Leseprobe aus: Carl
Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und
Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu
Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.
5. Lenau, Dichter der Melancholie.
„Einsamkeit“ und Schwermut (Melancholie) im Werk[1] von Nikolaus Lenau – Anthropologische Phänomenbeschreibung und literarisches Motiv
„Bitte
Weil‘
auf mir, du dunkles Auge,
Uebe
deine ganze Macht,
Ernste,
milde, träumerische,
Unergründlich
süße Nacht!
Nimm
mit deinem Zauberdunkel,
Diese
Welt von hinnen mir,
Daß
du über meinem Leben
Lenau.
5.1 Lenaus Verhältnis zur Philosophie. Entwicklung und Ansätze
Im
Mittelpunkt des frühen philosophischen Entwicklungsprozesses, der lediglich
ansatzweise aus wenigen Fragmenten rekonstruiert werden kann, stehen bereits
philosophiekritische Überlegungen. Eine reine Metaphysik erscheint dem jungen,
fast täglich mit einem Übermaß an steriler Kathederphilosophie konfrontierten
Studenten suspekt. In der zeitspezifischen Auseinandersetzung zwischen dem
empirisch-kritischen Denken der Aufklärung und der Schulmetaphysik adoptiert
Lenau die progressive Position und spricht der Metaphysik die Berechtigung ab,
die Grundfragen der Philosophie als einzige endgültig und überzeugend
beantworten zu können. Er akzeptiert weder ihre Denkvoraussetzungen, noch
befriedigen ihn die Ergebnisse: „Das
Verfahren derjenigen Philosophen“, schreibt der junge Philosophiestudent,
der die Absicht bekundet, sich „ausschließlich auf Philosophie zu verlegen“[3], „scheint
mir deshalb unrichtig, weil sich die ewige Wahrheit nicht nur im menschlichen
Geiste, sondern auch, und viel deutlicher, in den Gesetzen der Körperwelt
ausspricht, welche doch immer bestimmter erkannt werden kann, da hier
erkennendes Subjekt und zu erkennendes Objekt nicht eins und dasselbe ist, wie
bei Untersuchung des Menschengeistes in seiner Gesetzmäßigkeit.“[4] Während Lenaus geistige Entwicklung
zunehmend empirisch-positivistische Bahnen beschreitet, verkommt die
idealistische System-Philosophie der Zeit immer deutlicher zur Karikatur. Die
später von Lenau teilweise rehabilitierte Metaphysik, besonders
das strapazierte Substanz- und Systemdenken, erscheint dem kritischen
Intellektuellen des frühen 19. Jahrhunderts inmitten der Restaurationsepoche
nur noch als ein antiquiertes Relikt. Repräsentativ für diese Geisteshaltung
ist ein prägnantes Spottgedicht aus der Studienzeit:
„Auf einen
Professor philosophiae
Seht ihr den Mann mit stäubender Perücke?
Wie sprudelt ihm die hochgelahrte Kehle!
Seht, an der morschen Syllogismenkrücke
Hinkt Gott in seine Welt; die Menschenseele
Ist ewig, denn sie ist aus einem Stücke!
Und dass der Argumente keines fehle,
Hat er ein weises ergo noch gesprochen:
Die
zum Sarkasmus gesteigerte Ironie dieses – etwa 1824 entstandenen – Gedichts
entlarvt jede Aussage als trügerischen Schein. Der zur Karikatur verkommene „Professor philosophiae“ fällt nur noch
durch seine verzopfte Erscheinung auf, garniert mit abgegriffenen akademischen
Floskeln. Doch dieses Scheinen wird durchschaut. Die maßgebende Innenwelt, die
Welt der Ideen, ist antiquiert, hohl, zweifelhaft, wenig überzeugend.
Jahrzehnte nach Rousseau, Voltaire, Napoleon und der politischen Neuordnung Europa lebt
dieses Fossil aus alter Zeit immer noch vom „ergo“, von blasser Rhetorik und
billiger Effekthascherei. Seine Welt ist eine Welt des Scheins. Die ins Feld
geführten „Argumente“ sind antiquiert und wirken nicht mehr. Methode und Thema
sind der Zeit fremd geworden: „an der
morschen Syllogismenkrücke / Hinkt Gott in seine Welt“. Alles, was dieser
„Professor“ vermittelt, die unzeitgemäße Syllogistik, die Weltanschauung, der
Gottesbegriff und die aus „einem Stücke“ bestehende Seele, fordern zur
Ablehnung geradezu heraus. Auch die Freiheit des Menschen, die in diesem Falle
nicht mehr überzeugend metaphysisch begründet werden kann, wird zur Farce. Die
ins Groteske hinab gesunkene Substanz- und System-Philosophie hebt sich praktisch
selbst auf. Dieses Gedicht ist richtungweisend für Lenaus zukünftige
Prioritäten im stets als Einheit empfundenen Dichten und Denken. Unzeitgemäße
Philosopheme werden zwar weiterhin abgelehnt, die Metaphysik an sich aber
bleibt erhalten, nicht als billiges Refugium in obskurer Hinterwelt, sondern aus
der Einsicht in die Endlichkeit des Menschen sowie als Methode spekulativer
Erkenntnis. Lenau ist ferner überzeugt, die Emanzipation des Menschen werde nicht im Politischen erreicht, sondern
nur im Geistigen. Deshalb auch die rigorose Feststellung: „Solange diese metaphysischen Absurditäten
nicht aufgeklärt und hinweggeräumt sind, ist von allen politischen Revolutionen
nichts zu hoffen, als allenfalls ein Impuls zum Nachdenken und zu künftiger
metaphysischer Revolution.“[6]
Bild
7.
Ecce poeta!
Nikolaus Lenau-Denkmal an der
Lenau-Steige in Esslingen am Neckar
Statisches,
in willkürlich konstruierte Systeme forciert eingebettetes Denken, wie er es
bei Schelling, aber auch bei Hegel und dessen Rivalen Schopenhauer vorfindet, bleibt Lenau für alle Zeiten fremd. Auch im Denken und
Spekulieren geht der Dichter eigene Wege. Er setzt dabei, in eindeutiger
Affinität zum modernen anthropologischen Strukturdenken, auf dessen Vorläufer
wie Meister Eckhart, Jakob Böhme und Franz von Baader – und dem entsprechend auf die ihm
wesensgemäße, offene Struktur, also
auf das Gegenteil des Systems.
Von
der Überzeugung ausgehend, die höchsten Fragen der Menschheit würden nur durch
neue Erkenntnisse der Philosophie gelöst werden und ein wahrer Dichter müsse
also notwendigerweise eben ein Dichter-Philosoph[7] sein, konzentriert sich Lenaus
Interesse, beginnend mit den ersten Originalen, bereits auf existenzielle Phänomene. Die Philosophie ist nicht länger
Selbstzweck, sondern wird in den Dienst der Existenz gestellt. Ganz im
Geist Epikurs, soll sie zur Daseinsbewältigung
beitragen. Dominant ist in dieser Frühphase ein entschiedener Subjektivismus,
der Lenau mit der systemfeindlichen Existenzphilosophie
verbindet. Der Ausruf des Perspektivisten Faust:
„Beglücken kann mich nur ein Wissen
Das mein ist und von Seinem
losgerissen.
ist
charakteristisch für diese Zeit. Statt einer Wahrheit an sich, gilt nur die
Wahrheit für mich.
In
der mittleren Schaffensperiode vollzieht sich dann doch der Umschwung ins
Intersubjektive – das individuelle Phänomen ist nun der Ausgangspunkt zur
Erschließung des weit reichenden Gesamtphänomens. Beachtenswert ist dabei die
Tatsache, dass Lenau zu keinem Zeitpunkt ein statisches Modell erstrebt.
Statt rein metaphysische Lösungen anzustreben, bemüht er sich um eine möglichst
existenziell reelle Darstellung der Phänomene. Das Leben selbst erscheint als
das nichtergründbare Wechselverhältnis von rationalen und irrationalen
Elementen; das Dasein hat eine antinomische
Struktur. Auch existenzielle Wahrheit ist immer relativ. Vergleicht man
Lenaus existenzbezogene Dichtung mit den essentiellen Aussagen moderner
Existenzphilosophie, ohne den Anspruch zu erheben, diese an einer a posteriori
etablierten Begrifflichkeit messen zu wollen, so ist ein überraschend hoher
Anteil gemeinsamer Denkansätze festzustellen.
Wie
noch im Rahmen der hier vorgelegten Phänomenbeschreibung zu zeigen sein wird,
operiert Lenau bereits früh und kontinuierlich in
zeitspezifischer Terminologie mit den Kategorien Schwermut, Langeweile, Verzweiflung und Angst, anthropologisch-psychologische Erscheinungen, die erst in
diesem Jahrhundert in Berufung besonders auf Schopenhauer, Kierkegaard[9] und Nietzsche als existenzphilosophische Grundlagen
definiert wurden. Lenau problematisiert bereits das von Jaspers akzentuierte Sein in der Grenzsituation, er kennt den „Sprung“ und selbst Martin Heideggers „Geworfenheit“
ist in Lenaus „Faust“ antizipiert. Weitaus bedeutender aber ist der Gedanke,
dass Lenau sein gesamtes künstlerisches
Schaffen nicht als reine Ästhetisierung, sondern als Auseinandersetzung mit der
tatsächlichen Existenz und somit als Existenzbewältigungsprogramm versteht.
Damit ist ein Grundkonsens markiert, der diesen besonderen Lyriker mit der
unverwechselbaren melancholischen Diktion und episch-dramatischen Dichter der
Spätromantik ganz wesentlich mit Nietzsche und Jaspers verbindet.
5.2. „Einsamkeit“ und „Vereinsamung“ als existenzielle Erfahrung
Wie
im Ansatz bereits dargestellt werden konnte, ist die überwiegend positive
konnotierte „Einsamkeit“ ein
zentrales, überragendes Phänomen im poetischen Oeuvre Nietzsches. Geradezu
gegensätzlich gestaltet sich die Darstellung der gleichen Thematik bei Lenau, der erst in der Spätphase seines
Schaffens zum Apologeten eines Lebens in Einsamkeit avancieren wird. Lange
Jahre widmet sich der Melancholiker avant la lettre fast ausschließlich dem
negativ besetzten Vereinsamungsprozess des Menschen, jener unfreiwilligen
Existenz in Einsamkeit, um die Nietzsche, obwohl vielleicht noch weitaus
einsamer lebend, als sein geistiger Vorfahr Lenau, einen breiten Bogen macht.
Nietzsches „Vereinsamt“ bleibt eine
Ausnahme. Bei dem elegischen Lenau hingegen, der mehr klagt als verkündet, wird
das Sujet Einsamkeit als Vereinsamung
als dominantes Grundphänomen von Anfang an breiten Raum einnehmen.
5.3. Nikolaus Niembsch von Strehlenau, genannt „Lenau“ vereinsamt in Wien
„An die Melancholie.
„Du geleitest mich durch‘s Leben,
Sinnende Melancholie!
Mag mein Stern sich strahlend heben,
Lenau
Fast
die gesamte Dichtung der frühen und mittleren Schaffensperiode Lenaus wird von
diesem Motiv - und der daraus resultierenden pessimistisch-negativistischen
Weltanschauung - geprägt. „Vereinsamung“,
bei manchen Dichtern der Romantik[11] nur Pose, ist bei dem existenziell
ausgerichteten Österreicher stets gelebte
Vereinsamung.
Wie
aus der umfangreichen Korrespondenz des Dichters ersichtlich ist, erwächst das
Grundphänomen der unmittelbaren existenziellen Erfahrung. Lenau durchlebt in seinem dunklen,
melancholiereichen Dasein zahlreiche, intensive, ja extreme Phasen der
Vereinsamung. Bedingt durch den frühen Tod seines Vaters, macht er diese
Negativerfahrung schon als Kind. Im jugendlichen Alter in Budapest und bald
darauf als Philosophiestudent in Wien vereinsamt er noch mehr, obwohl er
soziale Kontakte hat und erste Liebschaften sich anbahnen. „Was mich betrifft“, schreibt der angehende Poet resignativ an
einen Jugendfreund, „so hab ich mich in
Wien, überhaupt in der Welt, noch nicht eingebürgert.“[12]
Wie
andere, von ihm sogar beeinflusste Dichter oder Komponisten aus der großen
Familie der Melancholiker nach ihm, von Rilke über Gottfried Keller bis hin zu Othmar Schoeck, wird
der distinguierte Aristokrat Nikolaus
Niembsch von Strehlenau sich nie
richtig in der Welt, die er bis hin nach Nordamerika ausloten wird, wohlfühlen.
Er wird unter der Anonymität der Großstadt leiden – und er wird auch am „Locus
amoenus“, in der Bergwelt des Salzkammerguts, dem niederziehenden Geist der
Schwere ausgeliefert sein.
Um
das Jahr 1828 lebt Lenau in Wien. Wohl ahnend, nur für die Kunst da sein
zu wollen, lehnt der angehende Dichter bereits zu diesem Zeitpunkt das praktische
Leben ab. Introvertiert, fast menschenscheu, zieht er sich, gestützt auf Seneca[13] und andere Lebensphilosophen der Stoa, in die
Welt der toten Dichter und Denker zurück. Totengespräche sind angesagt. Der bald
folgende Tod der Mutter sowie das Zerschellen der ersten Liebesverbindung
stürzen diesen „Lenau“, der sein –
bald weltbekanntes - Pseudonym noch nicht erfunden hat, erneut in tiefe Depressionen. Bevor der Edle von
Strehlenau endgültig der Vereinsamung und Melancholie verfällt, wagt der junge
Mann noch einen mutigen Befreiungsschlag aus seiner psychisch labilen, verzweifelten
Lage. Er bricht auf und aus … und flieht kurz entschlossen nach Süddeutschland,
in das ihm - aus der metternichschen Enge heraus - „liberal“ erscheinende
Großherzogtum Baden, in einen milden Landstrich am Rhein, in welchem seit
Napoleons Flurbereinigung in Europa französische Winde wehen, flankiert vom
Geist der Aufklärung und den menschenrechtlichen Errungenschaften der
Französischen Revolution.
Für
wenige Tage verschlägt es Lenau nach Karlsruhe. Bald darauf reist er ab. Es
zieht ihn einige Postkutschen-Stationen zurück, nach Stuttgart, in die
Hauptstadt des noch jungen Königreichs Württemberg, wo er viel Freiheit, gute
Schaffensbedingungen und auch einige literarische Freunde zu finden hofft.
Und
tatsächlich: Lenau wird gut aufgenommen werden in Schwaben. Bald
wird er Wahlverwandte antreffen, Philologen und Publizisten wie Gustav Schwab, Ludwig Uhland und Adelbert von Chamisso. Wahre Freunde werden hinzukommen
wie Justinus Kerner, eine tief verwandte melancholische
Seele[14], die ihm, bis in die Irrenanstalt
Winnenden hinein, die Treue halten wird.
Bild
8.
Der
Geisterturm im Hof des Kerner-Hauses, in Weinberg. Wenn
Lenau den Dichter-Freund Kerner besuchte, wohnte und arbeitete er in diesem
Turm.
Bild
9.
Justinus-Kerner-Denkmal,
Weinsberg, Detail.
Er
wird sogar Gönner antreffen, die ihm – gleich der Familie von Reinbek - ihren
literarischen Salon und andere Türen öffnen und ihn beim Goethe-und Schiller-Verleger Freiherr von Cotta einführen werden, bei einem schon legendären
Verleger, der, den sympathischen „Ungar“ aus Wien umgehend als Autor aufnehmen
und schon bald als Dichter mit eigenem Ton bekannt machen wird.
Nach
einiger Zeit in Stuttgart und Weinsberg zieht es den Romantiker etwas den
Neckar hinauf, nach Heidelberg. An der alten, ehrwürdigen Alma Mater nimmt der
aufstrebende Poet sein unterbrochenes Brot-Studium wieder auf und widmet sich
im Schatten der Ruine neben Poesie und Geist vor allem der Medizin. Lenau, vom Wesen her ein Altruist, will
Arzt, genauer Pest-Arzt werden, um dann selbstlos in alle Welt zu schweifen,
überall dorthin, wo ärztliche Kunst gebraucht wird. Als fast vollständig
ausgebildeter Mediziner und geschulter Psychologe ist Lenau dann auch in der
Lage – im unmittelbaren Dialog mit dem neu gewonnenen Freund, Arzt und
Melancholiker[15] Justinus Kerner die Symptome der eigenen Schwarzgalligkeit zu
beobachten, teils hypochondrisch, teils wissenschaftlich empirisch und die
Materie, über die unmittelbare Betroffenheit beider hinaus, sachkompetent zu
erörtern.
5.4. Das „melancholische Sumpfgeflügel der Welt“ - Vereinsamt in Heidelberg und Weinsberg. Therapeutikum Philosophie: Lenau setzt der „Seelenverstimmung“ die „Schriften Spinozas“ entgegen!
Doch
auch im schönen Heidelberg am Neckar überkommt ihn das alte Übel. Die
Seelenpest Melancholie reist mit und verhagelt selbst dem gesellschaftlich
integrierten Burschenschaftler die Wonnen des Studentenlebens. Lenau dichtet – doch das strenge, mühevolle Arbeiten
in der Abgeschiedenheit seiner Spelunke wird
ihm oft unerträglich: „Meine Seelenverstimmung
wird von Tag zu Tag ärger“, klagt der Poet. „Das einzige Palliativmittel für mich ist Vertiefung in ein
geistreiches Werk. Und so hab ich mich jetzt in die Schriften Spinozas vertieft. Aber ich mag nun wandern im Gebiete
der Poesie oder der Philosophie, so stöbert und schnuppert mein Scharfsinn vor
mir herum, ein unglücklicher Spürhund, und jagt mir richtig immer das melancholische Sumpfgeflügel der Welt aus
seinem Verstecke.“[16] Die Philosophie Spinozas erfüllt die erwartete
Existenzbewältigungsfunktion jedoch nicht. Sie versagt. Statt zu befreien,
vertieft sie die Verzweiflungssituation des Trostsuchenden, der an falscher
Stelle gesucht hatte, noch mehr.
5.5. Amerika – Lenaus Ausbruch in die Welt der Freiheit
In
der Hoffnung auf politische Freiheit und geistige Emanzipation, schifft sich
Lenau bald ein und reist, einer
Auswanderungsgesellschaft angeschlossen, von Bremerhaven aus auf einem
zeittypischen Dreimaster nach Nordamerika. Dort, in der Fremde, wird der
deutsche Dichter noch mehr vereinsamen. Dieses Mal sind es soziale Isolation
und geistige Vereinsamung zugleich, die ihn erfassen. Ideal und Wirklichkeit
werden aufeinanderprallen und herbe Enttäuschungen auslösen. Hohe, ja
übersteigerte Erwartungen an die Welt der
Freiheit werden enttäuscht. Das im Jahr 1832 vorgefundene Amerika[17] ist - lange vor dem die
Einzelstaaten einigenden Bürgerkrieg - noch weitestgehend rudimentär und
unerschlossenen. Statt der erstrebten uneingeschränkten Freiheit in allen
Bereichen der Entfaltung wird ihn, den angehenden Poeten, dort, auf dem fremden
Kontinent, eine primär sozialdarwinistische, frühkapitalistisch ausgerichtete
Gesellschaft erwarten, eine Daseinsform, die dem zarten Intellektuellen aus dem
Alten Europa zutiefst suspekt vorkommt.
Ein platter, nur dem Gelderwerb und dem schnellen Reichwerden verpflichteter
Materialismus wird Lenau abstoßen.
Geistiger
Austausch oder poetisches Wirken erscheinen ihm zunächst in der Neuen Welt
unmöglich. Was ihm aber von der wagemutigen Amerika-Erkundung bleiben und sein
Werk nachhaltig befruchten wird, ist die Natur, eine noch intakte Welt, die er zu
schätzen wissen wird. Neben den zahlreichen Erlebnissen und Erfahrungen während
der Hin- und Rückreise auf dem Schiff und dem Aufenthalt bei den christlichen Harmonisten werden es die Urgewalten
sein, die Lenau nachhaltig beindrucken und inspirieren. Prägendes
bleibt. Lenau, ein nach Erkenntnis Ringender und zugleich früher Tourist, erlebt
die tosende Wucht der Niagara-Fälle noch in ihrem ursprünglichen, nicht
begradigten, vorindustriellen Zustand. In einem Gedicht wird er das Erlebte eindrucksvoll
schildern - wie oft bei ihm, als Nachhall, Jahre nach dem tatsächlichen
Ereignis. Auch wird der Dichter noch mit der Urbevölkerung Nordamerikas
konfrontiert werden, mit den Indianern, deren, damals schon absehbares,
tragisches Los[18] ihn zu pathetischen Dichtungen animieren
wird. Lenau wird schließlich, und das ist bezeichnend, die auf dem
amerikanischen Kontinent erlebte „Vereinsamung“
des geistigen Individuums - in einem ihm nicht angemessenen
materialistischen Umfeld sowie in direkter Konfrontation mit der rauen Natur
des Landes - als notwendiges Katharsis-Erlebnis
deuten, als Reinigung und Läuterung, aus welcher der Einzelne zwar
desillusioniert, aber existenziell wie künstlerisch gestärkt hervorgeht.
5.6. Schwermut und Hypochondrie – Therapeutikum: Philosophie und Sarkasmus
Ein
gutes Jahr nach seiner Heimkehr aus Amerika, im September des Jahres 1834, als
der Dichter bereits an seinem „Faust“
arbeitet, wiederholt sich der insgesamt unbefriedigende Überwindungsversuch der Vereinsamungssituation mittels Philosophie
erneut: „Aus all der Leere und dem
Unbehagen hab ich mich, so gut es gehen will, geflüchtet in ein ernsthaftes
Studium. Herbarts philosophische Schriften beschäftigen mich
beinahe den ganzen Tag. Doch, so sehr dieses Studium den Kreis meiner
Erkenntnis erweitert und erhellt und mir die Hoffnung gibt, meine ästhetischen
Ansichten in ein System zu bringen, so wenig bin ich imstande, aus einer
gewissen Schwermut, die nahe an
Hypochondrie[19] grenzt, mich hinaus zu
philosophieren. Ich habe noch mehr die Hoffnung, daß
mich mein Mephisto hinausspotten wird.“ [20]
Philosophie
ist also nur systematisiertes Denken, also Schulphilosophie ohne konkreten
Existenzbezug oder Lebenshilfe. Sarkastische Poesie mit dem Stil-Mittel Ironie, Elemente, die Lenau in seinem „Faust“ in Anknüpfung an das
Paradigma Goethes übernehmen wird, bergen da ganz andere Möglichkeiten. Doch
wie die herben Zoten der Themse-Fischer einen Robert Burton nur aufheitern können, ohne seine Melancholie
zu besiegen, genauso wenig kann literarisch umgesetzter Humor den Menschen und
Dichter Lenau vor Stimmungsschwankungen und Verstimmungen bewahren. Die
Folgeerscheinungen eines Lebens in Abgeschiedenheit, Vereinsamung, Hypochondrie
oder Melancholie bleiben ein existenzielles Problem, eine Herausforderung, mit
welcher sich der betroffene Einzelne permanent konfrontiert sieht.
5.7. „Einsam bin ich hier, ganz einsam. Aber ich vermisse in meiner Einsamkeit nur dich.“
Wie blinkt mir der
Himmel
Im Grünen so hehr.
Der Städte Getümmel
Ist rauschend und leer.
Drum sei meiner Tränen
Vertraute die Flur,
Drum höre mein Sehnen
Die Einsamkeit nur.“
Im Grünen so hehr.
Der Städte Getümmel
Ist rauschend und leer.
Drum sei meiner Tränen
Vertraute die Flur,
Drum höre mein Sehnen
Die Einsamkeit nur.“
Friedrich von Matthisson,
In der Fremde.
In
der Korrespondenz Lenaus finden sich aber auch Belegstellen, aus welchen
hervorgeht, dass der Dichter das abgeschiedene Leben, die Zurückgezogenheit im
Schaffensprozess, durchaus auch genießen kann – in relativer Ruhe, Autarkie und
Ataraxie wie die Stoiker und Epikureer der Antike.
Auf
die ferne Geliebte, auf die ihm wahrscheinlich nur platonisch verbundene Sophie
von Löwenthal bezogen, notiert der Dichter in sein Tagebuch: „Ich habe heute viel gearbeitet, aus mir
heraus und in mich hinein. Einsam bin ich
hier, ganz einsam. Aber ich vermisse in meiner Einsamkeit nur dich. Nur du
bist mir unersetzlich durch die schöne Natur, durch den Verkehr mit großen
Geistern wie Plato, den ich fleißig
lese, ja selbst durch die beglücktesten Stunden meines Kunstlebens.“[21] Das hier geschilderte Phänomen genossener Einsamkeit entspricht etwa
den verwandten Erlebnissen eines Petrarca in der Provence oder eines Angelo Poliziano[22] in der Toskana: Das schöpferische
Individuum ist vollkommen bei sich selbst, am schönen, angenehmen Ort, die
Natur wird als „harmonische Natur“ gleich mit genossen, der Umgang mit großen
Geistern wird konstruktiv gepflegt wie vom bücherlesenden, meditierenden und
schreibenden Montaigne im Turm, und die aus alledem emanierenden Ideen werden schließlich
produktiv in Poesie umgesetzt. In solchen Momenten, ja Hochphasen
künstlerischen Schaffens verdrängt das weitestgehend positiv gewertete Phänomen
„Einsamkeit“ die negativ destruktive „Vereinsamung“ vollständig. Erst nach
dem autodynamisch-erhebenden,
euphorisierenden Schaffensprozess droht wieder ein Rückfall in das
Nachsinnen und Grübeln. Dann schleichen sich Gedanken an die ferne Geliebte
ein, wehmütige Reflektionen des unvermeidbaren Verzichts auf Liebe, Nähe und
Geborgenheit, auch Zweifel, welche die an sich glückliche Konstellation wieder relativieren,
um erneut die jederzeit drohende Schwermut heraufzubeschwören.
5.8. „wahre Menschenscheu“ - „Die Geselligkeit“ „ist ein Laster“ - „Mein Leben ist hier Einsamkeit und etwas Lyrik.“
Ein
Künstler ist sensibel und manchmal, vor und nach Schopenhauer, auch eine
Mimose. Der gutmütige, doch auch schnell gereizte Lenau, ausgestattet mit einem anfälligen
Nervenkostüm, war da keine Ausnahme. Eine Stubenfliege konnte ihm die Stimmung
verderben, noch mehr Menschen, die sein Tun und Wirken nicht verstanden und ihn
zum Unverstandenen machten.
Mit
zunehmendem Alter wird Lenaus Ablehnung der Gesellschaft, vor allem der sogenannten
guten Gesellschaft, immer krasser.
Getrieben von einer „wahre(n)
Menschenscheu“[23] flieht er ihm geltende Ehrungen in
Stuttgart und München. Das konventionelle, von Riten und Floskeln bestimmte öffentliche
Leben stößt ihn immer mehr ab. Ganz im Einklang mit La Bruyére, Rousseau, Chamfort, Schopenhauer und Nietzsche, also mit philosophischen Schriftstellern,
die im profanen, uneigentlichen gesellschaftlichen Dasein eine Gefahr für jede
Individualität erkennen, verkündet Lenau: „Die Geselligkeit, es muß wiederholt
werden, ist ein Laster, von dem ich
mich immer mehr säubere und herstelle, ein Geist und Leib abschwächendes Laster.“
[24]
Den
Vorgaben seines bereits im Jugendgedicht gewürdigten Vorbilds Seneca, dessen Trostschriften der
Heranreifende genau gelesen hat, will er als autonomer Erwachsener nicht mehr
ganz folgen. Statt auf das - auch für den Einsamen wichtige - Wechselverhältnis zwischen „Geselligkeit“
und Rückzug zu setzen, vernachlässigt der späte Lenau die Kommunikation und den Austausch mit
anderen, um sich noch mehr zurückzuziehen. Statt die - fast für alle Menschen
lebensnotwendige - Geselligkeit zu pflegen, zu kultivieren tritt die „Einsamkeit“ mehr und mehr in den
Vordergrund, in vielen Formen und oft als positiv gewertetes Phänomen, dessen
stimulierende Kraft Lenau längst erkannt hat. Im Gefolge anderer Dichter des Göttinger Hain und der Hochromantik wird besonders die „Einsamkeit des Waldes“[25] als Wohltat empfunden. Ganz in
diesem Sinn wird Lenau seine „Waldlieder“
dichten. Seine gesamte Existenz wird schließlich im Phänomen des Dionysischen
aufgehen. Im Jahr 1844, kurze Zeit vor dem Eintreten der geistigen Umnachtung
als Folge einer Paralyse, notiert Lenau einen bezeichnenden Satz, der seine
Existenz auf ihre Essenz reduziert: „Mein
Leben ist hier Einsamkeit und etwas Lyrik.“[26]
5.9. Die „äußere Einsamkeit“– Vom „Locus amoenus“ zum „Locus terribilis“
Lenau ist vielleicht der Dichter in der deutschen
Literatur, der den anthropologischen Zustand „Einsamkeit“ als Motiv am breitesten ausgelotet und poetisch
umgesetzt hat, vom schlichten „Alleinsein“,
über verschiedene Vereinsamungsprozesse
bis hinein in die schwärzesten
Erscheinungsformen von Melancholie und Verzweiflung – und das in einem Zeitraum
von kaum fünfzehn Jahren konkreter Schaffenszeit.
Bild
10.
Nebel – Melancholische Landschaft
1830,
unmittelbar vor dem eigentlichen poetischen Durchbruch, dichtet Lenau den aus zehn Liedern bestehenden Zyklus „Wanderung im Gebirge“. Das sechste
Element dieser, an den späteren, hoch angesetzten Maßstäben gemessen noch
unscheinbar wirkenden Poeme, „Einsamkeit“, versetzt den Leser in
die abgeschiedene Höhenwelt österreichischer Alpen:
„Der steile Pfad wird steiler immer,
Wilde Einsamkeit bedeutet zunächst noch intakte
Umwelt. Bereits in der zweiten Strophe erfolgt eine Dämonisierung des
Naturausschnitts. Das subjektive Empfinden des Dichters überlagert die neutrale
Perspektive. An die Stelle des herrlichen, in sich noch harmonischen Locus amoenus tritt der Locus terribilis: die Natur erscheint als makabre Todeslandschaft:
„Dort stürzt aus dunkler Felsenpforte
Der Quell mit einem bangen Schrei,
Enteilt dem grauenvollen
Orte.“
Angst
und Grauen zerstören die Harmonie. Die Negativität des konstruierten Unortes
wird weiter intensiviert:
„Verschwunden ist das letzte Leben
Hier grünt kein Blatt, kein Vogel ruft,
Und selbst der Pfad scheint hier zu beben,
So zwischen Wand und Todeskluft.“
Die
äußere Deskription ist hier abgeschlossen. Jedes konventionelle Gedicht, das
nur die äußere Einsamkeit zum Thema hat oder nur eine Todeskulisse poetisch
darstellen will, würde hier abbrechen. Für den jungen Lenau aber wird die
extreme Natur zum Ort des Leidens, zu der Stelle, wo der Melancholiker seine
Schmerzen besser fatalistisch annehmen und bewältigen kann. Wenn Lenau in
seinem – nicht nur für ihn richtungweisenden Lyrismus „An die Melancholie“ in der ersten Strophe verkündet:
„Du geleitest mich durch‘s Leben,
Sinnende Melancholie!
Mag mein Stern sich strahlend heben,
Mag er sinken - weichest nie!“
-
weist er in der zweiten und dritten Strophe des Gedichts darauf hin, wo und wie
die melancholische Heimsuchung überwunden werden kann – in der Einsamkeit einer
schrecklich anmutenden, doch mitleidenden Natur der Bergwelt:
„Führst
mich oft in Felsenklüfte,
Wo
der Adler einsam haust,
Tannen
ragen in die Lüfte
Und
der Waldstrom donnernd braust
Meiner
Todten dann gedenk‘ ich,
Wild
hervor die Thräne bricht,
Und
an deinen Busen senk ich
5.10. Situation und Grenzsituation – präexistenzphilosophisches Gedankengut bei Lenau auf dem Weg zu Karl Jaspers. Exkurs.
Lenau aber geht noch einen Schritt weiter. Seine
äußere Einsamkeit, die praktisch nur eine Gestimmtheit vermittelt, wird
entsprechend funktionalisiert und ausgeweitet. Nun erst wird die eigentliche
Idee des Gedichts, die Endlichkeitserfahrung
des Individuums am Abgrund im Erleben der Grenze, exponiert:
„Komm, Gottesleugner, Gott zu fühlen;
Dein Frevel wird auf diesem Rand
Den Todesabgrund tiefer wühlen,
Dir steiler türmen diese Wand!“
Die
auf ein Höheres hinweisende, ja die Existenz Gottes suggerierende Grenz-Erfahrung
menschlicher Begrenztheit und Unzulänglichkeit, die der Dichter Lenau hier bewusst problematisiert, ist keine
Fiktion, beruht auch nicht auf spekulativer Erkenntnis, sondern ist eine selbst gemachte, eine existenzielle Erfahrung, basierend auf
einem konkreten Erlebnis in den hohen Bergen Österreichs.
Auf
seiner ersten Reise nach Süddeutschland hatte der Dichter die Gelegenheit,
während seines Aufenthalts in Gmunden am Traunsee den von dort aus gut
erreichbaren, majestätischen Traunstein
zu besteigen. In einem Schreiben ist dieses außerordentliche Erlebnis
eindrucksvoll dokumentiert. Lenau berichtet: „Welche
Aussicht! Ungeheure Abgründe in der Nähe, eine Riesenkette von Bergen in der
Ferne und endlose Flächen. Das war einer der schönsten Tage meines Lebens; mit
jedem Schritte bergan wuchs mir Freude und Mut. Ich war begeistert. (...) ganz oben trat ich hinaus auf den äußersten
Rand eines senkrechten Abgrundes. (...) Die Minute, die ich auf jenem Rand
stand, war die allerschönste meines Lebens. (...) Trotzig hinabschauen in die Schrecken eines bodenlosen Abgrundes und
den Tod heraus greifen sehen bis an meine Zehen und stehn bleiben und so
lange furchtbar erhabenen Natur ins Antlitz zu sehen, bis es sich erheitert, gleichsam
erfreut über die Unbezwingbarkeit des Menschengeistes, bis es mir schön wird,
das Schreckliche: Bruder, das ist das
Höchste, was ich bis jetzt genossen, das ist ein süßer Vorgeschmack von den
Freuden des Schlachtfeldes.“[29]Frappierend ist: Was Lenau bereits 1830 in dem kleinen Gedicht sowie in
dem zitierten Brief phänomenologisch schildert, weist eindeutige Affinitäten zur modernen Existenzphilosophie
auf, der existenzphilosophischen Auffassung von „Situation“ und „Grenzsituation“
entsprechend.
Nach
Karl Jaspers ist das menschliche Dasein wesensmäßig ein Sein in der Situation. Der Mensch ist immer, nicht nur gelegentlich, einer
Situation verhaftet: „Weil Dasein ein
Sein in Situationen ist“, schreibt Jaspers, „kann
ich niemals aus der Situation heraus, ohne in eine andere einzutreten.“[30] Das Individuum ist aufgefordert, die
Situation, die es mit der Endlichkeit des menschlichen Daseins konfrontiert, zu
durchleiden und damit zu überwinden. Lenau, das wird in „Herbstentschluß“ noch deutlicher, sieht und wertet diesen Aspekt
ähnlich. Nun gibt es immer wieder Situationen im Dasein, wo der Mensch als
endliches Wesen an seine Grenzen stößt. Situationen dieser Art umschreibt der Philosoph
Jaspers aus existenzieller Sicht mit dem Ausdruck „Grenzsituationen“.
Grenzsituationen sind, das geht aus Jaspers Definition hervor, nicht exakt festzulegen;
sie müssen umschrieben werden: „Sie
wandeln sich nicht, sondern nur in ihrer Erscheinung; sie sind, auf unser
Dasein bezogen, endgültig. Sie sind nicht überschaubar; in unserem Dasein sehen
wir hinter ihnen nichts anderes mehr. Sie
sind wie eine Wand, an die wir stoßen, an der wir scheitern. Sie sind durch
uns nicht zu verändern, sondern nur an Klarheit zu bringen, ohne sie aus einem
andern erklären und ableiten zu können. Sie sind mit dem Dasein selbst.“[31]
Die
Strukturanthropologie geht zurecht davon aus, dass es nicht nur eine bestimmte
Anzahl typischer Grenzsituationen gibt, sondern dass „unendlich vieles, und für jede Existenz etwas anderes, zur
Grenzsituation werden kann.“[32] Jaspers unterscheidet hingegen nur vier
Grenzsituationen: den Kampf, den Tod, den
Zufall und die Schuld. Erst im Erfahren einer Grenzsituation wird aus dem „Dasein“, dem naturhaften Vorhandensein
des Menschen in seiner Umwelt, „ergriffenes
Dasein“, Existenz. „Grenzsituationen
erfahren und Existieren ist dasselbe“[33], schreibt Jaspers. Der Mensch erreicht erst seine
Eigentlichkeit in dieser Erfahrung: „Wir
werden selbst, indem wir in die Grenzsituation offenen Auges eintreten.“[34]
Grundsätzlich
hat Lenau,
dessen Werk von präexistenzphilosophischem Gedankengut durchsetzt ist, die bei
Jaspers theoretisch formulierten Erkenntnisse
teilweise denkerisch antizipiert. Das kann bis in letzte Details nachvollzogen
werden. Der gesamte Vorgang, das ist hier zu betonen, ist bei Lenau selbst erfahren. In seiner Darstellung
der Grenzsituation in Brief und
Gedicht wird das Ich Lenaus - in Konfrontation mit dem Nichts, mit dem Nicht-mehr-Sein - an den „Rand“ geführt; ein Weiterkommen ist
nicht mehr möglich. Indem es mit der äußeren
Grenze[35] konfrontiert wird, hinter welcher
der „Abgrund“ klafft, wird ihm auch
die innere Begrenztheit bewusst. Der Abgrund ist gleichbedeutend mit dem
Scheitern, dem „Tod“.
Der
Mensch wird im Verlauf seines Lebens mit zahlreichen Grenzsituationen konfrontiert. Wie reagiert er darauf? Oder kann er
überhaupt reagieren? Lenaus Ich kann es – Dem „Schrecken des bodenlosen Abgrundes“ und dem bis zu den Zehen
herauf greifenden Tod wird das Stehenbleiben und das Ins-Antlitz-Sehen, also das konsequente Ausharren, entgegengestellt. Dank der individuellen Autarkie
meistert das Individuum die Konfrontation, diese bedrohliche Horror vacui-Situation als ein Hinausgehaltensein in das Nichts.
Bemerkenswert
ist, dass diese existenzielle Erfahrung
der Grenze, gleichrangig mit der - auch an anderer Stelle ersehnten - Kampf-Situation („Freuden des
Schlachtfeldes“), als das „Höchste“
empfunden wird, was das Leben bisher an unmittelbarem Genuss bieten konnte. Das
Dasein des zu sich selbst gekommenen Menschen wandelt sich zu ergriffenem Dasein – die Existenz leuchtet auf.
Jaspers geht in seiner Definition davon aus, dass die Grenzsituation eine Wand sei, an der man scheitert. Wenn Jaspers Auffassung stimmt, dann muss man sich die
Frage stellen, ob Lenau, der ausharrend die Herausforderung
der Situation meistert, tatsächlich eine „Grenzsituation“
beschreibt. Ist die dargestellte Erfahrung existenzieller Bedrohung eine
zum Scheitern determinierte Grenzsituation? Oder ist eine zu bewältigende
Situation an der Grenze, ein „Normalfall
des Daseins“[36], der überwunden werden kann und muss?
Lenau,
der in der Regel mehrere Alternativen auslotet, beantwortet diese Frage
partiell in seiner Faustdichtung. Bereits in der ersten Szene erscheint Faust
als kühner Wanderer[37], der „zum Gipfel strebt“ in derselben Extremsituation. Doch dieses Mal
„wankt und weicht von seinem Tritt
Faust
scheitert - jedoch nur für
Augenblicke; Mephisto erscheint in letzter Sekunde als „Deus ex machina“ und rettet ihn doch noch. Das Scheitern aber, das
Lenau hier an den Anfang stellt, ist symptomatisch für das endgültige Scheitern der
Faustgestalt. Dieses Scheitern repräsentiert jedoch nicht, wie angenommen
werden könnte, das allgemeine Scheitern des Menschen auf seinem Weg durch das
Leben. In diesem speziellen Fall scheitert lediglich die von Hybris
durchdrungene, das eigentliche Leben verkennende Negativgestalt, der Melancholiker Faust. Soweit dieser
Exkurs.
5.11. „Einsamkeit“ als ontische Dimension - Menschliches Dasein ist nicht Gesellig-Sein – Mensch-Sein bedeutet ein Sein in Einsamkeit.
Um jenen
elegischen Ton zu erzeugen, den man in der Weltliteratur seit Ovids
Klageliedern vom Pontus kennt, hält Lenau auch in anderen Gedichten seiner frühen Schaffensperiode,
die aufgrund ihrer philosophischen Irrelevanz hier nicht näher erörtert werden,
an der Darstellung einer „äußeren
Einsamkeit“ fest. Sie ist dort in der Regel nur Kulisse, ein Mittel zur
Erzeugung traurig-elegischer Stimmungen und steht in der Tradition der Göttinger Hain-Dichtung, eines Wilhelm Müller und anderer Früh-Romantiker, wird aber von Lenau viel häufiger,
variierter und modernistischer eingesetzt, als bis dahin bekannt. Der „Locus terribilis“ des Barock wird
weitgehend beibehalten.
„Hohe Klippen, ringsgeschlossen,
Wenig kümmerliche Föhren“[39],
heißt es
introduktiv in der Liebesklage „Asyl“.
Auch in dem Liebeslied „Einsamkeit“ ist der Naturausschnitt
vergleichbar:
„Wild
verwachsne dunkle Fichten,
Leise klagt
die Quelle fort;
Herz, das ist
der rechte Ort
Für dein
schmerzliches Verzichten!“[40]
Das lyrische
Ich, der leidende Verliebte, findet in seiner Verzicht-Situation Trost in einer
verwandt gestimmten Natur. Auch das ist typisch für die gesamte Zeit der
Romantik. Lenau
aber wird den bereits ausgeprägt elegischen Ton des - dank über Franz Schuberts
Vertonungen auch heute noch präsenten - Wilhelm Müller in noch nie gekannter Weise intensivieren und zu einem neuen Klang formen, der originell
ist und ihm seinen Stellenwert in der Geschichte der deutschen Lyrik unstreitig
machen wird.
Die besten
Beispiele dafür liefern die liedhaften Lyrismen aus dem frühen „Schilflieder“-Zyklus sowie die mehr als
ein Jahrzehnt später entstandenen, dionysischen „Waldlieder“, die von elegisch gestimmten Einzel-Liedern durchsetzt
sind. Nach Lenaus Auffassung, erschöpft sich Einsamkeit nicht darin, nur Mittel zur Darstellung einer übergeordneten
Idee zu sein. Für ihn - wie für seine zahlreichen philosophischen Gewährsmänner
- ist Einsamkeit eine Grundbefindlichkeit
des menschlichen Daseins. Wie später im französischen
Existentialismus genießt sie quasi ontische
Qualität. Kurz ausgedrückt: Menschliches
Dasein ist nicht Gesellig-Sein – Mensch-Sein bedeutet ein Sein in Einsamkeit.
5.12. „Einsame Klagen sinds, weiß keine von der andern“ - Monologische Existenz in dem existenzphilosophischen Gedicht „Täuschung“
„Einsamkeit! Mein stilles
Weinen
Rinnt so heiß in deinen
Schoos;
Doch du schweigst, und hast
nicht einen
Seufzer für mein trübes Loos!“
Lenau, In der Krankheit, 2[41].
Diese
gewichtige, auch durch Briefaussagen gestützte These entwickelt der
österreichische Dichter in einem bedeutenden, in der Forschung jedoch kaum
beachteten philosophischen Gedicht, in „Täuschung“.
Auch dieses
Gedicht, das den existenziellen
Dichtungen Lenaus zugerechnet werden darf, basiert auf einem konkreten
Naturerlebnis. Während einer Wanderung durch die Alpen der Steiermark geriet der Poet in ein heftiges, ihn
tief beeindruckendes Gewitter. Das seinerzeit gegebene Versprechen, er werde
dieses originelle Naturschauspiel später einmal in einem Gedicht schildern,
löste Lenau dann tatsächlich ein, typisch für ihn, erst
zwei Jahre nach dem Erlebnis.
Der erste
Teil der Dichtung entspricht genau den inhaltlichen Aussagen des Entwurfs: „Die Natur schien alle Schrecken
zusammenzunehmen, um sich in ihrer würdigsten Gestalt zu zeigen. Die Blitze
gossen sich wie Ströme auf die grauen Kalkfelsen herab. Der Donner, der
Sturmwind, der sich in den Klippen wie in einer Riesentuba verfing und nicht brauste,
sondern eigentlich klang, das Rauschen des Wassers, und das von Zeit zu Zeit
ertönende Geschrei einer Eule, das alles drang die ganze Nacht auf mich ein und
erhielt mich in der Spannung eines schauerlichen Entzückens.“[42]
Die einander sich durchdringenden Stimmen des Windes, des Donners, des Regens,
des Gießbachs und des Käuzchens vermittelten den Eindruck einer harmonischen
Ordnung der Natur. So scheint es.
„Doch nein!
Mich täuscht mein Sinn“[43].
Hier bricht
drastisch Lenaus Korrektur ein. Erst hinter dem Schein offenbart sich das
Wesenhafte der Natur, ihr eigentliches Sein – und mit ihm die Botschaft, die
erst der Reflektierende erkennt, wenn er den Schein durchschaut – und die „Täuschung“ erkennt. Das Bild des
harmonischen Zusammenklingens offenbart sich als Trug-Bild:
„Einsame Klagen sinds,
weiß keine von der andern,
Wenn sie zusammen auch
im wilden Chore wandern.“[44]
Letztendlich sind alle Individuen, hier repräsentiert
durch die geschilderten Naturphänomene, einsam.
Sie alle stehen allein da in der Welt, sind nur auf
sich selbst gestellt. Kommunikation ist schlechthin unmöglich. Der Unverstandene, der Einsame, der
Melancholiker, das Ich in der Verzweiflung – sie alle bleiben letztendlich das,
was sie sind. Lenau
weiß davon, weil er das Gefühl, allein
auf der Welt zu sein, von allen verlassen dazustehen, als Mensch und
Melancholiker tief erfahren und durchlitten hat. Obwohl er über Kunst und
Poesie verwandte Seelen erreichen will, bleibt Lenau auch als Dichter
konsequent: Mild elegisch, resignativ negiert er die - ihm vergeblich
erscheinende - Kommunikation, den
zwischenmenschlichen Austausch an sich. In der Regel wird es beim Versuch,
den Nächsten zu erreichen, bleiben. Die wesentliche Botschaft, in „Täuschung“
ist es die absolute Einsamkeit als
Vereinsamung und Verlassenheit, verbirgt sich auf dem Urgrund der Seele –
Sie ist mehr emotionaler als rationaler Natur und muss tief erfühlt werden,
bevor sie vom Verstand her begriffen wird. Letztendlich wird sie ungehört
verhallen.
5.13. In „dunklen Monologen“ - „Jedes Geschöpf lebt sein Privatleben“ - Mitsein in existenzieller Gemeinschaft erscheint unmöglich
Lenau hat die Essenz der Natur-Erfahrung zur
Existenz-Erfahrung umgeschmiedet und das höchst prägnant auf den Punkt
gebracht. Der Versuch, konstruktiv miteinander zu kommunizieren, erschöpft sich
in „dunklen Monologen“. Das „Gespräch“ an sich ist eine Illusion: Alles
ist nur „Selbstgespräch“:
„Wenn alle
Klagen einst in diesen Erdengründen,
Was jede
heimlich meint einander sich verstünden:
Dann wäre ja
zurück das Paradies gewonnen.“[45]
An diese
Möglichkeit des sich Verstehens aber glaubt Lenau, selbst ein vielfach Unverstandener seiner Zeit und danach[46],
längst nicht mehr. „Jedes Geschöpf lebt
sein Privatleben“! Tieferes, eigentliches Verstehen ist unmöglich. Die
Kluft zwischen den einzelnen zusammenstrebenden Individuen – das sieht
Schopenhauer, wie weiter oben ausgeführt, ähnlich
– ist eigentlich unüberbrückbar, weil eine, auch noch so geringe Dissonanz
aufkommt, sich zwischen die Menschen, selbst zwischen die Liebenden, schiebt und
so den harmonischen Zusammenklang der Seelen verhindert. Jeder bleibt letztendlich auf sich gestellt, auch in seinem Leiden und
damit allein und einsam, gerade in Schlüssel-Situationen der Existenz, in
Grenzsituationen, in Krisen, in der Krankheit und in der Stunde des
individuellen oder anonymen Todes. Eigentliches Mitsein in existenzieller Gemeinschaft erscheint unmöglich:
„Trotz allem
Freundeswort, und Mitgefühlsgebärden,
Bleibt jeder tiefe
Schmerz ein Eremit auf Erden.“[47]
Die sinnliche
Wahrnehmung und naive Deutung der ersten Ebene des Scheins wird im zweiten Teil
des Gedichts durch das Miteinbeziehen des intellektuellen
Dahinter-Schauens vollkommen destruiert. Aus dem dialektischen Widerstreit
von Schein und Sein erwächst schließlich die existenzielle Erkenntnis, dass
jedes Individuum in seinem tiefsten und innersten Wesen unverstanden bleiben
wird. Wer dies leugnet, der heuchelt, der macht sich etwas vor! Der nüchtern
konstatierende Ton des Gedichts ist, frei von jeder Illusion, ein zusätzlicher
Hinweis darauf, dass ein Sein im Leiden
- also der echte Schmerz - nicht
durch irgendeine Trost versprechende, an sich aber den Nihilismus stimulierende
Scheinphilosophie bewältigt werden kann: Einsamkeit
und Schmerz müssen als existenzielle Gewissheiten anerkannt und ertragen werden.
Insofern dies subjektiv von Fall zu Fall zu leisten ist - denn Einsamkeit kann
auch, strukturanthropologisch gesehen, zur individuellen Grenzsituation werden.
Das in die Einsamkeit zurückgeworfene
Individuum kann die Situation zwar – wie in dieser Studie vielfach
exemplifiziert - produktiv umsetzen, ja mystisch-orgiastisch verinnerlichen wie
ein Nietzsche, der aus dem Sein in der Einsamkeit ein dionysisches Feiern macht. Der Einzelne
kann aber auch in aufkommender Vereinsamung und Verzweiflung scheitern.
Symptomatisch für viele authentische und fiktive Melancholiker wird Lenau seinen negativ konzipierten, melancholischen
Helden Faust den Weg der Resignation gehen lassen:
„Wenn ich die Welt auch denken lerne,
So bleibt sie fremd doch meinem Kerne,
Im Einzelwesen kalt zertrümmert,
Wo keines sich des andern kümmert.“[48]
In diesen
geradezu anti-phänomenologisch klingenden Versen steckt die radikalskeptische
Aussage, dass das Wesen der Dinge, des Pudels Kern, nicht über das Denken und
die Methoden der Philosophie erreicht werden kann. Der Urgrund, der eigentliche
Kern oder das „selbsteste Selbst“,
wie Lenau es an anderer Stelle einzigartig gesteigert
auf den Punkt bringen wird, das was sich als existenzieller Schmerz offenbart,
kann nur gefühlt werden. Mit dieser strikten existenzphilosophischen
Feststellung geht Lenau noch über die an sich verwandte Haltung Schopenhauers
hinaus. Während das irrationale Phänomen des Philosophen, der blinde Wille als
eine Kategorie des Unbewussten noch in ein metaphysisches System gepresst und
somit denkerisch gezähmt wird, fühlt der Dichter deutlich, dass die Wesenheit des
Menschseins nur im existenziellen Schmerz offenbar wird.
5.14. „O Einsamkeit! Wie trink ich gerne / Aus deiner frischen Waldzisterne!“ Dionysisch „zelebrierte Einsamkeit“ im Spätwerk
„Einsamkeit
Soll ein großes Werk gelingen,
Muß uns Einsamkeit umfächeln,
Denn nur nach dem stillen Ringen
Kann uns die
Vollendung lächeln.“
Eduard von
Bauernfeld, (1802 -1890)
Poet aus dem Umfeld
Lenaus in Wien, „Aus der Jugend“.
Mit der etwa
1838 einsetzenden, weltanschaulichen Neuorientierung des Dichters von der
pessimistisch-nihilistischen Sichtweise weg und hin zu einer lebensoptimistisch
dionysischen Weltauffassung, verändert sich konsequenterweise auch das Erleben
von Alleinsein und Einsamkeit. An die Stelle der häufig
thematisierten, negativen „Vereinsamung“
des Pessimisten und Skeptikers Lenau tritt nunmehr, geradezu programmatisch, das
positive Phänomen „Einsamkeit“.
Zahlreiche Briefstellen künden davon. Aber auch im Werk selbst sind viele Belegstellen
zu finden, die eine geistige Neuorientierung des Dichters belegen. So
erscheint, wie oben bereits angedeutet, beispielsweise das romantische
Naturmotiv „Wald“ im Frühwerk Lenaus
– in gezielter Absetzung von anderen Autoren der Romantik – noch als Locus terribilis, als Ort des Todes:
„Umsonst das
Leben hier zu grünen sucht,
Erdrücket von
des Todes Überwucht“[49].
In den späten
Waldliedern hingegen ist die düstere Negativität längst überwunden. Die gleiche
Erscheinung, das Werden und Vergehen in der Natur, diese eindrucksvolle
Metamorphose alles Seienden, wird nunmehr vollkommen entgegengesetzt
interpretiert. Der Dichter will nun nicht mehr dem Niederziehenden, dem Geist
der Schwere das Wort reden. Er will das pulsierende Leben selbst wirken lassen.
Derselbe Ort wird nunmehr als Quelle des Lebens dargestellt:
„Hier quillt
die träumerische,
Urjugendliche
Frische,
In
ahndungsvoller Hülle
Die ganze
Lebensfülle.“[50]
In der späten,
unvollendet gebliebenen Don Juan-Dichtung,
in Lenaus Hymnus auf das dionysische
Leben, wird die „Einsamkeit des
Waldes“ noch intensivierter umschrieben: „hier lebt des Lebens welche Fülle“[51].
Andere Motive erfahren eine vergleichbare, positiv gesteigerte Veränderung. Der
„Waldlieder-“Zyklus, Lenaus letzter großer Wurf, ist das
Resultat eines produktiven Aufgehens in
der Einsamkeit: „So ein paar Stunden, in
der Einsamkeit des Waldes verlebt, sind für ein in die Waldgeheimnisse
eingeweihtes Herz von unermesslicher Wohltätigkeit“[52],
notiert der Dichter fast beiläufig. In jener seligen Atmosphäre der
Entspanntheit und des momentanen Glücks dürfte, gewissermaßen als
Zufallsprodukt, Lenaus kürzestes Gedicht überhaupt entstanden sein. Gemeint ist
eine kleine, doch viel sagende der
Einsamkeit gewidmete Hommage:
„O Einsamkeit! Wie trink ich gerne
Aus deiner frischen Waldzisterne!“[53]
5.15. „Der einsame Trinker“ - Das dionysische Erleben der Einsamkeit im Fest
Zu großen
Dithyramben auf die Einsamkeit, wie sie der Wahlverwandte Nietzsches in „Die Sonne sinkt“ einige Jahrzehnte nach ihm vorlegen wird, sollte
es bei Lenau nicht mehr kommen. In seinem Spätwerk fällt
trotzdem ein Gedicht auf, welches den Ton und den Geist des dionysischen
Lebensgefühls in sich trägt. Gemeint ist das Gedicht „Der einsame Trinker“.
Einsamkeit
und dionysisches Leben erscheinen in diesem Gedicht nicht als natürliche
Einheit, sondern vielmehr als entgegengesetzte Pole, in antithetischer
Konfrontation. Die Kenner der Antike wissen es: Das Dionysische ist ein Phänomen des Einzelnen – und diese dionysische Existenz setzt Einsamkeit
voraus. Um dieses Charakteristikum zu verdeutlichen, fragt der Dichter
gleich am Anfang:
„Ach, wer möchte einsam trinken,
Ohne Rede, Rundgesang“[54].
Ist der
Alleingelassene, der Einsame, der Ausgestoßene, der sich selbst Ausgrenzende -
wie einführend suggeriert - in einer beklagenswerten Lage? Die hier exponierte
„Einsamkeit“, die - aus konventioneller Sicht betrachtet, als defizitärer
Zustand und somit als „Vereinsamung“ erscheint, wird eine scharfe Korrektur
erfahren, indem der Denker im Lyriker dieser Position eine radikale Antwort
entgegengesetzt - das „Ich“! Wer
zieht sich zurück, um „allein“ zu feiern? Es ist das selbstbewusste, zu letzter
Erkenntnis gekommene Ich, das sich selbst gefunden hat - und zwar im Medium
Einsamkeit. Der auf sich selbst
gestellte Einzelne, der in seiner Souveränität und Autarkie die Masse und
Gesellschaft nicht mehr nötig hat, der sogar dem so genannten „Freund“
misstraut, beruft sich in seiner Apologie
der Einsamkeit auf die ihm wesensgemäße Gottheit, auf Dionysos:
„Dionys im
Vaterarme
Mild den
einzeln Mann empfing,
Der, gekränket
von dem Schwarme,
Nach Eleusis
opfern ging.“ [55]
Dionysos ist
die Gottheit des Einzelnen und die Gottheit des im weiteren Verlauf der
Dichtung akzentuierten Lebens.
„Ich trinke hier allein,
(...) In stiller Nacht den Wein“[56],
heißt es im zweiten
Teil der Dichtung. Das hier eingeführte dionysische Element „Wein“, ein
Lebenselixier der besonderen Art, welches, nach Lenaus Auffassung, das
Individuum nicht etwa berauscht und verwirrt, sondern es auf „sich selbst stellt“[57],
versetzt in dieser Dichtung - wie früher schon in Lenaus „Faust“ – den Einzelnen in seine Eigentlichkeit: Allein feiernd ist er im Selbst – er
feiert sich, seine Freiheit, seine Unabhängigkeit. In Absetzung vom eigenen
Schatten, der, hier ironisch „wesenloser
Zecher“ genannt, als das sichtbar gewordene Selbst gedeutet werden kann,
besinnt sich das feiernde, sich selbst erhöhende Ich auf das „lebendig Leben“. Selbstverständlich
entspricht der hier exponierte Rausch jener - dem ekstatischen Lebensgefühl
adäquaten - göttlichen Trunkenheit. Im Gegensatz zur unkontrollierten Berauschung, die eine Vernichtung des Selbst und das Scheitern zur Folge hat, ist dieses
bewusste Feiern ein Stimulans des Lebens.
Somit wird die Einsamkeit – als dionysische
Einsamkeit – zum Fest.
5.16. „Fremd bin ich eingezogen/Fremd zieh ich wieder aus“ - Der „Unbehauste“, ein „Fremdling ohne Ziel und Vaterland“
Wie eine trübe Wolke
Durch heitre Lüfte geht,
Wann in der Tanne Wipfel
Ein mattes Lüftchen weht
So zieh ich meine Straße
Dahin mit trägem Fuß.
Durch helles, frohes Leben,
Einsam und ohne Gruß.“[58]
(…)
Wilhelm Müller, Die
Winterreise
Das besondere
philosophische Interesse Lenaus an dem Verhältnis Mensch-Welt, das die
Faustdichtung kennzeichnet, ist bereits in der Lyrik der früheren
Schaffensperiode, vor allem in der Einsamkeit-Dichtung, ausgeprägt. Im
Mittelpunkt der zwischen 1831 und 1833 verfassten Originale „Herbstgefühl“, „Winternacht“ und „Herbstentschluß“ steht der einsame,
seiner Umwelt ausgesetzte Wanderer. Das Charakteristische an dieser schon vor
und während der Romantik weit verbreiteten Themenstellung ist die existenzielle Exponiertheit des Individuums,
die bei Lenau in einer neuen philosophischen Dimension
erscheint. Lenaus Wanderer-Konzeption unterscheidet sich radikal von der
Wanderer-Gestaltung eines Erzromantikers, etwa Eichendorffs, in dessen „Reiselied“
geradezu programmatisch verkündet wird:
„So ruhig geh
ich meinen Pfad,
So still ist mir
zumut;
Es dünkt mir
jeder Weg gerad
Und jedes
Wetter gut. (...)
Und komm ich
spät und komm ich früh
Ans Ziel, das
mir gestellt:
Verlieren kann
ich mich doch nie
O Gott, aus
deiner Welt.“[59]
Diese Verse
spiegeln die geordnete, durch nichts zu erschütternde Weltanschauung eines
gläubigen Katholiken. Kosmische Disharmonie ist ihm fremd. Das lyrische Ich
lebt im Gefühl der Geborgenheit positiver Einheit mit Gott und der Natur. Nicht
etwa stoisches Gedankengut verankert es fest in der Welt, sondern der
christliche Glaube und die Gewissheit, dass die göttliche Dreieinigkeit diese
Welt als die beste aller Welten geschaffen hat. Der Einzelne ist Teil der
Schöpfung und kann aus seiner kosmischen Einbettung – und somit aus der
metaphysischen Sinnstruktur[60]
– nicht hinausfallen. Lenaus Wanderer hingegen knüpft an die existenziellen
Vorgaben Wilhelm Müllers an, speziell in der Form, wie er sie aus Franz
Schuberts „Winterreise“
kennt:
„Fremd bin ich
eingezogen
Fremd zieh ich
wieder aus.“[61]
Der Unbehauste, der „Flüchtling“ Goethes in „Faust“,
der „Fremdling ohne Ziel und Vaterland“, aus Lenaus „Faust“ und der zur Einsamkeit
Verfluchte Nietzsches, der, trotz aller menschlichen und dämonischen
Gesellschaft um ihn herum in alle Ewigkeit hinein ein Einsamer bleiben wird, scheinen
in den zwei knappen Versen auf, gebündelt in einer melancholischen Figur. Diese
auch von Lord Byron vorgezeichneten Aspekte sind richtungweisend
für den schwermütig gestimmten, lange Jahre zum Pessimismus neigenden
Spätromantiker Lenau. Er wird aus dem gelegentlich
auftauchenden Klischee poetischer Vorläufer einen genuinen Typus formen, einen
modernen, endgültig desillusionierten Einsamen, der von Gedicht zu Gedicht
immer schärfere Konturen bekommt.
5.17. „Nun ist’s aus, wir müssen wandern!“ - In-der-Welt-Sein ist Einsamkeit
Das auch
metaphysisch vereinsamte, von Gott und der Natur abgefallene Individuum, rückt
in den Mittelpunkt des Geschehens. In erstaunlicher Nähe zur späteren
Existenzphilosophie in ihrer deutschen und französischen Ausprägung erscheint
ihm die Welt als gottlose, sinnentleerte Welt, in ihrer ganzen Unheimlichkeit
und Ungeborgenheit. Konkrete Natur
verkörpert im Frühwerk Lenaus,
stellvertretend für das Bild der Welt, oft feindselige Natur. Sie versagt dem
Einzelnen nicht nur den Trost, sie zielt sogar auf Vernichtung:
„Mürrisch
braust der Eichenwald,
Aller Himmel
ist umzogen,
Und dem
Wandrer, rau und kalt,
Kommt der
Herbstwind nachgeflogen.“[62]
Dieses
feindselige Umfeld, welches Lenau in den folgenden Natur-Dichtungen noch drastischer potenzieren wird, stellt sich in
der letzten Strophe des Herbstliedes dem Wanderer entgegen und provoziert die
Resignation. Die letzte Konsequenz ist jedoch nur angedeutet, direkt
eingefordert wird sie nicht. Auch das ist ein Aspekt, der Lenau von dem einen
radikalen Pessimismus verkündenden und fordernden Schopenhauer unterscheidet. Der später essentiell in den
Worten „Lieblos und ohne Gott“
zusammengefasste Schmerz des In-der-Welt-Seins
wird bei Lenau zwar bis in die Phase der Verzweiflung hinein verfolgt; In
seiner Lyrik aber setzt Lenau, im Gegensatz zur Faustdichtung, nicht auf die Flucht
des Individuums aus dem Leben in den Freitod, sondern auf die Überwindung der
Verzweiflungssituation: Die Geworfenheit
des Menschen in das Da muss erkannt, ertragen und bewältigt werden. Diese
Position, die der existenziellen Haltung des „Görg“ in Lenaus „Faust“
entspricht, wird vom Dichter bereits Jahre vor dem Faustprojekt vertreten,
speziell in dem hier näher zu analysierenden Gedicht:
„Herbstentschluß
Trübe Wolken,
Herbstesluft,
Einsam wandl’ ich meine Straßen,
Welkes Laub,
kein Vogel ruft –
Ach, wie
stille! Wie verlassen!
Todeskühl der
Winter naht;
Wo sind,
Wälder, eure Wonnen?
Fluren, eurer
vollen Saat
Goldne Wellen
sind verronnen!
Es ist worden
kühl und spät,
Nebel auf der
Wiese weidet,
Durch die öden
Haine weht
Heimweh; -
alles flieht und scheidet.
Herz,
vernimmst du diesen Klang
Von den
felsentstürzten Bächen?
Zeit gewesen
wär es lang,
Daß wir
ernsthaft uns besprächen!
Herz, du hast
dir selber oft
Wehgetan und
hast es andern,
Weil du hast
geliebt, gehofft;
Nun ist’s aus, wir müssen wandern!
Auf die Reise
will ich fest
Ein dich
schließen und verwahren,
Draußen mag
ein linder West
Oder Sturm
vorüberfahren;
Daß wir unseren
letzten Gang
Schweigsam wandeln und alleine,
Daß auf unsern
Grabeshang
Niemand als
der Regen weine!“[63]
Es wurde
bereits angedeutet, dass Lenau in seiner Lyrik mit strukturbildenden Motiven operiert. So sind beispielsweise all
jene Dichtungen, in welchen das Wanderer-Motiv
zur Gestaltung kommt, als eine offene Makrostruktur
zu sehen, während jedes Einzelgedicht, das individuelle Züge aufweist, als Strukturelement aufzufassen ist. Das
Hauptinteresse Lenaus konzentriert sich dabei primär auf eine möglichst weite
Auslotung der Gesamtstruktur, aus der
das problematisierte Phänomen ersichtlich wird. Eine - in werkimmanenter
Interpretation sich aufdrängende - Verabsolutierung des Einzelgedichts als
souveränes, einzigartiges Ganzes ist gefährlich, da das erörterte Phänomen,
welches eigentlich nur eine Teilstruktur repräsentiert, auf diese Weise
gravierend verzerrt werden kann. Die Folge davon wäre eine grundsätzliche
Verkennung der Gesamtintention des Dichters bei der poetisch-philosophischen
Gestaltung von Alleinexistenz,
Einsamkeit, Vereinsamung und existenziellem Nihilismus.
Die Lieder „Herbstgefühl“ und „Herbstentschluß“, in deren Mittelpunkt die existenzielle
Einsamkeit steht, mögen dies verdeutlichen. In beiden Dichtungen erscheint der
einsame Wanderer in einer existenziell exponierten Situation. Doch die Gestimmtheit ist unterschiedlich, ja
gegensätzlich:
„An den Bäumen,
welk und matt,
Schwebt des
Laubes letzte Neige,
Niedertaumelt
Blatt auf Blatt
Und verhüllt
die Waldessteige; /
Immer dichter
fällt es, will
Mir den
Reisepfad verderben
Daß ich lieber halte still,
Gleich am Orte hier zu sterben.“[64]
Soweit die
Ausführungen in „Herbstgefühl“. Das
Erleben der Vergänglichkeit und der dadurch vermittelte absurde Lebenslauf
stimulieren das Gefühl der Verzweiflung am Leben. Die feindselige, ja
bedrohlich wirkende Natur konfrontiert das einsame Ich mit der Endlichkeit des
menschlichen Daseins und motiviert ihn zur Lebensverneinung und Resignation.
Statt sinnlos weiter zu leben, empfiehlt sich der frühe Tod. Das Gedicht endet
in der - von Schopenhauer promulgierten, dafür aber von Nietzsche in „Also
sprach Zarathustra“ umso schärfer zurückgewiesenen - pessimistischen
Perspektive.[65]
In „Herbstentschluß“ hingegen herrscht eine
vollkommen entgegengesetzte Gestimmtheit: An die Stelle des elegischen
Klagetons tritt eine nüchtern konstatierende
Diktion. Das lyrische Ich beklagt die Vorgänge in der Natur nicht mehr, es stellt sie lediglich fest.
Dementsprechend erscheint das In-der-Welt-Sein nicht als determiniertes Ausgeliefertsein, sondern der souveräne Einsame ist sich seiner
Freiheit, seiner Möglichkeit zum existenziellen Neuentwurf, voll bewusst. Die
Natur, das führt Lenau in „Faust“ mehrfach aus, ist ein Neutrum, eine
Größe, die an sich weder gut noch
schlecht ist:
„ob die Natur
Dir freundlich
scheint und wohlgewogen,
Ob feindlich
grollend, beides nur
Hast du in sie
hineingelogen“[66].
So belehrt
der schlaue und zugleich weise Lebensphilosoph „Mephistopheles“ den zweifelnden Faust.
Das Ich des
zweiten Herbstliedes teilt diese Erkenntnis. Der scheinbar negative
Natureindruck, die Bilder der Vergänglichkeit, der Öde, der melancholischen
Landschaft, dann der den Tod suggerierende Winter, die – metaphysisch
ausgeweitete – Flucht des Lebens in die Geborgenheit, dies alles führt nicht in
Resignation und Verzweiflung. Die einsetzende Reflexion, die in Nietzsches „Vereinsamt“ und im Doppelsonett „Einsamkeit“ ein existenziell
verbittertes, negatives Weltbild entwickelt, kann hier die kontemplative
Gestimmtheit nicht destruieren. Wie die Natur, die in ihrer konkreten
Erscheinung akzeptiert wird, wird auch das Leben – als Teil der Natur – als
solches, mit allen seinen Höhen und Tiefen, angenommen. Die gesamte
Vergangenheit wird prägnant verdichtet:
„Herz, du hast
dir selber oft
Wehgetan und
hast es andern,
Weil du hast
geliebt, gehofft“.
Das Leben,
das Lust und Leiden zugleich ist, wurde im Rahmen der menschlichen
Möglichkeiten ausgeschöpft. Ein Punkt der Situation, des Lebens selbst, ist
erreicht: „Nun ist’s aus“, lautet das
momentane Fazit.
Doch noch in
derselben Verszeile folgt, unmittelbar auf die durch das Komma markierte Zäsur,
der den Nullpunkt überwindende existenzielle Neuentwurf, das in die Zukunft
verlagerte: „wir müssen wandern“.
Das Wandern,
das Ausharren in der Existenz, ganz egal wie sie geartet ist, das konsequente Weiterleben,
wird zum Programm. Wie von Karl Jaspers betont, tritt das Individuum aus einer
Situation heraus und in eine neue Situation ein. Das (Weiter-)Leben, das hier
zur moralischen Pflicht erhoben wird, ist ein Sein in der Einsamkeit.
Lenau hat das treffend angedeutet. Das lyrische Ich,
die verkörperte monologische Existenz,
nur noch mit dem eigenen Herzen, also mit der Seele und dem Selbst im Gespräch,
kommt aus der Einsamkeit und geht in die Einsamkeit zurück. Der „einsam“ seine „Straßen“ ziehende Wanderer zeigt die Entschlossenheit, den Rest
der Wegstrecke, den „letzten Gang“ ohne
Klage, „schweigsam“ und ohne Mithilfe und Mitleid anderer, „alleine“ gehen zu wollen. Mit der
essentiellen Aussage, dass das auf das Selbst
gestellte Sein in der Einsamkeit dem uneigentlichen Leben in der Gemeinschaft
vorzuziehen sei, bekennt sich somit auch Lenau zu einer existenziellen Erkenntnis, die für
die gesamte Einsamkeit-Tradition, von Seneca bis Nietzsche, bestimmend ist.
5.18. Lenaus melancholische Faust-Konzeption - „metaphysische Vereinsamung“.
5.18.1. Der „Unverstandene“, das ist der „Einsame“.
Der Gedanke,
Faust als „Einsamen“ und „Unverstandenen“ zu gestalten, ist
einerseits schon im Mythos vorgegeben. Bereits in der „Historia“ verkörpert Faust als genialer Renaissancemensch das große Individuum, den Wissenschaftler
vom Format eines Leonardo da Vinci, der in vielen Bereichen gegen seine
Zeit agiert, ja bewusst zu ihr in Opposition tritt, der Leichen seziert, sich
gegen das ritualisierte, dekadent gewordene Christentum auflehnt und schließlich,
um zu seinen Zwecken zu gelangen, sogar mit finstereren Mächten, mit dem Teufel
paktiert. Andererseits akzentuiert bereits Goethe, Lenaus großes Vorbild, fast
zweihundert Jahre nach Christopher Marlowes genialer Faust-Dichtung, dieses
Charakteristikum, wenn er seinen Hauptprotagonisten klagend ausrufen lässt:
„Bin ich der Flüchtling nicht? Der Unbehauste?“[67]
Indem Lenau, dem eigenen Wesen gemäß seine - zu
höherer Erkenntnis strebende - Faustgestalt als sensiblen Schwermütigen, als
Melancholiker konzipiert, knüpft er – wie andere, ungerecht als „Goethe-Hasser“ abgestempelte Lord Byron- Verehrer[68]
auch – an dessen Manfred-Dichtung an.
Bild 11.
Faust-Denkmal in seiner
Geburtsstadt Knittlingen, Detail.
In
permanenter kritischer Auseinandersetzung und Abgrenzung folgt Lenau aber auch
den konzeptionellen Vorgaben, die Goethe in seinen drei Faustdichtungen
paradigmatisch umgesetzt hat.
Die zum
Scheitern prädestinierte, von ihrem Schöpfer negativ stilisierte Gestalt wird
konsequent dem Vereinsamungsprozess ausgesetzt, um nach langem Erkenntnisweg
doch in der Verzweiflung zu enden.
Was macht das Scheitern des Menschen in der Welt aus?
Ist der gute Mensch in seinem dunklen Drange sich des rechten Weges wohl
bewusst? Und kann, wer redlich strebend sich bemüht, Erlösung finden, obwohl er
sich auf seinem Weg der Erkenntnis mit Schuld befrachtet?
5.18.2. Endlichkeit und Ewigkeit
Lenau wird Goethe antworten – höchst individuell und originell
zugleich.
In der ersten
Szene, im „Morgengang“ erscheint
Faust noch als selbstbewusster Geist, der, letzte Erkenntnisse suchend, kühn „zum Gipfel strebt.“
Doch bald
stößt er an seine natürliche Grenze. Faust, in seiner Konfrontation mit dem
Nichts und dem potenziellen Tod am Abgrund schon beim nächsten Schritt, wird
durch das konkrete Erleben der Grenze in der Grenzsituation[69],
die das endgültige Scheitern antizipiert, in die ihm unerträgliche Endlichkeit
menschlichen Seins zurückgeworfen.
Die Erfahrung
der Endlichkeit, der inneren wie der äußeren, unterscheidet die
Existenzphilosophie ganz wesentlich von den romantisch-idealistischen
Philosophien und von der Lebensphilosophie. Der Schmerz der Endlichkeit, den
der Einzelne erlebt, wird in einem übergeordneten Rahmen aufgehoben. Die „Existenzphilosophie kennt die Endlichkeit
als die schmerzlichste Erfahrung von der Wesensgrenze allen menschlichen
Wollens und Könnens.“[70]
Lenau, der dieselbe, selbst gemachte Erfahrung in mehreren Dichtungen in direkter
Absetzung zur harmonischen Einsamkeit-Dichtung Eichendorffs problematisiert,
akzentuiert diesen existenzphilosophischen Aspekt in kaum gekannter Prägnanz in
der Faustdichtung. Sein Faust droht an der inneren
Endlichkeitserfahrung zu verzweifeln:
„Mein innerst Wesen ist darauf gestellt,
In meiner ewigen Wurzel mich zu fassen;
Doch ist’s versagt und Sehnsucht wird zum Hassen,
Daß mich die Endlichkeit gefangen hält.“[71]
Faust kann
die das menschliche In-der-Welt-Sein näher bestimmende Endlichkeit, die Geworfenheit des Seienden in das Da-Sein
nicht ertragen.
5. 18. 3. Die Geworfenheit des existenziellen Realisten „Görg“
Aus diesem
Grund führt Lenau in der vorletzten Szene der Dichtung eine
Kontrast-Gestalt ein, den weltanschaulichen Antipoden und de facto
Existentialisten „Görg“.
Für diesen
naturnah und antimetaphysisch ausgerichteten Charakter stellt die Geworfenheit des menschlichen Daseins,
nämlich die auch bei Sartre hervorgehobene Tatsache, dass der „Mensch
sich diesen Ort nicht hat aussuchen können, wie es seinen Wünschen und Neigungen entspricht, sondern dass er ihn einfach vorfindet und dadurch
vom ersten Anfang an beengt und belastet
wird“[72],
überhaupt kein Problem dar.
Wie aus
seinen schlichten, doch markant präzisen Ausführungen über das „Leben“ hervorgeht, identifiziert sich
dieser Naturbursche mit der Situation,
in die ihn - ungefragt - andere
versetzen. Jean-Paul Sartre und auch Martin Heidegger können ihre späteren Ausführungen zur
„Geworfenheit“ in das Da-Sein hier, in Lenaus oft verkannter Faust-Dichtung
sinngemäß und fast wortgetreu vorfinden:
„Sie haben mich stockfinstrer Nacht
In diese Welt hereingebracht,
Ich weiß kein
Wort, auf welchen Wegen,
Ist just auch
nichts daran gelegen.
Nun bin ich da, hab meinen Platz
Der ist gut
genug, ist grade recht.“[73]
Was Faust zum
Verzweifeln bringt, stellt für den rauen Burschen Görg kein Problem dar. Sein
Wesen ist nicht auf Ewigkeit ausgerichtet, ihn hält auch keine Endlichkeit
gefangen – und tiefere Erkenntnisse interessieren ihn einfach nicht. Also lebt
er nicht diskrepant in der Welt, sondern versöhnt mit dem Zustand, der so ist,
wie er eben ist.
Dieser, dem dekadenten Grübler Faust geradezu
entgegengesetzte Charakter, ein an sich einfacher, gesunder Naturbursche aus
dem Volk, der sich noch Fausts und
Mephistos Wertschätzung erfreuen wird, lehnt
alles Nichtkonkrete, Ungreifbare, ihm nicht Zugängliche grundsätzlich ab.
Abstrakte Begriffe, metaphysische Gaukeleien und Spekulationen – und damit Gott und die Natur im
Verständnis des deutschen Idealismus, etwa Schellings – sagen ihm nichts und bedeuten ihm auch nichts.
Fiktion ist und bleibt Fiktion – eine Chimäre, die den Suchenden zum Zweifler
macht, ihn existenziell zurückwirft und ihn letztendlich, wie einen Heinrich
von Kleist, in die Verzweiflung treibt und dann,
gleich Lenaus Faust, in den - den Melancholiker erlösenden - Freitod.
Soweit wird
es bei „Görg“ nicht kommen. Sein Lebensbegriff
umfasst nur das von existenziellen
Gewissheiten bestimmte Dasein, das Leben selbst, so wie er es kennt - im Alltag
als Seefahrer auf hoher See, in permanenter Gefahr und Grenzsituation zwischen
Sein und Nichtsein oder wie er es in der Spelunke im Hafen inmitten derber
Matrosen und Messerstecher erlebt.
5. 18. 4. Das Unbewusste als Antrieb - Die tragisch konzipierte Faust-Figur in Disharmonie mit dem Selbst und in der Uneigentlichkeit
Die im
„Morgengang“ exponierte Einsamkeit entspricht durchaus noch traditionellen
Vorstellungen. Die „äußere Einsamkeit“
und die „innere Einsamkeit“ des
Individuums fallen in einer Situation zusammen, die das Streben zum Gipfel hin
ermöglicht. Nur ist das selbstbewusste und manchmal auch selbstherrliche Renaissance-Individuum
Faust kein genügsamer Stoiker, der sich – am Maß und am Weg der goldenen Mitte
orientiert - der Begrenztheit der Natur und den Grenzen des Menschseins
unterwirft; In seinem Drang und Streben gegen die Werte und Gesetzmäßigkeiten
seiner Zeit, will er über alle Begrenzungen hinaus, um im Metaphysischen sein
Selbst zu erfahren. Der - nur ihm wesensgemäße Drang – strebend zu letzter
Erkenntnis zu gelangen, indem alte Tugenden wie Werte zerstört und dafür neue
Werte geschaffen werden, treibt ihn dazu. Was dem Großen Individuum als
natürlicher Akt erscheint, interpretiert die christlich konventionell
ausgerichtete Gesellschaft als Sünde und
Schuld. An dieser Stelle setzt die tragische
Verstrickung ein: Obwohl der zu letzter Erkenntnis strebende Faust
aufrichtig bemüht ist, nur er selbst zu
sein, droht ihm – eben über dieses konsequente, von anderen als Hybris-Akt gewerteten Auswärts- und
Weiterstreben letztendlich der Verlust des Selbst. Indem er seine, von höherer Warte aus, von Gott oder der Natur
vorgegebene Bahn beschreitet, zerstört Faust sich selbst. Das macht ihn zur
tragischen Figur.
Er muss
agieren, weil er nicht anders kann. In dem Ausruf:
„Ich will mich immer als mich selber fühlen“[74],
ist das hehre
Ziel markiert. Er wird es verfolgen, einerseits rational motiviert, teils aber
auch triebbestimmt, vom Unbewussten angetrieben, als Medium eines blinden Weltwillens,
der, nach Schopenhauers Auffassung, in einem undurchschaubaren Endzweck seine
Erfüllung findet.
Faust, der
Unbehauste, der Fremdling ohne Ziel und Vaterland, ein einsamer Unverstandener,
eine tragische Figur, die frei zu agieren glaubt und doch unfrei ist - als
Getriebener?
Wer bin ich eigentlich, fragt sich der Held! Noch aber
verkörpert Faust den in Disharmonie mit
dem Selbst, den in der Uneigentlichkeit lebenden Menschen. Dementsprechend
negativ ist auch seine „Selbst“-Charakterisierung:
„In meinem
Innern ist ein Heer von Kräften,
Unheimlich
eigenmächtig, rastlos heiß,
Entbrannt zu
tief geheimnisvoll’n Geschäften,
Von welchen
all mein Geist nichts will und weiß.
So bin ich aus mir selbst hinausgesperrt“[75].
Die hier
vorgestellte Ich-Problematik ist für die gesamte Faust-Konzeption von zentraler
Bedeutung. Das faustische Ich, das hier im Sinne Fichtes gesetzt wird, ist
eigentlich das Nicht-Ich. Dieses konkrete, empirische, historische Ich, das Ich der täglichen Erfahrung, das Kierkegaard in Absetzung von Fichte als
eigenes Ich gelten lässt, weist Faust zurück, denn ein Ich, das von unbekannten Kräften gesteuert
wird, das determiniert ist und damit keine Freiheit und kein Selbstsein
ermöglicht, ist tatsächlich eine Ich-Negation,
ein Nicht-Ich. Nach stoischer Auffassung setzt das Selbstsein das Ich
voraus, das Ich setzt Freiheit voraus. Da Faust aber einen undurchschaubaren
Determinismus spinozistischer Prägung statt Freiheit annimmt, müsste er das
stoische Modell und damit die Realität eines konkreten Ichs und die Möglichkeit
des Selbstseins leugnen. Doch Faust, der sich als Nicht-Ich setzt, ist sich
seines Seins in der Uneigentlichkeit voll bewusst. Das Selbst-Sein, das - noch – nicht ist, an dessen Positivität er aber
glaubt („Ich will mich immer als mich selber fühlen“) wird als Ziel angestrebt.
Der Weg dahin besteht in dem selbstbefreienden Erkenntnisprozess, der letzte
Wahrheiten ergründen und den lähmenden Determinismus durchbrechen soll. Faust aber scheitert, das ist die tragische
Komponente der Dichtung, auf dem Weg. Er verbleibt im Dissens, im Dilemma.
Dem tragischen Helden wird es nicht gelingen, die Nicht-Ich-Existenz zu
überwinden und zum eigentlichen Selbst zu gelangen. Wie viele Menschen auf
ihrem Lebensweg scheitert er vor dem Erreichen des erstrebten Endziels. Deshalb
versucht Lenaus spekulativer Metaphysikus Faust in der Schluss-Szene, mit
rhetorischer Akrobatik das Nicht-Ich in einem absoluten Ich aufzuheben, indem
er postuliert:
„Faust ist nicht mein wahres Ich!“[76]
Das Ich jenes
„Faust, der sich mit Forschen trieb“,
also das konkrete, empirische Ich, so die unmittelbar nachgereichte Begründung
seines Schöpfers Lenau, ist nur unwesenhafter „Schein“, reine Fiktion, kurz Täuschung
als Selbsttäuschung:
„Zu schwarz und bang,
als das ich wesenhaft
Bin ich ein Traum,
entflatternd deiner Haft“[77].
Das Ich der
realen Erscheinung und Existenz nur ein Traum? Dagegen ist das „wahre Ich“ identisch mit Gott:
„Ich bin mit
Gott festinniglich
Verbunden und
seit immerdar,
Mit ihm
derselbe ganz und gar.“[78]
Faust
interpretiert und fabuliert sich in ein mystisches
Aufgehen oder in ein pantheistisches
Verschmelzen mit der Gottheit hinein. Das ist spekulative Metaphysik, die
das philosophierende Individuum in die Lage versetzt, die Freiheit zu
missbrauchen, um sich selbst im gerade errichteten Wolkenkuckucksheim ein
bequemes, das schlechte Gewissen beruhigendes Plätzchen einzurichten, das ist Selbsttäuschung an den Realitäten der
Welt vorbei in poetischer Form.
5.18.5. Gott ist tot - existenzielle Exponiertheit des metaphysisch Vereinsamten vor Nietzsche und Rilke
„Meine
Sachen waren Kinder der Einsamkeit.“[79]
Goethe
Im Verlauf
der tragisch ausgerichteten Faustdichtung Lenaus wird sein Protagonist und
Anti-Held, der am eigenen Wesen scheitern wird, immer deutlicher zum Träger
dessen, was man später das „Lebensgefühl
der Existenzphilosophie“[80]
genannt hat. „Das frühere, vor allem
idealistische und romantische Vertrautheits- und Geborgenheitsgefühl des
Menschen in seiner Welt zerbricht und die Welt erscheint dem Menschen in einer
früher nicht gekannten Unheimlichkeit und Fremdheit, in einer Bedrohlichkeit
und Gefährlichkeit, die auf den Menschen einstürmt und der es standzuhalten
gilt.“ [81] An
die Stelle des Glaubens an die große natürliche Ordnung der Welt, an die Stelle
der Vernunft in der Wirklichkeit und der Geschichte, treten Leere, Zweifel und Verzweiflung. Dem
zunehmend einsamer werdenden, von Gott –
und der Natur – abfallenden Faust bietet sich, repräsentativ für das nachkopernikanische, metaphysisch vereinsamte
Individuum, eine unheimliche und bedrohliche Welt des Schreckens. Das „Leben“ in einer Zeit, in der Gott tot
ist und jeder metaphysische Halt schwindet, wird zum:
„Gang durch Wüsten in der Nacht,
Wo niemand,
Antwort uns zu geben,
Als eine Horde Bestien wacht.
Die feindlichen Naturgewalten
Umdrohn den Wandrer ohne Bahn,
Aus tausend dunklen Hinterhalten
Lieblos und rastlos springend an.“[82]
Nicht erst
der aufmerksame Leser Lenaus, Rilke, ist, wie oft aus Unkenntnis der
Lenau-Materie angenommen wird, derjenige
Dichter, der die existenzielle
Exponiertheit des metaphysisch Vereinsamten in einer unwirtlichen, ungeborgenen
Welt geistig-literarisch vermittelt und damit existenzphilosophisches Denken vorbereitet: Es ist - der im Philosophischen massiv verkannte - Lenau selbst, der
diese Anstrengung unternimmt und dem deshalb Verdienst und späte Anerkennung
zustehen.
Das geschieht
umso deutlicher, weil Lenau in seiner Faustdichtung dieses Lebensgefühl
von anderen Daseinsmodalitäten, von der naiv-christlichen Geborgenheit
(Schmied/Nächtlicher Zug) und vom existenziell-atheistischen Realismus (Görg)
absetzt. Mit der Unterzeichnung des Paktes, den Faust, nach langen Diskussionen
mit Mephisto über Gott und Natur, unterzeichnet, beginnt der eigentliche metaphysische Vereinsamungsprozess.
Faust, aus
dem Christentum kommend, löst sich endgültig vom Gott seiner Kindheit, von
Christus am Kreuz. Die später sowohl in seinem „Savonarola“ und noch weitaus
radikal-dramatischer in den freien Albigenser-
Dichtungen vollzogene Distanzierung
vom Christentum setzt bereits hier ein. Die
metaphysische Bindung zur höheren Instanz bricht ab – ein metaphysischer Trost
ist nicht mehr möglich. Also kann Mephistopheles,
der Zersetzer aller spekulativen Chimären und eigentliche Befreier des Denkens,
bald luzid seinen Plan offen legen, in dem er verkündet:
„Von Christus ist er los; noch hab ich nur
Zu lösen meinen Faust von der Natur.“[83]
Die Natur,
darin geht Lenau über Goethe hinaus, repräsentiert den anderen, Gott
ebenbürtigen, Rückhalt des Individuums. Deshalb muss auch dieses noch intakte
Verhältnis, der „grade Stand“ „zwischen
Faust und der Natur“[84]
destruiert werden, um zur Freiheit und somit zum wesenhaften Selbst zu
gelangen. Mephistos Vision ist vorgezeichnet:
„Ist mir der Bruch gelungen zwischen beiden,
Von jeder Friedensmacht ihn abzuschneiden,
Dann setzt er sich mit seinem Ich allein“[85].
Statt der
Selbstheit, die jeder der positiven Einsamkeit zugeneigte Geist erlangen kann,
droht Faust die hypertrophe Selbstsucht.
Nach Mephistos Wunsch soll er, einem Skorpion gleich, in Verzweiflung „sein eignes Ich erstechen“[86].
In mehreren
Szenen, die hier allein schon aus räumlichen Gründen nicht ausführlich erörtert
werden können[87],
wird der metaphysische Vereinsamungsprozess weiterentwickelt. Faust verstrickt sich, wenn auch
zunächst unbewusst und durch Zufall, weiter in
die Schuld. Die Diskrepanz zwischen ihm und der Natur wird immer krasser.
Faust, nun auch „von der Natur geächtet und allein“[88]
vereinsamt bald vollkommen.
Der Zustand
der Vereinsamung, in verschiedenen
Szenen, besonders aber in der Episode „Der
nächtliche Zug“ deutlich heraus gearbeitet, wird als totale Verzweiflungssituation erlebt. Ein Ausweg aus dem
Leidensprozess ist ausgeschlossen. Lediglich in einer Szene unternimmt der
Dichter den - höchst interessanten - Versuch, die Vereinsamung durch das positive Erleben der natürlichen Einsamkeit aufzuheben. Eine Situation, wie sie der
romantische Maler Caspar David Friedrich in seinem Gemälde einsamer „Mönch am Meer“ einfangen wird, konstruiert schon der Romantiker
Lenau: Faust, den an einen „einsamen Meeresstrand“ versetzten
Melancholiker und Grübler, überkommt eine tiefe Sehnsucht nach dem Ursprung,
nach den Urtiefen des Seins:
„Ich will nun
fort, hinaus ins Meer,
Das ist so einsam, wild und leer,
Das blüht
nicht auf, das welkt nicht ab,
Ein
ungeschmücktes, ewiges Grab.“[89]
Er fühlt das
Bedürfnis, in einem Akt mystischer Vereinigung
in der Einsamkeit aufzugehen.
Bild 12
Endlichkeit - Ewigkeit
Faust will der
Endlichkeit des Seins entfliehen, um in der Unendlichkeit, in der Ewigkeit
aufzugehen, also um sich auf diese Weise teils rational, teil intuitiv
unbewusst selbst befreien. An dieser Stelle erstrebter
Transzendenz aber interveniert der Teufel: Da Mephistopheles, der Deus ex Machina, der den Negativ-Helden
und metaphysischen Schwächling bereits früher vor dem Scheitern am Abgrund
bewahrte, Fausts Selbstrettungsversuch in das Ewige, also den unmittelbaren Sprung zu Gott, wie ihn
Kierkegaard versteht, durchaus für realisierbar hält,
unternimmt er alles, um diese Flucht, die eine endgültige Rettung Fausts aus
den Beschränkungen und Begrenzungen des Daseins bedeuten würde, zu vereiteln.
Immer wieder
in das Leid zurückgeworfen. erreicht die metaphysische Vereinsamung des Helden
schließlich in der letzten Szene der tragischen Dichtung ihren absoluten
Höhepunkt: „Fausts Tod“ steht bevor – in einsamster Kulisse, nicht wie Walter
von der Vogelweide melancholisch auf einem Stein, dafür aber auf einem Fels in der Brandung sitzend,
verzehrt sich Faust im Klagen und Anklagen gleich dem ähnlich vereinsamten Ovid am Pontus:
„Auf diesem
Fels, in Sturmesmitten,
Werd ich’s
entsetzlich nun gewahr,
Wie ich der
Lieb und Heimat bar,
So ganz allein und abgeschnitten.
Die Welle, die
der Sturm bewegt,
Die schäumend
an die Klippe schlägt,
Der Wind, der
heulend Wälder splittert,
Der Blitz, der
durch den Himmel zittert, -
Mehr Heimat haben sie und Ruh,
Mein einsam Herz, als du!“[90]
Faust
unternimmt in dieser absoluten Vereinsamungssituation den bereits
angesprochenen Rettungsversuch:
„Doch – ist
das alles nicht ein trüber Schein?
Und dass ich
abgeschnitten und allein?
So ists!“[91]
Faust
versucht – in starker Affinität zu Schopenhauers Metaphysik – die Welt
umzudeuten. Alles dem Individuationsprinzip Unterworfene, das faustische Ich,
die moralischen Kategorien, der Pakt, der Teufel selbst, das alles ist nur „Schein“!
Über allem in
der Welt Seienden liegt der Schleier der Maya. Dagegen ist alles Wesenhafte und
damit auch das absolute Ich im Gegensatz zum faustischen Nicht-Ich identisch
mit Gott. Lenau selbst destruiert diese sublime Lösung seines
spekulativen Idealisten, indem er den realistischen Hinweis („Er ersticht sich“) hinzufügt. Erst
dann erscheint Mephistopheles. Ihm, dem verkörperten antispekulativen Prinzip,
dem Repräsentanten des Existenziell-Reellen, bleibt es vorbehalten, in einem
Schlusswort Fausts Schein-Flucht ins
Absolute als nihilistischen Akt zu entlarven:
„Nicht Du und
Ich und unsere Verkettung,
Nur deine Flucht ist Traum und deine
Rettung!“[92]
Faust ist
gescheitert. Faust ist am Leben gescheitert. Faust ist am eigenen Sein
gescheitert, tragisch gescheitert in Vereinsamung. Doch das ist nur die
konventionelle Sicht der Gesellschaft. Von eigener Warte aus betrachtet hat
Faust, der nicht länger in innerer Diskrepanz, in Zerrissenheit, Ungewissheit
und Dauerfrustration leidend weiter existieren will, von seiner Freiheit
Gebrauch gemacht, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Lenaus Faust beendet
das unbefriedigende Sein im irdischen Jammertal, indem er aktiv handelnd das
Leben beendet.
Das, was die
konditionierten, alten Wertvorstellungen nachhängende Welt als nihilistischen
Akt werten wird, ist für Faust nichts weiter als die konkrete Umsetzung absoluter Freiheit. Der
Perspektivist Nietzsche, ein Querdenker, der Lenaus Werke
recht genau gelesen[93]
hat, wird diesem Gestus in dem „Also
sprach Zarathustra“-Kapitel „Vom
freien Tode[94]“
beipflichten, ohne das Werk zu nennen, indem er betont: „Stirb zur rechten
Zeit“, um dann noch deutlicher zu werden: „Meinen Tod lobe ich euch, den freien
Tod, der mir kommt, weil ich will.“
5.19. Im dunklen Auge[95] – ein „sehr ernster, melancholischer Knabe“, „hochgradig zur Melancholie disponiert“ und hinab gestoßen in die „Hohlwege der Melancholie“: „Mein Kern ist schwarz, er ist Verzweiflung.“ – Melancholie-Symptomatik und Definitionen der Krankheit bei Lenau
„An den Tod
Wenn’s mir einst im
Herzen modert,
Wenn der Dichtkunst
kühne Flammen,
Und der Liebe Brand
verlodert,
Tod, dann brich den
Leib zusammen!
Brich ihn schnell,
nicht langsam wühle;
Deinen Sänger laß
entschweben,
Düngen nicht das
Feld dem Leben
Lenau
Jene
Krankheit, die in der Antike und Renaissance als Melancholie, in der Romantik
als Schwermut und in neuster Zeit als Depression bezeichnet wird, ist ein
irrationales Phänomen, das sich weitgehend der bewussten Durchdringung, der
Erhellung und somit der genauen Definition entzieht.
Das Erlebnis
der Melancholie ist mit normalpsychologischen Kategorien nicht streng
erfassbar. Gestützt auf die unverzichtbaren Zeugnisse des Melancholie-Kranken,
etwa Lenaus, der, anders als andere, zum Schweigen und Leiden verdammte
Melancholiker, seine Erlebnisse sprachlich dokumentieren kann, ist diese
Situation bestenfalls zu umschreiben. Dabei lassen sich einige Grundsymptome
des der Melancholie ausgesetzten Kranken, also des Depressiven, festhalten.
Während Gefühle wie Freude oder Trauer intentional, also objektbezogen, sind, kennt die Melancholie keinen auslösenden
Grund. Lenau, dessen jahrelang sich hinziehender
Verbalisierungsprozess dokumentiert ist, akzentuiert gerade dieses Detail: „Von früher Jugend an konnte ich höchst
unglücklich sein ohne alle Ursache.“[97]
Der Kranke, ein Opfer der Melancholie, wird in diese Lage versetzt, in der er
ohnmächtig verharren muss, ohne sich wehren, ohne aktiv dagegen ankämpfen zu
können.
Wie die
existenzphilosophisch definierte Angst im Gegensatz zur gerichteten Furcht erscheint auch die Melancholie aus dem
Nichts und verfliegt in das Nichts. Ihre Präsenz, die Konfrontation mit dem
Nichts, ist ein Seinszustand im Leiden.
Ungeachtet des gestörten Bewusstseins, das den Melancholiker kennzeichnet, wird
dieser Zustand als maßloser Schmerz
empfunden. Der medizinisch vorgebildete und im strengen Denken geschulte
Dichter Lenau umschreibt diese höchst unangenehme,
niederziehende, alles lähmende Erfahrung, mit den Worten: „Mir wird oft so schwer, als ob ich einen Toten in mir herumtrüge.“[98]
An anderer
Stelle bringt der Poet und Mediziner das Wesen des Phänomens noch eindeutiger
auf den Punkt, wenn er resigniert feststellt: „Mein Kern ist schwarz, er ist Verzweiflung.“[99]
Der aus den Untiefen einer unbekannten Hölle aufsteigende Geist der Schwere und das
Nichts, dem der „Schwermütige“,
der an Melancholie Erkrankte hilflos ausgesetzt ist, stellen also keine kühne
Erfindungen der Dichter dar, sondern sie sind existenzielle Realitäten, die von
gewissen Menschen in ihrer vollen Brisanz erlebt werden. Die so genannte „Depersonalisation“ – ein Terminus neuster Zeit – verweist auf einen besonders schweren
Fall von Melancholie.
Der – modern
gesprochen – endogen Depressive, der
Melancholie-Kranke, erhebt sich über das
eigene Ich und kann dessen Situation von einem übergeordneten Fixpunkt aus
ohnmächtig mitverfolgen. Auch diese selbst gemachte Erfahrung schildert
Lenau sehr genau: „Diese Nacht wachte der alte
Hypochonder[100]
mit all seiner Gewalt in mir auf. Ich glaubte in mich hineinsehen zu können. Es lag wie eine steinerne Sphinx in mir.
Mein Kern ist schwarz, er ist Verzweiflung.“[101]
Im
melancholischen Zustand durchlebt der „Seelenkranke“,
dessen Gefühlsleben Lenau noch in manchem Gedicht[102]
in sublimer Form darstellen wird, ein sehr
spezifisches Zeitgefühl: Die Relation Vergangenheit
– Gegenwart – Zukunft ist gestört. Die gegenwärtige
Zeit verrinnt unaufhörlich, was zu innerer Unruhe und Angst führt.
Die
Vergangenheit, die in der Regel mit Verlusterscheinungen, mit Sünde und Schuld
verknüpft ist, erscheint dem an Schwermut Leidenden immer bedrohender - und eine Zukunft ist dem Melancholiker
vollkommen versperrt. Er leidet an einer Ohnmacht, an einer „Werdenshemmung“,
die jede in die Zukunft gerichtete, befreiende Entfaltung unterbindet. Der Kranke kann, was in Lenaus
Doppelsonett „Einsamkeit“ recht
deutlich hervor scheint, nicht mehr
hoffen. Da das subjektive Zeiterleben stagniert und Verschuldetes nicht mehr
aufgehoben werden kann, führt dieses ohnmächtige Erleben der Schuld,
charakteristisch für Lenau und Kierkegaard, zu extremen Leiden und Verzweiflung.
Weil Lenau sich als Geist und Arzt der Krankheit stellte
und aktiv ihre Überwindung betrieb, hat er seine kritischen
Auseinandersetzungen mit der Melancholie-Thematik geradezu
wissenschaftlich-analytisch dokumentiert. Im Gegensatz zu anderen Dichtern und
Denkern der Romantik, die mit der Melancholie spielen, ist Lenaus Melancholie keine Pose. Sie ist nicht aufgesetzt, inszeniert; nein, sie ist immer echt und schmerzhaft.
In
zahlreichen Briefen und Gesprächen bekennt sich der Dichter unverblümt nüchtern
zur eigenen „Krankheit“[103].
Nach seinen Worten war er ein „sehr ernster, melancholischer Knabe“,[104]
„hochgradig
zur Melancholie disponiert“[105]
und hinab gestoßen in die „Hohlwege der Melancholie“[106].
Immer wieder
verweist der Dichter auf typische Symptome seiner Hypochondrie oder beschreibt mit den gängigen Fachbegriffen des
frühen 19. Jahrhunderts eine Reihe heute recht geläufiger
Krankheitserscheinungen wie Gehemmtheit,
Verschuldungs- und Versündungswahn, Phänomene, die er bei sich selbst, aber
auch im vertrauten Umfeld – etwa bei dem Wahlverwandten und weinerlichen
Melancholiker Justinus Kerner in Weinsberg - beobachten kann. Da Lenau recht zart und euphemistisch vorgeht, wenn er
die Innenwelt des leidenden Melancholikers erörtert, wurde das, was er aussagt,
einfach nicht begriffen. Verkannt wurde, neben Lenaus Hymnus an die Nacht „Bitte“, vor allem das an sich sehr aussagekräftige Sonett: „Der Seelenkranke“, ein besonderes Gedicht, in welchem der
oft mit melancholischen Heimsuchungen übelster Art konfrontierte Poet die
Symptome der Krankheit sublim einfängt.
„Ich trag‘ im Herzen eine tiefe Wunde
Und
will sie stumm bis an mein Ende tragen;
Ich fühl‘ ihr rastlos immer tiefres
Nagen,
Und wie das Leben bricht von Stund zu
Stunde.
Nur Eine weiß ich, der ich meine
Kunde
Vertrauen möchte und ihr Alles sagen;
Könnt‘ ich an
ihrem Halse schluchzen, klagen!
Die Eine aber
liegt verscharrt im Grunde.
O Mutter,
komm, laß dich mein Flehn bewegen!
Wenn deine
Liebe noch im Tode wacht,
Und wenn du darfst,
wie einst, dein Kind noch pflegen,
So laß mich bald aus diesem Leben scheiden,
Ich sehne mich nach einer stillen Nacht
O hilf dem
Schmerz dein müdes Kind entkleiden!“[107]
Man hat
dieses gewichtige Sonett, ohne von der Melancholie zu wissen, als eine Art Mutter-Gedicht, als ein nachweinendes
Lamento abgetan, ohne zu begreifen, was der im maximalen Leid ausharrende
Melancholiker zu verkünden hat. Er, der Seelenkranke,
der im Herzen, am Sitz der Seele, eine
tiefe Dauerwunde aufweist, jene Melancholie
als Fatum, die er ergeben annimmt, kann
nicht mehr; er will nicht mehr länger im Jammertal weiter leiden müssen. Er
will endlich hinüber schreiten, in die Erlösung, in den vom Schmerz befreienden
Tod.
Eine
autodynamische Todessehnsucht, die Lenau, der Wissende und tief Mitfühlende,
auch an anderer Stelle schlicht, doch zugleich großartig in Lyrik umsetzen wird[108],
ergreift ihn endgültig. Die eigene Mutter, die dem Betroffenen nicht nur keinen
Trost spenden kann, weil sie tot ist, sondern weil der leidende Melancholiker
überhaupt nicht zu trösten ist, repräsentiert eine letzte, illusionäre Instanz,
die der Unverstandene in Leid und Verzweiflung anruft, um überhaupt noch zu
handeln, um das Negativ-Phänomen verbalisierend zu bewältigen, doch in
Resignation:
„So laß mich bald aus diesem Leben scheiden,
Ich sehne mich nach einer stillen Nacht“.
Tief ist es
gefühlt – Melancholie ist Schicksal, ein tragisches Fatum, aus dem es kein
Entrinnen gibt. Ferner, doch in anderem Kontext, schwingt sich Lenau aber auch zum Apologeten der Melancholie auf. Antik gebildet erkennt er in ihr
gar einen Grundzug der Menschheit[109].
5.20. „Lieblos und ohne Gott! Der Weg ist schaurig“ – „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.“ „Melancholie“ und „absolute Vereinsamung“ in Lenaus Doppelsonett „Einsamkeit“
Weitaus
bedeutender als Reflexionen zur Thematik Einsamkeit in Briefen und Notizen, die
zwar konkrete Bewältigungsformen darstellen, aber eher zufällig und aus einer
Stimmung heraus aufs Papier fließen, ist die poetisch-denkerische Umsetzung der
Materie im bewusst angegangenen Gedicht.
Im Gegensatz
zum schließlich überwundenen Pessimismus, wird Lenaus Auseinandersetzung mit
der Melancholie zeit seines Lebens anhalten. Bevor der Dichter physisch
zerbricht und im Wahn endet, wird dieser gewaltige Verbalisierungsprozess sich
vor allem in der Lyrik der frühen wie mittleren Schaffensperiode niederschlagen
und dort in zahlreichen Formen, Facetten und Nuancen eindeutige Spuren hinterlassen.
Ihren
Kulminationspunkt findet Lenaus Melancholie-Problematisierung in einem
repräsentativen, höchst markanten Doppel-Sonett, das der Dichter schlicht mit „Einsamkeit“ überschreibt. Der „Chopin deutscher Lyrik“, wie ihn Stefan Zweig in der Vorrede zu Vincenzo Errantes Lenau-Monographie einmal genannt hat,
wird, in strenge Form gefasst, kein
formal eingehendes, kein geschmeidiges Gedicht vorlegen, etwa in der Art, wie
man sie in seinen Schilf- und Waldliedern sowie in den anderen Sonetten
vorfindet, sondern eine, auf den ersten Blick eher etwas holprig anmutende
Kreation, die dafür an Modernität weit über ihre Zeit hinausreicht und gerade
deshalb die sensiblen Sinne melancholischer Nachfahren erreichen wird. Thema
und Gestimmtheit determinieren die Diktion der Sonette.
„Einsamkeit
I.
Hast du schon
je dich ganz allein gefunden,
Lieblos und ohne Gott auf einer
Heide,
Die Wunden
schnöden Mißgeschicks verbunden
Mit stolzer
Stille, zornig dumpfem Leide?
War jede frohe Hoffnung dir entschwunden,
Wie einem
Jäger an der Bergesscheide
Stirbt das
Gebell von den verlornen Hunden,
Wie‘s Vöglein
zieht, daß es den Winter meide?
Warst du auf
einer Heide so allein,
So weißt du
auch, wie‘s einen dann bezwingt,
Daß er umarmend stützt an einen Stein;
Daß er, von seiner Einsamkeit erschreckt,
Entsetzt empor
vom starren Felsen springt
Und bang dem
Winde nach die Arme streckt.“[110]
Der
schwermütige Dichter bringt das Melancholie-Phänomen auf den Punkt, indem er
die nur dem Melancholiker zugängliche und
nur von ihm erfahrbare
Melancholie-Situation nachträglich reflektiert, um in verdichteter
Bild-Sprache die wesentlichen Elemente des Melancholie-Komplexes analytisch zu objektivieren. Diese
Objektivierung erfolgt über einen unmittelbaren Appell an das „Du“, indem gefragt wird, ob das
subjektive Fühlen des lyrischen Ich auch von dem - psychisch und stimmungsmäßig
anders gearteten - Gegenüber mitgefühlt und nachempfunden werden kann:
„Hast du schon je dich ganz allein gefunden“ -
Jeder war in
seinem Leben schon einmal allein,
ohne Begleitung, allein in einer
misslichen Lage, eine Weile allein.
Das ist normal und gehört zum Leben. Doch wer war wirklich „ganz
allein“ – verlassen, vereinsamt, ohne Perspektive? Danach fragt der
Dichter des 19. Jahrhunderts, zehn Jahre vor dem Ausbruch der Revolution von 1848
inmitten einer Welt des Biedermeier, die auch gesellschafts- und gottgeborgene Dichter
wie einen Eduard Mörike hervorgebracht hat! Lenau wird mit dem zweiten Atemzug dann auch gleich
erläutern, wer tatsächlich seinen Existenz-Zustand mit „ganz allein“, umschreiben
darf, indem er ergänzend hinzufügt:
„Lieblos und ohne Gott auf einer Heide“.
„Lieblos“ existiert derjenige, der keine Liebe
erfährt, keine Nächstenliebe, der keine Geliebte um sich hat, keine mit fühlende,
mit leidende Seele, der ohne jede Liebe auskommen muss, obwohl er selbst bereit ist, Liebe zu geben, zu lieben.
Der Zusatz „ohne
Gott“ erhebt die hier exponierte Situation extremer Vereinsamung ins
Metaphysische, ins Religiöse. Wer -
als letzte Gewissheit Suchender und somit auch als Gottsuchender – trotzdem
ohne Gott, ohne metaphysische Bindung, ohne übernatürlichen Rückhalt und ohne
himmlischen Beistand oder Trost auskommen muss, jener Mensch ist in der Tat „ganz
allein“ und zugleich verlassen, schlimmer noch als Jesus am Kreuz auf
Golgatha, denn Gottes Sohn in Menschengestalt hat noch den Vater im Himmel,
dessen Wille sich gerade vollzieht.
Ein
Existieren „ohne Gott“ ist nur dem Atheisten möglich, der Gott a priori
leugnet, der die Idee Gottes ebenso zurückweist wie dessen tatsächliche
Existenz und alle so genannten Gottesbeweise noch dazu. Ein christlicher Mensch
aber, der wie Lenau, Lenaus Faust oder Nietzsche – geistig-emotional aus dem Christentum
herstammend – seinen Gott auf dem Erkenntnisweg eingebüßt hat, der wird den
Verlust Gottes und somit den metaphysischen Hintergrund, der Trost ermöglicht,
als großen, echten, schmerzvollen Verlust auffassen. Er wird darunter leiden,
ohne Gott leben zu müssen; und dieser permanente Schmerz einer an sich absurden
Existenz ohne jede metaphysische Einbindung, ohne eine dem profanen Leben
übergeordnete Sinn-Struktur, wird den
Leidenden zur „Verzweiflung“ bringen,
ihn gar in den Tod treiben.
Nietzsche, der genau weiß und mitfühlt, was
Lenau hier in zwei Verszeilen auf den Punkt bringt,
nämlich die existenzielle Verzweiflung des gottlos existierenden, modernen
Menschen in einer anonymen, kalten, ungeborgenen Gesellschaft, wird diese
Gottverlassenheit in seinem „Vereinsamt“
ähnlich markant umschreiben:
„Wer das verlor, was Du
verlorst, macht nirgends Halt!“[111]
Diesen „Gott“,
den der von Gott abgefallene, christlich erzogene Katholik Lenau noch namentlich nennt, ohne explizit „Christus“
zu sagen, diesen Gott der
Kindheit, den verschweigt der Protestant und Radikal-Aufklärer Nietzsche ganz bewusst. Für beide steht jedoch fest,
dass sie mit dem - wie auch immer definierten - Gott einen Wert an sich
verloren haben, einen existenzbestimmenden Wert!
Beide Dichter
werden das Sein in der Vereinsamung, teils
auch den Weg in diese Ausnahme-Situation, mit großartigen Bildern einfangen,
Bilder, die die Welt und die Perspektive und den erlebten Schmerz des an
Melancholie Erkrankten nach außen vermitteln.
Nietzsche schickt sein vereinsamtes Individuum, seinen
unbehausten Philosophen vor dem Wintereinbruch[112] hinaus in die Welt, um seine
existenzielle Exponiertheit, sein Sein in
der Grenzsituation heraus zu streichen, ähnlich wie es Lenau bereits in „Winternacht“ andeutet, um dasselbe Phänomen dann weitaus
plastischer und differenzierter in „Die
nächtliche Fahrt“ zu entwickeln.
Hier, im
Doppelsonett, versetzt er den Einsamen auf
eine „Heide, nachdem er bereits
drei Jahre zuvor seinen gescheiterten „Faust“
auf einen „Fels in Sturmesmitten“ im Meer versetzt hatte, um ihn dort – absolut
vereinsamt, doch frei – in den Freitod zu schicken.
Weshalb wählt
Lenau das Bild der „Heide“ und nicht erneut den Stein – wie einst Walter von der
Vogelweide oder das einsame, stille Meer wie vorher in
„Faust“? Eben weil seine in früher Kindheit erlebte „Heide“, die ungarische „Puszta“,
auch ein wüster Ort ist, ein Ort
elementarer Einsamkeit, ein Ort der drohenden Vereinsamung, ein Unort, ohne
gewaltige Natur, ohne Inspiration, ohne Trost. In jener weiten Landschaft mit verschwimmendem,
die Unendlichkeit suggerierendem Horizont, einem ewig blauen Himmel, drückender
Sonnenhitze mit Nunc stans und
verzweiflungsvoller Stille, erwachte die
Melancholie des jungen Knaben Nikolaus Niembsch zum ersten Mal – Und sie blieb
prägend für das weitere Leben. Dem leblosen, starren Stein aber wird in diesem Doppelsonett eine andere Symbolfunktion
zugedacht werden.
Was seine „Melancholie“ ausmacht, schildert der
Lyriker – ergänzend zu den prägnanten Briefaussagen, die die Wesenheit seiner
Geisteskrankheit bezeichnen – „Mein Kern
ist schwarz, er ist Verzweiflung“ – indem die individuelle
Leidens-Situation - in Schlüsselbegriffe gepresst - fast euphemistisch
umschrieben wird: Die gesamte Vergangenheit
erscheint – ungeachtet aller Freuden und Erfolge – als ein einziges, anhaltendes
„Missgeschick“, das dem Individuum,
dem Seelenkranken, schwere „Wunden“ zugefügt
hat. Dem im „dumpfem Leide“ Gefangenen
bleibt nichts weiter übrig, als die Schmerzen, die ihm das bisherige Leben
beschert hat, fatalistisch hinzunehmen, die unglückliche Kindheit ebenso wie
die unerfüllte Liebe, und alles im stillen Trotz zu ertragen.
Aus dieser,
nur bestimmten Individuen vorbehaltenen Ausnahme-Situation extremer Vereinsamung im Erleiden, in welcher die „absolute Einsamkeit“ zur Grenze wird,
gibt es kein Entrinnen: Das Opfer der melancholischen Heimsuchung muss sich ihr
stellen. Es erlebt und durchlebt diese Grenzsituation im maximalen Leiden, in
einem Prozess, in welchem Einsamkeit, Angst und Verzweiflung zusammenfallen - im
Ausharren.
Die Fachwelt weiß
es: Der Melancholiker kann nicht hoffen. Er kennt keine Zukunft, sie ist ihm
verbaut. Lange bevor die Wissenschaft das feststellte, bringt Lenau auch diesen Aspekt auf den Punkt: Jede
frohe Hoffnung ist entschwunden, jetzt und für immer, wie der Klang des
Hundegebells, das sich im Nichts auflöst, wie die Flucht des Vogels vor
winterlicher Kälte und der Tod ungewiss bleibt wie die mögliche Rückkehr.
In seinem
Melancholie-Erlebnis in todbringender Heide-Landschaft zielt Lenau auf die Absolutheit
des Einsamkeit-Erlebnisses. Wer dieser totalen Vereinsamung ausgesetzt ist,
ist nicht nur „allein“ – Der Einzelne
ist „so“
- (von Lenau hervorgehoben) - allein.
Er ist „so allein“ – wie kein anderer. Hinter dieser letzten Einsamkeit
lauert nur noch das Nichts, die Trostlosigkeit, die nackte Verzweiflung - „jede“
frohe Hoffnung ist entschwunden, endgültig!
Wie reagiert ein von Gott, Menschen, ja selbst von der
Natur verlassener Verzweifelter in seiner Melancholie, wo doch das klare Denken
versagt?
Er handelt
eben nicht wie ein Gesunder mit Verstand und Vernunft, sondern er agiert gemäß
seiner Krankheit aus dem Unterbewusstsein heraus, intuitiv, von Entsetzen, Ängsten und Zwängen getrieben. Was er
macht, ist nicht mehr frei,
selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt, determiniert.
Um die Irrationalität und Absurdität der
Verzweiflungssituation metaphorisch einzufangen, konstruiert Lenau außergewöhnliche Bilder mit nicht alltäglichen
Gesten, die von Angst und Verzweiflung diktiert werden: Wer „so“ allein ist, wird
„einen Stein“ umarmen - und er wird
„von
seiner Einsamkeit erschreckt“ – „vom starren Felsen“ springen und
„bang dem Winde nach die Arme streck(en)“.
Der
metaphysisch Vereinsamte, der Gott auf seinem Denk- und Erkenntnisweg verloren
und auch den Glauben an das Gute in Menschen und Welt aufgegeben hat, sucht in
seiner Angst und Verzweiflung – „erschreckt“,
„entsetzt“ und „bang“ - intuitiv-getrieben,
nicht rational - nach Elementen des
Trostes.
Doch was
wird, was kann einen Verzweifelten noch trösten, überhaupt trösten, wo ihm Gott
als zentraler Fixpunkt aller Werte und der Sinnstruktur abhanden gekommen ist?
Mit diesem Bild nackter Verzweiflung
bricht Lenau das erste Sonett ab.
Die Enttäuschung des endgültig alleingelassenen,
liebeshungrigen und Geborgenheit suchenden Melancholikers, der letzte
Verlassenheit erfahren muss, wird Lenau im zweiten Teil seines Sonetts poetisch umsetzen.
Bevor er zur
definitiven Schlussfolgerung kommt, dass nur ein Leben innerhalb einer
geordneten Sinn-Struktur lebenswert sei, während ein liebloses Dasein ohne
metaphysische Bindung absurd erscheine, bevor also eine Botschaft, die schon im
ersten Sonett vermittelt wurde, noch einmal bekräftigt und somit erhärtet wird,
erkennt der Dichter die Notwendigkeit, erläutern zu müssen, weshalb das so ist.
II.
„Der Wind ist fremd, du kannst ihn nicht
umfassen,
Der Stein ist todt, du wirst beim kalten, derben
Umsonst um eine Trosteskunde werben,
So fühlst du
auch bei Rosen dich verlassen;
Bald siehst du
sie, dein ungewahr, erblassen,
Beschäftigt nur mit ihrem eignen Sterben.
Geh weiter: überall grüßt dich Verderben
In der
Geschöpfe langen dunklen Gassen;
Siehst hier
und dort sie aus den Hütten schauen,
Dann schlagen
sie vor dir die Fenster zu,
Die Hütten
stürzen und du fühlst ein Grauen.
Lieblos und ohne Gott! Der Weg ist schaurig,
Der Zugwind durch die Gassen friert; und du?
Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.“[113]
Die
eigentliche Dimension des vom Kranken erlebten Schmerzes während der
Melancholie-Situation kann sprachlich nur unbefriedigend artikuliert und
objektiviert werden, weil das Gefühlte sich dem Bereich der Sprache entzieht.
Da eine zur präzisen Phänomenbeschreibung notwendige Terminologie fehlt, setzt
Lenau auf Metaphern, obwohl ihm bewusst ist, dass
die eingebrachten Vergleiche bestenfalls eine Ahnung des erlebten Leides
vermitteln. Ihre Unzulänglichkeit durchschauend, baut Lenau auf die plastisch
darstellbare Handlung, die in ihrem Wesen
absurd ist. Er lässt den Verzweifelten verzweifelt handeln, um dem
Verzweiflungsschmerz des Schwermütigen ein Gesicht zu geben. Er lässt den Verzweifelten gerade dort nach
Trost und Geborgenheit suchen, wo er beide Grundwerte des Lebens nicht finden
kann. Also führt der Dichter seinen immer noch Suchenden teils intuitiv,
teils rational in die Desillusion. Das Individuum muss letztendlich erkennen,
das alles - wie Lenau es in dem bekannten Lyrismus aus seinem Fragment
gebliebenen „Don Juan“ formuliert – „eitel nichts“ ist. Der Dichter begnügt sich jedoch nicht mit
der Darstellung der existenziellen Erfahrung eines Subjekts; er beansprucht
gewissermaßen eine intersubjektive
Gültigkeit des Phänomens. Deshalb führt er, beginnend mit der ersten
Verszeile, ein objektivierendes Gespräch
mit einem imaginären „du“, das sein
Selbst, sein zweites Ich ist – und darüber hinaus mit jedem Leser, der einen
eigenen Zugang zur Melancholie-Erfahrung
hat oder dem vermittelt werden soll, was ein Melancholiker überhaupt an
Unsagbarem und Unausprechlichem zu erleiden hat.
Das Phänomen
Melancholie, von der „gesunden“ Allgemeinheit unverstanden ignoriert, ist somit
nur dem engeren Kreis der Melancholiker oder besonders empathischen Menschen
zugänglich. Deshalb kann Lenau die selbst gemachten Erfahrungen als
Melancholiker, seine Ich-Position, auf das „du“ und schließlich sogar auf den
„einen“ und auf das „er“ übertragen.
Das zweite
Sonett entspricht einer reinen Ebene der
Reflexion und der Deutung des absoluten Vereinsamungs- und
Verzweiflungserlebnisses. Jedes Bemühen, in der Gesellschaft und auf
zwischenmenschlicher Ebene Sinn und Trost zu finden, versagt kläglich.
„Der Wind ist fremd“!
Wie groß muss
der Schmerz des Vereinsamten sein, der nach dem Wind greift, um ein Gegenüber
zu umarmen? So spricht kein Romantiker, kein Spätromantiker und auch kein
anderer Dichter vor Lenau, der, im Jahr 1844 in Umnachtung
fallend, das bewusste Dichten für immer einstellen wird.
Der „Wind“,
das ist das - malerisch überhaupt nicht darstellbare – Bild der absoluten
Vergänglichkeit, des Ungreifbaren,
des Ätherischen, das verfliegt, noch
bevor es wahrgenommen wird. Lenau, der Idealist und fromme Christ von
Anfang an, lässt, in der nackten Desillusion angekommen, nach dem Ungreifbaren greifen!
Der Dichter
wird den „Wind“, der auch sonst in seiner Dichtung „mordend hinsaust in den Wäldern“ zum kalten „Zugwind“ erheben, zum Todesbringer, der in den winterlichen Gassen
Wiens tatsächlich Krankheit und Tod nach sich zieht.
Auch sein „Stein
ist tot“! Wie gewaltig muss der Vereinsamungs- und
Verzweiflungsschmerz eines lieblos Existierenden sein, wie groß muss seine
Sehnsucht sein, wenn er – intuitiv
Nähe, Geborgenheit, Liebe und menschliche Wärme suchend – den kalten Stein
umarmt? So wie man den fremden
Wind nicht zu fassen bekommt, weil sich das nicht-menschliche Element der
Vereinnahmung entzieht, so werden auch bei Umarmung des Steins heiße Sehnsüchte
und Gefühle schnell erkalten:
„Der Stein ist
tot, du wirst beim kalten, derben
Umsonst um eine Trosteskunde werben“.
Ein Stein tröstet nicht – er tröstet ebenso wenig wie ein „kaltes Herz“ liebt[114].
Hinter dem Symbol des toten Steins verbirgt sich natürlich auch eine zweite,
hier nicht angesprochene, aber deutlich mitschwingende Ebene der Materie und des Materiellen. Der Stein
des Idealisten Lenau repräsentiert auch das Feste, das, was
gesellschaftlich gesprochen, Bestand hat, die konkreten Werte der bürgerlichen Lebensform,
Besitz, Geld, an sich aber Pseudo-Werte, die bei genauerer Betrachtung auch der
Vergänglichkeit unterworfen sind, wie das auf Sand Gebaute. Alles, was
entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht, lässt Goethe seinen Teufel
verkünden. Lenau wird nicht widersprechen.
„Daß alles
Schöne muß vergehen
Und auch das
Herrlichste verwehen,
Die Klage stets auf Erden klingt;“
lehrt uns das
Motto Lenaus über seinen freien Albigenser-Dichtungen. Und er ergänzt:
„Doch Totes
noch lebendig wähnen,
Verwirrt das
Weltgeschick und bringt
Das tiefste
Leid, die herbsten Tränen.“
Wer, wie
viele Melancholiker, die Idee der Vergänglichkeit verinnerlicht hat, der weiß
auch dass mit dem permanenten Werden und Vergehen auf der Welt auch der
ästhetische Bereich versagen wird. Der schöne Schein der Rosenwelt wird vom
Sterben überlagert. Kaum hat man das Wort Rose
ausgesprochen – und schon muss man an ihr Verwelken denken. Also wird die Welt des Schönen zur Welt des „Schönen Scheins“ reduziert:
„So fühlst du auch bei Rosen dich verlassen“.
Das ist eine
bittere Erkenntnis, eine große Enttäuschung, die das trostsuchende, einsame
Individuum auf sich selbst zurückwirft. Der Erkenntnissuchende als der bewusst
existierende Mensch, der als Intellektueller, als Geist – nach Schopenhauer – mehr leidet als alle anderen, weil er
sensibler und reflektierter ist als seine uneigentlich lebenden Mitmenschen,
muss mit dieser Gewissheit leben oder – wie Lenaus Faust – aus freien Stücken
aus der Welt scheiden.
Nachdem Lenau in seinem kritischen Dahinterschauen gleich mehrere sinnsetzende Bereiche der
menschlichen Existenz destruiert hat, Domänen, die jedem Einzelnen, ganz egal
ob Künstler, Denker oder profan Existierender, im Leben Halt bieten, wendet der
Dichter sich dem Mit-Menschen zu, dem Nächsten, dem gesellschaftlich
existierenden Bürger, wie er ihn von Wien bis Stuttgart seit Jahren unmittelbar
erlebt, um sein Mit-Gefühl, seine Empathie, sein Mit-Leiden oder sein
heuchlerisches Versagen tiefer auszuloten.
Nimmt das
Gegenüber, nimmt der gesellschaftlich existierende Mensch am Los des Einsamen teil?
Versteht er den Nächsten? Und versteht er sich selbst in seinem Menschsein und
in seiner gesellschaftlichen Rolle?
Lenau, der stille, doch genaue Beobachter
und Zeitanalytiker, wird das alles hier und noch einige Jahre überzeugt
verneinen; nicht aus Lust an einem inszenierten Pessimismus, sondern weil es
für ihn, den Erkennenden, so ist, weil er es so erlebt und tief gefühlt hat. Er
wird die optimistische Weltsicht, die nach Schopenhauer geradezu eine ruchlose Weltanschauung ist, hier
immer noch konsequent zurückweisen, so wie er es bereits in dem Gedicht
„Täuschung“ umsetzte, nachdem er Trugbilder und Selbstbetrug als Elemente des
gesellschaftlichen Daseins entlarvt hatte. Leben
ist Leiden, auch Leiden am verständnislosen Mit-Menschen.
Jeder Mensch
lebt – am anderen vorbei – sein Individualleben. So wie er den Einsamen nicht
wahrnimmt, so vergisst er den Menschen in seinem unmittelbaren familiären und
gesellschaftlichen Umfeld. Sie alle, das heißt der Mensch in der Masse, im Gedicht explizit mit dem Ausdruck „sie“ in die Mehrzahl versetzt, leben so
dahin – „Beschäftigt nur mit ihrem eignen
Sterben“!
Der Andere,
der Einsame, der Melancholiker, der Kranke, der Freigeist – sie bleiben
Außenseiter. Der gemeine Mensch hat für diese Individualisten kein Verständnis.
Ihr Leiden interessiert ihn nicht. Aus der vermeintlichen Geborgenheit heraus
lehnen sie, die gemeinen Massenmenschen, den Einzelnen ab, sie grenzen ihn aus
und sie verstoßen ihn rücksichtslos ohne Mitleiden:
„Siehst hier und dort sie aus den Hütten schauen,
Dann schlagen sie vor dir die Fenster zu“.
Die Vielen
verweigern sich dem Einzelnen, nur weil er anders ist als sie, weil er anders
denkt, anders lebt, anders fühlt, am Selbst festhält, ohne sich dem
nivellierenden Zeitgeschmack zu unterwerfen. Verblendet, abgelenkt, von
falschen Werten verführt, fällt es diesen diskrepant existierenden
Biedermännern und Spießern nicht einmal auf, dass sie sich selbst mitten im
Geschehen befinden und das Los ihres Scheiterns unabwendbar ist.
Der Ausblick
ist für alle gleich pessimistisch, ja nihilistisch, ganz egal, ob die Welt und
der Lauf der Dinge - „in der Geschöpfe
langen dunklen Gassen“- intellektuell durchschaut wird oder nicht. Die
Ausdehnung der Vergänglichkeit auf alle Kreatur der Schöpfung ist philosophisch
markant und vollzieht sich in einer hochmodernen, expressionistische[115]
Ausdrucksformen antizipierenden Sprache. Dem entsprechend apokalyptischer Natur
ist auch das End-Szenario: Alle „Hütten
stürzen“!
Letztendlich
gibt es keine endgültige Geborgenheit, keine Erlösung, weder für den Einzelnen,
noch für den unreflektierten, in der Uneigentlichkeit lebenden Massenmenschen. Jeder Mensch wird irgendwann in sein
Alleinsein zurückgeworfen, in die Einsamkeit, viele auch in Melancholie und Verzweiflung.
Die vom
sensiblen Melancholiker tief gefühlte Endzeit-Stimmung ist als
Schreckensperspektive für alle gültig. Bilder des Makabren kennzeichnen die
Situation:
„du fühlst ein
Grauen.
Lieblos und ohne Gott!
Der Weg ist schaurig,
Der Zugwind durch die Gassen friert; und du?
Die ganze Welt ist zum
Verzweifeln traurig.“
Jedes weitere
Handeln erscheint aussichtslos - die
Zukunft ist, typisch für die Perspektive des Melancholikers, verbaut. Also erscheint die gesamte Welt
in ihrer gesamten Ungeborgenheit, in permanentem Verfall, als ein Ort des Grauens und der Verzweiflung.
Diesen nihilistischen Ausblick wird Nietzsche in seinem, von Lenau beeinflussten[116] Melancholie-Gedicht „Vereinsamt“ aufgreifen und ähnlich
drastisch umsetzen. Das menschliche Lebensumfeld, dem nicht nur der vereinsamte
Wanderer ausgesetzt ist, ist für den dichtenden Denker Nietzsche ein unwirtlicher
Ort vielfachen Leidens: „Die Welt – ein
Thor Zu tausend Wüsten stumm und kalt“, verbunden mit der - schon von Lenau
hier im Doppelsonett vorgezeichneten - Konsequenz:
„Wer Das verlor, Was du
verlorst, macht nirgends Halt“.
Ohne Gott für
die einen oder ohne ein anderes angemessenes Sinnobjekt für die anderen ist der
an sich undurchschaubare, zutiefst absurde Weltenlauf nicht mehr zu ertragen:
„Die ganze Welt ist zum
Verzweifeln traurig“.
Mit dieser
zentralen, zutiefst nihilistischen Botschaft erreicht das
existenzphilosophische Melancholie-Sonett Lenaus seinen Höhepunkt. Zu dem mild
versöhnenden Ausblick, dass alles Werden
und Vergehen nur ein „heimlichstill, vergnügtes Tauschen“ sei, einen
Harmonismus, den Lenau erst Jahre später - auf alle Kreatur bezogen -
in den „Waldlieder(n)“ anbieten wird, kann sich der Dichter hier noch nicht
durchringen. Für den Melancholiker, der bereits bei der Betrachtung
historischer Abläufe traurig wird, ist die Welt ein Jammertal, während der von Grauen bestimmte Weg des Wanderers „zum
letzten Erdenziele[117]“ schaurig verläuft. Die von Schopenhauer auch im Abendland verbreitete Auffassung der
Buddhisten, der gesamte Lebenszyklus des Menschen - von der oft schmerzvollen
Geburt, über ein sorgenreiches Leben bis hinein in Krankheit und Tod - sei ein Sein im Leiden, ist für Lenau um 1838 existenzielle
Gewissheit. Alle rationalen Mittel, die Summe der Erkenntnisse, Empirie und die
Gefühlsebene sagen ihm, dass es so ist.
Bereits in
der Lyrik seiner frühen Schaffensperiode erörterte Grundgedanken Lenaus kehren
hier wieder wie die unerschütterliche Grundüberzeugung: Jedes Geschöpf lebe letztendlich doch nur sein Privatleben,
beschäftigt mit dem „eigenen“ Sterben.
Wie bereits in „Täuschung“ dezidiert
ausgesprochen: Trotz Freundeswort und Mitgefühlsgebärden wird „jeder tiefe“, in absoluter Vereinsamung erfahrene, „Schmerz“ „ein Eremit auf
Erden“ bleiben.
Bevor er
seine schockierende, auf vielfachen Erfahrungen beruhende existenzielle
Gewissheit verkünden wird, widmet sich der genaue Beobachter und
gesellschaftskritische Empiriker Lenau dem Verhalten seiner Mitmenschen zu, das er
teils rational analytisch, teils gefühlsmäßig als heuchlerisch entlarvt. Die in der Uneigentlichkeit existierenden,
im profanen Alltagsleben gefangenen Mit-Menschen verstehen den Einsamen nicht.
Er der Fremde ohne Ziel und Vaterland, der Flüchtling, der Unbehauste bleibt
für sie das, was er ist, ein Unverstandener, ein Melancholiker, ein
Verzweifelter, ein Stigmatisierter, den man als Aussätzigen behandelt. Weil
er einiges erkannt hat und darüber schreibt und redet, wird er auch noch
beschimpft. Es muss aber betont werden, dass die aus der Melancholie-Erfahrung
resultierende Welt-Sicht nur für diese Situation gilt. Sie darf nicht, was auch
auf Nietzsche zutrifft, zur Welt-Anschauung verabsolutiert
werden.
Lenau war ein Melancholiker, einer der
reinsten, die je existierten und in der Lage waren, ihre melancholische
Erfahrungswelt zu artikulieren, teils wissenschaftlich analytisch in abstrakter
Form, teils poetisch in großer Dichtung. Weite Passagen meiner Lenau-Monographie waren der
Aufgabe gewidmet, darzulegen, dass die eigentliche Dimension dieser
Melancholie-Dichtung nur durch ein vertieftes Eindringen in die spezifische
Struktur des Werkes sowie durch das Erhellen der Gesamtstruktur zu erfassen
ist. Erst wer diese innere Struktur erkennt, kann ermessen, worin Lenaus
Leistung besteht und was seine ideengeschichtliche Bedeutung ausmacht.
5.21. Der Werte-Kampf in Lenaus Ballade „Die nächtliche Fahrt“ - Von darwinistischer Selektion über den „Kampf um das Dasein“ nach existenzphilosophischen Kategorien zur Ethik des Widerstands im Politischen - Exkurs
Der „Kampf“,
neben dem Tod, dem Zufall und der Schuld eine der vier Grenzsituationen des
menschlichen Daseins, ist, nach Jaspers, „eine
Grundform aller Existenz“[118].
„Der Kampf ist eine Grenzsituation des Lebens. In der
Welt als einer endlichen muß der Mensch als endliches Wesen kämpfen.“[119] In seinen weiteren Ausführungen
unterscheidet Karl Jaspers drei Ebenen des Kampfes; erstens die „bloße Auslese“, zweitens den „Kampf ums Dasein“ (Erhaltung unter
Begrenzung anderer), den „Kampf um die
Macht“ (Ausbreitung des eigenen Daseins) und drittens den „Kampf als Mittel der Liebe“[120].
Lenau, in dessen dynamischer
Geisteshaltung das Agon des Schaffens einen hohen Stellenwert einnimmt,
problematisiert den erst im Darwinismus zum allgemeinen Durchbruch gelangenden „Kampf ums Dasein“ (struggle for
existence) bereits 1836 in seiner weit angelegten Ballade „Die nächtliche Fahrt“[121].
Lenau selbst hielt dieses - in mehrfacher Hinsicht
einzigartige, in der Forschung aber völlig unbeachtete – hier gerade deshalb
näher zu analysierende - Werk für sein nahezu bestes Gedicht.
Der Dichter
eröffnet den dialektischen Widerstreit der metaphysischen Prinzipien Leben und
Tod, der sich, auf unterschiedlichen Ebenen, leitmotivisch durch die Ballade
zieht mit der typischen „Situationsbezeichnung“ äußerer Einsamkeit:
„Zu öd und traurig selbst den Heidewinden
Sind diese
winterlichen Einsamkeiten,
Nur Schnee und
Schnee ringsaus in alle Weiten,
Nur stiller, keuscher, kalter Tod zu finden.
Hier ists
umsonst, nach frohen Ton zu
lauschen,
Singvögel sind
geflohn von diesem Grabe,
Den Schnabel
in die Federn hüllt der Rabe,
Und eingefroren ist der Bäche Rauschen.
Sieht man den
Wald so tief in Tod versunken,
Will man’s
nicht glauben, dass er jemals wieder
Aufgrünt im
Lenz, dass je hier seine Lieder
Ein Vogel
sinkt, vom Frühlingshauche trunken.“
Die „äußere Einsamkeit“, das Erscheinungsbild
einer zur Leblosigkeit erstarrten Natur, einer Allpräsenz des Todes, dient auch diesmal als Kontrastmotiv. Eine
gehäufte und facettenreiche Todessymbolik
suggeriert zwar für Augenblicke den absoluten Tod der Natur – „Nur stiller, keuscher, kalter Tod zu
finden“, das totale „Grab“; aber dieser Tod, so endgültig er auch scheinen
mag, birgt bereits das kommende Leben in sich.
Lenau führt deshalb, zunächst ganz unscheinbar, den
Raben ein und gibt mit diesem höchst lebendigen Todesboten einen Hinweis auf
die antinomische Struktur der Natur.
Der „Rabe“ erscheint zwar noch als regungsloser Totenvogel inmitten einer
absoluten Todeslandschaft, aber es ist
bereits Leben in ihm.
In der
dritten Strophe, in welcher die kontrastierende Einleitung endet, wird die
gezielt eingesetzte Negativ-Symbolik
durch eine urplötzlich optimistisch klingende, potenzielles Leben andeutende,
Hoffnung stimulierende Terminologie verdrängt. Das neu aufkommende, pralle
dionysische Leben im Frühling wird die Todesstarre zurückweisen lassen, so, als
hätte es sie nie gegeben. Unmittelbar darauf, in kunstvollem Umschwung, aus Eisesklammern befreit, kommt in der
vierten Strophe, tatsächlich neues, konkretes, Leben auf, in dynamischer Form
im Bild der „Wölfe“, die - als Raubtier noch intensiver als der
fleischfressende Raben-Vogel - Leben und Tod zugleich symbolisieren. Ihr kraftvolles
Eindringen in die leblose Kulisse signalisiert den Auftakt zur tragenden
Handlung: Die Statik der Situation wird so durchbrochen und aufgelöst.
Beginnend mit
dieser Stelle wird der Kampf, nach
Heraklit der Vater aller Dinge, als Motor des Werdens
den Verlauf der Ballade bestimmen:
„Es glänzt der
Eichenwald in Eisesklammern;
Jetzt Wölfe heulen am verschneiten Grunde,
Wie Bettler,
hungerwach, in nächtiger Stunde
Am Grabe eines
milden Königs jammern.“
Die Stille
wird abrupt destruiert. Laute Lebenszeichen machen sich bemerkbar. Doch was für
Leben? Es ist kein Reh, kein Eichhörnchen oder sonst ein unscheinbares
Waldtier, es sind hungrige Wölfe auf der Suche nach Fressbarem, im instinktiven, von der Natur vorgegebenen Bestreben
– wie es Jaspers formuliert – ihr Dasein zu
erhalten. Bevor die
Todeswerkzeuge von den potenziellen Opfern erblickt werden, vernehmen jene ihr schauriges
Geheul.
Das von Lenau auch sonst im Werk - in bestimmten
Schlüsselsituationen immer wieder - gezielt eingeführte Raub-Tier entspricht einer eindeutigen Potenzierung des Raub-Vogels, des Raben. Die antinomische
Struktur der Natur wirkt noch akzentuierter, da, neben dem konkreter werdenden Leben im Raubtier auch die unmittelbare
Lebensbedrohung durch dieses deutlich wird. Lenau setzt die hierarchische Präsentation der Lebensformen
konsequent fort und führt schließlich in der fünften Strophe die höchst
entwickelte Lebensform dieser Welt, den Menschen, ein, die Krone der Schöpfung,
agierende Individuen, die in feindseliger Natur genauso ohnmächtig exponiert
sind wie der ihrem Umfeld ausgesetzten Tiere:
„Dort fährt
ein Schlitten auf der blanken Wüste,
Der Kutscher treibt die ausgetreckten Pferde,
Als ob mit
seinem Fuhrwerk er die Erde
Vor
Sonnenaufgang noch umrennen müsste.“
Eine
Lebensform „treibt“ die andere an, um zum Ziel zu gelangen. Doch noch steht der Mensch nicht ganz im Mittelpunkt des
Interesses. Da der philosophisch ausgerichtete Dichter primär den Zweck
verfolgt, alle Formen des Willens zum
Leben - von der niedersten animalischen Stufe bis hin zum
ideell-politischen Komplex des Willens
zur Macht - zu entwickeln, konzentriert er sich vorerst auf einen
elementaren Basis-Konflikt; Ihn interessiert - das von Mensch und Tier
gleichwertig verkörperte - Leben in der
Konfrontation mit der lebensbedrohenden Umwelt, der elementare Kampf um das Dasein an sich.
Das Leben
selbst wird deshalb im weiteren Verlauf der Handlung in einer permanenten,
teils konkreten, teils abstrakt artikulierten Auseinandersetzung mit den
bedrohenden Faktoren vorgestellt; es erscheint in totaler Exponiertheit:
„Drei Hengste
sinds, rasch wie des Nordens Lüfte,
Ein jeder
trägt das werte Probezeichen
Der
Schnelligkeit im rüstigen Entweichen,
Die Narbe des
Wolfsbisses an der Hüfte.(...)
Die schnellen
Renner sind mit Eis behangen,
Das klirrend
an den schwarzen Mähnen zittert,
Der Rosse
Rücken ist mit Reif umgittert:
Der Tod will sie mit seinem kalten Netze fangen.“
Der Tod, das
betont der Dichter auch in anderen philosophischen Dichtungen, ist überall, er
ist die Grenze des Lebens. Das Leben hingegen, permanent den Grenzsituationen,
hier besonders dem Kampf, dem Tod und dem Zufall ausgesetzt, ist endlich und
zerbrechlich. Es muss sich ständig behaupten, sich im konsequenten Kampf gegen
die vielfachen Gesichter des Todes durchsetzen. Nach den knappen Andeutungen,
dass ein Wojewode im Schlittenkorbgeflecht sitzt und dem ersten Schlitten ein
zweiter folgt, bricht der Dichter seine Deskription abrupt ab. Lenau nutzt, was sehr selten in seiner Lyrik der
Fall ist und für die Ballade untypisch ist, das Mittel des Autoreneingriffs, wenn es in direkter, interpretativer Intervention
verkündet:
„Die Nacht ist
grimmig kalt; o Wandrer meide
Den Schlaf;
hörst du das Glöcklein nicht mehr schlagen,
So wird’s vom
Rosse dir vorangetragen
Dein wandernd Sterbeglöcklein auf der Heide.
Der Bäume Leben floh zum Grund hinunter;
Gib Wandrer, acht, dass nicht auch deine Seele
Zu ihrem Grunde sich hinunterstehle,
Wenn du
einnickest; Wandrer, halt dich munter!“
Nur nicht
einschlafen, denn wer in der Eiseskälte dem Schlaf verfällt, der wird nicht
mehr aufwachen. Sein Leben wird mit dem Klang des Sterbeglöckleins verklingen.
Also gilt es, alle Mittel einzusetzen, um wach zu bleiben, um das Leben, den Wert aller Werte, zu
erhalten.
„Bist du ein
Jäger, denke an ein Wildern;
Hast du ein
Lieb, denk an ihr süßes Lager;
Wenn Haß dich wurmt, der scharfe Herzensnager,
So halt dich
wach und warm mit Rachebildern.“
Selbst der
destruktive „Hass“ ist noch legitim,
um den höchsten Wert zu sichern.
Dieser
spontan einbrechende Appell zur Wachsamkeit, bereits in der radikalen Sprache[122]
eines Nietzsche vorgetragen, vergegenwärtigt noch einmal
drastisch das exponierte Sein in der Extremsituation im Grenzbereich zwischen
Leben und Tod. Das Ja zum Leben, absolute Priorität der Lebenserhaltung – um
jeden Preis: das ist die eindeutige Botschaft dieses weit über das Geschehen
hinausragenden Aufrufs.
Lenaus
antithetische Symbolik ist originell und präzis gewählt. Während das in
früheren, hier nicht zitierten Strophen eingeführte „Glöcklein“ (auch
„Schelle“) das dynamische Leben
verkörpert, Lenau hält leitmotivisch daran fest, erscheinen die
- in der Romantik sonst verklärten - Bilder der „Nacht“ und des „Schlafes“
in dieser Situation als lebensbedrohende Elemente. Das Individuum, der müde
Wanderer, wird in eine
Entscheidungssituation versetzt, in welcher es nur ein „Entweder - Oder“ gibt. Entweder der Mensch wird schwach, gibt der
Müdigkeit nach, lässt sich fallen, „nickt ein“, resigniert und scheitert
letztendlich; Oder der Einzelne nimmt - stellvertretend
für den sich bereits anbahnenden konkreten Existenzkampf - den Kampf gegen den Schlaf auf und hält sich
„wach und warm“ im Leben.
Jaspers unterscheidet mehrere „Reaktionen auf die
Grenzsituation des Kampfes:“[123]
Der Mensch „will den Kampf nicht“[124],
da er seiner Gesinnung widerspricht und er „verkennt
den Kampf als ein Letztes“[125].
Beide Positionen müssen scheitern, da sie dem Leben selbst, das ein permanenter
Kampf ist, entgegengesetzt sind. Lebensgemäß erscheint die konträre Haltung: „Der Mensch bejaht den Kampf um des Kampfes
willen. Er lebt in den Gefühlen des Kampfes und handelt nur, indem er kämpft.“[126]
Dasselbe gilt
für den „lebendigen Menschen in
antinomischer Synthese“[127].
„Er empfindet es als sinnlos, zum Kampf
überhaupt ja und nein zu sagen. Für die konkrete Existenz ist Kampf
unvermeidlich, gibt Würde und Kraft.“ [128]
Der „Kampf“ ist eine „der Daseinsformen, um die er nicht herum kommt.“[129]
Im Kampf, im geistigen oder im konkreten Krieg, kommt es „auf Vorrang und Sieg an, nicht auf die Sache“[130].
Das hebt Jaspers hervor.
Lenau, dessen Ballade nahezu dieselben
Erkenntnisse vermittelt, die Jaspers hundert Jahre später theoretisch formuliert,
akzentuiert mehrfach den gleichen Aspekt: Wenn
es um das Erhalten des Lebens, des höchsten Wertes, geht, sind alle Mittel
legitim; der Gedanke an das ungesetzliche
Wildern ebenso wie das Wachbleiben durch ethisch
verwerfliche, aufrüttelnde Vorstellungen im sexuellen Bereich. Der letzte Zweck, das pralle, pulsierende Leben
selbst, heiligt alle Mittel. Das Im-Leben-Bleiben ist Endzweck.
Alles, was
Lenau in dieser weitangelegten und anspruchsvollen
Ballade bisher präsentierte, das introduktive Stillleben, der dynamische
Einbruch des Vitalen in die Todeslandschaft, die Reflexion der existenziellen
Exponiertheit, die suggerierten Kämpfe, entspricht einer feingewebten
Ideenstruktur, in deren Mittelpunkt der konkrete
Existenzkampf steht. Der Handlungsablauf erreicht nun seinen dramatischen
Höhepunkt - die Wölfe greifen an:
„Ha! Wölfe! Seht,
ein ganzes Rudel Tode!
Sie folgen,
eine nachgeschleifte Kette,
Die Todesangst, der Hunger rennen Wette,
Und ohne Furcht bleibt nur der Wojewode.
Es kracht der
Schnee, schnell sind die grauen Horden,
Doch schneller
sind, gottlob! Die braven Hengste,
Die Rappen
sind im Drang der Todesängste
Plötzlich wie
junge Raben flügg geworden.
So fliehn sie
weite Strecken, angstgetrieben;
Die Männer
schießen schreckend die Gewehre
Vom
Schlittenborde nach dem grausen Heere,
Bis nach und
nach es ist zurückgeblieben.
Nun halten
sie, die Pferde dampfend schwitzen
Und schnauben
aus den Nüstern sich das Bangen.“
Dieser nackte
Kampf um das Dasein vollzieht sich auf den Auseinandersetzungsebenen Tier-Tier
und Mensch-Tier, wobei die elementare Ebene als die primäre anzusehen ist. Der
von Lenau hier dargestellte Lebenskampf entspricht
durchaus dem später im Darwinismus postulierten „struggle of life“. Zwei unterschiedliche Lebewesen, das vom
Menschen domestizierte Pferd und der wilde Wolf, ausgestattet mit bestimmten
Fähigkeiten und Instinkten, treffen in einer bestimmten Konstellation auf
gemeinsamen Lebensraum zusammen. Das lebensbedrohende Verhalten der Wölfe wird
vom natürlichen Hunger-Trieb diktiert: Die fleischfressenden Raubtiere greifen an,
weil sie fressen müssen, um zu überleben. Die Pferde aber, die Fluchttiere
sind, fliehen ebenso instinktiv, weil sie überleben wollen. Den natürlichen
Fluchttrieb bei Gefahr, der bei Menschen in ähnlicher Situation nicht anders
ist, umschreibt der Dichter prägnant mit „angstgetrieben“
und fängt so ein irrationales Phänomen ein, dass auch der Mensch nur
fühlend, erfahrend feststellen kann, ohne es konkret greifen zu können. Die
„Angst“ ist der Motor der Selbsterhaltung, der Antrieb, der das exponierte Wesen
im Leben hält: „Die Todesangst, der
Hunger rennen Wette“.
5.21.1. Wettkampf und Werte-Kampf
Es kommt zum Wett-Kampf: Schnelligkeit kämpft gegen
Schnelligkeit. Schließlich siegt – wie überall in der Natur - das Angepasstere und Stärkere, in diesem speziellen
Fall unter der Mitwirkung des Menschen. Die Rolle des genauso existenziell
exponierten Menschen ist jedoch sekundär. Er kann zwar den Schlitten lenken und
das Gewehr abfeuern, den eigentlichen Ausbruch aus der Todeskonfrontation, den
existenziellen Befreiungsschlag, leistet in dieser Ballade das Tier, dessen
eigentlicher Antrieb die „Angst“ ist.
In dem zeitspezifischen, heute schon verblassten Ausdruck „Bangen“ erkennt Lenau an anderer Stelle, in bemerkenswerter Nähe zu
Heidegger, einen direkten Hinweis auf die
eigentliche Existenz.
In dieser
Ballade jedoch sind die phänomenologisch-hermeneutisch eingesetzten
Schlüsselbegriffe „Angst“, „Furcht“ und
„Bangen“ gleichwertig. Sie bezeichnen das objektbezogene „Fürchten“, nicht die Angst an sich, die
existenzphilosophisch betrachtet, keine Ursache kennt und in der sich das
Nichts offenbart.
Bezeichnend
ist auch die Tatsache, dass die Todesangst,
die in der Regel das Individuum lähmt und hemmt, hier als positives, als Leben
förderndes Phänomen in Erscheinung tritt. Alles
Leben, das geht aus dieser Szene hervor, ist, im unmittelbaren Kampf um das Dasein, im Angesicht des Todes, der Angst
ausgesetzt und wird von ihr durchdrungen, „ohne Furcht bleibt nur der Wojewode“.
Es
verstreichen vier Strophen, bevor Lenau die Spannung auflöst und das Rätsel lüftet.
Das furchtlos-heroische Verhalten
dieses ominös-apathischen Fürsten
während des Überlebenskampfes, das zunächst etwas befremdend wirkt, entspricht
tatsächlich seinem natürlichen Seins-Zustand: „Der isst nicht, trinkt nicht, friert nicht, ist ein Toter.“ Des
Pudels Kern: Nur ein bereits aus dem Leben Geschiedener kennt weder „Angst“, noch „Furcht“ oder „Bangen“!
Mit dem
folgenden Aufklären des Schicksals dieses Fürsten vollzieht Lenau erneut eine weitere Strukturänderung der
Ballade.
5.21.2. Lenaus Imperialismus-Kritik in seinem „anderen“ Polenlied[131]
Das zentrale
Motiv, der Existenzkampf, wird nun, nach der entwickelten naturphilosophischen
Struktur und der existenzphilosophischen Deutung, auf die Ebene des realpolitischen Zeitgeschehens verlagert:
„Im Zweikampf ist der gute Herr geblieben,
Sein Erzfeind,
Russe, hat ihn totgeschossen;
Ich fahre
meinen schweigenden Genossen
Heim in die
Gruft vorausgegangner Lieben.“
Die Botschaft
des Dichters ist eindeutig: Der Kampf um
das Dasein der Individuen entspricht dem Existenzkampf der Völker.
Lenau verdichtet hier die imperialistische Aggression des zaristischen Russlands gegen das
freiheitliche, nach Selbstbestimmung strebende Polen zu einem ungleichen und
somit unfairen Duell zweier Personen, zu einem Macht-Kampf, in welchem sich der
Große gegen den Kleinen durchsetzt. Signifikant ist hier vor allem die
moralische Wertung der Situation: Der im animalischen Bereich noch weitgehend
gleichwertig ausgetragene Wett-Kampf um
Leben und Tod, um Sein oder Nichtsein wird im gesellschaftlich-politischen
Umfeld unfair ausgetragen; er denaturiert und verkommt – der Mächtige setzt
sich durch und unterwirft den Schwachen, der seine nationale Selbstbestimmung,
seine Souveränität und Freiheit einbüßte. Aus dem natürlichen Prinzip des
Lebenskampfes konstruiert der Mensch eine primitive Form des Willens zur Macht. Der Kampf, das metaphysische Prinzip des Werdens seit
Heraklit, wird zum
menschenverachtenden, amoralischen Krieg.
5.21.3. Ethik des Widerstands - Der Existenz-Kampf der Individuen entspricht dem Souveränitätsstreben der - tyrannisierten - Völker
Somit ist ein
Punkt erreicht, der dem Dichter die Möglichkeit bietet, die bisher außermoralisch verlaufende Handlung, den elementaren Kampf
um das Dasein, zunächst auf eine
ethische Ebene zu übertragen, die
dann von einer existenziellen
überlagert wird. Lenau ergreift diese Möglichkeit und lässt den
Kutscher sagen:
„Bald aber
hätt ich ihm die Treu zerrissen,
Denn wären uns
die Wölfe näher kommen,
So hätt ich
ihn nicht weiter mitgenommen,
Ich hätt ihn,
uns zu retten, hingeschmissen.“
Der Kampf
wird zum Kampf der Werte. „Da es
unendlich viele Werte gibt, und da diese nicht jederzeit verwirklicht werden
können, geraten die Werte miteinander in Kollision. Der Mensch muß wählen“[132]
, betont Jaspers.
„Der Kampf der Werte ist nicht immer, sogar selten ein
Kampf gleicher. Vielmehr ordnet er, wenn die Entscheidungen der concreten
existenziellen Kämpfe objektiviert werden, die Werte nach ihrem Rang. Es
entstehen Rangordnungen der Werte.“[133]
Lenau sieht dies ähnlich. Die amoralisch-existenzielle Argumentation des Kutschers lässt
eindeutige Prioritäten erkennen. Im Gegensatz zu seinem Herren, jenem
polnischen Aristokraten, der, repräsentativ für den Freiheitskampf des
polnischen Volkes gegen das imperialistische Russland, sein Leben für das Ideal der Freiheit hingab, ist der einfache, doch existenznahe Knecht nicht
bereit, sein Leben für einen höheren Wert,
für ein Ideal einzutauschen. Das Leben selbst, das hier noch einmal in krasser
Antithese zum endgültigen Tod vorgestellt wird, scheint diesen Standpunkt zu
bestätigen – Das unreflektierte Handeln triumphiert über den idealistisch
motivierten Opfertod. Aus der Sicht des unreflektierten Kutschers, der die moralisch bedingte innere Freiheit des
Individuums nicht kennt, erscheint jedes
einer höheren Idee dargebrachte Existenzopfer widernatürlich und absurd, da
mit dem Tod der erstrebte Endzweck
entfällt. Sinnsetzend ist für ihn nur das Leben selbst in seiner
natürlichen Entfaltung.
Eine Übertragung dieser außermoralisch-existenziellen
Individualhaltung ins Politische würde zwar das Überleben eines Volkes sichern,
doch wäre dies ein Dasein in Unfreiheit und Sklaverei. Dagegen begründet der Opfer-Tod des
Wojewoden im konkreten politisch motivierten Kampf eine Ethik des Widerstands. Obwohl er als Individuum scheitert, wirkt
der Gestus, für sein Volk gestorben zu sein, weiter und hält den Emanzipationskampf des polnischen David
gegen den übermächtigen Goliath Russland wach, ein Kampf um Souveränität,
der bis in die jüngste Vergangenheit andauerte. Sein beispielhafter, aus
innerer Freiheit und Notwendigkeit resultierender Tod wirkt für alle
Überlebenden seines Volkes sinnsetzend; Er
zementiert die nationale Identität und Integrität und fordert schließlich zu
neuem Kampf auf.
Mit dieser
Position, die im Gesamtkontext noch deutlicher wird, drängt Lenau die - zunächst absolut erscheinende -
Priorität der unbedingten Lebenserhaltung zurück. Das Schicksal Polens, das
kleiner und schwächer ist als das Zarenreich, ist damit nicht im
sozialdarwinistischen Sinne determiniert, ihm bleibt aber die moralisch
begründete und deshalb unerschütterliche Hoffnung auf Freiheit. Diese
Möglichkeit suggeriert Lenau, der sich
bereits nach dem Scheitern der Polenrevolution engagiert für die Ideale dieses
Volkes eingesetzt hatte, unmissverständlich in der Schluss Strophe seiner
bedeutenden Ballade:
„Das mahnt uns
an die Träume eines Zaren,
Der gerne
möchte in winternächtgen Stunden,
Das
Ruhmesglöcklein an sein Roß gebunden,
Das tote Polen durch die Heide fahren.“
[1] Nikolaus Lenau: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe.
Herausgegeben von Eduard Castle. Leipzig 1910ff.
(6 Bände). Aus Gründen der Praktikabilität werden einige Texte und Briefe
Lenaus auch nach dieser Ausgabe zitiert. Eventuelle Abweichungen folgen der
inzwischen erweiterten und verbesserten historisch-kritischen Edition der Werke
und Briefe des Dichters, die seit dem Jahr 1995 vorliegt. (Die Castle-Ausgabe wird weiterhin kurzzitiert als: NL, SWB, Band und Seitenzahl. Um der Lesbarkeit willen und um dieses Werk
etwas von Fußnoten zu entlasten, wird hier teilweise auf minutiöse
Quellenverweise (exakte Angabe der Seitenzahl) verzichtet. Das Primär-Werk wird
in der Regel im Text genannt.)
[2] NL, HKA, S. 98. Soweit mir bekannt ist, wurde Lenaus „Bitte“ noch nicht als Melancholie-Gedicht erkannt oder
interpretiert. Lenau rezipiert bis zu
einem gewissen Grad die im Barock weit verbreitete Vorstellung einer „süßen Melancholey“, der er als
Spätromantiker zwar noch huldigt, ohne jedoch das Ernste der Krankheit zu
unterschlagen, der schweren Depression,
die von ihm, dem echten Melancholiker, als bittere existenzielle Erfahrung
erlebt wird.
[3] NL, SWB, III, S. 30f.
[4] Ebenda, S. 36.
[5] NL, SWB, I, S. 135.
[6] Lenau und die Familie
Löwenthal. Briefe und Gespräche, Gedichte und Entwürfe. Herausgegeben von
Eduard Castle. Leipzig 1906. S.
523. (Kurzzitiert: LuL).
[7] Vgl. dazu Lenaus Brief-Aussage, Bd. IV, S. 326.
[8] NL, SWB, II, (Lenaus) „Faust“, (Weiterhin kurzzitiert
als „NL, Faust“).
[9] Näheres zum
Verhältnis des Melancholikers Kierkegaard zur Dichtung Lenaus in dem Exkurs:
Kierkegaards Lenau-Rezeption, in: Gibson, Carl: Lenau. Leben, Werk, Wirkung. Beiträge zur
neueren deutsche Literaturgeschichte, 3. Folge, Bd. 100, Heidelberg 1989. S.
304ff.
[10] NL, HKA, Bd. 1, S. 135. Melancholie als Fatum kennzeichnet auch das Gedicht „Bitte“. Das
Schicksal, aus dem es kein Entrinnen gibt, wird von dem betroffenen
Melancholiker nicht nur hingenommen, sondern einsichtig, über Vernunft und
Gefühl bewusst angenommen – als Bewältigung der existenziellen Situation. Siehe
dazu auch das bisher verkannte Melancholie-Gedicht Lenaus „Der Seelenkranke“ – mit ähnlicher Botschaft.
[11]
Die Liste melancholischer Dichter, Schriftsteller und Dramaturgen zur Zeit der
Früh-, Hoch- und Spätromantik und im Biedermeier ist lang. Clemens Brentano und Ludwig Tieck zählen ebenso dazu wie Heine, Annette von
Droste-Hülshoff und zahlreiche „poetae minores“, deren Namen
heute fast schon vergessen sind, darunter mancher Lyriker aus dem Umfeld der „Schwäbischen Dichterschule“. Der
Melancholie-Forscher und Psychiater Hubertus Tellenbach konzentriert sich in seiner Studie zur
Thematik im Abschnitt „Gestalten der
Schwermut“ hauptsächlich auf drei
Namen der Literatur, auf die – aus seiner Sicht repräsentativen -
Melancholiker Kierkegaard, Heinrich von
Kleist und Franz Grillparzer, also auch auf den
künstlerischen Rivalen im Lyrischen und Zeitgenossen Lenaus. Es sind drei
Namen, die man durch hundert andere ersetzen könnte. Ob - der von sich selbst
sehr eingenommene - Grillparzer überhaupt zur Melancholie neigte oder einen
Sinn für Lenaus melancholische Leiden hatte, mag dahingestellt bleiben. Tiefer
verstanden hat er, wie sein Nachruf auf den Dichter bezeugt, seinen Landsmann
Lenau kaum. Näheres in: Tellenbach, Hubertus: Schwermut, Wahn
und Fallsucht in der abendländischen Dichtung, Hürtgenwald 1992. S. 26ff.
[12] NL, SWB, III, S. 56.
[13] Ein Jugendgedicht Lenaus, eine Art Hommage, ist diesem
existenznahen und wirkungsreichen Römer gewidmet, („An Seneca“).
[14] Mehr zur Melancholie Kerners in der Monographie:
Otto-Joachim Grüsser: Justinus Kerner 1786 – 1982. Arzt – Poet –
Geisterseher, nebst Anmerkungen zum Uhland-Kerner-Kreis und zur Medizin- und
Geistesgeschichte im Zeitalter der Romantik. Berlin Heidelberg New York 1987.
Grüsser stellt fest: „Kerners depressiven Phasen waren nach meiner Einschätzung
Zeichen einer periodischen endogenen
Depression, die immer wieder sein Leben überschattete. Gelegentlich versank
Kerner in tiefe melancholische Verstimmtheit“. (S. 6.) Zitiert werden
melancholische Briefaussagen – etwa an Uhland – (S. 104f), Gedichte mit
„melancholische(r) Grundstimmung“ (S. 242), im Zusammenhang mit der
existenziellen Bewältigung des Phänomens. Dem freundschaftlichen Verhältnis
Kerner zu seinem häufigen Gast Lenau widmet der Autor ein ausführliches
Kapitel. (S. 295 – 305)
[15] Der Sohn des Dichters, Theobald Kerner, hat in seiner
späteren biographischen Stilisierung des Vaters dessen sogenannte Jammerbriefe, in welchen der
wohlsituierte Bürger und Arzt ganz unterschiedlichen Personen sein Leid klagte,
unterschlagen und so dafür gesorgt, dass der melancholische Wesenszug Justinus Kerners der Nachwelt weitgehend
verborgen blieb. Auch ist die umfassende Korrespondenz des Romantikers aus
Weinsberg mit vielen prominenten Zeitgenossen aus der
literarisch-künstlerischen Szene wissenschaftlich noch nicht ausgewertet.
[16] NL, SWB, III, S. 99.
[17] Erst Roman Rocek hat sich in der
jüngst erschienenen Lenau-Monographie „Dämonie des
Biedermeier“ dem Amerika-Erlebnis des Dichters zugewandt und die von Lenau
1833 dort vorgefundenen politisch-sozialen Bedingungen kritisch betrachtet.
Vgl. dazu meine Rezension dieses Werkes, abgedruckt in HJS 2007.
[18] Der sich im Jahr 1833 schon abzeichnende Untergang der
indianischen Urbevölkerung Nordamerikas im Zuge der systematischen Ausrottung
durch weiße Siedler aus Europa ist in dem engagierten Gedicht „Die drei Indianer“ bereits vorweg
genommen.
[19] Interessant ist der Aspekt, dass der Dichter den
Ausdruck „Hypochondrie“ über den seinerzeit weit verbreiteten Ausdruck „Schwermut“ ansiedelt, um die
aufziehende Melancholie anzukündigen. „Hypochondrie“ wird hier gezielt und
differenzierend als ein Synonym für „Melancholie“
(als Krankheit) eingesetzt.
[20] NL, SWB, III, S.282f.
[21] NL, SWB, IV, S. 18.
[22] Näheres weiter oben.
[23] NL, SWB, IV, S. 404.
[24] NL, SWB, V, S. 144.
[25] NL, SWB, V, S. 142. Die Liste der Natur-Apologeten in
der Dichtung ist lang, beginnend mit dem Verdikt des Epikureers Horaz, das Grün der
Wälder sei dem Stadtleben vorzuziehen, über Petrarca und Rousseau bis hinein in
die Dichtung der Empfindsamkeit, der
Romantik und des Biedermeier. Mehrere, heute zumeist vergessene Dichter aus
Lenaus Umfeld wie der Schubert-Freund Johann
Mayrhofer oder der
schwäbische Dichter aus dem Schwab-Uhland-Kerner-Kreis Gustav
Pfizer verfassen
lange Gedichte über die geschätzte
Einsamkeit.
[26] NL, SWB, V, S. 158.
[27] NL, SWB, I, S. 96.
[28] NL, HKA, Bd. S. 135.
[30]
Karl Jaspers, Philosophie, Band
2, S. 203. Vgl. auch: Jaspers, Karl: Kleine Schule des
philosophischen Denkens, München 1997.
[34] Ebenda.
[35] Bereits Goethe reflektiert die
Endlichkeit des Menschen in dem Gedicht „Grenzen
der Menschheit“. Wo das Göttliche beginnt, endet das Menschliche. („Denn mit Göttern / Soll sich nicht messen
/Irgendein Mensch.“
[37] Das Bild erscheint in dieser Form in Byrons „Manfred“ ebenso
wie bei Caspar David Friedrich in dem Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“, 1818.
[38] NL, Faust, S. 2.
[39] NL, SWB, I, S. 43.
[40] NL, SWB, I, S. 287. Mit einem Bild, hier: „Wild verwachsne dunkle Fichten“ versetzt
Lenau seinen Leser in eine – für ihn typische-
„Situationszeichnung“, die nur aus reiner Metaphorik besteht und ohne Verb
auskommt.
[41] NL, HKA, S. 134.
[42] NL, SWB, I, S. 358.
[43] NL, SWB, I, S. 316.
[44] Ebenda.
[45] Ebenda.
[46] Mancher bedeutende Künstler scheiterte nicht an der
Größe seiner Kunst, sondern an der Unzulänglichkeit der Interpreten, bis hinein
in die literaturhistorische Wertung.
[47] Ebenda.
[48] NL, Faust, III, S. 97.
[49] NL, SWB, I, S. 268.
[50] NL, SWB, I, S. 449.
[51] NL, SWB, II, S. 406.
[52] NL, SWB, III, S. 142.
[53] NL, SWB, I, S. 488.
[54] NL, SWB, I, S. 360.
[55] Ebenda.
[56] Ebenda.
[57] LuL; S.125.
[58] In: Wilhelm Müller. Werke, Tagebücher, Briefe.
Herausgegeben von Maria-Verena Leistner. Mit einer Einleitung von Bernd Leistner, Berlin 1994, Bd. 1, S. 184.
[60] Für Melancholie hat Eichendorff überhaupt kein
Verständnis. Wo bei Zweiflern Weltengrauen aufkommt, setzt der konservative
Katholik auf ein erfrischendes Gebet.
[61] „Gute Nacht“,
aus dem Lieder-Zyklus „Die Winterreise“, in:
Wilhelm Müller. Werke,
Tagebücher, Briefe. Herausgegeben von Maria-Verena Leistner. Mit einer Einleitung von Bernd Leistner, Berlin 1994, Bd. 1, S. 170.
[62] NL, SWB, I, S. 49.
[63] NL, SWB, I, S. 54.
[64] NL, SWB, I, S. 54.
[65] Nietzsche erkennt in
diesem Typus, der beim ersten Windhauch strauchelt und scheitert, den
Schwindsüchtigen des Geistes, der, kaum geboren, schon sterben will. Für diesen
romantisierenden Schwächling hat der Sozialdarwinist und Extremphilosoph nur
den Rat, er möge dahinfahren.
[66] NL. Faust, S. 78.
[68] Gemeint sind zwei Dichter, die sich ebenfalls an den
Faust-Stoff heran wagten, Christian Grabbe, gestaltet in „Don Juan und Faust“ sowie Heinrich
Heine in seinem
frivolen Tanzpoem „Faust“.
[69] Vgl. dazu das Kapitel „Situation und Grenzsituation –
präexistenzphilosophisches Gedankengut bei Lenau auf dem Weg zu Karl Jaspers.
Exkurs.“, weiter oben.
[71] NL, Faust, S.2.
[73] NL, Faust, S. 11.
[74] Ebenda.
[75] NL, Faust, S. 7.
[76] NL, Faust, S. 122.
[77] NL, Faust, S. 123.
[77] NL, Faust, S. 122.
[79] Zitiert nach Maduschka, S. 7.
[81]Ebenda.
[83] NL, Faust, S. 28.
[84] Ebenda.
[85] Ebenda.
[86] Ebenda.
[87] Verwiesen sei auf die Faustinterpretation in meiner
Monographie: Carl Gibson, Lenau- Leben, Werk, Wirkung, Heidelberg 1989.
[88] NL, Faust, S. 73.
[89] NL, Faust, S. 88.
[90] NL, Faust, S. 118f.
[91] NL, Faust, S. 122.
[92] NL, Faust, S. 123. Dieser – nur um des Reimes Willen –
nachgestellte Ausdruck „Rettung“ hat viele Interpreten zur Annahme verleitet,
der Christ Faust sei letztendlich doch gerettet worden.
[94] FN, HKA, VI, S. 89f.
[95]
Siehe dazu Lenaus verkanntes Melancholie-Gedicht „Bitte“: „Weil‘ auf mir, du dunkles
Auge,/ Uebe deine ganze Macht, /Ernste, milde, träumerische, / Unergründlich
süße Nacht! // Nimm mit deinem Zauberdunkel,/ Diese Welt von hinnen mir,/ Daß
du über meinem Leben/ Einsam schwebest für und für.“ NL, HKA, S. 98.
[96] NL,HKA, S. 128.
[97] LuL, S.161.
[98] NL,SWB, III. S. 97.
[99] LuL, S. 160f.
[100] „Hypochonder“
ist ein Synonym für Melancholie. Der Zusatz „alter“ verweist auf die
Unentrinnbarkeit aus dem Schicksal einer melancholischen Disposition.
[101] LuL, S. 160f.
[102] Speziell in dem bisher verkannten Melancholie-Gedicht „Bitte“ sowie in dem Sonett „Der
Seelenkranke“.
[103] NL, SWB, III, S. 99.
[104] LuL, S. 96.
[105] NL, SWB, V, S. 150.
[106] Ebenda.
[107] NL, HKA, S. 96.
[108] „An den Tod“ , siehe das Motto oben.
[109]Schließlich stellte der „Melancholiker“ – neben den
Sanguiniker, dem Choleriker und dem Phlegmatiker – den herausgehobenen, mit
Attributen des Genialen versehenen Typus der Antike dar.
[111] FN, KAW, VII ,3, S.37.
[112] Mit den Worten aus „Herbsttag“, „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“, wird Rainer Maria
Rilke eine
vergleichbare Situation in seinem bekannten Herbstgedicht aufgreifen und
motivisch verwandt gestalten, nur wesentlich konzilianter und
lebensoptimistischer in Ton und Perspektive. Vgl. Rainer Maria Rilke. Ausgewählte Gedichte. Auswahl und Nachwort von Erich
Heller. Frankfurt 1977. S. 28.
Verwandt umgesetzte
Gedanken wie „wer jetzt kein Haus hat“
(Rilke) bzw. „Wehe dem,
der keine Heimat hat“ (Nietzsche), Formulierungen, die den in die Welt hinaus gejagten,
rastlosen existierenden Einsamen näher umschreiben, verweisen darauf, dass hier
eine Rezeption Rilkes stattgefunden
hat, die, wie an anderer Stelle betont (Carl Gibson, Lenau. Leben – Werk- Wirkung. ), bereits mit der Lektüre Lenaus einsetzt.
[113] NL, SWB, I, S. 304 f. , NL, HKA, S.
214. Abweichend: „Der Zugwind durch die Gassen friert; und du?“Bei
Castle: „Der Zugwind in den Gassen kalt;
und du?“.
[114] Das weiß der hoch empathische Lenau genauso wie es sein schwäbischer Zeitgenosse
Wilhelm Hauff in seinem weltbekannten Märchen schildert.
[115] Es sind gerade die bekanntesten und wohl auch größten
Lyriker des deutschen Expressionismus, Georg
Trakl, Georg Georg Heym und Gottfried Benn, die in Gedichten wie „Trübsinn“, „Einsamkeit“ oder „Einsamer nie“ jeweils auf ihre Weise
die Situation des verzweifelten Einsamen ähnlich drastisch aufgreifen.
[116] Vgl. dazu: Carl Gibson, Nietzsches Lenau-Rezeption, In Sprachkunst, Wien 1986, bzw. den „geistesgeschichtlichen
Vergleich Lenau – Nietzsche in: Carl Gibson, Lenau. Leben – Werk –Wirkung, Heidelberg 1989. S.
246-256.
[119] Ebenda, S. 126.
[120] Ebenda.
[121] NL, SWB, Bd. 1, S. 260 – 263. Alle weiteren Zitate aus
dem Gedicht folgen dieser Textfassung. Zur
Verdeutlichung der Symbolik und Metaphorik wurden einzelne Textstellen fett
hervorgehoben.
[124] Ebenda.
[125] Ebenda.
[126] Ebenda.
[128] Ebenda.
[129] Ebenda.
[130] Ebenda.
[131] Als Anwalt der Unterdrückten und Verfolgten hat sich
Lenau immer wieder für
Schwache, und Entrechtete eingesetzt, für Minderheiten wie Indianer, Juden,
Zigeuner und auch für unterjochte Völker wie die unter russischer Vorherrschaft
leidenden Polen, deren Aufstand gegen Russland er – wie auch andere
aufgeklärt-liberale Dichter der Zeit – poetisch flankierte, zudem auch
öffentlich über die Freundschaft mit dem Dichter Mikolaj Boloz Antoniewicz. Lenau verfasste mehrere „Polenlieder“.
[133] Ebenda.
Leseprobe aus: Carl
Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und
Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu
Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.
Deutsche Digitale Bibliothek:
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Carl Gibson
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Deutsche Digitale Bibliothek:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/entity/111591457
Inhalt des Buches:
Carl Gibson
Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche
Das 521 Seiten umfassende Buch ist am 20 Juli 2015 erschienen.
Carl Gibson
Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche
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Das 521 Seiten umfassende Buch ist am 20 Juli 2015 erschienen.
Carl Gibson
Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche
Motivik
europäischer Geistesgeschichte und anthropologische
Phänomenbeschreibung – Existenzmodell „Einsamkeit“ als „conditio sine
qua non“ geistig-künstlerischen Schaffens
Mit Beiträgen zu:
Epikur,
Cicero, Augustinus, Petrarca, Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Ficino,
Pico della Mirandola, Lorenzo de’ Medici, Michelangelo, Leonardo da
Vinci, Savonarola, Robert Burton, Montaigne, Jean-Jacques Rousseau,
Chamfort, J. G. Zimmermann, Kant, Jaspers und Heidegger,
dargestellt in Aufsätzen, Interpretationen und wissenschaftlichen Essays
1. Auflage, Juli 2015
Copyright © Carl Gibson 2015
Bad Mergentheim
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-00-049939-5
Aus der Reihe:
Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte
und Kritisches zum Zeitgeschehen. Bd. 2, 2015
Herausgegeben vom
Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim
Bestellungen direkt beim Autor Carl Gibson,
Email: carlgibsongermany@gmail.com
- oder regulär über den Buchhandel.
„Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit!“ –
Das verkündet Friedrich Nietzsche in seinem „Zarathustra“ als einer der
Einsamsten überhaupt aus der langen Reihe illustrer Melancholiker seit
der Antike. Einsamkeit – Segen oder Fluch?
Nach Aristoteles, Thomas von Aquin und Savonarola ist das „zoon politikon“ Mensch
nicht für ein Leben in Einsamkeit bestimmt – nur Gott oder der Teufel
könnten in Einsamkeit existieren. Andere Koryphäen und Apologeten des Lebens in Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit werden in der Einsamkeit die Schaffensbedingung des schöpferischen Menschen schlechthin erkennen, Dichter, Maler, Komponisten, selbst Staatsmänner und Monarchen wie Friedrich der Große oder Erz-Melancholiker Ludwig II. von Bayern – Sie alle werden das einsame Leben als Form der Selbstbestimmung und Freiheit in den Himmel heben, nicht anders als seinerzeit die Renaissance-Genies Michelangelo und Leonardo da Vinci.
Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit, postuliert der Vordenker der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, das Massen-Dasein genauso ablehnend wie mancher solitäre Denker in zwei Jahrtausenden, beginnend mit Vorsokratikern wie Empedokles oder Demokrit bis hin zu Martin Heidegger, der das Sein in der Uneigentlichkeit als eine dem modernen Menschen nicht angemessene Lebensform geißelt. Ovid und Seneca verfassten große Werke der Weltliteratur isoliert in der Verbannung. Petrarca lebte viele Jahre seiner Schaffenszeit einsam bei Avignon in der Provence. Selbst Montaigne verschwand für zehn Jahre in seinem Turm, um, lange nach dem stoischen Weltenlenker Mark Aurel, zum Selbst zu gelangen und aus frei gewählter Einsamkeit heraus zu wirken.
Weshalb zog es geniale Menschen in die Einsamkeit? Waren alle Genies Melancholiker? Wer ist zur Melancholie gestimmt, disponiert? Was bedingt ein Leben in Einsamkeit überhaupt? Welche
Typen bringt die Einsamkeit hervor? Was treibt uns in die neue
Einsamkeit? Weshalb leben wir heute in einer anonymen
Single-Gesellschaft? Wer entscheidet über ein leidvolles Los im unfreiwilligen Alleinsein, in Vereinsamung und Depression oder über ein erfülltes, glückliches Dasein in trauter Zweisamkeit? Das sind existenzbestimmende Fragen, die über unser alltägliches Wohl und Wehe entscheiden. Große
Geister, Dichter, Philosophen von Rang, haben darauf geantwortet –
richtungweisend für Gleichgesinnte in ähnlicher Existenzlage, aber auch
gültig für den Normalsterblichen, der in verfahrener Situation nach
Lösungen und Auswegen sucht. Dieses Buch zielt auf das Verstehen der anthropologischen Phänomene und Grunderfahrungen Einsamkeit, Vereinsamung, Melancholie und Acedia im hermeneutischen Prozess als Voraussetzung ihrer Bewältigung. Erkenntnisse einer langen Phänomen-Geschichte können so von unmittelbar Betroffenen existentiell umgesetzt werden und auch in die „Therapie“ einfließen.
Carl Gibson, Praktizierender Philosoph, Literaturwissenschaftler, Zeitkritiker, zwölf Buchveröffentlichungen. Hauptwerke: Lenau. Leben – Werk – Wirkung. Heidelberg 1989, Symphonie der Freiheit, 2008, Allein in der Revolte, 2013, Die Zeit der Chamäleons, 2014.
ISBN: 978-3-00-049939-5
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