ich bereits gesehen, die Boulevards von Paris,
selbst die Prachtstraßen Amsterdams und einige deutsche Großstädte,
darunter München und Westberlin – doch Genf war anders, ganz anders. Es
erinnerte mich zwar leicht an Paris und Bukarest wie eine zweite Tochter
derselben Mutter - doch Genf hatte etwas eigenes, etwas calvinistisch
Kühles, das ich nicht greifen konnte und das sich mir entzog. Die
Eisigkeit sagte mir, dass ich hier nicht heimisch werden konnte.
Die
Dämmerung wich bereits dem Dunkel der Nacht, die sich langsam über der
Stadt ausbreitete. Mir bot sich ein gewaltiges Panorama. Glaspaläste,
repräsentative Bauten, Brunnen, Fontänen, von Parks umgebene Villen der
Superreichen. Alles war in strahlendes Licht getaucht und verlieh dem
Ganzen etwas märchenhaft Romantisches. Die scheinbare Irrealität der
Illumination beeindruckte mich wie die poetisch entrückte Welt eines
Algabal. Plötzlich riss Ion mich etwas unsanft aus den Träumereien,
indem er mir signalisierte, in der unmittelbaren Umgebung von Versoix,
wohne der abgedankte König Michael von Rumänien und führe hier am See
eine fast bürgerliche Existenz. Seit der erzwungenen Abdankung nach dem
Zweiten Weltkrieg lebe König Michael aus dem Hause Hohenzollern im
Schweizer Exil. Auch er sei an unseren Aktivitäten interessiert; und
höchstwahrscheinlich werde er uns alsbald zu einem Gespräch empfangen.
Die Hoffnung auf eine Revision der politischen Verhältnisse in Osteuropa
und die Institution einer konstitutionellen parlamentarischen Monarchie
in seiner Heimat habe er noch nicht ganz aufgegeben. Interessiert
folgte ich Ion Ausführungen, war aber doch recht skeptisch, was die
hehren Ziele anging, denn Entwicklungen dieser Art erschienen mir im
Jahr 1981 doch sehr unrealistisch.
Deutschland,
mein altes Vaterland und neue Heimat, wurde damals von der
sozial-liberalen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt und Vize Hans
Dietrich Genscher regiert. Beide setzten in ihrer Außenpolitik,
besonders aber im Verhältnis zu Osteuropa und der Sowjetunion, auf
Entspannung, auf Verständigung und auf Wandel durch Handel. Die von
Bundeskanzler Willy Brandt begründeten Ost-West-Beziehungen waren nach
wie vor ein zartes Pflänzchen, das es zu pflegen galt und das nicht
durch übereilte Aktionen zertreten werden sollte. Deshalb fand ich
unmittelbar nach meiner Einreise in die Bundesrepublik bei den damals
politisch Verantwortlichen weder Echo noch Gehör für die Sache der
inzwischen unterdrückten Freien Gewerkschaft SLOMR, nicht einmal beim
Deutschen Gewerkschaftsbund. In Großbritannien bestimmte die Eiserne
Lady die Richtlinien von Downing Street Nr. 10 und im Weißen Haus war
der ehemalige Hollywoodschauspieler Ronald Reagan gerade dabei, den
Baptistenprediger Jimmy Carter als Präsident der Vereinigten Staaten
abzulösen. Amerika litt seinerzeit unter der so genannten Malaise
Carters und war außenpolitisch angeschlagen. Trotzdem war Amerika auf
dem Gebiet der Menschenrechte immer noch die paradigmatische Leitnation
der Freiheit,
zu der die Geknechteten aus allen Teilen der Welt aufblickten. Amerika
hatte damals noch eine moralische Stellung inne, die es, kaum zwei
Jahrzehnte danach durch das alles andere als weitsichtige Wirken eines
einzigen Präsidenten und durch die Verabschiedung vom Völkerrecht
vielleicht für immer einbüßen sollte. In der Sowjetunion ging die Ära
Breschnew ihrem Ende entgegen. Es folgten aus der Reihe der starren
Altherrenriege des Kreml Tschernenko, Andropow und schließlich
Gorbatschow. In Rumänien hingegen behauptete sich nunmehr seit 1965 eine
Person als Staatschef, Nicolae Ceausescu, ohne dass eine potentielle
Personalveränderung denkbar erschien. Der Status quo war unverrückbar
starr und erschien für alle Zeiten zementiert zu sein. Der konservativ
ausgerichtete Westen setzte weitgehend auf Konfrontation und Tot-Rüsten.
Der Osten, inklusiv China, das seine kommende Weltmachtrolle schon
vorbereitete, setzte auf Selbstbehauptung. In dieser Konstellation war
es nicht einfach zu opponieren und auf Veränderungen zu hoffen. Trotzdem
musste es sein, denn es gab keine alternative Perspektive. Vielleicht
konnte im Kleinen etwas bewegt werden, was irgendwann große Wirkungen
haben konnte. Wenn der ehemalige König Michael noch daran glaubte, das
Eis könne brechen, dann wollten wir nicht daran zweifeln, sondern
weiterhin aktiv vorgehen und durch unser Tun etwas bewirken.
Ion
bewohnte mit seiner liebenswerten Ehefrau, die ich gleich kennen lernen
durfte, eine gut bürgerliche Wohnung in einem auffällig sauberen,
ruhigen Stadtteil von Genf. Auch die Dame des Hauses empfing mich mit
natürlicher Freundlichkeit und Warmherzigkeit, die ich auch noch bei
anderen Rumänen angetroffen habe. Ich hingegen verhielt mich zunächst
etwas verkrampft, nicht zuletzt deshalb, weil ich unbewusst noch in
einem einst exzessiv gelebten Deutschtum gefangen war, das tiefer
verwurzelt war als der intellektuelle Humanismus. Leicht gehemmt
überreichte ich ihr die Blumen.
„Rosen?
Weiße Rosen?“ wunderte sie sich und grinste verschmitzt wie wenn ich
rote gebracht hätte. Auch weiße Rosen verwiesen auf Leidenschaft, aber
auch auf Reinheit, Trauer und Entsagung.
„Ja,
Rosen! Madame!“ antwortete ich mit einem Hauch von Ironie. „Rosen sind
ganz besondere Blumen, Madame! Ich habe ein spezielles Verhältnis zu
diesen Pflanzen! Sie müssen wissen, dass ich unter Rosen aufgewachsen
bin und dass sie mich durch mein ganzes Leben begeleitet haben. Viel
Ideelles ist in ihnen und viel vom Schönen dieser Welt!“
„Es sind die Blumen der Liebe!“
„Im
weitesten Sinne, Madame. Bei uns in Deutschland assoziiert man noch
ganz andere Dinge mit Rosen, mit weißen Rosen… Für manche Leute stehen
sie für Anstand, für den aufrechten Gang …und seltener selbst für ein
reines Gewissen!“
Wir
vertieften die Materie nicht. Die Gastgeberin griff routinehaft nach
einer Kristallvase, füllte sie mit Leitungswasser, schnitt die Stiele
kürzer und stellte sie in das frische Nass. Dann stellte sie die Vase
auf eine furnierte Kommode aus Eiche unweit der Tafel, an der wir bald
Platz nahmen. Als wir später beim Abendessen zusammen saßen und bei
einem Jurakäse und einem Chasselas aus der Region etwas von den
kulinarischen Köstlichkeiten genossen, die die Schweiz zu bieten hat,
fiel mein Blick auf die mitgebrachten Rosen, aus deren Hintergrund ein
lackiertes Holzkreuz hervor strahlte. Das Kreuz und die Rose
durchdrangen sich und verschmolzen zu einer symbolischen Einheit, die
mir noch in der Nacht zu denken gab und die Erinnerungen wach rief,
Erinnerungen, die tief in die Vergangenheit reichten. Mir wurde ein
komfortables Gästezimmer zugewiesen, wo ich in den nächsten Tagen auch
meine freien Stunden verbringen konnte. Auch mein leibliches Wohl kam
nicht zu kurz. Die Dame des Hauses, die selbst keine Kinder hatte,
bemühte sich fast mit mütterlicher Umsorgung darum, dass alles stimmte.
Sie war vor allem bestrebt, möglichst gepflegt zu kochen, damit wir auch
vornehm tafeln konnten. Etwas savoir vivre war stets dabei – als
Hinweis auf die kleinen Freuden des Lebens, die es lebenswert machen.
Bei späteren Besuchen, die bis zum Abschluss der Klagevorbereitungen
noch erforderlich werden sollten, erlebte ich immer wieder die gleiche,
natürlich unmittelbare Gastfreundschaft dieser Menschen. Während dieses
mehrtägigen Aufenthalts in Genf lernte ich eine Reihe weiterer Personen
kennen, die in der Schweiz oder überwiegend in Frankreich lebten und
sich in der Regel als Exilpolitiker betätigten. Sie alle hatten eigene
Vorstellungen, wie das politische Wirken im Westen zu gestalten und zu
koordinieren sei. Partiell verfolgten sie eigene Interessen - und manche
von ihnen sahen sich schon als künftige Mitglieder eines
Schattenkabinetts, das nach einem politischen Umsturz in Bukarest seine
Arbeit unverzüglich aufgenommen hätte. Für unsere Sache waren diese
zahlreichen Politakteure weniger wichtig, mit der Ausnahme einiger
weniger Persönlichkeiten, die tatsächlich Einfluss hatten und unserer
Mission in der Öffentlichkeit dienlich sein konnten. Unter ihnen war
eine etwas ältere Dame, die sich als Autorin und Journalistin betätigte
und zahlreiche gute Kontakte unterhielt.
„Ich
bin Nicolette Franck“, stellte sie sich mir vor. Sie sprach dann noch
über ihre Kindheit und Jugend im Großrumänien der Vorkriegszeit. Sie
stammte aus dem jüdischen Zentrum Tschernowitz, in der Bukowina, dessen
kulturgeschichtlicher Hintergrund erst mit der breit rezipierten Lyrik
Paul Celans, der aus der gleichen Gegend stammte, bekannt wurde. Sie
hatte ihre aktive Zeit als Journalistin in Jassy verbracht, in einer
Stadt an der nordöstlichen Grenze zur Sowjetunion, wo mein noch in
Rumänien weilender Mitstreiter Erwin seinen Militärdienst absolviert
hatte. Mehr als vierzigtausend Juden hatte das Jassy der Vorkriegszeit
eine Heimat geboten, bevor unter Antonescu Pogrome möglich wurden, die
vielen von ihnen das Leben kosteten. Nicolette Franck verkehrte
regelmäßig im Haus des ehemaligen Königs Michael. Den Umständen seiner
Abdankung hatte sie eine historische Abhandlung gewidmet. In dem
seinerzeit taufrisch in Paris erschienenen Buch La Roumanie dans l’ Engrenage;
dessen mögliche Edition ich in ihrem Auftrag auch Deutschland ausloten
sollte, beschrieb sie auf Informationen aus erster Hand gestützt, wie
Michael I., König von Rumänien, von inländischen Stalinisten mit
vorgehaltener Pistole gezwungen wurde, das Ausscheiden Rumäniens aus der
mehr als vier Jahre andauernden Allianz mit Hitler-Deutschland und der
Wehrmacht zu unterschreiben; also nach außen hin einen unfreiwilligen
königlichen Putsch zu vollziehen, in welchem auch der bald darauf
verurteilte und exekutierte Marschall Antonescu entmachtet wurde. In der
deutschen Historiographie, mehr noch im Bewusstsein der weniger genau
informierten Allgemeinheit, ist dieser Akt der Kapitulation eher als
Verrat interpretiert und empfunden worden – nicht zuletzt von den
Volksdeutschen aus dem Banat und Siebenbürgen, die die daraus
erwachsenden Konsequenzen bis zum Exodus hin auszubaden hatten. Aus dem
abrupten Abfall des Bündnispartners erwuchs möglicherweise ein gewisses
Ressentiment, aus welchem das spätere Desinteresse Deutschlands an dem
politischen Schicksal Rumäniens zu erklären wäre. Es ist mir aus
zeitlichen Gründen leider nicht gelungen, diese Diskussion, die mich
auch als Historiker faszinierte, weiter zu verfolgen. Gleichzeitig
wirkte Nicolette Franck als Genfer Korrespondentin der Brüsseler
Tageszeitung La Libre Belgique.
In dieser Eigenschaft sorgte sie dann auch dafür, dass unsere
ausführlich geplante und gut vorbereitete Aktion, die rumänische
Regierung auf internationaler Ebene zur Verantwortung zu ziehen und zu
verklagen, angemessen in der Brüsseler Zeitung veröffentlicht wurde. Da
ich der einzige Repräsentant der 1979 in Rumänien gegründeten Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger, kurz SLOMR, war, der im Westen lebte, kam mir die Aufgabe zu, als so genannter porte parole, als Sprecher dieser
inzwischen unterdrückten Vereinigung, aufzutreten und die Sache in der
westlichen Öffentlichkeit zu vertreten. Dazu war ich geistig wie
politisch in der Lage, da ich die Protestbewegung – zumindest in
Temeschburg – selbst konzipiert und organisiert hatte. Selbst hatte ich
mir die mit vielen persönlichen Risiken behaftete Aufgabe, als
anklagender Zeitzeuge aufzutreten, die von einem genuinen Rumänen
vielleicht besser hätte wahrgenommen werden können, nicht ausgesucht,
sondern ich nahm sie aus einer moralischen Verpflichtung heraus an, wie
ich gebraucht wurde – und weil es zu meiner person keine Alternative
gab. Flankiert werden sollte ich bei der Klageaktion von
Menschenrechtsorganisationen, speziell von der rumänischen Liga für
Menschrechte aus Paris, und von Exilgruppierungen demokratischer Rumänen
vorwiegend aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Auf der
Grundlage meiner authentischen Aussagen über den Ablauf der
Gewerkschaftsgründung in Banat sollte ein Dossier erarbeitet werden,
eine Akte, in welcher die wichtigsten Menschenrechtverletzungen in
Rumänien seit der Verabschiedung der gemeinsamen Charta der
KSZE-Konferenz von Helsinki festgehalten wurden, unter besonderer
Berücksichtung der Gründung einer freien Werktätigengewerkschaft SLOMR in Rumänien, Monate vor den turbulenten Ereignissen in Polen. Die Gründung von Solidarnosc
in Polen, die Ausweitung der Bewegung in
Millionen-Mitglieder-Dimensionen und die letztendliche Verhängung des
Kriegsrechts unter General Jaruzelski, die gerade in der Realität
abliefen, bildeten den geistigen wie politischen Hintergrund dazu.
Mehr zur Thematik auch unter:
http://books.google.de/books?id=ykTjXDg8uycC&pg=PA313&lpg=PA313&dq=carl+gibson+rhapsodie&source=bl&ots=uk12-BovDD&sig=fdvi9QpWohkt8VKvssgupZbLSUA&hl=de&ei=jBZqTrOVHonSsgaKntnmBA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CB0Q6AEwAA#v=onepage&q&f=false
Mehr zur Thematik auch unter:
http://books.google.de/books?id=ykTjXDg8uycC&pg=PA313&lpg=PA313&dq=carl+gibson+rhapsodie&source=bl&ots=uk12-BovDD&sig=fdvi9QpWohkt8VKvssgupZbLSUA&hl=de&ei=jBZqTrOVHonSsgaKntnmBA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CB0Q6AEwAA#v=onepage&q&f=false
Absterben und Wiedergeburt?
Vergehen und Werden?
Ist alles nur ein "heimlich still vergnügtes Tauschen", wie es Lenau in einem seiner Waldlieder unübertroffen poetisch prägnant ausdrückt?
Weiße Rose
im September
Rosen-Quintett
Nikolaus Lenau
An die Entfernte
Diese Rose pflück ich hier,
In der fremden Ferne;
Liebes Mädchen, dir, ach dir
Brächt ich sie so gerne!
Doch bis ich zu dir mag ziehn
Viele weite Meilen,
Ist die Rose längst dahin,
Denn die Rosen eilen.
Nie soll weiter sich ins Land
Lieb von Liebe wagen,
Als sich blühend in der Hand
Läßt die Rose tragen;
Oder als die Nachtigall
Halme bringt zum Neste,
Oder als ihr süßer Schall
Wandert mit dem Weste.
Helles Aufleuchten vor dem Zerfall
Im Duett
"Daß alles Schöne muß vergehen
Und auch das Herrlichste verwehen,
Die Klage stets auf Erden klingt;
Doch Totes noch lebendig wähnen,
Verwirrt das Weltgeschick und bringt
Das tiefste Leid, die herbsten Tränen."
Nikolaus Lenau
Mehr über
Nikolaus
Lenau
unter
Interpretationen zur Dichtung Lenaus in meinem
Werk:
Carl
Gibson, Lenau. Leben - Werk - Wirkung.
Heidelberg 1989, 321
Seiten.
Dieses
viel zitierte Standardwerk der Lenau-Forschung ist -
laut World Cat Identities
und neben einer Studie des Freud Schülers Isidor Sadger über das Liebesleben
Nikolaus Lenaus -
das
weltweit am meisten verbreitete Werk über den Spätromantiker und Klassiker der
Weltliteratur Nikolaus Lenau .
Der
leider viel zu früh verstorbene Germanist und Nietzsche-Forscher Prof. Dr.
Theo Meyer erkannte in diesem Werk
"einen
Markstein der Lenau-Forschung.
Es ist
überhaupt die prägnanteste Lenau-Monographie. es dürfte zum Besten gehören, was
über Lenau überhaupt geschrieben worden ist."
Das Werk, das mir, dem
Autor bisher noch kein Einkommen generiert hat, wurde in acht Teilauflagen
gedruckt. Die Leinen-Ausgabe ist seit vielen Jahren vergriffen. Ein Restbestand
der kartonierten Ausgabe liegt - ungeachtet anderer Meldungen im
Internetbuchhandel - noch vor und kann beim Winter Verlag, Heidelberg
bezogen werden.
Trotzdem ist eine grundlegend
überarbeitete Neu-Edition dieser Monographie angesagt,
da die Werke
und Briefe Lenaus inzwischen in einer historisch-kritischen Ausgabe
vorliegen.
Fotos: Carl Gibson
©Carl Gibson
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen