Samstag, 22. Mai 2021

„Der Witwenmacher“ -Das Damokles-Schwert im Wald oder Die gefährliche Existenz


Der Witwenmacher

 



„Der Witwenmacher“ -Das Damokles-Schwert im Wald 

oder 

Die gefährliche Existenz

 

 


Nach dem Sturm



Die Fütterung - Star am Loch






Tage später:

Noch aktiv



Der andere Witwenmacher am Boden



„Der Witwenmacher“ -Das Damokles-Schwert im Wald oder Die gefährliche Existenz

Den Ausdruck hört man nicht oft; und kaum einer kommt gleich auf die zwei Bedeutungen, die in ihm stecken. Die Älteren erinnern sich: Immer wieder fiel einer jener – von dem legendären Franz Josef Strauß aus der CSU seinerzeit als deutscher Verteidigungsminister angeschafften - „Starfighter“ des Lockheed-Konzerns aus den USA vom Himmel und sorgte so für manche Flieger-Witwe in Deutschland.

Auch ich erinnere mich an die meine Anfangsjahre in der Kurstadt Bad Mergentheim, als die Tornados der Bunderwehr im Tiefflug über die Stadt donnerten. Die Häuser bebten – und die Kranken, die dort in den Reha-Kliniken an jeder Straßenecke auf ihre Genesung warten, wurden von dem ohrenbetäubenden Lärm sicher nicht gesünder. Um dem Völkermord des Slobodan Milosevic Einhalt zu gebieten, bombardierte die NATO seinerzeit Ziele in Serbien; also galt es, Kraft und Stärke zu zeigen, auch unter dem deutschen Himmel und über den Dächern der Kleinstadt – und das so lange, bis die Ersatzteile knapp wurden und das teure Flugbenzin verflogen war.

Doch diese „Witwenmacher“, die es sicher auch damals gab und heute noch gibt, sind hier nicht gemeint. Mich beunruhigten die „Witwenmacher“ im Wald, vom wilden Sturm erzeugt, der – gerade in diesen Maitagen - Bäume ausreist und schwere Äste von den Bäumen schleudert, hinab, in den Lauf des Baches, aber auch auf den Naturbeobachter, der unten am Waldboden liegt und – eingehüllt in sieben Hosen und Regenjacke – die Fütterung der Spechte und Stare beobachtet.

Zwei, drei Wochen ging ich, ein Genesender, obwohl noch gesundheitlich angeschlagen, dieser Naturbeobachter-Tätigkeit nach und machte viele Tausend Fotos.

„Mir kann so etwas nicht passieren“, hatte ich mir gesagt! Und doch, nicht im Wald unter den hohen Bäumen im Mündungsbereich des Baches in den Fluss, aber auf dem Weg dorthin knallte ein vom Wind herabgewehter Ast einen Schritt vor mir mit Wucht auf den Asphalt. Um ein Haar hätte es mich erwischt – und ich wäre, nach all den überstandenen Gefahren und im Leben und der schweren Krankheit zuletzt – doch noch einen trivialen Tod gestorben, die Todesform, die ich immer gefürchtet hatte. Einfach so aufhören zu leben, aus dem Leben gefegt durch einen dummen Zufall, auf einem Weg ohne rechtes Ziel? Lieber wählte ich, der ewige Hasardeur und Verächter der Gefahren, dann doch das exponierte Leben am Fluss, in den ich schon mehrfach teils hineingestürzt, teils hineingeglitten war oder die gefährliche Situation unter den Bäumen, mit steifem Genick zu den Vögeln hinaufschauend, mit das Risiko, von der Natur erschlagen zu werden, als das unspektakuläre Ende auf der Intensivstation eines Krankenhauses mitten in der Pandemie, von allen verlassen einen anonymen Tod sterbend.

Also ging ich täglich an jene Stelle im Wäldchen kurz vor der Bachmündung und schaute den Vögeln beim Nähren ihrer Brut zu, beim Anflug mit Würmern und Insekten, beim Bude-Reinhalten, Putzen und beim Abtransport der Exkremente, ja selbst, bei der Begattung in hohen Zweigen – nicht ganz diskret, aber sicher vor der Kamera -, die systematisch er bei Spechten erfolgt, um das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Partnerschaft zu stärken.

Alle diese hoch interessanten Beobachtungen, teils neu für mich, bis hin zum Flüggewerden der Jungvögel und den ersten Flugübungen vor dem Loch waren es wert, mich in Gefahr zu begeben und, gefährlich lebend wie Nietzsches Seiltänzer in „Zarathustra“, mein Leben bis zu einem gewissen Grad erneut aufs Spiel zu setzen.

Gleich zwei höchst gefährlich wirkende „Witwenmacher“ waren da; einer, in der Baumkrone, wo das Starenpärchen die Jungen fütterte, vis-á-vis, einige Meter über mir, und dann ein weiterer, unmittelbar über meiner Lage. Der erstbeste Windhauch hätte den schweren Ast über mir herabfegen können! Und doch riskierte ich einiges, blieb und machte meine Fotos.

Dann kam der Sturm mit Regen. Der Waldboden und die Uferbereiche wurden glitschig, instabil. Ich rutschte mehrfach aus, stürzte, machte aber weiter. Ein Tag nach dem Frühlingsgewitter sah ich am Morgen, was hätte sein können. Während der „Witwenmacher“ über mir, gleich unter dem Loch des Buntspechten-Paars noch oben hing und angsteinflößend baumelte wie ein Damokles-Schwert in der antiken Sage, lag der zweite „Witwenmacher“ zertrümmert am Boden, am Bachufer, mahnend vor meinen Augen. Jetzt erst erkannte ich recht, dass dieser halbe Baum herabstürzend gleich mehrere Menschen hätte erschlagen können, harmlose Spaziergänger, Angler oder auch freche Naturfreunde mit Fotoapparat, die sich dorthin wagen, wo Lebensgefahr besteht!

Man muss nicht in die Tropen reisen, in den Urwald, an den Amazonas, in die wilden Rocky Mountains nach Kanada oder in die sengende Sonne der Wüste, um exotische Natur zu erleben und dabei umzukommen – das geht auch in heimischen Gefilden, quasi vor der Haustür!

Abends, im Gespräch mit einem alten Freund, erzählte ich von dem drohenden Ästen, den Damokles-Schwertern im Wald.

„Witwenmacher“, sagte er.

Witwenmacher“, fragte ich nach?

Den Ausdruck hatte ich, ein eingefleischter „Spiegel-Leser“ in illegaler Zeit, seit Jahrzehnten nicht mehr gehört. DER SPIEGEL hatte seinerzeit immer wieder über die Strauß-Eskapaden berichtet – und, wie mir dämmerte, den Ausdruck damals eingesetzt, provokativ polemisch – und so ging er seinerzeit durch die Presse, auf Dinge verweisend, die vom Himmel auf die Erde fallen, von Menschen gemachte Dinge.

Hier im Wald, vor meiner Haustür, hatte ich es mit anderen Schöpfungen zu tun, mit Kreationen der Natur, die ihrerseits auf Hybris verweisen. Hybris, darüber schrieb ich schon oft, wurde im alten Mythos der Griechenwelt immer abgestraft, bei Ikarus, bei Prometheus.

Ganz gleich ob ein Naturphotograph, der in die Natur geht und – den Phänomenen aus der Spur - Bilder macht, Sein und Werden dokumentiert, ob ein Natur-Philosoph, der über Natur und Leben nachdenkt, die Erscheinungen eruiert, auf den Punkt bringt, ob ein naturverbundener Schriftsteller, der die erkannten Wesenheiten prägnant beschreibt, über Literatur natürliche Kunst schafft – sie alle lieben irgendwo, in die Natur eintauchend und darin aufgehend wie der Fisch in seinem Lebenselement Wasser, die gefährliche Existenz.


 Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.

Carl Gibson, Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker, 

im Jahr 2020


Mehr zu Carl Gibson, Autor,  (Vita, Bibliographie) hier:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

(Das Wikipedia-Porträt Carl Gibsons in englischer Sprache)


https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/



Copyright: Carl Gibson 2021.




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