„Wann reisen wir nach Deutschland?" – Beim Friseur! Auszug aus: Carl Gibson Heimat, Werte und Kultur der Banater Schwaben in den Zerrbildern Herta Müllers - Das „deutsche Dorf im Banat“, „Reich der Grausamkeit“ und „Hölle auf Erden“!? Bild – Zerrbild – Feindbild.
d. „Wann reisen wir nach Deutschland?" – Beim Friseur!
Doch wie
ging es tatsächlich in einem Friseurladen zu, etwa in Sackelhausen? Wie war das mit dem „Scheitel“?
Alle
Knaben meiner Jugendzeit trugen den „Scheitel“
links, obwohl einige von uns wussten, dass der Führer des Reiches Adolf Hitler
den „Scheitel“ rechts trug.
Wer
auf dem Friseurstuhl Platz nahm, hatte die Auswahl zwischen zwei Klassikern:
„Füllen- Frisur“[8],
genannt oder eben „Scheitel“. Den
boshaft „konstruierten“, ja an den Haaren herbei gezogen Ausdruck „Deutscher
Scheitel“ habe ich nie vernommen[9].
Der
Friseursalon war eine Nachrichtenbörse, ein Ort geistiger Auseinandersetzung im
gepflegten Pro und Contra, ebenso ein
Raum, wo viel über Geschichte, über die Erfahrungen aus zwei Weltkriegen und
über die Kriegsfolgen, Flucht, Vertreibung, Deportation und Wiederaufbau
lebhaft diskutiert wurde.
„Klein aber mein“, fasste Vetter Peter seine
Deutschland-Kritik zusammen, indem er auf sein Häuschen verwies, das er mit
seinen zehn Fingern aufgebaut hatte.
„In Deutschland kommt kein Brot auf den Tisch“, stellte er fest, um dann endgültig ablehnend zu resümieren:
„Wo kein Brot ist, da ist auch sonst nichts zu erwarten!“
„In Deutschland kommt kein Brot auf den Tisch“, stellte er fest, um dann endgültig ablehnend zu resümieren:
„Wo kein Brot ist, da ist auch sonst nichts zu erwarten!“
Also
war „Deutschland“ – und die mögliche
Ausreise dorthin – für ihn lange Jahre kein Thema, bis zu dem Tag, an dem er
sich es dann doch anders überlegte - wie
Herta Müller, die, begleitet von ihren
linken Genossen, erst ausreiste, als die meisten Deutschen Rumänien bereits
verlassen hatten und das Ende des Welterlösungsmodells Kommunismus absehbar war.
Vetter
Peter und Frau Müller verließen die rote Titanic erst, als der Eisberg sein
Werk vollendet hatte, als alle Ratten von Bord flohen um ihr zukünftiges Heil
in der Fremde zu suchen. Die Antideutsche
verließ sie das wankende Schiff Ceaușescus in letzter Sekunde, suchte sich
einen neuen Hafen … im ungeliebten Deutschland der alten Kameraden und
Faschisten, fern an der Spree … und bald auch neue „Feindbilder[10]“,
ohne die alten aufzugeben!
Wer fragte seinerzeit schon nach „Opportunismus“, als Vetter Peter seine Heimat aufgab, um dort zu leben, wo es ihm vielleicht besser erging, wenn es sein musste, auch ohne Brot! Schließlich war er doch nur ein Figaro, auf dessen „moralische und politische Integrität“ es nicht weiter ankam – und kein Schriftsteller mit Vorbildfunktion!
Doch
es gab dort in Sackelhausen auch noch andere Friseure, etwa den Vetter Hans.
Auf dessen Friseurstuhl hörte sich das ganz anders an. Oft beehrte ich ihn, und immer gern – bis in die Tage der Rebellion hinein, als die – aus Protest lang getragenen - Haare überhaupt nicht mehr geschnitten wurden und der heranwachsende Bart seine Chance bekommen sollte.
Auf dessen Friseurstuhl hörte sich das ganz anders an. Oft beehrte ich ihn, und immer gern – bis in die Tage der Rebellion hinein, als die – aus Protest lang getragenen - Haare überhaupt nicht mehr geschnitten wurden und der heranwachsende Bart seine Chance bekommen sollte.
Kaum
hatte ich vor dem großen Spiegel platzgenommen – und schon vernahm ich die
eine, die ewige Frage:
„Wann reisen wir nach Deutschland?“[11] Oder „Wann wird unsere Ausreise endlich bevorstehen?“
„Wann reisen wir nach Deutschland?“[11] Oder „Wann wird unsere Ausreise endlich bevorstehen?“
Dieses
zentrale, für uns existenzbestimmende Thema immer wieder aufgeworfen und
leitmotivisch in unendlichen Variationen abgehandelt, typisch für die Endzeit –
noch vor dem Anbruch des großen Exodus nach 1978, Jahre hindurch. Die erstrebte
Ausreise ins gelobte Land, das für uns Banater Schwaben gefühlte Heimat war,
verdrängte jeden anderen Diskussionsstoff.
Wenn
mein Blick über den imprägnierten Bretter-Fußboden huschte, fielen mir dort die
zwei schweren, schwarzen Lederschuhe des Friseurs auf, ohne Spitze, auffällig
kurz. Wie es hieß, hatte der russische Winter die fehlenden Zehen als Tribut
einfordert. Sie waren einfach weggefroren, abgefallen. So erinnerten die
schweren, schwarzen Schuhe immer auch an die unmenschlichen Strapazen des
Russlandfeldzugs, den Landsmann Vetter Hans an der Seite „reichsdeutscher“ Kameraden doch noch durchgestanden hatte. Seine
Hoffnung und seine gesamte Zuversicht richteten sich seinerzeit auf ein Leben
in Freiheit in dem Land seiner Wahl – und das war Deutschland, das Vaterland, für
das er gelitten und geblutet hatte.
Das
erstrebte Ziel verband uns und bestimmte unsere Gedankengänge auf der Suche
nach einem Weg, immer im sympathischen Konsens - bis zu dem Tag, als wir uns
dann nach glücklicher Fügung im Jahr 1980 auf deutschen Boden in Freiheit
wieder begegneten, gute drei Jahre vor
dem Grabgesang der literarischen
Totengräberin aus Nitzkydorf und vor der Edition des - unruhestiftenden wie
viele Menschen beleidigenden - Hass-Bändchens
„Niederungen“ und dem Höhepunkt des Exodus der deutschen
Minderheit in Rumänien.
„Was fällt, soll man auch noch stoßen!“
Herta Müller hat dieses zynische Nietzsche-Zitat auf ihre Weise umgesetzt, indem sie – auch ohne Nietzsche zu kennen - über „deutsche Scheitel“ und „deutsche Schnurrbärte“ schrieb – und ebenso mehr frivol als witzig, dafür aber boshaft über ein „schwäbische(s) Bad“!
Herta Müller hat dieses zynische Nietzsche-Zitat auf ihre Weise umgesetzt, indem sie – auch ohne Nietzsche zu kennen - über „deutsche Scheitel“ und „deutsche Schnurrbärte“ schrieb – und ebenso mehr frivol als witzig, dafür aber boshaft über ein „schwäbische(s) Bad“!
Auszug aus:
Carl Gibson
Heimat, Werte und Kultur
der Banater Schwaben
in den Zerrbildern Herta Müllers -
Das „deutsche Dorf im Banat“, „Reich der Grausamkeit“ und „Hölle auf Erden“!?
Bild – Zerrbild – Feindbild.
Zur
„literarischen“ Diffamierung der - existenziell exponierten - deutschen
Minderheit Rumäniens während der kommunistischen Diktatur im Früh- und
Debüt-Werk „Niederungen“, medial unterstützt im „SPIEGEL“ und in der „ZEIT“.
Hass- und Hetz-Literatur als Katalysator des Exodus und Mittel der Politik?
Rumänien, „Diktator“ Ceaușescu, sein Geheimdienst „Securitate“ und die Deutschen im Banat als „Karikatur“.
„J‘ accuse“ und Apologie!
Kritische Beiträge, Interpretationen und Essays zum „Leben“ und „Werk“ der forcierten Nobelpreisträgerin für Literatur (2009).
Mit 34 Karikaturen von Michael Blümel.
Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa.
1. Auflage, August 2016. Copyright© Carl Gibson, Igersheim. Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung,
Titelbild, Layout Gesamtkonzeption Carl Gibson - unter Verwendung einer
Graphik von Michael Blümel. Illustrationen im Innenteil, Bild
Buchrückseite und Titelgraphik Michael Blümel. Copyright © Michael
Blümel.
Aus der Reihe:
Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte und Kritisches zum Zeitgeschehen. Dritter Jahrgang, Band. 2, 2016.
Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa.
Das weiterführende Parallelwerk unter:
Herta Müller in der Kritik - Studien zum Leben, Werk und Wirkung der deutschen Nobelpreisträgerin für Literatur (2009) aus der Feder von Carl Gibson, Bücher, die an manchen deutschen Hochschulen boykottiert werden.
In Übersee aber studiert man sie eifrig - in den USA, in Kanada ... und sogar im fernen, doch geistig regen Japan!
Copyright© Carl Gibson.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen