Feuer und Flamme - mit Nyula am Kamin
Einiges von dem Gehörten klang noch nach, als ich gegen Abend in eine der südlichen Vorstädte reiste, um dort zu übernachten. Eine Mitarbeiterin der Gefangenenhilfsorganisation hatte mich eingeladen, die Nacht in ihrem Cottage zu verbringen, in einem jener typischen Reihenhäuser mit Kamin, die von den Engländern als Heim und Kastell empfunden werden, allerdings nicht mit ihr, sondern nur bei ihr. Schließlich war ich auf der anderen Seite des Kanals. Und Nyula war immer noch eine Lady.
Wie ich bald darauf erfuhr, hatte sie als Gattin einesFreeman of London schon bessere Tage erlebt. Nachdem ihre erste Verbindung, eine Zweckehe mit einem wohlhabenden Freimaurer schnell in Scherben gesunken war, hatte sie in ihm die große Liebe ihres Lebens gefunden - und diese auch genossen, bis er allzu früh verstarb und sie unerfüllt zurückließ. Ein Schicksal- und eine andere Passion. An seiner Seite standen ihr damals die vornehmsten Kreise offen, bis hin zu Empfängen bei Royals aus Schloss Windsor. Bevor sie vor Bitterkeit ergraut war, musste sie eine begehrenswerte Erscheinung gewesen sein. Und auch jetzt noch wirkte sie anziehend.
Nyula empfing mich großherzig und weltoffen, ohne daran zu erinnern, dass unsere beiden Nationen gerade erst zwei Weltkriege ausgefochten hatten. Nachdem sich mich mit einem alten Klapper-Renault aus der Stadt gefahren hatte, hinaus in einen der noblen Vororte der Metropole, forderte sie mich auf, es mir in ihrem Cottage bequem zu machen und mich heimisch zu fühlen. Ihr Castle war vorerst mein Zuhause. Ich staunte. Scheinbar befürchtete sie nicht, dass ich in der Nacht mit den silbernen Kerzenständern verschwinden würde. Sie legte mir eine Wolldecke bereit. Auf der alten Couch am Kamin sollte ich die Nacht verbringen. Doch was war mit dem wärmenden Feuer?
„Könnten wir vielleicht den Kamin anwerfen?“ fragte ich, nachdem ich eine Weile in die fahle Asche gestarrt hatte. Eine Feuerstelle ohne Feuer?
„Ach, dieser Kamin, der raucht mehr als er brennt. Er wärmt bestenfalls die Seele etwas auf“, seufzte Nyula. „Um ein richtiges Feuer zu entfachen, bräuchten wir gutes Kaminholz. Birke müsste es sein oder Buche. Das aber fehlt uns hier in der Stadt. Draußen auf dem Land, unten in Devon, wo früher unser Häuschen stand, war das kein Problem. Doch nun ist es eins. Wir kriegen nur billiges Nadelholz aus Schweden, und das zu Apothekerpreisen. Da sprühen die Funken und es besteht Brandgefahr. Deshalb verzichtet mancher Engländer auf sein Feuer im Kamin. Der ist eigentlich nur noch Dekoration, wie vieles, was sehr britisch ist. Er gehört einfach zur Lebensart.“
Merkwürdig! Ein kalter Kamin? Wunderte ich mich im Stillen. Würde denn ein genussfreudiger Franzose nur am alten Weinfass festhalten, ohne den feurigen Wein zu trinken? Oder am alten Cognac in der Flasche, nur als Prestigeobjekt, ohne je daran zu nippen? Ein neuer Fall für Voltaire!
Während ich dem Staunen überlassen blieb wie ein Ehrfürchtiger vor der Schöpfung, suchte Nyula dann doch noch einige Scheite zusammen, brachte Zündhölzer und bat mich, das Feuer zu entfachen.
Nichts lieber als das. Darin hatte ich Übung - auch als unfreiwilliger Meister des Feuers. Zwei Manuskripte waren bereits den Flammen übergeben worden und manches Ideelle war verraucht. Also beugte ich mich nieder, entfernte die alte Asche vom Rost, zückte das Taschenmesser mit dem Kreuz, machte ein paar Späne und zündete den Zunder an. Der Zug stimmte. In wenigen Minuten war loderndes Feuer im Kamin.
Feuer machen- das hatte etwas Rituelles und verwies auf eine archaische Struktur, die tief in die Menschenseele hineinreichte und entwicklungsgeschichtlich zurückführte bis in die Anfänge seiner Evolution. Religio? Ja, der Umgang mit dem Feuer war Religion! Zumindest für mich.
Und mit dem Feuer spielen - das hatte etwas Existentielles und den Reiz des Verbotenen. Das Überschreiten des Du darfst nicht stand dahinter: Schon damals in der frühen Kindheit, als das Unkraut angezündet wurde, das Lagerfeuer auf der Wiese, das Feuer im Kachelofen oder im Herd! Natürliches Feuer im Herd erquickte anders als ein glühender Draht - und es leuchtete anders als die zahme Flamme in der Petroleum-Lampe, wenn der Blitz einmal die Leitungen zerstört hatte. Unbewusst war ich früh darum bemüht, selbst ein kleiner Meister des Feuers zu werden, ein Alchemist noch vor der Chemie, der im virtuosen Umgang mit dem Element aus einer Materie eine neue Materie schuf, der- in der Überschreitung der begrenzenden Schranke etwas formte, was über ihn hinausging. Feuer brachte Licht in die Welt, Feuer garte und wärmte. Feuer weckte Erinnerungen - wie der Mythos vom Himmelsfeuer, hundert Assoziationen, Geschichtlein und selbst erlebte Anekdoten, deren köstlichste ich natürlich zum Besten gegen musste.
Auszug aus: Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
"Symphonie der Freiheit"
bzw.
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
"Allein in der Revolte".
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
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