Angekommen und nicht da?
Zum Exodus deutscher Dichter aus dem Banat
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
Zum Exodus deutscher Dichter aus dem Banat
Gerhard war der Erste aus dem harten Kern der Aktionsgruppe ohne besondere Aktionen, die Rumänien endgültig verließen und in der Bundesrepublik ihren Wohnsitz nahmen. Die Gründe, weshalb er dem real existierenden Sozialismus den Rücken zuwandte -auch jenem der DDR - und in den Westen ging, dürften auf der Hand liegen. Neben dem Aspekt, dass er mit Ernst Wichner, einem Freund aus der Aktionsgruppe, der schon vor Jahren ausgereist war, einen literarischen Anlaufpunkt hatte, gab es viele Beweggründe, im gerade Westteil der Stadt Zuflucht zu suchen. Überall in Westeuropa, ganz egal wie manchesterkapitalistisch die politische Struktur ausgeprägt war, konnte ein politisch Denkender frei agieren und ein Künstler frei schaffen - ohne jede Bevormundung durch den Staat, durch Zensuren oder politische Auflagen. Hier konnte er - nicht anders als Goma in Paris dichten, schreiben, erzählen, publizieren und verlegen, was er wollte. Doch nicht mehr so elitär herausgehoben und privilegiert wie einst unter der Ägide Berwangers und der Kommunistischen Partei; nicht mehr als ein Komet aus einer kleinen, bisweilen bevorzugten Gruppe Sternschnuppen, sondern als ein Schaffender unter unendlich vielen vor Ort -und in direkter Auseinandersetzung und Konkurrenz mit zehntausend anderen Poeten und Schriftstellern, die kein Verständnis dafür hatten, dass jemand einen Sonderstatus beansprucht oder einen Bonus, nur weil er aus dem Banat oder generell aus dem Osten herstammt.
Das war Chance und Risiko zugleich - Durchsetzung und Erfolg oder Niedergang. Würde er den richtigen Zeitpunkt erwischen und die richtige Welle, um von ihr getragen zu werden wie bald die literarisch höchst mittelmäßige und geistig wenig differenzierte Herta Müller? Oder würde sein Talent verpuffen? Das waren die Spielregeln der Demokratie!
Selbst nahm ich den Bonus des ehemals Verfolgten, des Bürgerrechtlers und Widerständlers nie in Anspruch! Falsche Bescheidenheit? Vielleicht! Da es in mir trommelte, wollte ich nicht selbst noch trommeln und klappern, schon gar nicht in eigener Sache. Deshalb kommen manche Bücher spät - doch nicht zu spät. Den, der zu spät kommt, bestraft bekanntlich das Leben.
Ein weiterer Grund von Gerhards Ausreise hing mit seiner Herkunft zusammen. Wie ich selbst, stammte er aus Sackelhausen, aus einem Dorf, das an Temeschburg klebte, und durch das einst die Front gezogen war. Dort hatte nahezu jede Familie einen direkten Anhang im Westen, Eltern ihre Kinder, Kinder ihre Eltern; und somit war die Ausreisementalität überreif und führte, katalysiert durch enorme Bakschischzahlungen in Vermögenshöhe, zu einem nahezu vollständigen Exodus schon am Anfang der Achtziger Jahre.
Als Gerhard, dessen feinere Tentakeln und Sensoren diesen Trend sicher ausgemacht hatten, das Dorf Sackelhausen und das Banat verließ, war ich bereits im Westen. Er hatte sich noch längere Zeit mit den Repräsentanten einer offiziell inexistenten Zensur herumschlagen müssen, die sein Erstlingswerk bis zur Unkenntlichkeit zerrupft und zerschnitten hatten - und er hatte auch etwas von den Kellern der Securitate gesehen und vielleicht auch die Verhörmethoden des Basilisken kennengelernt. Das reichte schon, um den Garten Eden und die Gesellschaft des Lichts für immer zu verlassen.
Ihm folgten aus dem Umfeld der Aktionsgruppe einige Jahre später teils freiwillig, teils unsanft geschoben die Dichter und Journalisten William Totok, der Dissident unter den Dichtern, Rolf Bossert, Werner Söllner, Horst Samsonund Helmuth Frauendorfer. Einige Künstler aus dem Umfeld der Gruppe machten in Deutschland literarisch weiter.
Werner Söllner, der bereits 1982 in die Bundesrepublik kam, konnte - nicht ohne redliches Bemühen und mit viel Engagement - an die erfolgreich begonnene poetisch-literarische Laufbahn anknüpfen und produktiv bleiben. Weniger etablierte Dichter hatten es schwerer, Verleger zu finden, die poetische Werke publizierten. Anton Sterbling entschied sich für die akademische Laufbahn, während William Totok sich von Berlin aus bald der kritisch aufklärenden Journalistik widmen sollte, wobei sein literarisches Schaffen etwas in den Hintergrund trat.
Und Rolf Bossert, den begabten Lyriker aus der Reschitzer Gegend, ereilte fast unmittelbar nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik ein tragisches Schicksal. Er starb einen rätselhaften Tod durch einen Sturz vom Balkon eines Hochhauses. Selbstmord oder Mord? Wurde er das späte Opfer der Securitate, des langen Arms der Revolution? Ereilte ihn das Schicksal, das so manchem anderen Schriftsteller und Dissidenten angedroht worden war? Herta Müllers vielfache Andeutungen in Herztier verweisen in diese Richtung. Rolf gehörte zu ihrem Freundeskreis. Doch sie nährt in ihren Fiktionen nur Mythen, ohne substantielle Aufklärung zu leisten Auch andere Weggefährten hegen berechtigte Zweifel an einem möglichen Selbstmord Rolf Bosserts, dessen beste Gedichte erst posthum der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt wurden.
Nach 1986 lebten nahezu alle früheren Mitglieder und Sympathisanten der Aktionsgruppe Banat in der Bundesrepublik Deutschland - bis auf Herta Müller und ihren damaligen Lebenspartner Richard Wagner. Beide weigerten sich immer noch, Rumänien zu verlassen, obwohl Herta Müller, nach ihren eigenen Aussagen, bereits 1982 mit der Securitate kollidiert war. Nach ihrer oft schwer nachvollziehbaren, nicht immer mit Verständnis aufgenommenen Überhäufung mit Literaturpreisen in der Bundesrepublik für den kontroversierten Band Niederungen und für ihre angeblich regimekritische Haltung im Land, soll, gemäß ihren Aussagen, die direkte Verfolgung durch die Securitate noch deutlicher zugenommen haben. Sie machte die Bekanntschaft des Basilisken in der Person des hier ausgiebig portraitierten Scheusals Pele, dessen Verhörmethoden sie in existentielle Angst versetzten und ihr das Leben so schwer machten, bis sie, begleitet von Richard Wagner, 1987 doch noch Rumänien verließ, um dann in der nicht gerade innig und heiß geliebten Bundesrepublik Zuflucht zu finden. Beide kamen spät, kaum zwei Jahre vor dem Sturz des Diktators, in ein Land, welches ihnen seit je her ideologisch suspekt war, das sie aber dem demokratischeren Teil Deutschlands, der schon zerbröckelnden DDR, vorzogen! Schließlich hatte es ihnen Mentor Berwanger vorgemacht, dass die dämonisierten Teufel doch nicht ganz so schwarz waren und dass man - mit der schon trefflich eingeübten Konzilianz - auch in der kapitalistischen Hölle unter Faschisten und Revisionisten behaglich leben kann. Getragen von einem Dissidenten-Image, das sie nie gezielt anstrebten und das ihnen eigentlich auch nie zustand, welches aber auch heute noch kultiviert und gepflegt wird, fuhren sie fort, auf ihre Art Literatur zu produzieren und aus ihrer Sicht über die Welt zu berichten, aus der sie kamen. Der Rest ist Geschichte und Geschichtsbewältigung.
Da auch ich über Jahre eigene Wege gehen musste, ohne die Möglichkeit an vielem aus der Vergangenheit festhalten zu können, verlor ich Gerhards Spur wieder. Erst die Arbeit an dieser Geschichte führte mich zur Materie zurück und in die späte Auseinandersetzung mit ihr.
Auszug aus: Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
"Symphonie der Freiheit"
bzw.
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
"Allein in der Revolte".
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
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