Was nicht in "Allein in der Revolte" steht - Carl Gibson zur Meinungsfreiheit und erzwungenen Selbstzensur
http://www.fnweb.de/region/main-tauber/bad-mergentheim/carl-gibson-gegen-herta-muller-1.1251813
Fünf Jahre lang mussten meine Leser auf
den zweiten Band der "Symphonie der Freiheit" warten.
Als das Buch dann nach vielem nervlichen und rechtlichem Hin und
Her schließlich doch noch kam, fehlten einige Kapitel, brisantes Material zu
meiner früheren, kurzen "akademischen Laufbahn", welches ich aus Rücksicht auf
meinen damaligen Verleger und dessen Geschäfte im Raum Würzburg entnommen
hatte - und dies obwohl dieser mir alles andere als rücksichtsvoll begegnet
war. Ganz im Gegenteil.
Statt der heiligen Meinungsfreiheit
absolute Priorität einzuräumen, übte ich freiwillig Selbstzensur und begnügte mich damit,
die akademisch brisanten Kapitel "nur online" zu veröffentlichen,
namentlich auf meinem US-Blog.
Dabei hätte ich mir ein Beispiel an der
wesentlich weniger pietätlosen, ja rücksichtslosen Herta Müller ein Beispiel
nehmen können, die ihren mit Lügen aller Art gespickten Artikel "Die Securitate ist noch im
Dienst" gleich mehrfach
veröffentlichte, einmal sogar marginal ergänzt als Buch unter dem Titel:
„Die Akte
Cristina und ihre Attrappe
oder
Was (nicht) in den Akten der
Securitate steht“.
und ein weiteres Mal als Essay in einem
Sammelband, inklusive des Materials, das sie schamlos aus meinen Werken
abgekupfert hat.
Ich schrieb darüber in dem Beitrag: "Dreiste
Mogelpackungen", online
veröffentlicht unter:
In "Allein in der
Revolte" nicht enthalten sind folgende Kapitel:
http://carlgibsongermany.wordpress.com/2011/01/18/vom-ende-meiner-akademischen-freiheit-in-wurzburg/
Sie werden hiermit in der Fassung Januar 2011 veröffentlicht.
Das wollte ich nicht - und das konnte ich nicht.
Die Konsequenz davon:
Das Aufklärungswerk zur Geschichte der Freien Gewerkschaft SLOMR, zur Dissidenz und zum antikommunistischen Widerstand in Rumänien während der Ceausescu-Diktatur wurde im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten boykottiert, namentlich in der Zeitschrift des IKGS "Spiegelungen", wo mein Werk nicht einmal als Neuerscheinung erwähnt wurde.
Ein Esel im Sperrfeuer oder Von edlen Absichten und herben Enttäuschungen -
das Kapitel sollte in diesem Buch veröffentlicht werden.
Ein Esel im Sperrfeuer oder Von edlen Absichten und herben Enttäuschungen
In kurzer Zeit war mein "Lenau"-Buch bis nach Amerika verbreitet. Dass es dort auch Forscher erreichte und wirkte, zeigten mir nicht zuletzt die Arbeiten im Internet. Zum großen Verdruss etablierter Akademiker, deren Werke zum Teil resonanzlos versiegten, fiel mein Buch auf, wurde in Fachzeitschriften rezensiert und in der wissenschaftlichen Diskussion besprochen – kontrovers rezensiert und ebenso kontrovers diskutiert.
Damit begann auch für mich eine aufreibende Zeit vielfältiger Rückschläge, des Ärgers und der Desillusion. Als die Dinge ihren unerfreulichen Lauf nahmen, kamen Fragen auf, selbstkritische Fragen. Hatte ich mich wissenschaftlich verrannt? Hatte ich, ungeachtet edelster Absichten, Fehler gemacht? Und welche? Worin bestanden meine Intentionen – und was erreichte ich in Wirklichkeit?
War ich, nachdem ich auf dem Weg der "Freiheit" schon so viel erreicht hatte und eigentlich vom Schicksal gut behandelt worden war, nun in maßloser Selbstüberschätzung über das Ziel hinaus geschossen? Und hatte ich vielleicht in meinem Einsatz für Lenau hybrishaft handelnd andere beleidigt?
Die exzessiv ausgelebte "Freiheit der Wissenschaft", die im euphorischen Schaffensprozess autodynamisch wirkt und kaum kontrolliert werden kann, rächte sich und wurde mir – wie es schien - kurzfristig zum Verhängnis. Bald musste ich feststellen, dass die Gesellschaft zuviel "Freiheit" nicht toleriert, ja bestraft.
Die akademische Kaste nahm es mir nicht nur übel, das ich in meiner Monographie gegen gängige Verhaltensnormen verstoßen hatte und mit meinem Buch frech "gegen den Strom" geschwommen war, indem mir der – von mir allerdings erst nachträglich eingeforderte – Doktortitel verweigert wurde.
Einige Dozenten versuchten sogar meine Publikation insgeheim zu diskreditieren mit der Absicht, meine kurzfristige Germanistik-Dozentur an der Universität Würzburg, die ich damals unbesoldet ausübte, ganz zu verhindern. Mein nietzscheanischer "Lenau" polarisierte.
Als ich im Jahr 1982 noch enthusiastisch die Arbeiten über Lenau aufgenommen hatte, in der Hoffnung, eine damals ziemlich verfahrene und lethargisch daliegende Lenauforschung durch eigene Forschungen anzukurbeln und zu neuem Leben zu erwecken, wollte ich noch hinauf zum Parnass, um den Lorbeer zu verdienen. Doch statt in den freien, erhebenden Lüften des Olymp, fand ich mich oben auf dem Galgenberg in Katakomben wieder, in siecher Luft, die nicht nur von den ungesunden Ausdünstungen des Betons stammten. Obwohl ich räumlich oben war, weit über der südländisch anmutenden Stadt mit den warmen, roten Zinnen und Auge in Auge mit der Marienfestung und dem Käppele Balthasar Neumanns vis-á-vis, fand ich mich geistig unten wieder, im Sumpf, in stickigen Giftdämpfen, umgeben von Chamäleons, kleinen Drachen und Fröschen aller Art, die jeweils etwas anderes quakten. Ernüchterung kam auf –oben in den Katakomben des Galgenbergs.
Über Jahre hatte ich alles gegeben – und auf vieles verzichtet. Meine erste Frau, die, als wir noch jung und verliebt waren, einst musisch gestartet war, um dann später unbedingt als Ärztin Karriere machen zu wollen, hasste das Buch, aus Eifersucht vielleicht – wie jene Komponistengattin, die die einzige Symphonie ihres Mannes in die Glut warf, oder weil sie, wie sie es formulierte, darunter, also unter der langen Entstehung, nur gelitten hatte. Wissenschaft, gerade wenn sie eng an der Kunst angesiedelt ist, kommt oft einem Martyrium gleich und erfordert vielfachen Verzicht. Fürwahr, die Wissenschaft ist oft genauso hart wie die wahre Kunst – und beide fordern auch Opfer, auch von anderen. Dessen ungeachtet blieb ich auch im Wissenschaftlichen konsequent, vielleicht auch hart - und setzte meinen Weg durch. Dann kam der äußere Lohn für diese Haltung – als Häme.
Ohne dass es mir recht bewusst geworden wäre, stand ich plötzlich mitten in einer Intrige, in einer Schlammschlacht, in der ich von einigen Seiten aus dem Verborgenen heraus mit Schmutz beworfen wurde. Ohne einiges Hinzutun war ich – zur falschen Zeit am falschen Ort - zwischen zwei rivalisierende Wissenschaftsparteien geraten. Und, noch bevor ich richtig reagieren konnte, umgab mich – in den hehren Hallen des vornehmen Geistes - ein Berg von Kot.
Kindheitsgeschichten wurde wachgerufen. Geschichten, von denen ich nicht genau wusste, ob sie stimmten, aus einem unserer Nachbardörfer im Banat, wo die Anhänger einer Blasmusikkapelle die weißen Häuserfassaden der Musikanten des konkurrierenden Blasorchesters bei Nacht und Nebel mit Exkrementen beschmiert haben sollen.
Ein plastisches Bild! Echter Naturalismus. Ein Schandfleck des Banats, kommentierten damals entrüstete Moralisten. Mir fehlten die Worte, um das zu beschreiben, was sich um mich tat, und verharrte im staunenden Schock.
Mit dem Buch war ich angetreten, um mein Idol zu retten, den genialen Dichter aus dem Banat, den Edlen Ungar mit den melancholischen Rabenfedern, dessen Wert ich in der Forschung übergangen und schlecht gewürdigt sah – und wirbelte damit etwas Staub auf.
Doch der Kampf, der inzwischen am Galgenberg ausgetragen wurde, war nicht mehr mein Kampf. In ihm stand ich nur noch zwischen den Fronten, in einer Schlacht, die bereits vor meinem Eintreten gestartet worden war.
Theo Meyer, der auf seine Art eine Kämpfernatur und ein Dissident war, hatte nicht nur Freunde am Institut, sondern auch Rivalen und Neider, die es nur schwer ertragen konnten, dass in einer Vorlesung nur ein halbes Dutzend Studierende saßen und in der anderen, die ich mit organisierte und betreute, gleich mehrere hundert. Als ich dann – als die teils populäre, teils objektiv geschätzte rechte Hand Meyers - auch noch als Dozent antrat und mein "Faust"-Seminar sich regen Zulaufs erfreute, wurden Kräfte auf den Plan gerufen, die dies zu verhindern gedachten.
Theo Meyers akademischer Ruhm, der mit der gerade edierten tausendseitigen Nietzsche-Monographie noch anschwoll, sollte nicht noch durch Hilfstruppen verstärkt werden. Über Nacht war ich - ohne etwas zu wähnen - Teil einer Intrige, die die Absicht verfolgte, meinen Lehrer zu schwächen, indem ich an der Lehre gehindert und aus dem Lehrbetrieb entfernt werden sollte. Leider mit sehr fadenscheinigen Argumenten, die noch gefunden werden mussten. Es war der Auftakt zu einer längeren Schlammschlacht, zu meiner Demontage über die Zersetzung meiner wissenschaftlichen Kompetenz und Autorität.
Was war mir vorzuwerfen?
Wodurch eckte ich an?
Jener Intrigant aus Meersburg hatte einst in meiner Vergangenheit gewühlt und mit wenig Fortune im fernen Banat nach verwundbaren Stellen im meiner Montur gesucht. Und war schlecht fündig geworden. Meine akademischen Gegner in Würzburg, denen ich praktisch noch nie begegnet war, suchten in der Wissenschaft selbst, in der Forschung, in der Lenauforschung nach einem Makel, nach einer Blöße.
Wo konnte man da anknüpfen?
Wo lagen meine Schwachpunkte?
Diesmal musste es anders laufen. Während die Rivalen meines Lehrers darüber nachdachten und Strategien entwarfen, wie man mir beizukommen sei und wie meine Dozentur im Würzburg zu verhindern sei, weilte ich noch im Tal der Ahnungslosen. Hatte ich doch bisher nur meine Pflicht getan und ordentlich studiert.
Erst als die ersten Haubitzengeschosse über mein Haupt flogen, merkte ich, dass ich bereits in der Mitte des Schlachtfelds stand, wo, ohne Rücksicht auf Verluste, scharf geschossen wurde – aus der Deckung, getarnt aus dem Gebüsch.
Wurde dieser Galgenberg zu meinem Waterloo?
Über vordemokratische Zustände an der deutschen Universität und Von der Narrenfreiheit des Professors, Lehre zu verhindern
Um mein in den Fachgremien bereits offiziell beschlossenes Seminar über den jungen Goethe zu stoppen, wurde mein kaum erst ediertes Buch, mein Erstling
"Lenau"
ins Visier genommen – und in einem klassischen Verriss einer außenstehenden Rezensentin arg gebeutelt, so etwa nach dem Motto: 321 Seiten Nonsens, Thema verfehlt, ein neues Buch muss her – für mich ein Schock!.
Mein Lehrer konfrontierte mich freundschaftlich, doch hochgradig irritiert mit einer Rezension aus der Feder von Beatrix Müller-Kampel vom Institut für Germanistik der Universität Graz, in welcher meine Lenau-Monographie als nationales Unglück betrachtet wurde.
Ein Verriss?
Dazu noch ein ausführlicher Verriss!
War das eigentlich kein gutes Zeichen! Ein Hinweis darauf, dass mein "Lenau" wirkte?
Oder war es eine inszenierte Buchbesprechung, der offensichtliche Versuch einer Demontage, der, von wem auch immer, betrieben wurde?
War nun auch ich – als weiterer Dissident – paranoid und verrückt geworden?
Weit gefehlt!
Sonderbar an der Aktion erschien mir sogleich die Tatsache, dass der Sonderdruck der Rezension bereits am Institut kursierte, bevor "Arbitrium. Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Literaturwissenschaft", Herausgegeben von Wolfgang Frühwald und Wolfgang Harms in den Regalen der Universität Würzburg öffentlich auslag.
Wer hatte die Schmähschrift angeregt und auf den Weg gebracht?
Als meinem Lehrer angedeutet wurde, er solle nunmehr meinen von ihm gutgeheißenen Lehrauftrag zurückziehen und ich solle auf mein Proseminar zum jungen Goethe verzichten, wurde deutlich, was hier gespielt wurde.
Nicht meine Lenau-Studie stand im Visier, auch nicht die Integrität meiner Person, nur eine institutsinterne Machtkonstellation, an der nicht gerüttelt werden sollte:
Zwei C4 Professoren gegen einen C3 Professor, während ein vierter C3 Professor aufgrund seiner Abhängigkeit keine Meinung haben durfte.
Das entsprach der bundesdeutschen Wissenschaftsaktualität, die es einem einmal inthronisierten Professor erlaubt, auch ohne besondere wissenschaftliche Leistung seine Autorität zu entfalten.
Ich war in dieser höheren Institutsintrige, die sich eigentlich gegen den als aufmüpfig bekannten Theo Meyer richtete, nur ein Baustein.
Indem man mich als seinen direkten Schüler verhinderte, sollte Theo Meyer getroffen und geschwächt werden – aus welchen Gründen auch immer.
Das Mobbing gegen mich war nur ein Mittel dazu. Nach der gemeinsamen Auffassung der beiden Institutsvorstände Professor Günther Hess und Professor Helmut Pfotenhauer war ich als Dozent ungeeignet, weil, wie aus der Negativrezension deutlich wurde, die überdurchschnittliche Qualifikation, die Professor Meyer bei der Ansetzung des Lehrauftrags ins Feld geführt hatte, eigentlich nicht gegeben war.
War das so?
Und wer täuschte sich?
Die beiden mir persönlich fremden Vorstände oder der dritte Professor, der mich über Jahre beobachtet hatte?
Reichte eine ominöse Rezension aus der Feder einer in der Lenauforschung noch nicht ausgewiesen Rezensentin aus, um meine Arbeit von Jahren ab absurdum zu führen und meine akademische Laufbahn zu beenden, bevor sie noch richtig begonnen hatte?
Wie kam es damals zu dieser Buchbesprechung?
Wie kam Beatrix Müller-Kampel aus Graz dazu, gerade mein Buch zu zerreißen?
Als ich die "Symphonie der Freiheit" ausarbeitete und darin die einschneidensten Themen meiner Existenz – nach der Dissidenz, doch als Folge davon – behandelte, nahm ich mir die "Freiheit" bei der Dame, die heute habilitiert ist und eine außerordentliche Professur an der Universität Graz innehat, nachzufragen. Wer brachte sie auf mein Projekt?
Wer regte ihre Rezension an?
Sie weiß es nicht mehr!
Sie kann sich nicht mehr daran erinnern!
Wie signifikant, dass ein Wissenschaftler, der von seinem guten Gedächtnis lebt, sich an solche Begebenheiten nicht mehr erinnern kann.
Wer ein Buch gründlich liest und studiert, wer Seiten darüber schreibt, der kann das und die damit zusammenhängenden Fragen schlecht vergessen, wenn er, was bei der Rezensentin der Fall ist, weiterhin wissenschaftlich tätig ist.
Was wurde mir in der Negativrezension vorgeworfen?
Und von welcher Warte aus wurde die gezielt als Verriss konzipierte Rezension geschrieben?
Genau aus der Position der von mir im Lenau-Buch bekämpften Gegner.
Nach meinen Erfahrungen als geistig ausgerichteter Dissident im Osten hatte ich alles daran gesetzt, um die marxistische Interpretation Lenaus, die sich in den letzten Jahren in der Zeitschrift <em>Lenau-Forum</em> breit gemacht hatte, zurück zu drängen.
Viele Forscher aus den Ländern des Ostblocks, aus Ungarn, aus der DDR, aus der Tschechoslowakei, aus Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, ja selbst aus Österreich und Frankreich knüpften an die marxistischen Interpretationsmuster an und reduzierten Lenau dabei auf einen politischen Lyriker des Vormärz, wobei weite Teile seiner Dichtung unbeachtet blieben.
Ein Zehntel des Werkes wurde interpretiert, während neun Zehntel ignoriert wurden. Wie im Ostblock Usus.
Österreich, seit Stalins großzügigem Entgegenkommen der "ewigen" Neutralität verpflichtet und auf Völkerverständigung bedacht, unterstütze diese Tendenz, die mir, dem Kommunismusgeschädigten, noch viel suspekter war als die psychopathologische Zugangsweise des Freudschülers Isidor Sadger, der wohl die unmöglichste Arbeit über Lenau verfasst hat.
Fred Sinowatz, seinerzeit Bundeskanzler in Österreich, stand damals auch der Internationalen Lenaugesellschaft vor.
Als Sozialist in der Nachfolge Bruno Kreiskys unterstrich er den sozialistischen Kurs auch in der Literaturwissenschaft. Bei aller Völkerverständigung, die sich über Urlaubsreisen und fetten Dinners mit Professorenehefrauen vollzog, blieb nur einer auf der Strecke:
Lenau.
Damals hielt ich auch literaturwissenschaftlich dagegen und setzte auf die gesamtphilosophische Interpretation Lenaus, mit hermeneutischen Prioritäten, doch methodenpluralistisch ausgerichtet, um so dem ganzen Lenau gerecht zu werden.
Jean Pierre Hammer ging den gleichen Weg auf seine Weise mit, nur etwas lebenskluger und weniger exponiert.
Doch für den ganzen Lenau hatten die Linken, die auch Ernst Bloch bemühten, der nur wenig über Lenau gesagt hatte, kein Verständnis.
Obwohl ich mich in einem introduktiven Forschungsbericht, der auf eine hundertfünfzigjährige Lenauforschung einging, ausführlich mit Interpretationsmethoden auseinandergesetzt und meinen Zugang mehrfach sehr detailliert begründet hatte, wurde mir in der Besprechung methodisches Versagen unterstellt. Einmal in Rage geraten zog Frau Müller-Kampel, von der ich in der Lenauforschung bis dahin noch nichts vernommen hatte, vom Leder und verfiel – ungeachtet des wissenschaftlichen Rahmes der Zeitschrift – in einen polemischen Ton, aus dem etwas von dem Schmäh der steirischen Bergwelt herauszuhören war:
„Noch immer – oder schon wieder? – finden sich Autorinnen und Autoren, welche die <em>Einfühlung </em>in Texte oder diverse Selbstauslegungen der behandelten Schriftsteller für den letzten Schluss einer <em>adäquaten</em> Interpretation erachten.(…) Im Vergleich mit den methodischen Mängeln der Studie nimmt Leporellos Register sich wie ein unbedeutendes Zettelchen an: Einen nicht geringen Teil seiner rhetorischen Energie verwendet der Verfasser darauf, die bisherige Lenau-Forschung verbal zu verprügeln. Da ist, in Verwendung eines Lenau-Zitats, von den <em>anmaßenden Wertungen jener Oberleichthindrüberhuscher </em>die Rede, die <em>der Meinung näher stehen als der wissenschaftlichen Erkenntnis, </em>von subjektiver Beliebigkeit, undifferenzierten Ansätzen oder <em>verschwommenen, nichts sagenden Schlussfolgerungen</em> infolge einer <em>schlagworthaften, nicht verifizierbaren Handhabung der Begriffe. </em>Bravo! Möchte man dem Autor in Anerkennung seines kritischen Furors zurufen, begibt sich auf die Suche nach Gibsonschen Gegenentwürfen und sieht sich mit folgenden Zielsetzungen konfrontiert: Da <em>eine subjektive Individualität wie die Lenaus nicht aus der Zeit, sondern aus ihrem geistigen Selbst </em>zu erfassen sei, soll mittels einer Methodenmischkulanz aus werkimmanenter, biographischer, philosophischer und mit Philosophiegeschichte operierender Einfühlungsinterpretation Objektivität erzielt werden.“ Fazit des Operettenkommentars: <em>Zu retten wäre die Studie allein (…) durch ein neues Buch.</em>“
Danke!
Frau Müller-Kampel, die aus ihrem Winkel aus den Steirischen Bergen die Dinge – in bestem Österreichisch vermittelt – so sah, hat meiner Mischkulanz kein anderes Buch entgegengesetzt. Mein Verleger Carl Winter aus Heidelberg, der von dem Buch genauso überzeugt war wie mein Lehrer Theo Meyer, reagierte mit Verwunderung auf die Rezension und fragte sich, wo soviel "Häme" herkäme. Entsetzt war ich außer Stande, ihm die Frage zu beantworten. Die Securitate, deren Handlanger ich allerlei zutraute, vermutete ich jedenfalls nicht dahinter.
Zwar hatte ich in letzter Sekunde noch einige Provokationen an die Adresse der Marxisten und der mir heuchlerisch erschienenen Hofierungshaltung der Österreicher gestrichen, doch waren noch genügend Angriffe ideologischer Art zurück geblieben, was anderen hauptberuflichen Forschern, die weitgehend Staatsdiener waren und totalitären Systemen dienten, nicht gefiel.
Felix Austria!
Eigentlich hätte ich die Österreicher kennen müssen. Hatte ich doch bereits 1983 – in einem Anflug von Heimweh – dort studiert; noch zur Zeit Kreiskys, als man ohne rotes Parteibuch in Österreich nichts werden konnte.
Roter Filz in Wien – schwarzer Filz in Würzburg?
Waren da die Leute aus Corleone keine ehrwürdigen Häute?
In welcher Welt lebten wir eigentlich?
Was war aus der "Freiheit" geworden, an der ich in meiner Dissidentenzeit so hartnäckig festgehalten hatte?
Wieder erfolgte ein tiefer Einschnitt in das Kerbholz, das fast auseinander brach. Meine Dissidenz ging im literaturwissenschaftlichen Bereich weiter – und dabei störte ich einige Kreise saturierter Literaturfunktionäre, deren komparatistische Minimalleistung auch heute noch in den Zeitschriften und Almanachen der Lenau-Forschung bewundert werden kann.
An ein Buch über Lenau, das mit Arbeit verbunden ist, mit viel Arbeit, wagte sich keiner aus der Runde der Staatsbediensteten, kein DDR-Professor, aber auch kein bundesdeutscher.
Um Lenau angemessen aufzuwerten und wieder in die Diskussion zu bringen, hatte ich Position beziehen müssen. Doch mit edelsten Absichten - nicht, um zu verletzen. Wenn ich es im Überschwang trotzdem tat, entschuldige ich mich auch heute noch dafür. Doch konnte die Dame aus Graz überhaupt nichts Positives in meinem Werk über den originellen Romantiker aus dem Banat - aus meiner Heimat - finden?
Als ich das druckfrische Lenaubuch seinerzeit in Mosonmagyarovar mehreren Forschern aushändigte, speziell den Kollegen aus den Ostblockstaaten, die das teure Buch aufgrund fehlender Devisen nie erwerben konnten, vernahm ich viel Lob – und keinen Tadel.
Waren jene Worte nun plötzlich verrauscht?
Waren die Würdigungen nur billige Heuchelei?
Oder hatte ich wirklich alles falsch gemacht?
Mehrfach hörte ich mich um, hakte nach, schrieb Briefe an Experten. Einige Reaktionen lagen schon vor, andere folgten. Einer der Professoren, der allerdings keine Lust hatte, sich in die internen Institutsquerelen an der Würzburger Universität einzumischen, schrieb Anfang Januar 1990 von der Universität München aus ein paar höfliche Zeilen, die das Negative der Rezension linderten:
"Ich habe gerade Ihr Lenau-Buch noch einmal angesehen und Teile davon, vor allem die Lyrik-Kapitel, gründlich gelesen. Mein positiver Eindruck, von dem ich Ihnen schon im September schrieb, hat sich durchaus bestätigt. Die genaue und eingehende Analyse der Texte, verbunden mit den Äußerungen Lenaus zu seinen Gedichten selber und die kritische Auseinandersetzung mit der Forschung, begonnen mit den zeitgenössischen Urteilen, erscheint mir wichtig. Und sie haben bestimmt eine Vielzahl neuer Aspekte herausgefunden. Aber auch das einleitende Psychogramm ist aufschlussreich; und im Kapitel über die Wirkung Lenaus bis etwa zur Jahrhundertwende oder sogar bis zum Expressionismus deuten sie selber neue Forschungsdesiderate an. Kurz: Ihr Buch wird dazu beitragen, sich noch lange mit Lenau zu beschäftigen.“
Also was galt nun wirklich?
Die Bausch und Bogen-Verdammung aus der Sicht von Frau Müller-Kampel aus Graz oder das – leider nicht veröffentlichte – Wort des literaturwissenschaftlichen Zeitexperten von der Universität München? Nunmehr stand es eins zu eins – wie im Fußball.
Doch dann eilte mir Jean-Pierre Hammer zu Hilfe, der Freund aus Paris, dessen originelle Beiträge zur Lenauforschung ich nicht einmal adäquat berücksichtigt hatte, weil er essayistisch vorgegangen war, und attestierte meinem Buch die in Würzburg bezweifelte Kompetenz. Jean Pierre Hammer, ein Linker aus Überzeugung, Freund und Übersetzer Wolf Biermanns, über Frankreich hinaus bekannter Musiker und Maler, schrieb als Professor der Université Paris VII folgendes:
„Carl Gibsons Essay über den Dichter Nikolaus Lenau bricht eindeutig mir einer hergebrachten Kritik, die in Lenau nur den Dichter des Weltschmerzes sehen wollte. Ein Gesamtbild entsteht, das ganz neue Einblicke in Lenaus Leben und Werk gewährt. Lenaus Auseinandersetzung mit der Zeit Metternichs wurde bisher nur selten erwähnt. Dasselbe gilt von den epischen Werken, die Gibson mit Recht sehr eingehend analysiert. Wir haben es hier mit einer offenen, mutigen Auffassung der Germanistik zu tun, die vorbildlich neue Wege bahnt und das Verhältnis zwischen Literatur und Wirklichkeit, Tradition und Modernität immer ins Auge fasst. Carl Gibsons Buch über Lenau ist meines Erachtens eine eindeutig vorbildliche Arbeit. Paris, 29. April, 1991.“
Aus diesen Zeilen sprach der geistesverwandte Lenau-Freund, der noch eindeutiger fühlte, was für das bewunderte Dichteridol geleistet worden war.
Damit stand es in dem makabren Spiel, das ich lieber nichts gespielt hätte, eins zu zwei. Die Meinung der Dame aus Graz fiel zurück. Weitere Statements folgten. In einem so genannten Gutachten unterstützte mich ein Literaturprofessor aus Hessen, der im Gegensatz zu anderen Kollegen nicht vergessen hatte, mein Lenau-Werk positiv in seinen Aufsätzen zu würdigen, mit einigen Sätzen, die meiner damaligen Bewerbung beim Goethe-Institut beigefügt wurden, indem er schrieb:
"Ich kenne Herrn Gibson, persönlich, von einer Tagung der Lenau-Gesellschaft, die 1989 u. a. in Stockerau bei Wien stattfand, sowie, fachlich, aus seiner Lenau-Monographie, die im gleichen Jahr erschien. Herr Gibson ist ein leidenschaftlicher Liebhaber „seines“ Dichters Lenau, den er mit guten Gründen für einen noch immer unterschätzten Autor hält. Er versteht es, Lenau in wichtige gesamteuropäische Zusammenhänge einzuordnen. Über die nun bei meinem Kollegen Theo Meyer geplante Dissertation kann ich keine Auskunft geben, doch möchte ich als sehr positiv hervorheben, dass Herr Gibson schon vor der Promotion den Mut zu einer anspruchsvollen Buchpublikation hatte.“
Dieser menschlich sehr angenehme Professor hatte keine Rechnung mit mir offen – ganz im Gegenteil. Und er hatte auch keine Schwierigkeiten, meine Arbeit, die jeder Professor allein schon vom eingebrachten Aufwand her einschätzen konnte, positiv zu gewichten. Also stand es eins zu drei auf der imaginären Tafel. Frau Müller-Kampels Beurteilung meiner Leistung schrumpfte.
Andere Rezensionen trudelten ein. In den "German studies" aus den Vereinigten Staaten von Amerika hieß es:
Carl Gibson, Lenau. Leben – Werk –Wirkung contends that Lenau has received inadaquate attention from scholars, despite his reputation as a classic. A „Forschungsbericht“ is followed by a general characterisation, then by a section, in which Gibson deals with Lenau’s works and a section on Lenau’s reception. Gibson is concerned with the evolution of some of Lenau’s philosophical ideas on the spiritual line connecting him with Nietzsche. He finds much to criticize on the standard image of Lenau (especially in biographical approaches), an his book is extent provocative, engagingly written, eclectic, looking at Lenau from different aspects and going some of the way to mapping out the philosophical, poetic co-ordinates of his life and work; its main flaw is its disjointedness, for a central thesis does not emerge and the reader is irritated by shifting perspectives and lack of sharp focus.”
Das ist eine ganze Menge Ehre für einen Erstling, während manches Professorenbuch überhaupt nirgendwo registriert wurde.
Das Multiperspektivische, das an die Flexibilität und Mobilität des Geistes appelliert, ist nicht jedermanns Sache. Doch das aufrichtige Engagement wurde erkannt. Darüber hinaus kam dieses positive Feedback aus dem fernen amerikanischen Ausland.
Eins zu vier. Leporellos neue Liste verschob sich weiter – gegen die singuläre Meinung der gedächtnisschwachen Professorin aus Graz.
Eigentlich konnte ich schon zufrieden sein. Doch es kam noch mehr.
Heinz Rölleke aus Wuppertal kam in seiner mir etwas tendenziös und ambivalent erscheinenden Buchbesprechung zu dem Ergebnis:
"Wie die Trias des Untertitels anzeigt, möchte Gibson dem Gesamtphänomen „Lenau“ auf relativ schmalem Raum gerecht zu werden versuchen; er sieht sich dazu durch eine divergierende Forschungslage veranlasst, deren in jüngster Zeit tatsächlich nicht immer befriedigenden Ergebnisse eingangs (zu) kritisch referiert sind.(…)Einlässlicher werden die Versepen auf dem geistesgeschichtlichen und biographischen Hintergrund vorgestellt, wobei besonders das Scheitern der Albigenserdichtungen mit interessanten Argumenten neu diskutiert wird. Die Wirkungsgeschichte erscheint etwas pointillistisch-beliebig, obwohl insgesamt ein imponierendes Spektrum von Philosophen, Dichtern und Komponisten zustande kommt: Zuweilen handelt es sich um wenig sagende briefliche Erwähnungen (Droste), manchmal bleiben die etwas plakativ behaupteten Spuren poetischer Lenau-Rezeption ( etwa bei Hofmannsthal oder Heym) zumindest in Gibsons Darstellung recht vage – Indes: Wenn das von sympathischem Engagement getragene Buch zu Widerspruch und Zustimmung Anlass gibt, ist der Lenau-Forschung in jedem Fall gedient“( 1990/3)
Genau das wollte ich erreichen. Die Forschung aufrütteln, sensibilisieren, damit wieder mehr über Lenau geforscht wird; dass über den Dichter aus dem Banat mit der Brückenfunktion selbst zu Rumänien, wo er von Eminescu rezipiert wurde, wieder Bücher geschrieben werden – und nicht nur kleine Miniaufsätze mit Alibifunktion.
Allein in das "imposante Spektrum" an Wirkungsgeschichte hatte ich viele hundert Stunden investiert – und dabei im Einsatz für die Wissenschaft persönliche und familiäre Dinge zurückgestellt.
Was wusste jene steirische Dame davon, als sie eingepfercht zwischen den Scheuklappen destruktiver Negativität, ihrem Furor freien Lauf ließ?
Natürlich hatte ich mir mehr Zustimmung erhofft – doch was kam, war schon überproportional viel. Langsam zeichnete sich ab, dass ungeachtet einiger Anfeindungen, mein "Lenau" nicht mehr zu ignorieren war.
Nur die Lenau-Gesellschaft, unter deren Fittichen zahlreiche osteuropäische Literaturwissenschaftler Zuflucht gesucht hatte, war nicht mehr gut auf mich zu sprechen.
Die marxistischen Interpreten mit dem roten Parteibuch in der Schublade und der Kooperationsverpflichtung beim Geheimdienst liebten mich vor allem deshalb nicht, weil ich ihre offiziell aufoktroyierte Methode sozialistischer Literaturwissenschaft missbilligte und als überaus einseitig zurückwies.
Wohl kannte ich meine Pappenheimer gut – nur wussten jene nicht, dass ich zufällig aus Temeschburg stammte; dass ich im Heideland Banat, unweit von Lenau Wiege, gelebt, gespielt und auch gelitten hatte - und dass ich, mehr als andere, ein gebranntes Kind des Kommunismus war, der die Segnungen der linken Ideologie in Folterzellen erfahren durfte.
Mein "Lenau" hatte mir nicht nur Freunde gemacht. Es gab auch Neider und vielleicht sogar Feinde.
Beim Listenstand eins zu fünf folgte das Statement eines Professors aus Norddeutschland, dessen Arbeiten über Lenau ich immer schon schätzte und auch gewürdigt hatte. In seinem Brief vermerkte er freimütig:
"Auf Ihr Lenau-Buch habe ich nicht reagiert, weil eine Antwort eigentlich sehr lang sein müsste, um ihm gerecht zu werden. Ich hoffte, dass man sich einmal treffen würde, weil ein Gespräch hilfreicher ist als einige verkürzende Sätze. Hauptproblem ist in meiner Sicht, dass ihr Buch sehr ungleichmäßig ist, dass neben vielen anregenden und (mich) überzeugenden Beobachtungen und Interpretationen auch Vorurteile und unbegründete Polemik steht. So schwankt das Urteil je nach dem Einstieg. Meiner Meinung nach ist die methodische Basis, von der die Urteile begründet werden können, zu schwach ausgeprägt. Ich buche die Arbeit durch eine Reihe gelungener Passagen durchaus als einen Gewinn für die Lenau-Forschung. Zwar stören mich die oft unbegründeten Attacken, aber ich kann davon absehen, weil ich andere Teile überzeugend finde. Allerdings sehen dieses Verhältnis zahlreiche mir bekannte Lenau-Forscher und auch Rezensenten anders, viel schärfer, wie Sie mittlerweile wissen und gelesen haben. Da auch im Lenau-Forum eine längere Kritik Ihres Buches stand und sie einige der die Lenau-Forschung seit langem tragenden Kollegen etwas rüde abgekanzelt haben, war dort die Neigung gering, Sie zu der letzten Tagung einzuladen, die im September in Temesvar stattfand. Wenn Sie weiterhin über Lenau arbeiten wollen, kann ich gerne versuchen, eine Einladung zur nächsten Tagung (die noch nicht feststeht) zu erwirken. Was Ihre Amerika-Pläne betrifft: Ein Aufenthalt dort ist in jedem Fall eine interessante und gute Erfahrung. Sie sollten die Chance wahrnehmen, wenn sie sich Ihnen bietet.“
Danke, Herr Professor! Auch ich verbuche Ihren sehr offenherzigen Brief als Gewinn. Eins zu sechs!
Schade nur, dass Sie in meiner Geburtsstadt – wo man den Propheten wohl nicht haben will – in der Gesellschaft von Kollegen verbringen mussten, die, aus Angst vor der Stasi, in Paris mit Jean-Pierre keine Tasse Kaffee zu trinken wagten.
C`est la vie.
Also hatte ich mich in die Nesseln gesetzt und hatte offensichtlich Feinde, auch in der Wissenschaft.
Weshalb sollte es mir besser ergehen als Goma und anderen Querköpfen aus dem Exil?
Aus dem Schreiben des Professors ist klar ersichtlich, dass eine größere Zahl so genannter Lenau-Forscher, alles gekränkte Staatsdiener, zum Teil von Diktaturen bezahlt, hinter meinem Rücken eine Phalanx bildeten, um den kleinen Studenten, der noch nicht einmal einen akademischen Abschluss vorweisen konnte, wie ein Rebhuhn abzuschießen.
Ein Bild drängte sich mir auf, das ich einst in einem schön illustrierten Märchenbuch gesehen hatte, als ich die Geschichte von den Sieben Schwaben las. Doch jetzt sah ich keine wackeren Schwaben, die sich an den riesigen Speer klammerten und auf das Hasen-Ungeheuer los gingen, sondern sieben Professoren unterschiedlicher Nationen völkerverbindend vereint, die sich auf einen ketzerischen Studiosus stürzten.
Nur konnte ich sie nicht genau erkennen; Zipfelmützen, Perücken, Pickelhauben und Flügelhelme, wie einst von Hagen von Tronje und anderen Burgundern getragen, kaschierten ihr Gesicht.
Wer auch immer den Verriss meiner jahrelangen Forschungsarbeit angeregt und der damals ebenfalls noch jungen Rezensentin den richtungweisenden Freibrief uneingeschränkter Negativität erteilt hat, wird dies mit seinem Gewissen auszumachen haben. Die Dame schweigt auch heute noch und schützt ihre potentiellen Auftraggeber.
Forschung, das ist immer freie Forschung – und nicht das Zusammenrotten von Personen mit gleichen Interessen im Klüngel.
Dem Angriff der Vielen auf den Einen folgte natürlich der Boykott meiner Publikation und meiner Thesen, denen nur die wenigsten unter den Germanisten folgen konnten, weil – und das ist kein Geheimnis – in jenem Bereich der philosophische Unterbau fehlt. Doch der Boykott meiner Person durch Nichteinladen und meiner Publikation durch Nichtzitieren funktionierte nur bedingt und nur kurze Zeit.
Ein Wert schafft sich seinen Weg und lässt sich nicht aufhalten, schon gar nicht durch Eifersüchteleien irritierter Literaturfunktionäre, die, statt zu forschen und zu publizieren, Ränke schmieden und auf kleine Studenten schießen.
"Das Licht vom Himmel lässt sich nicht versprengen,
Noch lässt der Sonnenaufgang sich verhängen
Mit Purpurmänteln oder dunklen Kutten – "
Mit diesem Albigenser-Motto, das selbst die beiden Theoretiker des Kommunismus Marx und Engels beeindruckte, beantwortete Lenau bereits mein Problem.
In der Diktatur hatte ich den Zynismus und die Schäbigkeit rumänischer Geheimdienstler kennen gelernt – jetzt erfuhr ich auch die Schäbigkeit deutscher Professoren.
Das waren vollkommen neue Erfahrungen. Kämpfer, die mit offenem Visier kämpfen und nicht aus dem Gebüsch schießen, haben immer Feinde.
Viel’ Feind, viel’ Ehr?
Das ist das Los des Kämpfers, ganz egal an welcher Front er kämpft.
Als ich aus meiner Spelunke heraus forschte und schrieb, hatte ich keinen akademischen Betreuer an meiner Seite und keinen Professoren-Zuträgerapparat, der Ideen abliefert, wenn man selbst keine hat.
Theo Meyer; der Einblick nahm, um das Buch dem Verleger zu empfehlen, war viel zu vornehm, um korrigierend einzugreifen. Er hielt sich rücksichtsvoll zurück und ließ mich frei gewähren, auch weil ich ein freies, ein de facto außerakademisches Werk verfasste.
So stand ich mit meinem Buch allein da, agierte allein und veröffentlichte allein –
und musste – weitgehend allein auch meine Suppe auslöffeln, die ich mir im Überschwang trotz bester Intentionen eingebrockt hatte. Auch Löwen ziehen sich in ihre Höhle zurück und lecken ihre Wunden nach dem Kampf.
Doch ich fand auch Balsam in der Freundschaft und Solidarität meiner Mitstreiter. Und bei Menschen, die ich nur flüchtig kennen gelernt hatte. Seinerzeit in Ungarn hatte ich auch Professor Viktor Suchy, der lange Jahre das Forschungszentrum für österreichische Literatur in Paris leitete, einen "Lenau" in die Hand gedrückt. Während andere, die virtuos begeisterte Zustimmung zu heucheln verstanden, klanglos in der Obskurität verschwanden, zimmerte Viktor Suchy eine umfassende Rezension, die sich über mehrere Seiten hinzog und gerade noch im Lenau-Forum erscheinen konnte, bevor der Widerstand gegen meine Person ausbrach. Professor Suchy, ein profunder Kenner Lenaus, hatte mein Buch sehr genau gelesen und dabei die Stärken und auch ein paar Schwächen erkannt. Er schrieb – und dies nicht nur für Lieschen Müller - folgendes:
"Wir haben die beachtenswerte Arbeit von Carl Gibson über „Nietzsches Lenau-Rezeption“ bereits kennen gelernt. Nun lässt er ihr sein in mancher Hinsicht brisantes Lenau-Buch folgen. Sein Buch zeugt von einer sehr genauen Kenntnis der Werke und Briefe Lenaus und sucht am Ende auch die „geistesgeschichtliche Wirkung des Dichters“ in zweifacher Hinsicht zu zeigen: einmal rezeptionsgeschichtlich das Werk des Dichters im Urteil seiner Zeitgenossen, andernteils wirkungsgeschichtlich als Vorbild für die bedeutendsten Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zu den Komponisten, die seine Gedichte vertont haben.
Für Gibson ist Lenau ein Vordenker der dionysischen Lebensphilosophie, wofür sein Buch den Nachweis führen will. Seine Arbeit über Nietzsches Lenau-Rezeption bildete sozusagen ein Prolegomenon dazu. Zunächst verfolgt er Lenaus Entwicklungsprozess am Leitfaden der Biographie des Dichters. Der zweite Teil, der zunächst textkritisch verfährt, untersucht dann von der frühen Lyrik über die Versepen bis hin zur späten Lyrik Lenaus Dichtung, die für ihn immer mehr zu einer lebensphilosophischen, dionysischen im Sinne Nietzsches wird. Mit ihrer Hilfe – so die These Gibsons – habe Lenau seine Melancholie, seinen Pessimismus und zugleich auch sein Christentum überwunden.
„Im Mittelpunkt dieser Studie steht die streng textorientierte philosophische Deutung des Dichterphilosophen Lenau“. Der Autor will das durch die Lenau-Forschung, der er mehr als kritisch gegenüber steht, Gesicherte nicht mehr erörtern, sondern er konzentriert sich hermeneutisch auf Bereiche, die seiner Meinung nach nicht adäquat berücksichtigt beziehungsweise kontrovers diskutiert worden sind. Sein Lenaubild ist auf Grund seines Ansatzes dreifach: er spricht von einem „kritischen Lenau“, einen „dionysischen Lenau“ und einem Lenau, von dem eine „direkte Linie zu Nietzsche“ führt. Das ganze Buch dient – fast möchte man sagen der „fixen Idee“, Lenau habe mit seiner Dichtung die Gedanken Nietzsches schon vorweggenommen. So erscheint das Buch –bibelexegetisch gesprochen – manchmal wie eine „relecture“ der Lenauschen Texte, die mit den Augen Nietzsches gelesen wurden, die fast schon auf die Entwicklung von Marx bis Sartre vorausblicken. Ob diese Sicht Gibsons tatsächlich stimmt, müsste durch eine sehr genaue nicht nur textkritische, sondern auch ideengeschichtliche und weltanschauliche Analyse untersucht werden, die in unserem Rahmen leider nicht geleistet werden kann. Vielleicht wäre es für den Leser leichter gewesen, wenn Gibson schon am Anfang seinen geistesgeschichtlichen Vergleich zwischen Lenau und Nietzsche dargeboten hätte, der tatsächlich sehr beachtenswerte Parallelen aufweist."
Auf diese Weise kann das gleiche Buch auch rezipiert werden.
Neueste Punktestand in Leporellos Register:
eins für Frau Müller-Kampel von der Universität Graz - und sieben für den Autor des "Lenau" aus Temeschburg im Banat!
Das entspricht der objektivierenden Kraft des Faktischen, die durch keine Bosheit zu erschüttern ist. Professor Suchys positive Form der Analyse war nicht nur Balsam für meine geschundene Seele, sondern auch eine Bestätigung für Professor Theo Meyer, der immer hinter mir stand.
In einer gutachterlichen Stellungnahme zu meiner wissenschaftlichen Qualifikation schrieb mein Lehrer – für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt – folgendes:
"Herr Carl Gibson M.A. hat sich durch literaturwissenschaftliche Veröffentlichungen, durch seine vorzügliche, höchst konstruktive Mitarbeit in meinen Hauptseminaren und Kolloquien zur neueren Literaturgeschichte und überhaupt in vielen wissenschaftlichen Diskussionen ausgezeichnet. Er hat zudem mit großem Erfolg als Lehrbeauftragter ein Seminar über das Faust-Motiv in der Dichtungsgeschichte angehalten. In seiner mehrjährigen Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft hat er sich als produktiver Geist bewährt. Er verbindet ein engagiertes literaturkritisches Problembewusstsein mit einem profunden literaturhistorischen Wissen, analytische Interpretationsfähigkeit mit ästhetischem Einfühlungsvermögen. Hinzu kommen seine pädagogisch-didaktischen Fähigkeiten, seine ständige Bereitschaft zur Kommunikation mit den Studierenden. Er hat die Studenten immer wieder zur intensiven Beschäftigung mit der Literatur angeregt, ihnen wertvolle Impulse gegeben und bei ihnen ständig positive Resonanz gefunden. Besonders hervorzuheben ist das von Herrn Gibson veröffentlichte Lenau-Buch( Lenau. Leben – Werk – Wirkung, Heidelberg 1989). Es handelt sich dabei um eine exzellente Publikation, deren Pionierleistung in der Entdeckung des „dionysischen“ Lenau besteht. In einer konzisen Phänomenbeschreibung und höchst luziden, engagierten Interpretation hat Herr Gibson innovatorische Aspekte zur Dichtung Lenaus entwickelt. Dieses Buch ist sicherlich ein Markstein de Lenau-Forschung. Es ist überhaupt die prägnanteste Lenau-Monographie. Es dürfte zum Besten gehören, was über Lenau überhaupt geschrieben worden ist.“
Dieses entschiedene Plädoyer extremer Positivität ist nicht mehr zu steigern. Das sind Worte des Freundes, der dem Bedrängten zu Hilfe eilt, um ihn, nach antikem Vorbild, mit seinem Schild zu schützen; Worte, angesichts der Ungerechtigkeiten, die uns beide umgaben, ausgesprochen werden mussten.
Nur die Dame aus der schönen Grazer Bergwelt sah die Dinge ganz anders – und vielleicht auch jene, die sie zu dem Verriss animierten.
Leporello meldet: eins nach Graz – acht für den geächteten Autor des Lenau.
Erdrückend!
Trotzdem - Entwicklungen, die von einem Mehrheitsbeschluss von zwei Professorenstimmen gegen eine – bei einer Enthaltung – durchgesetzt werden konnten, waren nicht mehr aufzuhalten.
Zwei Platzhirsche, die von höherer Warte aus und für alle Ewigkeit in jenen Dschungel versetzt worden waren, wollten nicht, dass auch meine ketzerischen Irrlehren Gehör fanden und das schon bestehende Abweichlertum eines anderen Dissidenten am Galgenberg verstärkten.
Damit wurde der Galgenberg tatsächlich zu meinem Golgotha. Was die Securitate nicht geschafft hatte, erreichten zwei deutsche Professoren und eine nicht ganz unfreiwillige Helferin aus Graz, der er heute fast leid tut, mit ihrer Polemik eine Existenz vernichtet zu haben.
Die Götter hatten es so gewollt. Und das gute alte Gewohnheitsrecht, das an der Alma Mater viel Staub und Patina angesetzt hatte, zumindest im alten Würzburg, wo seit Kilians Zeiten die Uhren etwas anders gingen.
Vom Ende meiner "akademischen Freiheit" - eine moderne Mobbing-Geschichte aus der "Würzburger Doktorfabrik"
Alles schien schon einmal da gewesen zu sein: der Kampf für eine Idee, der Sonnenaufgang, der Weg zum Zenit, das Bröckeln des Ideals.
Und jetzt kam alles wieder als unselige Wiederkunft des Gleichen; auch die erneute Konfrontation mit der Inquisition und mit den perfiden Mitteln der Inquisition, nur subtiler auf einem höheren Niveau – und damit perfider, viel perfider.
Als die Institutsquerelen um meine Person immer weitere Kreise zogen und die Rivalen meines Lehrer nunmehr auch noch nach formalen Gesichtspunkten suchten, um mich von künftigen Lehrbetrieb fern zu halten oder um mir die Lust an einem Wirken zu nehmen, fühlte ich mich zunehmend an jenen Skandal erinnert, der dem Würzburger Universitätsbetrieb bereits bundesweite Schlagzeilen eingebracht hatte – an den Fall Bossle, bei dem Promotionskandidaten von irgendwo, die nie einen Fuß in die Hallen der alten Universität gesetzt hatten, sozusagen en passant – quasi auf der Durchreise, promovierten.
Das Hamburger Magazin "Die Zeit", das ich auch dann noch las, als ich die gelegentlich von Hetze durchsetzten Seiten des "Spiegel" längst beiseite gelegt hatte, berichtete seinerzeit darüber ganzseitig. Das geflügelte Wort von der "Würzburger Doktorfabrik" machte damals die Runde und ein möglicher neuer Grad – der "Dr.bossl", dessen Einführen ratsam erschien, um die regulär Promovierten zu schützen. Fast schämte ich mich damals schon, auch in Würzburg zu studieren.
Lothar Bossle, ein jovialer, konzilianter und freundlicher Professor der Soziologie, galt als ein Protegé des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, der von diesem selbstherrlich zum Professor berufen und in Amt und Würden eingesetzt worden war, weil er der CSU-Politik nahe stand, als Strauß’ Wahlhelfer wirkte und wohl auch zu den persönlichen Freunden des uneingeschränkt regierenden Landesfürsten zählte. Ein Strauß-Sohn war bei ihm Doktorand.
Nepotismus sagte man dazu in der Zeit des Borgia-Clans. Der Zufall, der in meinem Leben immer wieder sonderbare Situationen heraufbeschworen hatte, wollte es, dass dieser inzwischen mehr berüchtigte als berühmte freundliche Professor, der nur in der soziologischen Fachwelt kein Renommee genoss, Prüfungsvorsitzender war, als im Februar 1991 meine akademische Abschlussprüfung zum Meister der Künste anstand.
Auf der einen Seite im Raum saß mein philosophischer Lehrer, Professor Heinrich Rombach; auf der anderen Theo Meyer – ich stand dazwischen; und am Ende des Tisches thronte Professor Bossle, der von Franz Josef Strauß forciert gegen den Willen der Studenten und zahlreicher Lehren durchgesetzte Soziologieprofessor aus Lörrach, und folgte mit großen Wohlwollen meinen Ausführungen. Damals wusste ich nicht allzu viel vom Werdegang des Schöpfers der Würzburger Doktorfabrik, nur das, was in dem Magazin zu erfahren war. Und gerüchteweise einiges von dem, was heute explizit im Internet nachgelesen werden kann.
Lothar Bossle hatte angeblich zusammen mit meinen Lehrer in Völkerrecht, Professor Blumenwitz, dessen Name mir zuerst bei der Gesellschaft für Menschenrechte aufgefallen war, an der chilenischen Verfassung mitgearbeitet, die nach dem Sturz Salvador Allendes durch die Militärs von General Pinochet in Auftrag gegeben worden war.
Mit General Jürgen Bennecke, zeitweise Oberkommandierender der NATO-Streitkräfte und Klaus Hornung von der Pädagogischen Hochschule Reutlingen, deren politologische Lehrveranstaltungen als Gastdozenten ich in Freiburg absolviert hatte, galt Lothar Bossle, von kontroversierten NS-Richter und späteren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg Filbinger zum Professor gemacht, als ein strammer Rechter.
Meine Würzburger Lehrer, die zum Prüfungsvorsitzenden scheinbar ein besseres Verhältnis hatten, als zu Kollegen aus der eigenen Fakultät, fragten in der Prüfung jedoch nicht nach weltanschaulichen Überzeugungen, sondern nach konkreten Ideen Nietzsches.
Im Prüfungsgespräch sollte ich über die Phänomene des Dionysischen und des Apollinischen Auskunft geben und über andere Gedanken und Ansätze des Jahrhundertphilosophen, von denen ich wusste, das Meyer und Rombach, die schon mehrfach zusammen geprüft hatten, sie unterschiedlich, ja gegensätzlich interpretierten. Auf wessen Seite sollte ich mich nun schlagen?
Während ich das Dilemma diplomatisch zu lösen versuchte und einmal den einen Mentor und dann den anderen mit passenden Antworten versöhnte, ohne die geistige Konkurrenz zu übersehen, die im Raum lag, merkte ich, wie Professor Bossle, von der hohen Geistigkeit der Diskussion sichtlich angetan, immer wieder zustimmend nickte. In der Tat, ein freundlicher Herr dieser Doktormacher, ein versöhnlicher Charakter, der mit seiner positiven Konditionierung mein gutes Prüfungsergebnis eher förderte als es zu gefährden.
Was hätte ich ihm damals vorwerfen sollen? Schließlich hatte er durch seine selbstherrlichen und in München geduldeten Praktiken nicht nur den Ruf der soziologischen Fakultät ruiniert, sondern auch das Image der gesamten Würzburger Alma Mater.
Einige Zeit rümpfte man gar landesweit über Würzburger Abschlüsse und Titel anderer Fakultäten die Nase. Doch ohne Konsequenzen für den Soziologen.
Lothar Bossle blieb und war – ungeachtet des bundesweit bekannt geworden Skandals – immer noch da. Durfte ich mich nach diesem skandalösen Präzedenzfall wundern, dass es an anderen Instituten der Universität nicht viel anderes zuging und dass menschlich-allzumenschliche Rivalitäten und Grabenkämpfe mit harten Bandagen ausgetragen wurde, jenseits von aller Ethik und Moral – und ohne Rücksicht auf Verluste. Von den Bestien in Terrarium, von den niederen Schergen der Miliz und der Securitate, hätte ich alles erwartet, nichts Verwerfliches aber von einer deutschen Hochschule oder einem deutschen Professor.
War ich in diesem Punkt naiv?
Vielleicht!
Die Integrität des deutschen Bildungswesens war für mich ein Teil des Ideals, das ich mir zurechtgelegt hatte und das ich so lange aufrechterhielt, bis es herb enttäuscht wurde. Langsam kam ich mir vor wie ein verirrter Esel, ein idealistischer Narr, der nach jahrelanger Fixierung auf einen großen Forschungsgegenstand, teils blind geworden und vielleicht auch schon leicht realitätsfremd, ins Sperrfeuer geraten war –wie Bileams Esel. Die Kugeln der Intrigen prasselten mir auf das Fell – und manche erreichten auch das innerste, die Seele.
Am philologischen Institut, wo ein anderer Klüngel konspirierte, sah es nicht besser aus als im soziologischen. Mir wurde kurzerhand indirekt von den Rivalen meines Lehrers vorgeworfen, dass ich überhaupt unterrichtete, dass ich deutsche Literaturwissenschaft dozierte, obwohl ich doch eigentlich ein Hauptfachphilosoph war – und Historiker. Dieser formale Vorwurf, von dem ich mittelbar aus einem Schreiben Theo Meyers an den Dekan erfuhr, wurde allerdings erst bemüht und erhoben, als sich die Infragestellung meiner wissenschaftlichen Kompetenz über den Verriss der möglicherweise instrumentalisierten Frau Müller-Kampel in Luft aufgelöst hatte. Beim Stand von eins zu acht. Der gegnerischen Seite waren auch die nicht publizierten Stellungnahmen der Kollegen bekannt. Ein Verriss gegen Ausgewogenes und Positives - das war kein gutes Ergebnis.
Die inszenierte Demontage eines Lehrenden über eine sonderbare Rezension, die, wenn der Anstand in der Wissenschaft noch verbreitet gewesen wäre, sofort durch eine andere Gegenrezension von neutraler Seite aus hätte aufgehoben werden müssen, hatte fehlgeschlagen. Also suchte man nach einem anderen Haar in der Suppe, das gespalten werden sollte – und dies alles hinter meinem Rücken, ohne überhaupt mit mir über meine Zukunft, die mich etwas anging, zu sprechen. Erst als ich selbst in die Offensive ging und in einem Vorgespräch für meinen inzwischen gedruckten "Lenau" den Doktortitel einforderte, fand sich Professor Pfotenhauer bereit, kurz mit mir zu reden, ohne jedoch zu einem Konsens zu gelangen. Er war sich mit seinem Kollegen, Professor Hess einig, dass ich besser nicht vor jungen Studenten über den jungen Goethe reden sollte, aus welchen Gründen auch immer.
Ein weiterer Historiker, Professor Baumgärtner, der mir noch nie persönlich begegnet war, stieß zu der Front und verstärkte ihre Zahl, aber nicht ihre Argumente.
Dann schrieb das Triumvirat an den Dekan Peter Baumgart und forderte die Absetzung der von mir bereist vorbereiten Lehrveranstaltung über den jungen Goethe. Was wohl in dem Schreiben, das schwerwiegende existentielle Auswirkungen hatte, stand?
Vielleicht hatte die hohe Akzeptanz meines Faust-Seminars einige Leute erschreckt, weil in meinem Seminarraum mehr Studenten saßen als in etablierteren Vorlesungen? Zustände wie im Mittelalter zur Zeit des Dominikus!
Drei Professoren, die überhaupt nichts von mir wussten, die nichts von meiner Vergangenheit ahnten, nichts von all den entfalteten idealistischen Aktivitäten an verschiedensten Fronten, die die Hölle, die ich zeitweise durchlebt hatte, bestenfalls aus Dantes Schilderungen kannten, wollten nicht, dass ich an dem Institut einer öffentlichen Einrichtung lehrte. Einfach so. War das nicht Willkür? Oder – wie es heute im Neusprech heißt:
Mobbing?
In Amerika wären sie dafür verklagt worden. Doch in Deutschland - und in einer der schwärzesten Ecke Bayerns, in Würzburg?
Was galt da die "Freiheit" von Forschung und Lehre in einer Zeit, wo der rührige und umtriebige Doktormacher Bossle unter der Ägide von Franz Josef Strauß ungehindert tun und lassen konnte, was er wollte?
Der Fall Bossle wirkte als Vorbild und ermutigte andere, es ihm gleich zu tun und über Intrigen ihre Interessen zu wahren. Zum Wohle der deutschen Wissenschaft. Ihre Narrenfreiheit im Bunde mit dem Dekan, reichte aus, um meine Lehre faktisch zu verhindern und meine wissenschaftliche Laufbahn zu beenden. Was war meine Verhinderung gemessen an dem, was Lothar Bossle an Image-Schaden vorgelegt hatte?
Ich brauchte lange, bis ich begriff, was da ablief. Und ich brauchte noch länger um mit dem Rückschlag fertig werden, der nicht nur mein Wirken in Würzburg beendete, sondern ein Ideal zerstörte, ein Ideal, das ich in meiner Vorstellung auf die gesamte Bundesrepublik und den freiheitlichen Westen ausgedehnt hatte – als moralisches Gegengewicht zu einer arg entarteten pseudosozialistischen Welt im Ostblock.
General Taurescu hätte selbstgefällig gelacht, wenn er meine Niederlage erlebt hätte. Plötzlich war auch ich ein Opfer der "Freiheit" geworden, weil ich den Umgang mit ihr noch nicht begriffen hatte. Das blinde Ideal erhielt die "Freiheit" nicht, im Gegenteil: Es zerstörte sie!
Hätte ich damals auf die Barrikaden gehen sollen?
Hätte ich als alter Dissident die deutsche Öffentlichkeit suchen sollen, zumal ich in der Lage war, auch den formalen Vorwurf des Zweitfächlers – die Studienordnung war nicht von mir so konzipiert - durch ähnliche Präzedenzfälle zu entkräften?
Ein Kolleg aus dem Rombachkreis, der bald darauf ins Ausland ging, weshalb wohl, war als Philosoph, der Philologie dozierte, in der gleichen Situation. Und der Dekan wusste davon. Angesichts solcher Ungerechtigkeiten verzichtete ich auf Aufruhr.
"Nicht ist es dein Los, Fliegenwedel zu sein",
lehrt Nietzsches Zarathustra.
Tief enttäuscht und aus der Einsicht heraus, das Dinge, die mit noblen Absichten über Jahre erstrebt und mit viel Aufopferung, Mühe und Idealismus aufgebaut wurde, nun mit der Brechstange nicht mehr zu ändern sind, zog ich mich zurück. Doch erst, als Theo Meyers protestierender Aufschrei an der starren Machtkonstellation ungehört abprallte. Theo Meyer, ein Kämpfer unter den sonst fügsamen Gelehrten, schrieb am 21 Mai 1991 an den Dekan:
"Im Hinblick auf das an Sie gerichtete Schreibender Herren Kollegen Baumgärtner, Hess und Pfotenhauer möchte ich den Antrag stellen, den Lehrauftrag für den Herrn Carl Gibson M.A. im Wintersemester 1991/92 aufrechtzuerhalten. Der Lehrauftrag ist am 18. März dieses Jahres in einer Institutssitzung von allen Professoren der Neueren Abteilung akzeptiert worden. Es ist höchst problematisch, diesen regulären Beschluss nun mit wenig stichhaltigen Argumenten aufheben zu wollen. Ich erlaube mir daher, den Vorschlag zu unterbreiten, dass Herr Gibson, dem damaligen Beschluss entsprechend, im Wintersemester 1991/92 sein Proseminar über den jungen Goethe abhält.“
Als Kompromissvorschlag stellte Professor Meyer meine reguläre Promotion als Voraussetzung für weitere Lehraufträge in Aussicht. In dem Postskriptum ging er dann noch auf das sonderbare, aus dem Hut gezauberte Zweitfächlermakel ein:
"Hinsichtlich der Erteilung eines Lehrauftrags an einen „Zweitfächler“ gibt es nach meinen Informationen im deutschen Institut bereits einen Präzedenzfall. Unter den Dekanat von Herrn Brunner soll bereits einem Magister mit dem Hauptfach Philosophie ein Lehrauftrag in der Literaturgeschichte erteilt worden sein. Ich teile dies vorläufig unter dem Vorbehalt des on dit mit. Sollte dies oben zutreffen, würde eine Zurücknahme des Lehrauftrags für Herrn Gibson ins Zwielicht geraten. Ich weiß nicht, wie man dann eine solche Rücknahme rechtfertigen will. Im Übrigen wäre zu überlegen, ob man nicht gegebenenfalls zwei kompetente auswärtige Gutachter zur Beurteilung des von Herrn Gibson veröffentlichten Lenau. Buches hinzuziehen sollte – Gutachter, die von „neutraler“ Seite bestellt werden sollten. Bisher liegen eine negative Besprechung und zwei positive Versprechungen sowie positive briefliche Stellungnahmen von Lenau-Forschern zum Lenau-Buch von Herrn Gibson vor.“
Das waren Zustände wie im alten Rom – vor Romulus und Remus; Zustände, die ein eindeutiges Licht auf die Verfassung der deutschen Akademie werfen:
Statt Leistung zu fördern und Forschung zu ermöglichen, setzen gleich drei Professoren, aus welchen Motiven auch immer, auf Verhinderung von Forschung und Lehre.
Man wollte mich, den Unbekannten, einfach nicht haben. Oder war ich inzwischen doch nicht mehr ganz so unbekannt? Kommilitonen und Freunde wunderten sich, was da ablief. Und einige, die an der Universität blieben, wussten nach Jahren noch davon.
Wem hätte mein Goethe-Seminar geschadet?
Dem katholischen Würzburg vielleicht?
Der Bischof unten in der Stadt erhob keinen Protest.
Bei Lenau und Nietzsche war das Antiklerikale nicht zu unterschlagen. Doch Goethe war ein Pantheist und setzte sich – auch in jungen Jahren – primär mit dem Polytheismus der Griechen auseinander. Hatte meine Faust-Interpretation angeeckt?
Nach Erklärungen suchend, stocherte im Dunkel, ohne auf übergeordnete Gründe zu kommen, die meinem Wort an der Akademie entgegenstanden. Ich sah nur, wie andere – über mein Haupt hinweg – über mich redeten und dabei mich als menschliches Wesen vergaßen.
Audiatur et altera pars?
Doch dieser alte römische Rechtsgrundsatz, der auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat, galt wohl nur in der anderen Fakultät.
Als die Securitate und die RK Partei gegen dieses Prinzip verstießen, hatte ich aufgeschrien, so laut ich konnte, damals, vor mehr als zehn Jahren, in der Diktatur. Und jetzt, am Born der "Freiheit" in einer demokratischen Republik der Deutschen?
Als ummittelbar Betroffener fragte ich nur: "Cui bono?"
Mir schadete dies alles erheblich – wissenschaftlich und existentiell.
Eine Welt zerbrach und dann noch eine Welt dahinter.
Denn das war nicht weniger als eine moderne Steinigung, die im Prinzip nicht anders war als das Köpfen Kilians, des irischen Missionars, vor über tausend Jahren, die Verbrennung des Pfeifers von Niklashausen unten am Main, jenes frühen Savonarola aus dem Taubergrund oder – was Würzburg noch viel Nachruhm einbringen sollte: die systematische Verfolgung von Juden und die Verbrennungen von Hexen über Jahrhunderte.
"Die Geschichte des Menschen wiederholt sich konzentrativ in der Geschichte der Menschheit",
hatte Lenau einmal klarsichtig festgestellt. In meiner Biographie fand ich eine neue Bestätigung dafür.
1993, als sich die Enttäuschung, die damals mächtiger war als der Zorn, etwas gelegt hatte, und ich wieder die Kraft aufbrachte, mit großen Widerwillen die Institutsräume der neueren deutschen Literaturgeschichte zu betreten, wurde die Frage einer Dozentur erneut aktuell.
Professor Theo Meyer, mit dem ich inzwischen seit sieben bis acht Jahren zusammenarbeitete, war der Auffassung, dass ich als sein direkter Mitarbeiter zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet war. Deshalb setzte er sich wieder für einen Lehrauftrag ein und brachte diesen auf den Weg.
In seinem Brief vom 14. Juli 1993 an den Dekan der Philosophischen Fakultät II, Professor Dr. Stefan Kummer, schreibt Meyer:
"Sehr geehrter Dekan!
Hiermit stelle ich den Antrag für ein von Carl Gibson M.A. im Wintersemester 1993/94 in der Neueren deutschen Literaturgeschichte abzuhaltendes (unbezahltes) Proseminar über das Thema „Literatur der Restaurationsepoche (Heine, Grabbe, Lenau, Büchner). Herr Gibson hat bereits im Sommersemester 1991 ein Proseminar über das Thema „Die Faustdichtungen in der deutschen Literatur“ erfolgreich abgehalten. Herr Gibson, der bereits 1986 einen Aufsatz über „Nietzsches Lenau-Rezeption veröffentlichte (in: Sprachkunst), hat ein Buch mit dem Titel „Lenau. Leben – Werk – Wirkung“ (Heidelberg 1989) veröffentlicht. Diese Arbeit ist von der Kritik im Wesentlichen sehr positiv aufgenommen worden. Neben einer kritischen Rezension liegen inzwischen drei positive Rezensionen in Fachzeitschriften vor. Zudem ist das Buch bereits mehrfach in Aufsätzen, Zeitungen, Nachschlagewerken erwähnt worden. Es liegen positive Zitationen in der Lenau-Forschung vor. Herr Gibson, der 15 Semester Germanistik studiert hat (davon 10 Semester im Hauptfach), hat im WS 1990/91 das Magisterexamen abgelegt (im Hauptfach Philosophie; Thema der schriftlichen Hausarbeit: „Das anthropologische Phänomen Einsamkeit bei Lenau“). Seit dem SS 1992 ist Germanistik wieder sein Hauptfach. Er arbeitet an einer Dissertation über Nikolaus Lenau, die in nächster Zeit abgeschlossen sein wird. Im Übrigen haben gerade in jüngster Zeit Doktoranden (Doktoranden ohne Buchpublikation) bereits vor dem Abschluss der Promotion Lehrveranstaltungen abgehalten. Ich möchte noch hinzufügen, dass das geplante Proseminar nicht nur in der Sache, vor allem im Hinblick auf die Studierenden, wünschenswert ist, sondern dass Herr Gibson auf Grund seines Arbeitsvertrags als „nebenberuflicher wissenschaftlicher Mitarbeiter“ zur Wahrnehmung von „Lehraufgaben“ verpflichtet ist."
Das waren Fakten, doch Fakten, die kein Gehör fanden.
Der Antrag meines Lehrers wurde - ohne Angabe von Gründen – abgeschmettert.
Nach den Gesetzen des common sense, der den zivilisierten Umgang der Menschen untereinander bestimmt, hätte dem fundierten Antrag eines akademischen Lehrer entsprochen werden müssen. An jeder anderen Universität vielleicht, aber nicht in Würzburg.
Um den Formalien zu genügen hätte der damalige Institutsvorstand, namentlich die Professoren Hess und Pfotenhauer, den Antrag ihres Kollegen Meyer an den Fachbereichrat weiterleiten müssen. Jenes Gremium hätte dann entscheiden können, ob das von mir abzuhaltende Seminar sinnvoll und erwünscht sei oder ob objektive Gründe dagegen sprächen.
Dazu kam es nicht.
Einer der Vorstände blockierte eigenmächtig und selbstherrlich den Vorschlag seines Kollegen Meyer, aus persönlichen Animositäten heraus oder aus wissenschaftlicher Rivalität und schuf – an der Autorität des Fachbereichsrats vorbei – vollendete Tatsachen, die für mich das endgültige Aus bedeuteten. Durch sein Handeln verstieß der Vorstand gegen die Bestimmungen über die Vergabe von Lehraufträgen – ein Detail, das Dekan und Präsident bis nicht einsahen. Obwohl ich in keiner Weise irgendeine Verfehlung begangen hatte, wurde ich ein Opfer der Willkür.
Der Institutsvorstand setzte auf die Arroganz der Macht, provozierte den Kollegen aufs Schärfte und entschied – über Theo Meyers und über meinen Kopf hinweg – wieder über meinen akademischen Werdegang in einem Institutsbereich in Würzburg.
Reinste Willkür also auch hier?
Beim Erleben nackter Eigenmächtigkeit ohne jede Aussprache, ohne jeden Dialog, fühlte ich mich, der lange Verfolgte, traumatisch zurück in die Diktatur versetzt, in die Schaltzentrale der Securitate und in jenen Glasplast in Bukarest, wo jeweils die Schergen der Systems ebenfalls die Arroganz der Macht ausgekostet hatten. Doch damals lebte ich in einem totalitären System fern von Bürger- und Menschenrechten, während ich jetzt in Würzburg weilte, im Herzen Deutschlands am Main, in einem Staat, dessen Grundgesetz verkündete, die Würde des Menschen sei unantastbar. In der nach Bonn gesandten Petition in Meersburg, wo ich für die elementaren Menschenrechte meiner Mitschüler eingetreten war, hatte ich mich schon einmal auf die grundgesetzlich verankerte "Würde"berufen und war enttäuscht worden. Jetzt, Bolero und Ewige Wiederkunft grüßten, kam alles noch einmal auf höherem Niveau – an einer deutschen Hochschule!
"J’ accuse",
hätte Zola vielleicht ausgerufen.
Meine Enttäuschung war enorm.
Professor Meyer, der wiederum brüskiert worden war, platzte diesmal der Kragen. Auch er verstand die Welt nicht mehr – die Welt in der bayerischen Provinz an einem Institut in der alten Bischofsresidenz. Nur wenige Tage nach der auch ihn schwer kränkenden Ablehnung, hinter der sich offensichtliche Rivalität, ja Feindschaft verbarg, setzte er ein Schreiben an den Dekan auf und leitete es ihm zu. Darin konnte Dekan Kummer lesen:
"Sehr geehrter Herr Dekan,
ich halte es für einen vordemokratischen, absolutistischen Missstand, dass Institutsvorstände faktisch nach eigenem Gutdünken über die Vergabe von Lehraufträgen entscheiden können. Das eröffnet der Willkür Tür und Tor. Ich habe einen sachlich begründeten Antrag auf einen Lehrauftrag gestellt, den der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Instituts ohne Angabe von Gründen nicht an den Fachbereichsrat weitergeleitet hat. Ich hätte nicht geglaubt, dass solch autokratische Praktiken noch im Jahre 1993 an einer deutschen Universität möglich sind. Dies widerspricht dem Geist und Sinn der Universität. Ich bin der Auffassung, dass die bestehende Regelung bezüglich der Vergabe von Lehraufträgen dringend einer kritischen Revision unterzogen werden muss, und stelle daher den Antrag, der Fachbereichsrat möge beschließen:
Universitätsprofessoren sind berechtigt, Anträge auf Lehraufträge dem Fachbereichsrat unmittelbar einzureichen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Anträge auf Lehraufträge nicht zuletzt von Hochschullehrern gestellt werden sollten, die durch entsprechende Publikationen ausgewiesen sind. Auch sollte es das Anliegen der Hochschullehrer sein, Lehre nicht zu verhindern, sondern zu fördern.
Was den Status von Herrn Carl Gibson M. A. betrifft, so füge ich in der Anlage eine Photokopie seines Arbeitsvertrages bei. Nach Auskunft des Rechtsbüros sind nach einer neuen Regelung alle examinierten Hilfskräfte automatisch „Mitarbeiter“. Ich möchte Sie daher bitten, die Rechtslage überprüfen zu lassen und mir das Ergebnis mitzuteilen."
Professor Meyer stellte mir eine Kopie seines Schreibens unmittelbar danach zur Verfügung. Seine beiden Kollegen hatten nicht nur mich sondern auch ihn – wie es salopp heißt - ausgebremst und auflaufen lassen– einfach so. In diesem Augenblick verstand ich ein oft zitiertes Sprichwort der Rumänen besser:
"Bevor du in den Himmel kommst, fressen dich die Heiligen auf."
So kam es auch.
Was die Securitate nicht geschafft hatte, schafften zwei hehre Geister am Galgenberg.
War das die deutsche Universität?
Was sollte noch das Geschwätz von Humanität und edlen Werten, wenn der Umgang zwischen Professoren noch rauer war als zwischen Schwerverbrechern im Gefängnis?
Einmal Professor – immer Professor!?
Auch ohne besondere Leistungen und bei maximaler Destruktivität. Wie hätte ich weiterhin in einem solch vergifteten Umfeld über hehre Dinge reden sollen, ohne mich dabei selbst ad absurdum zu führen?
Doch weshalb ging ich immer noch nicht an die Öffentlichkeit oder vor Gericht?
Dazu war ich damals zu geschwächt, zu angewidert und viel zu sehr von Ekel erfüllt. Unlängst hatte ich überraschend den Vater verloren und in der Ehe kriselte es bereits. Als nun auch noch über meine wissenschaftliche Kompetenz meine Ehre mit angegriffen wurde und ich Status und Perspektive verlieren sollte, wurde es langsam zu viel.
Auch ein Marathonläufer werde einmal müde, hatte der alternde Fidel Castro einmal gesagt. Damals war ich es auch.
Dem euphorischen Aufbruch, der lange anhalten kann, folgt irgendwann die Depression. Enttäuschung kam auf, gefolgt von Resignation.
Alles kam auf einmal – und alles lief schief. Und was hatte ich eigentlich verbrochen bis auf den Aspekt, dass ich mich vielleicht zu heftig für ein Idol und für Ideen eingesetzt hatte?
Weder hatte ich taktiert, noch hatte ich strategisch agiert, um zu meinem Ziel zu gelangen, auch hatte ich nicht gekatzbuckelt, nicht antichambriert, nicht hofiert, nicht konziliant alle nach allen Seiten gelobt und mit einbezogen, weil es nicht prinzipiell war und weil der Forschung damit nicht gedient gewesen wäre. Forschung fordert genauso konsequentes Vorgehen wie die politische Haltung in der Gesellschaft.
Ein Dissident kann nicht anders. Er bleibt seinen Werten treu, auch in der Wissenschaft.
Am Institut für deutsche Philologie wäre ein eiserner Besen dringend notwendig gewesen und ein umfassender Kehraus. Außerdem hätte man an der Pforte des Instituts ein Warnschild anbringen müssen, das alte "Cave canem" der Römer, welches alle Idealisten von den hehren Hallen in Beton abgehalten hätte. Die Institution Deutscher Professor hatte einen scharfen Riss bekommen.
Wie spottete einst Kommilitone Klaus im Cafe Hawelka in Wien?
Der außerordentliche Professor leistet nichts Ordentliches und der ordentliche Professor nichts Außerordentliches!
Wie wahr, wie wahr!
Es war höherer Wille, dass ich gehen sollte – und ich beugte mich der Willkür und ging, angewidert und von Ekel erfasst, nachdem ich die Niederungen der höheren Sphären voll ausgekostet hatte.
Ein nackter David verlor diesmal die Schlacht gegen die ehern gerüsteten Goliaths.
"Wer einmal mit den Gämsen Luft getrunken,
atmet nicht mehr behaglich bei den Unken",
lässt Lenau seinen Faust aufrufen, während dieser zum Berggipfel strebt wie Byrons Manfred.
Diesen beiden heroischen Gipfelstürmern war ich hinauf gefolgt - zum Olymp, zum Parnass, in der Hoffnung, dort hehre Geister anzutreffen und geläuterte Existenzen.
Doch ich täuschte mich.
Wie Diogenes mit der Leucht auf dem Markt, fand ich keine Menschen, sondern – um ein Wort des Kynikers zu gebrauchen – Unflat und giftigen Sumpf, der einem den Atem nimmt, den freien Atem, der für ein freies Denken wichtig ist;
ich fand: die Niederungen der Höhe- etwas besonders Verwerfliches. Die Seele sträubte sich bis zum Erbrechen, ein Gefühl, das auch heute noch nachwirkt.
Auf der Strecke blieben einige Lebensjahre, die sich nach der Zerschlagung der akademischen Perspektive als Fehlinvestition heraus stellten.
Damit erging es mir, dem Rezensions- und Intrigengeschädigten nicht besser wie vielen anderen jungen Künstlern, die Jahre ihres Lebens in Ausbildung und – gerade in darstellenden Künsten- in Fertigkeiten investieren, um dann durch eine Negativkritik eines ressentimentbestimmten Schlechtweggekommenen und Verhinderten für immer aus der Bahn geworfen zu werden.
Soviel zur "akademischen Freiheit", wie ich sie in Würzburg am Galgenberg erlebte.
Durch mein Hinausgeekeltwerden, das im heutigen Neudeutsch Mobbing heißt, durch seine Kollegen verlor Professor Meyer einen geistigen Mitstreiter, einen Geistesverwandten und Schüler, der ihn intensiv über Jahre begleitet hatte.
Heinrich Rombach, mein anderer Lehrer, runzelte bei all den seltsamen Vorfällen, die so gar nicht dem Geist einer deutschen Hochschule entsprachen, die Philosophenstirn mit dem Kommentar:
"Man schlägt den Esel und meint den Herrn – so macht man sich die Schüler kaputt."
So war es wohl immer schon.
Erst wenn das Ideal zerstört ist, weiß man, woran bisher festgehalten wurde.
An einem Wert oder einem Unwert?
War ich denn immer noch ein verkappter Idealist, der – ungeachtet aller existentiellen Erfahrungen in den Kerkern der Inquisition – immer noch nicht zur Vernunft gelangt war?
Zur existentiellen Vernunft, zur zynischen Vernunft?
Rombach hatte unsere Probleme nicht. Er, der Meister hatte nicht nur Scholasten um sich geschart, sondern sogar viele Jünger aus aller Welt, die ihn anhimmelten wie einen Guru, während ich in jenem philosophischen Zirkel nur das Kuckucksei war.
Trotzdem war ich auch für Heinrich Rombach kein Niemand und kein Jedermann, sondern ein Individuum – der Prototyp eines modernen, nicht in Fachgrenzen eingemauerten, frei und souverän philosophierenden Geistes- und Humanwissenschaftlers.
Das war seine Charakterisierung, die er mir schwarz auf Weiß mit auf den Weg gab, als ich vorerst ging. Jahre hatte es gedauert, um so charakterisiert zu werden.
Ungeachtet der Acht anderer, genoss ich Rombachs Achtung, war aber nur einer, unter seinen begabten Schülern. "Die Türe bei uns steht Ihnen immer offen, und Sie sind jederzeit herzlich als Gast in unserem Kreis willkommen," schrieb er mir Ende 1991, als ich aus dem phänomenologischen Kolloquium vorerst ausschied.
Kurz darauf eröffnete er mir die Möglichkeit, dass Promotionsverfahren auch unter seiner Betreuung fort zu führen.
Aber für Theo Meyer war ich der langjährige Vertraute, der seine Forschungen begleitete und daran partizipierte; während er für mich ein väterlicher Freund war.
Theo Meyer, in preußischer Pflichtethik erzogen, absolvierte noch sein reguläres Lehrpensum. Dabei unterstützte ich ihn von Bad Mergentheim aus zwei bis drei weitere Jahre. Doch lustlos und ohne Motivation.
Später, nach dem offiziellen Ausscheiden, zog sich Theo, von den Auseinandersetzungen mit den Kollegen und dem Dekan arg getroffen und verletzt, ganz in sein Schneckenhaus zurück; er verzichtete auf die Privilegien eines Emeritus und widmete sich, seinem wesensverwandten Idol Gottfried Benn gleich, nur noch geistigen Dingen und antwortete mit viel beachten Aufsätzen und Büchern.
Über Jahre sträubte mich innerlich sehr dagegen, das mir feindselige Institut weiter zu betreten. Der Brechreiz wurde übermächtig, wenn ich in die Nähe kam. Als mir früher einmal beim Gang durch den Gramschatzer Wald vor den Toren der Zwingburg, der Marienfestung, die vielen hochgiftigen, weißen und grünen Knollenblätterpilze auffielen, die ich sonst nirgendwo im deutschen Wald gesehen hatte, vermutete ich in einem Anflug von Zynismus, dort müssten einige "Heilige" begraben liegen; zumindest einer jener bösen Bischöfe, die in fanatischer Verblendung einen Pfeiferhannes, ein paar vermögende Juden oder reiche Bürgerwitwen auf dem Scheiterhaufen am Mainufer verbrennen ließen, um einen neuen Kirchturm zu finanzieren. Die giftigen Sumpfdämpfe, die selbst im Olymp alles höhere Leben abwürgen, fühlte ich auch im Institut.
Wie sollte ich da geistig arbeiten, regulär promovieren?
Deshalb blies ich das noch schwebende Promotionsvorhaben vorerst ab und machte erst wieder akademisch weiter, als ich aus dem Ausland, wohin ich für einige Zeit verschwand, zurückkehrte. Doch nicht mehr in den von gelbem Nebel durchzogenen Katakomben der alten Hinrichtungsstätte, wo immer noch etwas vom Geist der Henker übrig war, nicht mehr in den Betonklötzen auf den Höhen des Galgenbergs, sondern unten in der Stadt, in alten Mauern, wo Walter ruhte, der Troubadour, unter dem Kreuz und unter Rosen, wo Riemenschneider einst schnitzte, im Toskana- Saal, unter der Fresken Tiepolos, in der Residenz, bei Mozarts Klängen im Park, an der Seite des Meisters, unter dessen Schild ich Asyl gefunden hatte.
Als ich mich dann nach langen Jahren dazu entschloss, dieses traurige Kapitel meiner Existenz in die Erinnerungen aufzunehmen, als "Opfer der Freiheit", unternahm ich noch einige Versuche, spätes Licht in das Dunkel zu bringen und einiges, was vielleicht durch Missverständnisse und fehlende Kommunikation erfolgte, klärend zu erhellen.
Also fragte ich bei den Beteiligten, soweit sie erreichbar waren, nach und korrespondierte noch mit dem gegenwärtigen Dekan der Fakultät und dem Präsidenten der öffentlichen Bildungseinrichtung Universität Würzburg. Nirgendwo war ein Unrechtsbewusstsein feststellbar – alles hatte immer schon seine Ordnung. Theo Meyer lebte bis zu seinem allzu frühen Tod zurückgezogen in seiner selbst gewählten Eremitage, nur noch geistigen Dingen zugewandt. Jene der Vergangenheit hat er, wie er mir 2007 schrieb, endgültig ad acta gelegt. Sein großer Ring war fast vollendet, während ich den nächsten noch vollbringen will und deshalb auf meine intakte Ehre nicht verzichten kann.
Die Dame aus Graz, die mit ihrer unverhältnismäßigen und hochgradig tendenziösen Polemik alles erst ermöglicht hatte, konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie sie zur Niederschrift der Rezension gekommen war.
Das selektive Gedächtnis von Politikern, die sich bei strafrechtlich relevanten oder moralisch suspekten Angelegenheiten an bestimmte Dinge nicht mehr erinnern können, das mich immer schon verblüffte, hatte nunmehr auch den akademischen Sektor erreicht.
Und Professor Pfotenhauer, der heute noch an gleicher Stelle lehrt, offenbarte mir schriftlich, seinerzeit nicht die treibende Kraft gewesen zu sein.
Nur wer war dann die treibende Kraft bei nur zwei Vorständen?
Alles Schnee von gestern?
So war es eben damals!
So antworteten die auf Menschenrechtsverletzungen Angesprochenen nach dem Fall der Diktatur 1945 und 1989, im Deutschen Reich und im kommunistischen Rumänien ebenso.
Galt diese Entschuldigung auch für die Deutsche Universität?
Die Diktaturen haben ihre Opfer noch nicht rehabilitiert!
Ist das auch das Paradigma für die Deutsche Universität?
"Symphonie der Freiheit", (2008)
und
"Allein in der Revolte". Eine Jugend im Banat, (2013)
"Allein in der Revolte". Eine Jugend im Banat, (2013)
Copyright: Carl Gibson
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel
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