Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur
Leseprobe aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit, 2008
zum Thema kulturelle und politische Opposition im kommunistischen Rumänien.
Vor Lausanne:
Gedanken an Ion Caraion -
Stimme der Freiheit und nationales Gewissen?
Eine Apologie!
Zum Glück brauchst du Freiheit, zur Freiheit brauchst du Mut. Perikles
Hier
lebte seit einiger Zeit Ion Caraion, einer der großen Lyriker und
Essayisten Rumäniens, der gerade erst zum Verlassen seiner Heimat
gedrängt worden war. Nachdem wir uns vor einiger Zeit im
literarisch-politischen Umfeld kennengelernt hatten, tauschten wir jetzt
Briefe aus und Ideen.
Caraion
war gerade damit beschäftigt, einen Essay für die von mir
mitkonzipierte und kaum erst in die Welt gesetzte Kulturzeitschrift nomen zu
verfassen. Mir schwebte ein Beitrag vor, in welchem die großen, schon
etablierten Namen des rumänischen Exils im Mittelpunkt stehen sollten;
von der Koryphäe Mircea Eliade, dem auch die Hauptlast der
Kulturrepräsentanz der Rumänen im Westen aufgebürdet worden war, über
den eigenwilligen Cioran, der nicht mehr rumänisch schrieb und sich auch
von den Geschicken seines Herkunftslandes innerlich gelöst hatte, bis
hin zu dem schwer greifbaren, doch sympathischen und politisch für die
Sache des Ostens sehr engagierten Ionesco. Aus diesen Vorgaben schuf
Caraion den Essay Der Konflikt zwischen dem Bleibenden und dem Vergehenden und
somit den gemeinsamen Versuch, mit einem entsprechenden Auftakt den
Kulturbeitrag der Rumänen zur europäischen Geistesgeschichte der Neuzeit
in das Bewusstsein einer breiteren Allgemeinheit zu rücken - als
Paukenschlag.
Wie
andere Schriftsteller, Dichter und Kulturschaffende aus dem ehemaligen
Ostblock verstanden auch wir uns als Brückenbauer und Mediatoren
zwischen den Kulturen und konzentrierten uns dabei auf die Vermittlung
von Themen, die im Westen nicht ganz präsent waren. Mein frühes
Lenauporträt in nomen
tendierte in die gleiche Richtung. Caraion, ein Meister des
literarischen Essays, ging noch über meine Anregungen hinaus und plante
die Ausweitung seines Beitrags zu einem größerem Projekt als Serie mit
einem vertieften literaturhistorischen Einstieg, beginnend mit Tristan Tzara und anderen frühen Exilsschriftstellern bis hin zu Paul Celan,
den er mit entdeckt und als Freund gefördert hatte. Über den
Protagonisten des Absurden Eugène Ionesco, über den Mythenforscher
Mircea Eliade und den Radikalskeptiker Emil Cioran, der aufgrund
früherer reaktionärer Denkweisen bei vielen Intellektuellen in Ungnade
gefallen war, also über weitgehend etablierte Namen, die als
Persönlichkeiten der Geistesgeschichte, doch nicht als Rumänen bekannt
waren, wollte er später noch vertieft eingehen.
Dracula - Mythos und Geschichte
Am Präsidentenpalast in Bukarest
Dracula - Mythos und Geschichte
Am Präsidentenpalast in Bukarest
Brückenbauer und Apostel der Freiheit - Tzara, Celan …
Seinerzeit
hatte ich speziell diese wohlklingenden Namen gewählt, weil jeder von
ihnen das teilweise äußerst bittere Leben im Exil dem geistig
ohnmächtigen Leben unter totalitären Verhältnissen vorgezogen hatte.
Statt sich der geistigen Knechtschaft zu unterwerfen, hatten sie alle
den Weg der Freiheiteingeschlagen,
um im Westen ein Werk zu schaffen, das ideell unterschiedlich, doch in
seinem Wesen frei war. Ihre Werke wurden seit Jahrzehnten in
unterschiedlichen Sprachen im Westen verlegt, vor allem in Deutschland
und Frankreich- und jedermann konnte ihre Bücher im Buchhandel an der
Straßenecke erwerben oder in der Bücherei ausleihen. Sie waren
inzwischen Teil der freien Welt geworden. Wer war prädestinierter über
diese Autoren und ihre Werke zu schreiben als Ion Caraion, ihr
Zeitgenosse und Wegbegleiter, der selbst viele Jahre für das freie Wort
eingetreten war und dafür bitter gebüßt hatte. Ein Grund, an Caraions
Integrität zu zweifeln, hatte ich damals nicht.
Doch was verband mich mit den großen Namen? Was schätzte ich an ihrer Haltung, an ihrem Ethos, an der Botschaft ihres Werkes?
Tsara- das war der unbedingte Mut zum Experiment.
Celan-
das war die Kraft, an der deutschen Sprache fest zu halten, nach dem
Unfassbaren, an der Tradition der Dichter und Denker festzuhalten.
Cioran-
der Nietzsche-Enthusiast und notorische Neinsager, über Schopenhauer
hinaus, der gefährliche Denker und Provokateur - er widerstand den
Verlockungen der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Preisen und
Ehrungen, ohne sich vereinnahmen zu lassen. Dafür lebte er konsequent
über Jahrzehnte in bitterster Askese zwischen Einsamkeit und Melancholie
wie nur noch Diogenes der Hund, um seine Freiheit zu wahren und die Freiheitseines Denkens, und somit eine Haltung, die vielen gegen den Strich geht, eben weil sie kompromisslos und gnadenlos ist.
Etwas
von dieser Kompromisslosigkeit in geistigen Dingen hatte ich selbst
durchlebt und dabei auch den Schmerz des Verzichts kennengelernt. Ihn zu
ertragen, indem vielen Eitelkeiten widerstanden wurde, empfand ich als
bewusstes Leben. Und Eliade?
Ein
Bekannter aus Heidelberg, mit dem ich in kurzer Zeit einige hundert
Briefe austauschte, über Literatur und über Gott und die Welt,
übersetzte gerade eines seiner Bücher über einen Hasenmythos der
Indianer; was faszinierte mich an ihm? Er war fast am gleichen Tag
geboren wie ich; ein Fisch, der es mit allen konnte; er war ein
Bücherwurm, wie auch ich einer war, ohne damals je seinen Namen gehört
zu haben; er rezipierte Papini mit der gleichen Begeisterung, wie ich es
tat - und er praktizierte die Alchemie des Wortes - die seltene
Kunstfertigkeit, aus Stroh Gold zu spinnen, wie ich sie so oft im Leben
auch anwenden musste, um nahe an der Literatur in Würde zu überleben.
Eliade
war eine faustische Natur; einer, der alles wissen wollte, von den
Untiefen des Alchemischen und dem Urgrund der Wesenheit bis in die
höchsten Sphären der Metaphysik. Er war ein Erkenntnis suchender Geist
und zugleich eine archaischer; er war ein äußerst produktiver
Schriftsteller, der gerne und viel schrieb, der im Rausch schrieb, der
in einer Woche einen Roman verfasste, während andere ein Exposé
entwarfen, der zwanzig Werke plante, während andere über Jahre an einem
herumdokterten; ein Dionysiker, ein Mann des Ekstatischen, der auch im
Taumel Werke schuf - aber er war auch ein Forscher von Weltruf, ein
Wissenschaftler par excellence und ein offener Freigeist, der ging, als
er die Freiheit bedroht sah - wie ich auch ging und Caraion und andere.
Eliades Erinnerungen klingen mit den Worten aus: Und
trotzdem spürte ich, dass wir uns der Periode näherten, die ich
vorausgesehen und seit meiner Studienzeit gefürchtet hatte, die Periode,
die ich in meinem Innern „die Zeit, in der wir nicht mehr frei sein
werden zu tun, was wir wollen,“nannte. Es handelte sich dabei nicht um
die Sehnsucht nach einer anarchischen und asozialen Freiheit, sondern um
die Freiheit, gemäß unser eigenen Berufungen und Möglichkeiten
schöpferisch tätig zu sein. Im Grunde genommen ging es um die Freiheit,
„Kultur zu machen“, die einzige Freiheit, die ich vorläufig
ausschlaggebend hielt für uns Rumänen. Zu dem Zeitpunkt, als sich
der Himmel über Rumänien verfinsterte, um lange Jahre der Diktaturen
einzuleiten, einer monarchischen, einer braunen und einer blutroten, im
Jahr 1937, versiegte auch die Freiheit. Eliade ging - und ihm folgten viele.
Mich
selbst sah ich als vorläufigen Endpunkt einer langen Tradition
freiheitlicher Bestrebungen, die anhalten und unbedingt weiter geführt
werden mussten. Die Freiheit sollte
auch für alles Künftige das Leitmotiv werden, die Bedingung, ohne die
nichts geht und aus der alles emaniert. Denn 1981 standen die Reihen der
Kommunisten noch eng geschlossen; und von der nahen Freiheit war
noch kein Windhauch zu spüren. Rumänien war fern, isoliert, für viele
unbedeutend und wurde genauso ignoriert wie die dort erbrachten
intellektuellen Leistungen der wenigen wahren, aufrechten
Intellektuellen, die noch nicht resigniert hatten und unter den
Bedingungen eines totalitären Systems weitermachten.
Kirche, Bukarest
Kirche, Bukarest
Der Wahlverwandte
Caraion
hatte sich kaum erst mit Frau und Kind in den Westen abgesetzt,
verweilte kurz in Frankreich und fand dann rasch in der Schweiz
politisches Asyl. Er kam, knappe zwei Jahre nach meiner Ausreise, der
eine Verurteilung wegen anarchischer und asozialer - sprichnichtsozialistischer Umtriebe vorausgegangen war.
Zunächst sah ich in Caraion nur den homo litteratus, den
Dichter, den virtuosen Literaturanalytiker und Vermittler, weniger den
politischen Menschen, der zunehmend mehr in die Rolle des
antikommunistischen Dissidenten schlüpfte. Als Poet und Literat litt
Caraion darunter, dass die poetischen Leistungen, die in einer engen,
schwach verbreiteten Sprache erbracht werden, nicht adäquat rezipiert
und gewürdigt wurden. Als Mensch kränkte es ihn aber noch mehr, dass
auch die Botschaft, die aus den Diktaturen des Ostens herüber schallte,
genauso wenig gehört wurde wie das literarische Wort: Ich
schreibe aus der Überzeugung heraus und für die Überzeugung, dass keine
Kunst innerhalb der Grenzen des Kompromisses konzipiert werden kann -
und außerhalb der Freiheit. Wenn wir nicht in der Lage sind, für unseren
Glauben zu sterben, bedeutet dies, dass wir überhaupt keinen Glauben
haben und dass wir innerhalb unserer Kunst nicht mehr zählen als
geweißte Grabsteine, sagte er in einem Gespräch mit Vahé Godel, das im Februar 1982 in der Tribune de Genèveerschien.
Die Temeschburger Linken um Herta Müller und Richard Wagner, die im
Kompromiss verweilten und dort, wo sie kritische Akzente setzen wollten,
den falschen Feind fokussierten, hätten diese Haltung beherzigen
können. Und die meisten etablierten Schriftsteller im Land ebenso.
DieFreiheit der Kunst war Caraion ein hohes Anliegen, weil aus ihr die Freiheitund
Selbstbestimmung des Individuums resultieren. Lenau hatte seinerzeit am
französischen Vorbild orientiert genauso argumentiert. Und ich fühlte
in den Jahren der politischen Opposition ebenso. Diese Haltung, die
Caraion schon während der Zeit der rechten Diktatur aufrecht erhielt,
damals als Pazifist mit klarer Poesie gegen den Krieg; dieses Ethos, das
ihn bald darauf, nachdem der erste Enthusiasmus des Ausbruchs in eine
neue Zeit, die ihn erfasst hatte, verflogen war, auch mit den
Kommunisten in schwere Konflikte brachte, bestimmte unsere
Wesensverwandtschaft. Wir verstanden uns, wie es den Anschein hatte, auf
Anhieb, weil wir von den gleichen Ideen und Aspirationen getragen
wurden. Ion Caraion, ein Männlein mit einem enigmatischen Blick, schwach
und zerbrechlich, der eher dafür geschaffen schien, einen Federkiel
zwischen den Fingern zu halten als auf den Barrikaden zu kämpfen, war
ein Linker, der zum Teil von Repräsentanten der rechten Exillandschaft,
die schon lange im Westen lebten, argwöhnisch beäugt wurde. „Was willst
du eigentlich mit diesem Caraion?“ hielt mir eines Tages ein
Konservativer vor und ergänzte verächtlich: „Das ist doch ein Kommunist,
ein Ultralinker und dazu noch privilegiert … er war einer der wenigen
Schriftsteller, die je in den Westen reisen durften, er, als
Repräsentant der Sozialistischen Republik … “
Aus dem antifaschistischen Widerstand kommend hatte Caraion an der Begründung der Zeitung Scînteia - der
Funke - mitgewirkt und war einige Zeit Redakteur dieses Sprachorgans
der Kommunistischen Partei. Das machte ihn einigen konservativen
Exilanten suspekt. Trotzdem war er gleichzeitig ein scharfer Kritiker
jener selbst erklärten Kommunisten gewesen, die sich inzwischen sehr
weit von dem einst erstrebten idealistischen Weg entfernt und das Land
in totalitäre Verhältnisse gesteuert hatten.
Während
andere ihn auch als potentiellen Informanten des rumänischen
Geheimdienstes Securitate mieden, denn eine Absetzung mit Frau und Kind
war alles andere als alltäglich, sah ich in ihm damals nur den
Verfolgten, den stigmatisierten Literaten und Humanisten, der elf Jahre
Gefängnishaft hinter sich hatte. Für welches Vergehen oder Verbrechen?
Gesinnungshaft für das Verfassen von zwei Essays, Die Krise des Menschen und die Krise der Kultur,
skurrilerweise auch für die Weigerung, überhaupt nicht mehr publizieren
zu wollen und bald darauf für die Edition einer als kosmopolitisch
verschrienen Edition sowie für die offen formulierte ideologische
Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus: sprich - für eine
scharfe Zunge, für freie Gedanken und für ein freies Wort. Der Dichter
hatte mir damals eine Selbstcharakterisierung zukommen lassen- in seiner
unverwechselbaren und deshalb auch nur schwer fälschbaren Handschrift,
deren Aussagen ich glaubte.
Als der ehemalige Illegalist
Caraion, nach 1945 kaum über Zwanzig, von einer Stimmung des
allgemeinen Neuanfangs getragen, als Kommunist agierte, war er, etwas
naiv vielleicht wie manch andere Künstler auch, von Weltverbesserertum
erfüllt. Die kommunistischen Machthaber dankten ihm sein Engagement für
die gute Sache mit langen Jahren Freiheitsentzug, der ihn in nahezu alle
berüchtigten Gefängnisse des Landes führte. Aus eigener Erfahrung
wusste ich, was ein Tag im Gefängnis bedeutet, wie schwer eine Woche
vergeht und gar ein Monat. Was waren da ganze Jahre in einem
Vernichtungslager am Schwarzmeerkanal oder bei Schwerstarbeit unter
Tage? Wer viele Jahre seines Lebens in stalinistischen Gefängnissen
verbringen musste, konnte kein Freund des totalitären Regimes in
Bukarest sein, kein Kollaborateur, als den man Caraion in den letzten
Jahren präsentierte. Das Faktische wog schwerer als die von der
Securitate in Umlauf gebrachten Verdächtigungen und Gerüchte, gegen
deren verheerende Wirkung sich Caraion bereits 1982 öffentlich zur Wehr
setzte.
Damals
fand er noch Gehör. Heute ist er tot und kann sich gegen späte
Anschuldigungen, die von bestimmten Kreisen am Leben gehalten werden,
nicht mehr wehren. Er berichtete mir von einer groß angelegten Kampagne
der Sicherheitsleute um Eugen Barbu in der Zeitung Săptămăna gegen ihn mit dem Ziel, ihn im Westen zu diskreditieren und zu isolieren. Săptămăna, deutsch Die Woche,
war das inoffizielle Sprachorgan der Securitate, das Insidern wie Barbu
und Tudor zur Verfügung stand, um vor allem Repräsentanten des Exils zu
kompromittieren, wobei die Securitate zu diesem Zweck großzügig ihre
Archive öffnete und bereitwillig kompromittierendes Material zur
Verfügung stellte.
Caraion
verwies darauf - und ich glaubte ihm. Elf Jahre ärgsten Stalinismus
überlebt zu haben - das genügte mir, um das Vertrauen zu Caraion
aufrecht zu erhalten. Andere bürgerliche Demokraten aus der
Bundesrepublik, Frankreich bis hin nach Israel sahen die Dinge ebenso.
Caraion war ein eindeutiges Systemopfer, dem man unbedingt vertrauen
musste. Er war das redende Gewissen seiner Nation, ein Gewissen
überhaupt. Keiner aus dem weiten Kreis jener, die ihn schätzten, hätte
ihm einen Januskopf zugetraut, ein zweites Gesicht.
Ion Caraions erster großer Wurf als Publizist war das Agora-Projekt;
eine internationale Lyrik-Anthologie mit sehr bekannten Namen, die er
bereits 1947, in den finsteren Jahren des Stalinismus, zusammen mit
Virgil Ierunca in Bukarest ins Leben gerufen hatte. Nobelpreisträger
Eugenio Montale wirkte mit und steuerte unveröffentlichte Manuskripte
bei. Und neben ihm seine nicht minder bekannten Landsleute Umberto Saba
und Salvatore Quasimodo. Drei Gedichte von Paul Celan wurden hier
erstmals einem internationalen Publikum vorgestellt.
Caraion
war als Dichter ein erstrangiger rumänischer Lyriker von europäischem
Format. Manche hielten ihn für den bedeutendsten rumänischen Lyriker der
Gegenwart und nannten seinen Namen gleich nach Tudor Arghezi und auf
einer Ebene mit Lucian Blaga. Hingegen ignorierten ihn sein Vaterland
und die Literaturwissenschaft der DDR ganz. In dem Sammelband Literatur Rumäniens 1944 bis 1980 in Einzeldarstellungen, der
1983 in Berlin erschien, fehlt das Portrait Caraions. Dagegen sind alle
systemkonformen Dichter und Schriftsteller aufgeführt bis hin zu
Caraions Intimfeind, dem Securitatemann Eugen Barbu und dem
Ceauşescu-Lobhudler Adrian Păunescu, der später Caraion als Verräter
denunzieren sollte. Eugen Barbu und sein Ziehsohn Vadim Tudor gründeten
nach der Revolution die Großrumänienpartei, ein Hort für Hass und Hetze,
und betreiben auch heute noch von jener Plattform aus das
Spaltungswerk, das die Securitate nicht mehr vollenden konnte. Caraion
hingegen, eines ihrer ersten Opfer, galt im sozialistischen Rumänien des
Jahres 1981, nachdem sein fluchtartiges Absetzen bekannt geworden war,
nur noch als Unperson. Nur wenigen Beobachtern ist überhaupt bekannt,
dass Barbus Diskreditierungskampagne in dem Wochenblatt die Ausreise des
Dichters erst erzwungen hatte.
Ab
jenem Zeitpunkt war er als Literat genauso abgeschrieben wie Goma und
alle anderen im Exil lebenden Dissidenten und Geistesgrößen der Rumänen.
Seine Bücher wurden aus den Regalen genommen und sein Name durfte nicht
mehr erwähnt werden. Seitdem er sich dann im Radiosender Freies Europa
öffentlich gegen die Machthaber im Land gestellt und das selbstherrliche
Diktatorenpaar in scharfer Polemik gegeißelt hatte, galt er als
Staatsfeind, der unbedingt ausgeschaltet werden musste. Das Risiko,
welches er dabei einging, indem er sich und seine Familie gefährdete,
sahen seine späteren Kritiker nicht mehr.
George Enescu Museum, Bukarest
George Enescu Museum, Bukarest
Januskopf und Chamäleon oder Opfer des langen Arms der Revolution?
Als der Fall Artur publik
wurde, jene Akte, die Caraion als angeblichen Kollaborateur der
Securitate seit 1964 entlarvte, waren fast alle gegen ihn - das Pro
wurde nicht mehr gesehen. In seinem Fall, der wirklich ein Fall ist, ein
sehr interessanter sogar, weil aus ihm die gesamte sozialistische
Wirklichkeit hervorscheint, gibt es vorerst nur ein Kontra. Während
dieses Buch geschrieben wurde, musste ich, um der Tendenz Rechnung zu
tragen, zumindest ein Fragezeichen über mein Kapitel setzen - ohne
Überzeugung! Unsicher geworden fragte ich bei Kollegen herum, die
Caraion schon vor Jahrzehnten näher gekannt hatten und an deren Wort ich
nicht zweifelte. Genaues wusste keiner. Doch einiges erschien plötzlich
plausibel und belastend für den Dichter. „Ja, Caraion!“ schrieb mir
Dieter Schlesak, der an der Seite des Repräsentanten des Rumänischen
Schriftstellerverbandes Caraion etwa im Jahr 1968 zum ersten Mal in den
Westen gereist war: „Wahnsinn, dass ich mich erinnern muss. Artur?
Kannte den Namen erst seit 2001. Damals, ich hatte meine erste Westreise
mit ihm nach Mondorf gemacht, war er ein Held für mich. Dann irgendwie
in den Trinknächten, gab er was preis, ja, schien beichten zu wollen.
Jedenfalls war es seltsam, dass er alle rumänischen Exilintellektuellen
treffen wollte. Aber seltsam auch, dass er aushorchte. Und vorher und
später mich mehrfach zu sich einlud, den Edlen spielte, den Verfolgten,
mein „Freund“ wurde, schon in Bukarest, o Gott, o Gott, welch ein
Monstrum. Jetzt erst kommt alles raus. Und 1945 war er mit Ceauşescu
befreundet, sie wollten eine Zeitschrift herausgeben. Er war ja auch Illegalist
gewesen. Vielleicht muss ich mal was darüber schreiben! War auch
angesetzt auf mich.“Soweit die Stimme eines möglichen Opfers aus der
Rückschau.
Was
kannte ich von Caraions Kunst, bevor wir uns im Exil begegneten? Nicht
viel. Einige seiner expressionistischen Gedichte hatte ich überflogen,
die ihn fern mit Baudelaire und den französischen Symbolisten verbanden,
über die er vertieft gearbeitet hatte. Und einen langen Essay über
Tudor Arghezi als Einleitung in dessen Werk, in welchem er auch über
sich sprach und über das Agora-Projekt. Dann einen weiteren Essay Bacovia. Das sich fortsetzende Ende, ein
Beitrag über den großen Einzelgänger im rumänischen Expressionismus, zu
dem ich - als sechzehnjähriger Schüler mit seinen depressiven Blei-Versen konfrontiert, noch keinen angemessenen Zugang hatte.
Caraion
war zudem ein Meister des komplexen Essays, wie ich ihn liebe. Als
Essayist verkörperte er den inzwischen zur raren, ja aussterbenden
Spezies gewordenen poeta doctus
par excellence, der seinen Übersetzer mehr forderte als viele andere
Geistesgrößen der Zeit. Davon konnte ich als Übersetzer seines nomen-Beitrags,
den ich nur mit viel Mühe ins Deutsche übertrug, ein Lied singen. Als
Poet war er ein auch an Bacovia geschulter Expressionist, der die Tiefe
des Poetischen, die der rumänischen Sprache und Kultur innewohnt, zu
höchster Kunstfertigkeit steigern konnte - leider, wie so oft,
unübersetzbar, schon gar nicht in eine germanische Sprache. Von allen
Lyrikern der Gegenwart hat er die Möglichkeiten des Rumänischen
vielleicht am weitesten ausgelotet.
Und
heute wird der tote Dichter mit dem Vorwurf konfrontiert, angesichts
seines ethischen Versagens verblasse die ästhetische Leistung! Welch ein
Hohn? Doch die textimmanente Interpretation wird anders urteilen. Als
politisch Denkender und als Mensch erschien er mir als ein aufgeklärter
Idealist, ein unerschütterlicher Himmelsstürmer, der für seine
antitotalitäre Haltung auch zu leiden bereit war:„Meine Feststellung,
Faschismus und Kommunismus seien im Prinzip die gleiche Sache, hat mir
eine Verurteilung zum Tode eingebracht“, sagte er mir eines Tages in
einem Gespräch, als wir am Ufer des Genfer Sees promenierten und etwas
von der Freiheit genossen,
die uns das Leben doch noch geschenkt hatte: „Für sie war ich schon
damals ein obskurer Vaterlandsverräter, ein Freund des Westens, der mit
bürgerlichen Decadents Umgang pflegte, der im Reich des Kapitals seine
Gedichte zu veröffentlichen trachtete, ein Klassenfeind und Kosmopolit,
der das eigene Schicksal und das Schicksal der Welt über das Vaterland
stellt … und sie haben es mich büßen lassen, in ihrem Vernichtungslager
am Donau - Schwarzmeerkanal und dann in den Bleiminen von Cavnic und
Baia Sprie, wo wir, tausend Meter unter der Erde, bei nackten Leibe und
heißen Dämpfen schuften mussten wie Galeerensklaven und auch wie jene
krepierten … Als dann im Jahr 1964 die große Amnestie kam und nahezu
alle politischen Häftlinge entlassen wurden, war ich nur noch Haut und
Knochen. Wenn es noch eine Weile so weitergegangen wäre, hätte ich nicht
überlebt.“ Ion Caraion wurde kurz vor der Amnestie aus der Haft
entlassen, nachdem er fünf von fünfundzwanzig Jahren verbüßt hatte.
Seine
Story erschien mir authentisch und über jeden Zweifel erhaben, während
andere in späterer Rückschau zur Auffassung neigten, Caraion hätte
damals, unmittelbar vor der Entlassung am Ende seiner Kräfte angelangt,
psychisch in die Enge getrieben und unmittelbar vor der Verzweiflung
stehend, einen Pakt mit dem Teufel unterschrieben, um überhaupt frei zu
kommen. Der Preis der eigenen Freiheit
sei nicht die überantwortete Seele gewesen, sondern die eindeutige
Kollaboration mit der Geheimpolizei und die spätere Denunziation von
regimekritischen Schriftstellerkollegen.
War
Caraion eine tragische Gestalt, ein Opfer, das aus existentieller Not
handelt und dabei sein Gewissen in die Waagschale wirft, wegwirft - ein
Heros, aus dem ein Antiheld wird? Solchen Überlegungen hätte ich damals
nicht folgen können. Sie wären mir abstrus und literarisch forciert
erschienen. Und auch heute kann ich die nicht voll substanziierten
Thesen kaum ernst nehmen. Unveröffentlichte Manuskripte aus den Archiven
der Securitate, die um 1995 von der Nachfolgeorganisation SRI der
Familie zurückgegeben wurden, entlasten Caraion. Denn daraus spricht
kein verhätschelter Zögling und Informant des Systems, sondern ein fast
mittelloser, in die Enge getriebener Autor, der sich mit der Zensur
herumschlägt, weil diese ihm die Interpretation seines Preda-Essays
vorgeben will und ein verzweifelter Familienvater im Zwist mit seiner
Frau, weil er nicht weiß, woher er die 100 Lei nehmen soll, um das
fiebernde Kind ärztlich behandeln zu lassen. Es wurmt ihn mit ansehen zu
müssen, wie servile Diener der Partei, Stalinisten von gestern, ihr
Süppchen kochen, ihn verlachen und die Straßenseite wechseln, wenn er
kommt; und dass diese Leute, deren Poesie sich verbreitet wie die
Fliegen, Worte wie Ethik und Moral im Munde führen, dabei ihre kaum erst
begangenen Verbrechen vergessen. Das war im Jahr 1971, also zu einer
Zeit relativer Liberalität und Aufwärtsentwicklung im Land.
Darüber
hinaus spricht alles, was Caraion im Westen unternahm, was er an
antikommunistischer Dissidenz und Agitation entfaltete, gegen eine
Vereinahmung durch die Staatskommunisten. Konnte ein potentieller Agent
der Securitate, der in den Westen geschickt wurde, um das
geistig-literarische Exil zu destabilisieren, über Radio Freies Europa
vehement und zynisch gegen Bukarest wettern und den Menschen ins
Gewissen reden, nur um eine perfekte Tarnung aufrecht zu erhalten?
Caraion hat das Diktatorenehepaar wüst beschimpft, für meinen Geschmack
sogar zu wüst! War das etwa die Tarnung des Chamäleons, eine Maske unter
vielen?
Auch
daran weigerte ich mich zu glauben. So etwas war theoretisch denkbar,
in der Praxis aber höchst abwegig. Caraions Gesundheit war nach
langjähriger Schwerstarbeit unter Tage bei hoher Strahlenbelastung und
permanenter Vergiftung stark angeschlagen, ja zerstört. Nach der
Entlassung wies er physische Verletzungen auf und war mit Tuberkulose
infiziert - nur sein Geist war noch immer rege und der Wille, die
verlorene Zeit wettzumachen und poetische Werke zu schaffen. Trotzdem
war er ein Gezeichneter.
Die
schwere Haft, die unzähligen Verhöre über dreißig Jahre, teils
innerhalb, teils außerhalb der Gefängnismauern und das immer
unerträglicher werdende Dasein eines Verfolgten, eines Exponierten und
Angefeindeten außerhalb der Zelle, doch innerhalb weiterer Schranken und
Grenze, überlebt man nicht ohne Schäden an Leib und Seele. Wusste ich
doch selbst, was politische Häftlinge alles erdulden müssen und was es
bedeutet, den sozialistischen Alltag zu Tag für Tag zu meistern. Wie oft
hatten wir die RFE-Sendung Die Geschichte der Rede - Vergessene Seiten, Zensierte Seiten, Exilierte Seiten, verfolgt,
die Caraions literarischer Kompagnon von einst Virgil Ierunca aus dem
Pariser Exil moderierte? Hundertfach waren die stalinistischen
Haftbedingungen dort geschildert worden, plastisch und realitätsnah aus
der Sicht von Augenzeugen. Politische Freunde, die ähnliches
durchgemacht hatten, erhärteten die Fakten zusätzlich. Bis 1964 hatte
Caraion diese von Alexander Solschenizyn in die Weltliteratur
eingebrachte Schreckenszeit stalinistischer Haft voll miterlebt. Doch er
ließ sich nicht unterkriegen und fand, wieder in relative Freiheit
gelangt, zu ungeheuer Produktivität, so als wollte er in kurzer Zeit
all die Jahre des Stumpfsinns und des Nichtstuns wieder aufholen. Nahezu
jährlich legte er einen Gedichtband vor.
Ienei-Kirche, Bukarest
Ienei-Kirche, Bukarest
Wie
kam es aber, dass er, der lange Zeit Stigmatisierte, nun doch so
großzügig veröffentlichen durfte? Das fragte auch ich mich später
einmal, als ich die bibliographischen Auflistungen überflog, die er mir
geschickt hatte. Was führte dazu, dass er zum Chefredakteur einer
literarischen Zeitschrift aufstieg? Und dass er im Rumänischen
Schriftstellerverband seine Position ausbaute, immer einflussreicher
wurde und den Verband auch im Westen als Aushängeschild repräsentieren
durfte? Waren es nur die talentierten Gedichte, die zu enigmatisch
waren, um vom Zensor gestoppt zu werden, die seinen Ruhm als Dichter
begründeten? War es allein die Fachkompetenz, die seinen Aufstieg
förderte? Oder waren es ganz andere Faktoren, die seinen Stern
kometenhaft aufsteigen ließen?
Protegierte und begünstigte ihn jetzt gar der Geheimdienst - oder hatte er einen noch mächtigeren Mentor, ganz oben vielleicht?
Spätere Gerüchte, die der Literaturkritiker Nicolae Manolescu im Jahr 2006 anlässlich der Buchpräsentation zum Fall Artur,
Caraions Pseudo-Pseudonym, verbreitete, unterstellen ihm, er hätte den
oft geschmähten, späteren Staatschef Nicolae Ceauşescu persönlich sehr
gut gekannt. Angeblich wollten die drei Linken Caraion, Ierunca und Ceauşescu
in frühstalinistischer Zeit eine gemeinsame Zeitschrift herausgeben,
ein kommunistisches Propagandablatt! Eine Legende? Nicolae Manolescu,
als kulturelle Autorität zum Mitglied der späteren Präsidialkommission zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien
berufen, dürfte kein Interesse haben, abenteuerliche Thesen und
Gerüchte in die Welt zu setzen. Wenn seine Informationen, die allerdings
nirgendwo belegt sind, tatsächlich stimmten, würden sie manches
erklären.
War
Caraion doch ein Chamäleon? Ein Proteus der Literatur, der einen
eigenen Modus vivendi gefunden hatte, um im sozialistischen Alltag doch
noch zu überleben? Darauf konnte ich damals nicht kommen, weil seine
Vita dagegen sprach. Also vertraute ich ihm weiter und schob leise
Bedenken anderer arglos beiseite. Über die konsequent
kommunismuskritische Haltung hinaus hatte das Geschaffene in meinen
Augen absolute Priorität, das vorliegende Werk, zahlreiche Gedichtbände
und die Essays. Teilweise wurde ihr Erscheinen sicher auch durch die
Liberalisierungstendenzen der späten Sechziger und frühen Siebziger
Jahre, die noch mit einem Anstieg des allgemeinen Lebensniveaus im Land
einhergingen, begünstigt, bevor die einsetzende Minikulturrevolution in
Bukarest das Rad der Geschichte noch einmal massiv zurückzudrehen
suchte.
In Bukarest
In Bukarest
Existenz und Ethos - Haltung und Botschaft
Ion war ein leiser, desillusionierter Skeptiker, dem der freie
Gebrauch des Wortes in den Jahren des Stalinismus viel Leid beschert
hatte. Als Persönlichkeit entsprach er genau dem Typus, nach dem ich
während meiner Dissidenz immer wieder Ausschau gehalten hatte, ohne ihn
in der Provinz zu finden. Hier in Lausanne, wo ich ihn in seinem
Appartement besuchen und auch seine Frau Valentina und Tochter Marta
kennen lernen sollte, hatte er nach vielfachen Auseinandersetzungen mit
den Zöglingen des Systems und manchen Schikanen im Land, nach
Anfeindungen und Diffamierungen, Zuflucht gefunden und verlebte, ganz
dem literarisch-publizistischen Schaffen gewidmet, in höchst
bescheidenen Verhältnissen - doch in Freiheitund Würde - die letzten Tage seines Schweizer Exils.
„Ich
kämpfe mit der Armut“, schrieb er mir damals in einem Brief, in welchem
er mich gleichzeitig vehement aufforderte, ungeachtet der
Enttäuschungen, die ein geistiger Mensch in einer geistfeindlichen Welt
erleben muss, unbeirrt weiter zu machen. Traduttore, tradittore? Diesen
Ezra Pound gemachten Vorwurf konnte ich nicht auf Caraion beziehen. Zu
viel sprach dagegen. Er hatte viel erlitten, ohne zu resignieren - und
er wusste, wovon er sprach.
Eines seiner letzten Projekte war die Zeitschrift Correspondances,
die nominell an Baudelaire erinnerte und sich wiederum der
Veröffentlichung lyrischer Texte widmete. Es war der späte Versuch einer
Wiederbelebung des Agora-Paradigmas, das die Dichter der Welt, darunter
viele Exilierte, in ihrer heimatlichen Sprache vereint - in der Art
eines symphonischen Zusammenklangs in Versen und Rhythmen. Im ersten
Heft gab es noch Texte von Ernst Jünger und Michel Butor. In den beiden
weiteren Nummern fehlten aber die ganz großen, international bekannten
Namen, jene big names, die in der modernen Welt den kommerziellen Erfolg garantieren. Unter dem Titel Don Qichotte gab er eine Anthologie heraus; und eine weitere Zeitschrift war, wie er mir schrieb, noch geplant - 2 Plus 2, eine Art Fortsetzung von Correspondances.
Viele
gute Aussprüche und treffliche Zitate erinnerten mich an Ion und manch
deftige, tiefgründige Anekdote, die er, sub rosa, bei gelegentlichen
Treffen nur mündlich zum Besten gab. Allein schon der Name, der, was ich
zunächst nicht wusste, ein Pseudonym war, amüsierte mich - denn er
klang wie eine pointiert ironische Selbstparodie, und er war
gleichzeitig Programm. Früher waren mir in Temeschburg Schriftsteller
begegnet, die die Decknamen wechselten wie die Chamäleons die Farben,
Dichter, die unter den Faschisten unter einem Namen schrieben, später
unter den Stalinisten und Kommunisten unter neuen Namen; die die Farben
wechselten und ihre Überzeugungen wie andere die Unterhosen - mich zu
einer Satire inspirierend, die ich mit Club der Chamäleons überschrieb.
Hatte sich auch Ion in der Auseinandersetzung mit Braunen und Roten
einen Bazillus eingefangen und als Mittel gegen die Infektion eine
zeitspezifische Überlebensstrategie entwickelt? Darüber dachte ich vor
fünfundzwanzig Jahren nicht nach! Ion war in unseren Begegnungen nett,
recht witzig - und immer mild human mit einem leichten Zug von
desillusionierter Misanthropie: „Was kann ich dafür“, meinte er eines
Tages, als wir über das Walten des Bösen in der Welt sprachen, recht
verbittert darüber, dass die von den Kommunisten zementierten
Machtstrukturen noch lange anhalten werden, „wenn die Läuse den Platz
der Menschen eingenommen haben!“
Er
hatte das Gefühl, niedere, gehirnlose Geschöpfe würden die Geschicke
der Zeit bestimmen. Im Jahr 1982 erschien in München eine seiner letzten
Buchpublikationen in rumänischer Sprache. In dem Band Die Insekten des Genossen Hitler
sind kleinere Aufsätze und Interviews enthalten, in welchen der Literat
zurückblickt, Bilanz zieht und auch abrechnet. Viele Rechnungen, die in
einer Diktatur nicht beglichen werden konnten, waren noch offen. Und
jetzt war der Maulkorb weg. Einiges an Hass hatte sich wohl angestaut in
all den Jahren des nicht immer würdigen Überlebenskampfes. In dem
Begriff Genosse Hitler,
ein Synonym ehemaliger Häftlinge für den Partei und Securitate-Apparat
ihrer Zeit, laufen die beiden großen totalitären Ideologien des 20.
Jahrhunderts zusammen, rote Genossen und braune Genossen.
Auch in mir sah Caraion ein Opfer der Insekten,
das früh angeknabbert worden sei. Eine Widmung von damals, die er mir
in eines seiner Bücher schrieb, erinnert mich daran. Es wäre
Zeitvergeudung, die Insekten des Sozialismus bekämpfen zu wollen, meinte
er voller Resignation. Nicht ist es unser Los, ein Fliegenwedel zu
sein, argumentierte einst Nietzsche ganz allgemein in Zarathustra. Caraion, der übrigens als junger Dichter mit der Zeitschrift Zarathustra
debütierte, steigerte den verachtenden Sarkasmus noch indem er die
besonders niederträchtigen unter den intellektuellen Handlangern der
Partei mit den Worten geißelte: „Schmeißt nicht mit Steinen auf sie -
ihr beschmutzt die Steine!“
Gigantomanie?
Zu groß für eine gewöhnliche Kamera.
Stalinistische Baukunst.
Libertate - Freiheit in meiner Sprache …
Sein
wohl letzter Band ist das Bekenntnis eines Zeitzeugen, der scharf ins
Gericht geht, und der erstmals vor einem großen Auditorium frei sprechen
darf. Der vom US amerikanischen State Department finanzierte Sender
Radio Freies Europa mit dem Sitz im Englischen Garten von München bot
ihm diese Plattform. Er konnte nun vor einer ganzen Nation sprechen.
Eine Verlockung. Zwei Jahre vor Caraion saß ich an der gleichen Stelle
und sprach vor dem gleichen Publikum - mit einer gewissen Genugtuung,
doch nicht
im Triumph und so sachlich wie möglich. Caraion, dem dort auch ein
Mitarbeiter-Vertrag angeboten worden sein soll, ging weit darüber hinaus
und sprach sich nicht nur frank und frei den angestauten Ärger und
Stress von der schon schwerkranken Leber weg; er steigerte die
Abrechnung mit der kommunistischen Welt, die er verlassen hatte, zu
einer Orgie von polemischen Beschimpfungen, wie ich sie kaum für möglich
gehalten hätte.
Alles,
was sich in den elf Jahren Haft und in den unfreiwilligen, unwürdigen
Jahren danach an Hass und Ressentiments festgesetzt hatte, schien sich
in jenen Interviews zu entladen, eruptiv und unkontrolliert, wie beim
plötzlichen Ausbruch eines Vulkans. Dabei wurde der stammelnde Diktator
genauso aufs Korn genommen wie seine stets übergelaunte Gattin, der
Caraion die Boshaftigkeit und den Verstand eines Affen attestierte.
Nicht verschont blieben natürlich die Helfer und Helfershelfer des
Systems, die Speichellecker und Hofdichter, die Schergen des
Geheimdienstes, für die Caraion die übelsten Epitheta fand, die seine
Sprache hervorzubringen im Stande war.
Handelte
so ein Agent der Securitate, der in den Westen reiste, um die geistige
Struktur des Exils zu unterwandern? Jegliche Logik sprach dagegen. Oder
handelte die Securitate nach der Chaostheorie, den Gesetzen des
Irrationalismus und des Absurden folgend? Caraions hochgradig von
Bitterkeit bestimmter Abrechnungsfeldzug, der vielleicht auch darauf
abzielte, sein neues Image als antikommunistischer Dissident zu
schärfen, war eine direkte Antwort auf die Diskreditierungskampagne, die
das totalitäre Regime gegen ihn gestartet hatte. Das bloßgestellte
Imperium schlug nunmehr zurück - bereit, ihn zu treffen und zu
vernichten. Doch Caraion kämpfte seit je her einen ungleichen Kampf. Der
Staat hatte ihm und seiner mitgeflohenen Familie alles genommen, bis
auf den Inhalt von zwei Koffern und sie dem harten Los des Exils
überantwortet. Seine Bitterkeit überraschte mich nicht. Denn es gab
Gründe dafür, viele Gründe.
„Weshalb
haben Sie sich doch noch zum Absprung in den Westen entschlossen?“
fragte ich ihn einmal fast beiläufig; ich siezte ihn, während er mich
duzte, auch in den vertrauten Briefen. Die Antwort des verjagten
Dichters war vielsagend: „Meine Frau, die seinerzeit verurteilt und für
Jahre ins Gefängnis gesteckt worden war, weil sie mir geholfen und meine
Manuskripte abgetippt hatte und ich haben lange gerungen, bevor wir uns
zu diesem schweren Gang entschlossen haben. In Verbannung leben war nie
einfach. Aristoteles, Cicero, Seneca, sie alle waren zeitweise verbannt
worden und schließlich der große Ovid, der bei uns in Tomis an
Schwarzen Meer elend zugrunde gehen musste. Keiner von ihnen lebte gerne
in der Fremde. Keiner gab je seine Heimat freiwillig auf. Wenn wir uns
trotzdem entschlossen, alles zurückzulassen, was wir hatten,
immaterielle Werte, Freunde, Bücher, Erinnerungen, Gefühle, dann taten
wie dies aus Rücksicht auf unser Kind Marta. Für sie haben wir hier in
der Schweiz, im christlich-katholischen Umfeld, eine Bleibe gefunden,
die ihr Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Sie soll eine bessere Zukunft
haben, als wir sie hatten.“
Wie
oft hatte ich ähnliche Ausreiseargumente vernommen, auch bei
Deutschstämmigen. Eine Generation, die gelitten hatte, war bereit das
eigene Martyrium für das Wohl der künftigen Generation fortzusetzen.
Mitte
1982 übersandte mir Caraion den Essay. Nachdem ich ihn mit Mühe
übertragen hatte, wurde er auch noch gesetzt. Doch dann war es aus mit
unserer Zeitschrift nomen. Mein Nachruf auf das idealistische Projekt unter dem Titel Wo liegt der Kulturverlag begraben, erschien bald darauf in einer Literaturzeitschrift aus Berlin mit dem signifikanten Namen Tabula Rasa. Das
Geld war uns ausgegangen. Mein Studienortwechsel nach Wien stand damals
gerade an - und ich redete mit Caraion darüber: „Wien?“, wunderte er
sich, „da bist du ja mitten im Ostblock! Unterschätze nicht die Gefahr.
Alle östlichen Geheimdienste treiben sich dort herum. Sie können dich
jederzeit um die Ecke bringen, ohne dass ein Hahn nach dir kräht!“
So
glaubte er warnen zu müssen. Aber ich ignorierte die Mahnung und ging
trotzdem. Während dieser Zeit in Wien verlor ich im Spätjahr 1983
Caraions Spur. Dann wurde es ruhiger um den Dichter. Einiges von ihm las
ich noch in der ExilzeitschriftDialog,
die Ion Solacolu mit viel Mühe aus eigenen Mitteln herausgab. Solacolu
war fast bis zu seinem Sterbetag um ihn und half ihm dabei, etwas
Ordnung in seine Manuskripte zu bringen. Schwerkrank konnte Caraion kaum
noch zehn an Stück Minuten arbeiten.
Als
Caraion im Sommer 1986 recht vereinsamt und selbst im Exil exiliert
starb, verlor sein Land eine komplexe Kulturpersönlichkeit, die einige
Rätsel mit ins Grab nahm. Ob er ein Gewissen
war, wie lange angenommen wurde? Oder ob er doch als eines jener vielen
prominenten Opfer der Diktatur angesehen werden konnte, die auf dem Weg
in die Freiheit scheitern
mussten, bevor sie noch etwas von dem helleren Licht eines bald freier
werdenden Alten Kontinents hatten sehen können? Ich weiß es immer noch
nicht!
Doch ich bleibe bei meiner Apologie!
Ion
Caraion war lange Jahre seines aktiven Lebens eine Stimme der
Verfolgten; in der Zeit der Illegalität vor 1945 ebenso wie in den
späten Tagen seines Exils. Er liebte sein Volk, seine Sprache und er
vergaß sein Volk, an dessen Befreiung vom Kommunismus er glaubte, nie.
Einer seiner letzten Appelle, die über den Äther gingen, ist der Freiheit
gewidmet. In einem Aufruf zur Selbstfindung appelliert Caraion in
Rückbesinnung auf die Leiden und das Vorbild Christi an das rumänische
Volk, den Glauben an die politische Emanzipation niemals aufzugeben. Mit
dem ihm eigenen romanischen Pathos setzt er auf die inneren Werte jedes
Menschen, wenn er verkündet: Eingesperrt
könnt ihr noch freier sein als die, die euch einsperrten; die jetzt vor
Angst zittern, obwohl ihr unbewaffnet seid und sie in voller Rüstung
dastehen. Die Peitsche vermodert wie die Mauern verfallen. Das Licht der
Freiheit leuchtet aus eurer Wesenheit hervor, eine Freiheit, die sie
nicht sehen, die sie aber fürchten. Sie wird bald die Sprache des Sieges
finden, weil der Samen der Freiheit, wie ihr wisst, ewig ist und ewig
unüberwindbar sein wird. Er sprießt nach zehn Jahren, nach hunderten von
Jahren, ja nach tausenden von Jahren unter tausend labyrinthischen
Wirrungen wieder hervor.“
Es ist eine Eloge auf die Freiheit, ein Hymnus! Es sind Worte der Selbstbesinnung auf die eigene innere Freiheit,
auf die Selbstbestimmung des Subjekts, die auch von Mark Aurel oder
anderen stoischen Philosophen hätten stammen können. Sicher wurden sie
im kommunistischen Rumänien gehört und fielen vielleicht auf fruchtbaren
Boden. Wer nur diese evozierenden Worte hörte, der interpretiert sie,
fern von jeden biographischen Implikationen, textimmanent wie ein
Gedicht. Er hört, ohne den Autor zu kennen, auf die unmittelbare
Botschaft, versucht diese zu verstehen und zu deuten - und viele
Botschaften Caraions, der heute am moralischen Pranger steht, waren
keine Botschaften der Niedertracht, sondern Botschaften der Freiheit.
Atheneul Roman - Rumänisches Athenum
Atheneul Roman - Rumänisches Athenum
Die Jagd auf den toten Dichter - und moralische Entrüstung
Heute,
mehr als zwanzig Jahre nach Ion Caraions Tod im Exil, scheint sein Ruhm
als Geist und Dichter weiter zu verblassen. Neue alte Dokumente sind in
den Securitate-Dossiers aufgetaucht, die seine Informantentätigkeit
angeblich bestätigen. Es sollen schwerwiegende Dinge sein, die ihn
belasten und seine moralische Integrität in Frage stellen.
Caraion
soll den schreibenden Kollegen Nicolae Steinhardt verraten haben. Und
er soll einen Agentenlohn erhalten haben und sonstige Privilegien, um
andere regimekritische Dichter und Schriftsteller aus seinem Umfeld
auszuspionieren. Es fällt mir auch heute noch schwer, all dies zu
glauben, nicht zuletzt deshalb, weil die rumänische Gauck-Behörde, die
CNSAS, unglaubwürdig arbeitet, mehr hemmt und verschleiert als sie zu
Tage fördert und enttarnt. Nach neuesten einschlägigen
Veröffentlichungen schützt diese Einrichtung - ein fiktives Interesse
der Staatsicherheit vorgaukelnd - sogar die Aktivitäten der inzwischen
in SRI umbenannten Securitate.
Die Dokumente, die heute vorliegen, könnten aus vielen beschlagnahmten Manuskripten zusammenkompiliert worden sein wie eine Collage.
Nichts von dem, was ich bisher zitiert fand, belastet Caraion
eindeutig. Vieles ist zweideutig und, da es aus dem Kontext gerissen
ist, sehr fragwürdig. Deshalb wundere ich mich, mit wie viel Lust und
Überzeugung er von offensichtlich zu jungen Moralisten belastet wird,
die selbst weder je etwas von ihm gelesen haben, noch über seine
Gefängniserfahrungen angemessen urteilen können.
Caraion
war als Dichter in einem totalitären Staat abhängig, erpressbar. Doch
ein Verräter im eigentlichen Sinne war er kaum. Jedenfalls nicht aus
freien Stücken! Natürlich hat er mit der Securitate kommuniziert. Doch
ging es anders?
Auch
ich hatte immer wieder mit ihren Mitarbeitern zu reden, selbst auf der
Straße, ohne kontrollieren zu können, was nachher sie über mich in ihren
Berichten festhielten oder was sie als Gerücht streuten. Der Mensch
Caraion, den ich kannte, spricht gegen die Verdächtigungen und
Unterstellungen sowie gegen eine gezielte Kooperation aus eigenem
Antrieb. Was ist Dichtung? Was ist Wahrheit? Und was ist schlechthin
gezielte Manipulation des Geheimdienstes?
Ist
am Ende alles nur ein geschickter Schachzug der Gegner von einst, der
Verantwortlichen aus den höheren Etagen der Securitate, die mit einem
solchen Nebenkriegsschauplatz von den eigenen Untaten ablenken wollen?
Während
die Berufsverbrecher der Securitate in Ruhe ihre Pension verleben, wird
zur Hetzjagd auf ein leichtes Opfer geblasen. Der Angriff wird auf
einen toten Dichter gelenkt - und kaum einer merkt etwas davon. Fast
alle folgen der moralischen Fährte und gehen dabei den Gerissenen auf
den Leim.
Es
ist unbegreifbar, wie viel politische Naivität immer noch möglich ist.
Nicht ein verzweifelter Dichter ist das Problem der neuen, nach Europa
ausgerichteten Gesellschaft, ein hochsensibler Künstler, der nach Jahren
psychischer Folter und Grausamkeiten aller Art nicht mehr konnte und
zusammenbrach - nicht über sein moralisches Versagen gilt es zu richten.
Das Problem sind die immer schon verbrecherischen Verbrecher,
die immer schon unmoralischen Speichelecker, Lobhudler und Hofdichter,
Leute wie Vadim Tudor, der heute die Großrumänien Partei anführt und mit
Leidenschaft gegen Juden, Zigeuner, Intellektuelle und andere
Minderheiten hetzt und dabei von Millionen Rumänen gewählt und von
Europas Politikern akzeptiert wird. Es ist der gleiche Vadim Tudor, der
in einer nie gekannten Unterwürfigkeit Ceauşescu über den grünen Klee
lobte, in der Hoffnung, so zum einzigen Hofdichter aufzusteigen, der, um
Karriere zu machen, durch das eigene Tun nicht nur die Dichtung
pervertierte, sondern als Denunziant
auch noch die wahren Dichter in Misskredit brachte. Dieser Tudor, der
selbst ein Ultrarechter Antisemit ist, ein Produkt des kommunistischen
Regimes, wie man heute weiß, denunzierte Ion Caraion wie den Dissidenten
Dorin Tudoran bei der Securitate als rechtsextreme Elemente, und verwies die Securitate auf den feindlichen Gehaltvon Caraions Poesie.
Ist
das der neue Mann für Europa? Das sind die Fragen, die nicht nur die
Rumänen beantworten sollten, sondern auch die Verantwortlichen in der
EU. Manch einer aus der Reihe der plötzlich moralisch wertenden
Zeitgenossen, die nie eine Gefängniszelle von innen gesehen haben, sieht
heute in Caraion vorschnell den Verräter, den Ängstlichen und Feigen,
der andere ans Messer lieferte, um selbst zu überleben. Und nur wenige
Stimmen, darunter kaum Exilautoritäten, verteidigen Caraion als
das tragische Opfer eines möglichen Komplotts, einer revanchistischen
Verschwörung alter Kräfte, die sich gegen alle antikommunistischen
Widerständler richtet, doch mit schwacher Stimme. Ganze
Materialsammlungen wie die Sipos-Dokumentation, in denen dargelegt wird,
mit welchen Maßnahmen die Securitate den Dichter im Exil unter Druck
setzte, ihn kompromittierte, diskreditierte und Fakten, die für Caraion
sprechen, fallen dabei unter den Tisch. Das Resultat davon ist, dass die
Gesamtsituation, die eigentlich klar offen legt, wie ein exponiertes
Individuum aufgrund makropolitischer Konstellationen instrumentalisiert
und zum tragischen Opfer reduziert werden kann, vorerst ambivalent
bleibt wie auch ihre endgültige Bewertung.
Regierungssitz in Bukarest
Das Stockholm-Syndrom und ein Pakt mit dem Teufel?
Caraion,
der einen beachtlichen Teil seines Lebens im Gefängnis für eine ideelle
Haltung gelitten hat, ist, auch wenn er zerbrach, immer noch mehr Opfer
als Täter. Neuerdings, wo die Phantasien der Schreiber immer neue
Blüten hervorbringen, sieht man in ihm einen Kranken, der am Stockholm-Syndromlitt.
An jener Wesensveränderung, die beim Opfer zur Solidarisierung mit dem
Täter führt und es veranlasst seine Denkperspektive zu übernehmen. Auf
diese Weise hätte sich Caraion in die Sicht der Securitate versetzt, sie
gestützt, beraten und anderen unschuldige Kollegen und Freunden im Land
und im Exil großen Schaden zugefügt. Das klingt plausibel, doch ist die
Problematik vielschichtiger und komplexer. Caraions konspiratives Tun
und Handeln, insofern es wirklich so gewesen sein sollte, steht trotzdem
in keinem Vergleich zu den Taten der eigentlichen Täter, die seine
seelische Not ausbeuteten.
Caraion
erzählte mir einmal, Marin Preda hätte biographische Details aus seinem
Gefängnisdasein im Roman verarbeitet. Jetzt bietet sich der ganze
Caraion an - als Sujet eines psychologischen Romans, aus welchem die
Fratze der kommunistischen Diktatur hervorschaut. Wer den Fall Caraion begriffen hat, versteht auch die Machterhaltungsmechanismen einer Diktatur. Die Steinewerfer unter den selbsterklärten Moralisten dieser Tage sollten sich zurückhalten.
Auch darf eines
auf keinen Fall verkannt werden - jenseits von Schuld und Unschuld: wer
in der Hölle sitzt, und Caraion saß nicht nur in der Vorhölle, sondern
am tiefsten Punkt im letzten Kreis der Hölle unter ärgsten Teufen, der
paktiert auch mit Luzifer und Satan! Und dies nicht nur aus Angst, nicht
nur aus Schwäche und nicht aus freiem Willen, sondern aus einen Selbsterhaltungstriebheraus, der zutiefst existentiellist, und der aus sich selbst heraus agiert, ohne nach moralischen Kategorien zu fragen!
Selbst
wenn Caraion schuldig geworden sein sollte, dann habe ich viel
Verständnis für ihn, mitfühlendes Verständnis, hatte ich doch eine
ähnliche Situation unter Folter selbst erlebt.
Selbst
wenn Caraion als angeblich schwacher Charakter versagt haben sollte,
wenn er sich verstellte, wenn er schauspielerte, wenn er viele, die fest
an ihn und seine Botschaft glaubten, bitter enttäuschte, dann bleibt
immer noch der Künstler
in ihm bestehen - und mit diesem sein erstrangiges poetisches Werk, das
nicht nach moralischen Kriterien beurteilt werden darf. Die moralische
Entrüstung, die so lange tot zu Eis erstarrt dalag, schlägt im
erwachenden Rumänien hohe Wellen - als Mode? Die Kunst aber ist
beständiger als der Zeitgeist. Warten wir es ab …
Das
Nachdenken über den Dichter, der sich mir gegenüber immer geistig
solidarisch, menschlich, ja freundschaftlich verhalten hatte, der, genau
betrachtet, ein später, väterlicher Freund war, ließ mich die
Schönheiten der Seenwelt vergessen. Gerne hätte ich seine Sache noch
tiefergehend ausgelotet und verteidigt, doch nicht profan wie im
Gerichtssaal, sondern existentiell philosophisch.
Ein weites Feld, ein Schicksal, in welchem sich ein politisches System
spiegelt und aus dem etwas deutlich hervor scheint: Das Wesen der
Diktatur!
Im
Vorausblick auf die noch anstehenden Herausforderungen drängten sich
wieder andere Reflexionen auf, mit vielen selbstkritischen Fragen, die
ich mir stellte und die berechtigterweise auch andere stellen durften.
Hotel Intercontinental in Bukarest- zur Zeit Ceausescus gebaut
Gegen das Vergessen
Das
menschliche Leben ist viel zu kurz, um alle Erfahrungen selbst machen
zu können. Deshalb sollte wenigstens etwas von dem Wesentlichen, das man
selbst erlebt hat, aufgeschrieben werden, auch wenn Skepsis und
aufkommende Misanthropie eher dazu verleiten, die Intimität in das
Selbst zu verschließen - und, vielleicht für immer, zu schweigen.
Manchmal wird das Schreiben zur Selbstüberwindung, manchmal aber zur
Pflicht. Ich unterwarf mich weiterhin der Pflicht.
Schon
wenige Tage nach meiner Einreise in die Bundesrepublik hatte ich mit
der aufklärenden Öffentlichkeitsarbeit begonnen. Zunächst beschrieb ich
meine politischen Erfahrungen, informierte die Medien über Hintergründe
der Dissidenz in Rumänien und veröffentlichte einiges, obwohl ich
langsam an dem Sinn eines öffentlichen Agierens zu zweifeln begann.
Früher, in der Enge sozialistischer Gefängnismauern, hatte ich gefühlt
wie Tantalus und Sisyphus. Jetzt im weiten Land uneingeschränkten
Freiseins kam ich mir allmählich vor wie ein melancholischer Don
Quichotte, der, an Idealen festhaltend, gegen die Windmühlen kämpft -
gleich einer tragischen Figur auf der Weltbühne und wie ein Protagonist
des Absurden.
Ungeachtet
des aufziehenden Politikekels, der mich, nach dem Tiefschlag bei
Amnesty international in London, mehr und mehr zum Rückzug in die
Philosophie, Musik und Literatur drängte, folgte ich dem Pflichtgebot
und machte weiter. Doch die meisten Informationen, die ich an die
Öffentlichkeit brachte, verpufften weitgehend ungehört in der Flut
anderer Meldungen und versiegten nahezu wirkungslos. Selbst die sonst
gründliche wissenschaftliche Forschung, die auch nicht alles rezipieren
kann, ignorierte so wichtige Phänomene, wie das einer größeren freien
Gewerkschaftsgründung im Ostblock lange vor Solidarnosc, was dazu führte, dass historische Ereignisse über Jahrzehnte unbekannt blieben.
Neben
dem chronischen Desinteresse Deutschlands an den Entwicklungen in
Rumänien wurde unsere Aktion gerade durch die weltgeschichtlichen
Ereignisse in Polen massiv überlagert. Als auswärtiger Sprecher der
Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLOMR verfasste ich noch
1981 im Namen der Vereinigung ein Solidaritätsschreiben an Lech Walesa,
in welchem ich die Sympathie und die moralische Unterstützung der
rumänischen Arbeiter und des westlichen Unterstützungskomitees
bekundete. Der ausbleibende Rückschein signalisierte mir jedoch, dass
der Brief bereits in den Auswirkungen des Kriegsrechts untergegangen
sein musste, das General Wojciech Jaruzelski im Dezember über Polen
verhängt hatte, um Solidarnosc
zu stoppen. Durch die Ereignisse in Polen wurden die schon weitgehend
abgewürgten und erstickten Gewerkschaftsbewegungen in Rumänien
vollständig überlagert und in den Hintergrund gedrängt.
Was
ich damals veröffentlichte, erreichte in der Regel nur eine Handvoll
Menschen im Westen - und sensibilisierte Charaktere aus der
Exillandschaft. Am 1. März 1981 erschien in der Freien Rumänischen Presse in London mein Zeitzeugenbericht Ein Schritt zur Freiheit,
der die Frage nach dem Verbleiben der SLOMR mit den Hinweis
beantwortet, die Freie Gewerkschaft wäre noch relativ intakt
anzutreffen, wenn ein freier Zugang zu den Gefängnissen des Landes
gegeben wäre. Und mein Bericht klingt mit den visionären Worten aus: Seien
wir nicht skeptisch. Die Idee hat überlebt und trägt Früchte. Die
Errungenschaften, die Mahatma Gandhi, Luther King und Lech Walesa
kennzeichnen, werden auch wir in Rumänien erreichen. Das war
Zweckoptimismus, doch auch eine insgeheim gehegte Vision. Wer an eine
Idee glaubt und von ihr über Jahre erfüllt ist, zählt auch auf ihre
Vollendung. Hinter meinem Bericht stand der spätere
Präsidentschaftskandidat Ion Raţiu aus London. Mit dem anderen
demokratischen Kandidaten Radu Câmpeanu, unserem Mistreiter aus Genf,
hatte Raţiu gegen den Altstalinisten und Wendehals Iliescu die erste
halbdemokratische Wahl nach dem Sturz von Diktator Ceauşescu verloren.
Als wir über Vladimir Krasnosselski aus Genf im Dialog standen, glaubte
er an die Möglichkeit eines demokratischen Umbruchs und ermutigte mich
weiter zu machen. Im Gegensatz zu anderen Schriftstellern deutscher
Zunge, etwa zu Herta Müller, die sich später rühmte, nie ein Wort in
rumänischer Sprach geschrieben zu haben, schrieb ich auch in Rumänisch -
und eben für jene, die später die Demokratie in Rumänien mit aufbauen
sollten. Die Sache zählte, nicht die Mittel. Kurz darauf, im Herbst des
gleichen Jahres, veröffentlichte ich in der Zeitschrift Menschenrechte zwei Berichte über politische und religiöse Verfolgungen in Rumänien: Die Arbeiterbewegung in Rumänien - Anders als in Polen und Christen in rumänischen Gefängnissen, in welchen ich auch auf unsere Vorreiterrolle einging.
Menschenrechte war
das Publikationsorgan der, wie es sich später herausstellte, etwas
rechtslastigen Gesellschaft für Menschenrechte, der immerhin einige
bekannte Völkerrechtler angehörten wie mein späterer Lehrer Blumenwitz.
Zu dieser Gesellschaft hatte ich schon vor Jahren von Rumänien aus
Kontakt aufgenommen, ohne ihre ideologische Ausrichtung objektiv
einschätzen zu können. Als ich dann gedrängt wurde, über die politischen
Verfolgungen und religiösen Diskriminierungen zu berichten, beschrieb
ich die selbst erlebte Zeit von den Minenarbeiterstreiks im Schiltal bis
zur Niederschlagung der freien Gewerkschaftsbewegung SLOMR und der
angestrebten CMT-UNO-Klage sowie die religiöse Dissidenz vor allem der
neoprotestantischen Glaubensrichtungen. Aus dem Kontakt mit der späteren
Internationen Gesellschaft für Menschenrechte wurde mir ein Aspekt
bewusst, der auch heute noch präsent ist und manche Geister irritiert.
Ein Dissident, der ehemalige SLOMR-Begründer Ionel Cană aus Bukarest ist
ein Beispiel dafür, nutzt nahezu jede publizistische Plattform, um
seine Informationen, Ideen und Thesen bekannt zu machen, auch auf die
Gefahr hin, instrumentalisiert zu werden.
Später
folgten sechs ausführliche Interviews über die Entwicklung der
Opposition in Rumänien und über die Rolle des rumänischen Exils, die in
den folgenden Jahren in dem Publikationsorgan des Demokratischen Kreises
der Rumänen in Deutschland, in der von Ion Solacolu redigierten
Zeitschrift Dialog, erschienen. Der promovierte Chemieingenieur formte in dieser Zeit mit persönlichem Einsatz und mit spärlichsten Mitteln Dialog
zu einer der substantiellsten Exilzeitschriften in rumänischer Sprache.
Im Rahmen meiner Möglichkeiten half ich ihm dabei als Mitwirkender. Das
alles - bis hin zur angestrebten Klage in Genf - war weniger als der
berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber es war immerhin mehr als
nichts.
Nach
dem Abitur nahm ich in Erlangen ein Universitätsstudium auf mit dem
Ziel, im völkerrechtlichen Umfeld im Bereich der internationalen
Organisationen tätig zu werden, möglicherweise als Mitarbeiter des
Auswärtigen Amtes. Das Außenministerium hatte in schweren Zeiten nicht
nur Kollaborateure der Macht wie Ribbentropp geformt, sondern auch eine
Reihe von Widerständlern hervorgebracht. Vorbilder wie Trott zu Solz,
die mich genauso beeindruckten wie der schwedische Diplomat Raul
Wallenberg, der sich persönlich in Gefahr brachte und wohl auch opferte,
um unzählige Verfolgte zu retten. Ungeachtet zunehmender kultureller
Prioritäten und aufkommenden Überdrusses an politischen Dingen gab ich
das menschenrechtliche Engagement nie auf und machte weiter, solange ich
gebraucht wurde.
Dringend
gebraucht wurde ich seinerzeit als Zeitzeuge gerade in Genf, wo CMT und
UNO dabei waren, das zunehmend despotischer agierende Regime von
Präsident Ceauşescu dem Verdikt der Völkergemeinschaft zu unterwerfen.
Also musste ich in die schöne Stadt am See, wo mich ein Herr Ganea und
ein Monsieur Robert erwarteten. An dieser Stelle biss sich die Schlange
in den Schwanz. Finis tragoediae?
Das Gebäude der rumänischen Gauck-Behörde CNSAS
Das Gebäude der rumänischen Gauck-Behörde CNSAS
Von der Freiheit der Lüge -
Die UNO-Klage. Eine völkerrechtliche Disputation
„Nun,
Monsieur Robert, habe ich Ihnen diese lange Geschichte vorzutragen! So
habe ich die Dinge erlebt - aus der Sicht eines Dissidenten, der ein
Handelnder war, bevor er zum Schreiben kam. Nun hoffe ich, die
exponierten Fakten können dazu beitragen und der Confederation dabei
helfen, eine umfassende Materialsammlung zu erstellen, die den
Vereinigten Nationen zur Erstellung der Klageschrift vorgelegt werden
kann!“
Es
klang wie ein Schlussplädoyer in einem äußerst verfahrenen Verfahren.
Damit schloss ich und atmete entlastet auf. Uff - geschafft! Kurz darauf
klappte ich im Sessel zusammen wie ein Luftballon, aus dem das Gas
entweicht.
„Lassen Sie uns optimistisch bleiben“, lächelte der freundliche Herr aus Madagaskar ebenso erlöst, um dann zu betonen:
„Sie
haben uns nicht nur Fakten geliefert, die für sich sprechen. Sie haben
ferner manche Hintergründe erleuchtet, die auch mir, der ich die
Situation in jener Gegend der Welt überhaupt nicht kannte, einiges näher
brachten. Manches wurde so ausführlich geschildert, dass selbst
verdeckte Zusammenhänge erkennbar werden. Sie haben uns
Interpretationshilfen vermittelt, indem die unterschiedlichen ethischen
und völkerrechtlichen Aspekte der Materie beleuchtet wurden. Das ist uns
eine große Hilfe bei der Wertung. Ebenso ist die erörterte
Minderheitenproblematik, die auch bei uns in Afrika ein gewaltiges
Problem darstellt, hilfreich. Das stimmt mich zuversichtlich, was die
öffentliche Wirkung der Klage betrifft. Sie wird als solche schon ein Zeichen setzen.
Wir werden nunmehr alle Fakten zusammenstellen und sie der
Internationalen Organisation für Arbeit der Vereinten Nationen vorlegen.
Dann werden wir als Völkergemeinschaft die rumänische Regierung in
Bukarest offiziell mit den Vorwürfen, die substantiell sind,
konfrontieren - als Klage, als öffentliche Anklage, die jeder
Interessierte weltweit wird verfolgen können. Die Regierung in Bukarest
wird sich äußern müssen … Ceauşescu selbst wird Farbe bekennen müssen …
Die Entwicklungen in Polen legen es offen … Die Zeit der Parolen ist
endgültig vorbei. Ich glaube, wir dürfen zuversichtlich der Zukunft
entgegen sehen!“
Nach
diesem hoffnungsvollen Ausblick, den ich mit großer Genugtuung entgegen
nahm, verabschiedete ich mich von dem verständnisvollen Mitarbeiter,
der mir nun tagelang zugehört hatte, ohne meinen Redefluss entscheidend
zu hemmen. Zufriedenheit kam auf - bescheidener Lohn für mein
Engagement, eine Zufriedenheit nach erfüllter Mission, die den
Rückschlag von London wieder wettmachte.
In den letzten Tagen hatte ich tatsächlich erzählt wie Scheherezade in einem Märchen aus Tausend und einer Nacht;
nur war der Grund nicht Zeitvertreib und Unterhaltung des Zuhörenden,
sondern ein weitaus ernsthafterer. Der Eiserne Vorhang war nach wie vor
ein stabiler antiimperialistischer Schutzwall, der noch einige lange
Jahre bis zum Auftreten von Michael Gorbatschow als Staatschef der
Sowjetunion seinen Zweck erfüllte. In Polen brodelte es zwar immer noch
heftig und eine neue Freiheitsbewegung schien sich unaufhaltbar ihren
Weg bahnen zu wollen. In der Tschechoslowakei murrten die
Intellektuellen, doch in anderen Teilen Osteuropas herrschte noch
sibirischer Winter. Kadar, Schivkov, und Honecker befanden sich auf dem
Gipfel ihrer Macht - und in Rumänien regierte immer noch uneingeschränkt
der zunehmend seniler und realitätsfremder werdende Diktatur Ceauşescu.
Es
dauerte dann noch ein paar Monate bis CMT und die ILO der UNO die Klage
auf den Weg brachten und damit die selbstherrlichen Regierungsvertreter
in Bukarest wachrüttelten. Während ich meinen Studien nachging und
abwartete, nahmen die Mühlen der Bürokratie ihr Werk auf und mahlten
das, was schon gedroschen war. Nur mahlten sie zur Zeit des Kalten
Krieges langsamer.
Der Triumphbogen in Bukarest
Der Triumphbogen in Bukarest
Klage vor der Klage -
Diskreditierung, Diffamierung und Kriminalisierung
Wie
im zwischenmenschlichen Bereich gibt es auch im Zusammenleben der
Völker Prinzipien und Gesetze, an die sich alle halten müssen. Das ist
die Grundlage des internationalen Rechts, das man im Deutschen unter dem
Begriff Völkerrecht kennt.
Wer
im zivilisierten Konzert der Völker mitspielen will, wer bereit ist,
diese höhere Form der Ethik anzuerkennen und sich an die vorgegebenen
Maßstäbe und Spielregeln zu halten, wird Mitglied der Vereinten Nationen
und ihrer Organisationen und ratifiziert die entsprechenden Abkommen.
Das sozialistische Rumänien hat, wie andere totalitäre Staaten auch,
manches ratifiziert - und wenig eingehalten. Trotzdem wollte das Land
immer international gut dastehen und das schwer erworbene liberale Image
wahren. Der Schein wurde stets über das Sein gestellt.
Ceauşescu
selbst gefiel sich in der Rolle, ein Dissident im Lager der Kommunisten
zu sein, der selbstständig eigene Wege ging, ein Visionär, der sein
Land in eine glückliche Zukunft führt.
In
Wirklichkeit jedoch war er nur ein ehrgeiziger Machtpolitiker von
hervorstechender Mittelmäßigkeit in allem, was er tat. Da er nach außen
hin immer den Schein wahren wollte, war auf seinen Befehl hin alles zu
vermeiden, was das positive Erscheinungsbild des sozialistischen
Rumänien unter seiner Führung hätte stören können. Das war eine der
Leitlinien seiner Politik, die sich selbst schon in den Köpfen der
Sicherheitsorgane so festgesetzt hatte und die von diesen in Servilität
und vorauseilendem Gehorsam schon im Vorfeld erfüllt wurde.
Als man uns Gründern der Freien Gewerkschaftim Gerichtssaal von Temeschburg einen sprichwörtlich kurzen Prozess machte und uns wegen der Konstituierung einer Gruppemit anarchischem Charakterverurteilte,
war die eigentliche Bezeichnung in weiser Voraussicht bewusst vermieden
worden, weil man sich der völkerrechtlichen Implikationen sehr wohl
bewusst war. Was vermieden werden sollte, trat nun doch ein. Jetzt, zwei
Jahre nach unserer Verurteilung, war es soweit. Auf Ceauşescus
Regierung in Bukarest kam eine Klage zu, die von der Confederationvorbereitet und von den Vereinigten Nationen eingereicht wurde. Es war wohl die erste dieser Art in ganz Osteuropa!? Monsieur Robert und seine Mitarbeiter hatten innerhalb von einigen Wochen nach unserem Gespräch gute Arbeit geleistet.
Am 2. April 1981 machte die Brüsseler Tageszeitung La Libre Belgique in dem Bericht von Nicolette Franck unter dem Titel Rumänien unter Anklage vor seinem Gewerkschaftskongressdie anstehende UNO-Klage gegen Bukarest publik. Die
kritische Haltung der Confederation im Hinblick auf die Unterdrückung
der gewerkschaftlichen Freiheiten in Rumänien wird akzentuiert. Statt
eine Einladung zur Teilnahme am Kongress der offiziellen Gewerkschaft in
Bukarest anzunehmen, habe sich die Confederation entschlossen, eine
Klageschrift aufzusetzen und die Einhaltung der zugesagten
Vereinbarungen einzufordern.
Die
Confederation wartete noch den Verlauf des Kongresses in Bukarest ab.
Nachdem aber feststand, dass mit keinen neuen Erkenntnissen gerechnet
werden konnte, nahm dieser lange und mühsam vorbereitete Prozess seinen
Lauf. Die Klageschrift wurde der UNO-Unterorganisation International Labour Organisation, ILO, übergeben, die das Verfahren einleitete und die Regierung in Bukarest mit den Vorwürfen konfrontierte.
Es
begann eine langwierige und bürokratische Auseinandersetzung zwischen
der Völkergemeinschaft aus Genf und den totalitären Machthabern in
Bukarest, ein ewiges Hin und Her, eine unendliche Konfrontation von
These und Antithese fern von jeder Dialektik, die sich fast vier lange
Jahre hinzog. Wer unter den Sterblichen konnte da noch folgen?
Gelegentlich erhielt ich aus Genf einige Zwischenberichte, die nicht
viel mehr aussagten, als dass die Angelegenheit weiter verfolgt wurde,
Genf nicht locker lies und Bukarest sich massiv zur Wehr setzte.
Allmählich
steigerte sich die Klage dann doch zu einer Auseinandersetzung zwischen
zwei ideologisch entgegengesetzten Systemen, einem freiheitlichen und
einem diktatorischen, sowie zu einer Konfrontation von Paragraphen und
Interpretationen völkerrechtlicher Aspekte - oder kurz: Es war ein Kampf zwischen Wahrheit und Lüge, wobei die zynisch vorgetragenen Unwahrheiten aus Bukarest sogar noch schriftlich fixiert wurden und heute noch im Internet nachgelesen werden können.!
Wer
einmal lügt, dem glaubt man nicht, wenn er auch dann die Wahrheit
spricht! Solche Lebensweisen hatte man uns im Kindergarten eingehämmert,
als die ersten Grundsteine einer Ethik und Moral gelegt wurden. Was war
davon zu halten, wenn nun Regierungen frech logen und wider besseres
Wissen jede Wahrheit verdrehten?
Kommunismus-
das war freche die Lüge von Anfang an bis zum Niedergang, nur aus
Gründen des Machterhalts. So lange auch nur etwas von den Scheinbild
gewahrt werden konnte, sollte es gewahrt werden.
Die
politisch-juristische Auseinandersetzung zwischen der ILO der UNO und
der Regierung in Bukarest vollzog sich fern der Augen der Öffentlichkeit
in irgendwelchen Glaspalästen, ohne dass viel über den Fortgang der
Sache bekannt wurde. Das bürokratische Auf und Ab der Argumente
beschäftigte lediglich eine größere Anzahl von trägen Funktionären,
ferner hoch bezahlte Juristen, Beamte, Übersetzer bis hin zu
Geheimdienstaktivisten, die weitere Menschen schikanieren und
Informationen herbei karren mussten, um die Pseudoargumentationen, die
auch durch häufiges Wiederholen nicht wahrer wurden, untermauern zu
können. Selbst ich, der positive Kronzeuge der Klage,
erfuhr zum Fortgang des Verfahrens, das weiterhin mit meinem Namen
verknüpft war und mich hohen Sicherheitsrisiken aussetzte, in der
Folgezeit nur noch wenig.
In Bukarest
Die „so genannte Freie Gewerkschaft“ - eine Fiktion?
Der
Fall Nr. 1066 wurde am 10 Juli 1981 auf den Weg gebracht. Erst im Jahr
1984 lag mit der Veröffentlichung des Berichts Nr. 236, heute noch als
ILO-Dokumentation im Internet abrufbar, eine endgültige Bewertung der
Auseinandersetzung vor. Es war ein Resultat, wenn man es so bezeichnen will, das der makropolitischen Situation der Zeit entsprach - es war ein klassisches Remis. Die moralische Konfrontation gegensätzlicher Weltauffassungen endete so, wie sie begonnen hatte, mit einem Patt.
Jede Seite beharrte auf ihrer Position. Die Regierung in Bukarest stellte sich stur und negierte einfach alles. Damit
befand sie sich im Einklang und auf der Schiene des großen Führers
Ceauşescu, der inzwischen jeden Sinn für die Realität verloren hatte und
zunehmend zum Ultrastalinisten nordkoreanischer Prägung mumifizierte.
Jeder Hauch von Liberalität nach innen wie nach außen wich einem
retrograden Urkommunismus, der nicht mehr in die aufziehende Zeit von
Glasnost und Perestroika passte. Der sture Ceauşescu wurde für den
erst antretenden Gorbatschow zunehmend zum ernsten Problem. In dieser
verschärften Situation war es nahezu unmöglich, mit Rumänien vernünftig
zu kommunizieren. Die Regierenden schotteten sich ab und igelten sich
ein im Bewusstsein, in ihrer Souveränität vom Westen bedroht zu sein.
Die Realitätsfremdheit in allen Lebensbereichen wurde zum
zeitspezifischen Phänomen– auch über Rumänien hinaus von Berlin bis
Bukarest.
Das
Dokument mit den so genannten Antworten des Regimes ist ein
authentisches Zeugnis aus dieser Zeit und gleichzeitig ein
grotesk-absurder Beweis einer angewandten Vogel-Strauß-Politik nach dem
Motto: Alles, was nicht hätte sein dürfen, war nicht! In dem Papier wird
schlechthin alles geleugnet, was sich im oppositionellen Umfeld der
Arbeiterbewegung in den letzten Jahren ereignet hatte, beginnend mit dem
Minenarbeiterstreik im Schiltal, an dem viele Tausend Kumpel beteiligt
waren. Nach der Auffassung der Regierung hat es in Rumänien nie einen
Minenarbeiterstreik gegeben - und auch keine Freie Gewerkschaft.
Der Gründer dieser Bürgerbewegung in Bukarest, der Arzt Ionel Cană, sei wegen der Verbreitung faschistischer Propagandaverurteilt
worden, die meisten so genannten Sympathisanten der Gewerkschaft wären
frei erfunden oder wüssten nichts davon, andere seien gemeine Verbrecher
und gescheiterte Existenzen mit unsittlichem Lebenswandel, teils an
Alkoholvergiftung gestorben.
Der
offizielle Bericht der rumänischen Behörden beginnt mit einer breiten
Beschreibung des wirtschaftlichen Fortschritts im Land während der
letzten Jahrzehnte. Dann wird auf die alte Gewerkschaftstradition des
Landes verwiesen, die bis in das Jahr 1872 zurückreichen soll. Neunundneunzig Prozent aller Arbeiter, mehr als 7. 500. 000 Mitglieder, gehörten der offiziellen Gewerkschaft an,
die eigenständig sei und sogar Gesetze vorschlagen könne. Alle
formulierten Anschuldigungen beruhten auf missverständlichen,
irreführenden Angaben, die von Personen stammen, die nichts mit dem Land gemeinsam hätten.
Eine
dieser landesfeindlichen Personen machten sie in meiner Person aus. In
der Klagesschrift des Westens wird unter Punkt 96 die Regierung in
Bukarest aufgefordert, zu meinen Aussagen Stellung zu nehmen:
Im
Februar 1983 hat das Komitee die Regierung ebenfalls aufgefordert,
präzise Informationen über die Gründe der Verhaftung und Verurteilung
einer bestimmten Zahl genannter Personen in der Stadt Temeschburg
mitzuteilen, die an der Gründung der Freien Gewerkschaft Rumänischer
Arbeiter in jener Stadt beteiligt waren. Der Kläger hat später auch die
Namen und Anschriften anderer Gewerkschaftsanhänger in Temeschburg
mitgeteilt, aber die Regierung hat dem Komitee weder Informationen noch
Erklärungen als Antwort auf seine Anfrage zukommen lassen.“
Soweit die englische Textfassung. Da die Angelegenheit selbst heute von besonderer Brisanz ist und als zeitgeschichtliches Thema noch auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung wartet, stellt die UNO gleichzeitig auch eine französische und spanische Textfassung der Dokumentation bereit, damit nach Möglichkeit eine weltweite Rezeption und Differenzierung zwischen Wahrheit und Lüge stattfinden kann.
Ienei-Kirche, Bukarest
Ienei-Kirche, Bukarest
Verleumderischer Steckbrief und noch ausstehende Rehabilitation
Neben
meiner Person, die mehrfach und für längere Zeit in Genf präsent war
und konkret wie ausführlich über die Ereignisse aussagte, standen noch
eine Reihe weiterer Persönlichkeiten aus anderen Ländern Europas mit
ihrer gesamten Integrität und Verantwortung hinter der Klage und
verliehen ihr die notwendige Glaubwürdigkeit.
Darüber
hinaus hielt ich ein Urteil in der Hand, das Bände sprach; und bei
zusätzlichem Bedarf hätten noch zahlreiche weitere Zeugen, die Teil des
Geschehens waren und inzwischen im Westen lebten, befragt werden können.
Erwin lebte inzwischen in Freiburg, ebenso seine nahen Verwandten und
die so genannten Zeugen der damaligen Gerichtsverhandlung.
Deshalb musste die Regierung irgendwie ausweichend antworteten, um die Angelegenheit der Temeschburger Personen
mehr zu verschleiern als aufklären. Sie nannte mehrere der
Unterzeichner beim Namen, auch in diesem Werk namentlich nicht erwähnte
Personen, die sich nach dem Eintreffen im Bundesgebiet ins Privatleben
zurückzogen, ferner Erwin, Edgar, Wolf und mich und führte dann jede
Wahrheit verhöhnend aus: Die
Regierung stellt fest, dass diese Personen das Recht verlangt haben, in
Übersee zu leben, was in vielen Fällen auch gewährt worden sei. Sie
waren in keine Aktion verwickelt, die mit der so genannten Freien
Gewerkschaft verknüpft gewesen wäre.“
NachÜbersee wollte keiner von uns; außer vielleicht nach Übersee in Bayern!
Dann kommt die Regierung Ceauşescus auf mich zu sprechen und stellt lapidar fest: Die Kontakte, die diese Personen mit den Gerichten hatten, betrafen nicht Gewerkschaften, sondern das allgemeine Recht.
Carl
Gibsons Fall zeigt dies: seine Familie hatte das Land verlassen - und
bis zu dem Tag, wo er das Land legal verlassen durfte, musste er sich
wegen seines sozialen Verhaltens vor Gericht verantworten, das im
Gegensatz zu den rechtlichen Regeln stand (Versuche, illegal die
Landesgrenze zu überschreiten).
So konnte man gewisse Dinge auch interpretieren. Man negierte sie einfach nach dem Motto: Was nicht sein darf, war nicht!
Es gab also keine Freie Gewerkschaft in Rumänien! Weder in Bukarest, noch in Temeschburg!
Alles
Fiktion, alles phantasiebegabten Gehirnen entsprungen? Alles war somit
erstunken und erlogen! Und auch das, was ich künftig vielleicht noch zu
Papier bringen würde, war a priori romanhaft fiktiv, Literatur eben,
unwirkliche Realitätsverzerrung und Verunglimpfung eines souveränen
Staates!
Nach der Auffassung der Regierung in Bukarest hatte ich nur gegen geltendes Recht verstoßen!? Wohlan!
Weshalb verschonte die Diktatur gerade mich? Jeder rumänische Bürger, dem bereits versuchte Republikflucht
vorgeworfen werden konnte, landete umgehend für Jahre im Gefängnis! Mir
war nie ein Grenzübertrittsversuch vorgeworfen worden; nie wurde ich
dafür vor Gericht gezerrt oder gar verurteilt, obwohl ich an der Donau
aufgegriffen worden war. Versuche, hatte ich unternommen! Wie viele denn?
Nun
aber, wo ein Delikt formal gebraucht wurde, zauberten sie als
Rechtfertigung a posteriori ein Häschen aus dem Hut, weil es sonst
nichts gab, was man mir hätte vorwerfen können! Selbst die Lügen waren
dilettantisch aufgemacht!
Trotzdem,
die Sache ist ernst; denn neben der emotionalen Betroffenheit und der
ethischen ist da noch eine faktische, die existentielle Relevanz hat und
ins Auge gehen kann: Meine
Verleumdung durch Ceauşescus Handlanger ist auch heute, fast zwei
Jahrzehnte nach dem Sturz des Diktators, im Internet nachzulesen, ohne
gleich als Verleumdung erkannt zu werden - in drei Weltsprachen, einem
Steckbrief gleich, den man um die Welt schickt. Für Ceauşescus
Freunde in der Welt bin immer noch ich der Schurke - und deshalb in
anderen Einflusssphären weiterhin exponiert!
Da
die rumänische Regierung von heute das Unrecht von gestern noch nicht
aufgehoben hat, bin auch ich heute noch ein Vogelfreier - und meine
Mitstreiter sind es ebenso. Und dies, obwohl dreißig Jahre ins Land
gegangen sind und die Rumänen seit zwei Jahrzehnten den Weg in die
Demokratie einüben!
Unsere
Rehabilitierung, auf die ich mit Erwin immer noch hoffe, für die es
aber aus vielen pragmatischen wie moralischen Gründen noch keine
gesetzliche Grundlage gibt, steht auch noch aus. Schläft Präsident
Băsescu - oder will er und darf nicht?
Mahnmal für die Opfer der antikommunistischen Revolution von 1989
bzw.
Mahnmal, Detail -
der Sockel bröckelt wie die Erinnerung an die Helden der Revolution
Tragik und Opfer am Wegrand –
Klage nach der Klage
Auf
solche Weise und mit infamen Lügen aller Art reduzierten die
kommunistischen Machthaber in Bukarest die völkerrechtliche Disputation
zu einer Farce. Ceauşescu witterte überall nur Feinde, imperialistische
Kräfte, die sein Land destabilisieren wollten. Wir waren in seinen Augen
nur Agenten fremder Mächte, die das Zerstörungswerk der Amerikaner zu
erfüllen halfen.
Also
musste alles, was nicht sein durfte, konsequent negiert werden, auch
gegen jede Logik. Und jede objektive, vielfach verifizierbare Wahrheit
sollte als Lüge ausgelegt werden. Selbst in bestellten Machwerken
williger Ghostwriter, die es allerdings vermieden, auf jene Bereiche
einzugehen, wo die Beweislast erdrückend war - wie im Fall der hier
ausgiebig beschriebenen Freien Gewerkschaft in Temeschburg! Sie war keine Fiktion!
Diskreditierung,
Diffamierung und Kriminalisierung waren Teil des Systems. Wen wunderte
es, wo doch jedermann wusste, welche Werte im so genannten Reich des
Bösen die Tagespolitik bestimmten. Der Kalte Krieg tobte noch in den
Köpfen - und Michael Gorbatschow war noch nicht im Amt.
Wir
alle aus Temeschburg hatten in dieser Groteske noch Glück gehabt und
profitierten überproportional von der Vertuschungspolitik Ceauşescus,
der unseren speziellen Fall als deutsche Minderheitler mit einer
vielleicht schützenden Hand dahinter nicht an die große Glocke hängen
wollte. Deshalb wohl kamen wir mit einer nur halbjährigen Haft davon und
durften allesamt Rumänien verlassen.
Das
Wahren des Scheins rettete uns das Leben und versetzte uns in die
Freiheit, während genuine Rumänen aus dem Landesinneren für ganz
bescheidene Oppositionsinitiativen in der Folgezeit zu drakonischen
Haftstrafen von fünf bis zu zehn Jahren verurteilt wurden. In ihrem Fall
griff das Repressionsorgan Securitate hart durch und wütete nach allen
Regeln der Unterdrückungskunst.
Viele
Andersdenkende, die weniger bekannt oder ganz unbekannt waren,
verschwanden für lange Zeit in psychiatrischen Anstalten, Gefängnissen
oder kamen bei rätselhaften Unfällen ums Leben. Offizielle
Nachforschungen waren wie in jeder Diktatur illusorisch.
Andere
Dissidenten und Gewerkschaftssympathisanten wie Carmen Popescu und Nick
Dascălu scheiterten - mit dem Bestreiten des alltäglichen Lebens
beschäftigt oder aus sonstigen Gründen, die keiner ergründen wird,
weitgehend anonym in der Verbannung.
Zu
Nick Dascălu hatte ich 1981 noch Kontakt. Nachdem er New York erreicht
hatte, berichtete er in einer rumänischen Exilzeitung sehr umfassend
über die SLOMR-Gründungen in Bukarest und Temeschburg. Auf meine
Anregung hin teilte er auch der Confederation und über diese der UNO seine
Sicht der Gründungsabläufe mit, ferner alles, was er zusätzlich zu dem
Oppositionsthema wusste, um so die Klage faktisch weiter zu untermauern.
Dascălu blieb in New York noch einige Zeit aktiv und begründete dort im Exil ein Komitee der Wahrheit über Rumänien,
das vor allem die amerikanische Öffentlichkeit über
Menschenrechtsverletzungen unterrichten sollte. Doch dann verlor sich
plötzlich seine Spur in den Weiten Nordamerikas für immer. Auch er - ein
Opfer? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, denn das klanglose Abtauchen
entsprach weder seinem Wesen noch seinem Charakter.
Viele
aufrichtige Bürger, die ihre Gesellschaft verändern wollten, die
aufmuckten und über SLOMR gegen das totalitäre System ankämpften,
scheiterten in ihrem Aufruhr. Der Weg zur politischen und individuellen
Freiheit ist mit bekannten und unbekannten Opfern gepflastert. Das macht den tragischen Zug dieser - nicht nur in eigener Sache beschriebenen - Protestbewegung aus.
Das ZK der RKP - Machtzentrale der Kommunisten Ceausescus
Ein Signal -
Bilanz, Wertung und Konsequenzen der UNO-Klage aus heutiger Sicht
Nach
einigen Jahren des relativen Stillstands verlief die völkerrechtliche
Auseinandersetzung, in der ich nur eine Figur auf dem Schachbrett war,
nahezu im Sande, ohne konkrete, greifbare Ergebnisse. Die Klage, der
noch viel vom Geist des Kalten Krieges anhaftete, konnte die hohen
Erwartungen nicht ganz erfüllen, die wir Dissidenten in sie gesetzt
hatten.
Um
1984, als in Europa noch politische Eiszeit herrschte, verloren auch
wir Zeitzeugen sie gänzlich aus den Augen. Erst Jahre später, nach der
Veröffentlichung der Dokumentation im Internet, stellte ich fest, dass
mit einigen unserer Angaben nicht ganz sorgfältig umgegangen worden warund dass die Betreuer doch einige Zusammenhänge nicht voll erfasst hatten.
Gegen
große Resultate sprach die nach wie vor unveränderte makropolitische
Konstellation, die vom Kreml bestimmt wurde. Bewirkt hat die Klage aber
immerhin einiges für die inhaftierte Gewerkschaftsaktivisten, die zu
langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. In einem Artikel, den
ich seinerzeit in Ion Raţius Presseorgan in London veröffentlichte,
beantwortete ich die von der Gegeninformation der Securitate in den Raum
gestellte Frage, wo denn die freie Gewerkschaft geblieben sei, mit dem Hinweis, wir würden sie intakt vorfinden, wenn uns die Tore der Gefängnisse geöffnet würden.
Dank
der UNO-Klage gegen Bukarest öffneten sich einige Gefängnistore.
Prominente Gewerkschaftsgründer, unter ihnen vermutlich der Priester
Calciu-Dumitreasa, der Arzt Ionel Cană und der Ökonom Gheorghe
Braşoveanu, dessen Name auch auf dem Gründungsdokument des Komitees zur Verteidigung des Glaubens der
Baptisten auftauchte, wurden vorzeitig aus der Haft entlassen.
Vermutlich wussten die Betroffenen nichts von der Klage. Selbst in der
informierten Fachwelt wurde generell nur von internationalem Druck gesprochen, ohne genau differenzieren zu können, wie dieser Druck entstehen konnte.
Während der Klagezeit durften weitere Sympathisanten der freien Gewerkschaftsbewegung SLOMR in den Westen ausreisen. Die
Tatsache, mit meinem Engagement nochmals Menschen zu einem würdigen
Leben in Freiheit verholfen zu haben, tröstet mich auch heute noch.
Fortgesetzte Dissidenz machte also Sinn.
Darüber hinaus war die öffentliche Klage der UNO gegen eine der finstersten osteuropäische Diktaturen von immenser ideeller Bedeutung, denn sie war weitgehend einzigartig, hatte Präzedenzfallcharakter
und vermittelte -über die kleine Schar der Eingeweihten hinaus und tief
in den kommunistischen Machtbereich hinein eine deutliche Botschaft: Die
Kommunisten im Osten Europas mussten ab 1981 damit rechnen,
differenzierter beobachtet zu werden. Sie mussten wissen, dass nicht
alles, was in ihrem Machtbereich an Verbrechen geschah, auf immer
verborgen bleiben würde- und dass auch sie eines
Tages vor dem Gericht in Den Haag für ihre Taten zur Rechenschaft
gezogen werden konnten, gleich den NS-Schergen in Nürnberg!
Persönlich verbuchte ich die völkerrechtliche Auseinandersetzung als einen weiteren Sieg von Freiheit, Wahrheit und relativer Gerechtigkeit,
als einen ethischen Triumph und darüber hinaus als einen weiteren,
kleinen Schritt hin zur Auflösung der Starrheit zwischen den Blöcken.
Springbrunnen im Zentrum von Bukarest
Springbrunnen im Zentrum von Bukarest
Kurzer Abriss vorrevolutionärer Opposition seit 1979
Das Wort Freiheit darf nur selten verwendet werden.
Rolf Bossert über die Praktiken der inoffiziellen Zensur
„Wenn
du nicht schweigst, kommst du nach Dachau“ - das war schon zu Beginn
der 30er Jahre in Bayern zu hören, lange bevor die Nationalsozialisten
die Macht in Berlin übernommen hatten. Auch im Stalinismus behielt die
Aussage ihre Gültigkeit. Wer aufmuckte, wurde weggesperrt und für lange
Zeit mundtot gemacht. Dichter und Schriftsteller waren genauso betroffen
wie einfache Menschen, die nur ihre Meinung kundtaten.
Bis
zum Zusammenbruch der Diktatur im Winter 1989 war das kommunistische
Regime Rumäniens bestrebt, die eigene Bevölkerung von den politischen
Entwicklungen in Osteuropa seit Gorbatschows Machtantritt abzuschneiden.
Rumänien befand sich auf einem extremen Weg der Selbstisolation in die
so genannte Albanisierung. Trotzdem ging der Protest im Land weiter und
erfasste immer breitere Kreise der Gesellschaft bis hinein in die Reihen
der Nomenklatur.
Die
Formen des Widerstands und der Auflehnung waren vielfältig. Sie
reichten vom stillen Protest bis zur inszenierten Verzweiflungstat.
Antikommunistische Parolen heraus schreiend, soll sich Liviu Babeş
auf einer Skipiste bei Kronstadt - gleich Jan Palach in Prag -
angezündet und als leuchtende Fackel ins Tal gestürzt haben. Es war, wie
erst später bekannt wurde, ein individueller Akt der Rebellion, die Tat
eines Menschen, der an der Feigheit, der Lethargie und der politischen
Apathie seines Umfelds verzweifelte, nachdem sich seine Hoffnung, über
den Glauben dem Labyrinth entrinnen zu können, zerschlagen hatte. Sein
spektakulärer Protest verhallte. Kaum jemand vernahm etwas davon im
Westen.
Intellektuelle
wie Ana Blandiana, Doina Cornea, Mircea Dinescu und auch andere,
weniger bekannte Dichter und Schriftsteller wie Bujor Nedelcovici
versuchten weiterhin, an der Zensur vorbei ihre Werke zu
veröffentlichen; sie wurden aber eben von dieser Zensur massiv
ausgebremst. Statt sich der Auseinandersetzung mit der realen Gegenwart
zu stellen und diese anzuerkennen, wie sie war, versuchten die Zensoren,
die Schriftsteller zur Abänderung ihrer Sujets zu veranlassen und diese
so weit zu entschärfen, bis jede Ähnlichkeit mit der tatsächlichen
Realität verwischt war. Ion Caraion, der die meisten kritischen Dichter
persönlich gut kannte, hatte mir selbst Fälle geschildert, wo Romanciers
von Zensoren gezwungen worden waren, ihre Werke mehrfach zu
überarbeiten, solange, bis von den ursprünglichen Konzeptionen und Ideen
nicht mehr viel übrig blieb.
Ovid-Büste in Bukarest
Ovid-Büste in Bukarest
Freiheit und künstlerische Selbstbehauptung:
Ana Blandiana und Doina Cornea -
Dissidenz
und literarische Produktion waren kaum noch von einander zu trennen.
Bis in den Westen drangen jedoch nur wenige Namen durch; Ana Blandiana ist einer von ihnen.
Die
1982 mit dem Herder-Preis geehrte Dichterin wurde einem größeren
Publikum bekannt, als eines ihrer satirischen Poeme, das Ceauşescu als
Kater Arpagic karikiert, nahezu in alle großen Sprachen des Westens
übersetzt wurde. Mit ihren pamphletartigen Travestien wagte sie es als
eine der wenigen, den Diktator persönlich herauszufordern und seinen
Schergen vom allmächtigen Sicherheitsdienst zu trotzen.
Ana
Blandiana, die Tochter eines so genannten Volksfeindes, den man für
viele Jahre in stalinistische Kerker geworfen hatte, wurde unter dem
bürgerlichen Namen Otilia Valeria Coman in Temeschburg geboren. Ihr
Pseudonym geht auf den Ort Blandiana zurück, wo ihre Mutter herstammte.
Von sich selbst sagte die Dichterin, der es trotz massiver
Diskriminierung gelang, ein bedeutendes poetisches Oeuvre zu schaffen,
sie sei bereits als verbotene Dichterin bekannt gewesen, noch bevor man sie als eigentliche Dichterin kannte.
Nachdem
sie 1988 mit einem Publikationsverbot belegt worden war, gelang es ihr
erst nach der Revolution auch als Bürgerrechtlerin zu wirken. Sie
übernahm die Präsidentschaft der Akademie für bürgerliche Freiheiten und leitet auch heute noch das Memorial Sighet
- eine Gedenkstätte, die als ehemaliges Gefängnis für
Gesinnungshäftlinge an die Opfer des Stalinismus und Kommunismus in
Rumänien erinnert und heute als Ort der Begegnung und politischen
Bildung dient.
BeiDoina Cornea,
einer Philologieassistentin an der Universität Klausenburg, standen von
Anfang an Dissidenz und antikommunistische Opposition im Vordergrund.
Ihre gesellschaftskritischen Schriften verbreitete sie ab 1980 als
Samisdat, als kleine, selbst gefertigte Heftchen und Büchlein mit
originellen Ideen und ethischen Anregungen, die sie unter Freunden
verteilte und die dann weiter kursierten - bis in die Finger der
Sicherheit. Als Radio Freies Europa 1982 beim Ausstrahlen einer ihrer
kritischen Stellungnahmen versehentlich ihren richtigen Namen nannte, in
der Annahme es sei ein Pseudonym, begann für die damals Fünfzigjährige
ein Leben der Verfolgung, Stigmatisierung und vielfacher Leiden.
Während
unsere Klage gegen das totalitäre Regime in Bukarest gerade ihren Lauf
nahm und in der Hauptstadt minutiös analysiert wurde, um dann zynisch
beantwortet zu werden, wurde Doina Cornea systematisch verfolgt, arg
schikaniert und praktisch bis zum Sturz des Diktators unter Hausarrest
gestellt. Nur gelegentlich gelang es ihr die Isolation zu durchbrechen,
um sich dann, wie 1987 beim Aufruhr von Kronstadt, zusammen mit ihrem
Sohn auch physisch in die Schlacht zu werfen. Als in den Tagen
revolutionärer Auseinandersetzung in Klausenburg die Kugeln auf die
Straßen prasselten, war sie ebenfalls mittendrin. Während ihrer strammen
Dissidenz wurde die Französischassistentin, die de Gaulle bewunderte
und Frankreich sehr verbunden war, von der Französischen Botschaft in
Bukarest, mit der sie wöchentlich kommunizierte, förmlich beschützt. Der
heute noch im Internet abrufbare Bericht Rumänien: Dossier 666, den Mirel Bran in Le Monde veröffentlichte, fängt ihre Odyssee, deren Dimension erst nach der Öffnung der Akte deutlich wurde, treffend ein.
Doina
Corneas Fall ist symptomatisch. Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie
aus einem bewussten Staatsbürger, der sich kritisch mit seinem Umfeld
und dem politischen Regime auseinander setzt und an dieser Haltung
konsequent Jahre hindurch festhält, ein Dissident und Bürgerrechtler
wird.
Dank ihrer Initiativen entstand nach der Revolution das Antitotalitäre Demokratische Forum und andere Organisationen der Kultur und des sozialen Dialogs, die einzelne Strömungen der Opposition zur Demokratischen Konvention Rumänienszusammen
führten. Doina Cornea legte neben unzähligen journalistischen Beiträgen
auch einige Buchveröffentlichungen vor, unter anderen das 1990 in Paris
und Bukarest edierte Werk Freiheit?
Orthodoxe Kirche in Cotroceni, Bukarest
Orthodoxe Kirche in Cotroceni, Bukarest
Intellektuelle Distanzierung -
Tudoran und Tismăneanu
Vieles
an politischem Machtmissbrauch vollzog sich über den uneingeschränkt
agierenden Sicherheitsdienst im Verborgenen. Nur die Opfer nahmen
Kenntnis davon. Von der Dissidenz junger Dichter um Dan Petrescuin Iaşi, von Dorin Tudoran, Norman Manea und von dem Wirken des lange verfolgten Philosophen Constantin Noica, der ebenfalls viele Jahre seines Lebens in Kerkern verbracht hatte, erfuhr kaum jemand etwas.
Dorin Tudoran,
gleich Blandiana in Temeschburg geboren, Jahrgang 1945, war ein leiser
Dissident, ein sanfter Lyriker, der im stillen Kämmerlein seine Verse
zimmerte und auf eigene Weise an der heuchlerischen Umgebung litt. Als
er die Diskrepanz zwischen Schein und Wirklichkeit nicht mehr ertragen
konnte, entschloss er sich wie viele andere geistige Menschen zur
Ausreise und versuchte dann, vom Gefühl des leisen Verzweifelns
geleitet, mit der minderjährigen Tochter diesen Ausbruch in die Freiheit
zu forcieren. In seinem Sendschreiben an Staatschef Ceauşescu schrieb
Tudoran: Als
Schriftsteller, Bürger und Vater bin ich endgültig überzeugt davon,
dass zwischen meinem tiefsten Glauben an den Menschen und an seine
unverzichtbaren Rechte, an Freiheit und Demokratie, an Dialog und
Meinung, an Ehrlichkeit und Ethos, an Patriotismus und Opfergeist usw.
und den rumänischen Wirklichkeiten von heute eine unüberwindbare Kluft
besteht.
Ähnliches
hatte ich über Jahre selbst durchgemacht, von den gleichen Beweggründen
getrieben. Und viele Intellektuelle und weniger intellektuelle
Aufrichtige und wahrhaftig Fühlende sollten noch folgen. Nachdem ihm ein
Strafprozess angedroht wurde, trat der Poet, der immerhin bereits
mehrere Gedichtbände vorgelegt hatte, in einen Hungerstreik und erzwang
über diesen Protestakt die Ausreise in die Vereinigten Staaten.
Im amerikanischen Exil traf er auf den bereits 1981 geflohenen Vladimir Tismăneanu,
der dem Regime um Ceauşescu bewusst den Rücken gekehrt hatte, obwohl er
zu jener Gruppe Privilegierter im Land gehört hatte, zur Nomenklatur.
Als Sohn jüdischer Linksintellektueller, die im Spanienkrieg auf der
Seite der Antifaschisten gekämpft hatten, hätte Vladimir Tismăneanu, der
spätere Koordinator der Präsidentenkommission zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien,
durchaus in Ceauşescus Diktatur überleben können, wenn nicht auch er
von ideellen Wertvorstellungen geleitet worden wäre, die ihn gezielt auf
Distanz gehen ließen. Das Fehlen der Freiheit gerade im Denken wurde ihm, dem gleich nach dem Studium Kaltgestellten, irgendwann unerträglich: Ich
konnte die permanente Aggression gegen den freien Geist einfach nicht
mehr aushalten. Gleich anderen Kollegen und Freunden, hatte im Bezug auf
den grotesken Personenkult, auf die öffentliche und tatsächliche Lüge,
in der wir lebten, ich die Grenzen der Geduld erreicht. Wie ich in
meinem späteren Büchern festhielt, fragte ich mich immer wieder, weshalb
nicht auch wir einen Michnik, einen Havel oder einen Sacharow haben.
Grenzenlos bewunderte ich jene, die sich dem System widersetzten - und
ich bewundere sie immer noch; und ich kann es nur beklagen, dass es in
Rumänien keine kollektive Dissidentenbewegung gab. Es gab allerdings
Einzeldissidenten -und sie sollten ihrem Wert entsprechend geschätzt
werden, sagte er in einem Gespräch, im welchem er auf die Beweggründe seiner Flucht nach Amerika einging.
Die
These Tismăneanus von einer fehlenden Dissidentenbewegung, der ich als
drei Jahre lang aktiver Dissident in Rumänien schon aufgrund eigener
Erfahrungen widersprechen muss, verweist darauf, dass die dissidenten
Bewegungen im Land, allen voran die SLOMR-Bewegung noch nicht wirklich wissenschaftlich aufgearbeitet und analysiert wurden.
Die
Freie Gewerkschaft war keine reine Arbeiterbewegung, wie oft
angenommen, und wurde auch nicht, wie ebenfalls von Analytikern betont,
von Intellektuellen für die Arbeiterschaft konzipiert, sondern sie ist
darüber hinausgehend ein freier Zusammenschluss von Werktätigen aller Berufe und Arbeitsverhältnisse - und als freie Überorganisation verkörperte sie ein Sammelbecken für dissidente Strömungen aller Art, die einen Fokus suchten.
Das Fehlen einer prominenten Führungspersönlichkeit war nur ein kleiner
Nachteil, wie das Beispiel in der Danziger Werft beweist - Walesa war
kein Intellektueller! Die
SLOMR-Bewegung, die eindeutig organisierte und somit kollektive
Dissidenz verkörpert, scheiterte an den äußerst repressiven Bedingungen
der Diktatur in Rumänien. Im späteren Dialog mit Tismăneanu, der
geführt wurde, als die erste Fassung der Analyse bereits veröffentlicht
war, habe ich mehrfach darauf hingewiesen und Wert darauf gelegt, diese
Argumente in die Forschung einfließen zu lassen. Was davon noch in den Endberichtzur
Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien an präsentierten
Fakten und Interpretationen eingeflossen ist, in ein enges Kompendium,
das keine differenzierte Diskussion erlaubt, entzieht sich meiner
Kenntnis.
Norman Manea,
ein anderer Schriftsteller jüdischer Herkunft, der sich dem
Emigrationsdruck, dem die Juden wie die Deutschen im Land ausgesetzt
waren, nicht entziehen konnte, fand erst Gehör, als seine Bücher in den
Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden. Der Philosoph Noica hingegen,
der unbequeme Literat Caraion und andere wurden als ehemalige und
künftige Zuchthäusler diffamiert und geschnitten.
Auch
manche der nicht gerade linientreuen Dichter und Schriftsteller, die in
deutscher Sprache veröffentlichten, konnten sich den Schikanen des
Geheimdienstes nicht entziehen und wurden als unbequeme Zeitzeugen zum
Teil gegen ihren Willen aus dem Land gedrängt – selbst auch diejenigen,
die nur loyale Kritik üben und keine Dissidenten sein wollten!
Am Präsidentenpalast in Bukarest
Am Präsidentenpalast in Bukarest
Der Tod geht um -
Marin Preda, prominentestes Securitate-Opfer?
Ab
1980, zu einem Zeitpunkt, als ich kaum erst den Westen erreicht hatte,
kam es in rumänischen Schriftstellerkreisen zu rätselhaften Todesfällen.
Dan Deşliu,
ein ehemaliger Systemlobhudler, dessen Lobeshymnen auf die Partei ich
noch in meinen Schulbüchern ertragen musste, ein eindeutiger Profiteur
der kommunistischen Verhältnisse, durchlief in seiner letzten
Lebensphase ein Saulus-Paulus-Erlebnis und wandelte sich zu einem
Kritiker der einst verherrlichten Ideologie. Noch bevor er seine
Glaubwürdigkeit als Dissident begründen konnte, verstarb er nach einem
Verkehrsunfall. Ein Zufall? Man weiß es nicht genau.
DochMarin Preda,
ein über die Grenzen seines Landes hinaus bekannter Romancier, war das
wohl prominenteste Opfer. Er starb, vermutlich mit einem Kissen
erstickt, in einem Dichterrefugium im Palais Mogoşoia - wahrscheinlich
von Geheimdienstschergen ermordet, weil er ein Werk verfasst hatte, das
nicht mehr so ganz in die Welt des sozialistischen Realismus passen
wollte: Der geliebteste der Irdischen. War doch in diesem Werk eine bewusste Absetzung vom Titan der Titanen, vom allerliebsten Sohn des Vaterlandes, nicht zu verkennen. Schon der mutige Umgang mit einer Apposition, die nur dem Conducător - dem Führer vorbehalten
war, konnte selbst einem etablierten Schriftsteller zum Verhängnis
werden. Nach außen hin war Predas Abgang ein frei gewählter Tod, bedingt
durch Drogen und Alkohol. Ion Caraion, der selbst befürchtete, der
nächste auf der Exterminierungsliste zu sein, berichtete mir in Lausanne
von der Genese des Werks und verwies darauf, dass Preda, mit dem er
lange befreundet war, zahlreiche Passagen aus Caraions
Gefängnisaufenthalten in das Mammutwerk von weit über tausend Seiten
eingearbeitet hatte. Hatte nun Preda, der es in Delirium
schon gewagt hatte, ein Tabu zu berühren, seiner Unantastbarkeit
vertrauend wiederum unvorsichtig agiert? Oder handelte er nach langem
Überdruss und in innerer Dissidenz gleich Caraion und anderen -
letztendlich doch noch mutig? Die indirekte Rehabilitation von Marschall
Antonescu in dem Werk Delirium
hatte seinerzeit Moskau provoziert und auf den Plan gerufen. Mit
welcher Konsequenz? Viele Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Preda,
ein großes Talent unter den Romanciers der Gegenwart, nahm sein
Geheimnis mit ins Grab. Intellektuelle Courage war nicht immer
erfolgreich.
Ecce poeta! Mihai Eminescu-Büste vor dem Rumänischen Athenuäm in Bukarest
Der Mord an Gheorghe Ursu
Es
gab manche Opfer. Darunter viele unbekannte Namen. Im Jahr 1985, als
die Gesamtsituation in Rumänien zunehmend spürbar verfiel und das Leiden
weite Teile der Bevölkerung erfasste, wurde der rumänische Ingenieur
und Dichter Gheorghe Ursu in Securitate-Haft ermordet. Wer wusste etwas davon?
Ursu, der auch literarisch tätig war, hatte bis dahin kaum etwas veröffentlichen können - bis auf den Band Immer zu zweit, der von seiner Freundin Nina Cassian,
einer Dichterin jüdischer Herkunft, die zunächst als Proletkultistin
debütiert hatte, eingeleitet worden war. Nach der Verfolgung und
letztendlichen Ermordung ihres guten Bekannten im Gefängnis zog es Nina
Cassian, die auch als Komponistin hervorgetreten war, vor, von einer
Reise in die Vereinigten Staaten nicht mehr zurückzukehren.
Ursu, der Verfasser eines bis heute unauffindbaren intimen Journals,
war von einem systemloyalen Arbeitskollegen, der von seinem kritischen
Projekt wusste, verraten und an die Securitate ausgeliefert worden. Der
Schriftsteller Gheorghe Ursu starb schließlich an den Folgen einer
brutalen Tätlichkeit eines Mithäftlings, eines kriminell geworden
Securitate-Offiziers, die in der Calea Rahovei durchgeführt worden war -
genau an jenem Ort, wo ich einst die Konfrontation mit dem inkarnierten
Bösen hatte erleben müssen, ohne zu wissen, dass sich unter mir auch
noch Folterverliese befanden, wo Menschen zu Tode gemartert wurden.
Ausgleichende
Gerechtigkeit, die den toten Dichter aber nicht mehr wiedererwecken
konnte, kam erst spät - und dann nur halbherzig als letztendlich
verhöhnende Farce. Zwar wurden nach den vielfältigen Bemühungen der
Familie in den Jahren 1999 bis 2003 Gheorghe Ursus Mörder formal zu
zwanzig Jahren Gefängnishaft verurteilt. Doch diese Verurteilung, die
schon nach wenigen Jahren erledigt sein sollte, traf nur einen gemeinen
Verbrecher, den als Spitzel eingesetzten Mithäftling, der Ursu getreten
und tödlich verletzt hatte. Die eigentlichen Auftraggeber, mehrere bekannte Securitate-Offiziere höheren Rangs, kamen ungeschoren davon
– genau wie diejenigen, die später die Öffentlichkeit auf das
angebliche moralische Versagen eines Ion Caraion, eines toten Dichters,
lenkten.
Gegen
die vielen Schreibtischtäter aus den hohen Etagen der Securitate, die
in Ursu nur einen Routinefall sahen, an den sie sich nicht mehr erinnern
wollten, wurde nicht einmal Anklage erhoben. Das war
Vergangenheitsbewältigung neuester Art. Auch eine Petition führender Intellektuellen im Land, die einem moralischen Aufschrei gleichkommt, brachte keine Veränderung.
Mahnmal für die Opfer der antikommunistischen Revolution von 1989
Mahnmal für die Opfer der antikommunistischen Revolution von 1989
Die Weiße Rose von Bukarest -
individuelle und kollektive Protestaktionen
Nach
Ursus Tod ging der Protest weiter. Je mutiger die Menschen wurden und
je deutlicher sich die Lebensbedingungen der Menschen verschlechterten,
desto brutaler wurde die Vorgehensweise der Geheimpolizei und der
Justiz.
Als der junge Ingenieur Radu Filipescu
- vielleicht nach dem Vorbild der Geschwister Scholl und der Weißen
Rose - Anti-Ceauşescu-Flugblätter in die Briefkästen seiner Bukarester
Landsleute steckte und zum offenen Protest gegen die Diktatur aufrief,
wurde er dafür kurz darauf zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt.
Die Diktatur wehrte sich nun immer massiver und ließ radikal
durchgreifen. Jede auch noch so kleine oppositionelle Bewegung war mit
drakonischen Maßnahmen zu stoppen. Der Befehl dazu, der in unserem etwas
delikateren Fall noch die Empfehlung von Samthandschuhen nahe legte,
kam vermutlich von ganz oben.
Im
Jahr 1983, also zu einem Zeitpunkt, als das Regime in Bukarest sich
bereits gegen die in Genf auf den Weg gebrachte Klage öffentlich zur
Wehr setzen musste, gründete der Fernsehtechniker Dumitru Iuga zusammen mit sechs weiteren Jugendlichen die Organisation Bewegung für Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Im Verhältnis zur Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLMOR, die in weiten Teilen des Landes Verbreitung fand, war diese Bewegung für Freiheitsicher
nur eine kleine Gruppierung. Das Regime jedoch ahndete dieses erneute
Aufbegehren gleich mit dem zwanzigfachen unseres Strafmaßes, nämlich mit
zehn Jahren Haft.
Jeder
Widerstand musste um jeden Preis vermieden werden. Die Repression
verschärfte sich zunehmend. Während einzelne regimekritische
Intellektuelle das Land für immer verlassen mussten und Kunstschaffende
wie Doina Cornea, Ana Blandiana und Mircea Dinescu mundtot gemacht
wurden, griff der Protest allmählich auf die breite Arbeiterschaft über.
Im Jahr 1987 kam es anlässlich einer Lokalwahl zu einer großen Arbeiterkundgebung in dem Kronstädter Werk Steagul Rosu.
Bevor viele Dutzend Arbeiter verhaftet und die Rebellion
niedergeschlagen wurde, war es zu verheerenden Übergriffen auf
Einrichtungen der Partei gekommen- als Spontanreaktion der jahrelang
Hungernden und Darbenden und inzwischen zu Lumpenproletariern
reduzierten Menschen. Was daraufhin folgte, konnte selbst im Westen
nicht mehr ignoriert werden: die Revolution von Temeschburg, die den Anfang vom Ende der Diktatur einleitete.
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Dettelbach 2008, 418 Seiten
Weitere Bilder aus Bukarest:
Mihai Eminescu - poeta laureatus
Namen der Gefallenen - beim Sturz des Diktators Ceausescu
Antikommunistischer Bürgerrechtler Carl Gibson vor dem ehemaligen
Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei
Ienei-Kirche
Blick in eine orthodoxe Kirche in Bukarest
Blick auf das Athenäum vom Königsschloss aus
Blick auf ein kapitalistisches Bauwerk
Die alte Ienei-Kirche
In der Ienei-Kirche
Ienei-Kirche
Foto: Michael Blümel
Zwei Exilierte
Ein Parteigebäude im Diplomatenviertel
Casa Gorjara - ein rumänisches Spezialitätenrestaurant
mit traditionellem Ambiente
Wasserspiel
Die rumänische Trikolore
CEC-Gebäude (Bank)
Das städtische Krankenhaus in Bukarest
an der Dimbovita
Bibliotheksneubau
Mein Bericht in der "Siebenbürgischen Zeitung" nach dem Einblick in meine Securitate-Opfer Akte
Technologischer Fortschritt
Strom-, Telefon- und Internetleitungen
Kabelsalat
Foto: Michael Blümel
Gesicherte Baustelle.
Im Mittelalter warf man Leute ins Loch,
heute fallen sie selbst hinein.
Der ehemalige Königspalast - heute Kunstgalerie
Flohmarkt - hier findet man auch die Publikationen jener Schriftsteller deutscher Zunge,
die angeblich im Kommunismus verfolgt wurden.
Blick von Hotelzimmer aus auf eine sich wandelnde Architektur weg vom sozialistischen Einheits-Plattenbau hin zum Individuellen.
Fotos: Carl Gibson
Mehr zum Thema Kommunismus hier:
zur kommunistischen Diktatur in Rumänien -
über individuellen Widerstand in einem totalitären System.
im Februar 2013 erschienen.
Das Oeuvre ist nunmehr komplett.
Alle Rechte für das Gesamtwerk liegen bei Carl Gibson.
Eine Neuauflage des Gesamtwerks wird angestrebt.
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel
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