Sonntag, 20. Januar 2019

„Wann reisen wir nach Deutschland?" – Beim Friseur! Auszug aus: Carl Gibson Heimat, Werte und Kultur der Banater Schwaben in den Zerrbildern Herta Müllers - Das „deutsche Dorf im Banat“, „Reich der Grausamkeit“ und „Hölle auf Erden“!? Bild – Zerrbild – Feindbild.





 „Wann reisen wir nach Deutschland?" – Beim Friseur!  Auszug aus:  Carl Gibson   Heimat, Werte und Kultur  der Banater Schwaben  in den Zerrbildern Herta Müllers -  Das „deutsche Dorf im Banat“, „Reich der Grausamkeit“ und „Hölle auf Erden“!?   Bild – Zerrbild – Feindbild.

d.       „Wann reisen wir nach Deutschland?" – Beim Friseur!


Doch wie ging es tatsächlich in einem Friseurladen zu, etwa in Sackelhausen? Wie war das mit dem „Scheitel“?
Alle Knaben meiner Jugendzeit trugen den „Scheitel“ links, obwohl einige von uns wussten, dass der Führer des Reiches Adolf Hitler den „Scheitel“ rechts trug.
Wer auf dem Friseurstuhl Platz nahm, hatte die Auswahl zwischen zwei Klassikern: „Füllen- Frisur“[8], genannt oder eben „Scheitel“. Den boshaft „konstruierten“, ja an den Haaren herbei gezogen Ausdruck „Deutscher Scheitel“ habe ich nie vernommen[9].
Der Friseursalon war eine Nachrichtenbörse, ein Ort geistiger Auseinandersetzung im gepflegten Pro und Contra, ebenso ein Raum, wo viel über Geschichte, über die Erfahrungen aus zwei Weltkriegen und über die Kriegsfolgen, Flucht, Vertreibung, Deportation und Wiederaufbau lebhaft diskutiert wurde.
„Klein aber mein“, fasste Vetter Peter seine Deutschland-Kritik zusammen, indem er auf sein Häuschen verwies, das er mit seinen zehn Fingern aufgebaut hatte.  

„In Deutschland kommt kein Brot auf den Tisch“, stellte er fest, um dann endgültig ablehnend zu resümieren:  

„Wo kein Brot ist, da ist auch sonst nichts zu erwarten!“
 
Also war „Deutschland“ – und die mögliche Ausreise dorthin – für ihn lange Jahre kein Thema, bis zu dem Tag, an dem er sich es dann doch anders überlegte - wie Herta Müller, die, begleitet von ihren linken Genossen, erst ausreiste, als die meisten Deutschen Rumänien bereits verlassen hatten und das Ende des Welterlösungsmodells Kommunismus absehbar war
Vetter Peter und Frau Müller verließen die rote Titanic erst, als der Eisberg sein Werk vollendet hatte, als alle Ratten von Bord flohen um ihr zukünftiges Heil in der Fremde zu suchen. Die Antideutsche verließ sie das wankende Schiff Ceaușescus in letzter Sekunde, suchte sich einen neuen Hafen … im ungeliebten Deutschland der alten Kameraden und Faschisten, fern an der Spree … und bald auch neue „Feindbilder[10]“, ohne die alten aufzugeben!

Wer fragte seinerzeit schon nach „Opportunismus“, als Vetter Peter seine Heimat aufgab, um dort zu leben, wo es ihm vielleicht besser erging, wenn es sein musste, auch ohne Brot! Schließlich war er doch nur ein Figaro, auf dessen „moralische und politische Integrität“ es nicht weiter ankam – und kein Schriftsteller mit Vorbildfunktion!
Doch es gab dort in Sackelhausen auch noch andere Friseure, etwa den Vetter Hans. 
Auf dessen Friseurstuhl hörte sich das ganz anders an. Oft beehrte ich ihn, und immer gern – bis in die Tage der Rebellion hinein, als die – aus Protest lang getragenen - Haare überhaupt nicht mehr geschnitten wurden und der heranwachsende Bart seine Chance bekommen sollte.
Kaum hatte ich vor dem großen Spiegel platzgenommen – und schon vernahm ich die eine, die ewige Frage:

„Wann reisen wir nach Deutschland?“[11] Oder „Wann wird unsere Ausreise endlich bevorstehen?“
 
Dieses zentrale, für uns existenzbestimmende Thema immer wieder aufgeworfen und leitmotivisch in unendlichen Variationen abgehandelt, typisch für die Endzeit – noch vor dem Anbruch des großen Exodus nach 1978, Jahre hindurch. Die erstrebte Ausreise ins gelobte Land, das für uns Banater Schwaben gefühlte Heimat war, verdrängte jeden anderen Diskussionsstoff.
Wenn mein Blick über den imprägnierten Bretter-Fußboden huschte, fielen mir dort die zwei schweren, schwarzen Lederschuhe des Friseurs auf, ohne Spitze, auffällig kurz. Wie es hieß, hatte der russische Winter die fehlenden Zehen als Tribut einfordert. Sie waren einfach weggefroren, abgefallen. So erinnerten die schweren, schwarzen Schuhe immer auch an die unmenschlichen Strapazen des Russlandfeldzugs, den Landsmann Vetter Hans an der Seite „reichsdeutscher“ Kameraden doch noch durchgestanden hatte. Seine Hoffnung und seine gesamte Zuversicht richteten sich seinerzeit auf ein Leben in Freiheit in dem Land seiner Wahl – und das war Deutschland, das Vaterland, für das er gelitten und geblutet hatte.
Das erstrebte Ziel verband uns und bestimmte unsere Gedankengänge auf der Suche nach einem Weg, immer im sympathischen Konsens - bis zu dem Tag, als wir uns dann nach glücklicher Fügung im Jahr 1980 auf deutschen Boden in Freiheit wieder begegneten, gute drei Jahre vor dem Grabgesang der literarischen Totengräberin aus Nitzkydorf und vor der Edition des - unruhestiftenden wie viele Menschen beleidigenden - Hass-Bändchens „Niederungen“ und dem Höhepunkt des Exodus der deutschen Minderheit in Rumänien.
„Was fällt, soll man auch noch stoßen!“ 

Herta Müller hat dieses zynische Nietzsche-Zitat auf ihre Weise umgesetzt, indem sie – auch ohne Nietzsche zu kennen - über „deutsche Scheitel“ und „deutsche Schnurrbärte“ schrieb – und ebenso mehr frivol als witzig, dafür aber boshaft über ein „schwäbische(s) Bad“!


Auszug aus:
Carl Gibson

Heimat, Werte und Kultur
der Banater Schwaben
in den Zerrbildern Herta Müllers -
Das „deutsche Dorf im Banat“, „Reich der Grausamkeit“ und „Hölle auf Erden“!?

Bild – Zerrbild – Feindbild.

Zur „literarischen“ Diffamierung der - existenziell exponierten - deutschen Minderheit Rumäniens während der kommunistischen Diktatur im Früh- und Debüt-Werk „Niederungen“, medial unterstützt im „SPIEGEL“ und in der „ZEIT“.

Hass- und Hetz-Literatur als Katalysator des Exodus und Mittel der Politik?

Rumänien, „Diktator“ Ceaușescu, sein Geheimdienst „Securitate“ und die Deutschen im Banat als „Karikatur“.

„J‘ accuse“ und Apologie!
Kritische Beiträge, Interpretationen und Essays zum „Leben“ und „Werk“ der forcierten Nobelpreisträgerin für Literatur (2009).

Mit 34 Karikaturen von Michael Blümel.

Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa.


ISBN 978-3-00-053834-6

1.   Auflage, August 2016. Copyright© Carl Gibson, Igersheim. Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung, Titelbild, Layout Gesamtkonzeption Carl Gibson - unter Verwendung einer Graphik von Michael Blümel. Illustrationen im Innenteil, Bild Buchrückseite und Titelgraphik  Michael Blümel. Copyright © Michael Blümel.

Aus der Reihe:
Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte und Kritisches zum Zeitgeschehen. Dritter JahrgangBand. 2, 2016.

Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa.






https://www.buchhandel.de/buch/Heimat-Werte-und-Kultur-der-Banater-Schwaben-in-den-Zerrbildern-Herta-Muellers-Das-deutsche-Dorf-im-Banat-Reich-der-Grausamkeit-und-Hoelle-auf-Erden--9783000538346

Das weiterführende Parallelwerk unter:


https://www.buchhandel.de/buch/Herta-Mueller-im-Labyrinth-der-Luegen-Wir-ersaeufen-dich-im-Fluss-Mythen-Maerchen-Muenchhausiaden-im-authentischen-Lebensbericht-der-deutschen-Nobelpreistraegerin-fuer-Literatur--9783000538353


Herta Müller in der Kritik - Studien zum Leben, Werk und Wirkung der deutschen Nobelpreisträgerin für Literatur (2009) aus der Feder von Carl Gibson, Bücher, die an manchen deutschen Hochschulen boykottiert werden.





In Übersee aber studiert man sie eifrig - in den USA, in Kanada ... und sogar im fernen, doch geistig regen Japan!









  Copyright© Carl Gibson.


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