Sonntag, 26. April 2020

Michelangelo Buonarroti - „Wer kann, wird niemals willig sein.“ – Individuelle Freiheit und künstlerische Selbstbestimmung. Aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung


Michelangelo Buonarroti, Gesamt-Kapitel, Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.



6. Einsamkeit, Melancholie und künstlerisches Schaffen während der Renaissance in Italien.

 

Für nahezu alle kreativen Tätigkeiten, besonders für die Künste, ist der Daseinszustand der Einsamkeit die Schaffensbedingung par excellence. Das schaffende Subjekt ist sich selbst am nächsten, die Seele ist ruhig und der Geist kann konzentriert, geordneten Denkbahnen folgend ungeahnte Höhen und Tiefen anthropologischer, intellektueller und künstlerischer Möglichkeiten ausloten. Unzählige Beispiele aus der mehrtausendjährigen Geistesgeschichte der Menschheit sprechen dafür. Doch wohl zu keinem Zeitpunkt ist der direkte Zusammenhang zwischen Einsamkeit und geistig-künstlerischem Schaffen deutlicher hervorgetreten als in der Renaissance, speziell bei den beiden genialen Ausnahmekünstlern Michelangelo und Leonardo.

6.1. Geniale Werke der Einsamkeit bei Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci - Einsamkeit als die künstlerische Schaffensbedingung schlechthin, als „conditio sine qua non“ des kreativen Subjekts.

 

Beide Künstler galten schon in ihrer Zeit als große Einsame – und als Melancholiker, eben als geniale Melancholiker. In ihnen schien sich die aristotelische These, alle großen Geister seien Melancholiker, am eindeutigsten und treffendsten zu bestätigen. Romain Rollandein seinerzeit vielgelesener Autor, hat in seiner am Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen Michelangelo-Monographie die Frage aufgeworfen, welcher der beiden Renaissance-Genies wohl der größere Einsame gewesen sei, Michelangelo oder Leonardo - und dabei das Genie aus Vinci favorisiert. Die vielen Quellen jedoch, vor allem die literarischen, neigen eher zu Michelangelo, wobei Michelangelo nicht nur zurückgezogen lebte und aus der Einsamkeit heraus Kunstwerke schuf: Er war darüber hinaus auch konstitutionell ein Melancholiker reinster Prägung. Das Wort „Einsamkeit“ ist ein Schlüsselbegriff seiner Existenz und führt - weit über das profane Alleinsein hinausreichend - als roter Faden durch sein gesamtes Leben und Schaffen.

6.2. Michelangelo Buonarroti - „Wer kann, wird niemals willig sein.“ – 

Individuelle Freiheit und künstlerische Selbstbestimmung


“La mia allegrezz’ è la maninconia.”
Michelangelo.

Michelangelo, 1475 in Caprese im Apennin geboren, wuchs in einem kunstfeindlichen Haus auf[28]. Die ersten Malversuche belohnte der engstirnige Vater, dem die Malerei zudem auch noch verhasst war, mit einer kräftigen Tracht Prügel. Trotz der Anlehnung eines künstlerischen Lebensweges konnte der Vater es aber nicht verhindern, dass sein begabter Sohn bereits im zarten Alter von vierzehn Jahren im Garten des Lorenzo di Medici das Meißel schwang und bald schon an der Tafel des Prächtigen, dem der vielfältig Talentierte aufgefallen war, speisen durfte.

Michelangelo, bald die Verkörperung des italienischen Nationalgenies, entwickelte sich in seiner fast neunzigjährigen Lebenszeit zu einem nahezu übernatürlichen Giganten der Kunst, zu einem einzigartigen Bildhauer, Maler und Architekten, dem kein Projekt zu gewaltig gewesen oder vor dem er gar zurückgeschreckt wäre. Ungeachtet aller Anflüge von Misanthropie war er ein Humanist erster Ordnung, ein wahrhaftiger Aristokrat des Geistes, ein souveräner Charakter, der sich stets des eigenen Wertes bewusst war und der das Selbstsein auch gegen die Mächtigsten der Zeit zu verteidigen wusste, durchdrungen von der Idee der Freiheit im Politischen wie im Religiösen, stets nach der Weisheit seiner Vorväter lebend: „Wer kann, wird niemals willig sein.“[29]
Michelangelo war, über Bildhauerei und Malerei hinaus, ein Dichter und ein Philosoph, eben ein Homo universalis gegen seine Zeit, der bis in die letzte Stunde seiner Tage, um Erkenntnis rang, der die Wahrheit, wie bitter sie auch war, ungeschminkt und nüchtern aussprach. Einer, der das Wahre über alles stellte; zudem ein Geist, der von der Idee des Schönen erfüllt wie kaum ein anderer, auch das Ästhetische über die Kunst mit einer ethischen und religiösen Lebensführung verknüpfte. Er fühlte das Höhere, die ewige Wahrheit, und richtete den Blick stets nach oben.

6.3. Große Kunst ist gottgewollt


Michelangelo war ein Genie, um dessen Kunst Päpste und Könige bettelten. Zugleich war er aber auch ein Künstler von erlesener Bescheidenheit. In einem seiner Sonette, die Michelangelo, der zufällig auch noch ein großer Dichter war, so ganz nebenbei verfasste, heißt es:

„Es kann der beste Künstler nichts erdenken,
Was nicht der Marmor schon in sich enthielt,
und der allein erreicht, worauf er zielt,
Dem Geist und Sinne seine Hände lenken.“[30]

Hinter der Kunst und hinter der gesamten Natur steht nach Michelangelos Vorstellung, vor allem in der Zeit der Reife und der Spätzeit, ein höheres Prinzip, eine Gottheit, durchaus in christlicher Auffassung, die alles lenkt und leitet. Kunst und Künstler sind der göttlichen Autorität unterworfen.
Mit dieser Auffassung von Gott und Welt nähert sich Michelangelo stark den Positionen des Reformators und Bußpredigers Savonarola, den er verehrte und in dessen Bann nicht nur große Geister wie Giovanni Pico della Mirandola und Sandro Botticelli, sondern auch sein eigener Bruder Lionardo standen.
Der religiöse Erneuerer Savonarola, ein charismatischer Dominikanermönch mit besonderem Ausstrahlungsvermögen ausgestattet und mit politischen Ambitionen, die ihm alsbald zum Verhängnis werden sollten, war wie Michelangelo staatspolitisch ein Demokrat, ein - von der Notwendigkeit der politischen Einigung Italiens erfüllter - Patriot und vehementer Befürworter republikanischer Verhältnisse im Fürstentum Florenz. Gleichzeitig war dieser Missionar im eigentlichen Sinne des Wortes ein christlicher Purist und, aus dieser Konsequenz heraus, dann auch ein deklarierter Bilderstürmer und Kunstfeind - eine Haltung, die den Anhänger und Maler Sandro Botticelli schließlich veranlassen sollte, eine Reihe seiner künstlerisch freizügig gestalteten Gemälde zu verbrennen. 

Ungeachtet einzelner Phasen aufkommender Kunstskepsis oder gar eines religiösen Mystizismus, Krisenerscheinungen, die Michelangelo auch kannte, war der Bildhauer zu keinem Zeitpunkt ein blinder Gefolgsmann des italienischen Reformators. Michelangelo war bestenfalls ein Bewunderer der von Savonarola verkörperten und partiell umgesetzten politischen wie religiösen Erneuerung, die in der Zeit lagen, fasziniert von der Sendung des Charismatikers in der Art, wie es ein luzider Pico della Mirandola letztendlich auch war. Trotzdem: Über aller Begeisterung für politische Einigungs- und Demokratisierungsbestrebungen thronte die Kunst. Im Bereich menschlicher Endlichkeit bedeutete Michelangelo Kunst alles: Sie war sein Leben. Schließlich war große Kunst in allen ihren Formen ein Hinweis auf die Göttlichkeit des Menschen, ein Bindeglied zu Gott, ja der unmittelbare Ausdruck des göttlichen Willens, der diese Kunst inspirierte, ermöglichte und zuließ.

6.4. Der Schaffende ist das Maß aller Dinge - oder die Lust, mit dem Hammer neue Werte zu schaffen


Zwar ist große Kunst gottgewollt, nicht nur in der Sixtinischen Kapelle und am St. Peter; und auch ein von genialer Meisterhand geschaffener David ist göttlich – doch ist es der Schaffende, der kraft seiner Vision und dank seines Könnens die Idee aus dem Marmor schält und sie in Form bringt:

„Schlägt hart mein Hammer aus dem harten Stein
Bald dieses und bald jenes Menschenbild,
Ist er des Meisters Willen nur gewillt:
Bei jedem Schritt muss er gehorsam sein.“[31]

Zweitausend Jahre nach Protagaras ist der Mensch wieder das Maß aller Dinge, der Schaffende, der seiner Zeit den Stempel aufdrückt. Es ist sein schöpferischer Wille, der, über die göttliche Inspiration hinaus, bestimmt, was überhaupt an Kunstwerken geschaffen wird. Es ist sein Geist, seine Kraft, die alles wirkt und schafft. Hinter der Plastik, dem Fresko steht stets das selbstbewusste Individuum, der Homo faber, der Kraftmensch der Renaissance, der alte Gesetze durchbricht, um neue Werte zu setzen - das Renaissancegenie Michelangelo Buonarroti, Bildhauer in Rom. Es ist nicht mehr die finstere germanische Gottheit des Nordens, die den Hammer schwingt – es ist der Meister selbst, im sonnigen Italien, der, lange vor Nietzschemit dem Hammer philosophiert, alte Tafeln zerschlägt, um neue zu formen. 
Gerade David, der von dem Riesen Michelangelo aus dem Stein gehauene Zwerg, verkörpert, wie keine andere Plastik das Gefühl der Renaissance, den Ausdruck von Kraft und Zorn.
David war seinerzeit – ganz im Einklang mit der testamentarischen Heldenfigur, die den mächtigen Goliath bezwang – auch eine Identifikationsfigur des souveränen Florenz, welches sich permanent politisch-existenziell sowohl gegen den Vatikan-Staat, gegen Neapel und Venedig als auch gegen die hegemonialen Bestrebungen ausländischer Mächte, namentlich des französischen Königs, behaupten musste.

6.5. Weltflucht und Weltverachtung.


Doch eben dieser gewaltige Übermensch Buonarroti hat noch eine zweite Seite, eine menschliche, eine leidende, eine unglückliche, ja eine tragische, mit vielen Nuancen und feinsten Facetten durchsetzt. Michelangelo – oder Michelagniolo, wie er in den Briefen unterzeichnet, war als Mensch extrem bescheiden und lebte, am Ideal der Genügsamkeit antiker Philosophen oder christlicher Mönche ausgerichtet – obwohl er stets recht vermögend war - auf dem Niveau seiner Gehilfen, mit spärlicher Nahrung, oft von Krankheiten heimgesucht, in Askese und vielfachem Verzicht in Einsamkeit und Melancholie. Im Gegensatz zu dem von ihm hochgeschätzten Petrarca, der inmitten einer intakten Natur den „Locus amoenus“ suchte und – mit Laura im Herzen und im Sinn – sogar den Mont Ventoux bestieg, betrieb Michelangelo, als Maler von der konkreten Natur und ihren uninspirierten Abbildungen unbeeindruckt, bewusste Weltflucht und Weltverachtung. Die von Leonardo da Vinci stets genau beobachtete und beschriebene Natur bedeutete Michelangelo nur wenig. Selbst als Kulisse äußerer Einsamkeit faszinierte sie ihn erst im späten Alter. 
Michelangelo verachtete selbst den Ruhm, den er als Eitelkeit durchschaute. Der langweilige Umgang mit den Mächtigen, mit den Päpsten, Königen und Fürsten, interessierte ihn nicht. Ebenso wenig begeisterte ihn das gesellschaftliche Leben in Florenz oder Rom. Ein Zeitgenosse, Francesco de Ollanda, zitiert ihn mit den Worten: „Wenn ein Mensch durch die Natur und die Erziehung so geschaffen ist, dass er die Zeremonien haßt und die Heuchelei verachtet, hat es keinen rechten Sinn, ihn nicht so leben zu lassen, wie es ihm behagt. Wenn er nichts von euch verlangt und eure Gesellschaft nicht sucht, warum sucht ihr dann die seine? Warum wollt ihr ihn zu den Nichtigkeiten erniedrigen, die seiner Weltflucht widerstreben? Der ist kein höher veranlagter Mensch, der lieber den Dummköpfen gefallen will als seinem Genie.“[32]

Wie später der Melancholiker Burton, dem die derben Zoten mit den Themsefischern mehr bedeuteten als gesellschaftlicher Umgang, zog es auch Michelangelo vor, sich mit originellen, armen Schluckern zu umgeben, die auf ihre Weise unverfälscht und interessant waren, mit denen er seine makabren Späße treiben und deren Humor er ungehemmt genießen konnte, statt sich mit den gesellschaftlichen und intellektuellen Autoritäten seiner Zeit abzugeben, deren permanente Heuchelei er – wie aus den anklagenden Sonetten zu erkennen ist – auf allen Ebenen längst durchschaut hatte. Diese konsequente, ein ganzes Leben hindurch aufrecht erhaltene Haltung brachte ihm nicht nur viele Feindschaften ein und Gegner, die selbst nach seiner künstlerischen wie existenziellen Vernichtung trachteten; Sie führte auch dazu, dass Michelangelo, existenziell verbittert und von  Misanthropie erfüllt, andere Genies der Kunst mied, auch wenn sie praktizierende Apologeten der Einsamkeit waren wie Leonardo da Vinci, dessen Werke er – aus einer artistischen Rivalität heraus – entsprechend ungerecht beurteilte.

6.6. Der sinnende Melancholiker „Micha Ange bonarotanus Florentinus sculptor optimus“.


Einsamkeit und Melancholie sind Phänomene, die der Wesenheit Michelangelos am eindeutigsten entsprechen. Die „dunkle Schwermut“ ist, wie Herbert von Einem es ausdrückte, „seine persönlichste Signatur“.[33] Michelangelos gesamtes Leben vollzieht sich als Sein zwischen selbst gewählter Einsamkeit und bedrohender Vereinsamung. Einsamkeit und Melancholie sind die Schlüsselbegriffe seiner Existenz und gleichzeitig auch der Schlüssel zu seiner Werkinterpretation. Michelangelos Werke sind Werke der Einsamkeit und müssen auch so verstanden werden, auch wenn sie sich nicht unbedingt sofort als solche zu erkennen geben.
Die Einsamkeit war Michelangelos Wesenselement und der kontemplative, melancholische Gesichtsausdruck sein charakteristischstes Merkmal. Ein zeitgenössischer Kupferstich zeigt bereits den dreiundzwanzigjährigen „Micha Ange bonarotanus Florentinus sculptor optimus“ als sinnenden Melancholiker, das geneigte Haupt auf den Handrücken gestützt und in sich versunken. Die Bronzebüste von Daniele da Volterra, heute im Louvre, stellt ebenfalls einen von Trauer und Nachdenklichkeit erfassten Michelangelo dar, ebenso sein Selbstbildnis im Alter als Nikodemus in der Pieta.
Schon in der viel gelesenen und von manchen Geistesgrößen rezipierten Darstellung von Hermann Grimm, dem Sohn des Märchensammlers Wilhelm GrimmLeben Michelangelos, wird die Melancholie als einer der bezeichnenden Wesenszüge ausgemacht und teils auf die wenig attraktive Erscheinung Michelangelos mit dem Makel einer in jugendlicher Kunstauseinandersetzung zertrümmerten Nase zurück geführt: „Vielleicht war es die Entstellung seines Gesichtes, die Michelangelos natürliche Neigung zu Melancholie und Einsamkeit erhöhte und ihn herb und ironisch machte. Er war im höchsten Grade sanft, duldsam und gutmütig, er hatte eine natürliche Scheu, den Leuten wehe zu tun aber in Sachen der Kunst duldete er keine Kränkung seines guten Rechtes. (...) Er besaß ein gewaltiges Selbstgefühl.“[34]

Michelangelo war im Zeichen der Fische geboren – für manche ein Hinweis auf eine sonderbare, leidenschaftliche Persönlichkeit. Der einst hoch gehandelte Dichter und Essayist Romain Rolland hat die markanten Wesenszüge des Künstlers, Einsamkeit und Melancholie, in seinem partiell heute noch lesbarem, teilweise aber von vielfachen Fehlinterpretationen und ganz wesentlichen Verkennungen bestimmten Michelangelo-Portrait ähnlich formuliert und auf den Punkt gebracht: „Er war einsam.“[35]

Andere Interpreten folgen ihm in der Einschätzung. So schreibt etwa Heinrich Koch gleich zum Auftakt seiner Darstellung recht direkt: Michelangelo war einsam. Er blieb einsam auch in seinem Ruhm. (...) Dieses Bekenntnis fixiert die Grundsituation seines Lebens. Er konnte nur in Einsamkeit tätig sein. Der Hang zu ihr war ihm angeboren. Die Umwelt, gegen die er sich abschloss, oft rücksichtslos und grob, konnte ihn nicht verstehen. Sie sah in ihm einen launenhaften Sonderling, einen hochmütigen Phantasten, einen zornigen Missvergnügten.“[36]

6.7. – „La mia allegrezz’ e la maniconia” – “Meine Lust ist die Melancholie!” – Existenzbewältigung im “Amor fati“ oder eine ins Positive transponierte „Melancholie als Mode“?


Michelangelo empfand sich selbst als Melancholiker und seinen Lebensmodus, stets von ewiger Unruhe bestimmt, als ein „Zustand von Melancholie, oder besser von Tollheit“[37].
In verschiedenen Briefen[38], die für das tiefere Verständnis des Künstlers unverzichtbar sind, umschreibt Michelangelo seine momentane Stimmung als malinconico“, also als melancholisch, oft in Verbindung mit einer gewissen Andersartigkeit und individuellen Verrücktheit. Vieles, oft sind es banale Dinge des Alltags, stimmt ihn traurig. Michelangelo findet sich aber recht früh mit seiner Melancholie, unter der er manchmal extrem leidet, ab und findet sogar einen - masochistisch anmutenden - Genuss am Leidenszustand. Dank seiner ausgeprägten Willensstärke und kraft seiner gewaltigen Persönlichkeit, die der gesamten Gesellschaft zu trotzen vermag, ohne unterzugehen, lehnt er sich gegen die Melancholie als pathologisches Negativphänomen auf und deutet sie - in einem Akt besonderer Willensanstrengung - ins Positive um. Das Leiden wird zur Freude! 
Das Resultat - dieser psychologisch realisierten Umwertung im Rahmen eines existenziell notwendigen Bewältigungsprozesses - gipfelt in dem poetisch sublimierten Ausruf:

“La mia allegrezz’ e la maniconia” –
“Meine Lust ist die Melancholie”!

Es ist gut vorstellbar, dass Michelangelo mit seiner Neubewertung des Melancholie-Empfindens eine Entwicklung in Gang gesetzt hat, die im gesamten europäischen Umfeld zu einer Positivinterpretation des Melancholie-Phänomens geführt haben könnte - allerdings ist es eine Wertung, die zu keinem Zeitpunkt das eigentliche Phänomen der Melancholie als Situation des Leidens verdrängen konnte. 
Michelangelo formuliert seine Verherrlichung des gefürchteten Phänomens als Dichtung vielfach in anspruchsvollster Form, im Sonett, das er perfektionistisch angeht wie eine große Skulptur. Die Verbalisierung und Ästhetisierung vollzieht sich somit aber auch über ein Medium, das zunächst ungedruckt von Hand zu Hand Verbreitung fand und - mit dem sich verbreitenden Ruhm des genialen Künstlers aus Florenz und Rom - wahrscheinlich auch im Ausland aufgenommen wurde. 

Melancholie als Mode, kultiviert von Poliziano, Ficino, Pico, Lorenzo de‘ Medici und letztendlich auch von Michelangelo erreichte die Geister[39] Europas, speziell im elisabethanischen England und wirkte sich dort unmittelbar aus – zunächst, bis zu einem gewissen Grad, bei dem Melancholie-Motive sammelnden Robert Burton ebenso wie, literarisch weitaus anspruchsvoller umgesetzt, in den Werken von William Shakespeares beziehungsweise bei Christopher Marlowes[40], der möglicherweise einige Werke seines weltberühmten Landsmanns aus Stratford-upon-Avon verfasst oder mit verfasst haben könnte, sowie in deren Umfeld.

6.8. Hypochondrie und Misanthropie in burlesker Entladung – bei Michelangelo und Leonardo.


„Es gibt Menschen, die man nicht anders als Durchgang von Speisen, Vermehrer von Kot und Füller von Abtritten nennen muß, weil durch sie nichts anderes auf der Welt erscheint, keine Tugend sich ins Werk setzt und von ihnen nichts übrig bleibt als volle Latrinen.“[41]
Leonardo da Vinci

Seine letzten Jahre verlebte das Menschheitsgenie Michelangelo aus freier Entscheidung in ärmlichen Verhältnissen in seinem alten Domizil unweit der Trajans-Säule im Herzen der Weltstadt Rom, manchmal gar verbittert und einsam. Was damals oft innerlich in ihm vorging, was er in Augenblicken des Überdrusses, des Zweifelns und fast Verzweifelns dachte und fühlte, hat der Universal-Künstler in einer burlesken Gelegenheitsreimerei festgehalten:

„Eng eingeschlossen wie in seine Rinde
Des Baumes Mark, leb einsam ich und ärmlich,
gleich einem Geist, gebannt in die Phiole.

Mein Grab ist dunkel und ist schnell durchflogen,
darin die Spinnen emsig, tausendfach
am Werk, sich selbst als Weberschiffchen nützen.

Ein Berg von Kot türmt sich vor meiner Pforte.
Wer Trauben aß, wer Medizinen schluckte,
dem dient der Platz hier zur Erleichterung.

Hier lernte ich des Harnes Wasser kennen
Und auch ihr Ausflussrohr durch jene Ritzen,
die mich vor Tagesanbruch schon erwecken.

Wer Katzen, Aas, Lockvögel, Mist in seinem
Hausstand führt, bringt sie zu mir. Stört es mich,
darf ich sogar mit ihnen Umzug halten.

Das Innerste ist mir derart zerwühlt,
dass, selbst wenn der Gestank verduften sollte,
kein Brot und Käse mir im Magen blieben.

Husten und Schnupfen hindern, dass ich sterbe.
Weicht mir die Blähung unten leicht von hinnen,
so geht der Atem mühvoll aus dem Munde.

Ich bin erlahmt, geborsten und zerbrochen
durch meines Lebens Qualen. Und die Schenke,
in der auf Borg ich lebe, ist der Tod.

Den Frohsinn finde ich in dumpfer Schwermut,
und meine Qualen spenden mir Erholung.
Wer mag, dem möge Gott dies Elend schenken.

Wer am Dreikönigstage mich gewahrte,
wohl ihm, und mehr noch, sehe er mein Haus
inmitten hier der prächtigen Paläste!

Der Liebe Flamme ist in meinem Herzen
erloschen. Größre Not verjagt geringe.
Der Seele Flügel hab ich scharf gestutzt.

Ich brumm wie eine Hummel in dem Kruge.
In einem Ledersacke trage Knochen
ich und Sehnen, drei Steine in der Blase.

Des Blickes sichres Richtmaß ist zerbrochen.
Die Zähne sind wie einer alten Zymbel Tasten,
sie klappern, wenn die Stimme tönt.

Ein Bild des Schreckens zeigt sich mein Gesicht.
Die Kleider scheuchten ohne andre Waffe,
vom Wind bewegt, wohl Raben aus der Saat.

In meinem einen Ohr hockt mir die Spinne,
im andern zirpt in der Nacht die Grille,
und der Katarrh macht schnarchen mich, nicht schlafen.

Und Amor und die Musen, blühende Lauben,
was sind sie als Gekritzel und Gelumpe,
in Schenke, Gosse, Abort nun zu finden!

Hab ich so viele Puppen angefertigt,
damit mir’s schließlich geh wie jenem Mann,
der’s Meer bezwang und dann im Schlamm erstickte?

Die hochgepriesne Kunst, die einst mir Ruhm
Geschenkt, hat mich dahin gebracht, dass ich
In Armut alt und Fremden untertan.

Ich bin vernichtet, kommt nicht schneller Tod.“[42]

Das ist nicht mehr die selbst gewählte Einsamkeit des souveränen Renaissancekünstlers, der sich zurückzieht, um in adäquatem Umfeld große Leistungen zu vollbringen. Das ist vielmehr die Einsamkeit eines Menschen, eines vielfach Unverstandenen, der sich ausgestoßenen fühlt, eines Stigmatisierten, der Probleme mit einer teilnahmslosen, geistig sterilen Gesellschaft hat, mit Ignoranten die weder seine Persönlichkeit schätzten, noch seine besondere, in vielen Bereichen entfaltete Kunst zu würdigen wissen. 
Vergänglichkeit, das Altern, der Zerfall, Amor fati, Klage, Leiden, Todessehnsucht, Erlösung, Umwertung der Melancholie zur Lust, extreme Weltflucht und Misanthropie, Welt-Ekel, Überdruss und Übertreibung – das alles sind Elemente, die das klagende Genie, nicht anders als der ähnlich fühlende und leidende Leonardo da Vinci an anderer Stelle, der vielgepriesenen Zeit mit ihren gleichgültigen, wenig kunstsensiblen, intellektuell abgestumpften Menschen zum Vorwurf macht. Das einsame Genie muss leiden – Doch als Dichter wird Michelangelo, lange nach Seneca und weit vor Goethe, unverblümt zu sagen wissen, was er erleidet, nicht ganz realistisch, dafür umso grotesker und obszöner in einem Akt des Protestes und der seelenreinigenden Selbstbefreiung. 

Wie hat sich die Melancholie-Auffassung inzwischen verändert? Was ist anders geworden seit der Zeit des Minnesangs und des frühen Humanismus? Während ein Walter von der Vogelweide sich in die Melancholie-Haltung versetzt, ja die Melancholie-Pose kultiviert, um dann - weder tief traurig noch sonst existenziell betroffen - recht nüchtern rational über die richtige Lebensführung nachzudenken oder ein Francesco Petrarca sein Loblied auf die Einsamkeit gelegentlich gar poetisch zelebriert, die tieferen Schmerzen melancholischer Heimsuchungen aber der Welt vorenthält, um sie, nur für sich selbst bestimmt, in sein „Secretum“ zu bannen, lässt Michelangelo seinem Welt-Ekel und seiner Misanthropie freien Lauf – zur Melancholie stehend, deren Schmerz, mehr apodiktisch als sublim, zur Lust erhöht wird. Die verachtete Welt soll wissen, dass aus tiefstem Leiden auch Lebensfreude werden kann, wenn der starke Wille eines souveränen Individuums, das sich geistig-spirituell über das profane Leben erhebt, es so will.

Michelangelos kongenialer Zeitgenosse und Rivale in den Künsten wie Ideen, Leonardo da Vinci, der in seinem ebenfalls langen Leben manche Wüste der Einsamkeit durchschreiten musste, hat, die Gesellschaft geißelnd, seine Enttäuschung am Menschen in ähnlich dramatische Worte gefasst. In den „Philosophischen Tagebüchern“ Leonardos ist lakonisch vermerkt: „Es gibt Menschen, die man nicht anders als Durchgang von Speisen, Vermehrer von Kot und Füller von Abtritten nennen muß, weil durch sie nichts anderes auf der Welt erscheint, keine Tugend sich ins Werk setzt und von ihnen nichts übrig bleibt als volle Latrinen.“[43]

Es ist frappierend, dass auch dieser zweite große Geist der Hochrenaissance zur Fäkalsprache greifen muss, um seiner Verbitterung Luft zu machen. Frustrationen müssen abgearbeitet werden, damit es künstlerisch wie existenziell weiter gehen kann, frei in der Selbstbehauptung in einem Umfeld, das mehr gnadenlos als sozial war.
Letztendlich beweisen Michelangelos und Leonardos Gelegenheits-Zynismen, wie schnell gelebter Altruismus über künstlerisches Schaffen und Philanthropie in Misanthropie umschlagen können. Gerade Menschen, die ein Leben hindurch viel Idealismus investierten, um das Höhere im Menschen zu fördern und zum Durchbruch zu führen, verlieren irgendwann nach zahlreichen Enttäuschungen den Glauben an eben diesen Menschen, der keine Krönung der Schöpfung ist und ziehen sich, mehr souverän und einsichtig als „gekränket von dem Schwarme“ (Lenau, „Der einsame Trinker“), in die Einsamkeit ihres Selbst zurück.

Die oben zitierte Burleske, in der die Motive Einsamkeit, Melancholie, Trauer und Tod gezielt eingestreut werden, hat natürlich nicht viel mit den großen Sonetten Michelangelos zu tun, aus denen ein ganz anderes Künstlertum zu vernehmen ist, dafür aber umso mehr mit der tatsächlichen Existenz. Es ist nicht einmal eine Stilübung; es ist eine Art stilisierte Marotte in Versen, teils aus eigenem melancholischen Vergnügen heraus verfasst, mit dem Ziel, sich selbst und den Adressaten, an den es sich wendet, ungeachtet der Bitterkeit zum Lachen zu bringen. Michelangelo, der Künstlergigant überhaupt, als Vogelscheuche! Der „uomo universale“ als gebrochenes Individuum, kraftlos, sich nach dem Erlöser Tod sehnend! 

Das Genie ein Hypochonder? Einer, der sich genau beobachtet und alle möglichen Symptome und Krankheiten an sich feststellt, der an sich die Spuren des Verfalls und der Vergänglichkeit registriert; der schließlich selbst an seinem Lebenswerk, an den von ihm geschaffenen Kunstwerken, die ihm alles bedeuteten, zweifelt. Inmitten dieser trostlos destruktiven Sichtweise erhebt sich die Melancholie als ambivalentes Phänomen. Obwohl sie ein Elend ist, das keiner erleiden soll, spendet sie auch Trost, weil der Leidende in seinem Leiden aufgeht:

„Den Frohsinn finde ich in dumpfer Schwermut,
und meine Qualen spenden mir Erholung“.

Gedichte dieser Art, einerseits mit tiefer Aussagekraft zur Melancholie-Thematik, müssen andererseits so gelesen werden, wie man die enthusiastischen, von Pathos durchdrungenen Briefe des Mediceer-Kreises liest – unter Beachtung der zahlreichen Übertreibungen, der rhetorischen Floskeln, der Ironie und des Sarkasmus’. Nicht alles, was verkündet wird, ist echt und ernst gemeint. Und doch schwingt existenzielle Bitterkeit mit, eine Verbitterung, aus der die innere Wahrhaftigkeit hervor leuchtet.

Michelangelos von vielen künstlerischen Höhepunkten bestimmtes Leben hatte sicher auch traurige Phasen. Als sensiblen Künstler irritierten ihn die Trivialitäten des Alltags, die vergeudete Energie in der Auseinandersetzung mit Auftraggebern, die ihre Honorare endlos hinauszögern, mit unzuverlässigen Banken, Betrügern im Steinbruch, Dieben aller Art und mit den immer wieder sich einstellenden Geldsorgen, die den künstlerischen Schaffensprozess unterbrachen und den Künstler lähmten. In einem Brief aus dem Jahr 1509, also zu einem Zeitpunkt, als er schon ein berühmter Bildhauer war, schreibt Michelangelo aus Rom an seinen Bruder Buonarroto in Florenz: „Ich bin genötigt, mich mehr als die Anderen zu lieben, und kann nicht einmal mir mit den notwendigen Dingen dienen. Ich lebe hier in großer Sorge und unter den größten körperlichen Anstrengungen und habe keinen einzigen Freund, will auch keinen, und habe nicht soviel Zeit, um das Notwendige essen zu können; drum soll man mir nicht noch mehr Not machen, ich könnte doch nicht eine Unze mehr davon ertragen.“[44] Drei Jahre später klagt er dem gleichen Bruder, der, neben dem Vater, das Bindeglied zur Familie darstellte: „Ich teile Euch mit, daß ich nicht einen Groschen besitze und gleichsam barfüßig und nackt bin und das, was mir noch zukommt, nicht eher als bis ich mein Werk vollendet habe, erhalten kann; und ich erdulde sehr große Mühen und Unbequemlichkeiten.“[45]

Da Michelangelo weitgehend wie ein Asket lebte, brauchte er kaum etwas für den persönlichen Bedarf. Das meiste Geld aus seinen nicht geringen Honorarzahlungen investierte er in Materialien, in Wachs, Papier, Leinwand, Farbe, vor allem aber in teure Marmorblöcke, die er auf eigenes Risiko erwarb und transportierte. Erwies sich ein solcher Marmorblock, den Michelangelo in den Brüchen von Carrara oder Pietrasanta bei Aufenthalten von bis zu acht Monaten im Bruch selbst aussuchte, als mangelhaft, so war der Schaden für den Künstler enorm. Darüber hinaus war die Zahlungsmoral der Päpste schlecht. In einem Brief an Fatucci aus dem Jahr 1525 klagt Michelangelo: „Ich habe die Provision, schon ist’s ein Jahr her, nicht genommen und kämpfe mit der Armut. Ich bin ganz allein in meinen Nöten und habe davon so viele, daß sie mich mehr beschäftigt halten als die Kunst.“[46]

Der Künstler wird in die Einsamkeit zurückgeworfen und verfällt zeitweise der Melancholie, während der künstlerische Schaffensprozess stockt. Obwohl er leiden muss, vermeidet es Michelangelo, bei Freunden um Geld zu betteln. Dazu ist er zu stolz. Er sucht vielmehr sein Recht, indem er jeden der fünf Päpste, mit denen er es zu tun hatte, zur Rede stellt und sie an ihre Zusagen erinnert. Wenn Michelangelo größere Zahlungen erhielt, ließ er einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Familie zukommen, investierte in Bürgerhäuser in Florenz, erwarb viel Grundbesitz und deponierte ansehnliche Summen bei Banken. Da er im Grunde reich war, musste er auch befürchten, gerade die deponierten Gelder könnten von Bankiers, Verwalter, Notaren veruntreut werden, ebenso wie er Sorge hatte, im alltäglichen Bereich betrogen und bestohlen zu werden. Neben seinen sonstigen Wertsachen, waren vor allem seine Kunstwerke, die in großer Zahl in seinem Atelier herumlagen, begehrt.
Als 1542 eine Bestätigung eines angelegten Betrags, mit dem sich Michelangelo die Freiheit des Alters sichern wollte vorerst ausblieb, jammerte er in einem Schreiben an seinen Verwalter de Riccio: „Ich habe mir die 1400 Dukaten aus dem Herzen gezogen; und die hätten mir für sieben Jahre Arbeit gedient (...) Nun stehe ich da, ärmer an Geld und mit mehr Kampf und Nöten denn je“.[47]

Obwohl Michelangelo immer wieder zur Übertreibung neigte und seine vermeintliche Armut inszenierte, wird aus den Briefen eines deutlich: Die Existenz des Individuums ist stets gefährdet - als Mensch und Künstler. Das Leben bleibt in mehrfacher Hinsicht exponiert.
Neben den materiellen Sorgen litt der sonst selbstbewusste, aristokratisch geprägte Michelangelo unter der politischen Unfreiheit der despotischen Zeit und unter dem Zwang, den Päpsten dienen zu müssen, während sein großer Rivale Leonardo da Vinci in seiner Gesamtentfaltung mobiler und somit viel freier war. Auch quälte Michelangelo die Vorstellung, seine großen Kunstwerke könnten die Zeiten nicht überdauern und der Vergänglichkeit anheimfallen. Da er recht lange lebte, verlor er viele Freunde, ihm nahestehende Menschen, ferner Ideale. Vielfache Desillusion machte sich breit – doch er hielt am Leben fest. Michelangelo war zwar oft krank, doch lehnte er jede ärztliche Hilfe ab, da er, nicht anders als sein dichterisches Vorbild Petrarca, die wissenschaftliche Autorität des Berufsstandes nicht anerkannte. Entgegen seiner Jammer-Darstellung in der Burleske, musste der anerkannte Künstler nicht in Lumpen leben. Michelangelo war vermögend, sogar so begütert, dass er seinen treuen Mitarbeiter Urbino durch eine einzige, geradezu fürstlich ausfallende Schenkung reich machte.
Michelangelo, der in der Selbstbehauptung gegenüber den Päpsten stets Rückgrat, Mut, ja sogar bewusste Gegnerschaft zeigte, war im Umgang mit seinen engsten Mitarbeiter höchst wohlwollend, mild und von zarter Güte erfüllt. Er dachte sozial, verteilte viel an wirklich bedürftige Menschen, vor allem an jene, die es ablehnten, öffentlich zu betteln. Einfache, ursprüngliche, unverfälschte Menschen bedeuteten ihm sehr viel. Kurz nachdem Michelangelo seinem langjährigen Mitarbeiter Urbino, der ihm mehr als zwanzig Jahre assistierte, ein kleines Vermögen hatte zukommen lassen, um dessen Tage im Alter abzusichern, verstarb jener nach mehrmonatiger Krankheit in den Armen des Meisters. Für Michelangelo war dies ein Schlag, der ihn nachhaltig berührte. Aus einem Schreiben an seinen späteren Biografen Giorgio Vasari, dem Begründer der weltberühmten Gemälde-Galerie „Uffizien“ in Florenz, ist der gesamte existenzielle Schmerz vernehmbar: „Ihr wißt, daß Urbino gestorben ist. Darin ist mir von Gott größte Gnade geschehen, aber auch zu meinem schweren Schaden und unermesslichem Schmerze: Die Gnade hat darin bestanden, daß, wie er mich im Leben lebend erhielt, er sterbend mich sterben gelehrt hat, nicht mit Unlust, sondern mit Verlangen nach dem Tode. Ich habe ihn sechsundzwanzig Jahre gehalten und habe ihn äußerst redlich und treu befunden; und nun, da ich ihn reich gemacht hatte und erwartete, daß er meinem Alter Stab und Erholung wäre, ist er mir entschwunden, und keine andere Hoffnung ist mir geblieben, als ihn im Paradiese wieder zu sehen. Und dafür hat Gott ein Zeichen in dem so überaus seligen Tode, den er gestorben ist, gegeben. Und weit mehr als das Sterben hat ihn betrübt, daß er mich lebend in dieser verräterischen Welt, unter solchen Nöten zurückließe; und da der beste Teil von mir mit ihm dahingegangen ist, bleibt mir für den anderen nur grenzenloses Elend.“[48]

Geld spielte für Michelangelo in der Tat keine Rolle. Sein anderer Biograph, Condivi, der schon zu Lebzeiten eine Lebensbeschreibung des berühmten Künstlers herausgab, zitiert Michelangelo mit den Worten, er sei eigentlich ein vermögender Mensch gewesen, er habe nur arm gelebt. Aus diesem Grund sind die vielen Hinweise auf Armut in Briefen und in der oben zitierten Burleske objektiv nicht haltbar. 

Die Burleske selbst entstand wohl aus einer üblen Laune heraus, aus Missmut und Verdruss, Gestimmtheiten, wie sie der Melancholiker immer wieder erlebt, wenn das Euphorisch-Enthusiastische verfliegt und Trauer, Vereinsamungsschmerz und Verzweiflungsanfälle sich breit machen.

6.9. Michelangelos „Sonette“: Kreationen reiner Eitelkeit?


Das wüst-zynische Klagelied ist als Momentaufnahme zu betrachten, ohne die Potenz, die gesamte geniale Künstlerexistenz in Frage zu stellen. Michelangelos eigentliche poetische Leistung wird erst in den Sonetten erbracht, in jener anspruchsvollen Lyrik, die er in reiferen Jahren, in der Lebensphase ab Sechzig bis ins hohe Alter, verfasste.
Die Sonette sind Altersdichtungen, aus denen – typisch für den spirituellen Wandel - nunmehr die Weltanschauung dieser Jahre hervorleuchtet: Der Geist künstlerischer Skepsis verbunden mit christlicher Innerlichkeit tritt an die Stelle des zukunftsgläubigen Lebensoptimismus des frühen Renaissancegenies. Die christliche Spiritualität des reiferen Michelangelo Buonarroti ist jedoch nicht, wie gelegentlich von Interpreten hervorgehoben, Verrat an der Kunst und den Idealen der Renaissance, sondern sie entspricht einer inneren geistigen und seelischen Entwicklung des Künstlers, die auch ihm zugebilligt werden muss. Michael Engelhard, der 79 dieser Sonette – nach Rilke und anderen Nachdichtungen – ins Deutsche übertragen hat, sieht in Michelangelos Dichtungen „poetische Bewältigungen existenzieller Erfahrungen. Jede dieser Erfahrungen steht gleichberechtigt neben jeder anderen. Sie werden zusammengehalten durch den Wesenskern dieses einzigartigen Menschen, der sich in jedem Gedicht offenbart.“[49]

Gemessen an den Sonetten Michelangelos erscheinen die Sonette seines früheren Förderers Lorenzo de’ Medici wie holprige Gehversuche. Auf manches der Sonette Michelangelos, die zu den schönsten gehören, die in der italienischen Literatur des 16. Jahrhunderts hervorgebracht wurden, lässt sich der Ausspruch anwenden: Ecce poeta!

Und dabei kam es Michelangelo nicht einmal darauf an, diese lyrischen Perlen drucken zu lassen. Ihm, der auf das Unvergängliche und Ewige im Kunstwerk großen Wert legte, der daran glaubte und die Identität eines höheren Menschen daraus ableitete und rechtfertigte, erschien eine Veröffentlichung seiner Sonette als reine Eitelkeit. Er wollte seinem Publikum, das ihn als Bildhauer, als Maler und als Baumeister bewunderte, nicht noch den Dante-Kenner zumuten. Es reichte ihm, wenn die artikulierten Gefühle, das Pathos der Freundschaft, des Schönen und des Göttlichen, Freunde erreichten, Menschen, wie den innig verehrten römischen Edelmann Tomasso dei Cavalieri oder seine in Anbetung geliebte Vittoria Collona, die selbst eine Intellektuelle von Rang und eine begnadete Lyrikerin war. Kernthemen der Sonette Michelangelos sind das Verhältnis des Künstlers zum Kunstwerk, des Menschen zum angebeteten Subjekt, des Individuums zum Ideal und zu Gott. Hymnen oder Lobgesänge auf Einsamkeit und Melancholie wird man in jener Sammlung vergeblich suchen. Dort, wo beide Phänomene marginal in Erscheinung treten, geschieht es indirekt im Kontext. Michelangelo arbeitete gern nachts, fasziniert von der Ruhe und Stille der Nacht. In einem der Sonette wird diese besondere Stimmung eingefangen:

„O süße, wenn auch schwarze Zeit, o Nacht,
Die jedes Werk in ihren Frieden reißt,
Gut von Verstand und Aug‘ ist, wer dich preist,
Und wer dich ehrt, hat heilen Geists gedacht.

Dem müden Denken hast du Ruh‘ gebracht,
Das in der schattenfeuchten Stille kreist,
Und aus der Tiefe trägst du meinen Geist
Im Traum empor, wohin ich hoffend tracht’.

O Schattenbild des Todes, in dir endet
Die böse Not der Seelen und der Herzen,
Du allen Leids letzter Heilungsborn,

Du bist’s, der krankem Fleisch Gesundheit spendet
Du trocknest Tränen, linderst alle Schmerzen
Und raubst den Guten Überdruß und Zorn.“[50]

Hinter der dunklen Nacht steht die trostspendende Melancholie, die das Individuum mit dem Schicksal versöhnt.
Dreihundert Jahre später wird ein anderer Dichter und großer Melancholiker, der sich im Rahmen seiner Vorstudien zum „Savonarola“-Epos mit Michelangelo, Leonardo da Vinci, Lorenzo de’ Medici und der Renaissance als Epoche intensiv auseinandergesetzt hat, in einem seiner schönsten lyrischen Gedichte überhaupt, das Phänomen der Melancholie aus einer vergleichbaren Stimmung heraus mit nahezu identischen Worten erfassen - Nikolaus Lenau in „Bitte“:

„Weil‘ auf mir, du dunkles Auge,
Uebe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!

Nimm mit deinem Zauberdunkel,
Diese Welt von hinnen mir,
Daß du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.“[51]

Komm, heilige Melancholie – Komm, Trost der Welt, du stille Nacht! Andere Dichter anderer Zeiten haben ähnlich gefühlt. Michelangelo steht am Anfang einer Auffassung, die das Phänomen der ernsten Melancholie sublim veredelt.






[28] Näheres zu den Anfängen in Florenz bei: Forcellino, Antonio: Michelangelo. Eine Biographie. Aus dem Italienischen von Petra Kaiser, Martina Kempter und Sigrid Vagt. München 2006.

[29] „Signor, se vero è alcun proverbio antico/ questo è ben quel, que qui può mai non vuole.“ „Wenn jemals, Herr, ein Sprichwort Wahrheit sprach, / So dies: Wer kann, wird niemals willig sein. In: MichelangeloGedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 14f. Dieser Sonett-Auftakt ist richtungweisend für Michelangelos gesamte Schaffensexistenz. Er, der stets der Wahrheit verpflichtet war und – trotz allen redlichen Schaffens von höheren Mächten „ganz allein“ gelassen wurde, während Lügen und Geschwätz triumphierten, sollte sich nur beugen und sich dem Papst unterwerfen, wenn es unbedingt sein musste; nicht für Geld, aber um das erstrebte Kunstwerk zu realisieren.

[30] Michelangelo, Gedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 205.

[31] Ebenda, S. 61.

[32] Romain Rolland, Michelangelo, S. 150.

[33] Einem, Herbert vonMichelangelo. Bildhauer, Maler, Baumeister, Berlin 1959. S. 92.

[34] Michelangelo. Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom. Berlin 1967.

[35] Romain Rolland, Michelangelo .

[36] Heinrich Koch, Michelangelo, Reinbek 2001. S. 7. „Fett“ markiert – hier vom Autor hervorgehoben.

[37] Romain Rolland, Michelangelo, S.15.

[38] Die Briefe des Michelagniolo Buonarroti. Übersetzt von Karl Frey. Dritte Auflage, mit erweiterten Anmerkungen neu herausgegeben von Herman-Walter Frey. Berlin 1961.

[39] Es ist denkbar, dass auch Albrecht Dürer während seiner Studien in Italien mit diesem „modischen“ und zugleich tiefsinnigen Sujet konfrontiert wurde, bevor er, inspiriert wohl auch durch Pico und Ficino, seine allegorische Darstellung „Melencolia I“ anging.

[40] Für beide Dramatiker sind Einsamkeit und Melancholie charakteristische Themen. Gestalten wie „Faust“ oder „Hamlet“ sind „Einsame“ mit ausgeprägt melancholischen Zügen. 

[41] Leonardo da Vinci, Philosophische Tagebücher. Italienisch und Deutsch. Zusammengestellt, übersetzt und mit einem „Essay zum Verständnis der Texte“ und einer Bibliographie herausgegeben von Giuseppe Zamboni. Hamburg 1959. S. 113.

[42] Vgl. dazu auch die Übersetzung von Engelhard, in: MichelangeloGedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 317ff.

[43] Leonardo da Vinci, Philosophische Tagebücher. Italienisch und Deutsch. Zusammengestellt, übersetzt und mit einem „Essay zum Verständnis der Texte“ und einer Bibliographie herausgegeben von Giuseppe Zamboni. Hamburg 1959. S. 113.

Vgl. auch: Leonardo da Vinci: Tagebücher und Aufzeichnungen. Hrsg.: Theodor Lücke. 3. Auflage. Leipzig 1953, S. 113.

[44] Die Briefe des Michelagniolo Buonarroti. Übersetzt von Karl Frey. Dritte Auflage, mit erweiterten Anmerkungen neu herausgegeben von Herman-Walter Frey. Berlin 1961. S. 44. Unterzeichnet: „Michelagniolo, Bildhauer in Rom“. Die Briefe des Künstlers sind auch im Internet abrufbar: http://www.gutenberg.org/files/15813/15813-h/15813-h.htm

[45] Ebenda, S. 52.

[46] Ebenda, S. 91.

[47] Ebenda, S. 116f.

[48] Ebenda, S. 176f.

[49] Vgl. dazu das sehr lesenswerte, mit vielen speziellen Einblicken gespickte Nachwort des Übersetzers, S. 367ff. (Erste Neuauflage der Gedichte 1999) bzw. S. 144, Erstauflage 1992, aus welcher das Zitat oben stammt.

[50] MichelangeloGedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 151.

[51] In: Nikolaus Lenau. Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Lenau-Gesellschaft von Helmut Brandt, Gerard Kozielek, Antal Mádl, Norbert Oellers, Hartmut Steinecke, András Viskelety, Hans-Georg Werner, Herbert Zeman. Wien 1995 ff. Bd. 1, S. 98. 



Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.





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Zur Person/ Vita Carl Gibson - Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)




Inhalt des Buches: 


Carl Gibson


Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca


zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche







Das 521 Seiten umfassende Buch ist am 20 Juli 2015 erschienen. 

Carl Gibson

Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche


Motivik europäischer Geistesgeschichte und anthropologische Phänomenbeschreibung – Existenzmodell „Einsamkeit“ als „conditio sine qua non“ geistig-künstlerischen Schaffens


Mit Beiträgen zu:

Epikur, Cicero, Augustinus, Petrarca, Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Ficino, Pico della Mirandola, Lorenzo de’ Medici, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Savonarola, Robert Burton, Montaigne, Jean-Jacques Rousseau, Chamfort, J. G. Zimmermann, Kant, Jaspers und Heidegger,


dargestellt in Aufsätzen, Interpretationen und wissenschaftlichen Essays

1. Auflage, Juli 2015
Copyright © Carl Gibson 2015
Bad Mergentheim

Alle Rechte vorbehalten.


ISBN: 978-3-00-049939-5


Aus der Reihe:

Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte
und Kritisches zum Zeitgeschehen. Bd. 2, 2015

Herausgegeben vom
Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim


Bestellungen direkt beim Autor Carl Gibson,

Email: carlgibsongermany@gmail.com

-         oder regulär über den Buchhandel.

„Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit!“ – Das verkündet Friedrich Nietzsche in seinem „Zarathustra“ als einer der Einsamsten überhaupt aus der langen Reihe illustrer Melancholiker seit der Antike. Einsamkeit – Segen oder Fluch?

Nach Aristoteles, Thomas von Aquin und Savonarola ist das „zoon politikon“ Mensch nicht für ein Leben in Einsamkeit bestimmt – nur Gott oder der Teufel könnten in Einsamkeit existieren. Andere Koryphäen und Apologeten des Lebens in Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit werden in der Einsamkeit die Schaffensbedingung des schöpferischen Menschen schlechthin erkennen, Dichter, Maler, Komponisten, selbst Staatsmänner und Monarchen wie Friedrich der Große oder Erz-Melancholiker Ludwig II. von Bayern – Sie alle werden das einsame Leben als Form der Selbstbestimmung und Freiheit in den Himmel heben, nicht anders als seinerzeit die Renaissance-Genies Michelangelo und Leonardo da Vinci.

Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit, postuliert der Vordenker der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, das Massen-Dasein genauso ablehnend wie mancher solitäre Denker in zwei Jahrtausenden, beginnend mit Vorsokratikern wie Empedokles oder Demokrit bis hin zu Martin Heidegger, der das Sein in der Uneigentlichkeit als eine dem modernen Menschen nicht angemessene Lebensform geißelt. Ovid und Seneca verfassten große Werke der Weltliteratur isoliert in der Verbannung. Petrarca lebte viele Jahre seiner Schaffenszeit einsam bei Avignon in der Provence. Selbst Montaigne verschwand für zehn Jahre in seinem Turm, um, lange nach dem stoischen Weltenlenker Mark Aurel, zum Selbst zu gelangen und aus frei gewählter Einsamkeit heraus zu wirken.

Weshalb zog es geniale Menschen in die Einsamkeit? Waren alle Genies Melancholiker? Wer ist zur Melancholie gestimmt, disponiert? Was bedingt ein Leben in Einsamkeit überhauptWelche Typen bringt die Einsamkeit hervor? Was treibt uns in die neue Einsamkeit? Weshalb leben wir heute in einer anonymen Single-Gesellschaft? Wer entscheidet über ein leidvolles Los im unfreiwilligen Alleinsein, in Vereinsamung und Depression oder über ein erfülltes, glückliches Dasein in trauter Zweisamkeit? Das sind existenzbestimmende Fragen, die über unser alltägliches Wohl und Wehe entscheiden. Große Geister, Dichter, Philosophen von Rang, haben darauf geantwortet – richtungweisend für Gleichgesinnte in ähnlicher Existenzlage, aber auch gültig für den Normalsterblichen, der in verfahrener Situation nach Lösungen und Auswegen sucht. Dieses Buch zielt auf das Verstehen der anthropologischen Phänomene und Grunderfahrungen Einsamkeit, Vereinsamung, Melancholie und Acedia im hermeneutischen Prozess als Voraussetzung ihrer Bewältigung. Erkenntnisse einer langen Phänomen-Geschichte können so von unmittelbar Betroffenen existentiell umgesetzt werden und auch in die „Therapie“ einfließen.

Carl Gibson, Praktizierender Philosoph, Literaturwissenschaftler, Zeitkritiker, zwölf Buchveröffentlichungen. Hauptwerke: Lenau. Leben – Werk – Wirkung. Heidelberg 1989, Symphonie der Freiheit, 2008, Allein in der Revolte, 2013, Die Zeit der Chamäleons, 2014.






ISBN: 978-3-00-049939-5



Inhalt:


Einleitung: „Einsamkeit“ heute – Segen oder Fluch?
Der Mensch der Single-Gesellschaft – Leben im uneigentlichen Sein?

Teil I: Griechisch-römische Antike

1. Waren die heiteren Griechen auch einsam? Das Verständnis von Einsamkeit und Melancholie bei Vorsokratikern und Aristoteles.
1.2. Der Melancholiker – ein Genie? - Empedokles, Demokrit und eine nicht authentische, missverstandene Aristoteles-Sentenz
1.3. Im Garten des Epikur – Lebe zurückgezogen! Das naturgemäße Leben im Verborgenen.
2. Marcus Tullius Cicero - Einsamkeit und Gesellschaft: Musischer Rückzug in den ruhigen Hafen – „otio“ - „Gespräche in Tusculum“
3. Ovidius Naso in Verbannung in Tomis, am Schwarzen Meer – Vereinsamung und Melancholie im Spätwerk, in den Elegien „Tristia“ und in den Briefen „Epistulae ex Ponto“.
3. 1. „einsam lieg’ ich am Strande des äußersten Endes der Erde“ - Zur Einsamkeit verdammt am Ende der Welt: Ovids melancholische Dichtung vom Pontus
3. 2. Nemo propheta in patria?
3. 3. Kummer, „aegritudo“, „mania“, „melankolia“ in Ciceros „Disputationes Tusculanae“ - Bellerophon, der antike Einsame, Unbehauste; Einsamkeit und Melancholie in der mythisch-analytischen Zeitdiskussion.
3. 4. Psychosomatik
3. 5. Das „Schwarze Meer“ und „Tomis“ – antike Unort(e)?
3. 6. Künstlerisches Schaffen in Einsamkeit an sich und als Selbsttherapie
3. 7. Melancholie und Versöhnung – Concordia und Amor fati
4. Lucius Annäus Seneca - Lebe zurückgezogen - „solitudine“ und „in otio“
4. 1. „exsilium“, Senecas Verbannung auf Korsika – Unfreiwillige, äußere Einsamkeit und innere Freiheit, dargestellt im „Epigramm“
4. 2. Existenzbewältigung über Poesie bei Ovid und ethisches Philosophieren bei Seneca
4. 3. Ruhe der Einsamkeit - Apathie, Ataraxie, Eudämonie, „constantia“
4. 4. „De constantia sapientis“ – Die „Unerschütterlichkeit des Weisen“
4. 5. „Jeglicher Ort ist für den Weisen Heimatland.“ – Oder: „Patria est, ubicumque est bene“
4. 6. Senecas Klage als Anklage – Gesellschaftskritik und Dekadenz-Kritik aus der Einsamkeit des Exils heraus in der Auseinandersetzung mit den Tyrannen Caligula und Nero
4. 7. „De otio“ – Von der „Zurückgezogenheit“; Zwischen stiller Muße (otio) und hektischer Geschäftigkeit (negotio)
4. 8. In „secreto“ – „Menschen (…) leisten in der Einsamkeit Größtes“- Ethische Haltung und Charakterbildung entstehen in der Stille der „Zurückgezogenheit“. Die Funktionen des einsamen Lebens und der Nutzen für die Gesellschaft
4. 9. Selbsterkenntnis und die Idee des Selbstseins erwachsen dem Alleinsein - Das Existieren in der Eigentlichkeit. Psychologische und soziologische Aspekte erfahrener Einsamkeit
4. 10. Die Gefahren des Alleinseins – Einsamkeit als Last
4. 11. Das Alleinsein in den eigenen vier Wänden – Chance und Risiko. Freiwilliger Rückzug in die Einsamkeit, statt Weltflucht aus Enttäuschung und Überdruss
4. 12. Typen und Charaktere – introvertiert oder extrovertiert? Senecas Beschreibung der Melancholie-Symptomatik
4. 13. Geselligkeit – Senecas Plädoyer für ein ausgewogenes Wechselverhältnis zwischen freiwilligem Sein in Einsamkeit und sozialem Austausch
4. 14. Schöpferische Einsamkeit - Medium des Kreativen
4. 15. Die Apotheose des einsam-kontemplativen Lebens in der Schrift „De brevitate vitae“, „Die Kürze des Lebens“
4. 16. Im „Jetzt“ leben, nicht erst morgen und am Leben vorbei! Hic et nunc und Memento mori!
4. 17. Der ruhige Hafen als Endziel - Individuelles Leben oder Massen-Existenz?
5. Mark Aurel - Der Weg zum Selbst in Zurückgezogenheit
5. 1. Gelebter Stoizismus als Vorbild
5.2. „Alleinsein“ bei Epiktet – Individualität und Selbsterkenntnis

Teil II: Vom frühen Mittelalter bis zur Scholastik

1. „Einsamkeit“ und „Melancholie“ im frühen Mittelalter. Anachoreten im frühen Christentum - „anachoresis“ und „monachoi“.
1.1.         Eremitentum und monastisches Leben um 300 – 400 n. Chr. Antonius, (der Ägypter), Evagrius Ponticus und Augustinus: DerWeg zu Gott vollzieht sich in der Einsamkeit
1.2. Antonius, der Ägypter – Einsiedlertum, Wüstenspiritualität und Mystik
1.3. Aurelius Augustinus in „reiner Einsamkeit“ - „Alleingespräche“ aus Cassiciacum - Früchte des Schaffens in der Einsamkeit des Selbstgesprächs
1.4. „Acedia“ seit Evagrius Ponticus, bei Thomas von Aquin und Bonaventura
1.5. Die „Wirkscheu“ des Johannes Cassian
1.6. Thomas von Aquin - Wirkscheu ist Todsünde – Acedia oder „Tristitia“
2. Deutsche Mystik
2.1. Meister Eckhart: Die absolute Freiheit des Gottsuchenden - Der unmittelbare, mystische Weg zu Gott. „Abgeschiedenheit“ und „innerliche Einsamkeit“ neu definiert
2.2. In der Abgeschiedenheit – Das Aufgeben des Selbst, das Ledigwerden, als Voraussetzung der Unio mystica und die Gottesgeburt
2.3. „innerliche Einsamkeit“ – Zum Wesen der Dinge!
2.4. „Unio mystica“ und Buddhismus – Stufen und Wege des Rückzugs aus allgemein philosophischer, christlicher Sicht bzw. aus der Perspektive der Zen-Meditation - Exkurs
2.5. Heinrich Seuses „Weg in die Innerlichkeit“ und die Beschreibung der Mönchskrankheit (Acedia) in der Schrift „Das Leben des Dieners“
2.6. „Das Büchlein der ewigen Weisheit“ - „Wie man innerlich leben soll“, „lautere Abgeschiedenheit“ und Entwerdung (Selbst- bzw. Ich-Auflösung)
2.7. Theresa von Avila - „Der Weg zur Vollkommenheit“ und „Die Seelenburg“.

Teil III: Humanismus

1. Francesco Petrarcas Loblieder auf die Einsamkeit. Der zentrale Stellenwert der „Einsamkeit“ im Werk der Humanisten
1.1. Zur Vita Petrarcas – Von der Vita activa zur Vita contemplativa im mundus aestheticus
1. 2. „De otio et solitudine“ - Von Freiheit (Muße) und Einsamkeit
1.3. „De vita solitaria“: Francesco Petrarcas Hymnus in Prosa auf das Leben in Einsamkeit. Die Begründung der Auffassung von der „schöpferischen Einsamkeit” als elitäre Phänomen-Definition
1.4. „felix solitarius“ contra „miser occupatus“ – besser allein, frei und glücklich als vielbeschäftigt, gestresst und in permanenter Disharmonie – Einsamkeit: die „conditio sine qua non“ einer ethisch fundierten Lebensführung und Existenzbewältigung
1.5. Zur Modernität des Existenzmodells „Leben in der Eigentlichkeit“
1.6. Das schaffende Subjekt … und die Ahnenreihe der Einsamen
1.7. „Secretum“ – Melancholie und Misanthropie
1.8. „Gespräche über die Weltverachtung“: Petrarcas negativer Melancholie-Begriff und Dante
1.9. Melancholie und Selbst-Therapie – Ist die „unheilvolle“ „Seelenkrankheit“ „Weltschmerz“heilbar?
1.10. Dante weist die Muse Melancholie zurück

Teil IV: Renaissance

Einsamkeit und Melancholie während der Renaissance in Italien - Die „Saturniker“ des Mediceer-Kreises
1. Angelo Poliziano – Der Dichter am Kamin als personifizierte Melancholie und eine Melancholie-Beschreibung im Geist der Zeit.
2. Marsilio Ficino – Therapierte Melancholie. Das Bei-sich-Selbst-Sein der Seele führt zu Außergewöhnlichem in Philosophie und Kunst
2.1. Marsilio Ficino in freiwilliger Zurückgezogenheit in Carreggi - Einsamkeit als „conditio sine qua non“ des künstlerischen Schaffens
2.2. Im Zeichen des Saturn - Marsilio Ficinos Werk, „De vita triplici“, eine Diätetik des saturnischen Menschen. Ficinos astrologisch determinierter, antik physiologischer Melancholie-Begriff.
2.3. Definition der Melancholie und des Melancholikers in „Über die Liebe oder Platons Gastmahl“ - Die Liebe als melancholische Krankheit?
2.4. Krankheit „Melancholie“ - Therapeutikum Musik
3. Pico della Mirandolas Entwurf des Renaissancegenies in „De hominis dignitate“ – Von Einsamkeit und Freiheit
3.1. Die „dunkle Einsamkeit Gottes“
3.2. „Die Freiheit des Menschen“ und der „Geniebegriff der Epoche“ in „Oratio“
3.3. Die ethisch eingeschränkte Freiheit des Genies und das Humanum als Endziel
4. Lorenzo de’ Medicis „melancholische“ Dichtung
4.1. War der Prächtige ein Melancholiker? Vanitas, Wehmut und Schwermut
4.2. Der Typus des „Inamoroso“ als Melancholiker - Liebeslyrik im Sonett
4. 3. Melancholia - Lorenzo de’ Medici rezipiert Walter von der Vogelweide
5. Die Familie der Melancholiker oder die Metamorphose des sinnenden Geistes zur Plastik und zum Gedicht - Exkurs
6. Einsamkeit, Melancholie und künstlerisches Schaffen während der Renaissance in Italien.
6.1. Geniale Werke der Einsamkeit bei Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci - Einsamkeit als die künstlerische Schaffensbedingung schlechthin, als „conditio sine qua non“ des kreativen Subjekts.
6.2. Michelangelo Buonarroti - „Wer kann, wird niemals willig sein.“ – Individuelle Freiheit und künstlerische Selbstbestimmung
6.3. Große Kunst ist gottgewollt
6.4. Der Schaffende ist das Maß aller Dinge - oder die Lust, mit dem Hammer neue Werte zu schaffen
6.5. Weltflucht und Weltverachtung
6.6. Der sinnende Melancholiker „Micha Ange bonarotanus Florentinus sculptor optimus“
6.7. – „La mia allegrezz’ e la maniconia” – “Meine Lust ist die Melancholie!” – Existenzbewältigung im “Amor fati“ oder eine ins Positive transponierte „Melancholie als Mode“?
6.8. Hypochondrie und Misanthropie in burlesker Entladung – bei Michelangelo und Leonardo
6.9. Michelangelos „Sonette“: Kreationen reiner Eitelkeit?
7. Leonardo da Vinci – Ein Einsamer, aber kein Melancholiker. Die Wertschätzung der „vita solitaria e contemplativa“.
7.1. Leonardo und Michelangelo – ein geistesgeschichtlicher Vergleich. Der verbindende Hang zur Einsamkeit … und viele Kontraste!
8. Girolamo Savonarola – Der melancholische Reformator vor der Reformation
8.1. Gott geweihtes Leben in stiller Einkehr und früher Protest aus der Klosterzelle
8. 2. Zeitkritik und Fragen der Moral in „Weltflucht“ und „De ruina mundi“- Vom Verderben der Welt
8.3. Kritik des Christentums sowie des dekadenten Papsttums im poetischen Frühwerk - „De ruina Ecclesiae“ oder „Sang vom Verderben der Kirche“, (1475)
8.4. „Poenitentiam agite“! – Buße , Einkehr, Rückbesinnung, Katharsis
8.5. Savonarolas Humanismus-Kritik und seine Zurückweisung der Astrologie – ist die Philosophie eine Magd der Theologie?
8.6. Sozialreformer Savonarola - „De Simplicitate vitae christianae“ - Von der Schlichtheit im Christenleben.
8.7. Savonarola setzt politische Reformen durch – Über die demokratische Verfassung in Florenz zum Fernziel der Einheit Italiens
8.8. Niccolo Machiavelli und Die Schwermut der Tyrannen
8.9. Einsamkeit, Kontemplation und rhetorischer Auftritt – Savonarola Volkstribun und Redner nach Cicero?
8.10. Einsamkeit und Gesellschaft bei Savonarola
8.11. Christliche Ethik als geistige Basis der Staatsform – Contra Tyrannis
8.12. „Der Tyrann“ trägt „alle Sünden der Welt im Keim in sich“ - Melancholie als Krankheit: Savonarolas Typologie, Definition und Phänomen-Beschreibung des Renaissance-Macht-Menschen und das Primat des Ethos im Leben und im Staat.
8.13. Genies des Bösen – Lorenzo de’ Medici und der Borgia-Clan
8.14. Thomasso Campanellas idealer Gegenentwurf zum Typus des Tyrannen in seiner christlich-kommunistischen Utopie „Città del sole“
8.15. Golgatha - Traurigkeit und Verlassenheit in der Todeszelle und auf dem Scheiterhaufen
8.16. Hybris und Zuflucht zu Gott – „in Schwermut und voll Schmerz“!
8.17. Melancholia - „In te, Domine, speravi“, letzte Einsamkeit und existenzielle Traurigkeit - Hoffnung gegen Melancholie?
8.18. Auch Päpste irren! Schweigepflicht, Exkommunikation, Inquisition, Folter – Reformator Savonarola stirbt den Flammentod in Florenz
8.19. Giordano Bruno und die Flammen der Inquisition – Der Märtyrer-Tod auf dem Scheiterhaufen wiederholt sich … doch
9. Michel de Montaignes Essay „De la solitude“- Das Leben in Abgeschiedenheit zwischen profaner Weltflucht und ästhetischer Verklärung
9.1. Süße Weltflucht in den Turm – Melancholie als Habitus
9.2. War Michel de Montaigne ein Melancholiker?
9.3. Einsamkeit, ein Wert an sich, ist nie Mittel zum Zweck, sondern immer Selbstzweck.
9.4. „Nichts in der Welt ist so ungesellig und zugleich so gesellig als der Mensch“ – Einsamkeit und Gesellschaft
9.5. Vanitas - Der Rückzug aus der Gesellschaft ist auch historisch bedingt
10. „The Anatomy of Melancholy“ - Der extensive Melancholie-Begriff bei Democritus junior alias Robert Burton
10.1. „Elisabethanische Krankheit“ oder „maladie englaise“ – Melancholie als Mode!? Von der Pose zur Posse?
10.2. Demokritos aus Abdera – Der lachende Philosoph als Vorbild und Quelle der Inspiration
10.3. „sweet melancholy“ - Burtons Verdienste bei der Umwertung und Neuinterpretation der grundlosen Tieftraurigkeit zur „süßen Melancholie“
10.4. „Göttliche Melancholie“: „Nothing’s so dainty sweet as lovely melancholy“ - Zur positiven Melancholie-Bewertung vor, neben und nach Burton

Teil V: „Einsamkeit“ und Melancholie in der Moderne

1. Jean-Jacques Rousseau – Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit. Die Apotheose der Einsamkeit im Oeuvre des Vordenkers der Französischen Revolution
1.1. Rückzug, „Schwermut“ und „Hypochondrie“
1.2. „Zurück zur Natur“! im „Discours“ - Plädoyer für das einfache Leben und harsche Gesellschaftskritik. Macht die „Sozialisierung“ den an sich guten Menschen schlecht?
1.3. Im Refugium der Eremitage von Montmorency: Kult der Einsamkeit – Landleben, Naturgenuss und geistiges Schaffen
1.4. „Sanssouci“ – Asyl: Ein Einsamer, Friedrich der Große unterstützt einen anderen Einsamen, den verfolgten Wahlverwandten Jean-Jacques Rousseau
1.5. „Les Rêveries du promeneur solitaire“ - Träumereien eines einsamen Spaziergängers
1.6. Einsamkeit ist im Wesen des Künstlers selbst begründet - «Toutes les grandes passions se forment dans la solitude»!
2. Einsamkeit und Gesellschaftskritik im Werk der Französischen Moralisten La Rochefoucauld, Vauvenargues und Chamfort
2.1. Rekreation im Refugium – die bücherlesende Einsamkeit des Herzogs La Rochefoucauld
2.2. Einsamkeit – Katharsis, Chance und Gefahr
2.3. Chamfort - „Vom Geschmack am einsamen Leben und der Würde des Charakters“ - „Man ist in der Einsamkeit glücklicher als in der Welt.“
2.4. Abkehr von der Gesellschaft, melancholische Heimsuchungen, Vereinsamung und Menschenhass
2.5. „Ein Philosoph, ein Dichter, sind fast notwendig Menschenfeinde“ – Chamforts Rechtfertigung von Misanthropie und Melancholie.
3. „Ueber die Einsamkeit“ - Johann Georg Zimmermanns Monumentalwerk aus dem Jahr 1784/85 - Einsamkeit als Lebenselixier – Die Gestimmtheit im deutschen Barock – Inklination zur Melancholie?
3.1. Von den „Betrachtungen über die Einsamkeit“ zur Abhandlung „Von der Einsamkeit“ – Thema mit Variationen
3.2. Die Ursachen von wahrer und falscher Einsamkeit - Müßiggang, Menschenhass, Weltüberdruss und Hypochondrie
3.3. „gesellige Einsamkeit“ - eine „contradictio in adjecto“?
3.4. Aufklärer Immanuel Kant definiert den zur „Melancholie Gestimmte(n)“, „Melancholie“ als „Tiefsinnigkeit“ und die „Grillenkrankheit“ Hypochondrie richtungweisend für die Neuzeit. Exkurs.
4. Arthur Schopenhauers „elitäres“ Verständnis von Einsamkeit - nur wer allein ist, ist wirklich frei!
4.1. Der Ungesellige - „Er ist ein Mann von großen Eigenschaften.“
4.2. Die „Einsamkeit ist das Los aller hervorragenden Geister“ - Ist der Mensch von Natur aus einsam? Ist „Einsamkeit“ ein Wert an sich?
4.3. Das Sein in der Einsamkeit als existenzielles Problem - Einübung in die zurückgezogene Lebensführung.
5. Lenau, Dichter der Melancholie. „Einsamkeit“ und Schwermut (Melancholie) im Werk von Nikolaus Lenau – Anthropologische Phänomenbeschreibung und literarisches Motiv
5.1 Lenaus Verhältnis zur Philosophie. Entwicklung und Ansätze
5.2. „Einsamkeit“ und „Vereinsamung“ als existenzielle Erfahrung
5.3. Nikolaus Niembsch von Strehlenau, genannt „Lenau“ vereinsamt in Wien
5.4. Das „melancholische Sumpfgeflügel der Welt“ - Vereinsamt in Heidelberg und Weinsberg. Therapeutikum Philosophie: Lenau setzt der „Seelenverstimmung“ die „Schriften Spinozas“ entgegen!
5.5. Amerika – Lenaus Ausbruch in die Welt der Freiheit
5.6. Schwermut und Hypochondrie – Therapeutikum: Philosophie und Sarkasmus
5.7. „Einsam bin ich hier, ganz einsam. Aber ich vermisse in meiner Einsamkeit nur dich.“
5.8. „wahre Menschenscheu“ - „Die Geselligkeit“ „ist ein Laster“ - „Mein Leben ist hier Einsamkeit und etwas Lyrik.“
5.9. Die „äußere Einsamkeit“– Vom „Locus amoenus“ zum „Locus terribilis“
5.10. Situation und Grenzsituation – präexistenzphilosophisches Gedankengut bei Lenau auf dem Weg zu Karl Jaspers. Exkurs.
5.11. „Einsamkeit“ als ontische Dimension - Menschliches Dasein ist nicht Gesellig-Sein – Mensch-Sein bedeutet ein Sein in Einsamkeit.
5.12. „Einsame Klagen sinds, weiß keine von der andern“ - Monologische Existenz in dem existenzphilosophischen Gedicht „Täuschung“
5.13. In „dunklen Monologen“ - „Jedes Geschöpf lebt sein Privatleben“ - Mitsein in existenzieller Gemeinschaft erscheint unmöglich
5.14. „O Einsamkeit! Wie trink ich gerne / Aus deiner frischen Waldzisterne!“ Dionysisch „zelebrierte Einsamkeit“ im Spätwerk
5.15. „Der einsame Trinker“ - Das dionysische Erleben der Einsamkeit im Fest
5.16. „Fremd bin ich eingezogen/Fremd zieh ich wieder aus“ - Der „Unbehauste“, ein „Fremdling ohne Ziel und Vaterland“
5.17. „Nun ist’s aus, wir müssen wandern!“ - In-der-Welt-Sein ist Einsamkeit
5.18. Lenaus melancholische Faust-Konzeption - „metaphysische Vereinsamung“.
5.18.1. Der „Unverstandene“, das ist der „Einsame“.
5.18.2. Endlichkeit und Ewigkeit
5. 18. 3. Die Geworfenheit des existenziellen Realisten „Görg“
5. 18. 4. Das Unbewusste als Antrieb - Die tragisch konzipierte Faust-Figur in Disharmonie mit dem Selbst und in der Uneigentlichkeit
5.18.5. Gott ist tot - existenzielle Exponiertheit des metaphysisch Vereinsamten vor Nietzsche und Rilke
5.19. Im dunklen Auge – ein „sehr ernster, melancholischer Knabe“„hochgradig zur Melancholie disponiert“  und hinab gestoßen in die „Hohlwege der Melancholie“„Mein Kern ist schwarz, er ist Verzweiflung.“ – Melancholie-Symptomatik und Definitionen der Krankheit bei Lenau
5.20. „Lieblos und ohne Gott! Der Weg ist schaurig“ – „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.“ „Melancholie“ und „absolute Vereinsamung“ in Lenaus Doppelsonett „Einsamkeit“
5.21. Der Werte-Kampf in Lenaus Ballade „Die nächtliche Fahrt“ - Von darwinistischer Selektion über den „Kampf um das Dasein“ nach existenzphilosophischen Kategorien zur Ethik des Widerstands im Politischen - Exkurs
5.21.1. Wettkampf und Werte-Kampf
5.21.2. Lenaus Imperialismus-Kritik in seinem „anderen“ Polenlied
5.21.3. Ethik des Widerstands - Der Existenz-Kampf der Individuen entspricht dem Souveränitätsstreben der - tyrannisierten - Völker
6. Friedrich Nietzsche, der einsamste unter den Einsamen? Absolute Einsamkeit, extreme Vereinsamung und schwärzeste Melancholie
6.1. Wesensgemäße Daseinsform und  Schaffensbedingung der Werke der Einsamkeit.
6.2. „Also sprach Zarathustra“ - Nietzsches großer „Dithyrambus auf die Einsamkeit“
6.3. Strukturen der „Einsamkeit“ in „Also sprach Zarathustra“
6.4. „Fliehe, Fliehe mein Freund, in deine Einsamkeit!“ - „Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt.“
6.5. Die Auserwählten – Nietzsches kommende Elite: Der „Einsame“ als Brücke zum Übermenschen
6.6. Der Einsame – das ist der Schaffende! „Trachte ich nach Glück? Ich trachte nach meinem Werke!“
6.7. Nietzsches „Nachtlied“ - das einsamste Lied, welches je gedichtet wurde!
6.8. „Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit!“
6.9. „Jede Gemeinschaft macht irgendwie, irgendwo, irgendwann – ‚gemein’“ – Zum Gegensatz von individuellem Leben in Einsamkeit und gesellschaftlichem Massen-Dasein.
6.10. „Einsam die Straße ziehn gehört zum Wesen des Philosophen.“ Fragmentarische Aussagen zur „Einsamkeit“
6.11. Therapeutikum Einsamkeit – schlimme und gefährliche Heilkunst! „In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen. Nun wähle.“
6.12. Die „siebente letzte Einsamkeit“ - Nietzsches „Dionysos-Dithyramben“
6.13. „Vereinsamt“ – Düstere Melancholie und metaphysische Verzweiflung
7. „Einsamkeit“ bei Jaspers und Heidegger - Exkurs
8. Der „Neue Mensch“ – eine Konsequenz der Einsamkeit? „selbstestes Selbst“ und Apologie des Selbst bei Lenau und Nietzsche - Exkurs
8.1. Die Suche nach dem „Humanum“ – Absage an den Irrweg „Übermensch“
8.2. Lenaus „Homo-Novus-Konzeption“ nach Amalrich von Bene
8.3. „Idemität“ und „Konkreativität“ – Der „menschliche Mensch“! Zur Strukturanthropologie Heinrich Rombachs. Exkurs

Teil VI: Essays zur Thematik und kleine Beiträge

9. Stufen der Einsamkeit – Auf dem Weg vom Alleinsein in die Vereinsamung, Melancholie und Verzweiflung – Zur Metamorphose eines anthropologischen Phänomens
9.1. Von der existenziellen Situation „Einsamkeit“ zum Krankheitsbild „Melancholie“ in der Erscheinungsform „Acedia“ und Hypochondrie
9.2. Melancholie als Charakteristikum des genialen Menschen.
9.3. Die Phänomene „Einsamkeit“, „Alleinsein“, „Vereinsamung“ und „Melancholie“ („Schwermut“, „Depression“) – im Wandel der Zeiten: Anthropologische Konstanten und Grundbefindlichkeiten des Daseins oder zeitbedingte Entwicklungsphänomene? Zur Begriffsbestimmung.
9.4. Strukturen der Einsamkeit - Zum Bedeutungswandel der Begriffe Einsamkeit und Melancholie durch die Zeiten
9.5. Existenzbewältigung: Angewandte Philosophie in philosophischer Praxis – Zur Konzeption und Intention der Studien zur Einsamkeit.
9.6. Zur Einsamkeit verflucht? – Alleinsein zwischen gesellschaftlicher Pest und segensreicher Schaffensbedingung –Selbsterfahrungen und Autobiographisches
9.7. Das Existenzmodell „Alleinsein“ zwischen Weltflucht und verklärender Utopie: Abgeschiedenheit, Einkehr, Selbstfindung, Eigentlichkeit - Selbst erfahrene und selbst beobachtete Phänomene – Einsamkeit, ein Zeitproblem?
9.8. Ein Einsamer von heute – In memoriam Theo Meyer.

 
Nachwort:
Inhalt:
Namenregister:
Bibliographie
Primärliteratur
Anthologien, Aufsatz-Sammelwerke zur Thematik:
Sekundärliteratur:
Bilder-Verzeichnis:
Bücher von Carl Gibson

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