Sonntag, 26. April 2020

Der einsame Ovid in Verbannung in Tomis, am Schwarzen Meer, Vereinsamung und Melancholie im Spätwerk, in den Elegien „Tristia“[1] und in den Briefen „Epistulae ex Ponto“. Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung


Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.



Ovidius Naso in Verbannung in Tomis, am Schwarzen Meer – Vereinsamung und Melancholie im Spätwerk, in den Elegien „Tristia“[1] und in den Briefen „Epistulae ex Ponto“.



 


3. 1. „einsam lieg’ ich am Strande des äußersten Endes der Erde“ - Zur Einsamkeit verdammt am Ende der Welt: Ovids melancholische Dichtung vom Pontus.





Verbannung – ein Schreckenswort der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit. Die Namen wechseln, doch die Methode bleibt über Jahrtausende die gleiche. Sieht man einmal von der altgriechischen Ausnahme ab, potenzielle Usurpatoren und Feinde der Demokratie zum Schutz dieser von der Macht zu entfernen und ins Exil zu schicken, dann war „Verbannung“ fast immer das Mittel der Mächtigen, politische Rivalen und Andersdenkende los zu werden, sie zu isolieren, sie auszugrenzen, um so ihr geistiges und politisches Wirken zu unterbinden, es für viele Jahre unmöglich zu machen. Wer den Mächtigen gefährlich werden konnte, wurde nicht gleich exekutiert, von Meuchelmörderhand umgebracht, ins finstere Loch oder ins Gefängnis geworfen - nein, weitaus schlimmer: Er wurde der strafenden Einsamkeit überantwortet, dem unfreiwilligen Alleinsein, der Ausgrenzung und Stigmatisierung: Er wurde von seinen Wurzeln abgeschnitten, seines Umfelds und selbst seiner Familie beraubt, um zu leiden und um im Leiden in Einsamkeit, Vereinsamung und Verzweiflung gedemütigt und für immer gebrochen zu werden. Für diejenigen Individuen, die sich den Rückzug und das Leben in Einsamkeit nicht selbst aussuchten, wird die sonst segensreiche Einsamkeit zum Fluch. Das ihnen zwanghaft verordnete Refugium hingegen wird – selbst am Locus amoenus gelegen – zur Hölle.


Lange vor den gebannten gesalbten Häuptern des Mittelalters und zwangsexilierten Intellektuellen neuzeitlicher Diktaturen von links und rechts wurden viele hervorstechende Köpfe antiker Geschichte und Geistesgeschichte gezwungen, einen Teil ihres Lebens im unfreiwilligen Exil[2] zu verbringen. Dem Griechen Aristoteles blieb ein solches Schicksal ebenso wenig erspart wie den edlen Römern Cicero, Seneca – und Ovid. Tusculum, wo der einsame, doch längst nicht vereinsamte Cicero nach seinem eigentlichen Exil meditierte, war nicht allzu weit von Rom entfernt. Doch Tomis, wohin Ovid von Augustus verbannt worden war, weil diesem Ovids gut gemeinte Liebesanleitung in Versen, die „Ars Amatoria“, angeblich nicht recht gefallen wollte, lag am Ufer des Schwarzen Meeres, am Pontus Euxinus, also an der Grenze des zivilisierten Weltreiches der Römer zur Zeitenwende, am Ende der Welt. Dorthin verbannt zu sein und dort im fernen Exil, unter fremden Völkern nach langen Jahren leidvollen Ausharrens letztendlich sterben zu müssen, bedeutete Bestrafung, maximale Strafe.


Wenn Ovid am Ufer stand und mit müdem Blick die Brandung beobachtete, traurig wie jener vereinsamte Mönch am Meer im Gemälde von Caspar David Friedrich; wenn er auf die See hinaus starrte, in der Hoffnung, Kaiser Augustus könne sich doch noch erbarmen und ihn, den gefeierten Dichter der „Metamorphosen“, begnadigen und heimkehren lassen, erlebte er die Einsamkeit des Goldstrandes nicht mehr als Genuss, sondern nur noch als grenzenlose Vereinsamung, die sich bisweilen zur tiefen Melancholie steigerte. Der locus amoenus einer an sich idyllischen Natur wandelte sich unter Zwang und mangelnder Freiheit zum Schreckensort, zum locus terribilis, an welchem auch keine heitere Kunst entstehen konnte. Die Früchte dieser Zeit der Trauer und Verzweiflung sind die „Tristia“, einsame Elegien eines einst heiteren und lebensfrohen Dichters, der nunmehr als Verbannter fern der Heimat mehr verzweifelt als dem Schicksal ergeben auf den Tod wartet.


Tomis, heute eine Großstadt am Schwarzen Meer, Constanta geheißen, war zu Ovids Zeiten eine kleine Hafenstadt, die neben Histria und Calatis, bereits vor Jahrhunderten als Griechensiedlung gegründet worden war. Sie lag an der äußersten Grenze des Römischen Weltreiches, bereits jenseits eines imaginären Limes und damit jenseits der zivilisierten Welt. In jenen Gebieten lebten Daker, Geten und Sarmaten, Völker, die von Rom zu den Barbaren gezählt wurden. Das von Burebista gegründete Reich der Daker, einige Jahrzehnte vorher noch bis Makedonien reichend, war um 8 n. Chr., als Ovid den Schwarzmeerstrand erreichte, bereits zerfallen und Decebalus, der andere Führer der Daker, der Rom mehrfach militärisch trotzen sollte, war noch nicht einmal geboren. In jener entlegenen Ecke des Weltreiches sollte Ovid, der gefeierte Dichter Roms, für etwas büßen, was er nicht getan hatte - nicht viel anders als der Rhetor und Staatsmann Cicero vor ihm und der Stoiker Seneca nach ihm, weil es dem Imperator so gefiel. Augustus hatte wohl selbst den Verbannungsort ausgewählt und verfügt, dass der Dichter, der zudem vermutlich noch einiges gesehen hatte, was er besser nicht hätte sehen sollen, mit dem Schiff an jenen entlegenen Ort am Pontus brachte, wo kaum einer Lateinisch oder Griechisch sprach und wo selbst die Natur dem sensiblen Dichter feindselig entgegentrat. Ovid nahm sein Schicksal trotzdem an und ertrug es mit stoischer Souveränität bis zu seinem Tod am Verbannungsort. Doch er versank nicht in apathischer Melancholie und endgültiger Resignation, sondern er blieb kreativ und fügte seinem bereits bedeutenden poetischen Werk, von dessen Unsterblichkeit er selbst in den tristen Tagen am Pontus überzeugt blieb, zwei weitere Höhepunkte literarischen Schaffens hinzu: die „Tristia“ und die „Epistulae ex Ponto“.


Beide Gedicht-Bände sind herausragende Apologien seiner Existenz und seines Künstlertums; die Poeme rechtfertigen sein früheres Handeln, sein Leben und Leiden als Verbannter am fremden Meeresstrand; und beide Dichtungen sind zugleich einzigartige Zeugnisse erlebter Einsamkeit und antiker Melancholie-Erfahrung von unvergleichlicher, nie gekannter Intensität.


Im dritten Buch der „Lieder der Trauer“, die von den Tränen des Dichters getränkt sind, fängt Ovid die exponierte Leidsituation des zu Unrecht Verbannten ein, indem er sich als einen, von allen positiven Werten abgeschnittenen Einsamen darstellt, der physisch und psychisch angeschlagen kurz vor der Verzweiflung steht:


„Falls du vielleicht dich verwundern solltest, weshalb eines andren

Finger den Brief von mir schrieben, vernimm: ich war krank,

krank am äußersten Rand einer Welt, die mir nicht bekannt ist,

war ich verzweifelt beinah, ob ich noch würde gesund.

Kannst du dir denken, wie jetzt, da ich liege in grausiger Gegend,

zwischen den Geten es mir und den Sarmaten zumut?

Weder das Klima ertrag’ ich, noch schmeckt mir das hiesige Wasser,

und es missfällt auch das Land selbst mir, ich weiß nicht wieso;

kein geeignetes Haus noch Speise, die nützlich dem Kranken;

keiner erleichtert die Pein durch apollinische Kunst,

auch kein Freund ist da, der mich tröstet oder die träge

weitergleitende Zeit mir durch Erzählen vertreibt.

Müde liege ich so in der Ferne bei fremdesten Völkern:

jetzt, da ich leidend bin, spür’ ich, was alles mir fehlt;

alles zwar fällt mir dann ein, doch du, Frau, gehst über alles,

mehr als zur Hälfte gehört dir meines Herzens Bereich.“[3]


Der gefeierte Dichter von einst, fern von Rom, von allem abgeschnitten, verharrt allein in der Krankheit - Isolation und Deprivation werden ihm schmerzlich bewusst. Die Entlegenheit in der bedrohlichen, einschränkenden Eiswüste macht ihm zu schaffen. Er hat das Gefühl, tatsächlich am Ende der Welt angelangt zu sein; eine Empfindung, die ihm noch bewusster wird, je mehr er darüber nachdenkt. Dem großen Dichter Ovid fehlt vor allem das, was allen Einsamen aller Zeiten fehlt – die Geborgenheit an sich und in trauter Zweisamkeit, das vertraute Miteinander mit der zweiten Seelenhälfte, mit der Lebensgefährtin und Ehefrau, die in Rom zurückbleiben musste. Es wird nicht in seiner Macht stehen, diesen Zustand des Getrennt-leben-Müssens abzuändern. Er wird auch keine neue Beziehung eingehen. Und er wird sich unter den Einheimischen keine andere Frau suchen. Dem Poeta laureatus verbleibt nur das elegische Klagen, Anklagen und das Beklagen seines Daseins in Einsamkeit auf der Bahn in die Vereinsamung.

 Bild 2.

Am „Meer“

In den „Briefen“ (Epistulae ex Ponto) wird das Beklagen der Isolation erneuert und verstärkt, wobei Ovid eine moralische Wertung des Verbannungsortes einfließen lässt:

„Da ich indessen das Land entbehre, wo einst ich geboren,

glaubt’ ich, ein menschlicher Ort werde mein Aufenthalt sein:

einsam lieg’ ich am Strande des äußersten Endes der Erde,

wo der Boden bedeckt bleibt von beständigem Schnee;“[4]


Ovid klagt an. Er wird zum Zeitkritiker und tadelt, an die Römer in Rom gerichtet, auf Fürsprache und Rettung hoffend, die inhumane Verbannung als gängiges Mittel der Machtpolitik: Einen Menschen für längere Zeit seines vertrauten Umfelds, seiner Heimat zu berauben, ihn zu zwingen, in die Fremde zu gehen, eine seit dem Bestehen der griechischen Polis viel geübte Praxis, ist an sich schon unmenschlich. Noch inhumaner aber ist die Verbannung eines Geistes in die tatsächliche Wüste, an einen lebensfeindlichen Ort ohne Frieden, wo nicht nur Äpfel fehlen und süße Trauben, Weiden am Ufer und Eichen am Berghang, sondern auch die elementaren Lebensbedingungen wie Trinkwasser, ein festes Haus und die höheren Notwendigkeiten eines hochintellektuellen Menschen und Künstlers, die dieser zum seelischen Überleben braucht.

Ovid wird die in intensiver Klage formulierten Gedanken vielfach leitmotivisch wiederholen, er wird sie zur Anklage steigern und damit immer wieder auf sein ungerechtfertigtes und ungerechtes Leiden hinweisen. Fern von der Hauptstadt des Weltimperiums vermisst er vor allem die vertraute Sprache, das gepflegte Latein, die Möglichkeit der direkten Kommunikation, die gesamte Welt der Kunst, die geordnete Zivilisation, die manchen Qualen Linderung schafft, selbst in der Krankheit. Die Gegend ist ihm, dem mediterranen Menschen aus Mittelitalien, viel zu rau und abstoßend. Fast nur starres Eis und grimmige Kälte bestimmen sein Umfeld. Selbst die Menschen um ihn herum, mit denen er sich anfangs nicht unterhalten kann, deren Sprache er aber noch erlernen wird, erscheinen ihm fremd. Er vermisst die vertraute Ansprache des Intimfreundes, die gesellschaftliche Kommunikation auf dem Forum. Vor allem aber fehlt ihm, dem Liebenden, die ihm zugeneigte Gattin, es ist die dritte Frau, die – wohl als Teil, der perfiden Bestrafung – in Rom zurückbleiben musste. Der Liebesentzug steigert die Verbannung des Einsamen zum andauernden Marter- und Folterinstrument.


3. 2. Nemo propheta in patria?


Einsamkeit


Ich grüße dich, du traute Einsamkeit,

Du Stätte der Begeisterung und Weihe,

In Glück leb' ich und in Vergessenheit

Hier meiner Tage stille Reihe!

Ja dir gehör' ich nun, und wende mit Verachtung

Vom Lärm der Welt mich ab und beider Stille zu,

Dem Nichtsthun das sich paart mit sinniger Betrachtung

Der Eichenwälder Rauschen, der Felder heiler Ruh

Dein bin ich nun! und, o, wie gern vertausch' ich

Den Glanz der Stadt und ihre Festgelage

Mit deiner Fluren Pracht!


Puschkin,

aus dem Russischen von Friedrich Martin Bodenstedt.


Ovidius Naso, der hochsensible Poeta doctus, beklagt aus seinem Exil heraus auch immer wieder den Verlust des ideellen Wertes Heimat: „patria“ – ein Sammelbegriff für alles Wertvolle, was der verbannte Dichter in Rom zurücklassen musste. Zugleich befürchtet er, seine Grabstätte werde nicht im heimischen Grund anzutreffen sein.

Ovid steigert Klage und Anklage, stets mit Zuversicht, das Herz des entrückten Kaisers doch noch erweichen zu können. Er hofft auf Milde und Gnade, auf Barmherzigkeit und letztendliche Rettung, obwohl er weiß, dass Augustus, ein machtbewusster Despot seiner Zeit, wie fast alle Cäsaren vor und nach ihm in vielen Dingen willkürlich waltet und regiert, ohne Sinn für die Lamentationen eines exilierten Dichters, der sich ungerecht behandelt fühlt.

Wenn die Griechen einen ehrgeizigen Politiker, der nach der Macht griff, aus ihren Reihen entfernen und für eine Weile aus den Mauern der Stadt bannen wollten, beriefen sie ein Scherbengericht ein. In einem Ostrakismus-Verfahren auf dem Areopag, an welchem sich tausende Bürger beteiligen konnten, wurde dann plebiszitär-demokratisch über die direkte Meinungsäußerung im Einritzen eines Namens auf eine Tonscherbe darüber entschieden, ob ein Einzelner, der potenziell die Demokratie gefährdete und zur Tyrannis strebte, für einige Zeit ins Exil geschickt werden sollte oder nicht. War der politische Einfluss des Verbannten nach Jahren der Abwesenheit aus der Polis geschwunden, konnte er wieder ehrenhaft als Bürger in die Stadt oder in den Staat zurückkehren, seine Stellung einnehmen und wieder über sein temporär eingezogenes Vermögen verfügen.

Im Rom der Kaiserzeit hingegen entschied zeitweise nur eine Person, nämlich der diktatorisch agierende Cäsar selbst, wer zu gehen hatte, ob das, oft sehr substantielle, Vermögen des Stigmatisierten beschlagnahmt werden sollte und ob der Exilierte irgendwann heimkehren durfte. Der Entscheidungsakt verlief in solchen Fällen in der Regel pseudojuristisch, nach Gutdünken, von politischem Kalkül und persönlichen Launen des Despoten gesteuert, wobei sich auch die Würdigsten im Staat den böswilligen Unterstellungen von Berufsdenunzianten nicht entziehen konnten. Sowohl Cicero als auch Seneca mussten diese bitteren Erfahrungen machen, ebenso der mit Lorbeer bekränzte Ovid.

Cicero wird noch darüber klagen, dass selbst die Griechen das Mittelmaß kultivierten, indem sie, im blinden Vertrauen auf das Maß, auch jene „viri optimi“ verbannten, jene Charaktere, die, fern von jeder Hybris, nur kraft ihres natürlichen Wesens, ihres Wissens und ihrer Tugenden den Durchschnitt amorpher Massenindividuen überragten.

Der Gedanke, zu Unrecht zum Exil verdammt zu sein und in der fernen Fremde leiden und sterben zu müssen, wurmte und kränkte alle. Doch bei Ovid, dessen Verbannung nur eine milde „relegatio“ war, sollte offensichtlich in einem einmaligen Präzedenzfall ein abschreckendes Exempel statuiert werden. Denn offiziell wurde er für das Verfassen eines Werkes in die Einsamkeit der Wüste geschickt, dessen Edition bereits acht Jahre zurück lag – und dies von einem an sich verdienstvollen Kaiser, der sich paradoxerweise selbst nach einem Leben in Muße und Kontemplation sehnte.


3. 3. Kummer, „aegritudo“, „mania“, „melankolia“ in Ciceros „Disputationes Tusculanae“ - Bellerophon, der antike Einsame, Unbehauste; Einsamkeit und Melancholie in der mythisch-analytischen Zeitdiskussion.



Die beiden Stoiker und Eklektiker Cicero und Seneca haben Verbannung, Exilsituation und die daraus resultierenden Wechselwirkungen psychisch-geistiger Natur vielfach reflektiert, stets gestützt auf eigenes Erleben. Ovid geht ähnlich vor, rational-analytisch und poetisch zugleich. Da ihm noch mehr Zeit zur Verfügung steht als seinen nicht minder bekannten Landsleuten Cicero und Seneca, die als Schriftsteller primär eine kultivierte, wissenschaftlich fundierte Prosa pflegen, fällt Ovids Auseinandersetzung mit dem Leben in unfreiwilliger Einsamkeit umfangreicher aus, zugleich auch ungleich poetisch tiefer - in mächtigen Elegien, in welchen Vereinsamung und Melancholie als anthropologische Grundsituationen in vielfältigen Darstellungsvariationen Eingang finden.

Cicero jammerte bisweilen – nur ein Steinwurf von Rom entfernt – im beschaulichen Tusculum auch über das Menschenlos. Seneca, der deutlich schwerer Getroffene, immerhin mehr als sieben Jahre auf der Insel, die den noch berühmteren Korsen hervorbringen sollte, mitten im milden Mittelmeer. Doch Ovid, der Mensch des Südens, wurde in eine abgelegene Winterwelt verbannt, ausgestoßen, an den „Strande des äußersten Endes der Erde“, in barbarisches Hinterland mit lang anhaltender Kälte, Eis und Schnee; in eine ihm unbekannte, nebelverhangene, melancholische Landschaft, wo die Fische im Wasser des Hister, so nennt er die Donau, und des Pontus festfrieren, wo der Wein zu Blöcken erstarrt und wo die Menschen, mit dicken Tierfellen umhüllt gegen die grimmige Kälte sich wappnen, statt leicht geschürzt und in Sandalen durch die Gegend ziehen.

Ovids Umgebung am Schwarzen Meer war damals nicht – wie man es aus heutiger Sicht vielleicht vermuten würde – eine warme Urlaubslandschaft, sondern vielmehr eine unwirtliche, noch nicht erschlossene, fast lebensfeindliche Gegend, eine Eiswüste, in der ein aus dem Land der Skythen einfallender Nordwind regiert, ein frostiger Wind, der jedes Leben bedroht und alles zu Eis erstarren lässt. Der sonnenverwöhnte Südeuropäer Ovid aus dem Land, wo die Zitronen blühen, wird mit einer abweisenden, einer extrem lebensfeindlichen Umwelt konfrontiert, mit einer Aura der Negativität, zu der er als mediterraner Mensch nur eine permanente innere Abneigung entwickeln kann. Diese Aversion, diese geistige Diskrepanz zu seiner Außenwelt, die ihn immer wieder in die Isolation und Einsamkeit zurück wirft, kann Ovid nicht ablegen. Sie bleibt ein wesentlicher Grund seiner Klage:

„Darüber hinaus ist nichts als unbewohnbare Kälte:

ach, wie nachbarlich nah ist mir das Ende der Welt!

Fern aber ist mir die Heimat und fern die geliebte Gefährtin,

fern ist, was nach diesen zwein mir jemals lieb war und hold.“[5]


Der Appell der Stoiker, die eigene Geistigkeit in die Öde des Exils mit zu nehmen und sich mit Vernunft und Verstand in Rückbesinnung darauf stets neu zu entwerfen, eine Forderung, die Ovid im Ansatz bekannt ist, lässt sich nur bedingt umsetzen. Die tatsächlich erlebte Welt ist mächtiger als der philosophische Trost:

„Nie wird mein Vers einen Freund durch Nennung aus dem Verborgnen

ziehen: es liebe geheim mich, wer von je mich geliebt!

Dennoch wißt: wie entfernt auch das Land, wohin ich

entrückt ward,

werdet ihr allzeit doch nahe mir bleiben im Geist,

und, wie ein jeglicher kann, erleichtert irgend mein Unglück

und dem Vertriebenen entzieht nie eure helfende Hand.“[6]


Außer den Gütern des Geistes und des Herzens Besitz ist alles vergänglich. Eine Vanitas-Stimmung ergreift den Dichter, die seine innere Diskrepanz zur unerträglichen Umwelt, die er hinnehmen muss, noch steigert. Sein Leben im unfreiwilligen Exil an der Schwarzmeerküste wird von Kummer bestimmt, von einem Zustand, der schon bei den alten Griechen zu den schlimmsten Lebenslagen zählte.

Kummer, „aegritudo“, führt Cicero in seinem dritten Tusculum-Buch aus, wirkt noch verheerender auf die Psyche des Betroffenen als der Brand der Begierde oder die Angst. „Denn wenn jede Leidenschaft ein Elend ist, so ist der Kummer ein mörderisches. Die Begierde hat ihren Brand, die unmäßige Freude ihre Leichtfertigkeit, die Angst das Demütigende, aber der Kummer ein noch schwereres Leiden, Verfall, Qual, Niedergeschlagenheit und Verworfenheit. Er zerfetzt und zerfrißt die Seele und vernichtet sie ganz. Wenn wir ihn nicht beseitigen, so daß wir ganz frei von ihm werden, können wir vom Elend nicht wegkommen.“[7]

Mit dieser Beschreibung umschreibt Cicero eigentlich auch schon mittelbar die Seelenkrankheit Melancholie – in erstaunlicher Nähe zur mittelalterlichen, christlich bestimmten „Acedia“ – ohne dass der Römer dabei den - ihm wohl geläufigen Begriff der Griechenwelt „Melancholie“ (Schwarzgalligkeit) gebrauchen würde. Cicero vermeidet den Sammelbegriff Melancholie, in welchem mittelalterliche Geister den Urgrund aller seelischen Übel und Sünden sehen werden, weil er, wie weiter oben bereits betont wurde, dem vage umschriebenen Ausnahme-Fall nicht die Bedeutung beimisst, die ihm später Interpreten zuschrieben. Für ihn bleiben Melancholie und Manie Akzidenzien des Grundphänomens „Kummer“: „Woher die Griechen das Wort [mania –griech.] haben, kann ich nicht leicht sagen. Doch ihr Wesen unterscheiden wir besser als jene. Denn jenen Wahnsinn, der, mit der Torheit verbunden, weit verbreitet ist, unterscheiden wir vom Irrsinn. Die Griechen wollen dies auch, aber können es mit ihren Worten nicht genügend. Was wir Irrsinn nennen, nennen jene [melankolia].“[8]

Dass Ciceros Versuch einer Phänomen-Definition stark verkürzt ausfällt, ist möglicherweise auch auf die ihm wohl bekannte Positivwertung der Melancholie der Aristoteliker nach Aristoteles zurückzuführen, auf jene gern zitierte Passage, in welcher – fälschlicherweise - Genialität als die hervorstechende Eigenschaft des Melancholikers erscheint. Ist damit auch jedes Genie an sich schon ein Kranker?

Das Verharren im „Kummer“ führt, wie Cicero im gleichen Buch ausführt, zur Flucht in die falsche Einsamkeit, zum Rückzug in die Welt der Stille und Abgeschiedenheit, aber zum falschen Zeitpunkt, also zu einer Handlung, die das Leiden des Kummervollen noch verstärkt, statt es zu beheben - wie einst im Mythos beim vereinsamten Helden „Bellerophon“, den Cicero nach Homer zitiert: „Trauernd irrte der Unselige in den Aleischen Feldern, selbst sein eigenes Herz aufzehrend, die Spuren der Menschen meidend.“[9]

Dem genialen Ovid in Tomis am Schwarzen Meer ergeht es nicht viel besser als dem einsamen Melancholiker des antiken Mythos, jenem Paradigma des Sinnenden[10] im Schmerz. Muster und Motiv werden in den Faust-Gestalten[11] Goethes und Lenaus sowie in Franz Schuberts Vertonung von Wilhelm Müllers Lieder-Zyklus „Winterreise“[12] wieder zu neuem Leben erwachen.



3. 4. Psychosomatik



Auch er ist in seinem Elend gefangen. Die Folge seines Kummers sind psychosomatische Krankheitsprozesse, direkte Wechselwirkungen zwischen Psyche und Soma, der antiken Welt seit Hippokrates[13] und Aristoteles bekannt. Ovid, der kultivierte Römer, für den das griechische Erbe aus Geist und Kunst Pflichtlektüre war, merkt deutlich, wie er einer Krankheit verfällt; einer seelischen Verstimmung zunächst, dann einer richtigen Erkrankung der Seele mit eindeutigen Auswirkungen auch auf die körperliche Befindlichkeit. Die Symptomatik aufziehender Melancholie, der Anflug von Überdruss, Kraftlosigkeit, Apathie wird deutlich eingefangen. Der „Geist der Schwere“, von dem frühchristliche Eremiten ebenso wissen wie aufgeklärte Dichter der Neuzeit vom Format eines Nietzsche, überkommt den Elegiker, wirft ihn zurück und lähmt ihn für eine gewisse Zeit. Trotzdem bäumt der Poet sich noch auf, reflektiert seine Leidsituation und dokumentiert das Erfahrene in Versen. Da ihm unter Geten und Sarmaten philosophische Kommunikationspartner fehlen, verbalisiert Ovid seine Lage über die strenge Kunst, einzelne Symptome des psychosomatischen Wechselprozesses poetisch festhaltend:

„Weder Gewässer noch Himmel noch Luft noch Erde ertrag’ ich:

weh mir, beständig hält Schwäche den Körper in Bann!

Ob nun mein krankes Gemüt sich mir schwer auf die Glieder

gelegt hat,

ob es die Gegend ist, die mich so elend gemacht,

seit ich zum Pontus gekommen, verfolgen mich Träume, ich

bin nur

Haut und Knochen, es schmeckt keinerlei Speise mir mehr,

und auch die Farbe, mit welcher der Herbst bei beginnender

Kühle

all die Blätter durchdringt, die schon der Winter versehrt,

hält meine Glieder gepackt, und ich kann mich nicht wieder erholen:

Grund zu kläglicher Pein habe ich immer genug.

Besser nicht geht’s meinem Geist als dem Körper, sondern

erkrankt sind

alle beide, und so duld’ ich verdoppeltes Weh;

nimmer verlässt mich auch und gleichsam leibhaft vor Augen,

könnte man sagen, erscheint mir meines Schicksals Gestalt:

wenn ich den Ort dann, die Sitten, die Bildung und Sprache

der Menschen

ansehn muß und mir fällt ein, was ich bin, was ich war,

sehn’ ich mich so nach dem Tod, daß ich zürne der Rache des Kaisers,

weil er nicht mit dem Schwert mich für die Kränkung

bestraft;

doch, da er nun einmal im Haß sich milde erwiesen,

nehme ein Wechsel des Orts meiner Verbannung die Qual!“[14]


Wenn Seneca in dem Trostschreiben an seine Mutter vom Wechsel des Ortes spricht, ist das eine bewusst untertriebene, euphemistische Umschreibung des Exils. Ovid, der Leidende, hingegen hofft, ihm werde ein anderer Ortswechsel die erlösende Heimkehr bescheren. Nur die Hoffnung auf Milde und Vergebung lässt ihn die Todessehnsucht überwinden und im Leben bleiben.

Erstaunlich ist, wie genau Ovid, der hier mit dem Gegensatz Körper – Geist, corpore und mens, operiert, wobei das Seelisch-Geistige eine Einheit bildet, die an sich selbst beobachteten, seelisch-körperlichen Zusammenhänge erkennt und bestimmt. Mit den Erkenntnissen der antiken Medizin seit Hippokrates vertraut, spricht er klarsichtig von seinem kranken Gemüt, von seinen Alpträumen, die ihn seit seiner Ankunft verfolgen, von seinen psychischen Leiden, die eine körperliche und geistige Versteifung, Lähmung und Schwächung nach sich ziehen. Appetitlosigkeit stellt sich ein, gefolgt von physischen Schmerzen wie brennendes Seitenstechen.

Mit dem seelischen Niedergang erschlaffen daraufhin auch die Muskeln des gesunden Körpers. Hinter dem seelisch-körperlichen Verfall deutet sich nach einiger Zeit schließlich auch ein nicht zu ignorierender Identitätsverfall an – was ich bin, was ich war – eine bedrohliche Entwicklung, die Ovid jedoch kraft seiner starken Persönlichkeit aufzufangen weiß, indem er wieder agiert und schöpferisch tätig wird.

Ovid, der Seelenkranke, verharrt immer wieder an der Grenze zur Melancholie und taucht gelegentlich schon in sie ein. Wenn die Schwarze Galle im menschlichen Körper zunahm und das Gefüge der Säfte durcheinander brachte, kam es - nach der Auffassung der Griechen - zu einem Ausbruch der Melancholie, zu depressiven wie manischen Zuständen. Die von Ovid an sich selbst beobachteten Symptome der Seelenkrankheit wie Ruhelosigkeit, die ungesunde Gelbverfärbung der Haut, die nahende Verzweiflung verweisen auf sein Ringen mit der Melancholie.


 Bild 3.

Ovid-Büste in Bukarest

Aber der Poet wird über sein Leiden triumphieren, indem er trotz allem aktiv bleibt und agiert. Ovidius Naso wird versuchen, in kurzer Zeit das Getische zu erlernen und selbst in der Landesprache der Daker zu dichten, wo ihm doch bekannt war, dass auch der König der Geten Verse verfasste. Das Festhalten an seiner Dichtkunst und der Glaube an ihre Fortdauer über die Zeiten werden ihm helfen, die psychischen und somatischen Beschwerden zu überwinden – und somit auch die Heimsuchungen der düsteren Melancholie.


3. 5. Das „Schwarze Meer“ und „Tomis“ – antike Unort(e)?



Faktisch ist es die Arbeit an den Trauerliedern und an den Briefen vom Schwarzen Meer, die ihn im Leben hält. Und dabei hätte Ovid es viel einfacher haben können, wenn er sich denn früher in Rom gegen die Kunst und für ein konventionelles Leben, verbunden mit einer politischen Laufbahn, entschieden hätte. Ihm, dem von Haus aus vermögenden Angehörigen des Ritterstandes, wäre das Amt eines Senators sicher gewesen. Die Entscheidung für die freie Geistesentfaltung über die Kunst aber bewirkte das Gegenteil. Sie machte aus ihm, dem gefeierten Dichter einer großen Nation, einen unglücklichen Verbannten am fernen, gelben Meeresstrand, einen melancholischen Bellerophon der Römer, dem nur noch die Freiheit verbleibt, dichtend zu klagen.

Wohin der Poet auch blickt, umgeben ihn Zeichen von Bedrohung und Gefahr. Dieses Meer, von anderen als das freundliche und gastliche gepriesen, erscheint ihm, dem am Mittelmeer Aufgewachsenen, diesmal ins Negative transponiert – „Pontus Euxinus falso nomine dictus“, stellt er fest. Das „Gastliche Meer“ ist es nicht.

Ovid wird nicht müde das Gegenteil zu betonen: Es ist vielmehr das dunkle und schwarze Gewässer, das in seiner negativen Ausstrahlung der schwarzen Galle der Melancholie nahe kommt. Angstvoll, von Stürmen bedroht, war er her gerudert worden. Verzweifelt suchend rannte er später im Hafen von Tomis umher in der Hoffnung, einen Schiffer zu treffen, mit dem er lateinisch oder griechisch reden konnte oder gar einen Landsmann aus dem fernen Italien, der ihm Kunde davon brachte, ob das aufrührerische Germanien seine Hauptstadt Rom bereits unterworfen hat. Doch die Hafenstadt enttäuscht ihn zunächst nur noch wie das schwarze, die Melancholie stimulierende, Meer.

Tomis – ein Unort? Ein unseliger Ort des Verderbens? Ein verfluchter Ort ohne Glück, Hoffnung und Geborgenheit? Ein mythisch belasteter Ort, an dem nichts Gutes entstehen kann? So etwa fühlt es Ovid. Ein alter Mythos verweist darauf. Als wohl bester Mythenkenner seiner Epoche besinnt sich Ovid auf die Geschichte von Medea, die einst, vor der Rache des Vaters fliehend, an den Ort, wo Tomis begründet wurde, geschifft worden sein soll. Als der rächende Vater ihr folgte, soll sie, das Schwert in die Brust ihres anwesenden Bruders gebohrt, diesen darauf hin zerstückelt und die Leichenteile auf den Feldern verteilt haben, um so den trauernden Vater von seiner Rache-Tat abzulenken. Deshalb heiße Tomis Zerstückelung. Ein böses Omen - denn ein vom Fluch belasteter Unort bringt nichts Segenreiches hervor.

Die Griechenkolonie Tomis am Schwarzen Meer steigert sich im Empfinden des vorbelasteten Ovid zum locus terribilis, zur Brutstätte von Einsamkeit und Melancholie – zum locus horrios, zum schaurigen Ort, zum Schreckensort, wo kein Genius loci wirkt und waltet, sondern der Schrecken selbst: „mitius exilium faciunt loca: tristior ista terra sub ambulos non iacet ulla polis.“[15] - Kein traurigeres Land unter der Sonne als dieses.

Die eisige Welt des Saturn, der die Melancholie der Renaissancegenies wachrütteln wird, umgibt bereits jetzt den römischen Dichter. Er hat das Gefühl, alles, das gesamte Leben um ihn herum, sei vor Kälte erstarrt. Er müsse, fern der Sonne, im unendlichen Winter leben, dort, wo der scharfe Nordwind regiert. Wenn der nachsinnende Ovid sich dann bewusst macht, was er alles hinter sich lassen musste, was er, wahrscheinlich für immer, verlor, die liebende Gefährtin, gute Freunde, Achtung, Ehre, Ruhm und mit allem die Geborgenheit der Heimat, kommt ein Gefühl besonderer Verlassenheit auf; eine prometheische Verlassenheit im Dauerschmerz, die noch über den leiblichen Tod hinaus zu reichen scheint. Sein Exil empfindet der sensible Geist als eine ganz extreme Form unfreiwilliger Einsamkeit.

Dem Verbannten bleibt nur die Klage über den kontinuierlich erlebten Schmerz und die Hoffnung auf geistig-metaphysische Kompensation. In patria, im heimischen Grund will Ovid wenigstens begraben liegen. Zumindest seine Asche soll, nachdem sich Geist und Seele in höhere Sphären erhoben haben, in der Heimat ruhen und damit das endgültige Verbannt-Sein nach dem Tode aufheben. Von diesem Trost getragen, erleidet er seine exponierte Situation als Verbannter und Zwangsexilierter mit einem gewissen fatalistischen Heroismus in einem stoischen Amor fati – ohne zu resignieren mit dem Bewusstsein eines Dichters von Weltformat, der den eigenen Wert kennt und der sich unerschütterlich mit einer gewissen elegischen Ironie über das von Willkür bestimmte Schicksal erhebt.

Für seinen späteren Grabstein, von dem er hofft, dass er – ganz im Geiste antiker Bestattungstradition – in der Heimat stehen werde, entwirft er die epigrammatischen Worte:


„DER ICH HIER LIEGE, EIN SÄNGER DER ZÄRTLICHEN LIEBESGEFÜHLE,

DURCH MEIN TALENT GING ICH, NASO, DER DICHTER, ZUGRUND.

DER DU VORBEIKOMMST, LIEBTEST DU JE, SO MÖGEST DU GERNE SAGEN:

SANFT IN DER GRUFT RUHEN SOLL NASOS GEBEIN!“[16]



Es folgt der selbstbewusste Zusatz:

„Dies als Grabschrift genügt; denn ein größeres Denkmal von

längrer

Dauer werden für mich all meine Bücher sein;

Diese, so glaub ich, werden, wieviel sie auch schadeten, ihrem

Schöpfer künftigen Ruhm schenken und langen Bestand.“[17]


Wie wahr, wie wahr! Der Nachruhm war abzusehen – ein Oeuvre von weltgeschichtlichem Format war bereits geschaffen! Trotzdem hadert der Exilierte immer noch still mit der Ursache seiner ungerechten Verbannung. Ovid hatte nach bestem Wissen und Gewissen die „Ars amatoria“ gedichtet: Ein Buch für Liebende, mit besten Absichten und fern von dem Gedanken, die Sitten Roms gefährden oder schwächen zu wollen.

Die Sittlichkeit Roms – welch ein Hohn! Selbst vor Caligula und Nero waren die Römer kein Volk von Traurigkeit und alles andere als streng. Ovid bekennt sich schuldig, der Autor jener Dichtung zu sein – und der Metamorphosen; doch er lehnt es stets ab, darin ein Verbrechen zu sehen, wie dies Kaiser Augustus in seiner Wertung tat, als er ihn aus der Heimat verwies. Ovids Anklage geht über das Leben hinaus. Er sieht sich als Opfer, als tragisches Opfer, dessen Schuld nur darin bestand, Talent besessen zu haben – keine Talente! Die Unerschütterlichkeit des Weisen, der standhaft Unrecht zu erdulden weiß und sich des eigenen Wertes bewusst seiend über die Dinge erhebt, eine philosophische Haltung, die Seneca aus eigener Erfahrung aber auch in Kenntnis von Ovids Schicksal kaum zwei Jahrzehnte später formulieren wird, entspricht nicht Ovids Haltung. Er hält den Vorwurf aufrecht – für die Nachgeborenen, vielleicht in der Hoffnung, seinem Leiden dadurch einen höheren zu Sinn zu geben. Im gleichen Atemzug appelliert er aber an die Solidarität aller Liebenden, für die er stellvertretend, als einer von ihnen gehandelt hat, als er die Bücher der Ars amatoria verfasste. Vor allem von den Liebenden erhofft er Anteilnahme und Verständnis.


3. 6. Künstlerisches Schaffen in Einsamkeit an sich und als Selbsttherapie



In späteren Jahrhunderten, vor allem beginnend mit Petrarca, wird die selbst gewählte, die freiwillig begründete Einsamkeit zum Schaffen eines Kunstwerks eingesetzt. Sie wird zur Schaffensbedingung sowohl für das klare, folgerichtige Denken wie für das besondere Kunstwerk in Musik, Malerei, Bildhauerei und Literatur.

Ovid nimmt diese segensreiche Entwicklung bereits vorweg, indem er die zwanghaft herbei geführte Einsamkeit-Situation zum gleichen Zweck umfunktioniert. Wie kaum ein anderer vor und nach ihm nutzt er die bittere Lage des Exils mit all ihren Unzulänglichkeiten, um künstlerisch kreativ zu sein, um zu agieren und über das zu schaffende Kunstwerk die Leidsituation zu überwinden. Der Schaffensprozess rückt in den Vordergrund und erhebt sich auf eine Ebene zum Kunstwerk selbst, das Selbstzweck ist und gleichzeitig auch nur Mittel zum Zweck. Die besondere Entstehungssituation führt zu dieser sehr seltenen Wertigkeit. Eines wird das andere bedingen. Der Antrieb des Ganzen ist jedoch der starke, produktive Wille, über das sinnsetzende Schaffen und das Werk, das zurückbleibt, letztendlich auch die Seelenkrankheit zu besiegen.

Ovid weiß genug von Melancholie und den mitschwingenden, körperlich-seelischen Wechselbeziehungen, um das Seelenleiden, das ihn befallen hat, eindeutig als Krankheit zu identifizieren. Mehrfach verweist er darauf:

Denn am Gemüt erkrankt, übertrug ich das Weh auf den Körper,

daß nur ja nicht ein Teil frei von der Peinigung bleibt.

Viele Tage hindurch hab’ ich brennenden Schmerz in der Seite,

die mir des Winters Wut sehrte mit grimmigem Frost.“[18]


Der Niedergang wird ihm bewusst, und der sensible, fast hypochondrisch sich selbst beobachtende Dichter fühlt, wie die kranke Seele den Körper mehr und mehr hinab zieht. Eine das kreative, künstlerische Schaffen beeinträchtigende, körperliche Schwäche verweist auf den drohenden Tod in der Einsamkeit des Exils am Pontus.

„Glaubt mir, es geht zu Ende; mich lässt mein entkräfteter

Körper

ahnen: nur wenige Frist dauert mein Leiden noch an.

Hab’ ich doch weder die Kraft noch die Farbe, die früher

gewesen:

kaum eine magere Haut hüllt meine Knochen noch ein.

Aber im krankenden Leib ist ein kränkerer Geist: unaufhörlich

steht er in seines Geschicks düstre Betrachtung versenkt.“[19]


Der medizinische Grundsatz der Alten, mens sana in corpore sano, steht somit auf dem Kopf. Trefflicher kann es Ovid kaum noch ausdrücken: die kranke Seele macht auch den Körper krank. Das psychische Leiden geht dem somatischen voraus. Dieser Prozess, den kein geringerer als der große Michelangelo Buonarroti[20] im verwandten Lamento-Stil aufnehmen und in einer – unten vollständig zitierten - misanthropischen Selbstreflektion in Versen verewigen wird, ist heute nicht anders. In dieser Situation des allgemeinen Niedergangs stürzt sich der Dichter, der sich krankheitsbedingt mehr und mehr zum Melancholiker wandelt, auf die sinnsetzende Kunst. Er bäumt sich wieder auf und nützt die selbst geschaffene Poesie als Therapeutikum, um über das zu entstehende Kunstwerk Melancholie und körperlichen Verfall zu besiegen.

Die Weisheit ist, nach Cicero, die Gesundheit der Seele, während die Torheit, die man auch Wahnsinn und Verrücktheit nennt oder missverständlich verkürzt auch Melancholie, ihre Krankheit verkörpert. Doch wie der Weise sich selbst hilft, die Philosophie als Universalheilmittel einsetzend, so mobilisiert Ovid die geistigen und seelischen Widerstandskräfte des Organismus, indem er ungeachtet aller Leiden positiv denkt und gleichzeitig künstlerisch handelt.

Neu ist: Das Exil in Einsamkeit diktiert auch den Stil. Was früher in der „Ars amatoria“ und in den „Metamorphosen“ noch zuversichtlich, heiter, ja humoresk vergnügt klang, wird nunmehr ins Traurige transponiert: Aus Dur wird Moll. Das Charakteristikum der „Tristia“ – das sind tiefe Tristesse, Skepsis, Pessimismus, ja Nihilismus und Melancholie. Die typische elegische Grund-Gestimmtheit jener Tage beeinträchtigt das entstehende Kunstwerk zwar, sie hemmt den Fluss der Gedanken und vielleicht auch die Genialität des Ausdrucks, aber sie verhindert die Dichtung nicht vollkommen: Die Poeme der „Tristia“- Sammlung entstehen trotzdem – im Amor fati und gleichzeitig in heroischer Auflehnung gegen das ungerechte Schicksal:

„Ich suche, wie ich nur kann, im Gedicht Trost für mein trauriges Los;

ist hier auch keiner, um ihm zu Gehör meine Verse zu bringen“[21] .

Wie das Wasser in Bewegung bleiben muss, um nicht zu verderben, kommt es darauf an, weiter zu dichten und dadurch konstruktiv kreativ tätig zu sein. Es gilt, der lähmenden Langeweile und dem Nichtstun das schöpferische Schaffen entgegen zu stellen, den positiven Akt des Handelns:

„Darum, weil ich noch lebe und trete entgegen der Drangsal,

weil mich des Lebens Verdruß doch nicht mit Ekel erfüllt,

sag‘ ich, Muse, dir Dank: denn du hast Trost mir geboten,

du, die mir Ruh’ in der Qual, du, die mir Linderung bringt!“[22]


Die Arbeit am Kunstwerk, das konkrete Dichten in gepflegtestem Latein, von dem er befürchtet, es könne durch das barbarische Umfeld Schaden nehmen, der Umgang mit dem Griechischen und mit der umfassenden Mythologie der antiken Welt, trainieren seine Fertigkeiten und vermitteln ihm gleichzeitig eine geistige und sprachliche Geborgenheit.

Was das bildungsarme Umfeld nicht zu geben vermag, das leisten Kultur und Sprache und die Rückbesinnung auf die philosophischen und poetischen Werke der Vorgänger der antiken Welt. Das eigene poetische Schaffen erfüllt seinen Zweck, indem - in der Auseinandersetzung mit dem bereits geschaffenen Oeuvre von literarischem Weltniveau - neue Werke der Poesie entstehen. Mit demselben Prozess werden aber auch drohende melancholische Heimsuchungen vereitelt oder im kreativen Schaffen bewältigt, insofern sie doch einsetzen. Ovid erhält sich dabei eine besondere Souveränität des freien Geistes, der, sich seines Wertes bewusst seiend, auf keine augenblickliche Rezeption angewiesen ist. Obwohl er den zarten Kunstfreund gerne an seiner Seite hätte, der manchen Aspekt mit ihm bespricht und korrigiert, geht er seinen Weg auch allein, überzeugt davon, für die Ewigkeit zu dichten. Alleinsein und Einsamkeit sind noch keine Gründe, um kläglich zu versagen, zu resignieren – weder künstlerisch, noch existenziell. Obwohl zu unfreiwilliger Einsamkeit verdammt, sucht Ovid sogar noch das Agieren in Einsamkeit, „solus agam“ – also die bisweilen selbst gewählte Einsamkeit, um aus ihr heraus kreativ zu sein, um sich so über beide Einsamkeiten zu erheben:

„Wem sollt’ ich hier meine Dichtungen sprechen als blonden Corallern

und was am Hister noch sonst lebt an barbarischem Volk?

Aber was soll ich allein? Mit welchem Geschäfte vertreib‘ ich

leidige Muße, womit sollt’ ich vergeuden die Zeit?“[23]


Da ihn der Wein ebenso wenig reizt wie das zeitabtötende Würfelspiel, die Feldarbeit, das Kriegshandwerk oder der oberflächliche Liebesgenuss, den er von seinem traurigen Bett gern fernhält, bleiben als Trösterinnen in kalter Zeit nur höhere Genüsse, die Poesie und die Musen. Deshalb wird der Dichter sich selbst stimulieren, im erhebenden Zuruf:

„Du aber, der du ja glücklicher trinkst aus dem Borne der Dichtkunst,

liebe die Arbeit, die schönen Erfolg dir gewährt,

weih dich – du darfst es – dem Dienste der Musen, und schaffst

du ein neues

Werk, so schick es alsbald, daß ich es lese, mir zu!“[24]


So klingt ein frühes „Ora et labora“. Götterdienst und künstlerisches Schaffen lassen sich harmonisch und sinnvoll miteinander verbinden.

Angesichts der zahlreichen melancholischen Passagen in Ovids Spätwerk kann die berechtigte Frage gestellt werden, ob der einst heitere Ovid in die große Familie genialer Melancholiker als eine ihrer bedeutendsten Koryphäen aufgenommen werden kann. War auch Ovid ein Melancholiker?

Wenn überhaupt, dann war er wohl kaum ein Schwermütiger der reinen Sorte, denn dieser Poet von Weltruf war nicht von Anfang an der Melancholie zugeneigt, gar zu ihr disponiert! Die Verneinung eines Ovidschen Melancholikertums ist vor allem dann begründet, wenn im genuinen Melancholiker ausschließlich der Manisch-Depressive gesehen wird, also in jenem Typus, wie ihn, laut Ficino, im Rom jener Tage möglicherweise Titus Lucretius Carus, der Schöpfer des Lehrgedichts „De rerum natura“, verkörpert haben soll, ein Epikureer und Dichter von Rang, der als Verzweifelter im Freitod aus dem Leben schied. In Ovids teils milden, teils tief elegischen Dichtung fehlt der krasse Gegensatz zwischen dem symptomatischen, dem Melancholiker bestimmenden Gegensatz von „Himmelhochjauchzend“ (Manie) und Zum Tode betrübt (Depression). Ferner fehlt das Manische beim späten Ovid vollkommen - und mit ihm vermisst man in seiner luziden, logischen Vernunft-Dichtung alles Entrückte oder Verrückte, Aspekte, die wesentlicher Teil der Melancholie-Krankheit sind. Ovid tangiert zwar in bitterer, fast verbitterter Klage die Schwelle zur Melancholie, die Passivität, Stillstand und Verzweiflung bedeutet – aber er passiert sie nicht.

Der Poet, der sich nicht das Leben nehmen, sondern als alter Mann am fernen Meeresstrand sterben wird, verharrt an der Grenze, schaut hinüber, fühlt mit und berichtet in seiner Poesie, die höchst zutreffend „Lieder der Trauer“[25] genannt werden dürfen, was er erkennt, erfährt und erleidet. Wie später Goethe, der diesen ganz Großen unter den Dichtern der Römer gründlich studiert hat, teilt der Poeta laureatus seinen Zeitgenossen – auch in Rom, wo er immer noch gelesen wird – und den fernen Nachgeborenen mit, was er erleidet, mehrfach und immer wieder, klagend und zugleich anklagend. Insofern schafft Ovid, über die poetische Arbeit am Mythos hinausgehend, existenzielle Dichtung, ohne in der exponierten Situation, in Einsamkeit und Vereinsamung, zu Grunde zu gehen



3. 7. Melancholie und Versöhnung – Concordia und Amor fati



Gegen Ende seines disharmonischen Lebens in der Einsamkeit der Fremde mischen sich auch einige schrille Töne des Überdrusses in Ovids klagende Dichtung. Den ewig auf Gnade Hoffenden, der während all dem Warten deutlich alterte, dessen Haare grau wurden und dessen Haut Falten warf, beschleichen nun doch noch Anflüge von Verärgerung und existenziellem Überdruss. Rom, mit dem er ungeachtet des Abgeschottet-Seins durch Entfernung immer noch in Kontakt steht, ignoriert ihn weiter – auch über Augustus Tod hinaus und ruft ihn nicht zurück. Keiner seiner vielen Freunde und Bekannten aus besseren Tagen hat ausreichend Macht und Einfluss, ihn zurück zu holen. Immer weniger Römer nehmen Anteil an seinem Schicksal. Aus den Augen, aus dem Sinn? Kein Wunder, dass ihn, den Ignorierten und fast schon Vergessenen am äußersten Außenposten der römischen Zivilisation, Selbstzweifel überkommen und Verärgerung über die – so erscheint es ihm jetzt - eigene Torheit seiner Jugend. Seelisch wankelmütig geworden und existenziell stark verunsichert, stellt er jetzt selbst das Verfassen der „Ars amatoria“ leicht in Frage, darin eine Torheit erkennend, einen von Hybris bestimmten jugendlichen Akt des Wahnsinns, der ihm das halbe Leben zerstört habe. Kaum ein Poem, kaum eine Epistel verschweigt seine Dauer-Klage, die zur Anklage und auch zur Selbstbezichtigung ausgeweitet wird. Erst als der Dichter fühlt, dass es mit dem Leben zu Ende geht, gibt er die Selbstvorwürfe und das zersetzende Hadern mit sich selbst auf. Nach der langen Auseinandersetzung mit der intuitiv immer noch bewunderten Allmacht Roms einerseits sowie mit der oft inniglich verachteten Lebenswelt des kulturlosen, bildungsfernen Barbarentums um ihn herum, versucht Ovid, seinen Frieden mit der Welt zu machen. Erst im fortgeschrittenen Alter ist der Poet bereit, die vom allmächtigen Schicksal und den fernen Göttern auserkorene Passion endgültig anzunehmen. Ihn, den Pazifisten, der ständig unter dem Pfeilhagel kriegerischer Geten und Skythen leben musste, der gelegentlich sogar gezwungen war, mit zu kämpfen, überkommt nun eine große Friedenssehnsucht, ein tieferes Streben nach universeller Harmonie, Gefühle, die ihn dazu bewegen, zumindest mit den Menschen in Tomis in Eintracht leben zu wollen. Sie, die Bürger und Einwohner von Tomis, griechische Siedler, Geten, Daker, wenige Römer vielleicht, hatten es stets gut mit ihm gemeint und ihm, dem ungerecht Exilierten Poeta laureatus in einer großen Geste antiker Gastfreundschaft eine neue Heimat gegeben, wenn auch ohne die Geborgenheit der alten. Sie hatten ihn nicht verstoßen, sondern anerkannt, gefeiert sogar und ihm Privilegien eingeräumt, die einzigartig waren. Nur Ovid zahlte keine Steuern an der Küste. Die raue natürliche Umgebung und die kriegerische Natur der struppigen Geten konnten die Bürger von Tomis ebenso wenig ändern wie die äußerst entlegene Lage am Rande der zivilisierten Welt. Im vierzehnten Brief „An Tuticanus“, der als vehemente, von existenziellem Ekel bestimmte Klage beginnt, findet Ovid schließlich auch Worte dankbarer Versöhnung für seine Gastgeber:

„Selbst die Gesundheit ist mir verhasst, und ich wünsche nur eins noch,

daß ich von diesem Ort komme, wohin es auch sei;

gleich ist es mir, wohin man aus diesem Land mich sende:

jegliches andre ist mir lieber als das, wo ich bin;“[26]


Ob Charybdis oder Styx – ja selbst noch die Welt tiefer als Styx, die Unterwelt, ist dem Dichter lieber als das Donauufer oder der gelbe Strand am Meer, an dem er täglich - einsam in die Wogen schauend - auf und ab geht im Versuch, seiner Traurigkeit Herr zu werden. Es ist ihm bewusst, dass er mit seinen scharfen Abkanzelungen die wohlwollenden Gastgeber kränkt, die ihn aufnahmen, als sein Schiff in ihren Wassern scheiterte. Deshalb nimmt er auch etwas davon zurück und betont differenzierend, dass seine grenzenlose Verachtung nur dem lebensfeindlichen Land gilt, nicht aber seinen Menschen. Der Humanist Ovid erhebt sich über den verärgerten Zyniker und Misanthropen - Guten Gewissens kann er dann beteuern:

„Niemanden hab’ ich bisher durch meine Worte verletzt.

Ja, wenn ich finsterer noch als das Pech von Illyrien wäre,

wär’ es mir doch nicht erlaubt, Leute, die treu sind, zu schmähn:

daß ihr Tomiten sogar meines Schicksals freundlich euch annahmt,

zeigt: so gutherzig sind Männer vom griechischen Volk.“[27]


Die ethisch ausgerichtete Sicht, hinter welcher so etwas wie ein objektives Gerechtigkeitsempfinden aufleuchtet, wird über das subjektive Fühlen gestellt. Besser ein unvollkommener Exil-Ort als überhaupt kein Zufluchtsort – das sieht der Zwangsexilierte doch noch ein. Wertschätzung und Dank kulminieren in der Aussage Ovids:„tam mihi cara Tomis, patria quae sede fugatis / tempus ad hoc nobis hospita fida manet“ ist auch Tomis mir teuer, das mir aus der Heimat Vertriebnem gastlich bleibt und getreu bis auf den heutigen Tag“[28]. Friede kehrt ein. Ovid, der große poeta doctus der Weltliteratur, macht sich mit dem Gedanken vertraut, in Tomis einsam sterben zu müssen, obwohl er Großes und Einzigartiges für die Menschheit geleistet hatte – als Verbannter, als Verkannter, als Vereinsamter, dem Elend und der eigenen Melancholie überlassen. Ungeachtet melancholischer Heimsuchungen, die ihm die letzten Tage verbittern, wird Ovid an einer positiven Lebensphilosophie festhalten, deren Grundlage nicht nur ein autarkes Denken, sondern vielmehr ein einzigartiges poetisches Oeuvre ist.








[1] Publius Ovidius Naso: Briefe aus der Verbannung. Lateinisch und deutsch. Übertragen von Wilhelm Willige. Eingeleitet und erläutert von Georg Luck. Zürich und Stuttgart 1963. (TRISTIA EPISTULAS EX PONTO). Bzw. Ovidius Naso, Publius: Briefe aus der Verbannung. Tristia, Epistulas ex Ponto. Lateinisch - deutsch. Übertragen von Wilhelm Willige. Eingeleitet und erläutert von Niklas Holzberg. München, Zürich 1990.


[2] Verbannung, ein großes Thema nicht nur der Antike, durchaus wert, in einer eigenständigen Untersuchung über Einsamkeit abgehandelt zu werden. Mythische Gestalten wie Prometheus, Sisyphus, Tantalus werden von den Göttern an ferne, entlegene Orte verbannt, um dort ihre in Hybris und Rebellion begangenen Verfehlungen abzuarbeiten. Von der Verbannung betroffen ist letztendlich selbst der Weltenlenker Napoleon Bonaparte, auf Elba im Mittelmeer zunächst, dann, nach Waterloo, endgültig isoliert und politisch eliminiert, auf der Insel St. Helena im Stillen Ozean, einer, der wie antike Cäsaren, vorher gnadenlos andere verbannte.


Im zaristischen Russland trifft die Verbannung den Nationaldichter Puschkin ebenso wie Dostojewski oder ein Jahrhundert danach, zur  Zeit der stalinistisch-kommunistischen Diktatur, Solschenizyn und Sacharow. Während der Anarchist und Nihilist Tolstoi aus der  freiwilligen Selbstisolation heraus Werke der Weltliteratur schafft, müssen sowohl Puschkin wie auch Dostojewski die Heimsuchungen der Verbannung existenziell und künstlerisch meistern, im entschiedenen Amor fati – wie in Puschkins Poem „Einsamkeit“ belegt. Statt zu klagen wie Ovid, wird das Los prometheisch-heroisch angenommen. Man macht das Beste daraus. Für Puschkin wird die Verbannung nach Bessarabien sogar zum Glücksfall, zur Chance. Das Fernsein von Moskau rettet ihm in den Tagen politischer Verfolgung das Leben, führt ihn näher an das Volk heran und - über Reflexion und Poesie - zum Selbst.


[3] Tristium, III, 3. Ovid, Zit. Ausgabe von 1963, S. 117f.


[4] Ebenda, Epistulae I, 3. S. 315.


[5] Tristium III, 4. S. 129.


[6] Ebenda, Tristium III, 4. S. 131.


[7] Cicero, Marcus Tullius: Gespräche in Tusculum. S. 205.


[8] Wie aus anderen Belegstellen zu folgern ist, kennt die griechische Antike keine strenge Melancholie-Definition, obwohl die beiden Seiten und Erscheinungsformen des „Manisch-Depressiven“ bekannt sind. Das betont auch Hellmut Flashar in seinem Nachwort zu „Melancholie und Melancholiker in den medizinischen Theorien der Antike“, wenn er schreibt: „Es gibt aber, vor allem was die Frage nach dem Verhältnis von Melancholie und Manie betrifft, keine einheitliche Auffassung in den antiken Theorien. Vielmehr wird die Frage ganz verschieden beantwortet: teils gilt die Melancholie als die depressive, die Manie als die erregte Erscheinungsform des Irreseins, teils schließt der Begriff Melancholie beide Schwingungskurven ein, teils gilt die Melancholie als Teil der Manie, in die sie auf den verschiedensten Stufen ihrer komplexen Erscheinungsweise umschlagen kann.“ S. 136.

Melancholie ist eindeutig Krankheit. In späteren Jahrhunderten, nach Petrarca, in der Shakespeare-Epoche, in der deutschen Barock-Literatur und noch vielmehr in der akademischen Sekundär-Literatur, wird man den pathologischen Faktor oft aus den Augen verlieren, Negativität und Krankheit umdeuten und, ignorierend, was das Phänomen eigentlich ausmacht, die „Melancholie“ zu einem Positivum erheben, idealisieren („Komm, heilige Melancholie“) zugleich aber auch entfremden und sie zu einem motivisch willkürlich eingesetzten Spielball reduzieren.


[9] Ebenda, S. 237. Nachdem er die Chimära besiegt, viele Heldentaten vollbracht, Pegasus gezähmt und mit diesem zum Olymp hochreiten wollte, wurde Bellerophon, ein Liebling der Götter, für seine Hybris bestraft und stürzte – wie Ikarus vom Himmelflug zur Erde – um  danach sein Lebensende in Einsamkeit und Verzweiflung zu fristen. Der Frage nachgehend, wie einsam der Mensch in archaischer Vorzeit (Griechentum) tatsächlich war, wird auch dieser, in der antiken Literatur vielfach erwähnte „mythische Held“ (u. a. bei Homer, Pindar, Ovid) auch im Sekundärliteratur-Bereich immer wieder angeführt, um auf die Phänomene Einsamkeit und Melancholie zu verweisen; Cicero folgend, wird auch Ficino das Exempel anführen. Vgl. dazu auch: Tellenbach, Hubertus: Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen Dichtung, Hürtgenwald 1992. „Die Dichtung Homers lässt Bellerophontes in auswegloser Schwermut umherirren.“ S. 1.


[10] Lange bevor das Sinnen als besonderes Charakteristikum des Melancholikers ausgemacht und die bekannte Melancholie-Pose begründet wurde, war das Sinnen ein besonderes Kennzeichen, ein Signum des - immer schon „nachdenklichen“, der „vita contemplativa“ zugeneigten - Philosophen.


[11] Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehauste, / Der Unmensch ohne Zweck und Ruh – (Goethe, Faust) – bzw. Lenau: „Ein Fremdling ohne Ziel und Vaterland“.


[12]Wilhelm Müller,/ Franz Schubert :“Wegweiser“, „Was vermeid‘ ich denn die Wege“… In: Wilhelm Müller. Werke, Tagebücher, Briefe. Herausgegeben von Maria-Verena Leistner. Mit einer Einleitung von Bernd Leistner, Berlin 1994, Bd. 1, S. 180.


[13] Vgl. dazu die klarsichtigen und zugleich weitsichtigen Abhandlungen des Hippokrates über die natürlichen Existenzbedingungen, „Über die Umwelt“ und das Umfeld, über die profanen sowie „Über die heilige(n) Krankheit(en)“ der Griechen, Texte, in welchen der berühmte Arzt der Antike jeder Hokuspokus-Medizin, Quacksalberei und Scharlatanerie aufklärend empirisch eine entschiedene Absage erteilt. In dem später als „Corpus Hippocraticum“ bekannt gewordenen Schrifttum, entstanden zum Teil vor Platon, weist Hippokrates das menschliche Gehirn als das zentrale Organ überhaupt aus, verantwortlich für das Denken, Fühlen, für alle Emotionen und Stimmungen, für Freude und Leiden und auch für seelische Erkrankungen (Geisteskrankheiten). In: Hippokrates. Ausgewählte Schriften. Herausgegeben und übersetzt von Charlotte Schubert und Wolfgang Leschborn. Düsseldorf und Zürich 2006. S. 9ff.


[14] Tristium III, 8. S. 145ff.


[15] Epistulae ex Ponto, Briefe vom Schwarzen Meer, II, 7. S. 394f: „Mildern kann auch der Ort der Verbannung; aber es liegt kein Land, das trauriger ist, zwischen den Polen als dies“.


[16] Tristium, III, 3. S. 123.


[17] Ebenda, S. 124f.


[18] Tristium, V, 13. S. 283.


[19] Tristium, IV, 6. S. 209.


[20] Michelangelos Weltekel-Gedicht entsteht – eintausend und fünfhundert Jahre nach seinem kongenialen Vorfahr Ovid – jedoch nicht in der Abgeschiedenheit barbarischer Gefilde, sondern mitten in dem geistig-spirituellen Zentrum der Welt, in der Ewigen Stadt Rom, verärgert und zugleich vereinsamt in der Masse, umgeben von Menschen, die ihm, dem Schöpfer des „David“ und der Fresken in der Sixtinischen Kapelle, genauso wenig bedeuten wie seinem kongenialen Rivalen Leonardo da Vinci. Mehr dazu weiter unten in dem Kapitel: „Hypochondrie und Misanthropie in burlesker Entladung – bei Michelangelo und Leonardo“.


[21] Tristium IV, 10. S. 227.


[22] Ebenda.


[23]Epistulae ex Ponto, Briefe vom Schwarzen Meer, IV, 2. S. 479.


[24] Epistulae, IV, 2. S. 479.


[25] Ovid: Lieder der Trauer. Die Tristien des Publius Ovidius Naso. Aus dem Lateinischen übertragen und herausgegeben von Volker Ebersbach. Frankfurt 1997.


[26] Epistulae ex Ponto, Briefe vom Schwarzen Meer, IV, 14. S. 535.


[27] Epistulae ex Ponto, Briefe vom Schwarzen Meer, IV, 14. S. 537ff.


[28] Epistulae ex Ponto, Briefe vom Schwarzen Meer, IV, 14. S. 539.








Zur Person/ Vita Carl Gibson - Wikipedia:


Inhalt des Buches: 

Carl Gibson

Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca


zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche


Carl Gibson

Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche





Das 521 Seiten umfassende Buch ist am 20 Juli 2015 erschienen. 

Carl Gibson

Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche


Motivik europäischer Geistesgeschichte und anthropologische Phänomenbeschreibung – Existenzmodell „Einsamkeit“ als „conditio sine qua non“ geistig-künstlerischen Schaffens


Mit Beiträgen zu:

Epikur, Cicero, Augustinus, Petrarca, Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Ficino, Pico della Mirandola, Lorenzo de’ Medici, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Savonarola, Robert Burton, Montaigne, Jean-Jacques Rousseau, Chamfort, J. G. Zimmermann, Kant, Jaspers und Heidegger,


dargestellt in Aufsätzen, Interpretationen und wissenschaftlichen Essays

1. Auflage, Juli 2015
Copyright © Carl Gibson 2015
Bad Mergentheim

Alle Rechte vorbehalten.


ISBN: 978-3-00-049939-5


Aus der Reihe:

Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte
und Kritisches zum Zeitgeschehen. Bd. 2, 2015

Herausgegeben vom
Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim


Bestellungen direkt beim Autor Carl Gibson,

Email: carlgibsongermany@gmail.com

-         oder regulär über den Buchhandel.

„Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit!“ – Das verkündet Friedrich Nietzsche in seinem „Zarathustra“ als einer der Einsamsten überhaupt aus der langen Reihe illustrer Melancholiker seit der Antike. Einsamkeit – Segen oder Fluch?

Nach Aristoteles, Thomas von Aquin und Savonarola ist das „zoon politikon“ Mensch nicht für ein Leben in Einsamkeit bestimmt – nur Gott oder der Teufel könnten in Einsamkeit existieren. Andere Koryphäen und Apologeten des Lebens in Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit werden in der Einsamkeit die Schaffensbedingung des schöpferischen Menschen schlechthin erkennen, Dichter, Maler, Komponisten, selbst Staatsmänner und Monarchen wie Friedrich der Große oder Erz-Melancholiker Ludwig II. von Bayern – Sie alle werden das einsame Leben als Form der Selbstbestimmung und Freiheit in den Himmel heben, nicht anders als seinerzeit die Renaissance-Genies Michelangelo und Leonardo da Vinci.

Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit, postuliert der Vordenker der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, das Massen-Dasein genauso ablehnend wie mancher solitäre Denker in zwei Jahrtausenden, beginnend mit Vorsokratikern wie Empedokles oder Demokrit bis hin zu Martin Heidegger, der das Sein in der Uneigentlichkeit als eine dem modernen Menschen nicht angemessene Lebensform geißelt. Ovid und Seneca verfassten große Werke der Weltliteratur isoliert in der Verbannung. Petrarca lebte viele Jahre seiner Schaffenszeit einsam bei Avignon in der Provence. Selbst Montaigne verschwand für zehn Jahre in seinem Turm, um, lange nach dem stoischen Weltenlenker Mark Aurel, zum Selbst zu gelangen und aus frei gewählter Einsamkeit heraus zu wirken.

Weshalb zog es geniale Menschen in die Einsamkeit? Waren alle Genies Melancholiker? Wer ist zur Melancholie gestimmt, disponiert? Was bedingt ein Leben in Einsamkeit überhauptWelche Typen bringt die Einsamkeit hervor? Was treibt uns in die neue Einsamkeit? Weshalb leben wir heute in einer anonymen Single-Gesellschaft? Wer entscheidet über ein leidvolles Los im unfreiwilligen Alleinsein, in Vereinsamung und Depression oder über ein erfülltes, glückliches Dasein in trauter Zweisamkeit? Das sind existenzbestimmende Fragen, die über unser alltägliches Wohl und Wehe entscheiden. Große Geister, Dichter, Philosophen von Rang, haben darauf geantwortet – richtungweisend für Gleichgesinnte in ähnlicher Existenzlage, aber auch gültig für den Normalsterblichen, der in verfahrener Situation nach Lösungen und Auswegen sucht. Dieses Buch zielt auf das Verstehen der anthropologischen Phänomene und Grunderfahrungen Einsamkeit, Vereinsamung, Melancholie und Acedia im hermeneutischen Prozess als Voraussetzung ihrer Bewältigung. Erkenntnisse einer langen Phänomen-Geschichte können so von unmittelbar Betroffenen existentiell umgesetzt werden und auch in die „Therapie“ einfließen.

Carl Gibson, Praktizierender Philosoph, Literaturwissenschaftler, Zeitkritiker, zwölf Buchveröffentlichungen. Hauptwerke: Lenau. Leben – Werk – Wirkung. Heidelberg 1989, Symphonie der Freiheit, 2008, Allein in der Revolte, 2013, Die Zeit der Chamäleons, 2014.




ISBN: 978-3-00-049939-5


Inhalt:


Einleitung: „Einsamkeit“ heute – Segen oder Fluch?
Der Mensch der Single-Gesellschaft – Leben im uneigentlichen Sein?

Teil I: Griechisch-römische Antike

1. Waren die heiteren Griechen auch einsam? Das Verständnis von Einsamkeit und Melancholie bei Vorsokratikern und Aristoteles.
1.2. Der Melancholiker – ein Genie? - Empedokles, Demokrit und eine nicht authentische, missverstandene Aristoteles-Sentenz
1.3. Im Garten des Epikur – Lebe zurückgezogen! Das naturgemäße Leben im Verborgenen.
2. Marcus Tullius Cicero - Einsamkeit und Gesellschaft: Musischer Rückzug in den ruhigen Hafen – „otio“ - „Gespräche in Tusculum“
3. Ovidius Naso in Verbannung in Tomis, am Schwarzen Meer – Vereinsamung und Melancholie im Spätwerk, in den Elegien „Tristia“ und in den Briefen „Epistulae ex Ponto“.
3. 1. „einsam lieg’ ich am Strande des äußersten Endes der Erde“ - Zur Einsamkeit verdammt am Ende der Welt: Ovids melancholische Dichtung vom Pontus
3. 2. Nemo propheta in patria?
3. 3. Kummer, „aegritudo“, „mania“, „melankolia“ in Ciceros „Disputationes Tusculanae“ - Bellerophon, der antike Einsame, Unbehauste; Einsamkeit und Melancholie in der mythisch-analytischen Zeitdiskussion.
3. 4. Psychosomatik
3. 5. Das „Schwarze Meer“ und „Tomis“ – antike Unort(e)?
3. 6. Künstlerisches Schaffen in Einsamkeit an sich und als Selbsttherapie
3. 7. Melancholie und Versöhnung – Concordia und Amor fati
4. Lucius Annäus Seneca - Lebe zurückgezogen - „solitudine“ und „in otio“
4. 1. „exsilium“, Senecas Verbannung auf Korsika – Unfreiwillige, äußere Einsamkeit und innere Freiheit, dargestellt im „Epigramm“
4. 2. Existenzbewältigung über Poesie bei Ovid und ethisches Philosophieren bei Seneca
4. 3. Ruhe der Einsamkeit - Apathie, Ataraxie, Eudämonie, „constantia“
4. 4. „De constantia sapientis“ – Die „Unerschütterlichkeit des Weisen“
4. 5. „Jeglicher Ort ist für den Weisen Heimatland.“ – Oder: „Patria est, ubicumque est bene“
4. 6. Senecas Klage als Anklage – Gesellschaftskritik und Dekadenz-Kritik aus der Einsamkeit des Exils heraus in der Auseinandersetzung mit den Tyrannen Caligula und Nero
4. 7. „De otio“ – Von der „Zurückgezogenheit“; Zwischen stiller Muße (otio) und hektischer Geschäftigkeit (negotio)
4. 8. In „secreto“ – „Menschen (…) leisten in der Einsamkeit Größtes“- Ethische Haltung und Charakterbildung entstehen in der Stille der „Zurückgezogenheit“. Die Funktionen des einsamen Lebens und der Nutzen für die Gesellschaft
4. 9. Selbsterkenntnis und die Idee des Selbstseins erwachsen dem Alleinsein - Das Existieren in der Eigentlichkeit. Psychologische und soziologische Aspekte erfahrener Einsamkeit
4. 10. Die Gefahren des Alleinseins – Einsamkeit als Last
4. 11. Das Alleinsein in den eigenen vier Wänden – Chance und Risiko. Freiwilliger Rückzug in die Einsamkeit, statt Weltflucht aus Enttäuschung und Überdruss
4. 12. Typen und Charaktere – introvertiert oder extrovertiert? Senecas Beschreibung der Melancholie-Symptomatik
4. 13. Geselligkeit – Senecas Plädoyer für ein ausgewogenes Wechselverhältnis zwischen freiwilligem Sein in Einsamkeit und sozialem Austausch
4. 14. Schöpferische Einsamkeit - Medium des Kreativen
4. 15. Die Apotheose des einsam-kontemplativen Lebens in der Schrift „De brevitate vitae“, „Die Kürze des Lebens“
4. 16. Im „Jetzt“ leben, nicht erst morgen und am Leben vorbei! Hic et nunc und Memento mori!
4. 17. Der ruhige Hafen als Endziel - Individuelles Leben oder Massen-Existenz?
5. Mark Aurel - Der Weg zum Selbst in Zurückgezogenheit
5. 1. Gelebter Stoizismus als Vorbild
5.2. „Alleinsein“ bei Epiktet – Individualität und Selbsterkenntnis

Teil II: Vom frühen Mittelalter bis zur Scholastik

1. „Einsamkeit“ und „Melancholie“ im frühen Mittelalter. Anachoreten im frühen Christentum - „anachoresis“ und „monachoi“.
1.1.         Eremitentum und monastisches Leben um 300 – 400 n. Chr. Antonius, (der Ägypter), Evagrius Ponticus und Augustinus: DerWeg zu Gott vollzieht sich in der Einsamkeit
1.2. Antonius, der Ägypter – Einsiedlertum, Wüstenspiritualität und Mystik
1.3. Aurelius Augustinus in „reiner Einsamkeit“ - „Alleingespräche“ aus Cassiciacum - Früchte des Schaffens in der Einsamkeit des Selbstgesprächs
1.4. „Acedia“ seit Evagrius Ponticus, bei Thomas von Aquin und Bonaventura
1.5. Die „Wirkscheu“ des Johannes Cassian
1.6. Thomas von Aquin - Wirkscheu ist Todsünde – Acedia oder „Tristitia“
2. Deutsche Mystik
2.1. Meister Eckhart: Die absolute Freiheit des Gottsuchenden - Der unmittelbare, mystische Weg zu Gott. „Abgeschiedenheit“ und „innerliche Einsamkeit“ neu definiert
2.2. In der Abgeschiedenheit – Das Aufgeben des Selbst, das Ledigwerden, als Voraussetzung der Unio mystica und die Gottesgeburt
2.3. „innerliche Einsamkeit“ – Zum Wesen der Dinge!
2.4. „Unio mystica“ und Buddhismus – Stufen und Wege des Rückzugs aus allgemein philosophischer, christlicher Sicht bzw. aus der Perspektive der Zen-Meditation - Exkurs
2.5. Heinrich Seuses „Weg in die Innerlichkeit“ und die Beschreibung der Mönchskrankheit (Acedia) in der Schrift „Das Leben des Dieners“
2.6. „Das Büchlein der ewigen Weisheit“ - „Wie man innerlich leben soll“, „lautere Abgeschiedenheit“ und Entwerdung (Selbst- bzw. Ich-Auflösung)
2.7. Theresa von Avila - „Der Weg zur Vollkommenheit“ und „Die Seelenburg“.

Teil III: Humanismus

1. Francesco Petrarcas Loblieder auf die Einsamkeit. Der zentrale Stellenwert der „Einsamkeit“ im Werk der Humanisten
1.1. Zur Vita Petrarcas – Von der Vita activa zur Vita contemplativa im mundus aestheticus
1. 2. „De otio et solitudine“ - Von Freiheit (Muße) und Einsamkeit
1.3. „De vita solitaria“: Francesco Petrarcas Hymnus in Prosa auf das Leben in Einsamkeit. Die Begründung der Auffassung von der „schöpferischen Einsamkeit” als elitäre Phänomen-Definition
1.4. „felix solitarius“ contra „miser occupatus“ – besser allein, frei und glücklich als vielbeschäftigt, gestresst und in permanenter Disharmonie – Einsamkeit: die „conditio sine qua non“ einer ethisch fundierten Lebensführung und Existenzbewältigung
1.5. Zur Modernität des Existenzmodells „Leben in der Eigentlichkeit“
1.6. Das schaffende Subjekt … und die Ahnenreihe der Einsamen
1.7. „Secretum“ – Melancholie und Misanthropie
1.8. „Gespräche über die Weltverachtung“: Petrarcas negativer Melancholie-Begriff und Dante
1.9. Melancholie und Selbst-Therapie – Ist die „unheilvolle“ „Seelenkrankheit“ „Weltschmerz“ heilbar?
1.10. Dante weist die Muse Melancholie zurück

Teil IV: Renaissance

Einsamkeit und Melancholie während der Renaissance in Italien - Die „Saturniker“ des Mediceer-Kreises
1. Angelo Poliziano – Der Dichter am Kamin als personifizierte Melancholie und eine Melancholie-Beschreibung im Geist der Zeit.
2. Marsilio Ficino – Therapierte Melancholie. Das Bei-sich-Selbst-Sein der Seele führt zu Außergewöhnlichem in Philosophie und Kunst
2.1. Marsilio Ficino in freiwilliger Zurückgezogenheit in Carreggi - Einsamkeit als „conditio sine qua non“ des künstlerischen Schaffens
2.2. Im Zeichen des Saturn - Marsilio Ficinos Werk, „De vita triplici“, eine Diätetik des saturnischen Menschen. Ficinos astrologisch determinierter, antik physiologischer Melancholie-Begriff.
2.3. Definition der Melancholie und des Melancholikers in „Über die Liebe oder Platons Gastmahl“ - Die Liebe als melancholische Krankheit?
2.4. Krankheit „Melancholie“ - Therapeutikum Musik
3. Pico della Mirandolas Entwurf des Renaissancegenies in „De hominis dignitate“ – Von Einsamkeit und Freiheit
3.1. Die „dunkle Einsamkeit Gottes“
3.2. „Die Freiheit des Menschen“ und der „Geniebegriff der Epoche“ in „Oratio“
3.3. Die ethisch eingeschränkte Freiheit des Genies und das Humanum als Endziel
4. Lorenzo de’ Medicis „melancholische“ Dichtung
4.1. War der Prächtige ein Melancholiker? Vanitas, Wehmut und Schwermut
4.2. Der Typus des „Inamoroso“ als Melancholiker - Liebeslyrik im Sonett
4. 3. Melancholia - Lorenzo de’ Medici rezipiert Walter von der Vogelweide
5. Die Familie der Melancholiker oder die Metamorphose des sinnenden Geistes zur Plastik und zum Gedicht - Exkurs
6. Einsamkeit, Melancholie und künstlerisches Schaffen während der Renaissance in Italien.
6.1. Geniale Werke der Einsamkeit bei Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci - Einsamkeit als die künstlerische Schaffensbedingung schlechthin, als „conditio sine qua non“ des kreativen Subjekts.
6.2. Michelangelo Buonarroti - „Wer kann, wird niemals willig sein.“ – Individuelle Freiheit und künstlerische Selbstbestimmung
6.3. Große Kunst ist gottgewollt
6.4. Der Schaffende ist das Maß aller Dinge - oder die Lust, mit dem Hammer neue Werte zu schaffen
6.5. Weltflucht und Weltverachtung
6.6. Der sinnende Melancholiker „Micha Ange bonarotanus Florentinus sculptor optimus“
6.7. – „La mia allegrezz’ e la maniconia” – “Meine Lust ist die Melancholie!” – Existenzbewältigung im “Amor fati“ oder eine ins Positive transponierte „Melancholie als Mode“?
6.8. Hypochondrie und Misanthropie in burlesker Entladung – bei Michelangelo und Leonardo
6.9. Michelangelos „Sonette“: Kreationen reiner Eitelkeit?
7. Leonardo da Vinci – Ein Einsamer, aber kein Melancholiker. Die Wertschätzung der „vita solitaria e contemplativa“.
7.1. Leonardo und Michelangelo – ein geistesgeschichtlicher Vergleich. Der verbindende Hang zur Einsamkeit … und viele Kontraste!
8. Girolamo Savonarola – Der melancholische Reformator vor der Reformation
8.1. Gott geweihtes Leben in stiller Einkehr und früher Protest aus der Klosterzelle
8. 2. Zeitkritik und Fragen der Moral in „Weltflucht“ und „De ruina mundi“- Vom Verderben der Welt
8.3. Kritik des Christentums sowie des dekadenten Papsttums im poetischen Frühwerk - „De ruina Ecclesiae“ oder „Sang vom Verderben der Kirche“, (1475)
8.4. „Poenitentiam agite“! – Buße , Einkehr, Rückbesinnung, Katharsis
8.5. Savonarolas Humanismus-Kritik und seine Zurückweisung der Astrologie – ist die Philosophie eine Magd der Theologie?
8.6. Sozialreformer Savonarola - „De Simplicitate vitae christianae“ - Von der Schlichtheit im Christenleben.
8.7. Savonarola setzt politische Reformen durch – Über die demokratische Verfassung in Florenz zum Fernziel der Einheit Italiens
8.8. Niccolo Machiavelli und Die Schwermut der Tyrannen
8.9. Einsamkeit, Kontemplation und rhetorischer Auftritt – Savonarola Volkstribun und Redner nach Cicero?
8.10. Einsamkeit und Gesellschaft bei Savonarola
8.11. Christliche Ethik als geistige Basis der Staatsform – Contra Tyrannis
8.12. „Der Tyrann“ trägt „alle Sünden der Welt im Keim in sich“ - Melancholie als Krankheit: Savonarolas Typologie, Definition und Phänomen-Beschreibung des Renaissance-Macht-Menschen und das Primat des Ethos im Leben und im Staat.
8.13. Genies des Bösen – Lorenzo de’ Medici und der Borgia-Clan
8.14. Thomasso Campanellas idealer Gegenentwurf zum Typus des Tyrannen in seiner christlich-kommunistischen Utopie „Città del sole“
8.15. Golgatha - Traurigkeit und Verlassenheit in der Todeszelle und auf dem Scheiterhaufen
8.16. Hybris und Zuflucht zu Gott – „in Schwermut und voll Schmerz“!
8.17. Melancholia - „In te, Domine, speravi“, letzte Einsamkeit und existenzielle Traurigkeit - Hoffnung gegen Melancholie?
8.18. Auch Päpste irren! Schweigepflicht, Exkommunikation, Inquisition, Folter – Reformator Savonarola stirbt den Flammentod in Florenz
8.19. Giordano Bruno und die Flammen der Inquisition – Der Märtyrer-Tod auf dem Scheiterhaufen wiederholt sich … doch
9. Michel de Montaignes Essay „De la solitude“- Das Leben in Abgeschiedenheit zwischen profaner Weltflucht und ästhetischer Verklärung
9.1. Süße Weltflucht in den Turm – Melancholie als Habitus
9.2. War Michel de Montaigne ein Melancholiker?
9.3. Einsamkeit, ein Wert an sich, ist nie Mittel zum Zweck, sondern immer Selbstzweck.
9.4. „Nichts in der Welt ist so ungesellig und zugleich so gesellig als der Mensch“ – Einsamkeit und Gesellschaft
9.5. Vanitas - Der Rückzug aus der Gesellschaft ist auch historisch bedingt
10. „The Anatomy of Melancholy“ - Der extensive Melancholie-Begriff bei Democritus junior alias Robert Burton
10.1. „Elisabethanische Krankheit“ oder „maladie englaise“ – Melancholie als Mode!? Von der Pose zur Posse?
10.2. Demokritos aus Abdera – Der lachende Philosoph als Vorbild und Quelle der Inspiration
10.3. „sweet melancholy“ - Burtons Verdienste bei der Umwertung und Neuinterpretation der grundlosen Tieftraurigkeit zur „süßen Melancholie“
10.4. „Göttliche Melancholie“: „Nothing’s so dainty sweet as lovely melancholy“ - Zur positiven Melancholie-Bewertung vor, neben und nach Burton

Teil V: „Einsamkeit“ und Melancholie in der Moderne

1. Jean-Jacques Rousseau – Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit. Die Apotheose der Einsamkeit im Oeuvre des Vordenkers der Französischen Revolution
1.1. Rückzug, „Schwermut“ und „Hypochondrie“
1.2. „Zurück zur Natur“! im „Discours“ - Plädoyer für das einfache Leben und harsche Gesellschaftskritik. Macht die „Sozialisierung“ den an sich guten Menschen schlecht?
1.3. Im Refugium der Eremitage von Montmorency: Kult der Einsamkeit – Landleben, Naturgenuss und geistiges Schaffen
1.4. „Sanssouci“ – Asyl: Ein Einsamer, Friedrich der Große unterstützt einen anderen Einsamen, den verfolgten Wahlverwandten Jean-Jacques Rousseau
1.5. „Les Rêveries du promeneur solitaire“ - Träumereien eines einsamen Spaziergängers
1.6. Einsamkeit ist im Wesen des Künstlers selbst begründet - «Toutes les grandes passions se forment dans la solitude»!
2. Einsamkeit und Gesellschaftskritik im Werk der Französischen Moralisten La Rochefoucauld, Vauvenargues und Chamfort
2.1. Rekreation im Refugium – die bücherlesende Einsamkeit des Herzogs La Rochefoucauld
2.2. Einsamkeit – Katharsis, Chance und Gefahr
2.3. Chamfort - „Vom Geschmack am einsamen Leben und der Würde des Charakters“ - „Man ist in der Einsamkeit glücklicher als in der Welt.“
2.4. Abkehr von der Gesellschaft, melancholische Heimsuchungen, Vereinsamung und Menschenhass
2.5. „Ein Philosoph, ein Dichter, sind fast notwendig Menschenfeinde“ – Chamforts Rechtfertigung von Misanthropie und Melancholie.
3. „Ueber die Einsamkeit“ - Johann Georg Zimmermanns Monumentalwerk aus dem Jahr 1784/85 - Einsamkeit als Lebenselixier – Die Gestimmtheit im deutschen Barock – Inklination zur Melancholie?
3.1. Von den „Betrachtungen über die Einsamkeit“ zur Abhandlung „Von der Einsamkeit“ – Thema mit Variationen
3.2. Die Ursachen von wahrer und falscher Einsamkeit - Müßiggang, Menschenhass, Weltüberdruss und Hypochondrie
3.3. „gesellige Einsamkeit“ - eine „contradictio in adjecto“?
3.4. Aufklärer Immanuel Kant definiert den zur „Melancholie Gestimmte(n)“, „Melancholie“ als „Tiefsinnigkeit“ und die „Grillenkrankheit“ Hypochondrie richtungweisend für die Neuzeit. Exkurs.
4. Arthur Schopenhauers „elitäres“ Verständnis von Einsamkeit - nur wer allein ist, ist wirklich frei!
4.1. Der Ungesellige - „Er ist ein Mann von großen Eigenschaften.“
4.2. Die „Einsamkeit ist das Los aller hervorragenden Geister“ - Ist der Mensch von Natur aus einsam? Ist „Einsamkeit“ ein Wert an sich?
4.3. Das Sein in der Einsamkeit als existenzielles Problem - Einübung in die zurückgezogene Lebensführung.
5. Lenau, Dichter der Melancholie. „Einsamkeit“ und Schwermut (Melancholie) im Werk von Nikolaus Lenau – Anthropologische Phänomenbeschreibung und literarisches Motiv
5.1 Lenaus Verhältnis zur Philosophie. Entwicklung und Ansätze
5.2. „Einsamkeit“ und „Vereinsamung“ als existenzielle Erfahrung
5.3. Nikolaus Niembsch von Strehlenau, genannt „Lenau“ vereinsamt in Wien
5.4. Das „melancholische Sumpfgeflügel der Welt“ - Vereinsamt in Heidelberg und Weinsberg. Therapeutikum Philosophie: Lenau setzt der „Seelenverstimmung“ die „Schriften Spinozas“ entgegen!
5.5. Amerika – Lenaus Ausbruch in die Welt der Freiheit
5.6. Schwermut und Hypochondrie – Therapeutikum: Philosophie und Sarkasmus
5.7. „Einsam bin ich hier, ganz einsam. Aber ich vermisse in meiner Einsamkeit nur dich.“
5.8. „wahre Menschenscheu“ - „Die Geselligkeit“ „ist ein Laster“ - „Mein Leben ist hier Einsamkeit und etwas Lyrik.“
5.9. Die „äußere Einsamkeit“– Vom „Locus amoenus“ zum „Locus terribilis“
5.10. Situation und Grenzsituation – präexistenzphilosophisches Gedankengut bei Lenau auf dem Weg zu Karl Jaspers. Exkurs.
5.11. „Einsamkeit“ als ontische Dimension - Menschliches Dasein ist nicht Gesellig-Sein – Mensch-Sein bedeutet ein Sein in Einsamkeit.
5.12. „Einsame Klagen sinds, weiß keine von der andern“ - Monologische Existenz in dem existenzphilosophischen Gedicht „Täuschung“
5.13. In „dunklen Monologen“ - „Jedes Geschöpf lebt sein Privatleben“ - Mitsein in existenzieller Gemeinschaft erscheint unmöglich
5.14. „O Einsamkeit! Wie trink ich gerne / Aus deiner frischen Waldzisterne!“ Dionysisch „zelebrierte Einsamkeit“ im Spätwerk
5.15. „Der einsame Trinker“ - Das dionysische Erleben der Einsamkeit im Fest
5.16. „Fremd bin ich eingezogen/Fremd zieh ich wieder aus“ - Der „Unbehauste“, ein „Fremdling ohne Ziel und Vaterland“
5.17. „Nun ist’s aus, wir müssen wandern!“ - In-der-Welt-Sein ist Einsamkeit
5.18. Lenaus melancholische Faust-Konzeption - „metaphysische Vereinsamung“.
5.18.1. Der „Unverstandene“, das ist der „Einsame“.
5.18.2. Endlichkeit und Ewigkeit
5. 18. 3. Die Geworfenheit des existenziellen Realisten „Görg“
5. 18. 4. Das Unbewusste als Antrieb - Die tragisch konzipierte Faust-Figur in Disharmonie mit dem Selbst und in der Uneigentlichkeit
5.18.5. Gott ist tot - existenzielle Exponiertheit des metaphysisch Vereinsamten vor Nietzsche und Rilke
5.19. Im dunklen Auge – ein „sehr ernster, melancholischer Knabe“, „hochgradig zur Melancholie disponiert“  und hinab gestoßen in die „Hohlwege der Melancholie“: „Mein Kern ist schwarz, er ist Verzweiflung.“ – Melancholie-Symptomatik und Definitionen der Krankheit bei Lenau
5.20. „Lieblos und ohne Gott! Der Weg ist schaurig“ – „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.“ „Melancholie“ und „absolute Vereinsamung“ in Lenaus Doppelsonett „Einsamkeit“
5.21. Der Werte-Kampf in Lenaus Ballade „Die nächtliche Fahrt“ - Von darwinistischer Selektion über den „Kampf um das Dasein“ nach existenzphilosophischen Kategorien zur Ethik des Widerstands im Politischen - Exkurs
5.21.1. Wettkampf und Werte-Kampf
5.21.2. Lenaus Imperialismus-Kritik in seinem „anderen“ Polenlied
5.21.3. Ethik des Widerstands - Der Existenz-Kampf der Individuen entspricht dem Souveränitätsstreben der - tyrannisierten - Völker
6. Friedrich Nietzsche, der einsamste unter den Einsamen? Absolute Einsamkeit, extreme Vereinsamung und schwärzeste Melancholie
6.1. Wesensgemäße Daseinsform und  Schaffensbedingung der Werke der Einsamkeit.
6.2. „Also sprach Zarathustra“ - Nietzsches großer „Dithyrambus auf die Einsamkeit“
6.3. Strukturen der „Einsamkeit“ in „Also sprach Zarathustra“
6.4. „Fliehe, Fliehe mein Freund, in deine Einsamkeit!“ - „Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt.“
6.5. Die Auserwählten – Nietzsches kommende Elite: Der „Einsame“ als Brücke zum Übermenschen
6.6. Der Einsame – das ist der Schaffende! „Trachte ich nach Glück? Ich trachte nach meinem Werke!“
6.7. Nietzsches „Nachtlied“ - das einsamste Lied, welches je gedichtet wurde!
6.8. „Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit!“
6.9. „Jede Gemeinschaft macht irgendwie, irgendwo, irgendwann – ‚gemein’“ – Zum Gegensatz von individuellem Leben in Einsamkeit und gesellschaftlichem Massen-Dasein.
6.10. „Einsam die Straße ziehn gehört zum Wesen des Philosophen.“ Fragmentarische Aussagen zur „Einsamkeit“
6.11. Therapeutikum Einsamkeit – schlimme und gefährliche Heilkunst! „In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen. Nun wähle.“
6.12. Die „siebente letzte Einsamkeit“ - Nietzsches „Dionysos-Dithyramben“
6.13. „Vereinsamt“ – Düstere Melancholie und metaphysische Verzweiflung
7. „Einsamkeit“ bei Jaspers und Heidegger - Exkurs
8. Der „Neue Mensch“ – eine Konsequenz der Einsamkeit? „selbstestes Selbst“ und Apologie des Selbst bei Lenau und Nietzsche - Exkurs
8.1. Die Suche nach dem „Humanum“ – Absage an den Irrweg „Übermensch“
8.2. Lenaus „Homo-Novus-Konzeption“ nach Amalrich von Bene
8.3. „Idemität“ und „Konkreativität“ – Der „menschliche Mensch“! Zur Strukturanthropologie Heinrich Rombachs. Exkurs

Teil VI: Essays zur Thematik und kleine Beiträge

9. Stufen der Einsamkeit – Auf dem Weg vom Alleinsein in die Vereinsamung, Melancholie und Verzweiflung – Zur Metamorphose eines anthropologischen Phänomens
9.1. Von der existenziellen Situation „Einsamkeit“ zum Krankheitsbild „Melancholie“ in der Erscheinungsform „Acedia“ und Hypochondrie
9.2. Melancholie als Charakteristikum des genialen Menschen.
9.3. Die Phänomene „Einsamkeit“, „Alleinsein“, „Vereinsamung“ und „Melancholie“ („Schwermut“, „Depression“) – im Wandel der Zeiten: Anthropologische Konstanten und Grundbefindlichkeiten des Daseins oder zeitbedingte Entwicklungsphänomene? Zur Begriffsbestimmung.
9.4. Strukturen der Einsamkeit - Zum Bedeutungswandel der Begriffe Einsamkeit und Melancholie durch die Zeiten
9.5. Existenzbewältigung: Angewandte Philosophie in philosophischer Praxis – Zur Konzeption und Intention der Studien zur Einsamkeit.
9.6. Zur Einsamkeit verflucht? – Alleinsein zwischen gesellschaftlicher Pest und segensreicher Schaffensbedingung –Selbsterfahrungen und Autobiographisches
9.7. Das Existenzmodell „Alleinsein“ zwischen Weltflucht und verklärender Utopie: Abgeschiedenheit, Einkehr, Selbstfindung, Eigentlichkeit - Selbst erfahrene und selbst beobachtete Phänomene – Einsamkeit, ein Zeitproblem?
9.8. Ein Einsamer von heute – In memoriam Theo Meyer.

 
Nachwort:
Inhalt:
Namenregister:
Bibliographie
Primärliteratur
Anthologien, Aufsatz-Sammelwerke zur Thematik:
Sekundärliteratur:
Bilder-Verzeichnis:
Bücher von Carl Gibson

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