Samstag, 25. April 2020

Ficino, Pico, Lorenzo de Medici, Michelangelo Buonarroti, Leonardo da Vinci - Einsamkeit und Melancholie während der Renaissance in Italien , Auszug bzw. Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung



Einsamkeit und Melancholie während der Renaissance in Italien, Gesamt-Kapitel.  Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.




Teil IV: Renaissance


Einsamkeit und Melancholie während der Renaissance in Italien - Die „Saturniker“ des Mediceer-Kreises


1. Angelo Poliziano – Der Dichter am Kamin als personifizierte Melancholie und eine Melancholie-Beschreibung im Geist der Zeit.


„Melancholie“ war im frühen Quattrocento ein häufig und gern gebrauchter Begriff, ein Mode-Wort, das teils für die Bezeichnung der konkreten Seelenkrankheit, einer traurigen Gestimmtheit oder zur Hervorhebung eines bestimmten Wesenszugs eingesetzt wurde. Oft aber verfolgte man mit dieser Bezeichnung nur eine Selbststilisierung, die auf ein sensibles, an der Welt leidendes oder – im Rückgriff auf Aristoteles‘ Diktum – sogar auf ein geniales Individuum verweisen sollte.
Offensichtliche Anzeichen einer pathologischen Melancholie wies Lorenzo de’ Medicis Gattin auf, die immer wieder in düstere Phasen der Trauer verfiel. Bei dem Dichter Angelo Poliziano hingegen, dem Hausgelehrten der Medici-Familie, nach seiner Herkunft aus der Weingegend Monte Pulciano benannt, ist bereits der Versuch eines ironischen Umgangs mit dem Melancholie-Phänomen anzutreffen. In einem klagenden Schreiben an die Mutter des Prächtigen Lucrezia Tornabuoni, berichtet der bekannte Humanist Poliziano, der seine Verse nicht mehr in Latein, sondern in einem frühen Italienisch, im so genannten „volgare“ verfasste, aus seiner heimischen Zurückgezogenheit – wohl außerhalb von Florenz: „Ich sitze zu Hause am Feuer in Pantoffeln und Hausrock, und wenn ihr mich sähet, schiene ich Euch als die Melancholie selber; vielleicht scheine ich mir selbst so; ich tue und sehe und höre nichts, was mich freut, so sehr betrübt mich unsere Lage. Schlafend und wachend habe ich immer wieder diese Hirngespinste im Kopf. Ich bleibe allein und meine Gedanken wühlen in Seuchen und Kriegen und Schmerzen um die Vergangenheit und Ängsten vor der Zukunft, und ich habe niemanden, mit dem ich meine Phantasien besprechen könnte. Hier finde ich nicht meine Madonna Lucrezia, bei der ich mein Herz ausschütten könnte, und ich sterbe vor Langeweile.“[1]

Die Melancholie-Situation eines melancholisch Gestimmten, jedoch nicht die Lage eines endgültig Melancholie-Kranken, ist in dieser etwas stilisierten Szene perfekt eingefangen: Ein Dichter sitzt, nicht in der Dachkammer mit spitzer Feder im Bett wie Heine und andere Poeten, sondern allein am Feuer. Er starrt in die Glut und wird sich seiner Einsamkeit bewusst. Er will ein Werk schaffen und über dieses Werk aus der lähmenden Lage ausbrechen. Doch je mehr er sich in das Sinnen vertieft und der Vergänglichkeit folgt, die sich in den Flammen vollzieht, desto mehr gerät er in die Wirren niederziehender Gedanken. Die Reflexionen verfolgen ihn auch noch im Schlaf, der unerquicklich verläuft. Das Unbewusste wühlt weiter, ohne ihn zur Ruhe kommen zu lassen. Unerklärliches und Phantastisches drängt sich ihm auf und zwingt ihn, die eigenen Träume, die sich nur schlecht als Hirngespinste abtun lassen, zu deuten. Wieder erwacht, weicht das Irrationale unbewusster Traumwelten - doch auch die Ratio wirft ihn reflexiv zurück und veranlasst ihn, auch die Vergangenheit zu deuten, das weite Feld der Geschichte, die er als Gelehrter im Kreis von anderen Hochgelehrten der Akademie von Florenz gut und bis in die Antike hinein überblicken kann. Der unbefriedigende Verlauf der Geschichte und die daraus resultierende Negativ-Botschaft, die auch in alle Zukunft hinein nichts Gutes erhoffen lässt, erfassen, ja determinieren ihn und stimmen ihn sehr traurig.

Lange vor dem Spätromantiker Nikolaus Lenau, der in seinen Briefen über die gleichen Faktoren historischer Determinierung berichtet, wird bereits der Renaissancedichter Poliziano vom Pessimismus ergriffen. Die schwarzmalende Weltsicht erfasst ihn und lässt ihn auch seine politisch turbulente, unsichere Zeit skeptisch betrachten: Auch die Gegenwart erscheint ihm langweilig und unbefriedigend, ohne Perspektive für sich selbst und für die Menschheit. Schließlich hadert der Zweifelnde auch mit der fernen Zukunft, die ihm unsicher und verbaut erscheint. Die Freude weicht aus der Situation und räumt Existenz-Ängsten und destruktiver Langeweile das Feld. Das ohnmächtige Individuum weiß nichts mehr mit sich anzufangen. Jeder Kommunikationspartner, der eine bewältigende Verbalisierung ermöglichen könnte, fehlt. Der Sinnende und Grübelnde weiß, dass eine ähnliche Leidsituation aus dem Nichts wiederkehren kann. Dieses Wissen steigert seine Ängste und führt zu einem Anflug stiller Verzweiflung.
Damit sind wesentliche Elemente, die einen Melancholiker bestimmen, ganz egal ob er in der Antike lebt oder in der Moderne unserer Tage, zusammengefasst. Stagnation, „nunc stans“, Entwicklungslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Weltskepsis, ja finsterer Nihilismus machen sich breit, lähmen das Individuum und werfen es psychisch und geistig zurück. Lethargie und Apathie kommen auf - und dahinter droht die vernichtende Verzweiflung des Menschen an der Welt, die, als extremes Leid erlebt, nicht selten den erlösenden Freitod nach sich zieht.

Der schwache Versuch in den Eingangszeilen, als souveräner Geist über den Dingen zu stehen, die tatsächlichen Heimsuchungen von Melancholie und verzweiflungsstimulierender Langeweile nach durchlittener Situation zu ironisierend zurückzudrängen, sie belächelnd zu überwinden, ist letztendlich zum Scheitern verurteilt. Die Bitterkeit des Leidenden, der in seiner ausweglosen Lage keinen anderen Rat weiß, als duldsam auszuharren, bricht durch, führt aber nicht zur Resignation, zum absoluten Stillstand, sondern mündet in eine briefliche Verbalisierung, die das erlebte Melancholie-Phänomen auch für die Nachwelt festhält.

2. Marsilio Ficino – Therapierte Melancholie. Das Bei-sich-Selbst-Sein der Seele führt zu Außergewöhnlichem in Philosophie und Kunst.


Marsilio Ficino, das Haupt der Platonischen Akademie in Florenz, Fürst Lorenzo der Erlauchte und Graf Pico della Mirandola, um nur die drei wichtigsten Namen zu nennen, galten ihrer Zeit als Melancholiker. Als solche empfanden sie sich auch selbst. Die Drei waren im Zeichen des Saturn geboren. Und mit ihrer Zeit, die noch an der Astrologie als empirische Wissenschaft festhielt, glaubten sie, Ficino mehr, Pico weniger, daran, dass die Sterne auf das Wesen der Menschen Einfluss nehmen und Lauf des Einzelschicksals bestimmen. In einem Schreiben Picos an den hochverehrten väterlichen Freund Ficino lässt Pico sich auf ein Wortspiel ein, speziell auf die Nähe von „saturnus“, dem Saturn zugeordnet und „saturus“, gesättigt - und fragt dabei spöttisch: „Bist Du nicht Saturniker, oder sind wir etwa Saturierte“?[2]

Die Identifikation mit dem Saturnischen als dem Melancholischen, war gleichzeitig eine Bestätigung des Außergewöhnlichen, ein Verweis auf eine besondere Leistungsfähigkeit in Wissenschaft und Kunst. Das oft zitierte Cicero-Wort: Aristoteles quidem ait omnes ingeniosos melancholicos esse, also alle schöpferischen Menschen seien nach Aristoteles Melancholiker, ist als großes Diktum der Zeit unter den Gebildeten der florentinischen Platoniker-Akademie, der Gelehrte, Musiker und Künstler angehören, ein anerkanntes Paradigma und allpräsent. Da andere positive Aussagen zur Melancholie und zu Melancholikern wohl fehlen, wird Aristoteles’ fragmentarische Aussage, die vielleicht sogar aus dem Zusammenhang gerissen sein könnte, gerne aufgegriffen und bis zum Überdruss kultiviert.

2.1. Marsilio Ficino in freiwilliger Zurückgezogenheit in Carreggi - Einsamkeit als „conditio sine qua non“ des künstlerischen Schaffens


Marsilio Ficino, der viel bewunderte Platon und Plotin-Übersetzer und Kommentator, war schon seit Cosimos Zeiten dem Hause Medici verbunden. Ihnen, den Medici, verdankt er sein Gut in Carreggi, wo er bald den Sitz der Akademie und somit das geistige Zentrum der Renaissance in Italien etablieren sollte. Carreggi war der Ort unzähliger Begegnungen und Disputationen, aber auch das stille Refugium Ficinos, in dem er in freiwilliger Zurückgezogenheit seine kontemplativen Stunden verbrachte.

Die Einsamkeit hat bei Ficino einen hohen Stellenwert. Denn die Einsamkeit ist – neben Schlaf und Ohnmacht – für ihn eine jener Bedingungen, die, wie Paul Oskar Kristeller in seiner bekannten Darstellung zur Philosophie Ficinos ausführt, „durch die Unterbrechung der äußeren Funktionen den inneren Akt der Seele“[3] erleichtert und fördert. Das Bei-sich-Selbst-Sein der Seele, das für Mark Aurel genauso erstrebenswert ist wie für Montaigne, ist die Voraussetzung schlechthin, um Außergewöhnliches in Philosophie und Kunst hervorbringen zu können. Ficino betont: „Alle, welche in irgendeiner vornehmeren Kunst etwas Größeres erfunden haben, taten dies vornehmlich dann, wenn sie vom Körper entfernt sich in die Burg der Seele geflüchtet hatten.“[4]
Dahinter steht das Phänomen der „Entrückung“, das sich von Platon aus über den Neuplatonismus bis in die Mystik einer Theresa von Avila („Die Seelenburg“) und darüber hinaus nachverfolgen lässt. In der Einsamkeit vollzieht sich in einem mystischen Prozess eine Erleuchtung, aus der die Inspiration zu einem genialen Werk erwächst. Das Geheimnis künstlerischen Schaffens vollzieht sich demnach in der Einsamkeit. Damit rückt - in der Kontinuität Petrarcas - die Einsamkeit zur „conditio sine qua non“ des künstlerischen Schaffens auf.

2.2. Im Zeichen des Saturn - Marsilio Ficinos Werk, „De vita triplici“, eine Diätetik des saturnischen Menschen. Ficinos astrologisch determinierter, antik physiologischer Melancholie-Begriff.


Ficino war ein Melancholiker wider Willen. Er hatte sich diesen Wesenszug nicht ausgesucht, und er kultivierte ihn auch nicht übermäßig, selbst wenn gelegentliche Briefstellen ein Kokettieren mit dem Phänomen andeuten. Die Disposition zur Melancholie war für ihn Schicksal. Dieses Fatum galt es im Geiste der alten Griechen zu bejahen.
In einem Schreiben an den mit ihm gut befreundeten Philosophen Giovanni Cavalcanti definiert Ficino das Phänomen und artikuliert gleichzeitig seine ambivalente Haltung zur Melancholie: Wegen meiner allzu großen Furchtsamkeit, die du gelegentlich an mir tadelst, klage ich mein melancholisches Temperament an, das mir als etwas äußerst Bitteres erscheint und das ich nur durch häufiges Lautenspiel ein wenig lindern und versüßen kann ... das hat, so dünkt mich, der Saturn von Anfang an mir eingeprägt, der mitten im Wassermann, dem Aszendenten meines Themas, stand...doch wozu hab ich mich hinreißen lassen? Ich sehe schon, Du wirst mich wiederum und nicht zu Unrecht zu einer neuen Palinodie an den Saturn zwingen. Was soll ich tun? Ich werde einen Ausweg suchen und entweder sagen, dass die Melancholie wenn Du so willst, nicht vom Saturn kommt – oder, wenn anders sie notwendig von ihm kommen muß, dann will ich dem Aristoteles beistimmen, der gerade sie für eine einzigartige und göttliche Gabe hält.[5]

In der Astrologie der Zeit, die auch von vielen deutschen Gelehrten der Renaissanceepoche sehr ernst genommen wurde, unter ihnen Reuchlin, Agrippa von Nettesheim, Paracelsus von Hohenheim bis hin zu Johannes Kepler, galt der Saturn als Planet des Unheils. Als ein der Erde und somit dem Menschen sehr entfernter Himmelskörper stand er für Kälte, Dunkelheit, Sterben und Vergänglichkeit - und für die Auslösung der Melancholie. So lehrte es die Tradition.
Die Tendenz der Wissenschaft zielte aber schon auf die Überwindung dieser deterministischen Festlegungen. Manches Genie der Zeit, auch aus dem persönlichen Umfeld Ficinos in Florenz, bekämpfte die Astrologie, unter ihnen Leonardo da Vinci in seiner Polemik gegen Magie und Alchemie sowie der Dritte im Bunde der erlauchten Akademiker, Graf Giovanni Pico della Mirandola, in dessen freiheitlichem Synkretismus ein monolithischer Hemmschuh wie die Astrologie keinen Raum hatte.
Ficino kannte diese Bestrebungen und war deshalb gespalten, neigte aber zur Überwindung. Sein Werk, „De vita triplici“ versteht sich als Diätetik des saturnischen Menschen. Der Versuch, in den Auswirkungen des Saturn den Grund für das Vorhandensein der Melancholie zu sehen, entspricht einem Erklärungsmuster Ficinos. Doch es ist nicht der einzige. Ficino war ausgebildeter Arzt - und auch als Philosoph deutete er den menschlichen Organismus in Anlehnung an die Medizin der Antike als ein großes zusammenhängendes System, dessen Mittelpunkt die wirkende Seele darstellt. Deshalb überrascht es nicht, dass ihn das deterministische Herleiten nicht befriedigte, und er auch eine medizinisch-physiologische Erklärung der Melancholie anbot.

2.3. Definition der Melancholie und des Melancholikers in „Über die Liebe oder Platons Gastmahl“ - Die Liebe als melancholische Krankheit?


In seinem Platon-Kommentar „Über die Liebe oder Platons Gastmahl“ findet sich – neben zahlreichen Textstellen, die die Auswirkungen des Saturn auf den verliebten Melancholiker schildern, eine Passage, die das Phänomen „Melancholie“ noch im Geiste der antiken Säfte-Lehren deutet, aber auch ein bezeichnendes Licht auf Ficinos philosophischen Ansatz überhaupt wirft. In dem Kapitel „Von den Leidenschaften, welche den Liebenden wegen der Mutter des Eros innewohnen“, wird Melancholie als eine Folge der Austrocknung beschrieben, die auf Blut und Gehirn übergreift und dadurch eine Störung des körperlichen Gleichgewichts verursacht.

Nach antiker Melancholie-Auffassung führt ein Überhandnehmen der schwarzen Galle im menschlichen Körper zu einem Ausbruch der negativen Melancholie. Ficino, der mit dem hippokratischen Schrifttum im aristotelischen Umfeld gut vertraut ist, betreibt hier Platon-Aristoteles-Exegese, geht aber auch in manchen Details darüber hinaus:

Eros ist dürr, hager und unansehnlich.“Wer wüßte nicht, dass dürr und trocken dasjenige ist, dem die Feuchtigkeit fehlt, und wer wird bestreiten, daß bleiches und fahles Aussehen von Mangel an Blutwärme herrührt. (...)Mithin wird nur wenig und noch dazu schlecht bereitetes Blut durch die Gefäße getrieben, und deshalb magern dann alle Gliedmaßen ab und verkümmern, eben wegen des geringen und schlecht bereiteten Nahrungsstoffes.(...) Die Lebensgeister entstehen aus der Wärme des Herzens, aus dem dünnsten Teile des Blutes. Die Seele der Liebenden ist hingerissen zu dem seiner Einbildungskraft eingeprägten Bilde der Geliebten und zu der geliebten Person selber. Zu ihr werden auch die Lebensgeister hingezogen, und indem sie dorthin verfliegen, büßen sie andauernd ihre Kräfte ein. Daher bedarf es des reinen Blutstoffes, um die fortwährend erschlaffenden Lebensgeister immer wieder neu zu beleben; dadurch werden die feinsten und klarsten Teile des Blutes ständig zur Wiederherstellung der unaufhörlich nach außen verfliegenden Lebensgeister verbraucht. Infolgedessen wird das reine klare Blut verzehrt, und das unreine, dicke und dunkle bleibt zurück. Dadurch trocknet der Körper aus und verkümmert, und die Liebenden werden melancholisch, weil sich die schwarze Galle durch das trockene dicke und schwärzliche Blut vermehrt. Dieser Saft erfüllt mit seinen Dünsten das Haupt, trocknet das Hirn aus und quält unaufhörlich bei Tag und Nacht die Seele mit düsteren und schrecklichen Vorstellungen.“[6]

Melancholie entsteht somit – modern gesprochen – durch starke psychische Anstrengungen, durch den Verbrauch psychischer Energie, wie dies bei Liebenden der Fall sein kann. Die psychosomatischen Zusammenhänge sind treffend diagnostiziert und so auch heute noch gültig, auch wenn der „schwarzen Galle“ heute keine Bedeutung mehr zukommt.

Ficino fährt mit seinen Deutungen fort und führt als prominentes Opfer der Liebesmelancholie Lukrez an, dessen Lehrgedicht „De rerum natura“ seinerzeit gerne rezipiert wurde: „So erging es dem epikureischen Philosophen Lucretius infolge einer lange währenden Liebe: zuerst in Liebeswahn und dann in Raserei verfallen, legte er schließlich Hand an sich. Solche Schande stößt denjenigen zu, welche mit der Liebe Missbrauch treiben.“[7]

Exzessive Verliebtheit lässt den Liebenden, wie man ihn in Lorenzo de’ Medicis Sonetten findet, über das vernünftige Maß hinausschießen und letztendlich im Exzess scheitern. Konsequent kann Ficino also folgern: „Dies beobachteten schon die Ärzte des Altertums und erklärten die Liebe für ein der melancholischen Krankheit verwandtes Leiden, und der Arzt Rhazes empfahl, sie durch Beischlaf, Fasten, berauschende Getränke und körperliche Anstrengung zu behandeln.“[8]
Im weiteren Verlauf seiner Abhandlung über Liebe und Melancholie geht Ficino in Auseinandersetzung mit Aristoteles auf die antike Typenlehre ein und erkennt im Melancholiker wie im Choleriker jene Typen, die am eindeutigsten zur Liebe disponiert sind. Während sich der Choleriker mit feurigem Temperament leidenschaftlich in die Liebe stürzt, braucht der trägere Melancholiker längere Zeit, um sich zu verlieben: „Sind sie aber erst einmal im Netz, so zappeln sie, der Beständigkeit des Temperaments zufolge, lange darin.“[9]

2.4. Krankheit „Melancholie“ - Therapeutikum Musik


Ficino setzte bei der Behandlung seiner „Melancholie“, wie auch im Schreiben an Cavalcanti deutlich wurde, auf das Therapeutikum Musik, an deren antimelancholischer Wirkung später auch Luther festhalten wird. Dabei findet Ficino sehr schöne Worte, um das Linderungsmittel der Geplagten Choleriker wie Melancholiker zu beschreiben. Es ist die „Ergötzung durch die Musik“. Ficino betont: „Wir können uns keinem Vergnügen so ununterbrochen widmen, wie dem Wohlklange der Musik und der Betrachtung der Schönheit. Das Verlangen der übrigen Sinne ist bald befriedigt; hingegen das Gesicht und das Gehör ergötzen sich lange Zeit an Tönen und an bloßen Bildern. Die Genüsse dieser beiden Sinne sind nicht nur anhaltender, sondern auch der menschlichen Gemütsanlage angemessener. Denn nichts ist für die Lebensgeister des menschlichen Körpers passender, als die Stimmen und Gestalten der Menschen(...) Darum suchen die Choleriker und Melancholiker besonders die Ergötzung an Gesang und an der schönen Form als einziges Heil- und Linderungsmittel gegen die Beschwerden ihrer Komplexion und eben darum sind sie auch den Reizen der Liebe zugänglich.“[10]

Zu den hervorstechenden Melancholikern der Antike zählt Ficino an gleicher Stelle - und mit Aristoteles - besonders Sokrates und die griechische Dichterin Sappho[11], die der Liebe zugeneigt gewesen sein sollen, ferner den Römer Vergil.

3. Pico della Mirandolas Entwurf des Renaissancegenies in „De hominis dignitate“ Von Einsamkeit und Freiheit


Giovanni Pico della Mirandola war eine Lichtgestalt. Die Freunde im Mediceerkreis nannten ihn Phoenix oder, in Anspielung an ein Gut der noch wohlhabenden Adelsfamilie in Concordia, „Princeps Concordiae“, Fürst der Eintracht. Pico war der Jüngste im Mediceerkreis, vielleicht auch der Begabteste und philosophisch Weitsichtigste. Nach außen hin war er eine faszinierende Gestalt, jung, reich und schön, kurz eine Erscheinung, die auch in nichtphilosophischen Kreisen Achtung und Bewunderung erregte. Beide Beinamen, die ihm die Freunde verliehen hatten, konnten nicht besser gewählt sein. Als philosophischer Fürst der Eintracht bemühte sich Pico darum, die Philosophie Platons und die des Aristoteles miteinander zu versöhnen und sie in einen harmonischen Kontext mit dem Christentum und der jüdischen Kabbala zu stellen. Nach seiner Auffassung hatten alle Philosophen ihren Anteil an der Wahrheit.

Als ein Phoenix, der aus der Asche steigt, sollte er in seiner Abhandlung „De hominis dignitate“ einen philosophischen Ansatz formulieren, den man später als einen theoretischen Eckpfeiler dessen ansehen konnte, was man Renaissance nennen wird. Ungeachtet seiner materiellen Möglichkeiten als vermögender Graf lebte Pico, an Vorbildern wie Petrarca orientiert, zeitweise in kontemplativer Einsamkeit, Zurückgezogenheit und großer Bescheidenheit das Leben eines Philosophen und geistigen Menschen. Wie viele seiner genialen Zeitgenossen verfasste er Verse, aus denen bisweilen jugendliche Schwermut spricht. Er studierte, über seine Zeit weit hinausgehend, Arabisch und Hebräisch und widmete sich als einer der wenigen nichtjüdischen Gelehrten überhaupt der Kabbala, deren Weisheiten und Geheimnisse er in sein Denken einbezog.
Während seiner Zeit in Florenz unternahm Pico regelmäßig philosophisch-poetische Spaziergänge durch die Hügel der Toskana, nicht selten in Anwesenheit seines Lehrers und Mentors Ficino oder in Begleitung von Lorenzo de’ Medici, der damals dem mächtigen Haus der Mediceer vorstand und im Alltag eher mit dem Ausbauen der Macht und mit ihrer Erhaltung beschäftigt war, als mit Fragen des Geistes und der Kunst.

3.1. Die „dunkle Einsamkeit Gottes“


Picos Leben verlief jedoch alles andere als ruhig. Graf Pico della Mirandola hatte nie einen festen Wohnsitz und eilte, vom Drang bestimmt, stets als freier Mensch leben zu wollen, von einem Studienort zum anderen bis nach Paris, an dessen bekannter Hochschule manche geistigen Dispute der Zeit ausgetragen wurden.
Nach der Verfassung seiner 900 Thesen, die er in Rom zum Gegenstand eines Streitgespräches machen wollte und ihrer baldigen Verdammung durch den Papst wurde Pico vom Bann des Kirchenfürsten getroffen, der ihn zwang vorerst nach Frankreich zu fliehen.
Bei Lyon wurde er verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Auch das ist symptomatisch für die Zeit: Wer die Autorität des Papstes in Frage stellte, ganz egal ob er Savonarola, Bruno oder Galilei hieß, oder ob ihn edelste Absichten leiteten, wurde für die freie Verkündung von Lehren und Thesen gnadenlos in ein Gefängnis geworfen, in der Regel gefoltert, inquisitorisch abgeurteilt und rücksichtslos auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Die Gewalt gegen Menschen ging nicht von den Aufrührern des Geistes aus, die allesamt friedfertig waren, sondern von den Mächtigen der Zeit und lange vor dem der Dekadenz verfallenen Papsttum.

Erst nach massiven Interventionen mehrerer Fürsten beim Papst, wurde Pico de la Mirandola, der Prinz der Eintracht, wieder in die Freiheit entlassen. Lorenzo de’ Medici gewährte ihm im florentinischen Staat Asyl, stellte ihm eine Villa zur Verfügung und tat alles, um den über ihn verhängten Bann der Kirche aufzuheben. Dabei riskierte er einiges – die Missgunst des Papstes und vielleicht sogar Krieg. In einem Schreiben Lorenzos an einen römischen Gesandten heißt es: „Der Graf von Mirandola weilt hier bei uns, wo er wie ein Heiliger und Mönch lebt ohne großen Anhang und Aufwand“[12].
Bald darauf interveniert Lorenzo erneut für den Freund und bittet vehement um weitere Einflussnahme seines Gesandten: „Giovanni, ich bitte euch so sehr ich kann, diese Angelegenheiten des Grafen Giovanni della Mirandola zum Guten zu wenden. Sie sind mir nicht weniger wichtig, als wenn sie meine eigene Person beträfen. Wenn S. Heiligkeit mir je einen Gefallen tat, so bittet ihn, daß er mir jetzt gefällig sein möchte in Hinsicht auf diesen Mann, den ich so hoch schätze und das mit dem besten Gewissen[13].“ Pico wurde daraufhin nicht weiter verfolgt. Doch erst kurz vor seinem Tod wurde der Bann aufgehoben.

Im Jahr 1494 starb Pico della Mirandola[14] im Alter von nur 31 Jahren, ohne sein großes philosophisches Werk vollendet zu haben. Vita brevis, ars longa? Sein Leben glich einem Stern, der aufsteigt, hell erstrahlt und dann verglüht – und in die „dunkle Einsamkeit Gottes“, wie Pico es formulierte, zurückkehrt.

3.2. „Die Freiheit des Menschen“ und der „Geniebegriff der Epoche“ in „Oratio“


Pico galt als Meisterschüler Ficinos. Er folgte seinem Meister, zumindest solange er im Umfeld der Platonischen Akademie weilte, in Fragen der Platon-Interpretation, ohne jedoch das aristotelische Gegengewicht und zahlreiche weitere Lehren geistiger Repräsentanten anderer Kulturen aus den Augen zu verlieren. Während Ficino primär den Gelehrten repräsentierte, der konsequent und aufrichtig seine Zielsetzung verfolgt, der die Tradition achtet und den geistigen Status quo der Zeit respektiert; der, statt eine Konfrontation mit der katholischen Kirche zu suchen, eher auf den konzilianten Konsens setzt und sich selbst gar noch zum Priester weihen lässt, fokussiert der aufstrebende Pico auf philosophische Neuansätze und auf Werte, die dem Lebensgefühl der aufkommenden Renaissance entsprechen. Der viel umfassender und moderner denkende Giovanni Pico della Mirandola geht in entscheidenden Punkten über seinen Meister hinaus und begründet, durchdrungen von der Idee der Freiheit und der Notwendigkeit der geistig-religiösen Toleranz, eine neue Anthropologie, die das freie, sich selbst bestimmende Individuum in den Mittelpunkt des Kosmos stellt.

Diesen neuen Anthropozentrismus, der das Menschenbild vieler Renaissancedenker und Künstler nachhaltig prägen und bestimmen sollte und in welchem bereits der Geniebegriff der Epoche mit angelegt ist, formuliert Pico della Mirandola in seiner Oratio“ aus dem Jahr 1486, die auch unter der Überschrift „Die Freiheit des Menschen“ bekannt ist. Ausgehend von der Feststellung, die Pico dem Sarazenen Abdala und Hermes Trismegistos in den Mund legt, das „bewunderungswürdigste“ Geschöpf auf der Welt, das „Wunder“ schlechthin sei der „Mensch“ verifiziert Pico weitere Definitionen des Menschen aus unterschiedlichsten Quellen der Menschheitsgeschichte, um auf seine eigene Deutung der Genesis zu kommen. Gott hatte als höchster Baumeister die Welt nach den Gesetzen der verborgenen Weisheit geschaffen und vorzüglich ausgestattet. Es fehlte nur noch jener, der „die Vernunft eines so großen Werkes nachdenklich erwäge, seine Schönheit liebe, seine Größe bewundere. (...) Nun befand sich aber unter den Archetypen der Wahrheit kein einziger, nachdem er einen neuen Sprössling hätte bilden sollen.“ Darauf folgt dann die Kernaussage: „Daher beschloss denn der höchste Künstler, dass derjenige, dem etwas Eigenes nicht mehr gegeben werden konnte, das als Gemeinbesitz haben sollte, was den Einzelwesen ein Eigenbesitz gewesen war. Daher ließ sich Gott den Menschen gefallen als ein Geschöpf, das kein deutlich unterscheidbares Bild besitzt, stellte ihn in die Mitte der Welt und sprach zu ihm: ‚Wir haben dir keinen bestimmten Wohnsitz, noch ein eigenes Gesicht, noch irgendeine besondere Gabe verliehen, o Adam, damit du jeden beliebigen Wohnsitz, jedes beliebige Gesicht und alle Gaben, die du dir sicher wünschst, auch nach deinem Willen und nach deiner eigenen Meinung haben und besitzen mögest. Den übrigen Wesen ist ihre Natur durch die von uns vorgeschriebenen Gesetze bestimmt und wird dadurch in Schranken gehalten. Du bist durch keinerlei unüberwindliche Schranken gehemmt, sondern du sollst nach deinem eigenen freien Willen, in dessen Hand ich dein Geschick gelegt habe, sogar jene Natur dir selbst vorherbestimmen. Ich habe dich in die Mitte der Welt gesetzt, damit du von dort bequem um dich schaust, was es alles in dieser Welt gibt. Wir haben dich weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen, weder als einen Sterblichen noch einen Unsterblichen geschaffen, damit du als dein eigener, vollkommen frei und ehrenhalber schaltender Bildhauer und Dichter dir selbst die Form bestimmst, in der du zu leben wünschst. Es steht dir frei, in die Unterwelt des Viehs zu entarten. Es steht dir ebenso frei, in die höhere Welt des Göttlichen dich durch den Entschluss deines eigenen Geistes zu erheben.“

3.3. Die ethisch eingeschränkte Freiheit des Genies und das Humanum als Endziel

 

Aus der „Freigebigkeit“ Gottes resultiert „das höchste Glück des Menschen“. Pico ergänzt: „Des Menschen, dem es gegeben ist, das zu haben, was er wünscht, und das zu sein, was er will.“
Im Gegensatz zu den Tieren, die schon bei der Geburt das in sich tragen, was sie sind, erhebt sich der Mensch über die determinierenden Gene und beschreitet seinen eigenen Weg. „In den Menschen hat der Vater gleich bei seiner Geburt die Samen aller Möglichkeiten und die Lebenskeime jeder Art hineingelegt. Welche er selbst davon pflegen wird, diejenigen werden heranwachsen und werden ihm ihre Früchte bringen. Wenn er nur die des Wachsens pflegt, wird er nicht mehr denn eine Pflanze sein. Pflegt er nur die sinnlichen Keime, wird er gleich dem Tier stumpf werden. Bei der Pflege der rationalen wird er als ein himmlisches Wesen hervorgehen. Bei der Pflege der intellektuellen wird er ein Engel und Gottes Sohn sein. Und wenn er mit dem Lose keines Geschöpfes zufrieden sich in den Mittelpunkt seiner Ganzheit zurückziehen wird, dann wird er zu einem Geist mit Gott gebildet werden, in der einsamen Dunkelheit des Vaters, der über alles erhaben ist, wird er auch vor allem den Vorrang haben. Wer möchte nicht dies unser Chamäleon bewundern?“ - Gott, der größte aller schöpferischen Künstler, schafft den Menschen aus der Dunkelheit seiner Einsamkeit heraus und formt ihn zu einem Individuum, das sich stets aufs Neue frei entwerfen kann. Freiheit resultiert aus Einsamkeit. Die Schöpfung Mensch tritt nun in den Mittelpunkt des Kosmos und der ferne Schöpfer selbst verblasst angesichts eines großen, sich frei entwerfenden Individuums, das als Homo faber selbst zum Kreator und Baumeister wird – ein Mensch, der denkt und schafft, dem die Kraft innewohnt, alle Gesetze zu sprengen und der selbst die Göttlichkeit in sich trägt. Die große Freiheit, die Pico della Mirandola hier verkündet, ist, soweit sie den Bereich des Geistigen und Religiösen betrifft, unendlich ausdehnbar und wird nur durch eine ethische Festlegung begrenzt. Dem Großen Individuum, dem Renaissancemenschen, stehen alle Möglichkeiten offen. Er kann mit allen Traditionen brechen und alle Gesetze in Frage stellen – doch er darf nicht zum machiavellistisch-tyrannischen Tier, zum Cesare Borgia Typus, zur Bestie, degenerieren und das Humanum aufgeben. Das Humanum, die ethische Selbstbeschränkung des Menschen, bleibt die Conditio sine qua non. Das ist große, klare Philosophie, lange vor Descartes. Und auch sie ist eine Frucht der Einsamkeit. Als Pico diese Philosophie der Freiheit formulierte, war er von der Idee der Freiheit, die im politischen Europa des 15. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit war, durchdrungen. Demzufolge musste er alles ablehnen, was das Sein des Menschen determinierte und seine Selbstentfaltung hemmte. Also auch die Astrologie und die astrologisch determinierte Melancholie-Auffassung seines älteren Freundes Ficino. Es überrascht deshalb nicht, dass seine letzte Schrift gerade der Astrologie den Kampf ansagt.


4. Lorenzo de’ Medicis „melancholische“ Dichtung


Lorenzo il Magnifico, für viele die Verkörperung des Renaissancemenschen schlechthin, war unbestritten ein großer Staatsmann, eine historische Persönlichkeit ersten Ranges, die durch ihr politisches und diplomatisches Geschick, durch verantwortungsvolle Zurückhaltung Florenz und der Toskana Frieden und Wohlstand sicherte. Der Prächtige war zweifellos auch ein außergewöhnlicher Mäzen, ein Förderer der Schönen Künste, der Philosophie und der Literatur. Doch war Lorenzo auch ein Dichter von Rang?
Der Jüngste im engsten Kreis der philosophischen Freunde, die den Kult der Freundschaft noch im Sinne der Pythagoräer pflegten, Giovanni Pico della Mirandola stellt, im jugendlichen Überschwang, Lorenzos Gedichte noch über die der verehrten Vorbilder Dante und Petrarca, ahnt jedoch, dass er in seinem Urteil nicht ganz unbefangen ist. Aus heutiger Sicht steht fest, dass Lorenzos Dichtungen ebenso wie die Poesie eines Michelangelo oder die philosophischen Sentenzen eines Leonardo da Vinci weit hinter die eigentlichen Leistungen auf den Hauptbetätigungsfeldern zurückfallen. Dessen ungeachtet sind Lorenzos Dichtungen wertvolle Quellen, aus welchen sich – neben der Entwicklung der toskanischen Literatursprache – vor allem etwas vom Geist jener Zeit rekonstruieren lässt und mit ihm auch der Stellenwert von Einsamkeit und Melancholie während der Renaissanceepoche in Italien.

4.1. War der Prächtige ein Melancholiker? Vanitas, Wehmut und Schwermut


„VANITAS.

Eitles Trachten, eitles Ringen,
frißt dein bischen Leben auf,
Bis die Abendglocken klingen,
 Still dann steht der tolle Lauf.
(…)
War es Gold, war’s Macht und Ehre,
Was sie schmeichelnd dir verhieß:
Kunstgriff war’s nur der Hetäre,
Eitel Tand ist das und dieß.

Sieh! Noch winkt sie dir ins Weite,
Und du wardst ein alter Knab!
Nun entschlüpft dir dein Geleite,
Und du stehst allein – am Grab.

Kannst nicht trocknen mehr die Stirne,
Da du mit dem Tode ringst;
Hörst nur ferne noch der Dirne
Hohngelächter – und versinkst!“[15]
Lenau.

Lorenzo de’ Medici war kein eindeutiger Melancholiker. Jedenfalls litt er nicht unter der so genannten „melancholischen Krankheit“, wie sie von den poetisch-philosophischen Freunden Angelo Poliziano und Marsilio Ficino beschrieben wird. Das belegen nicht zuletzt seine Dichtungen, in denen keine eigentliche Auseinandersetzung mit der pathologischen Erscheinungsform der Melancholie, mit der, modern gesprochen, endogenen Depression stattfindet. Lorenzos Stanzen und Sonette sind weitgehend heiter. Nur gelegentlich setzt ein elegischer Umschwung ein, der von allgemeinen Vergänglichkeitsmotiven bestimmt wird. Wenn überhaupt „Traurigkeit“ aufkommt, dann ist es oft nur eine leichte, milde „Wehmut“, nie tieftraurige „Schwermut“, die in Nihilismus und Verzweiflung mündet wie bei reinen Melancholikern späterer Jahrhunderte. Exemplarisch vorgestellt sei hier eines seiner elegischen Sonette, dessen Gestimmtheit gut nachvollzogen werden kann:

„Wie unser Hoffen all’ in Eitles mündet,
Wie trugvoll ist, was unser Herz auch plane,
Und wie die Welt geleitet wird vom Wahne, -
Der Allgebieter Tod es uns verkündet.

Sang, Tanz und Spiel des einen Sinn entzündet;
Ein and’rer folgt des Heldentumes Fahne,
Der dritte haßt die Welt, - daß niemand ahne,
Wie’s um ihn steht, ein vierter Trug erfindet.

Nicht’ge Gedanken, mannigfache Sorgen –
So mannigfach wie’s bunte Spiel des Lebens –
Kann irrend nur die ird’sche Welt ererben.

Jed’ Ding ist flüchtig, kennt kein dauernd’ Morgen,
Der Treu des Glückes trauest du vergebens.
Gewiß ist eins nur: daß wir alle sterben.“[16]

Alles ist eitel, nichts hat Bestand. Alles ist dem Untergang geweiht. Leben, Glück und alle anderen irdischen Werte sind der endgültigen Vergänglichkeit unterworfen. Lorenzo greift das Vanitas-Thema auf, ein Motiv, das erst in der deutschen Barockdichtung zur vollen Entfaltung kommen wird, bei Gryphius[17] zunächst, dann im lyrischen Werk Goethes[18], und gestaltet es kunstvoll variiert in eigener Diktion. Die Botschaft endgültiger Vergänglichkeit, die ein Lenau in dem Fragment gebliebenen Gedicht „Eitel nichts!“ bereits im ersten Vers mit der Aussage kulminieren lässt: „‘s ist eitel nichts, wohin mein Aug‘ ich hefte“[19], ist in Lorenzos Poesie der Vergänglichkeit bereits vorweggenommen, wobei Lorenzos Motivik zum Teil auf den Minnesang zurückgeht. Was vom Troubadour beklagt wird, findet sich bei ihm wieder. So ist es in Lorenzos Gedicht „Corinto“ ein Rosenstrauch, an dessen Knospen, prallen Blüten und verwelkten Blütenblättern sich der gesamte Lebenszyklus abbilden lässt. Wie die schöne Rose verblüht, so verblüht auch die Jugend – und hinterlässt ein unbestimmtes Gefühl der Wehmut.

Woher kommen Pessimismus und Weltskepsis, die zur Resignation verleiten? Wie so oft sind negative Gefühle und Haltungen in den Zeiten begründet, die nicht immer oder fast nie harmonisch verliefen. Leider war die - später überwiegend verklärt als Glanzzeit der Künste und der aufkommenden Wissenschaft wahrgenommene - Epoche der Renaissance auch eine äußerst turbulente Zeit politischer und religiöser Rivalitäten. Sie war geprägt von Wirren, Intrigen und Machtkämpfen einzelner Territorialherren untereinander, in einem damals noch nicht geeinten Italien oder von Auseinandersetzungen einzelner Fürsten mit dem Papsttum, im Ringen um politische Vorherrschaft ebenso wie um den rechten Glauben. So instabil und unsicher wie die politischen Verhältnisse auf dem Boden des damaligen Italien war natürlich auch der Alltag, selbst der von Königen und Fürsten, die nicht recht wissen konnten, wer am nächsten Tag den Staat regiert und wer das kommende Abendmahl überleben wird. Tod, Gefahr, Verderben lag überall in der Luft, in Neapel wie in Mailand, im Vatikan-Staat des Borgia Clans oder am Nabel der Welt, in der sonnigen Stadt am Arno, in Florenz. Nichts war beständig, selbst die Kunst nicht, die oft nur Kompensation war und – aus Glaubensgründen und Überzeugungen über Nacht im Feuer aufloderte. Also gab es durchaus viele Gründe, den Lauf der Dinge mit Skepsis zu betrachten, auch vom Palazzo der Medici aus betrachtet. Der an sich nachdenklich-meditative Dichter Lorenzo kennt aber auch die heitere Bukolik, die jeden Hauch von Traurigkeit schnell wieder verfliegen lässt. Sein „Canzona di Bacco“, ein lebensfrohes Trinklied der Renaissance, richtungweisend für das enthemmte Barock, ist ein Beleg dafür. Eine graduelle Annäherung an die Melancholie als Krankheit ist aus folgendem Gedicht erkennbar:

„Wohin mich wendend kann ich dich vermeiden,
O trüb’ Gedenken? In welch’ dunkle Räume
Soll flüchten ich, wo ich von dir nicht träume,
Die du mir dienst allein zu meinem Leiden?

Wenn neue Blumen blühen auf den Weiden,
Wenn ich verweil’ im Schatten grüner Bäume,
Wenn ich im Flusse seh’ der Wellen Schäume, -
Was könnt’ mich wohl von meiner Klage scheiden?

Kehr’ ich zurück zu meinem Heim mit Grauen,
Dann unter tausend Sorgen wohnt inmitten
Des Herzens die, die an mir frisst und naget.

Was soll ich tun? Worauf soll ich vertrauen?
Als Gabe kann ich, ach! mir nur erbitten
Den Tod, der sich doch allzu lang’ versaget.“[20]

Das sind Reflexionen eines Leidenden, dem die Unentrinnbarkeit aus dem Schicksal bewusst wird, eines Melancholikers, den Todessehnsucht überkommt und der, wie andere Leidgeprüfte in ähnlicher Lage, die Rettung im erlösenden Tod erstrebt. Überall dominieren Absterben und Verfall. Die Natur tröstet nicht, sondern verweist nur auf die allseits präsente Vergänglichkeit, die hinter den grauen Mauern des Palastes noch deutlicher wird. Die ewige Sorge schleicht mit und wird zum determinierenden Faktor. Die existenzbedrohende Melancholie ist die gefühlte Sorge hinter allen anderen rational erfassbaren Sorgen des machtpolitischen und künstlerischen Alltags; als Verzweiflung ist sie das zersetzende Negativelement der Seele, die Angst generiert, Unruhe und Unfrieden schafft, die das alles sinnlos erscheinen und schließlich jeden Trost schwinden lässt. Wie im ersten Sonett, in dem der ersehnte Tod die letzte existenzielle Gewissheit darstellt, kulminiert auch dieses Gedicht in Todeserwartung. Der geistig, seelisch Leidende, der Melancholiker, sehnt sich nach endgültiger Erlösung.

4.2. Der Typus des „Inamoroso“ als Melancholiker - Liebeslyrik im Sonett


In den zahlreichen Liebesgedichten, die Lorenzo verfasst hat, sind Liebe und Tod die zentralen Motive. Fast in jedem seiner Liebesgedichte wird, richtungweisend für die Romantik, Liebesleid mit Todessehnsucht verknüpft:

„O süßer Schlaf, wenn du doch endlich kämest,
Zum Herzen, das bekümmert dein begehret,
Und hemmst der Tränen Flut, die immer währet,
daß, süß Vergessen, du die Pein mir nähmest!“[21]

In einem weiteren Sonett wird deutlich, wie im Liebenden, im „Inamoroso“, seelische und geistige Elemente zusammenfallen und eine Einheit bilden. Lieben, Leiden, Denken, Fühlen, Sehnen gehen in einer Synthese auf:

„Wohin ich mag die trüben Augen lenken,
Nie schauen sie, woran mein Herz sich weidet,
Und stets, ihr Armen, euch die Ruhe meidet; -
So geht’s auch meinem Reden, Geh’n und Denken.

‚s ist besser drum, zur Erd‘ die Augen senken
In Tränen. Stumm die Zunge Trübsal leidet.
Der Fluß beim ersten Schritte sich bescheidet.
Mein Denken möcht‘ ich nur dem Herzen schenken.

Dann seh’ ich sie so schön und edel drinnen
Im Herzen, wo sie Amor eingegraben,
Daß es kein and’res Gut begehret nimmer.

Dem Herzen nur gilt schweigend dann mein Sinnen:
In ihm allein will ich mein Leben haben,
Dem Leben fern und doch nicht tot – doch schlimmer!“[22]

Charakteristisch für Lorenzos Liebeslyrik ist eine gewisse Stereotypie und eine etwas sklavische Orientierung an Petrarca. Hinzu kommt, dass die Sprachmelodie des Italienischen in der deutschen Übertragung wegfällt und selbst die eigentliche Diktion nicht mehr herübergerettet werden kann. Das lässt einzelne Gedichte plumper und weniger künstlerisch erscheinen, als sie tatsächlich sind.
Die zentralen Elemente seines Gedichts sind der in Liebesleid sich verzehrende Inamoroso, der Dauergast Amor und der Gegenstand der Anbetung, die imaginäre Geliebte, die anonym bleibt und sich nie artikuliert. Ungeachtet der Nähe Lorenzos zu Ficino und dem Neuplatonismus ist die von ihm lyrisch exponierte Liebe – wie bei Petrarca – ein irdisches Phänomen, keine ewige Idee im Sinne Platons.
Lorenzo de’ Medicis Lyrik wäre für die Melancholie-Diskussion nicht ganz so wichtig, wenn es nur bei diesen, kaum besonders hervorstechenden Versen bliebe. Sein Wert liegt jedoch in einem anderen Bereich, nämlich in der Ausweitung der Melancholie-Thematik auf das liebende Subjekt: Bei Lorenzo wird der Liebende zum Träger der Melancholie – und dies in Rückbesinnung auf die Vorbilder Dante, Petrarca und in Distanzierung zu ihnen in Verknüpfung mit einer individuellen Ficino-Rezeption.
Diesen melancholischen Inamoroso, dessen spezifische Ausprägung wohl auf Lorenzo zurückgeht, wird man nur kurze Zeit später im elisabethanischen England bei William Shakespeare und in dessen Umfeld antreffen, bald darauf aber auch in dem bizarren, vorwissenschaftlichen Melancholie-Opus von Robert Burton, wo dieser Typus einen größeren Raum einnehmen wird.

Dante scheut die Melancholie, ja er weist diese Todsünde Acedia auch in der „Göttlichen Komödie“  von sich und flieht sie, indem er ihr mit der Zurückweisung entgegentritt: „Weiche“! Petrarca, der nicht erklärte Melancholiker, fürchtet sie, er versteckt sie und sperrt sie in die Privatsphäre ein, ja er versucht es sogar mit einer gewissen Systematik, den „Canzoniere“ frei von Melancholie zu halten. Beatrice und Laura werden besungen, verehrt, gefeiert. Der Liebende leidet zwar massiv, doch er verfällt nicht der endgültigen Verzweiflung.
Während Dante und Petrarca wohl kaum etwas von Platon kannten, knüpft der Neuplatoniker Lorenzo de’ Medici an die Platon-Interpretationen seines Lehrers Ficino an und stellt eine Identität zwischen dem platonischen Eros und seinem liebenden Subjekt her. Der Liebende, der in Liebe sich Verzehrende, der „Inamoroso“ - das ist der Melancholiker. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Aussagen, die Lorenzo zu diesem lyrischen Melancholiker gemacht hat, auf ihn selbst bezogen werden dürfen. Wer dies trotzdem tut, stilisiert den Prächtigen – weit an seinem Wesen vorbei – zum Hervorragendsten unter den Saturnikern, ignoriert aber die Fakten, die gegen eine Disposition und Identifikation mit der Melancholie sprechen.

Ein solches Melancholiker-Portrait Lorenzos liefert die kundige und lesenswerte biographische Darstellung von Emmy Cremer[23], in welcher mehrere in eine Richtung weisende Zitate Lorenzos aneinandergereiht werden: „Alle Liebenden, schreibt er im Comento, sind von Natur Melancholiker, voller Tränen und Seufzer und stehen im Banne einer forte imaginazione, einer starken Einbildungskraft. (...) Er will leben, um zu klagen und zu seufzen. Im Schmerz genießt er den Schmerz. Wenn er in einem Sonett sich selbst beschreibt, auf einem Steine sitzend, mit dem Arm die Wange stützend wie einst Walther von der Vogelweide, so sinnt er nicht nach über die Welthändel, sondern über die verschlungenen Wege seiner Liebe und ihre Leiden, da ein hartes Geschick ihn fernhält von den Augen der Geliebten. Man mag dies als Pose empfinden, dennoch ist es wahr und richtig, wenn er sich zu den Melancholikern zählt im Sinne seines Jahrhunderts. Die im Zeichen des Saturn Geborenen – und Lorenzo galt als der Hervorragendste unter den Saturnikern, zu denen auch Marsilio Ficino und Pico gehören – waren unter seinem schädlichen Einfluss bedroht von der Neigung zur Melancholie.
Aber man kannte auch die Auffassung des Aristoteles, dass gerade die Melancholiker in vielen Dingen andere überragten, wenn die Mischung ihrer Säfte ausgeglichen war, und dass sie Gottbegeisterte sein konnten, wenn ihre Melancholie nicht durch Krankheit, sondern durch ihr natürliches Temperament bedingt war. Die Melancholie, schreibt Marsilio Ficino, hilft der Seele, sich in sich selbst zu sammeln. Wer in irgendeiner edlen Kunst Großes erfand, tat dies, wenn er ... zur Burg der Seele seine Zuflucht nahm. So deutete das Jahrhundert die Natur des Melancholikers, des unter dem Saturn Geborenen. Und so empfand sich Lorenzo: zur Absonderung geneigt, zur Betrachtung, zur Einsicht. Ich glaube, schreibt er im Comento, dass jene Menschen, die von Natur Melancholiker sind, weniger Hoffnungen haben als die anderen. Die Liebenden, die im Banne der forte imaginazione stehen, sind Melancholiker; sie müssen mehr zweifeln als hoffen.“[24]

Das hier suggerierte Melancholiker-Bild Lorenzos überzeugt nur auf den ersten Blick. Einer kritischen Überprüfung hält es jedoch nicht stand. Was dagegen spricht ist das dichterische Werk Lorenzos, in dem die Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Melancholie fehlt. Ferner gibt es bei Lorenzo kein eindeutiges Bekenntnis zum Phänomen, wie das beim Zeitgenossen Michelangelo oder späteren Melancholikern der Fall ist. Und letztendlich war Lorenzo mit Pico della Mirandola, Leonardo - und Savonarola, dem er geistig vielleicht näher stand, als manche vermuten - ein entschiedener Gegner der Astrologie.

Die Melancholie, ein Thema seiner Zeit, bleibt auch für ihn, wie die Handhabung der Pose verdeutlicht, ein interessantes Motiv, das er sogar geistig-literarisch signifikant erweitert. Rein existenziell jedoch hat die Melancholie für Lorenzo keinen höheren Stellenwert.

4. 3. Melancholia - Lorenzo de’ Medici rezipiert Walter von der Vogelweide


Über Lorenzo de’ Medicis Grabstätte, von Michelangelo in den Jahren 1524 – 1534 in mühevoller Arbeit geschaffen, thront eine nachdenkliche Gestalt in der typischen Melancholie-Pose, wie man sie seit Walter von der Vogelweide kennt, in sich versunken, sinnend. Es ist die künstlerische Umsetzung der Intention Michelangelos, dessen Lebensgang vielfältige melancholische Züge aufweist, ein zeitspezifisches Phänomen der florentinischen Renaissance so treffend wie möglich einzufangen. In einem der Sonette Lorenzos erscheint das gleiche Bild:

“Io mi sto spesso sopra un duro sasso
e fo col braccio alla guancia sostengno,
e meco penso e ricontando vegno
mio cammino amoroso a passo a passo.”

Das ist die Nachdichtung dessen, was Walter von der Vogelweide in einem seiner bekanntesten Gedichte formuliert hat:

„Ich saz uf eime steine,
und dahte bein mit beine:
dar uf satzt ich den ellenbogen:
ich hete in mine hant gesmogen
daz kinne und ein min wange.
Do dahte ich mir vil ange,
wie man zer welte sollte leben:“



Bild 5.

Walter von der Vogelweide
als Brunnenfigur vor der Residenz zu Würzburg

Beide Subjekte sitzen auf einem Stein, stützen das Kinn auf den Arm und denken nach; der eine, der Troubadour Walter, philosophisch, ethisch über die richtige Lebensweise nachsinnend, der andere, fast schon vom tatsächlichen Leben enttäuscht, über die Liebe als höheres als metaphysisches Refugium. Diesem Bild entspricht die Pose der Melancholie in ihrer weit verbreiteten kulturhistorischen Erscheinungsform, in deutlicher Nähe zu Albrecht Dürers Paradigma „Melencolia“ aus dem Jahr 1514.

Walters Gedicht ist das Werk eines Troubadours deutscher Zunge, eines Minnesängers, entstanden in einer Zeit, als Meister Eckhart in seinen deutschen Predigten das Leben in „Abgeschiedenheit“ verkündete. Das Subjekt befindet sich in einer solchen kontemplativen Seins-Situation, ohne jedoch vereinsamt zu sein. Lorenzo de’ Medicis Gedicht ist im Gegensatz dazu ein bewusstes Melancholie-Gedicht. Wo bei Walter die Nachdenklichkeit vorherrscht, speziell das zielorientierte Nachdenken über die rechte Lebensführung, bricht bei Lorenzo schon die niederziehende Stimmung tiefer Trauer durch.

5. Die Familie der Melancholiker oder die Metamorphose des sinnenden Geistes zur Plastik und zum Gedicht - Exkurs


Conrad Ferdinand Meyer hat in seinem Gedicht „Il Pensieroso“ die Melancholie-Frage bei den Medicis und die Entstehung der Grabstätte miteinander verknüpft und dabei einen individuellen Ansatz vertreten, der das ihm unecht erscheinende Melancholikertum Lorenzos in Zweifel zieht und nur den Mediceer Giuliano als reinen Melancholiker gelten lässt.

C. F. Meyer, der selbst – als „der dunklen Schwermut Beute“ – viele Jahre seines Lebens in Einsamkeit und schweren Depressionen verbrachte, konstruiert eine kontemplative Situation, die sich in Wirklichkeit wohl nie ereignet hat: Der von ihm über alles bewunderte Genius Michelangelo, ein Melancholiker, belauscht zufällig den Mediceer Julianus (Giuliano), einen anderen Melancholiker, in typischer Haltung bei der Betrachtung antiker Marmorbilder:

„In einem Winkel seiner Werkstatt las
Buonarroti (…)
Da schlich sich Julianus ein, der Träumer,
Der einzige der heitern Medici,
Der Schwermut kannte. Dieser glaubte sich
Allein. Er setzte sich und in der Hand
Barg er das Kinn und hielt gesenkt das Haupt.“

In diese Betrachtung baut der dritte aus der großen Familie der Melancholiker, C. F. Meyer, der Italien-Begeisterte aus der Schweiz, einen Auszug aus einem Originalsonett Giulianos ein, dem bereits ein melancholischer Grundton eigen ist:

„Feigheit ist’s nicht und stammt von Feigheit nicht,
Wenn einer seinem Erdenlos misstraut,
Sich sehnend nach dem letzten Atemzug,
Denn auch ein Glücklicher weiß nicht was kommt
Und völlig unerträglich werden kann –
Leidlose Steine, wie beneid ich euch!“

Der Mediceer handelt wie viele genuine, von Todessehnsucht erfüllte Melancholiker und verabschiedet sich nahezu unbemerkt aus dem Leben. Für das Grabbild, das Verwandte bei Michelangelo in Auftrag geben, benötigt der Wahlverwandte keine Äußerlichkeiten, die man ihm breit schildern will:

„So waren seine Züge, sagten sie.
Der Meister schob es mit der Hand zurück:
„Nehmt weg! Ich sehe, wie er sitzt und sinnt
Und kenne seine Seele. Das genügt.“

Der Melancholiker Michelangelo Buonarroti erfasst die, auch ihm gut vertraute, Wesenheit des anderen Melancholikers intuitiv mit Empathie.

Das Wesenhafte am Melancholiker ist das Sinnen. Es überragt alle anderen seelisch-charakterlichen Eigenschaften und legt ihn fest. Interessant ist in diesem Zugang der höchst originelle Aspekt, dass, um das Wesen der Melancholie einzufangen, auf drei Ebenen angesiedelt, ein Melancholiker den anderen darstellt, vor allem die Folge des Bildes im Bilde und das Detail der dreistufigen Metamorphose der Melancholie vom Betrachtenden zur Plastik auf der Grabstätte und schließlich zum „Pensieroso“-Gedicht Meyers. Wie Michelangelo, dem es bei der Gestaltung der Grabstätte-Figuren nicht auf die Authentizität[25] der historischen Persönlichkeiten der Medicis ankommt, so versucht auch Meyer den Grundzug der Melancholie poetisch herausarbeiten.

Im Raum steht dann noch Meyers Aussage, nur Giuliano unter allen der Familie Medici habe die Melancholie gekannt, eine Festlegung, die nachzuvollziehen ist, wenn man Meyers Wertung aus der strengen Perspektive selbst erlebter und tief erlittener Melancholie beachtet. Ein Biograph des Dichters, Karl Fehr, beschreibt den Schweizer mit den Worten: „Meyer, ein tief depressiver, unter Daseins- und Zukunftsängsten lebender Mensch, ein Mensch, der Mühe hatte zu leben, ein Mensch, der in der Welt erst nach einem halben Jahrhundert Lebenszeit einigermaßen zurechtkam, er stand oft genug dem Tode näher als dem Leben; das Sterben wäre ihm manchen Augenblicken seines Lebens lieber gewesen als weiter leben zu müssen. Er beneidete Kameraden und junge Menschen, die einen frühen Tod gefunden hatten.“[26] Diese Haltung bis hin zur Verklärung des frühen Todes, wie man sie identisch bei Michelangelo wiederfinden wird, entsprach der existenziellen Haltung des sanften Melancholikers Giuliano, der dichtete und den Schönen Künsten zugeneigt war, am praktischen Leben hingegen wenig Interesse hatte. Diese weltabgewandte Lebenshaltung findet Meyers Sympathie. Im Gegensatz zu dieser rein ästhetisch-kontemplativen Existenz musste ihm Lorenzo der Prächtige, der Staatsmann und Diplomat, der die Interessen seiner Dynastie und den Willen des Volkes von Florenz zu respektieren hatte, wie ein kraftvoll rücksichtloser Renaissance-Mensch erscheinen.

Die leichte Annäherung Lorenzos an die Melancholie, die sich in seiner elegischen Dichtung vollzieht und ihn bestenfalls als einen leicht zur Melancholie disponierten Geist ausweist, überzeugt den tiefen Melancholiker[27] Conrad Ferdinand Meyer keineswegs. Aus dessen trister, ja tiefmelancholischer Weltbetrachtung heraus ist Lorenzo, der Erlauchte, immer noch ein heiterer Epikureer.

6. Einsamkeit, Melancholie und künstlerisches Schaffen während der Renaissance in Italien.

 

Für nahezu alle kreativen Tätigkeiten, besonders für die Künste, ist der Daseinszustand der Einsamkeit die Schaffensbedingung par excellence. Das schaffende Subjekt ist sich selbst am nächsten, die Seele ist ruhig und der Geist kann konzentriert, geordneten Denkbahnen folgend ungeahnte Höhen und Tiefen anthropologischer, intellektueller und künstlerischer Möglichkeiten ausloten. Unzählige Beispiele aus der mehrtausendjährigen Geistesgeschichte der Menschheit sprechen dafür. Doch wohl zu keinem Zeitpunkt ist der direkte Zusammenhang zwischen Einsamkeit und geistig-künstlerischem Schaffen deutlicher hervorgetreten als in der Renaissance, speziell bei den beiden genialen Ausnahmekünstlern Michelangelo und Leonardo.

6.1. Geniale Werke der Einsamkeit bei Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci - Einsamkeit als die künstlerische Schaffensbedingung schlechthin, als „conditio sine qua non“ des kreativen Subjekts.

 

Beide Künstler galten schon in ihrer Zeit als große Einsame – und als Melancholiker, eben als geniale Melancholiker. In ihnen schien sich die aristotelische These, alle großen Geister seien Melancholiker, am eindeutigsten und treffendsten zu bestätigen. Romain Rolland, ein seinerzeit vielgelesener Autor, hat in seiner am Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen Michelangelo-Monographie die Frage aufgeworfen, welcher der beiden Renaissance-Genies wohl der größere Einsame gewesen sei, Michelangelo oder Leonardo - und dabei das Genie aus Vinci favorisiert. Die vielen Quellen jedoch, vor allem die literarischen, neigen eher zu Michelangelo, wobei Michelangelo nicht nur zurückgezogen lebte und aus der Einsamkeit heraus Kunstwerke schuf: Er war darüber hinaus auch konstitutionell ein Melancholiker reinster Prägung. Das Wort „Einsamkeit“ ist ein Schlüsselbegriff seiner Existenz und führt - weit über das profane Alleinsein hinausreichend - als roter Faden durch sein gesamtes Leben und Schaffen.

6.2. Michelangelo Buonarroti - „Wer kann, wird niemals willig sein.“ – Individuelle Freiheit und künstlerische Selbstbestimmung


“La mia allegrezz’ è la maninconia.”
Michelangelo.
Michelangelo, 1475 in Caprese im Apennin geboren, wuchs in einem kunstfeindlichen Haus auf[28]. Die ersten Malversuche belohnte der engstirnige Vater, dem die Malerei zudem auch noch verhasst war, mit einer kräftigen Tracht Prügel. Trotz der Anlehnung eines künstlerischen Lebensweges konnte der Vater es aber nicht verhindern, dass sein begabter Sohn bereits im zarten Alter von vierzehn Jahren im Garten des Lorenzo di Medici das Meißel schwang und bald schon an der Tafel des Prächtigen, dem der vielfältig Talentierte aufgefallen war, speisen durfte.
Michelangelo, bald die Verkörperung des italienischen Nationalgenies, entwickelte sich in seiner fast neunzigjährigen Lebenszeit zu einem nahezu übernatürlichen Giganten der Kunst, zu einem einzigartigen Bildhauer, Maler und Architekten, dem kein Projekt zu gewaltig gewesen oder vor dem er gar zurückgeschreckt wäre. Ungeachtet aller Anflüge von Misanthropie war er ein Humanist erster Ordnung, ein wahrhaftiger Aristokrat des Geistes, ein souveräner Charakter, der sich stets des eigenen Wertes bewusst war und der das Selbstsein auch gegen die Mächtigsten der Zeit zu verteidigen wusste, durchdrungen von der Idee der Freiheit im Politischen wie im Religiösen, stets nach der Weisheit seiner Vorväter lebend: „Wer kann, wird niemals willig sein.“[29]
Michelangelo war, über Bildhauerei und Malerei hinaus, ein Dichter und ein Philosoph, eben ein Homo universalis gegen seine Zeit, der bis in die letzte Stunde seiner Tage, um Erkenntnis rang, der die Wahrheit, wie bitter sie auch war, ungeschminkt und nüchtern aussprach. Einer, der das Wahre über alles stellte; zudem ein Geist, der von der Idee des Schönen erfüllt wie kaum ein anderer, auch das Ästhetische über die Kunst mit einer ethischen und religiösen Lebensführung verknüpfte. Er fühlte das Höhere, die ewige Wahrheit, und richtete den Blick stets nach oben.

6.3. Große Kunst ist gottgewollt


Michelangelo war ein Genie, um dessen Kunst Päpste und Könige bettelten. Zugleich war er aber auch ein Künstler von erlesener Bescheidenheit. In einem seiner Sonette, die Michelangelo, der zufällig auch noch ein großer Dichter war, so ganz nebenbei verfasste, heißt es:

„Es kann der beste Künstler nichts erdenken,
Was nicht der Marmor schon in sich enthielt,
und der allein erreicht, worauf er zielt,
Dem Geist und Sinne seine Hände lenken.“[30]

Hinter der Kunst und hinter der gesamten Natur steht nach Michelangelos Vorstellung, vor allem in der Zeit der Reife und der Spätzeit, ein höheres Prinzip, eine Gottheit, durchaus in christlicher Auffassung, die alles lenkt und leitet. Kunst und Künstler sind der göttlichen Autorität unterworfen.
Mit dieser Auffassung von Gott und Welt nähert sich Michelangelo stark den Positionen des Reformators und Bußpredigers Savonarola, den er verehrte und in dessen Bann nicht nur große Geister wie Giovanni Pico della Mirandola und Sandro Botticelli, sondern auch sein eigener Bruder Lionardo standen.
Der religiöse Erneuerer Savonarola, ein charismatischer Dominikanermönch mit besonderem Ausstrahlungsvermögen ausgestattet und mit politischen Ambitionen, die ihm alsbald zum Verhängnis werden sollten, war wie Michelangelo staatspolitisch ein Demokrat, ein - von der Notwendigkeit der politischen Einigung Italiens erfüllter - Patriot und vehementer Befürworter republikanischer Verhältnisse im Fürstentum Florenz. Gleichzeitig war dieser Missionar im eigentlichen Sinne des Wortes ein christlicher Purist und, aus dieser Konsequenz heraus, dann auch ein deklarierter Bilderstürmer und Kunstfeind - eine Haltung, die den Anhänger und Maler Sandro Botticelli schließlich veranlassen sollte, eine Reihe seiner künstlerisch freizügig gestalteten Gemälde zu verbrennen.

Ungeachtet einzelner Phasen aufkommender Kunstskepsis oder gar eines religiösen Mystizismus, Krisenerscheinungen, die Michelangelo auch kannte, war der Bildhauer zu keinem Zeitpunkt ein blinder Gefolgsmann des italienischen Reformators. Michelangelo war bestenfalls ein Bewunderer der von Savonarola verkörperten und partiell umgesetzten politischen wie religiösen Erneuerung, die in der Zeit lagen, fasziniert von der Sendung des Charismatikers in der Art, wie es ein luzider Pico della Mirandola letztendlich auch war. Trotzdem: Über aller Begeisterung für politische Einigungs- und Demokratisierungsbestrebungen thronte die Kunst. Im Bereich menschlicher Endlichkeit bedeutete Michelangelo Kunst alles: Sie war sein Leben. Schließlich war große Kunst in allen ihren Formen ein Hinweis auf die Göttlichkeit des Menschen, ein Bindeglied zu Gott, ja der unmittelbare Ausdruck des göttlichen Willens, der diese Kunst inspirierte, ermöglichte und zuließ.

6.4. Der Schaffende ist das Maß aller Dinge - oder die Lust, mit dem Hammer neue Werte zu schaffen


Zwar ist große Kunst gottgewollt, nicht nur in der Sixtinischen Kapelle und am St. Peter; und auch ein von genialer Meisterhand geschaffener David ist göttlich – doch ist es der Schaffende, der kraft seiner Vision und dank seines Könnens die Idee aus dem Marmor schält und sie in Form bringt:

„Schlägt hart mein Hammer aus dem harten Stein
Bald dieses und bald jenes Menschenbild,
Ist er des Meisters Willen nur gewillt:
Bei jedem Schritt muss er gehorsam sein.“[31]

Zweitausend Jahre nach Protagaras ist der Mensch wieder das Maß aller Dinge, der Schaffende, der seiner Zeit den Stempel aufdrückt. Es ist sein schöpferischer Wille, der, über die göttliche Inspiration hinaus, bestimmt, was überhaupt an Kunstwerken geschaffen wird. Es ist sein Geist, seine Kraft, die alles wirkt und schafft. Hinter der Plastik, dem Fresko steht stets das selbstbewusste Individuum, der Homo faber, der Kraftmensch der Renaissance, der alte Gesetze durchbricht, um neue Werte zu setzen - das Renaissancegenie Michelangelo Buonarroti, Bildhauer in Rom. Es ist nicht mehr die finstere germanische Gottheit des Nordens, die den Hammer schwingt – es ist der Meister selbst, im sonnigen Italien, der, lange vor Nietzsche, mit dem Hammer philosophiert, alte Tafeln zerschlägt, um neue zu formen.
Gerade David, der von dem Riesen Michelangelo aus dem Stein gehauene Zwerg, verkörpert, wie keine andere Plastik das Gefühl der Renaissance, den Ausdruck von Kraft und Zorn.
David war seinerzeit – ganz im Einklang mit der testamentarischen Heldenfigur, die den mächtigen Goliath bezwang – auch eine Identifikationsfigur des souveränen Florenz, welches sich permanent politisch-existenziell sowohl gegen den Vatikan-Staat, gegen Neapel und Venedig als auch gegen die hegemonialen Bestrebungen ausländischer Mächte, namentlich des französischen Königs, behaupten musste.

6.5. Weltflucht und Weltverachtung


Doch eben dieser gewaltige Übermensch Buonarroti hat noch eine zweite Seite, eine menschliche, eine leidende, eine unglückliche, ja eine tragische, mit vielen Nuancen und feinsten Facetten durchsetzt. Michelangelo – oder Michelagniolo, wie er in den Briefen unterzeichnet, war als Mensch extrem bescheiden und lebte, am Ideal der Genügsamkeit antiker Philosophen oder christlicher Mönche ausgerichtet – obwohl er stets recht vermögend war - auf dem Niveau seiner Gehilfen, mit spärlicher Nahrung, oft von Krankheiten heimgesucht, in Askese und vielfachem Verzicht in Einsamkeit und Melancholie. Im Gegensatz zu dem von ihm hochgeschätzten Petrarca, der inmitten einer intakten Natur den „Locus amoenus“ suchte und – mit Laura im Herzen und im Sinn – sogar den Mont Ventoux bestieg, betrieb Michelangelo, als Maler von der konkreten Natur und ihren uninspirierten Abbildungen unbeeindruckt, bewusste Weltflucht und Weltverachtung. Die von Leonardo da Vinci stets genau beobachtete und beschriebene Natur bedeutete Michelangelo nur wenig. Selbst als Kulisse äußerer Einsamkeit faszinierte sie ihn erst im späten Alter.
Michelangelo verachtete selbst den Ruhm, den er als Eitelkeit durchschaute. Der langweilige Umgang mit den Mächtigen, mit den Päpsten, Königen und Fürsten, interessierte ihn nicht. Ebenso wenig begeisterte ihn das gesellschaftliche Leben in Florenz oder Rom. Ein Zeitgenosse, Francesco de Ollanda, zitiert ihn mit den Worten: „Wenn ein Mensch durch die Natur und die Erziehung so geschaffen ist, dass er die Zeremonien haßt und die Heuchelei verachtet, hat es keinen rechten Sinn, ihn nicht so leben zu lassen, wie es ihm behagt. Wenn er nichts von euch verlangt und eure Gesellschaft nicht sucht, warum sucht ihr dann die seine? Warum wollt ihr ihn zu den Nichtigkeiten erniedrigen, die seiner Weltflucht widerstreben? Der ist kein höher veranlagter Mensch, der lieber den Dummköpfen gefallen will als seinem Genie.“[32]

Wie später der Melancholiker Burton, dem die derben Zoten mit den Themsefischern mehr bedeuteten als gesellschaftlicher Umgang, zog es auch Michelangelo vor, sich mit originellen, armen Schluckern zu umgeben, die auf ihre Weise unverfälscht und interessant waren, mit denen er seine makabren Späße treiben und deren Humor er ungehemmt genießen konnte, statt sich mit den gesellschaftlichen und intellektuellen Autoritäten seiner Zeit abzugeben, deren permanente Heuchelei er – wie aus den anklagenden Sonetten zu erkennen ist – auf allen Ebenen längst durchschaut hatte. Diese konsequente, ein ganzes Leben hindurch aufrecht erhaltene Haltung brachte ihm nicht nur viele Feindschaften ein und Gegner, die selbst nach seiner künstlerischen wie existenziellen Vernichtung trachteten; Sie führte auch dazu, dass Michelangelo, existenziell verbittert und von  Misanthropie erfüllt, andere Genies der Kunst mied, auch wenn sie praktizierende Apologeten der Einsamkeit waren wie Leonardo da Vinci, dessen Werke er – aus einer artistischen Rivalität heraus – entsprechend ungerecht beurteilte.

6.6. Der sinnende Melancholiker „Micha Ange bonarotanus Florentinus sculptor optimus“


Einsamkeit und Melancholie sind Phänomene, die der Wesenheit Michelangelos am eindeutigsten entsprechen. Die „dunkle Schwermut“ ist, wie Herbert von Einem es ausdrückte, „seine persönlichste Signatur“.[33] Michelangelos gesamtes Leben vollzieht sich als Sein zwischen selbst gewählter Einsamkeit und bedrohender Vereinsamung. Einsamkeit und Melancholie sind die Schlüsselbegriffe seiner Existenz und gleichzeitig auch der Schlüssel zu seiner Werkinterpretation. Michelangelos Werke sind Werke der Einsamkeit und müssen auch so verstanden werden, auch wenn sie sich nicht unbedingt sofort als solche zu erkennen geben.
Die Einsamkeit war Michelangelos Wesenselement und der kontemplative, melancholische Gesichtsausdruck sein charakteristischstes Merkmal. Ein zeitgenössischer Kupferstich zeigt bereits den dreiundzwanzigjährigen „Micha Ange bonarotanus Florentinus sculptor optimus“ als sinnenden Melancholiker, das geneigte Haupt auf den Handrücken gestützt und in sich versunken. Die Bronzebüste von Daniele da Volterra, heute im Louvre, stellt ebenfalls einen von Trauer und Nachdenklichkeit erfassten Michelangelo dar, ebenso sein Selbstbildnis im Alter als Nikodemus in der Pieta.
Schon in der viel gelesenen und von manchen Geistesgrößen rezipierten Darstellung von Hermann Grimm, dem Sohn des Märchensammlers Wilhelm Grimm, Leben Michelangelos, wird die Melancholie als einer der bezeichnenden Wesenszüge ausgemacht und teils auf die wenig attraktive Erscheinung Michelangelos mit dem Makel einer in jugendlicher Kunstauseinandersetzung zertrümmerten Nase zurück geführt: „Vielleicht war es die Entstellung seines Gesichtes, die Michelangelos natürliche Neigung zu Melancholie und Einsamkeit erhöhte und ihn herb und ironisch machte. Er war im höchsten Grade sanft, duldsam und gutmütig, er hatte eine natürliche Scheu, den Leuten wehe zu tun aber in Sachen der Kunst duldete er keine Kränkung seines guten Rechtes. (...) Er besaß ein gewaltiges Selbstgefühl.“[34]

Michelangelo war im Zeichen der Fische geboren – für manche ein Hinweis auf eine sonderbare, leidenschaftliche Persönlichkeit. Der einst hoch gehandelte Dichter und Essayist Romain Rolland hat die markanten Wesenszüge des Künstlers, Einsamkeit und Melancholie, in seinem partiell heute noch lesbarem, teilweise aber von vielfachen Fehlinterpretationen und ganz wesentlichen Verkennungen bestimmten Michelangelo-Portrait ähnlich formuliert und auf den Punkt gebracht: „Er war einsam.“[35]

Andere Interpreten folgen ihm in der Einschätzung. So schreibt etwa Heinrich Koch gleich zum Auftakt seiner Darstellung recht direkt: Michelangelo war einsam. Er blieb einsam auch in seinem Ruhm. (...) Dieses Bekenntnis fixiert die Grundsituation seines Lebens. Er konnte nur in Einsamkeit tätig sein. Der Hang zu ihr war ihm angeboren. Die Umwelt, gegen die er sich abschloss, oft rücksichtslos und grob, konnte ihn nicht verstehen. Sie sah in ihm einen launenhaften Sonderling, einen hochmütigen Phantasten, einen zornigen Missvergnügten.“[36]

6.7. – „La mia allegrezz’ e la maniconia” – “Meine Lust ist die Melancholie!” – Existenzbewältigung im “Amor fati“ oder eine ins Positive transponierte „Melancholie als Mode“?


Michelangelo empfand sich selbst als Melancholiker und seinen Lebensmodus, stets von ewiger Unruhe bestimmt, als ein „Zustand von Melancholie, oder besser von Tollheit“[37].
In verschiedenen Briefen[38], die für das tiefere Verständnis des Künstlers unverzichtbar sind, umschreibt Michelangelo seine momentane Stimmung als malinconico“, also als melancholisch, oft in Verbindung mit einer gewissen Andersartigkeit und individuellen Verrücktheit. Vieles, oft sind es banale Dinge des Alltags, stimmt ihn traurig. Michelangelo findet sich aber recht früh mit seiner Melancholie, unter der er manchmal extrem leidet, ab und findet sogar einen - masochistisch anmutenden - Genuss am Leidenszustand. Dank seiner ausgeprägten Willensstärke und kraft seiner gewaltigen Persönlichkeit, die der gesamten Gesellschaft zu trotzen vermag, ohne unterzugehen, lehnt er sich gegen die Melancholie als pathologisches Negativphänomen auf und deutet sie - in einem Akt besonderer Willensanstrengung - ins Positive um. Das Leiden wird zur Freude!
Das Resultat - dieser psychologisch realisierten Umwertung im Rahmen eines existenziell notwendigen Bewältigungsprozesses - gipfelt in dem poetisch sublimierten Ausruf:

“La mia allegrezz’ e la maniconia”
“Meine Lust ist die Melancholie”!

Es ist gut vorstellbar, dass Michelangelo mit seiner Neubewertung des Melancholie-Empfindens eine Entwicklung in Gang gesetzt hat, die im gesamten europäischen Umfeld zu einer Positivinterpretation des Melancholie-Phänomens geführt haben könnte - allerdings ist es eine Wertung, die zu keinem Zeitpunkt das eigentliche Phänomen der Melancholie als Situation des Leidens verdrängen konnte.
Michelangelo formuliert seine Verherrlichung des gefürchteten Phänomens als Dichtung vielfach in anspruchsvollster Form, im Sonett, das er perfektionistisch angeht wie eine große Skulptur. Die Verbalisierung und Ästhetisierung vollzieht sich somit aber auch über ein Medium, das zunächst ungedruckt von Hand zu Hand Verbreitung fand und - mit dem sich verbreitenden Ruhm des genialen Künstlers aus Florenz und Rom - wahrscheinlich auch im Ausland aufgenommen wurde.

Melancholie als Mode, kultiviert von Poliziano, Ficino, Pico, Lorenzo de‘ Medici und letztendlich auch von Michelangelo erreichte die Geister[39] Europas, speziell im elisabethanischen England und wirkte sich dort unmittelbar aus – zunächst, bis zu einem gewissen Grad, bei dem Melancholie-Motive sammelnden Robert Burton ebenso wie, literarisch weitaus anspruchsvoller umgesetzt, in den Werken von William Shakespeares beziehungsweise bei Christopher Marlowes[40], der möglicherweise einige Werke seines weltberühmten Landsmanns aus Stratford-upon-Avon verfasst oder mit verfasst haben könnte, sowie in deren Umfeld.

6.8. Hypochondrie und Misanthropie in burlesker Entladung – bei Michelangelo und Leonardo


„Es gibt Menschen, die man nicht anders als Durchgang von Speisen, Vermehrer von Kot und Füller von Abtritten nennen muß, weil durch sie nichts anderes auf der Welt erscheint, keine Tugend sich ins Werk setzt und von ihnen nichts übrig bleibt als volle Latrinen.“[41]
Leonardo da Vinci

Seine letzten Jahre verlebte das Menschheitsgenie Michelangelo aus freier Entscheidung in ärmlichen Verhältnissen in seinem alten Domizil unweit der Trajans-Säule im Herzen der Weltstadt Rom, manchmal gar verbittert und einsam. Was damals oft innerlich in ihm vorging, was er in Augenblicken des Überdrusses, des Zweifelns und fast Verzweifelns dachte und fühlte, hat der Universal-Künstler in einer burlesken Gelegenheitsreimerei festgehalten:

„Eng eingeschlossen wie in seine Rinde
Des Baumes Mark, leb einsam ich und ärmlich,
gleich einem Geist, gebannt in die Phiole.

Mein Grab ist dunkel und ist schnell durchflogen,
darin die Spinnen emsig, tausendfach
am Werk, sich selbst als Weberschiffchen nützen.

Ein Berg von Kot türmt sich vor meiner Pforte.
Wer Trauben aß, wer Medizinen schluckte,
dem dient der Platz hier zur Erleichterung.

Hier lernte ich des Harnes Wasser kennen
Und auch ihr Ausflussrohr durch jene Ritzen,
die mich vor Tagesanbruch schon erwecken.

Wer Katzen, Aas, Lockvögel, Mist in seinem
Hausstand führt, bringt sie zu mir. Stört es mich,
darf ich sogar mit ihnen Umzug halten.

Das Innerste ist mir derart zerwühlt,
dass, selbst wenn der Gestank verduften sollte,
kein Brot und Käse mir im Magen blieben.

Husten und Schnupfen hindern, dass ich sterbe.
Weicht mir die Blähung unten leicht von hinnen,
so geht der Atem mühvoll aus dem Munde.

Ich bin erlahmt, geborsten und zerbrochen
durch meines Lebens Qualen. Und die Schenke,
in der auf Borg ich lebe, ist der Tod.

Den Frohsinn finde ich in dumpfer Schwermut,
und meine Qualen spenden mir Erholung.
Wer mag, dem möge Gott dies Elend schenken.

Wer am Dreikönigstage mich gewahrte,
wohl ihm, und mehr noch, sehe er mein Haus
inmitten hier der prächtigen Paläste!

Der Liebe Flamme ist in meinem Herzen
erloschen. Größre Not verjagt geringe.
Der Seele Flügel hab ich scharf gestutzt.

Ich brumm wie eine Hummel in dem Kruge.
In einem Ledersacke trage Knochen
ich und Sehnen, drei Steine in der Blase.

Des Blickes sichres Richtmaß ist zerbrochen.
Die Zähne sind wie einer alten Zymbel Tasten,
sie klappern, wenn die Stimme tönt.

Ein Bild des Schreckens zeigt sich mein Gesicht.
Die Kleider scheuchten ohne andre Waffe,
vom Wind bewegt, wohl Raben aus der Saat.

In meinem einen Ohr hockt mir die Spinne,
im andern zirpt in der Nacht die Grille,
und der Katarrh macht schnarchen mich, nicht schlafen.

Und Amor und die Musen, blühende Lauben,
was sind sie als Gekritzel und Gelumpe,
in Schenke, Gosse, Abort nun zu finden!

Hab ich so viele Puppen angefertigt,
damit mir’s schließlich geh wie jenem Mann,
der’s Meer bezwang und dann im Schlamm erstickte?

Die hochgepriesne Kunst, die einst mir Ruhm
Geschenkt, hat mich dahin gebracht, dass ich
In Armut alt und Fremden untertan.

Ich bin vernichtet, kommt nicht schneller Tod.“[42]

Das ist nicht mehr die selbst gewählte Einsamkeit des souveränen Renaissancekünstlers, der sich zurückzieht, um in adäquatem Umfeld große Leistungen zu vollbringen. Das ist vielmehr die Einsamkeit eines Menschen, eines vielfach Unverstandenen, der sich ausgestoßenen fühlt, eines Stigmatisierten, der Probleme mit einer teilnahmslosen, geistig sterilen Gesellschaft hat, mit Ignoranten die weder seine Persönlichkeit schätzten, noch seine besondere, in vielen Bereichen entfaltete Kunst zu würdigen wissen.
Vergänglichkeit, das Altern, der Zerfall, Amor fati, Klage, Leiden, Todessehnsucht, Erlösung, Umwertung der Melancholie zur Lust, extreme Weltflucht und Misanthropie, Welt-Ekel, Überdruss und Übertreibung – das alles sind Elemente, die das klagende Genie, nicht anders als der ähnlich fühlende und leidende Leonardo da Vinci an anderer Stelle, der vielgepriesenen Zeit mit ihren gleichgültigen, wenig kunstsensiblen, intellektuell abgestumpften Menschen zum Vorwurf macht. Das einsame Genie muss leiden – Doch als Dichter wird Michelangelo, lange nach Seneca und weit vor Goethe, unverblümt zu sagen wissen, was er erleidet, nicht ganz realistisch, dafür umso grotesker und obszöner in einem Akt des Protestes und der seelenreinigenden Selbstbefreiung.

Wie hat sich die Melancholie-Auffassung inzwischen verändert? Was ist anders geworden seit der Zeit des Minnesangs und des frühen Humanismus? Während ein Walter von der Vogelweide sich in die Melancholie-Haltung versetzt, ja die Melancholie-Pose kultiviert, um dann - weder tief traurig noch sonst existenziell betroffen - recht nüchtern rational über die richtige Lebensführung nachzudenken oder ein Francesco Petrarca sein Loblied auf die Einsamkeit gelegentlich gar poetisch zelebriert, die tieferen Schmerzen melancholischer Heimsuchungen aber der Welt vorenthält, um sie, nur für sich selbst bestimmt, in sein „Secretum“ zu bannen, lässt Michelangelo seinem Welt-Ekel und seiner Misanthropie freien Lauf – zur Melancholie stehend, deren Schmerz, mehr apodiktisch als sublim, zur Lust erhöht wird. Die verachtete Welt soll wissen, dass aus tiefstem Leiden auch Lebensfreude werden kann, wenn der starke Wille eines souveränen Individuums, das sich geistig-spirituell über das profane Leben erhebt, es so will.

Michelangelos kongenialer Zeitgenosse und Rivale in den Künsten wie Ideen, Leonardo da Vinci, der in seinem ebenfalls langen Leben manche Wüste der Einsamkeit durchschreiten musste, hat, die Gesellschaft geißelnd, seine Enttäuschung am Menschen in ähnlich dramatische Worte gefasst. In den „Philosophischen Tagebüchern“ Leonardos ist lakonisch vermerkt: „Es gibt Menschen, die man nicht anders als Durchgang von Speisen, Vermehrer von Kot und Füller von Abtritten nennen muß, weil durch sie nichts anderes auf der Welt erscheint, keine Tugend sich ins Werk setzt und von ihnen nichts übrig bleibt als volle Latrinen.“[43]

Es ist frappierend, dass auch dieser zweite große Geist der Hochrenaissance zur Fäkalsprache greifen muss, um seiner Verbitterung Luft zu machen. Frustrationen müssen abgearbeitet werden, damit es künstlerisch wie existenziell weiter gehen kann, frei in der Selbstbehauptung in einem Umfeld, das mehr gnadenlos als sozial war.
Letztendlich beweisen Michelangelos und Leonardos Gelegenheits-Zynismen, wie schnell gelebter Altruismus über künstlerisches Schaffen und Philanthropie in Misanthropie umschlagen können. Gerade Menschen, die ein Leben hindurch viel Idealismus investierten, um das Höhere im Menschen zu fördern und zum Durchbruch zu führen, verlieren irgendwann nach zahlreichen Enttäuschungen den Glauben an eben diesen Menschen, der keine Krönung der Schöpfung ist und ziehen sich, mehr souverän und einsichtig als „gekränket von dem Schwarme“ (Lenau, „Der einsame Trinker“), in die Einsamkeit ihres Selbst zurück.

Die oben zitierte Burleske, in der die Motive Einsamkeit, Melancholie, Trauer und Tod gezielt eingestreut werden, hat natürlich nicht viel mit den großen Sonetten Michelangelos zu tun, aus denen ein ganz anderes Künstlertum zu vernehmen ist, dafür aber umso mehr mit der tatsächlichen Existenz. Es ist nicht einmal eine Stilübung; es ist eine Art stilisierte Marotte in Versen, teils aus eigenem melancholischen Vergnügen heraus verfasst, mit dem Ziel, sich selbst und den Adressaten, an den es sich wendet, ungeachtet der Bitterkeit zum Lachen zu bringen. Michelangelo, der Künstlergigant überhaupt, als Vogelscheuche! Der „uomo universale“ als gebrochenes Individuum, kraftlos, sich nach dem Erlöser Tod sehnend!

Das Genie ein Hypochonder? Einer, der sich genau beobachtet und alle möglichen Symptome und Krankheiten an sich feststellt, der an sich die Spuren des Verfalls und der Vergänglichkeit registriert; der schließlich selbst an seinem Lebenswerk, an den von ihm geschaffenen Kunstwerken, die ihm alles bedeuteten, zweifelt. Inmitten dieser trostlos destruktiven Sichtweise erhebt sich die Melancholie als ambivalentes Phänomen. Obwohl sie ein Elend ist, das keiner erleiden soll, spendet sie auch Trost, weil der Leidende in seinem Leiden aufgeht:

„Den Frohsinn finde ich in dumpfer Schwermut,
und meine Qualen spenden mir Erholung“.

Gedichte dieser Art, einerseits mit tiefer Aussagekraft zur Melancholie-Thematik, müssen andererseits so gelesen werden, wie man die enthusiastischen, von Pathos durchdrungenen Briefe des Mediceer-Kreises liest – unter Beachtung der zahlreichen Übertreibungen, der rhetorischen Floskeln, der Ironie und des Sarkasmus’. Nicht alles, was verkündet wird, ist echt und ernst gemeint. Und doch schwingt existenzielle Bitterkeit mit, eine Verbitterung, aus der die innere Wahrhaftigkeit hervor leuchtet.

Michelangelos von vielen künstlerischen Höhepunkten bestimmtes Leben hatte sicher auch traurige Phasen. Als sensiblen Künstler irritierten ihn die Trivialitäten des Alltags, die vergeudete Energie in der Auseinandersetzung mit Auftraggebern, die ihre Honorare endlos hinauszögern, mit unzuverlässigen Banken, Betrügern im Steinbruch, Dieben aller Art und mit den immer wieder sich einstellenden Geldsorgen, die den künstlerischen Schaffensprozess unterbrachen und den Künstler lähmten. In einem Brief aus dem Jahr 1509, also zu einem Zeitpunkt, als er schon ein berühmter Bildhauer war, schreibt Michelangelo aus Rom an seinen Bruder Buonarroto in Florenz: „Ich bin genötigt, mich mehr als die Anderen zu lieben, und kann nicht einmal mir mit den notwendigen Dingen dienen. Ich lebe hier in großer Sorge und unter den größten körperlichen Anstrengungen und habe keinen einzigen Freund, will auch keinen, und habe nicht soviel Zeit, um das Notwendige essen zu können; drum soll man mir nicht noch mehr Not machen, ich könnte doch nicht eine Unze mehr davon ertragen.“[44] Drei Jahre später klagt er dem gleichen Bruder, der, neben dem Vater, das Bindeglied zur Familie darstellte: „Ich teile Euch mit, daß ich nicht einen Groschen besitze und gleichsam barfüßig und nackt bin und das, was mir noch zukommt, nicht eher als bis ich mein Werk vollendet habe, erhalten kann; und ich erdulde sehr große Mühen und Unbequemlichkeiten.“[45]

Da Michelangelo weitgehend wie ein Asket lebte, brauchte er kaum etwas für den persönlichen Bedarf. Das meiste Geld aus seinen nicht geringen Honorarzahlungen investierte er in Materialien, in Wachs, Papier, Leinwand, Farbe, vor allem aber in teure Marmorblöcke, die er auf eigenes Risiko erwarb und transportierte. Erwies sich ein solcher Marmorblock, den Michelangelo in den Brüchen von Carrara oder Pietrasanta bei Aufenthalten von bis zu acht Monaten im Bruch selbst aussuchte, als mangelhaft, so war der Schaden für den Künstler enorm. Darüber hinaus war die Zahlungsmoral der Päpste schlecht. In einem Brief an Fatucci aus dem Jahr 1525 klagt Michelangelo: „Ich habe die Provision, schon ist’s ein Jahr her, nicht genommen und kämpfe mit der Armut. Ich bin ganz allein in meinen Nöten und habe davon so viele, daß sie mich mehr beschäftigt halten als die Kunst.“[46]

Der Künstler wird in die Einsamkeit zurückgeworfen und verfällt zeitweise der Melancholie, während der künstlerische Schaffensprozess stockt. Obwohl er leiden muss, vermeidet es Michelangelo, bei Freunden um Geld zu betteln. Dazu ist er zu stolz. Er sucht vielmehr sein Recht, indem er jeden der fünf Päpste, mit denen er es zu tun hatte, zur Rede stellt und sie an ihre Zusagen erinnert. Wenn Michelangelo größere Zahlungen erhielt, ließ er einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Familie zukommen, investierte in Bürgerhäuser in Florenz, erwarb viel Grundbesitz und deponierte ansehnliche Summen bei Banken. Da er im Grunde reich war, musste er auch befürchten, gerade die deponierten Gelder könnten von Bankiers, Verwalter, Notaren veruntreut werden, ebenso wie er Sorge hatte, im alltäglichen Bereich betrogen und bestohlen zu werden. Neben seinen sonstigen Wertsachen, waren vor allem seine Kunstwerke, die in großer Zahl in seinem Atelier herumlagen, begehrt.
Als 1542 eine Bestätigung eines angelegten Betrags, mit dem sich Michelangelo die Freiheit des Alters sichern wollte vorerst ausblieb, jammerte er in einem Schreiben an seinen Verwalter de Riccio: „Ich habe mir die 1400 Dukaten aus dem Herzen gezogen; und die hätten mir für sieben Jahre Arbeit gedient (...) Nun stehe ich da, ärmer an Geld und mit mehr Kampf und Nöten denn je“.[47]

Obwohl Michelangelo immer wieder zur Übertreibung neigte und seine vermeintliche Armut inszenierte, wird aus den Briefen eines deutlich: Die Existenz des Individuums ist stets gefährdet - als Mensch und Künstler. Das Leben bleibt in mehrfacher Hinsicht exponiert.
Neben den materiellen Sorgen litt der sonst selbstbewusste, aristokratisch geprägte Michelangelo unter der politischen Unfreiheit der despotischen Zeit und unter dem Zwang, den Päpsten dienen zu müssen, während sein großer Rivale Leonardo da Vinci in seiner Gesamtentfaltung mobiler und somit viel freier war. Auch quälte Michelangelo die Vorstellung, seine großen Kunstwerke könnten die Zeiten nicht überdauern und der Vergänglichkeit anheimfallen. Da er recht lange lebte, verlor er viele Freunde, ihm nahestehende Menschen, ferner Ideale. Vielfache Desillusion machte sich breit – doch er hielt am Leben fest. Michelangelo war zwar oft krank, doch lehnte er jede ärztliche Hilfe ab, da er, nicht anders als sein dichterisches Vorbild Petrarca, die wissenschaftliche Autorität des Berufsstandes nicht anerkannte. Entgegen seiner Jammer-Darstellung in der Burleske, musste der anerkannte Künstler nicht in Lumpen leben. Michelangelo war vermögend, sogar so begütert, dass er seinen treuen Mitarbeiter Urbino durch eine einzige, geradezu fürstlich ausfallende Schenkung reich machte.
Michelangelo, der in der Selbstbehauptung gegenüber den Päpsten stets Rückgrat, Mut, ja sogar bewusste Gegnerschaft zeigte, war im Umgang mit seinen engsten Mitarbeiter höchst wohlwollend, mild und von zarter Güte erfüllt. Er dachte sozial, verteilte viel an wirklich bedürftige Menschen, vor allem an jene, die es ablehnten, öffentlich zu betteln. Einfache, ursprüngliche, unverfälschte Menschen bedeuteten ihm sehr viel. Kurz nachdem Michelangelo seinem langjährigen Mitarbeiter Urbino, der ihm mehr als zwanzig Jahre assistierte, ein kleines Vermögen hatte zukommen lassen, um dessen Tage im Alter abzusichern, verstarb jener nach mehrmonatiger Krankheit in den Armen des Meisters. Für Michelangelo war dies ein Schlag, der ihn nachhaltig berührte. Aus einem Schreiben an seinen späteren Biografen Giorgio Vasari, dem Begründer der weltberühmten Gemälde-Galerie „Uffizien“ in Florenz, ist der gesamte existenzielle Schmerz vernehmbar: „Ihr wißt, daß Urbino gestorben ist. Darin ist mir von Gott größte Gnade geschehen, aber auch zu meinem schweren Schaden und unermesslichem Schmerze: Die Gnade hat darin bestanden, daß, wie er mich im Leben lebend erhielt, er sterbend mich sterben gelehrt hat, nicht mit Unlust, sondern mit Verlangen nach dem Tode. Ich habe ihn sechsundzwanzig Jahre gehalten und habe ihn äußerst redlich und treu befunden; und nun, da ich ihn reich gemacht hatte und erwartete, daß er meinem Alter Stab und Erholung wäre, ist er mir entschwunden, und keine andere Hoffnung ist mir geblieben, als ihn im Paradiese wieder zu sehen. Und dafür hat Gott ein Zeichen in dem so überaus seligen Tode, den er gestorben ist, gegeben. Und weit mehr als das Sterben hat ihn betrübt, daß er mich lebend in dieser verräterischen Welt, unter solchen Nöten zurückließe; und da der beste Teil von mir mit ihm dahingegangen ist, bleibt mir für den anderen nur grenzenloses Elend.“[48]

Geld spielte für Michelangelo in der Tat keine Rolle. Sein anderer Biograph, Condivi, der schon zu Lebzeiten eine Lebensbeschreibung des berühmten Künstlers herausgab, zitiert Michelangelo mit den Worten, er sei eigentlich ein vermögender Mensch gewesen, er habe nur arm gelebt. Aus diesem Grund sind die vielen Hinweise auf Armut in Briefen und in der oben zitierten Burleske objektiv nicht haltbar.

Die Burleske selbst entstand wohl aus einer üblen Laune heraus, aus Missmut und Verdruss, Gestimmtheiten, wie sie der Melancholiker immer wieder erlebt, wenn das Euphorisch-Enthusiastische verfliegt und Trauer, Vereinsamungsschmerz und Verzweiflungsanfälle sich breit machen.

6.9. Michelangelos „Sonette“: Kreationen reiner Eitelkeit?


Das wüst-zynische Klagelied ist als Momentaufnahme zu betrachten, ohne die Potenz, die gesamte geniale Künstlerexistenz in Frage zu stellen. Michelangelos eigentliche poetische Leistung wird erst in den Sonetten erbracht, in jener anspruchsvollen Lyrik, die er in reiferen Jahren, in der Lebensphase ab Sechzig bis ins hohe Alter, verfasste.
Die Sonette sind Altersdichtungen, aus denen – typisch für den spirituellen Wandel - nunmehr die Weltanschauung dieser Jahre hervorleuchtet: Der Geist künstlerischer Skepsis verbunden mit christlicher Innerlichkeit tritt an die Stelle des zukunftsgläubigen Lebensoptimismus des frühen Renaissancegenies. Die christliche Spiritualität des reiferen Michelangelo Buonarroti ist jedoch nicht, wie gelegentlich von Interpreten hervorgehoben, Verrat an der Kunst und den Idealen der Renaissance, sondern sie entspricht einer inneren geistigen und seelischen Entwicklung des Künstlers, die auch ihm zugebilligt werden muss. Michael Engelhard, der 79 dieser Sonette – nach Rilke und anderen Nachdichtungen – ins Deutsche übertragen hat, sieht in Michelangelos Dichtungen „poetische Bewältigungen existenzieller Erfahrungen. Jede dieser Erfahrungen steht gleichberechtigt neben jeder anderen. Sie werden zusammengehalten durch den Wesenskern dieses einzigartigen Menschen, der sich in jedem Gedicht offenbart.“[49]

Gemessen an den Sonetten Michelangelos erscheinen die Sonette seines früheren Förderers Lorenzo de’ Medici wie holprige Gehversuche. Auf manches der Sonette Michelangelos, die zu den schönsten gehören, die in der italienischen Literatur des 16. Jahrhunderts hervorgebracht wurden, lässt sich der Ausspruch anwenden: Ecce poeta!

Und dabei kam es Michelangelo nicht einmal darauf an, diese lyrischen Perlen drucken zu lassen. Ihm, der auf das Unvergängliche und Ewige im Kunstwerk großen Wert legte, der daran glaubte und die Identität eines höheren Menschen daraus ableitete und rechtfertigte, erschien eine Veröffentlichung seiner Sonette als reine Eitelkeit. Er wollte seinem Publikum, das ihn als Bildhauer, als Maler und als Baumeister bewunderte, nicht noch den Dante-Kenner zumuten. Es reichte ihm, wenn die artikulierten Gefühle, das Pathos der Freundschaft, des Schönen und des Göttlichen, Freunde erreichten, Menschen, wie den innig verehrten römischen Edelmann Tomasso dei Cavalieri oder seine in Anbetung geliebte Vittoria Collona, die selbst eine Intellektuelle von Rang und eine begnadete Lyrikerin war. Kernthemen der Sonette Michelangelos sind das Verhältnis des Künstlers zum Kunstwerk, des Menschen zum angebeteten Subjekt, des Individuums zum Ideal und zu Gott. Hymnen oder Lobgesänge auf Einsamkeit und Melancholie wird man in jener Sammlung vergeblich suchen. Dort, wo beide Phänomene marginal in Erscheinung treten, geschieht es indirekt im Kontext. Michelangelo arbeitete gern nachts, fasziniert von der Ruhe und Stille der Nacht. In einem der Sonette wird diese besondere Stimmung eingefangen:

„O süße, wenn auch schwarze Zeit, o Nacht,
Die jedes Werk in ihren Frieden reißt,
Gut von Verstand und Aug‘ ist, wer dich preist,
Und wer dich ehrt, hat heilen Geists gedacht.

Dem müden Denken hast du Ruh‘ gebracht,
Das in der schattenfeuchten Stille kreist,
Und aus der Tiefe trägst du meinen Geist
Im Traum empor, wohin ich hoffend tracht’.

O Schattenbild des Todes, in dir endet
Die böse Not der Seelen und der Herzen,
Du allen Leids letzter Heilungsborn,

Du bist’s, der krankem Fleisch Gesundheit spendet
Du trocknest Tränen, linderst alle Schmerzen
Und raubst den Guten Überdruß und Zorn.“[50]

Hinter der dunklen Nacht steht die trostspendende Melancholie, die das Individuum mit dem Schicksal versöhnt.
Dreihundert Jahre später wird ein anderer Dichter und großer Melancholiker, der sich im Rahmen seiner Vorstudien zum „Savonarola“-Epos mit Michelangelo, Leonardo da Vinci, Lorenzo de’ Medici und der Renaissance als Epoche intensiv auseinandergesetzt hat, in einem seiner schönsten lyrischen Gedichte überhaupt, das Phänomen der Melancholie aus einer vergleichbaren Stimmung heraus mit nahezu identischen Worten erfassen - Nikolaus Lenau in „Bitte“:

„Weil‘ auf mir, du dunkles Auge,
Uebe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!

Nimm mit deinem Zauberdunkel,
Diese Welt von hinnen mir,
Daß du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.“[51]

Komm, heilige Melancholie – Komm, Trost der Welt, du stille Nacht! Andere Dichter anderer Zeiten haben ähnlich gefühlt. Michelangelo steht am Anfang einer Auffassung, die das Phänomen der ernsten Melancholie sublim veredelt.


7. Leonardo da Vinci – Ein Einsamer, aber kein Melancholiker. Die Wertschätzung der „vita solitaria e contemplativa“.

„Einsam wie ein Henker!“
Raffael über Michelangelo

„Und wenn einer für tugendhaft und gut befunden wird, dann stoßt ihn nicht von euch, sondern erweist ihm Ehren, damit er vor euch nicht zu fliehen und nicht in Einöden, Höhlen und anderen einsamen Orten Zuflucht zu suchen braucht, um euren Nachstellungen zu entgehen; ja, wenn ein solcher gefunden wird, dann erweist ihm Ehren, denn solche Menschen sind unsere irdischen Götter.“[52]

„Così accade a quelli que della vita solitaria e cotemplativa voliano venir a abitare nelle città, infra i popoli pieni d’infiniti mali.“[53]

„Der Maler muss einsam sein und nachdenken über das, was er sieht und mit sich selbst Zwiesprache halten, indem er die vorzüglichsten Teile aller Dinge, die er erblickt, auswählt.“[54]

Leonardo, der Alleskönner, war auch ein Freund der Fabel und des Gleichnisses. Wo andere langatmige Abhandlungen verfasst hätten, um ihre bescheidenen Lehrmeinungen kundzutun, formuliert das Universalgenie, dem ein Benedetto Croce[55] gar die philosophische Relevanz abgesprochen hat, seine einfachen, doch lehrreichen Fabelgeschichten.
In einer seiner Aufzeichnungen, deren Erzählstil fern an Äsop erinnert, greift Leonardo, der das kontemplative Dasein in Einsamkeit ein Leben lang bewusst gelebt, ja kultiviert und zelebriert hat, sein Thema auf: „Ein Stein von ansehnlicher Größe, den das Wasser erst vor kurzem freigelegt hatte, befand sich da an einem gewissen Platz, an den ein hübsches Wäldchen grenzte, hoch über einer steinigen Straße in Gesellschaft von Gräsern und allerlei bunten Blumen, und blickte auf die große Menge von Steinen, die sich auf der Straße unten angesammelt hatten. Da bekam er Lust, sich auch dort unten niederzulassen, und sagte sich: „Was tue ich hier bei diesen Gräsern? Ich will mit meinen Brüdern dort zusammenleben.“
Er ließ sich also fallen und beendete schließlich seinen eigenwilligen Weg bei den erwünschten Gefährten. Aber nachdem er dort eine Weile gelegen hatte, wurde er durch die Wagenräder, die Hufeisen der beschlagenen Pferde und die Füße der Wanderer unaufhörlich geschunden. Die einen rollten über ihn hinweg, die andern traten ihn. Manchmal, wenn er von Schmutz oder vom Kot irgendeines Tiers bedeckt war, richtete er sich ein wenig auf und blickte vergeblich zu dem Ort zurück, den er verlassen hatte, zu dieser einsamen Stätte des stillen Friedens.
So geht es denen, die das einsame und beschauliche Leben vertauschen wollen mit dem Aufenthalt in den Städten, unter Leuten voll unendlicher Bosheit.“[56]

Die Botschaft dieser kleinen Fabel, die auch von einem antiken Fabeldichter, von Petrarca oder, viel später, von einem sensiblen Zyniker wie Baudelaire hätte stammen können, ist unmissverständlich. Der Einzelne, der bewusst existierende Mensch, hat die Wahl: Er kann sich entscheiden zwischen einem freien, individuellen Leben über den Dingen, dazu noch inmitten der Natur am „Locus amoenus“ umgeben von bunten Blumen und duftenden Gräsern, seelisch-geistig eingebettet in eine Welt des Schönen und der Harmonie oder dem uneigentlichen Sein in der schon von Seneca und Petrarca gegeißelten Lebenswelt des beschäftigten Stadtmenschen.
Wo Leonardo, der Unverstandene, das Universalgenie, der große Geist gegen den Ungeist seiner Zeit, geistig-existenziell steht ist unmissverständlich: Das einsame, kontemplative Leben, ist dem unsicheren, verfälschenden Dasein in der Masse in jeder Hinsicht vorzuziehen. Der von Petrarca in die humanistische Literatur eingefügten Diskrepanz zwischen idyllischer, verklärter, doch konkret gelebter Einsamkeit und dem verruchten Stadtleben pflichten beide bei,  der gelegentliche Menschenhasser Michelangelo als auch der nicht viel weniger misanthropisch ausgerichtete Leonardo.

Trotzdem unterscheiden sich beide elitäre Individuen in ihrer Akzeptanz oder Zurückweisung von Mitmensch und Gesellschaft fundamental. Während Leonardo, Beobachtern äußerlich nicht einmal als einsames Individuum auffallend, weil Schüler und Diener Salai oder andere Gefolgsleute ihn in der Regel begleiten, stets der distinguierte Einsame bleiben wird, immer vornehm, erhaben, in bewusster Distanz zur Masse, zum Pöbel oder zum amoralisch agierenden Usurpator und Tyrannen, bricht bei dem - trotz allem sehr sozialen - Michelangelo oft der jammernde Hypochonder und Misanthrop durch, ja zeitweise sogar der verzweifelte, reine „Melancholiker“. An anderer Stelle notiert Leonardo ganz im Einklang mit dem philosophierenden Kaiser Mark Aurel: „Wenn du allein bist, wirst du dir ganz gehören“.[57] Mit dem entschiedenen Plädoyer für ein Leben in Einsamkeit nimmt Leonardo eine Haltung an, die ihn mit der gesamten stoischen Linie verbindet.

Aber Leonardo aus Vinci war kein Nachbeter. Er verachtete all jene, die nur die Lehren ihrer Vorgänger nachplauderten, ohne zu eigenen Neuansätzen zu gelangen, die so genannten Gelehrten. Nach seiner Überzeugung hat nur das auf Dauer Bestand, was durch Erfahrung überprüft und wissenschaftlich objektiviert werden kann. Das gilt auch für die Erfahrung der Einsamkeit. In einem seiner Aphorismen kommt er auf das ihm sehr gemäße Thema zurück, indem er die einsame Lebenshaltung wie folgt definiert: „Ungesellig ist, wer sich vor andern rettet.“[58]
Mit diesem Bekenntnis zur Ungeselligkeit erteilt er der aristotelischen Definition des Menschen als „Zoon politikon“ eine Absage und besinnt sich auf die Individualität des Einzelindividuums, auf den großen Menschen der Renaissance, der allein, nach eigenen Vorstellungen und Gesetzen unbeirrt seinen Weg geht. Nietzsches zynische Formulierung, jede Gemeinschaft mache irgendwann gemein, ist hier bereits vorweggenommen. Hinter diesem individuellen, unbeirrten Weg des Einsamen steht die Idee der individuellen Freiheit, ein Wert an sich, der von Leonardo noch radikaler formuliert und existenziell umgesetzt wurde als von seinem künstlerischen Erzrivalen Michelangelo Buonarroti. Die aus dem Selbstsein in der Einsamkeit resultierende Freiheit war überhaupt der Wert schlechthin, den der Schaffende Leonardo – quasi als die conditio  sine qua non der souveränen Künstler-Existenz und des Schaffensprozesses – über alle anderen Wertvorstellungen ansiedelte.
Wie Vasari in seiner Leonardo-Vita berichtet, kaufte Leonardo, wenn er über den Markt ging, manchem Vogelhändler die Singvögel ab und entließ sie in die Freiheit[59]. Leonardo war sehr naturverbunden und, anders als Michelangelo, ein sehr genauer Beobachter der Flora und Fauna. Während Michelangelo die breite Palette der Künste abdeckte, als Bildhauer, Maler und Baumeister Unvergängliches schuf, als Goldschmied arbeitete und - fast schon nebenbei - auch noch ein bedeutender, zartbesaiteter Poet war, ein Lyriker, den manche Interpreten sogar zu den fünf größten Dichtern Italiens zählen, der komponierte und philosophierte, stets bestrebt, im Rahmen seiner existenziellen Möglichkeiten das Maximale an freier Selbstbestimmung und künstlerischer Entfaltung zu ertrotzen und durchzusetzen, gelang es seinem kongenialen Rivalen aus Vinci, noch freier und noch kompromissloser zu sein. Was Leonardo an Studien und Projekten anging und umsetzte, geschah stets aus freier Entscheidung. Bis zu seinem Tod entzog er sich den Abhängigkeiten, die ein Michelangelo – sozusagen als eine Art Untertan, ja als Sklave der Päpste – zu erdulden hatte, ganz nach dem Motto seines Rivalen: „Wer kann, wird niemals willig sein.“

Leonardo, 1452 in Vinci bei Florenz geboren, trat bereits 1482 aus eigenem Antrieb in die Dienste des Herzogs von Mailand und genoss am Hof des Ludovico Sforza, genannt Il Moro, eine herausgehobene Stellung als Universalwissenschaftler. Anders als Michelangelo, dessen Wirken nahezu alle Bereiche der etablierten Künste umfasste, war Leonardo, über die Sphären der Kunst hinaus, weitaus praktischer ausgerichtet. Er war nicht nur der Begründer einer Malerakademie, sondern auch Architekt, Dombaumeister, Kriegstechniker und Ingenieur für Wasserwesen. Er war Anatom und Erfinder – ein Archimedes der Renaissance! Wer eine Festung bei ihm in Auftrag gab, erhielt sie mit allem, was dazu gehört – von den festen Mauern und der Wasserleitung bis hin zum Kriegsgerät und dem künstlerischen Ambiente.
Während Florenz mit der Platonischen Akademie als Zentrum des Humanismus galt, die Literatur, Philosophie und Schönen Künste bündelte, war Mailand das unbestrittene Zentrum der Wissenschaft und somit ein adäquates Umfeld für das Universalgenie Leonardo, der dort das Abendmahl und die Mona Lisa malte. Nach Vasari soll beim Portraitieren der Gioconda, die da Vinci vier Jahre lange beschäftigte, immer wieder heitere Musik erklungen sein, um die melancholische Eintrübung des Bildes zu vermeiden: „Er verwendete noch einen Kunstgriff: Mona Lisa war zwar sehr schön, aber während er sie malte, mussten fortwährend Musikanten und Sänger oder Komödianten da sein, die sie bei guter Laune erhielten, um den melancholischen Zug zu vermeiden, den, wer gemalt wird, leicht bekommen kann: Aber über diesem Gesicht lag ein so liebreizendes Lächeln, das eher von himmlischer als von irdischer Hand zu sein schien, und es galt für ein Wunderwerk, weil es war wie das Leben.“[60]
Neben der Kunstmalerei betätigte sich Leonardo als Forscher und Erfinder bis sich die Schaffensbedingungen in Mailand verschlechterten. 1499 besetzen die Franzosen Mailand. Leonardos Gönner und Förderer Ludovico Il Moro musste fliehen. Schließlich verlor der Fürst – wie Leonardo es an einer Stelle verkürzt notiert – sein Land und seine Freiheit, ohne die angestrebten Projekte verwirklicht zu sehen. In einem französischen Gefängnis endete sein Leben. Vielleicht war es diese tragische Entwicklung, die den enttäuschten wie desillusionierten Leonardo in einer Tagebucheintragung ausrufen lässt: „O Zeit, du Verzehrerin der Dinge! O missgünstiges Zeitalter, du zerstörst alles! Ihr beide verzehrt mit den harten Zähnen des Alters alle Dinge nach und nach, wie in langsamem Tod!“
1502 trat Leonardo notgedrungen in die Dienste des Cesare Borgia, der verruchtesten aller Renaissancegestalten jener Zeit. Cesare Borgia war die Verkörperung aller Niedertracht und Scheußlichkeit, ein außerhalb jeder Ethik und Moral agierender Machtmensch – und als solcher ein fragwürdiges Vorbild für Machiavellis „Principe“, ein Rücksichtsloser der besonderen Art, dem alle Mittel legitim erschienen, um zu seinen Zwecken zu gelangen. Mit seinem nicht weniger verkommenen Vater, Papst Alexander VI. repräsentierte Cesare Borgia den Typus des mit Machtfülle ausgestatteten weltlichen und zugleich geistlichen „Fürsten“, für den auch das schlimmste Verbrechen ein Instrument der Politik war, bis hin zum Auftragsmord. Ihre Machtentfaltung beruhte auf allen Scheußlichkeiten, die sich ein perverses Gehirn ausdenken kann. Ironie des Schicksals – Papst Alexander starb angeblich an dem vergifteten Wein, den er für einen politischen Widersacher hatte bereiten lassen.
Um zu überleben stellte sich das Universalgenie Leonardo, dessen wissenschaftlicher Geist Flugmaschinen, eine Art Hubschrauber, einen Panzer, ja selbst ein Unterseeboot hervorbringen sollte, zeitweise in die Dienste dieser Ungeheuer, bevor er im Jahr 1503 in das heimatliche Florenz zurückkehrte. Zu Leonardos Ehrenrettung ist jedoch zu sagen, dass er zu keinem Zeitpunkt Erfindungen in die Welt gesetzt hat, die im Widerspruch zu seiner strengen Ethik gestanden hätten. So gab er etwa die Details zu seinem Unterseeboot nicht preis, weil er befürchten musste, dass sie in die Hände böser Menschen gelangen und großen Schaden anrichten könnten. Um 1500, etwa zehn Jahre nach dem Tod Lorenzos, des Prächtigen, war Florenz wieder in der Hand der Medici, nachdem es ihnen der Reformator Savonarola für mehrere Jahre entrissen und zur Republik umgestaltet hatte. Doch der Reformator Savonarola war inzwischen verbrannt worden, und der Status quo ante war wieder hergestellt. Florenz war nach wie vor immer noch das Kunstzentrum der Welt. Michelangelo wirkte hier, ebenso seine Rivalen Raffael, Sandro Botticelli und nun auch wieder der weit bekannte und allseits geschätzte Leonardo da Vinci.

7.1. Leonardo und Michelangelo – ein geistesgeschichtlicher Vergleich. Der verbindende Hang zur Einsamkeit … und viele Kontraste!


Leonardo und Michelangelo waren höchst unterschiedliche Charaktere. Als Künstler waren sie unerbittliche Konkurrenten, aber sie hatten auch viele Gemeinsamkeiten, etwa den Hang zur Einsamkeit, zur Verachtung der Masse und die Misanthropie.
Beide Renaissance-Giganten waren frühreife Multitalente, musische Menschen, die dichteten, musizierten, sinnende Naturen, stets auf philosophische Erkenntnis ausgerichtet; Sie beherrschten das Kunsthandwerk, das Modellieren, die Kunstmalerei, das Metier des Baumeisters und vieles mehr. Michelangelo neigte schließlich überwiegend zur Kunst, während Leonardo als Forscher und Erfinder Prioritäten setzte. Beide Geister waren von der inneren Unruhe des Strebens erfüllt, auch in ihrem Schaffen absolute Perfektion anstrebend - erschien diese unerreichbar oder gefährdet, dann wurde die Arbeit am Kunstwerk konsequent abgebrochen.
Leonardo hat fast nur unvollendete Werke hinterlassen, auch die Mona Lisa und das Abendmahl zählen dazu. Auch bei Michelangelo verharren noch viele Ideen angedeutet im Stein - Hinweise auf die unvollendete, nicht perfekte Schöpfung mit einem werdenden Menschen, der ebenfalls noch nicht vollendet ist?
Michelangelo war arbeitswütig. Er arbeitete hart den ganzen Tag hindurch, um dann auch noch nachts, bei Kerzenschein, weiter zu machen. Leonardo hingegen war weniger als Künstler tätig, investierte aber mehr Zeit und Energie in Beobachtungen, Studien im Bereich der exakten Wissenschaft, in Mathematik, Anatomie, in praktische Experimente und Tätigkeiten. Beide Charaktere neigten zur stillen Anschauung, zur Meditation und Kontemplation. Und trotzdem war keiner von ihnen, richtig vereinsamt. Obwohl in der Tiefe ihres Wesens und Agierens unverstanden, hatten sie doch stets Menschen um sich herum, Freunde, Mitarbeiter, Mitstreiter und Bewunderer, die etwas von ihren geistig-künstlerischen Höhenflügen ahnten, und mit welchen sie bis zu einem gewissen Grad auch adäquat kommunizieren konnten.

In Leonardos Begleitung sah man oft zwei schöne Jünglinge, die mehr Kunstfreunde als eigentliche Schüler waren; den jugendlich frischen, oberflächlichen Gian Giacomo Caprotti, Salai genannt, den Teufel und den vornehmen Mailänder Aristokraten Francesco Melzi. Letzterer galt als Lieblingsschüler Leonardos und war praktisch sein verantwortungsvoller Universalerbe.
Leonardo selbst war eine imposante Gestalt, eine äußerlich attraktive Erscheinung, ein schöner Mann, dessen Ausstrahlung faszinierte, während Michelangelo, ein sensibler Geist, der als bildender Künstler und Poet das Schöne über alles stellte, von der Natur physisch benachteiligt in die Welt geschickt worden war, so dass er, äußerlich verunstaltet, ja ausgesprochen hässlich, auf manche Zeitgenossen sogar abstoßend wirkte – ein Kontrast mit nicht unerheblichen Auswirkungen auch auf das Rivalitätsverhältnis seitens Michelangelo.
Dessen ungeachtet verfügten beide Renaissance-Giganten, denen ihr Werk sagte, wer sie sind und wo sie stehen, über ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Jeder erhob für sich den Anspruch, in der Kunst der Erste zu sein. Damit begründeten sie ihre Dauer-Rivalität und somit ein auch als Ansporn und Stimulans wirkendes Konkurrenzverhältnis.
Beide Genies waren großzügig und freigiebig, Leonardo noch eindeutiger als Michelangelo, der unversöhnlicher und manchmal auch menschlich schwierig war. Sie mieden einander und achteten darauf, dass sich ihre Wege in - dem damals noch gut überschaubaren - Florenz nicht allzu oft kreuzten. Das ließ sich aber nicht immer verhindern. 1504 sollte in der Signoria entschieden werden, wo Michelangelos gerade fertig gestellter „David“ aufgestellt werden sollte. Es wurde eine Künstlersachverständigenkommission gegründet, der neben Michelangelo und anderen Experten auch Botticelli und Leonardo angehörten. Während Leonardo sich für einen geschützten Standort unter den Arkaden aussprach, plädierte Michelangelo für das Aufstellen vor dem Pallazzo Vecchio, dem Alten Rathaus der Stadt, und setzte sich damit durch. Kurze Zeit darauf kam die Signoria zu dem Entschluss, die Innenräume des Rathauses weiter ausmalen zu lassen. Michelangelo sollte eine Wand gestalten, Leonardo eine andere. Das bedeutete endgültig die absolute Konfrontation. Michelangelo stellte sich dem Wettbewerb und nahm die Herausforderung an, obwohl er praktisch noch nichts auf dem Gebiet der Kunstmalerei geleistet hatte. Er stand kurz vor seiner Abberufung nach Rom und war damals noch keine dreißig Jahre alt; Leonardo, der Schöpfer weltberühmter Gemälde, schon über fünfzig. Jeder der Künstler erstellte seinen Karton an einem anderen Ort. Leonardo malte eine Szene aus der „Schlacht von Anghiari“, Michelangelo malte dieSchlacht von Cascina“. Beide Originale sind verloren. Sie wurden mutwillig von Sympathisanten des jeweils anderen zerstört. Erhalten sind jedoch Kopien der berühmten Auseinandersetzung zwischen den genialen Malern in der Ausführung von Rubens, der die Schlacht von Anghiari in einem grandiosen Gemälde in starker Anlehnung an Leonardo umsetzte. Das Bild ist im Louvre zu bewundern. Der italienische Maler Sangallo, ein Augenzeuge der Werke, gestaltete nach Michelangelos Vorgaben die Schlacht von Cascina als Gemälde, das als Die Badenden bekannt wurde. Der Wettkampf, der sich zwischen 1504 und 1505 hinzog, endete im Remis. Die Zeitzeugen waren sich in der Einschätzung und Bewertung einig. Beide Künstler zeigten paradigmatische, nie da gewesene Malerei.







[1] Zitiert nach: Cremer, Emmy: Lorenzo de Medici, Staatsmann, Mäzen, Dichter, Frankfurt 1970. S. 97f.

[2] Cremer, Emmy: Lorenzo de Medici, S. 90.
[3] Paul Oskar Kristeller: Die Philosophie des Marsilio Ficino, Frankfurt a. M. 1972. S. 200. Paul Oskar Kristeller: Acht Philosophen der italienischen Renaissance, Petrarca, Valla, Pico, Pomponazzi, Telesio, Patrizi, Bruno, übersetzt von Elisabeth Blum, Weinheim 1986.
[4] Zitiert nach: Kristeller, P. O., Die Philosophie des Marsilio Ficino, S. 200.
[5] Lepenies, Wolf: Melancholie und Gesellschaft, Frankfurt 1969. S. 216.
[6] Ficinus, Marsilius (bzw. Marsilio Ficino): Über die Liebe oder Platons Gastmahl. Übersetzt von Karl Paul Hasse. Herausgegeben und eingeleitet von Paul Richard Blum. Hamburg 1984. S. 226f.
[7] Ebenda, S. 227. Modern ausgedrückt: Sex-Sucht und Manie führen zum Freitod des Melancholikers aus Verzweiflung.
[8] Ebenda.
[9] S. 229.
[10]Ebenda, S. 230f.
[11] Auch Sappho kannte die Verbannung. Literarische Zeugnisse, wie sie die unfreiwillige Isolation erlebte oder wie diese möglicherweise poetisch umgesetzt wurde, fehlen in den überlieferten Fragmenten der Dichterin aus Lesbos. Nur in einem Vers, von dem man nicht genau weiß, ob er überhaupt von Sappho stammt, findet sich ein Hinweis auf das Alleinsein: „Gesunken ist der Mond/ und die Pleiaden. Mitternacht. Vorbei geht die Stunde -/ und ich schlaf‘ allein.“ Zitiert nach: Die griechische Literatur in Text und Darstellung. Herausgeber: Herwig Görgemanns. Bd. 1. Archaische Periode. Stuttgart 1991. S. 429.


[12] Cremer, Emmy: Lorenzo de Medici, S. 119.
[13] Cremer, E., S. 119.

[14] Die in diesem Essay zitierte Textfassung konnte bis zur Drucklegung nicht mehr besorgt werden. Deshalb sei hier verwiesen auf die sachlich vergleichbare Edition: Giovanni Pico della Mirandola, Giovanni: De hominis dignitate, Über die Würde des Menschen. Übersetzt von Norbert Baumgarten Herausgegeben und eingeleitet von August Buck. Lateinisch – deutsch. Hamburg 1990.


[15] NL, HKA, Bd. 1. S. 68.

[16] Lorenzo il Magnifico: (Medici, Lorenzo de): Dichtungen, Bd. 1 und Bd. 2 (Erläuterungen). Ins Deutsche übertragen von Carl Stange. Bremen 1940. S. XXVI. (Einleitung, Kapitel: Lorenzo als Dichter.)

[17]Es ist alles eitel“, (1637) aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.

[18] Vgl. dazu auch Goethes parodistischen Gegenentwurf im heiteren Trinklied „Vanitas! vanitatum vanitas!“.

[19] Nikolaus Lenau. Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Bd. 2. Neuere Gedichte und lyrische Nachlese. Herausgegeben von Antal Mádl. Wien 1995. S. 423ff. Das Fragment existiert in drei Varianten, wobei die zentrale Botschaft der ersten Zeile unverändert bleibt. Die Quintessenz des nihilistisch gestimmten Melancholikers Lenau in diesem Don Juan-Fragment aus der Spätphase seines poetischen Schaffens klingt wie eine Paraphrase der Lorenzo-Worte: „Wohin ich mag die trüben Augen lenken, / Nie schauen sie, woran mein Herz sich weidet“. (Vollständiger Text des Sonetts weiter unten.)

[20] Lorenzo il Magnifico: (Medici, Lorenzo de): Dichtungen, Bd. 1 und Bd. 2 (Erläuterungen). Ins Deutsche übertragen von Carl Stange. Bremen 1940. S. 10.

[21] Ebenda, Sonett Nr. 20, S. 146.

[22] Ebenda, Sonett Nr. 34, S. 161.

[23] Cremer, Emmy: Lorenzo de Medici, Staatsmann, Mäzen, Dichter, Frankfurt 1970.

[24] Cremer, Emmy: Lorenzo de Medici, S. 156f. Das Zitat im Zitat wurde hier fett markiert.

[25] Dabei verwechselt Meyer, der die Grabstätten der Medici möglicherweise während seiner 1858 angetretenen Rom- und Florenzreise besichtigte, wohl den zweiten Lorenzo de’ Medici, Herzog von Urbino, mit Giuliano de Medici (Bruder des Prächtigen).

[26] Karl Fehr, Conrad Ferdinand Meyer. 2. Aufl. Stuttgart: Metzler 1980.

[27] Die schweizerische Literatur- und Geistesgeschichte wird noch mehr genuine Melancholiker hervorbringen, namentlich die Lenau-nahe stehenden und verbundenen Gottfried Keller, Robert Walser und Othmar Schoeck. Kellers Gedicht „Melancholie beginnt mit den Worten: „Sei mir gegrüsst, Melancholie, / Die mit dem leisen Feenschritt / Im Garten meiner Phantasie / Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt! / Die mir den Mut wie eine junge Weide / Tief an den Rand des Lebens biegt, / Doch dann in meinem bittern Leide /Voll Treue mir zur Seite liegt!“


[28] Näheres zu den Anfängen in Florenz bei: Forcellino, Antonio: Michelangelo. Eine Biographie. Aus dem Italienischen von Petra Kaiser, Martina Kempter und Sigrid Vagt. München 2006.

[29] „Signor, se vero è alcun proverbio antico/ questo è ben quel, que qui può mai non vuole.“ „Wenn jemals, Herr, ein Sprichwort Wahrheit sprach, / So dies: Wer kann, wird niemals willig sein. In: Michelangelo, Gedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 14f. Dieser Sonett-Auftakt ist richtungweisend für Michelangelos gesamte Schaffensexistenz. Er, der stets der Wahrheit verpflichtet war und – trotz allen redlichen Schaffens von höheren Mächten „ganz allein“ gelassen wurde, während Lügen und Geschwätz triumphierten, sollte sich nur beugen und sich dem Papst unterwerfen, wenn es unbedingt sein musste; nicht für Geld, aber um das erstrebte Kunstwerk zu realisieren.

[30] Michelangelo, Gedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 205.

[31] Ebenda, S. 61.
[32] Romain Rolland, Michelangelo, S. 150.
[33] Einem, Herbert von: Michelangelo. Bildhauer, Maler, Baumeister, Berlin 1959. S. 92.
[34] Michelangelo. Sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom. Berlin 1967.
[35] Romain Rolland, Michelangelo, .
[36] Heinrich Koch, Michelangelo, Reinbek 2001. S. 7. „Fett“ markiert – hier vom Autor hervorgehoben.
[37] Romain Rolland, Michelangelo, S.15.
[38] Die Briefe des Michelagniolo Buonarroti. Übersetzt von Karl Frey. Dritte Auflage, mit erweiterten Anmerkungen neu herausgegeben von Herman-Walter Frey. Berlin 1961.
[39] Es ist denkbar, dass auch Albrecht Dürer während seiner Studien in Italien mit diesem „modischen“ und zugleich tiefsinnigen Sujet konfrontiert wurde, bevor er, inspiriert wohl auch durch Pico und Ficino, seine allegorische Darstellung „Melencolia I“ anging.
[40] Für beide Dramatiker sind Einsamkeit und Melancholie charakteristische Themen. Gestalten wie „Faust“ oder „Hamlet“ sind „Einsame“ mit ausgeprägt melancholischen Zügen.
[41] Leonardo da Vinci, Philosophische Tagebücher. Italienisch und Deutsch. Zusammengestellt, übersetzt und mit einem „Essay zum Verständnis der Texte“ und einer Bibliographie herausgegeben von Giuseppe Zamboni. Hamburg 1959. S. 113.
[42] Vgl. dazu auch die Übersetzung von Engelhard, in: Michelangelo, Gedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 317ff.
[43] Leonardo da Vinci, Philosophische Tagebücher. Italienisch und Deutsch. Zusammengestellt, übersetzt und mit einem „Essay zum Verständnis der Texte“ und einer Bibliographie herausgegeben von Giuseppe Zamboni. Hamburg 1959. S. 113.
Vgl. auch: Leonardo da Vinci: Tagebücher und Aufzeichnungen. Hrsg.: Theodor Lücke. 3. Auflage. Leipzig 1953, S. 113.

[44] Die Briefe des Michelagniolo Buonarroti. Übersetzt von Karl Frey. Dritte Auflage, mit erweiterten Anmerkungen neu herausgegeben von Herman-Walter Frey. Berlin 1961. S. 44. Unterzeichnet: „Michelagniolo, Bildhauer in Rom“. Die Briefe des Künstlers sind auch im Internet abrufbar: http://www.gutenberg.org/files/15813/15813-h/15813-h.htm

[45] Ebenda, S. 52.
[46] Ebenda, S. 91.
[47] Ebenda, S. 116f.
[48] Ebenda, S. 176f.
[49] Vgl. dazu das sehr lesenswerte, mit vielen speziellen Einblicken gespickte Nachwort des Übersetzers, S. 367ff. (Erste Neuauflage der Gedichte 1999) bzw. S. 144, Erstauflage 1992, aus welcher das Zitat oben stammt.
[50] Michelangelo, Gedichte. Italienisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Michael Engelhard. Frankfurt und Leipzig 1999. S. 151.
[51] In: Nikolaus Lenau. Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Lenau-Gesellschaft von Helmut Brandt, Gerard Kozielek, Antal Mádl, Norbert Oellers, Hartmut Steinecke, András Viskelety, Hans-Georg Werner, Herbert Zeman. Wien 1995 ff. Bd. 1, S. 98.


[52] Leonardo da Vinci, Philosophische Tagebücher. Italienisch und Deutsch. Zusammengestellt, übersetzt und mit einem „Essay zum Verständnis der Texte“ und einer Bibliographie herausgegeben von Giuseppe Zamboni. Hamburg 1959. S. 39.

[53] Ebenda, S. 118. In dieser Ausgabe, deren Herausgeber dem Stein-Gleichnis Leonardos wohl keine besondere Bedeutung beimisst, heißt es nur lapidar zusammengefasst: „Fabel vom Stein, der, seines abgelegenen Daseins überdrüssig, auf die Straße rollt zu den anderen Steinen und getreten, überfahren und beschmutzt wird.“ Leonardos Aussagen werden folgendermaßen übersetzt: „So geschieht es denjenigen, die aus dem einsamen und beschaulichen Dasein getrieben werden zum Wohnen in den Städten, inmitten von den Menschenmengen, die voll unendlicher Übel sind.“

[54] Ebenda, S. 87.

[55] Ebenda, Nachwort, S. 149.

[56] Leonardo da Vinci: Tagebücher und Aufzeichnungen. Nach den italienischen Handschriften übersetzt und herausgegeben von Theodor Lücke. Leipzig 1940. S. 833f, (Siehe auch „Vom Wert der Einsamkeit“ S.175.) Die Sammlung enthält - auf mehr als 950 Seiten ausgebreitet und mit Tafeln versehen - auch wissenschaftliche Aufzeichnungen Leonardos, u. a. über das Wasser, über Anatomie, Flug, Botanik, Astronomie, Physik, Kunst etc. sowie aphoristische Sentenzen und Erzählungen.

[57] Zitiert nach: Serge Bramley, Leonardo da Vinci. Eine Biographie. Deutsch von Helmut Mennicken. Reinbek 1993, Kapitel 5 „Verzweifelt“, S. 173. (Quelle: Ashburnham I 27 V.)

[58] Leonardo da Vinci: Tagebücher und Aufzeichnungen. S. 23.

[59] Das Genie, das den Vogelflug studierte, um dann als Ingenieur Entwürfe und Konstruktionen von Flug-Maschinen zu fertigen, beobachtete, wie Meisen ihren eingefangenen Jungen giftige Wolfsmilch verabreichen, um sie der Gefangenschaft zu entziehen. (Tagebücher). Ein schönes Gleichnis für Leonardos gelebte Grundüberzeugung, kein Wesen solle in Unfreiheit existieren müssen.

[60] Giorgio Vasari: Das Leben des Leonardo da Vinci. LdV M, S. 23.



Leseprobe aus: Carl Gibson, Koryphäen der Einsamkeit und Melancholie in Philosophie und Dichtung aus Antike, Renaissance und Moderne, von Ovid und Seneca zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche.




Deutsche Digitale Bibliothek:

https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/entity/111591457


Zur Person/ Vita Carl Gibson - Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)




Inhalt des Buches: 


Carl Gibson


Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca


zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche


Carl Gibson

Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche





Das 521 Seiten umfassende Buch ist am 20 Juli 2015 erschienen. 

Carl Gibson

Koryphäen
der
Einsamkeit und Melancholie
in
Philosophie und Dichtung
aus Antike, Renaissance und Moderne,
von Ovid und Seneca
zu Schopenhauer, Lenau und Nietzsche


Motivik europäischer Geistesgeschichte und anthropologische Phänomenbeschreibung – Existenzmodell „Einsamkeit“ als „conditio sine qua non“ geistig-künstlerischen Schaffens


Mit Beiträgen zu:

Epikur, Cicero, Augustinus, Petrarca, Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Ficino, Pico della Mirandola, Lorenzo de’ Medici, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Savonarola, Robert Burton, Montaigne, Jean-Jacques Rousseau, Chamfort, J. G. Zimmermann, Kant, Jaspers und Heidegger,


dargestellt in Aufsätzen, Interpretationen und wissenschaftlichen Essays

1. Auflage, Juli 2015
Copyright © Carl Gibson 2015
Bad Mergentheim

Alle Rechte vorbehalten.


ISBN: 978-3-00-049939-5


Aus der Reihe:

Schriften zur Literatur, Philosophie, Geistesgeschichte
und Kritisches zum Zeitgeschehen. Bd. 2, 2015

Herausgegeben vom
Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim


Bestellungen direkt beim Autor Carl Gibson,

Email: carlgibsongermany@gmail.com

-         oder regulär über den Buchhandel.

„Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit!“ – Das verkündet Friedrich Nietzsche in seinem „Zarathustra“ als einer der Einsamsten überhaupt aus der langen Reihe illustrer Melancholiker seit der Antike. Einsamkeit – Segen oder Fluch?

Nach Aristoteles, Thomas von Aquin und Savonarola ist das „zoon politikon“ Mensch nicht für ein Leben in Einsamkeit bestimmt – nur Gott oder der Teufel könnten in Einsamkeit existieren. Andere Koryphäen und Apologeten des Lebens in Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit werden in der Einsamkeit die Schaffensbedingung des schöpferischen Menschen schlechthin erkennen, Dichter, Maler, Komponisten, selbst Staatsmänner und Monarchen wie Friedrich der Große oder Erz-Melancholiker Ludwig II. von Bayern – Sie alle werden das einsame Leben als Form der Selbstbestimmung und Freiheit in den Himmel heben, nicht anders als seinerzeit die Renaissance-Genies Michelangelo und Leonardo da Vinci.

Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit, postuliert der Vordenker der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, das Massen-Dasein genauso ablehnend wie mancher solitäre Denker in zwei Jahrtausenden, beginnend mit Vorsokratikern wie Empedokles oder Demokrit bis hin zu Martin Heidegger, der das Sein in der Uneigentlichkeit als eine dem modernen Menschen nicht angemessene Lebensform geißelt. Ovid und Seneca verfassten große Werke der Weltliteratur isoliert in der Verbannung. Petrarca lebte viele Jahre seiner Schaffenszeit einsam bei Avignon in der Provence. Selbst Montaigne verschwand für zehn Jahre in seinem Turm, um, lange nach dem stoischen Weltenlenker Mark Aurel, zum Selbst zu gelangen und aus frei gewählter Einsamkeit heraus zu wirken.

Weshalb zog es geniale Menschen in die Einsamkeit? Waren alle Genies Melancholiker? Wer ist zur Melancholie gestimmt, disponiert? Was bedingt ein Leben in Einsamkeit überhauptWelche Typen bringt die Einsamkeit hervor? Was treibt uns in die neue Einsamkeit? Weshalb leben wir heute in einer anonymen Single-Gesellschaft? Wer entscheidet über ein leidvolles Los im unfreiwilligen Alleinsein, in Vereinsamung und Depression oder über ein erfülltes, glückliches Dasein in trauter Zweisamkeit? Das sind existenzbestimmende Fragen, die über unser alltägliches Wohl und Wehe entscheiden. Große Geister, Dichter, Philosophen von Rang, haben darauf geantwortet – richtungweisend für Gleichgesinnte in ähnlicher Existenzlage, aber auch gültig für den Normalsterblichen, der in verfahrener Situation nach Lösungen und Auswegen sucht. Dieses Buch zielt auf das Verstehen der anthropologischen Phänomene und Grunderfahrungen Einsamkeit, Vereinsamung, Melancholie und Acedia im hermeneutischen Prozess als Voraussetzung ihrer Bewältigung. Erkenntnisse einer langen Phänomen-Geschichte können so von unmittelbar Betroffenen existentiell umgesetzt werden und auch in die „Therapie“ einfließen.

Carl Gibson, Praktizierender Philosoph, Literaturwissenschaftler, Zeitkritiker, zwölf Buchveröffentlichungen. Hauptwerke: Lenau. Leben – Werk – Wirkung. Heidelberg 1989, Symphonie der Freiheit, 2008, Allein in der Revolte, 2013, Die Zeit der Chamäleons, 2014.






ISBN: 978-3-00-049939-5




Inhalt:


Einleitung: „Einsamkeit“ heute – Segen oder Fluch?
Der Mensch der Single-Gesellschaft – Leben im uneigentlichen Sein?

Teil I: Griechisch-römische Antike

1. Waren die heiteren Griechen auch einsam? Das Verständnis von Einsamkeit und Melancholie bei Vorsokratikern und Aristoteles.
1.2. Der Melancholiker – ein Genie? - Empedokles, Demokrit und eine nicht authentische, missverstandene Aristoteles-Sentenz
1.3. Im Garten des Epikur – Lebe zurückgezogen! Das naturgemäße Leben im Verborgenen.
2. Marcus Tullius Cicero - Einsamkeit und Gesellschaft: Musischer Rückzug in den ruhigen Hafen – „otio“ - „Gespräche in Tusculum“
3. Ovidius Naso in Verbannung in Tomis, am Schwarzen Meer – Vereinsamung und Melancholie im Spätwerk, in den Elegien „Tristia“ und in den Briefen „Epistulae ex Ponto“.
3. 1. „einsam lieg’ ich am Strande des äußersten Endes der Erde“ - Zur Einsamkeit verdammt am Ende der Welt: Ovids melancholische Dichtung vom Pontus
3. 2. Nemo propheta in patria?
3. 3. Kummer, „aegritudo“, „mania“, „melankolia“ in Ciceros „Disputationes Tusculanae“ - Bellerophon, der antike Einsame, Unbehauste; Einsamkeit und Melancholie in der mythisch-analytischen Zeitdiskussion.
3. 4. Psychosomatik
3. 5. Das „Schwarze Meer“ und „Tomis“ – antike Unort(e)?
3. 6. Künstlerisches Schaffen in Einsamkeit an sich und als Selbsttherapie
3. 7. Melancholie und Versöhnung – Concordia und Amor fati
4. Lucius Annäus Seneca - Lebe zurückgezogen - „solitudine“ und „in otio“
4. 1. „exsilium“, Senecas Verbannung auf Korsika – Unfreiwillige, äußere Einsamkeit und innere Freiheit, dargestellt im „Epigramm“
4. 2. Existenzbewältigung über Poesie bei Ovid und ethisches Philosophieren bei Seneca
4. 3. Ruhe der Einsamkeit - Apathie, Ataraxie, Eudämonie, „constantia“
4. 4. „De constantia sapientis“ – Die „Unerschütterlichkeit des Weisen“
4. 5. „Jeglicher Ort ist für den Weisen Heimatland.“ – Oder: „Patria est, ubicumque est bene“
4. 6. Senecas Klage als Anklage – Gesellschaftskritik und Dekadenz-Kritik aus der Einsamkeit des Exils heraus in der Auseinandersetzung mit den Tyrannen Caligula und Nero
4. 7. „De otio“ – Von der „Zurückgezogenheit“; Zwischen stiller Muße (otio) und hektischer Geschäftigkeit (negotio)
4. 8. In „secreto“ – „Menschen (…) leisten in der Einsamkeit Größtes“- Ethische Haltung und Charakterbildung entstehen in der Stille der „Zurückgezogenheit“. Die Funktionen des einsamen Lebens und der Nutzen für die Gesellschaft
4. 9. Selbsterkenntnis und die Idee des Selbstseins erwachsen dem Alleinsein - Das Existieren in der Eigentlichkeit. Psychologische und soziologische Aspekte erfahrener Einsamkeit
4. 10. Die Gefahren des Alleinseins – Einsamkeit als Last
4. 11. Das Alleinsein in den eigenen vier Wänden – Chance und Risiko. Freiwilliger Rückzug in die Einsamkeit, statt Weltflucht aus Enttäuschung und Überdruss
4. 12. Typen und Charaktere – introvertiert oder extrovertiert? Senecas Beschreibung der Melancholie-Symptomatik
4. 13. Geselligkeit – Senecas Plädoyer für ein ausgewogenes Wechselverhältnis zwischen freiwilligem Sein in Einsamkeit und sozialem Austausch
4. 14. Schöpferische Einsamkeit - Medium des Kreativen
4. 15. Die Apotheose des einsam-kontemplativen Lebens in der Schrift „De brevitate vitae“, „Die Kürze des Lebens“
4. 16. Im „Jetzt“ leben, nicht erst morgen und am Leben vorbei! Hic et nunc und Memento mori!
4. 17. Der ruhige Hafen als Endziel - Individuelles Leben oder Massen-Existenz?
5. Mark Aurel - Der Weg zum Selbst in Zurückgezogenheit
5. 1. Gelebter Stoizismus als Vorbild
5.2. „Alleinsein“ bei Epiktet – Individualität und Selbsterkenntnis

Teil II: Vom frühen Mittelalter bis zur Scholastik

1. „Einsamkeit“ und „Melancholie“ im frühen Mittelalter. Anachoreten im frühen Christentum - „anachoresis“ und „monachoi“.
1.1.         Eremitentum und monastisches Leben um 300 – 400 n. Chr. Antonius, (der Ägypter), Evagrius Ponticus und Augustinus: DerWeg zu Gott vollzieht sich in der Einsamkeit
1.2. Antonius, der Ägypter – Einsiedlertum, Wüstenspiritualität und Mystik
1.3. Aurelius Augustinus in „reiner Einsamkeit“ - „Alleingespräche“ aus Cassiciacum - Früchte des Schaffens in der Einsamkeit des Selbstgesprächs
1.4. „Acedia“ seit Evagrius Ponticus, bei Thomas von Aquin und Bonaventura
1.5. Die „Wirkscheu“ des Johannes Cassian
1.6. Thomas von Aquin - Wirkscheu ist Todsünde – Acedia oder „Tristitia“
2. Deutsche Mystik
2.1. Meister Eckhart: Die absolute Freiheit des Gottsuchenden - Der unmittelbare, mystische Weg zu Gott. „Abgeschiedenheit“ und „innerliche Einsamkeit“ neu definiert
2.2. In der Abgeschiedenheit – Das Aufgeben des Selbst, das Ledigwerden, als Voraussetzung der Unio mystica und die Gottesgeburt
2.3. „innerliche Einsamkeit“ – Zum Wesen der Dinge!
2.4. „Unio mystica“ und Buddhismus – Stufen und Wege des Rückzugs aus allgemein philosophischer, christlicher Sicht bzw. aus der Perspektive der Zen-Meditation - Exkurs
2.5. Heinrich Seuses „Weg in die Innerlichkeit“ und die Beschreibung der Mönchskrankheit (Acedia) in der Schrift „Das Leben des Dieners“
2.6. „Das Büchlein der ewigen Weisheit“ - „Wie man innerlich leben soll“, „lautere Abgeschiedenheit“ und Entwerdung (Selbst- bzw. Ich-Auflösung)
2.7. Theresa von Avila - „Der Weg zur Vollkommenheit“ und „Die Seelenburg“.

Teil III: Humanismus

1. Francesco Petrarcas Loblieder auf die Einsamkeit. Der zentrale Stellenwert der „Einsamkeit“ im Werk der Humanisten
1.1. Zur Vita Petrarcas – Von der Vita activa zur Vita contemplativa im mundus aestheticus
1. 2. „De otio et solitudine“ - Von Freiheit (Muße) und Einsamkeit
1.3. „De vita solitaria“: Francesco Petrarcas Hymnus in Prosa auf das Leben in Einsamkeit. Die Begründung der Auffassung von der „schöpferischen Einsamkeit” als elitäre Phänomen-Definition
1.4. „felix solitarius“ contra „miser occupatus“ – besser allein, frei und glücklich als vielbeschäftigt, gestresst und in permanenter Disharmonie – Einsamkeit: die „conditio sine qua non“ einer ethisch fundierten Lebensführung und Existenzbewältigung
1.5. Zur Modernität des Existenzmodells „Leben in der Eigentlichkeit“
1.6. Das schaffende Subjekt … und die Ahnenreihe der Einsamen
1.7. „Secretum“ – Melancholie und Misanthropie
1.8. „Gespräche über die Weltverachtung“: Petrarcas negativer Melancholie-Begriff und Dante
1.9. Melancholie und Selbst-Therapie – Ist die „unheilvolle“ „Seelenkrankheit“ „Weltschmerz“heilbar?
1.10. Dante weist die Muse Melancholie zurück

Teil IV: Renaissance

Einsamkeit und Melancholie während der Renaissance in Italien - Die „Saturniker“ des Mediceer-Kreises
1. Angelo Poliziano – Der Dichter am Kamin als personifizierte Melancholie und eine Melancholie-Beschreibung im Geist der Zeit.
2. Marsilio Ficino – Therapierte Melancholie. Das Bei-sich-Selbst-Sein der Seele führt zu Außergewöhnlichem in Philosophie und Kunst
2.1. Marsilio Ficino in freiwilliger Zurückgezogenheit in Carreggi - Einsamkeit als „conditio sine qua non“ des künstlerischen Schaffens
2.2. Im Zeichen des Saturn - Marsilio Ficinos Werk, „De vita triplici“, eine Diätetik des saturnischen Menschen. Ficinos astrologisch determinierter, antik physiologischer Melancholie-Begriff.
2.3. Definition der Melancholie und des Melancholikers in „Über die Liebe oder Platons Gastmahl“ - Die Liebe als melancholische Krankheit?
2.4. Krankheit „Melancholie“ - Therapeutikum Musik
3. Pico della Mirandolas Entwurf des Renaissancegenies in „De hominis dignitate“ – Von Einsamkeit und Freiheit
3.1. Die „dunkle Einsamkeit Gottes“
3.2. „Die Freiheit des Menschen“ und der „Geniebegriff der Epoche“ in „Oratio“
3.3. Die ethisch eingeschränkte Freiheit des Genies und das Humanum als Endziel
4. Lorenzo de’ Medicis „melancholische“ Dichtung
4.1. War der Prächtige ein Melancholiker? Vanitas, Wehmut und Schwermut
4.2. Der Typus des „Inamoroso“ als Melancholiker - Liebeslyrik im Sonett
4. 3. Melancholia - Lorenzo de’ Medici rezipiert Walter von der Vogelweide
5. Die Familie der Melancholiker oder die Metamorphose des sinnenden Geistes zur Plastik und zum Gedicht - Exkurs
6. Einsamkeit, Melancholie und künstlerisches Schaffen während der Renaissance in Italien.
6.1. Geniale Werke der Einsamkeit bei Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci - Einsamkeit als die künstlerische Schaffensbedingung schlechthin, als „conditio sine qua non“ des kreativen Subjekts.
6.2. Michelangelo Buonarroti - „Wer kann, wird niemals willig sein.“ – Individuelle Freiheit und künstlerische Selbstbestimmung
6.3. Große Kunst ist gottgewollt
6.4. Der Schaffende ist das Maß aller Dinge - oder die Lust, mit dem Hammer neue Werte zu schaffen
6.5. Weltflucht und Weltverachtung
6.6. Der sinnende Melancholiker „Micha Ange bonarotanus Florentinus sculptor optimus“
6.7. – „La mia allegrezz’ e la maniconia” – “Meine Lust ist die Melancholie!” – Existenzbewältigung im “Amor fati“ oder eine ins Positive transponierte „Melancholie als Mode“?
6.8. Hypochondrie und Misanthropie in burlesker Entladung – bei Michelangelo und Leonardo
6.9. Michelangelos „Sonette“: Kreationen reiner Eitelkeit?
7. Leonardo da Vinci – Ein Einsamer, aber kein Melancholiker. Die Wertschätzung der „vita solitaria e contemplativa“.
7.1. Leonardo und Michelangelo – ein geistesgeschichtlicher Vergleich. Der verbindende Hang zur Einsamkeit … und viele Kontraste!
8. Girolamo Savonarola – Der melancholische Reformator vor der Reformation
8.1. Gott geweihtes Leben in stiller Einkehr und früher Protest aus der Klosterzelle
8. 2. Zeitkritik und Fragen der Moral in „Weltflucht“ und „De ruina mundi“- Vom Verderben der Welt
8.3. Kritik des Christentums sowie des dekadenten Papsttums im poetischen Frühwerk - „De ruina Ecclesiae“ oder „Sang vom Verderben der Kirche“, (1475)
8.4. „Poenitentiam agite“! – Buße , Einkehr, Rückbesinnung, Katharsis
8.5. Savonarolas Humanismus-Kritik und seine Zurückweisung der Astrologie – ist die Philosophie eine Magd der Theologie?
8.6. Sozialreformer Savonarola - „De Simplicitate vitae christianae“ - Von der Schlichtheit im Christenleben.
8.7. Savonarola setzt politische Reformen durch – Über die demokratische Verfassung in Florenz zum Fernziel der Einheit Italiens
8.8. Niccolo Machiavelli und Die Schwermut der Tyrannen
8.9. Einsamkeit, Kontemplation und rhetorischer Auftritt – Savonarola Volkstribun und Redner nach Cicero?
8.10. Einsamkeit und Gesellschaft bei Savonarola
8.11. Christliche Ethik als geistige Basis der Staatsform – Contra Tyrannis
8.12. „Der Tyrann“ trägt „alle Sünden der Welt im Keim in sich“ - Melancholie als Krankheit: Savonarolas Typologie, Definition und Phänomen-Beschreibung des Renaissance-Macht-Menschen und das Primat des Ethos im Leben und im Staat.
8.13. Genies des Bösen – Lorenzo de’ Medici und der Borgia-Clan
8.14. Thomasso Campanellas idealer Gegenentwurf zum Typus des Tyrannen in seiner christlich-kommunistischen Utopie „Città del sole“
8.15. Golgatha - Traurigkeit und Verlassenheit in der Todeszelle und auf dem Scheiterhaufen
8.16. Hybris und Zuflucht zu Gott – „in Schwermut und voll Schmerz“!
8.17. Melancholia - „In te, Domine, speravi“, letzte Einsamkeit und existenzielle Traurigkeit - Hoffnung gegen Melancholie?
8.18. Auch Päpste irren! Schweigepflicht, Exkommunikation, Inquisition, Folter – Reformator Savonarola stirbt den Flammentod in Florenz
8.19. Giordano Bruno und die Flammen der Inquisition – Der Märtyrer-Tod auf dem Scheiterhaufen wiederholt sich … doch
9. Michel de Montaignes Essay „De la solitude“- Das Leben in Abgeschiedenheit zwischen profaner Weltflucht und ästhetischer Verklärung
9.1. Süße Weltflucht in den Turm – Melancholie als Habitus
9.2. War Michel de Montaigne ein Melancholiker?
9.3. Einsamkeit, ein Wert an sich, ist nie Mittel zum Zweck, sondern immer Selbstzweck.
9.4. „Nichts in der Welt ist so ungesellig und zugleich so gesellig als der Mensch“ – Einsamkeit und Gesellschaft
9.5. Vanitas - Der Rückzug aus der Gesellschaft ist auch historisch bedingt
10. „The Anatomy of Melancholy“ - Der extensive Melancholie-Begriff bei Democritus junior alias Robert Burton
10.1. „Elisabethanische Krankheit“ oder „maladie englaise“ – Melancholie als Mode!? Von der Pose zur Posse?
10.2. Demokritos aus Abdera – Der lachende Philosoph als Vorbild und Quelle der Inspiration
10.3. „sweet melancholy“ - Burtons Verdienste bei der Umwertung und Neuinterpretation der grundlosen Tieftraurigkeit zur „süßen Melancholie“
10.4. „Göttliche Melancholie“: „Nothing’s so dainty sweet as lovely melancholy“ - Zur positiven Melancholie-Bewertung vor, neben und nach Burton

Teil V: „Einsamkeit“ und Melancholie in der Moderne

1. Jean-Jacques Rousseau – Alle großen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit. Die Apotheose der Einsamkeit im Oeuvre des Vordenkers der Französischen Revolution
1.1. Rückzug, „Schwermut“ und „Hypochondrie“
1.2. „Zurück zur Natur“! im „Discours“ - Plädoyer für das einfache Leben und harsche Gesellschaftskritik. Macht die „Sozialisierung“ den an sich guten Menschen schlecht?
1.3. Im Refugium der Eremitage von Montmorency: Kult der Einsamkeit – Landleben, Naturgenuss und geistiges Schaffen
1.4. „Sanssouci“ – Asyl: Ein Einsamer, Friedrich der Große unterstützt einen anderen Einsamen, den verfolgten Wahlverwandten Jean-Jacques Rousseau
1.5. „Les Rêveries du promeneur solitaire“ - Träumereien eines einsamen Spaziergängers
1.6. Einsamkeit ist im Wesen des Künstlers selbst begründet - «Toutes les grandes passions se forment dans la solitude»!
2. Einsamkeit und Gesellschaftskritik im Werk der Französischen Moralisten La Rochefoucauld, Vauvenargues und Chamfort
2.1. Rekreation im Refugium – die bücherlesende Einsamkeit des Herzogs La Rochefoucauld
2.2. Einsamkeit – Katharsis, Chance und Gefahr
2.3. Chamfort - „Vom Geschmack am einsamen Leben und der Würde des Charakters“ - „Man ist in der Einsamkeit glücklicher als in der Welt.“
2.4. Abkehr von der Gesellschaft, melancholische Heimsuchungen, Vereinsamung und Menschenhass
2.5. „Ein Philosoph, ein Dichter, sind fast notwendig Menschenfeinde“ – Chamforts Rechtfertigung von Misanthropie und Melancholie.
3. „Ueber die Einsamkeit“ - Johann Georg Zimmermanns Monumentalwerk aus dem Jahr 1784/85 - Einsamkeit als Lebenselixier – Die Gestimmtheit im deutschen Barock – Inklination zur Melancholie?
3.1. Von den „Betrachtungen über die Einsamkeit“ zur Abhandlung „Von der Einsamkeit“ – Thema mit Variationen
3.2. Die Ursachen von wahrer und falscher Einsamkeit - Müßiggang, Menschenhass, Weltüberdruss und Hypochondrie
3.3. „gesellige Einsamkeit“ - eine „contradictio in adjecto“?
3.4. Aufklärer Immanuel Kant definiert den zur „Melancholie Gestimmte(n)“, „Melancholie“ als „Tiefsinnigkeit“ und die „Grillenkrankheit“ Hypochondrie richtungweisend für die Neuzeit. Exkurs.
4. Arthur Schopenhauers „elitäres“ Verständnis von Einsamkeit - nur wer allein ist, ist wirklich frei!
4.1. Der Ungesellige - „Er ist ein Mann von großen Eigenschaften.“
4.2. Die „Einsamkeit ist das Los aller hervorragenden Geister“ - Ist der Mensch von Natur aus einsam? Ist „Einsamkeit“ ein Wert an sich?
4.3. Das Sein in der Einsamkeit als existenzielles Problem - Einübung in die zurückgezogene Lebensführung.
5. Lenau, Dichter der Melancholie. „Einsamkeit“ und Schwermut (Melancholie) im Werk von Nikolaus Lenau – Anthropologische Phänomenbeschreibung und literarisches Motiv
5.1 Lenaus Verhältnis zur Philosophie. Entwicklung und Ansätze
5.2. „Einsamkeit“ und „Vereinsamung“ als existenzielle Erfahrung
5.3. Nikolaus Niembsch von Strehlenau, genannt „Lenau“ vereinsamt in Wien
5.4. Das „melancholische Sumpfgeflügel der Welt“ - Vereinsamt in Heidelberg und Weinsberg. Therapeutikum Philosophie: Lenau setzt der „Seelenverstimmung“ die „Schriften Spinozas“ entgegen!
5.5. Amerika – Lenaus Ausbruch in die Welt der Freiheit
5.6. Schwermut und Hypochondrie – Therapeutikum: Philosophie und Sarkasmus
5.7. „Einsam bin ich hier, ganz einsam. Aber ich vermisse in meiner Einsamkeit nur dich.“
5.8. „wahre Menschenscheu“ - „Die Geselligkeit“ „ist ein Laster“ - „Mein Leben ist hier Einsamkeit und etwas Lyrik.“
5.9. Die „äußere Einsamkeit“– Vom „Locus amoenus“ zum „Locus terribilis“
5.10. Situation und Grenzsituation – präexistenzphilosophisches Gedankengut bei Lenau auf dem Weg zu Karl Jaspers. Exkurs.
5.11. „Einsamkeit“ als ontische Dimension - Menschliches Dasein ist nicht Gesellig-Sein – Mensch-Sein bedeutet ein Sein in Einsamkeit.
5.12. „Einsame Klagen sinds, weiß keine von der andern“ - Monologische Existenz in dem existenzphilosophischen Gedicht „Täuschung“
5.13. In „dunklen Monologen“ - „Jedes Geschöpf lebt sein Privatleben“ - Mitsein in existenzieller Gemeinschaft erscheint unmöglich
5.14. „O Einsamkeit! Wie trink ich gerne / Aus deiner frischen Waldzisterne!“ Dionysisch „zelebrierte Einsamkeit“ im Spätwerk
5.15. „Der einsame Trinker“ - Das dionysische Erleben der Einsamkeit im Fest
5.16. „Fremd bin ich eingezogen/Fremd zieh ich wieder aus“ - Der „Unbehauste“, ein „Fremdling ohne Ziel und Vaterland“
5.17. „Nun ist’s aus, wir müssen wandern!“ - In-der-Welt-Sein ist Einsamkeit
5.18. Lenaus melancholische Faust-Konzeption - „metaphysische Vereinsamung“.
5.18.1. Der „Unverstandene“, das ist der „Einsame“.
5.18.2. Endlichkeit und Ewigkeit
5. 18. 3. Die Geworfenheit des existenziellen Realisten „Görg“
5. 18. 4. Das Unbewusste als Antrieb - Die tragisch konzipierte Faust-Figur in Disharmonie mit dem Selbst und in der Uneigentlichkeit
5.18.5. Gott ist tot - existenzielle Exponiertheit des metaphysisch Vereinsamten vor Nietzsche und Rilke
5.19. Im dunklen Auge – ein „sehr ernster, melancholischer Knabe“„hochgradig zur Melancholie disponiert“  und hinab gestoßen in die „Hohlwege der Melancholie“„Mein Kern ist schwarz, er ist Verzweiflung.“ – Melancholie-Symptomatik und Definitionen der Krankheit bei Lenau
5.20. „Lieblos und ohne Gott! Der Weg ist schaurig“ – „Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig.“ „Melancholie“ und „absolute Vereinsamung“ in Lenaus Doppelsonett „Einsamkeit“
5.21. Der Werte-Kampf in Lenaus Ballade „Die nächtliche Fahrt“ - Von darwinistischer Selektion über den „Kampf um das Dasein“ nach existenzphilosophischen Kategorien zur Ethik des Widerstands im Politischen - Exkurs
5.21.1. Wettkampf und Werte-Kampf
5.21.2. Lenaus Imperialismus-Kritik in seinem „anderen“ Polenlied
5.21.3. Ethik des Widerstands - Der Existenz-Kampf der Individuen entspricht dem Souveränitätsstreben der - tyrannisierten - Völker
6. Friedrich Nietzsche, der einsamste unter den Einsamen? Absolute Einsamkeit, extreme Vereinsamung und schwärzeste Melancholie
6.1. Wesensgemäße Daseinsform und  Schaffensbedingung der Werke der Einsamkeit.
6.2. „Also sprach Zarathustra“ - Nietzsches großer „Dithyrambus auf die Einsamkeit“
6.3. Strukturen der „Einsamkeit“ in „Also sprach Zarathustra“
6.4. „Fliehe, Fliehe mein Freund, in deine Einsamkeit!“ - „Wo die Einsamkeit aufhört, da beginnt der Markt.“
6.5. Die Auserwählten – Nietzsches kommende Elite: Der „Einsame“ als Brücke zum Übermenschen
6.6. Der Einsame – das ist der Schaffende! „Trachte ich nach Glück? Ich trachte nach meinem Werke!“
6.7. Nietzsches „Nachtlied“ - das einsamste Lied, welches je gedichtet wurde!
6.8. „Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit!“
6.9. „Jede Gemeinschaft macht irgendwie, irgendwo, irgendwann – ‚gemein’“ – Zum Gegensatz von individuellem Leben in Einsamkeit und gesellschaftlichem Massen-Dasein.
6.10. „Einsam die Straße ziehn gehört zum Wesen des Philosophen.“ Fragmentarische Aussagen zur „Einsamkeit“
6.11. Therapeutikum Einsamkeit – schlimme und gefährliche Heilkunst! „In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen. Nun wähle.“
6.12. Die „siebente letzte Einsamkeit“ - Nietzsches „Dionysos-Dithyramben“
6.13. „Vereinsamt“ – Düstere Melancholie und metaphysische Verzweiflung
7. „Einsamkeit“ bei Jaspers und Heidegger - Exkurs
8. Der „Neue Mensch“ – eine Konsequenz der Einsamkeit? „selbstestes Selbst“ und Apologie des Selbst bei Lenau und Nietzsche - Exkurs
8.1. Die Suche nach dem „Humanum“ – Absage an den Irrweg „Übermensch“
8.2. Lenaus „Homo-Novus-Konzeption“ nach Amalrich von Bene
8.3. „Idemität“ und „Konkreativität“ – Der „menschliche Mensch“! Zur Strukturanthropologie Heinrich Rombachs. Exkurs

Teil VI: Essays zur Thematik und kleine Beiträge

9. Stufen der Einsamkeit – Auf dem Weg vom Alleinsein in die Vereinsamung, Melancholie und Verzweiflung – Zur Metamorphose eines anthropologischen Phänomens
9.1. Von der existenziellen Situation „Einsamkeit“ zum Krankheitsbild „Melancholie“ in der Erscheinungsform „Acedia“ und Hypochondrie
9.2. Melancholie als Charakteristikum des genialen Menschen.
9.3. Die Phänomene „Einsamkeit“, „Alleinsein“, „Vereinsamung“ und „Melancholie“ („Schwermut“, „Depression“) – im Wandel der Zeiten: Anthropologische Konstanten und Grundbefindlichkeiten des Daseins oder zeitbedingte Entwicklungsphänomene? Zur Begriffsbestimmung.
9.4. Strukturen der Einsamkeit - Zum Bedeutungswandel der Begriffe Einsamkeit und Melancholie durch die Zeiten
9.5. Existenzbewältigung: Angewandte Philosophie in philosophischer Praxis – Zur Konzeption und Intention der Studien zur Einsamkeit.
9.6. Zur Einsamkeit verflucht? – Alleinsein zwischen gesellschaftlicher Pest und segensreicher Schaffensbedingung –Selbsterfahrungen und Autobiographisches
9.7. Das Existenzmodell „Alleinsein“ zwischen Weltflucht und verklärender Utopie: Abgeschiedenheit, Einkehr, Selbstfindung, Eigentlichkeit - Selbst erfahrene und selbst beobachtete Phänomene – Einsamkeit, ein Zeitproblem?
9.8. Ein Einsamer von heute – In memoriam Theo Meyer.

 
Nachwort:
Inhalt:
Namenregister:
Bibliographie
Primärliteratur
Anthologien, Aufsatz-Sammelwerke zur Thematik:
Sekundärliteratur:
Bilder-Verzeichnis:
Bücher von Carl Gibson

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen