„Der Hund
und das Fläschchen“ -
Oder:
Eine engagierte Baudelaire-Vorlesung „zur Theorie der
Kurzgeschichte“
an einer kommunistischen Hochschule … mit einer prophetischen Vision[1], die leider eingetreten
ist
Ein
Suchender ist oft unterwegs. Er hält Augen und Ohren weit offen. Und solange er
jung ist, sieht er vieles im verklärenden Licht der Begeisterung. Ich entsprach
etwa diesem Typus, als ich eines Tages den Vorlesungssaal der Banater
Universität betrat. Angekündigt war eine Vorlesung zur Theorie und Praxis der Kurzgeschichte mit geistesgeschichtlichen Implikation
und einer Kritik der bürgerlichen Philosophie, die von Germanisten,
Romanisten, angehenden Philosophen, die dort Marxisten- Leninisten heißen, und
weiteren Interessierten anderer Fakultäten gehört werden konnte.
Ich
mischte mich unter die jungen Leute der noch jüngeren Universität, deren
Beschreibung schon in den Anfangspassagen des Candide antizipiert war, und tat so, als würde ich dazu gehören,
beseelt von dem Wunsch, hinein zu schnuppern in die Welt des Geistes und der
großen Literatur.
Während
die kleine, zierliche Lektorin ihre Unterlagen auf dem Pult ausbreitete und den
Eindruck erweckte, sie würde sofort loslegen, suchte ich mir einen dezenten
Platz im Hintergrund, um mich unauffällig davon stehlen zu können, falls die
Materie zu langweilig werden würde. Auch die Studenten nahmen zögernd ihre
Plätze ein.
Ich
sah viele unbekannte, aber auch einige bekannte Gesichter, Philologen beider
Richtungen und einige Bübchen, die als Auszubildende der Securitate keine
schlechte Figur gemacht hätten.
Die
Germanisten, das waren jene, in deren Elternhaus überwiegend deutsch gesprochen
wurde, hochdeutsch oder donauschwäbisch; die Romanisten, das waren Rumänen aus
der Stadt und der Region, überwiegend aus bürgerlichen Familien.
Die
deutschen Germanisten beherrschten das Rumänische bis zu einem gewissen Grad
und die rumänischen Romanisten sprachen auch etwas deutsch. Über dem Ganzen,
das etwas von der Faszination des geringsten Widerstands hatte, schwebte ein
Hauch von komparatistischer Linguistik und interkulturellem Zusammenklang.
Die
Dame am Pult erinnerte mit ihren runden Haarschnitt und den schwarzen eng anliegenden
Kostüm irgendwie an Mireille Mathieu. Etwas Französisches lag in der Luft, als
sie ihre schwarz geschminkten Lider anhob und loslegte. Ich saß da voller
Spannung wie im Kino und war ganz Ohr.
„Die
Kurzgeschichte – das ist die Zukunft!“ rief sie mit Pathos aus.
„Wer sie
beherrscht, kann in der Literatur alles erreichen – bis hin zu dem Nobelpreis. Das
sage ich natürlich nur für die deutschen Germanisten, die ihre Kreationen
später einmal in der Bundesrepublik veröffentlichen werden, wo man einen Sinn
für Literaturpreise hat und für gute Literatur! Uns Rumänen mögen die Leute in
Stockholm wohl nicht besonders“, fügte sie einschränkend hinzu.
„Nicht einmal unsere Exilanten – wie den
Verrückten Ionesco, dessen Absurditäten vielleicht den Preis verdient hätten.
Doch ich schweife ab…konzentrieren wir uns auf die unser Thema, auf die short story in ihrer gegenwärtigen
Erscheinung. Ich habe euch gebeten, Baudelaires Poèmes en prose zu lesen, im Original natürlich, damit etwas von
der Poesie der Sprache mit herüber schwappt wie das Parfüm aus dem Flakon. Ich
hoffe, ihr habt die Deutschen unter euch, die noch Russisch lernen mussten, mit
euren Französischkenntnissen angemessen unterstützt. Schließlich muss uns allen
bewusst werden, was in der Sprache an poetischem Gehalt noch mitschwingt und
auf was verzichtet werden kann…
„Poèmes en prose“ – überschreibt
Baudelaire seine Kreationen. Ich will mich heute nur auf eines dieser Poeme
konzentrieren und weitgehend ex negativo
darlegen, was eine moderne Kurzgeschichte ausmacht und wie man sie
schriftstellerisch gestaltet.
Zunächst
zur Poesie und zum Poetischen.
Die
Poiesis kommt von Homer und Hesiod auf uns zu – Vor die Trefflichkeit setzten den Schweiß die unsterblichen
Götter – man, versteht mich, und von Aristoteles, der – mit Aischylos und
Sophokles - noch an die Katharsis glaubte; und sie reicht bis zu dem Hirten auf
der Weide, dessen Sprache das Volkslied ist, bis tief in unseren mioritischen Raum hinein.
In der modernen
Kurzgeschichte aber können wir auf beides verzichten. Auf den
Schweiß und auf das Mimesis-Prinzip. Wir brauchen das Poetische nicht mehr,
weil es dem schönen Schein entspricht, der die Wirklichkeit verfälscht.
Poesie
ist passé. Sie passt nicht mehr in die neue Zeit. Sie ist abgelebt,
abgegriffen, antiquiert.
Mir müssen zu
einer Destruktion des Poetischen gelangen und mit ihm zur Vernichtung des
schönen Scheins und der gesamten Ästhetik.
Wo
bei Baudelaire noch ein poetischer Vers steht, selbst in Prosa, müssen wir zu
einer trockenen Aussage gelangen, die so trocken ist wie eine mathematische
Sentenz. Logisch muss sie nicht sein. Auch nicht unbedingt realistisch. Auch
nicht auf Anhieb nachvollziehbar.
Aber
trocken, und vor allem kurz.
Macht
einen Bogen um alle Syllogismen.
Der
normale Leser ist sowieso nicht besonders klug.
Er
liebt das Einfache; den Aussagesatz, wie man ihn ihm im
Elementarschulunterricht beigebracht hat.
Ohne
Epitetha ornantia. Ohne schmückende
Beiwörter.
Ohne
Metapher. Ohne Allegorie und ohne Symbol.
Das
Einfache ist das Wahre – das wusste schon Goethe.
Und
Goethe wusste auch, dass man Dichtung und
Wahrheit mischen kann und darf, erfolgreich sogar; und dass man die Wahrheit
auch verwischen kann, selbst in der einfachen Sentenz.
Die
Einfachheit – das ist das Existentielle, nicht nur für bürgerliche Denker.
Aber, ich merke schon, ich gleite ab ins Symphilosophieren…
Bleiben
wir bei Baudelaire – er hat immerhin einiges begriffen.
Seine Poeme in
Prosa sind bereits kurz – ganz nach dem Motto:
In der Kürze
liegt die Würze!
Kurz...
darauf darf man bei uns hier nicht reimen, ohne ins Allzumenschliche
abzugleiten… und auf das menschlichste aller Geräusche zu kommen.
Bei
uns ist so etwas tabu.
Doch
in Österreich, wo die Frivolität die Scham ersetzt hat, schreibt man Bücher
darüber – und Chansons.
Die
Alten philosophierten darüber wie jener sinnierende Clochard, der, vielleicht
an Diogenes orientiert, verkündete – ich sage es hier im Vertrauen, das Leben sei ein Furz in der Laterne.
Diese
Quintessenz abendländischer Philosophie ist preisverdächtig.
War
nicht Diogenes auf dem Markt unterwegs mit seiner Laterne, als er nach Menschen
suchte – und nur Unflat fand?
Vielleicht
schreibt einer aus eurer Mitte eine Abhandlung darüber – oder eine
Kurzgeschichte, nicht viel länger als Becketts „Atem“, oder besser noch kürzer. Seinen Atem ersetzt ihr am besten gleich – ich muss es mir verkneifen,
kurz mit einem Ffff…z, der schnell kommt, verrauscht, verfliegt.
Das
wäre dann bestimmt ein neuer Rekord in der Weltliteratur, dessen Dauer man
nicht mehr in Sekunden messen, sondern dessen Klang man in Dezibel bestimmen
würde.
Reimt
munter auf kurz – und ihr findet eine
Lösung, die Beckett dauerhaft in den Schatten stellt, die dann allerdings nicht
mehr zwischen zwei Buchdeckeln gepresst und als Buch heraus gegeben werden
muss.
Im Westen
schätzt man dünne Büchlein und zieht sie dicken Wälzern vor. Schreibt zwanzig
davon, statt eins.
So
erfreut ihr lesefaule Rezensenten und träge Juroren.
Selbst
die Marktstrategen der Verlage, denn die Kürze kann sehr lukrativ sein; sie
steigert die Margen.
Außerdem
ist die Kürze ein gutes Mittel dazu, den Menschen das konventionelle Lesen ganz
abzugewöhnen.
Aber
hütet euch davor, humoresk zu schreiben, wenn ihr keinen natürlichen Humor
habt. Das kann ins Auge gehen – und das merken dann selbst die dümmsten Leser.
Bei
uns hier verweist es darauf, dass auch die Wahrheit kurz ist und dem Nichts
entgegenstrebt, das abendländische Decadents noch über das Sein stellen. Warum
ist denn überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts, fragt doch tatsächlich
jener Wortklauber aus dem Schwarzwald, den einige für einen Philosophen halten,
in dem andere aus unseren Reihen, wenn auch im Exil, nur einen Vergewaltiger
der Sprache sehen.
Ich
empfehle dazu die Aphorismen eines unserer Denker, dessen Namen ich hier
allerdings nicht öffentlich nennen will.
Man
versteht mich. Phänomenologen, Ontologen, Strukturanthropologen,
Strukturalisten, die sich selbst schon in der literaturwissenschaftlichen
Methodik breit gemacht haben, und andere Spätgeburten bürgerlicher Philosophie,
wollen nicht verstehen, dass unsere – wenn schon nicht positive Welt – doch
eine Welt des Positivismus ist, in der nur der dialektische Materialismus das
Sagen hat.
Doch
zurück zur Form des Kurzen.
Wenn
die zahlreichen Autoren der Weltliteratur, ein Cervantes, ein Tolstoi oder
Dostojewski, ein Flaubert oder ein Thomas Mann das beherzigt hätten, würden die
Menschen heute mehr lesen!
Wer
kann von sich behaupten Musils Mann ohne Eigenschaften zu Ende gelesen zu
haben?
Der
Kurzform gehört die Zukunft!
Baudelaire
ahnte es bereits. Und er fühlte auch, dass alles romantisch Versponnene
zurückgedrängt und überwunden werden muss.
Das
leistet die Kurzgeschichte.
Cogito – ergo
sum.
Ich denke, also bin ich!
Clarus et
distinctus
– Klar und deutlich. Clarté und Kürze!
Sind
das nicht kurze, prägnante Sentenzen, die Durchblick suggerieren und doch mehr
verschleiern als sie aussagen?
Descartes
hätte eigentlich Kurzgeschichten schreiben sollen, keine Traktate; er war auf
dem besten Weg zur richtigen Methode, zum „bien
juger“!
Was
er versäumt hat, müssen wir jetzt nachholen.
Die
Maxime der Neuzeit ist das Schrumpfen des Textes wie einst das Schrumpfen der
Komposition.
Hatte
nicht schon Joseph II, der ein aufgeklärter und vorausschauender Herrscher
seiner Zeit war, dem übermütigen Mozart geraten, etwas von der Überfülle der
Noten zurückzunehmen?
Ein
weitsichtiger Mann mit klarem Urteil!
Heute
sagen wir nicht mehr zu viele Noten,
sondern – aus der Notwendigkeit der Zeit heraus – zu viele Worte!
Mancher
deutsche Professor wird mir Recht geben…Im klerikalen Würzburg, wo die
Germanistik besonders fortschrittlich sein soll, werden bereits Seminare über
Romananfänge abgehalten – wohl aus der Erkenntnis heraus, dass der gesamte
Roman schon im Anfang antizipiert ist.
Außerdem
gibt es dort Lehrveranstaltungen über Johann Peter Hebel, der ein Meister der „kurzen“ Geschichte war und besonders von
Kindern heiß geliebt wird. Er ist das deutsch-schweizerische Gegenstück zu Guy de Maupassant, der auch ein Meister
des Kurzen war.
Wer
kurz schreibt, erspart sich die unselige Philosophie und muß nach Jahren nicht
von sich behaupten, „A la recherche du
temps perdu“ zu sein wie Proust, der in seiner langatmigen, unendlichen
Geschichte die dekadente Bürgerwelt noch spiegeln wollte.
Kurz ist auch
das Leben
– darf da eine Geschichte lang sein?
Das
wussten schon unsere Vorfahren, die noch über die Kürze des Menschenlebens
philosophierten, bevor sie über unsere Daker herfielen…
Apropos
Vorfahren. Das will ich euch nicht vorenthalten. Neuste Ausgrabungen unweit von
hier bei Sarmisegetusa scheinen die These zu erhärten, das Europa von unserem
Boden aus kultiviert wurde. Nicht von
Etruskern, Kelten oder Goten – sondern von Geten und Dakern ging die Zivilisation
aus.
Vielleicht
müssen die Anfänge der Anthropologie umgeschrieben werden, bestimmt aber die
Geschichte des Abendlandes, die nicht in Hellas wurzelt und in Rom, sondern in
Sarmisegetusa.
Aber
ich schweife wieder ab.
Zurück
zur Kürze der literarischen Form.
Wir
müssen alles an ihr eindichten, schrumpfen und mumifizieren selbst den Gehalt
und die potentielle Idee dahinter.
Wie
einen Schrumpfkopf; auch auf die Gefahr hin, dass die Essenz zur Fratze wird.
Wir
transportieren keine Weltanschauung, wir haben sie.
Doch
nicht die biedere Weltsicht Hebels, den manchen schon mit Hegel verwechselt
haben, die morbide Haltung Maupassants, Flauberts oder Baudelaires, die
allesamt bourgeoise Decadents, Pessimisten und Nihilisten waren; wir sind
fortschrittliche Marxisten, die Hegel weiterdenken nicht Hebel – das ist unser
großes Apriori.
Danken
wir es der weisen Parteiführung, deren
Führungsrolle wir unbedingt anerkennen und nie bezweifeln wollen, auch wenn
alles um uns herum in Trümmern fällt, dass alles so ist, wie es ist, dass
wir hier frei studieren und frei agieren können.
Und
weil es so ist, müssen wir unsere Haltung nicht ständig hinaus posaunen. Beschränken wir uns auf das Lob der Partei,
das gelegentlich auch Mal länger ausfallen darf, und auf die Karikierung derer,
die wir im Geist des Fortschritts weltanschaulich bekämpfen müssen.
Baudelaire
macht es uns vor. Er verachtet die Welt. Doch er war – ich betonte es bereits -
ein Decadent – auch als Künstler.
Denn
er macht einen fundamentalen Fehler, indem er noch an der Ästhetik festhält.
Lautréamont
geht da schon weiter, doch nicht Baudelaire.
Auch der Dreck
ist bei ihm noch schön.
Doch wir müssen – selbst
hundert Jahre nach dem Naturalismus – den
Dreck richtig schmutzig machen, damit das innerste des Menschen zu Tage tritt.
Der Mensch darf nicht länger im schönen Schein verharren.
Das,
was die phänomenologischen Decadents Urgrund, Wesen, Seele oder sonst wie
nennen, jenes Etwas, das bei Pawlow gar nicht vorkommt, es muss durch die
Literatur an Tageslicht befördert werden, durch euch.
Ein
anderer verrückter Bourgeois hat einmal von der Sehnsucht nach Fäkalität
gesprochen.
War
es Dali?
Das
kommt dem ganz nahe, was ich meine.
Unser Volk trägt
dieses Archaische in sich, das Archaische, nicht das Anarchische. Den Mythos – und die Tiefe des Mythos.
Der
sich wiederum sprachlich artikuliert. Hören wir auf seine Sprache – dort, wo
sie am unmittelbarsten auftritt und am reinsten.
Hören
wir auf den erzürnten Bürger, wenn er uns
irgendwohin schickt…
Die
Rumänen verstehen mich – das ist unsere
Sehnsucht nach dem Ursprung!
Baudelaire
hält am schönen Kunstwerk fest; am schönen Schein. An der Idee des Schönen; am
Duft und am Duft der Rose.
Selbst
das Böse und das Schreckliche ist bei ihm noch schön wie in der Romantik bei
Byron und Lamartine.
Das
alles müssen wir zerstören, wenn wir zur Wahrheit unserer Tage durchdringen
wollen.
Darin
besteht unsere künstlerische Freiheit.
Große
Freiheit impliziert das Recht auf
Zerstörung.
Lösen
wir uns endgültig von allen ästhetischen Kategorien.
Wir
brauchen sie nicht mehr. Selbst die Ästhetik des Schrecklichen ist überflüssig.
Die
„Fleurs du mal“, Baudelaires Blumen
des Bösen, erscheinen immer noch im allzu schönen Schein.
Den
wollen wir nicht mehr.
Auch
nicht das faszinierend Schreckliche eines Lautréamont – wir brauchen überhaupt keine Ästhetik wie wir keinen Schein brauchen –
und keine Moral. In diesem Punkt können wir sogar Nietzsche beipflichten.
Die Raubtierwelt unserer Tage ist trocken und kurz.
Nicht
anders als ein…
Baudelaire
war – wie die meisten hommes des lettres
der Franzosen – ein poeta doctus, der
mit einer vornehmen Sprache operierte und Sprache kultivierte. Auch das ist
vorbei.
Wir
kultivieren nun den sermo humilis,
weil wir aus dem Volk kommen und so schreiben, dass uns das Volk versteht,
immer noch gut versteht.
Dem
Volk aufs Maul schauen – und sprechen wie es spricht.
Luther,
ein großer Deutscher und Vorreiter der
marxistischen Emanzipation, hat es uns vorgemacht.
Eifern
wir ihm nach.
Unsere proletarische
Welt braucht keine Bildung; selbst der Westen braucht sie nicht mehr.
Alles
Vornehme ist Geschichte. Mischt euch unter die Tätowierten, hört wie sie reden
und führt ihre Sprache in eure Fiktion ein.
Das schafft Effekte
und beeindruckt selbst den deutschen Professor, der die Welt vom Turm aus mit
dem Fernrohr betrachtet.
Reißt die
Elfenbeintürme nieder – und löst das schöne Kunstwerk auch vom Gehalt.
Baudelaire hat
einst seine Welt geschockt.
Folgt seinem
Vorbild!
Und schockt die
Eure, systematisch und konsequent.
Geht über den
Satanisten hinaus; und nehmt es vor allem mit den Spießern auf, die noch
schlimmer sind als die vornehm heuchelnden Bourgeois.
Bekämpft ihre
Werte und schreibt über alles, was sich nicht ziemt, was sie aufbringt, was sie
ärgert – wühlt sie auf, stochert in ihren Tabus; schreibt über Inzucht und
Inzest und vernichtet ihre Symbole.
Doch
nur ihre, nicht unsere.
Denn
das könnte missverstanden werden:
Lieber
proletkultistisch als ambivalent.
Man
versteht mich?
Ich
sage nur Orwell, 1984.
Erkennt
den wahren Feind, in eurer Mitte, um euch, in eurer Familie.
Stellt auch sie
in Frage. Besinnt euch der ungesunden Herkunft, der falschen Identität, der
falschen Heimat und der Determiniertheit durch die Schuld der Geschichte.
Wendet euch ab, befreit euch und destruiert alles, was ihnen heilig ist, was
sie verehren, woran sie glauben.
Baudelaire,
der Morphium-Berauschte, schreckte
vor nichts zurück.
Folgt ihm in der
Blasphemie und nehmt auch das Kreuz ins Fadenkreuz.
Selbst
Nietzsche, der Große unter den spätbürgerlichen Decadents, der Profaschist, fordert
das Zerbrechen der alten Werte zu Gunsten der neuen.
Seid jetzt ihr
der Hammer, mit dem fortan philosophiert
wird – und die Sichel!
Macht
euch frei von den Ketten der Tradition und sprengt alle Gesetze, die euch
hemmen.
Doch
nicht im Geist der Renaissance, sondern in jenem der Anarchie – denn nur aus
der grauer Asche kann ein neuer Phönix steigen – oder ein Basilisk.
Das
Schöne ist ebenso ein Relikt der Vergangenheit wie das Wahre und Gute.
Nietzsche hat uns unfreiwillig einen Wink gegeben. Fällt erst einmal die
Bastion des Schönen Scheins, das Apollinische, das System der Ästhetik, dann
steigen wir nicht, wie es Nietzsche glaubt, in den dionysischen Reigen ein,
sondern in eine gezielte Vernichtung aller ethischen und moralischen
Kategorien.
Vernichtet die
Kunst der bürgerlichen Welt und die Werte des Scheins und ihr findet den
Dietrich, um alle anderen bürgerlichen Werte zu knacken und ad absurdum zu
führen.
Wenn die alten
Tugenden gefallen sind und alle Zöpfe angeschnitten wurden, längst antiquierte
Kategorien wie Aufrichtigkeit, Fleiß, Loyalität, Ehre und ähnliche Dinge, dann
fällt irgendwann auch die Festung der verlogenen bürgerlichen Welt!
Jetzt zählen nur
noch die Umwertung aller Werte unter marxistischem Vorzeichen, das Dogma der
Auflösung und unsere Lehre vom Zerfall.
Was Kunst ist,
das bestimmen fortan wir selbst – per definitionem.
Wenn
Reaktionen ausbleiben, dann schreibt euch gegenseitig Rezensionen und lobt euch
so lange, bis auch andere euch loben!
Und
wenn alle Stricke reißen und jede positive Rezeption versagt bleibt, appelliert an einen deutschen Akademiker,
der fortschrittlich genug ist, um das Nichts als Sein zu denken, der die
Loslösung von allen ästhetischen und sprachlich stilistischen Kategorien gut
heißt und uns zu einem Preis verhilft.
Dann
stehen uns alle Türen offen – bis hin zum
Nobelpreis!
Den
ihr dann auch hoffentlich anzunehmen bereit seit – nicht für euch selbst,
sondern für die große Idee dahinter.
Was
sagt Baudelaire zu dem Hund?
Wenn ich dir
dieses edle Parfüm vor die Nase halte, dann wirst du es verachten!
Ein Stück
Scheiße jedoch bringt dich zur Verzückung!
Wir
müssen diese erkenntnisreiche Botschaft
produktiv umsetzen und der Welt endlich bewusst machen, dass alles Ästhetische
Täuschung ist – und Dreck;
und
das unsere Geschichte als große Alternative zu allem Bisherigen, trocken und
kurz, als die eigentliche Wahrheit des Lebens die Menschen in Verzückung
bringt.
Baudelaire
stand kurz vor der Resignation weil er nicht begreifen wollte, dass die Welt so
ist, wie sie ist.
Wir
müssen sie nach unseren Vorstellungen vollenden.
Brecht
würde uns Recht geben.
Und
Brecht, den wir hier verehren, hatte diese Möglichkeiten geahnt, als er das
kapitalistische Amerika verließ, um im gerechten Arbeiter- und Bauernstaat zu leben.
Er
hätte Baudelaire sicher durchschaut, wenn er ihn wirklich gekannt hätte.
Und
auch er hätte Kurzgeschichten geschrieben wie „Der Hund und das Fläschchen“.
Die
kritischen Studenten des Staatsvolks und der mitwohnenden Nationalitäten, die Creme der Bildungselite des sozialistischen
Landes, saßen da wie die nordkoreanischen
Kinder in der Schulbank und hörten die luziden Worte, die für manche von
ihnen Programm wurden.
Ich
hatte genug gehört. Denkstoff für viele Tage. Aber bastelte ich nicht gerade an
einem historischen Roman herum, der mehr sein wollte, als die Summe vieler
kurzer Geschichten?
Ich
stand auf und ging.
[1] Eine Verleihung
des Literatur-Nobelpreises an Herta Müller erschien mir seinerzeit beim
Verfassen dieser Humoreske in den 80ger Jahren als die „absurdeste aller denkbaren Möglichkeiten“ – deshalb wurde dieser Hohn-Aspekt
eingebaut. Die Humoreske selbst versteht sich als frühe Herta Müller-Rezeption
nach der Auseinandersetzung mit ihrem Debütwerk „Niederungen“. Der - bisher
noch nicht veröffentlichte - Beitrag entspricht der Fassung aus dem Jahr 2006,
also immerhin noch vor meiner, erst 2008 öffentlich werdenden Kritik an Herta Müller
– und drei Jahre vor dem kontroversen Nobelpreis (2009).
Auszug aus: Carl Gibson,
Zeitkritik
Werke von Carl Gibson:
http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
Soeben erschienen:
Carl Gibson:
Plagiat als Methode - Herta Müllers „konkreative“ Carl Gibson-Rezeption
Wo beginnt das literarische Plagiat? Zur Instrumentalisierung des Dissidenten-Testimoniums „Symphonie der Freiheit“ –
Selbst-Apologie mit kritischen Argumenten, Daten und Fakten zur Kommunismus-Aufarbeitung
sowie mit kommentierten Securitate-Dokumenten zum politischen Widerstand in Rumänien während der Ceaușescu-Diktatur.
Rezeption - Inspiration - Plagiat!?
Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim. Seit dem 18. Juli auf dem Buchmarkt.
399 Seiten.
Publikationen des
Instituts zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa,
Bad Mergentheim
Zur Geschichte des Kommunismus,
zu Totalitarismus
und zum Thema Menschenrechte
Aktuell in der Presse
Copyright © Carl Gibson 2014
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