Freiheit als Mittel der Demokratie
und der schwierige Umgang mit der Freiheit
aus der Sicht des kritischen Poeten Dinescu
Was konnte Poesie in einer Diktatur leisten und bewirken? Gab es so etwas wie eine kulturelle Résistance? Weil es keine freie Presse und kein Fernsehen gab, haben die Leute versucht, aus unseren Fiktionen die Wahrheit heraus zu erfahrenen,formulierte es Dinescu 1990 im Rückblick in einem Vortrag in Augsburg.
Er gehörte allerdings zu jenen verschwindend wenigen Köpfen, die es gewagt hatten, auch angesichts persönlicher Bedrohtheit und Gefährdung durch den Repressionsapparat konkreter zu werden. Dinescus Gedichte, die in Rumänien damals nicht erscheinen durften, zeugten von einer wirklichen literarischen Opposition.
Nachdem ich 1979 Rumänien verlassen hatte, ging die Opposition gegen das kommunistische Regime im Land, deren tatsächliches Ausmaß erst nach der Revolution bekannt wurde, weiter, auch im Literarischen. In den späten 80er Jahren betraten mutige Charaktere den Plan: Doina Cornea und Ana Blandiana zunächst; und dann - sehr selbstbewusst und furchtlos - eben Mircea Dinescu.
Nachdem er sich öffentlich mit den regimekritischen Dichtern Dan Deşliu und Dorin Tudoran solidarisch erklärt hatte, durfte er selbst nicht mehr literarisch publizieren. Der Maulkorb der verbotenen Dichterin Ana Blandiana galt nun auch für ihn!
Am 17. März 1989 veröffentlichte die französische Zeitung Libération, ein Blatt, das oft auch über die Freie Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLOMR berichtet hatte, ein Interview mit dem Dichter, in welchem Dinescu allegorisch klagt: In Rumänien läuft die Wahrheit mit zerbrochenem Schädel herum, doch die Schriftsteller eignen sich nicht zum messerscharfen Umgang mit der Realität, weil man sie zu Schönheitschirurgen der Macht bestellt hat. Als Folge dieser Klartext-Äußerungen wurde der Dichter zur Unperson erklärt. Er verlor alles und überlebte bis zum Tag der Befreiung durch Revolutionäre im staatlich verordneten Zwangsaufenthalt am Wohnsitz mehr schlecht als recht - aber er überlebte.
Wer war nun prädestinierter über die tatsächlichen Verhältnisse in seinem Land nach der Revolution zu reden als Mircea Dinescu? Goma und Caraion hatte einiges nach ihrer Exilierung zu berichten - und Dinescu hatte es nach dem Zwangsaufenthalt und dem Befreitsein auch. Wie sah er nun den Umbruch zur neu gewonnenen Freiheit und den Umgang der Menschen mit dieser Freiheit?
Im seit jeher toleranten und protestantisch aufgeklärten Augsburg, wo ihm die dortige Universität in aller Eile die Ehrenbürgerwürde verlieh, als zeitgemäße Würdigung seines mutigen Eintretens für Freiheitund gegen Totalitarismus, sagte der Dichter: Es gibt eine Redewendung, die sagt, Du wirst ernten, was Du gesät hast. In Rumänien hat man vierzig Jahre lang Hunger, Angst, Kälte und Dunkelheit gesät, und wir können jetzt nicht erwarten, Licht und Christlichkeit zu ernten. Denn wir finden uns heute in einem Volk wieder, das die Ketten zwar abgeworfen hat, das aber von seiner Freiheit verwirrt ist. Das Volk ist wie jener Löwe, der in Gefangenschaft geboren wurde und nach seiner Befreiung einige male um den Käfig kreist, dann aber sehr versucht ist, in den Käfig zurück zu kehren, um seinen Schlaf fortzusetzen.
Dinescu glaubt an die Notwendigkeit einer moralischen und sozialen Realphabetisierung seines Volkes und an die Rückkehr nach Europa über die Kultur. Gleichzeitig erkennt er, dass sein Volk mit dem errungenen Fundamentalwert nicht umzugehen weiß: Die größte Krankheit in Rumänien ist wahrscheinlich die, dass die Rumänen nicht wussten, was sie mit der Freiheit anfangen sollten, sagte Dinescu in einem Interview vom 13. Mai 1991 mit der deutschen tageszeitung aus Berlin.
Dinescus Einschätzung der allgemeinen politischen Situation des Landes nach der Machtübernahme der Wendehälse für sieben weitere Jahre ist von Desillusion geprägt. Depression ersetzt die einstige Euphorie. An die Macht sind die Professionellen der Macht gekommen, das heißt die zweite Schicht des Apparates. (…) Die jetzt an der Macht sind, sind Söhne ehemaliger Parteifunktionäre.
Vieles blieb beim Alten. Während die rumänischen Dissidenten - im krassen Gegensatz zu Polen und der Tschechoslowakei, wo Walesa und Havel die moralische Erneuerung und Neuordnung ihrer Staaten selbst in die Hand nahmen - , von den Zentren der Macht verdrängt wurden, kehrten alte Verhaltensmuster des kaum erst besiegt geglaubten Sicherheitsdienstes, der, nach Dinescu mächtiger scheint als zuvor, wieder zum Vorschein: anonyme Briefe, Beschimpfungen, Morddrohungen. Es besteht die Gefahr, dass der Sicherheitsdienst eines Tages seine alte Macht wieder innehaben wird.
Das sind erschreckende Prognosen für ein Land, das inzwischen in die Europäische Union aufgenommen worden ist. Heute, im Frühling 2008, ist es kein geringerer als Präsident Băsescu, der das Wiederaufziehen restaurativer Tendenzen befürchtet -sprich den Willen zur Macht zurück von 120 Abgeordneten im Rumänischen Parlament, die noch in irgend einer Form mit der früheren Securitate zusammenhängen.
Dinescu, den andere Kollegen, Leute wie Richard Wagner aus Lowrin im Banat, die nichts für die Erlangung der Freiheit in Rumänien getan haben, eben weil sie keine Dissidenten sein wollten, nur staatsloyale Kritiker, sic!, einen Politclown nennen, nimmt auch nach der Revolution kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Fakten und Wahrheiten anzusprechen. Und er schont dabei die eigene Zunft nicht.
Auf das Datum der Befreiung bezogen sagt er: Bis dahin glaubte ich an eine Art Dissidententum allein in der Kultur. Das war eine Illusion. Viele sehr bekannte rumänische Schriftsteller haben die Rolle eines Vogel Strauß gespielt, haben sich in Metaphern und Bildern versteckt und dabei geglaubt, dass sie Dissidenz betreiben. Zu den Speichelleckern und Verfassern von panegyrischen Versen von gestern vom Schlage eine Păunescu und Tudor sagt er: Die meisten ehemaligen Hofdichter von Ceauşescu sind jetzt Besitzer einer Zeitung oder einer Zeitschrift. Die ehemaligen Parteifunktionäre, die Millionen unter Ceauşescu verdient haben, investieren diese Gelder in Zeitungen. (…) Tragisch und zugleich lächerlich ist auch die Tatsache, dass diese kleinen Goebbels’ unter Ceauşescu nach vier, fünf Monaten der Angst wieder aktiv sind. Sie beherrschen wahrscheinlich die Hälfte der rumänischen Presse.
Ungeachtet seines euphorischen Überschwangs, das den Poeten in Dinescu ausmacht, charakterisiert und diagnostiziert gerade dieser Dichter - von Landsmann Eugen Ionesco für den Nobelpreis vorgeschlagen - die Phänomene seines Heimatlandes in ihrer Wesenhaftigkeit und Substanz, während andere Leute der systemloyalen Schriftstellerin Herta Müller für das Anerkennen einer totalitären Struktur den gleichen Preis zukommen lassen wollen. Wenn der Kopf in den Wolken wandelt, dann erscheint auch das Wolkenkuckucksheim als Ideal - wie bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, die sich für ihren Faut Pas noch bei keinem Betroffenen entschuldigt hat.
Da Dinescu aber mit einem hellen Kopf und einem regen Geist versehen, mitten im Geschehen war, wusste er genau worauf es ankam.
In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinenaus dem Jahr 1990 stellt Dinescu deshalb nüchtern fest: Man muss zugeben: in Rumänien gab es leider eine sehr lange Pause in Sachen Demokratie: 45 Jahre oder mehr sind eine unglaublich lange Zeit. Bei uns sind die demokratischen Instinkte, der Spürsinn für echte Demokratie verschwunden.Dann kommt er auf die Freiheit zu sprechen, indem er betont: Viele Leute glauben, dass die Freiheit dies bedeutet - auf die Straßen zu gehen und Steine in die Fenster des Parlaments zu werfen. Die Freiheit ist eine Sache, die gelernt werden soll, man erzieht im Sinne der Freiheit, man erlebt sie allmählich in der Tiefe des menschlichen Wesens. Die Pause in Sachen Freiheit war zu groß. Es ist schon bewiesen: Drei Monate sind keine Zeit, um die Freiheit wieder zu entdecken. Spätere Würdenträger der Bundesrepublik warfen in ihrer pubertären Phase auch mit Steinen, ohne zu ahnen, wessen Haupt sie treffen könnten, doch nur aus Sehnsucht nach Freiheit! Oder? Honi soit qui mal y pense!
Dinescus düstere Bilanz entspringt der Realität des politischen Geschehens nach der Revolution. Als die aufgebrachten Massen protestierender Studenten plötzlich zu viel Demokratie wagen wollten, machte der Wendehals Iliescu schnell von seiner Freiheit Gebrauch, um herbei gekarrte, mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnete Minenarbeiter auf die rebellierenden Jugendlichen zu hetzen. Wie war das mit dem Freiheitsbegriff bei Elena und Jaspers? Es darf keine Freiheit geben zur Vernichtung von Freiheit! Iliescus Knüppeltaktik bedeutete einen eklatanten Rückfall in diktatorische Zeiten, ein untilgbarer Schandfleck für die künftige Zeit seiner siebenjährigen Regierung -und er verwies auf das wahre Gesicht der Ceauşescu-Nachfolger! Der Schah in Schah und Ajatollah Chomeini hatten es einst vorgemacht - und Margret Thatcher in Nordirland!
Diese Jahre der eingeschränkten und falsch verstandenen Freiheiten waren für den demokratischen Umformungsprozess der Gesellschaft nahezu ganz verloren. Der Umgang mit der Freiheit, das erkannte der Dichter klarsichtig, will gelernt sein - auch von den Mächtigen, bevor eine Kultur der Freiheit entsteht, aus der mehr werden kann.
Dank des beherzten Eintretens vieler Mutiger, denen Dinescu die Zunge lieh, und aufgrund einer gewissen Lernfähigkeit der Mächtigen im Land, hat sich in der Zwischenzeit einiges zum Positiven entwickelt bis hin zur Verurteilung, ja Verdammung des kommunistischen Systems als ein System des Verbrechens. Doch manches andere braucht noch Zeit, viel Zeit.
Demokratische Strukturen, das zeigt auch das Beispiel der ehemaligen DDR und der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, entstehen nicht über Nacht. Sie müssen erst kultiviert werden über die Saat der Freiheit!
Seit 1989 verlor das rumänische Exil fast seine Berechtigung - der Weg der Reformen muss im Land selbst gegangen werden, gestützt von Außenperspektiven wie dieser. Dann kann daraus ein Erfolg werden: für Rumänien und für Europa.
Symphonie der Freiheit
Symphonie der Freiheit
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