Ein Anders-Denkender am Höllentor -
Rodin und die Trias als Humanum
Wohin jetzt noch? Also doch zu Rodin? Das nur seinem künstlerischen Schaffen gewidmete Museum stand auf meiner Wunschliste ganz oben. Dort lockten das Höllentor - lange nach Dante - und einige weitere monolithische Blöcke, aus denen Idee erwuchsen in eigener Genialität wie sonst nur noch bei Michelangelo!
Ein Denker erwartete mich dort! Ein Seelenverwandter? Ein sinnender Melancholiker wie am Grabmal der Medici? Ein Urbild und Ebenbild des Denkprozesses und Erleidens, in welchem alle Dichter und Philosophen des Alten Kontinents zusammenfielen wie die Töne in der gewaltigen Symphonie, alle großen Geister der Franzosen, der Rumänen, der Deutschen, Shakespeare und Cervantes, Dostojewskis und Tolstoi, Ravel und Sibelius!? Der Weg dahin war schnell gefunden. Und - welch ein Wunder: keine Schlange! In dem kleinen Palast war ich fast der einzige Gast. Ein Museum nur für mich! Das war gelebter Luxus.
Endlich allein - mitten unter Millionen an der Schlagader der Welt. Es fiel mir nicht leicht, aus dem Rasen zur Ruhe zu finden und in kontemplative Betrachtung zu versinken. Und doch. Rodins Werke waren die Ruhe selbst. Beeindruckt ging ich durch die Räume und besah andächtig alles, was hier ausgestellt war mit der Gier des Hungernden, der einen Laib Brot findet.
Balzac blickte mich an. Hatte ich nicht jüngst eine Posse von ihm gesehen, Das Finanzgenie, in der Hauptrolle der deutsche Fernsehkommissar? Auch ein Essay aus der Feder von Stefan Zweig über den großen Franzosen, der wie Mozart und Wagner immer nur Schulden hatte und vor Gläubigern floh, spukte mir durchs Gehirn - Und hier die Sicht von Rodin: die Wucht des Geistes als Kopf des Romanciers! Er schlug mich in Bann!
Und dann: Der Denker! Da war er! Eine Plastik in Bronze, mit der ich mich nur zu gern identifizierte. Das Denken selbst, die gesamte Weisheit der Welt schien aus ihr hervor - das Abendland, Echnaton und Buddha, Konfuzius und Zarathustra!
Den Geist und die ewigen Ideen galt es zu erfühlen - und es kam darauf an, die ewige Idee, den Zusammenfall des Gegensätze, des Bewussten und des Unbewussten, der Welt und Gegenwelt, mit dem Herzen sehen und erfassen, wie bei Exupery!
Trotzdem: Die Franzosen waren Rationalisten. Und das Primat des Geistes hatte Priorität, selbst vor Descartes. Alles, was den Menschen vom Tier unterscheidet, wurzelt im Denken. Das gesamte Menschsein ging darauf zurück. Und dabei wird es nicht einmal in den Schulen vermittelt - wie andere lebenswichtige Dinge auch.
Ein paar Schritte weiter noch - dann stand es vor mir: das Port d’ Ènfer - unvollendet, mit einer Vielfalt von Symbolen, die tagelanges Meditieren erfordert hätten. Eine Allegorie der Hölle - die viel bewunderten heiteren Heiden zappelten darin, die edlen Templer jenseits von Sodom und alle Abgründe der menschlichen Seele einem humanistischen Gehirn entsprungen und bildhauerisch in Erz gebannt. Die Unterwelt?
Das Purgatorium? Die Teufel mit den Mistgabeln, Jammern und Zähneklappern! Katharsis? Selbst die schuldlos Schuldigen mussten leiden, nicht anders als die ungeziefergeplagten Lauen. Kindheitsvisionen wurden wach, Vorstellungen, was die Hölle sei. Mehrfach hatte ich Höllentore passieren müssen. Hinein ins Gefängnis und hinaus. Und hinaus aus der Hölle des Kommunismus, die ein Dante noch nicht kannte.
Dieses hier wollte ich nur bestaunen, hoffend, dass es nicht zu tiefe Erinnerungen wachrief an Höllen und Vorhöllen, die ich schon überwunden glaubte. War die Hölle in uns selbst?
Oder traf Sartres Wort zu: Die Hölle, das sind die anderen?
Fasziniert und etwas verwirrt riss ich mich wieder los. In einem anderen Raum fand ich sie dann, jene Gruppe, die mich so sehr an verehrte Idealisten erinnerte: Die Bürger von Calais - ein weiterer Höhepunkt meines Besuches.
Sechs Menschen standen vor mir, ein jeder anders, mutig, aufopferungsvoll, leidend, eine Gruppe von Charakteren gebündelt um den ideellen Komplex: Widerstand - Freiheit - Humanum: die Trias fand hier zur Einheit, zum Apogäum, - wie die drei Basilikatürme des Sacré-Coeur. Und mit dieser Dreieinigkeit ging mir noch mehr auf. Mein Tun. Meine Welt - das Tun meiner Umwelt schien hier zusammenzufließen. Das menschliche Tun überhaupt schien auf einer Ebene zusammenzufließen, die in einer Idee eingefangen wird. In diesem Raum des Lichtes und der Kunst durchlebte ich einige subjektive Eindrücke, die sich von selbst objektivierten und alles, was bisher abgelaufen war, in einen großen Sinnzusammenhang stellten. Der gelegentlich aufkommende Pessimismus wurde durch diese Konstellation aufgelöst.
Als ich das Museum verließ, um bald darauf auch Paris zu verlassen, umgab mich eine Aura von Zuversicht.
Am Tag danach stand meine Rückreise nach Deutschland an. Der Zufall, der so viel Symbolisches und Symbolträchtiges in meinem Leben zusammengewürfelt hatte, wollte es auch, dass es eine Winterreise wurde. Es war immer noch November, ein trauriger Sonntag. Schnee lag in der Luft, als ich zum Ostbahnhof schritt und ein Hauch von Melancholie, die sich einstellt, wenn ein lange erstrebtes Ziel erreicht und das Glück des erfüllten Augenblicks verflogen ist.
Der Zug nach Straßburg wartete. Halb euphorisch, halb depressiv stieg ich ein. Im Koffer waren einige Andenken an die gerettete Architektur der Stadt - und im Kopf war diesmal keine Konterbande, sondern das Gedenken an Menschen, an Idealisten, die ich in Fleisch und Blut erlebt hatte. Es zeichnete sich bereits ab, dass ich noch öfters nach Paris kommen würde, um das Engagement eben dieser Menschen fürFreiheit und Bürgerrechte weiter zu unterstützen.
Auszug aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen, Leseprobe
Pestsäule und Dom, Temeschburg,
OTB-Organisator Georg Weber, 1982 in Dortmund
Bürgerrechtler Carl Gibson zur Zeit der UNO-Beschwerde gegen Ceausescu (1981)
in Rottweil
Kathedrale, Temeschburg
Ceausescus Palast
Carl Gibson, Lesung
Carl Gibson, Symphonie der Freiheit,
Dettelbach, 2008, 418 Seiten.
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
"Symphonie der Freiheit"
bzw.
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
"Allein in der Revolte".
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
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