Freitag, 17. Juli 2020

Aufschauen zu Beethoven!?




Carl Gibson 1980 in Rottweil am Neckar- an der Wand: Idol Beethoven!







Aufschauen zu Beethoven!?



Ein Leben lang habe ich es so gehalten und zu dem einzigartigen Idol hoch gesehen, ohne Zweifel, ohne Reue, ohne Revision, in der Jugend, als ich – obwohl ich eine umfassende Biographie über den Dichter gelesen hatte – eher intuitiv hoch blickte, berührt und erfüllt von Geist der Musik, die den Symphonien entströmte; später dann, in reifen Jahren, rezipierte ich dezidierter, die Sonaten, die Quartette, um schließlich auch „Fidelio“ mit anderen Augen zu sehen.

Beethovens Musik war für mich immer nahe am Absoluten angesiedelt, an sich erhaben – und die Botschaft wirkte über den deutschen Kulturkreis, über Europa hinaus, auf andere Kulturen, wurde von ganzen Völkern begeistert aufgenommen, verstanden. Der Funke sprang über, zündete und entfachte ein Feuer der Begeisterung, das den Einzelnen erhöhte – und mit dem Individuum die gesamte Menschheit als ein Volk von Brüdern, ungeachtet der Rasse oder Religion.

Beethoven berührt, begeistert und bewegt – Herzen und Nationen!

Wie die meisten deutschen Tonsetzer auch, doch wesentlich missionarischer und im konkreten Handeln aktiver, war Beethoven moralisch integer, von einem tiefen humanen Ethos erfüllt, durchdrungen. Gutes tun, wo immer möglich, war für ihn, über das musikalisch-kompositorische Wirken hinaus, ein existenzieller Imperativ, inspiriert von Kant und im Einklang mit einer eigenen Religion, die nur der höheren Macht, der höchsten metaphysischen Instanz, seinem Schöpfergott verpflichtet war.

War Beethoven hierarchisch über Mozart anzusiedeln? 
Hundertfach stellte ich mir diese Frage in allen Jahren und bejahte sie schließlich für mich, nicht nur subjektiv, weil Beethovens Musik als Motor wirkte und mich erhob wie die Leitlinien Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern auch, weil Beethovens begeisterte Vision über Musik auf ganze Völker übersprang und so den – anderswo noch gedrückter existierenden - Menschen emanzipierte, ihn in das Reich der Freiheit erhob.

Mozart, der subtile Geist, wirkte anders. Zu Mozart musste von vordringen, emotional und geistig, den Tiefsinn erreichen, fühlen – Beethovens Musik aber, dionysisch-ekstatisch, wirkte unmittelbar, auch wenn das Denken ausgesetzt war, nicht gleich folgen konnte.

In der deutschen Musikgeschichte finden sich jedoch auch Charaktere, ein paar wenige an der Zahl, zu denen man nicht ungetrübt aufschauen kann, weil die Amoralität einen Schatten über das Geschaffene wirft und die Genialität der Musik zurückdrängt – Richard Wagner ist einer dieser Antipoden, eine moralisch wenig integre Figur, deren Lebensführung eine unbelastete Musikrezeption fast unmöglich macht. 

Kann man Wagners Musik hören, ohne über die Art nachzudenken, wie diese zustande kam? Das Antichambrieren, das würdelose, ja schäbige Betteln und Borgen hier und dort, von Eitelkeit, ja Größenwahn betrieben? 
Die Großen der Klassik, auch Bach, Händel, Haydn, dann Carl Maria von Weber, Liszt, Schubert, Schumann, Brahms, Richard Strauss und viele andere deutsche Komponisten von Rang gingen ihren Weg, ethikbestimmt, ohne zu katzbuckeln, ohne sich zu prostituieren. Also erheben wir - mit Gott im Herzen - nicht nur den Blick zum gestirnten Himmel hoch, sondern auch zu den ethischen Gestalten der Musikwelt, die uns über ihr Menschsein und ihr Schaffen stimulieren, uns mit erheben.

Auszug aus dem MS 
Lenaus Beethoven-Rezeption 

- mit hundert kleinen Beiträgen zur Musik von Carl Gibson



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