Montag, 23. Mai 2022

Weshalb es Sinn macht, das Erinnerungswerk Helmut Schmidts über „Menschen und Mächte“ aus dem Jahr 1987 jetzt wieder zu lesen

 

 

   Weshalb es Sinn macht, das Erinnerungswerk Helmut Schmidts über „Menschen und Mächte“ aus dem Jahr 1987 jetzt wieder zu lesen

Schmidt war eitel, manchmal auch arrogant, besserwissend überheblich; manches hat er nachträglich auch schöngeredet, so, um sich ins rechte Licht zu rücken – für die Zeit, für noch lange Jahre der Gegenwart, als Kohl regierte, aber auch für die Geschichte und die Nachwelt. Dessen ungeachtet war Helmut Schmidt der letzte Politiker von Format, ein Politiker mit Charisma und Augenmaß, der in Hitlers Krieg an der ferne Russlandfront heranreifte, bis er Minister wurde, Finanzminister, Verteidigungsminister, schließlich Kanzler, doch ein Regierungschef, der nicht nur innenpolitisch lange Jahre die Geschicke der Bundesrepublik Deutschland bestimmte, sondern der auch aktiv und erfolgreich Außenpolitik betrieb – Ostpolitik in der Auseinandersetzung mit damaligen Sowjetunion unter Breschnew, Sicherheitspolitik und vor allem Wirtschaftspolitik im Ringen mit den USA und fernöstliche Zukunftspolitik im Dialog mit China noch zu Maos Zeiten, aber auch mit Japan.

Als Persönlichkeit von allen Seiten geachtet und geschätzt, konnte er manche Entwicklung mitgestalten, im Osten wie im Westen, mit Breschnew und Deng Xiaoping ebenso knallhart verhandelnd wie mit Jimmy Carter. Politische Akteure der Zeit wie Henry Kissinger oder Valery Giscard d‘ Estaing und viele andere Staatschefs und Ministerpräsidenten wurden zu langjährigen Freunden, zu Freunden fürs Leben. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern im Kanzleramt, zu Kohl, Schröder und Merkel, die oft nur kraft ihres Amtes wirken und sich dursetzen konnten, erfreute sich Helmut Schmidt einer natürlichen Autorität, die durch Wissen gedeckt war. Kohl war Historiker, in bestimmten Bereichen aber nur ein Autodidakt, also auf Berater angewiesen, während und Helmut Schmidt von Haus aus ein studierter Volkswirt, ökonomisch und finanzpolitisch den Durchblick hatte, der anderen fehlte, aber auch im sicherheitspolitischen Bereich, wo der ehemalige Leutnant der Wehrmacht auch als Bundesverteidigungsminister strategisch denken und sicherheitspolitisch die richtigen Weichen stellen konnte – bis hin zum Doppelbeschluss, der den Kalten Krieg und die heute bestimmende Konfrontation der NATO mit der Sowjetunion, heute Russland, auf einen Gipfelpunkt führte.

Schmidts Werk, gespickt auch mit einigen lustigen Anekdoten aus den Tagen der reisen in die Sowjetunion oder in die Volksrepublik China, interessiert heute nicht nur historisch. Auch wenn manches aus dem Buch, das in den Jahren 1982 bis zum Erscheinen im Jahr 1987 – unterstützt von einem ganzen Apparat, den andere Autoren nicht haben – erarbeitet wurde, Makulatur ist, weil die Weltordnung mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des kommunistischen Machtbereichs 1989 zerfiel, bleiben die Grundfragen der damaligen Zeit noch aktuell – brennende Fragen zur außenpolitischen Rolle der Supermacht USA sowie zur Zukunft China bei einem Zusammenwachsen der EG-Staaten Europas zu einer Europäischen Union in Absetzung von Putins Russland, das gerade hegemonisch ausgerichtet auf Expansionskurs ist im Angriffs- und Vernichtungskrieg in der Ukraine.

 

 

 

 Vgl. auch:

 

 

Der in Helmut Schmidts  

Erinnerungswerk „Menschen und Mächte 

befürchtete Rückfall der Russen in die Diktatur ist längst eingetreten!

 

    Wird eine „rationale Kreml-Führung“ den Westen angreifen, gar mit Atomwaffen? 



In einer radikalen Abkehr von der Ratio, von Verstand und Vernunft, über die Person des Irrationalisten Putin, aus dem inzwischen ein „lupenreiner Diktator“ geworden ist, repressiv nach innen, alle Menschenrechte auslöschend und aggressiv nach außen, dem Westen unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen drohend.

Was zu Helmut Schmidts Zeiten noch undenkbar schien, ist heute wahrscheinlich geworden: Deutschland, ein Haupt-Schauplatz des Krieges trotz des Frontstaates Polen und das Ausradieren ganzer Städte mit Millionen von Menschen beim Einsatz taktischer Atomwaffen.

Helmut Schmidt hatte es noch mit dem behäbigen Leonid Breschnew zu tun, der Wodka aus dem Wasserglas trank und der, um „Hilfe“ gebeten, den Genossen in Prag auch zu „Hilfe“ eilte, mit Panzern und Verbündeten aus dem Warschauer Pakt, um die Weltmacht Sowjetunion herauszukehren und die Führungsrolle der kommunistischen Partei über das rote Völkergefängnis hinaus, damals, 1968 in der Tschechoslowakei – und dann noch einmal, 1979, als der Genosse aus Kabul rief und Breschnew hilfsbereit als guter Freund einmarschierte, mit Panzern am Boden, Hubschraubern und Kampfbombern in der Luft.

Der Krieg – ein Mittel Politik, der aggressiven Expansions- und Machtpolitik?

Der rote Diktator Putin setzt heute diese unselige Tradition der Sowjets in seinem – nicht mehr ganz konventionellen – Krieg in der Ukraine fort, gegen ein Brudervolk, dem er, der Russe - den gerade abrollenden „Genozid“ legitimierend - die nationale Identität ebenso abspricht wie das Recht als Nation in einem souveränen Staat zu existieren.

Was die Altherrenriege um Breschnew, Kossygin und Gromyko und auch die Nachfolger als Staatschefs der Sowjetunion Andropow und Tschernenko bestimmte, das Festhalten an politischer Vernunft zwecks Konsolidierung des Erreichten, noch mehr aber noch Gorbatschow auf dem Weg in die Reformen, ist dem Messianisten im Größenwahn Putin vollkommen abhandengekommen.

Der alles bestimmende Diktator ist nicht nur in den Stalinismus zurückgefallen, er agiert sogar noch irrationaler und verbrecherischer als Stalin selbst, der seine vielen Verbrechen moralisch begründet glaubte.

Vgl. auch:


 

    Leise Töne oder Menschenrechte für alle? Helmut Schmidts Entspannungspolitik gegen Jimmy Carters weltweite Kampagne für individuelle Freiheiten und Bürgerrechte!

In seiner Nachbetrachtung „Menschen und Mächte[1] nennt der deutsche Kanzler, der als Wehrmachtsoffizier noch den Einmarsch in Russland mitgemacht hat, später aber auf Ost-West-Entspannung und auf „Wandel durch Handel“ setzte, eine Zahl, eine sehr hohe und eindrucksvolle Zahl, in der ich mich wiederfinde:

„424 000“!

„424 000“ Schicksale, „424 000“ Menschen in Freiheit!

„Der missionarische Eifer der amerikanischen Administration hat es uns nach 1976 schwergemacht, Deutsch in schwieriger Lage aus der Sowjetunion oder anderen osteuropäischen Staaten herauszuholen. Das ging in aller Regel nur leise; sobald öffentlicher Druck eine Prestigeangelegenheit daraus machte, hatten es die Gutwilligen auf der anderen Seite schwer, sich gegen Widersacher durchzusetzen. Insgesamt haben wir in meiner Amtszeit unter verschiedenen Kriterien, darunter denjenigen der Familienzusammenführung, 424 000 Personen aus den östlich gelegenen Staaten in die Bundesrepublik holen können, viel von ihnen aus Gefängnissen.“[2]

Schreibt der sonst nicht uneitle Schmidt recht bescheiden in seinem Werk, in dem auch manches schöngeredet wird, und ist doch stolz auf die eigene Leistung im Bereich der Menschenzusammenführung.

Schmidt, im Gespräch mit Breschnew und anderen Staatschefs des Ostblocks, auch mit Ceausescu, der 1978, als der deutsche Kanzler Rumänien besuchte[3], um die Ausreise der Deutschen im Land zu beschleunigen, besser ausgedrückt, überhaupt erst möglich zu machen, setzte auf die „leisen Töne“ im vertraulichen Dialog, während US-Präsident Jimmy Carter, von Haus aus Farmer und idealistisch ausgerichteter Baptisten-prediger, eine weltweite Kampagne für Menschenrechte losgetreten hatte, eine Bewegung, die auch mich seinerzeit erfasste und in die aktive Opposition und Dissident trieb.

Das Menschrecht erkämpfen – das war meine Überzeugung und mein Weg damals, der erst über zahlreiche Verhaftungen und Gefängnis in die Freiheit führen[4] sollte, während andere den weniger risikobehafteten Pfad des Kopfgeld-Zahlens gingen, genauer die Heerstraße des doppelt entrichteten Kopfgelds, einmal seitens der BRD, einmal privat aufgebracht und der Securitate ausgehändigt, was manches Leid ersparte.

Carter triumphierte moralisch, Schmidt faktisch, indem er mit Geld die Freiheit vieler erkaufte und das relative Glück jener Menschen sicherte, die in Deutschland einen neuen Anfang für sich und eine Zukunft für ihre Nachkommen begründen konnten.

 



[1] 1987 erschienen.

[2] S. 85.

 

[3] Vor dem Besuch des Kanzlers wurde ich präventiv verhaftet. Mehr dazu in meinem zweibändigen, vergriffenen Werk „Symphonie der Freiheit“, 2008.

[4] Als Gründer von SLOMR Temeschburg (Timisoara), SLOMR, im Februar 1979 in Bukarest gegründet, war die erste freie Gewerkschaft in Osteuropa, fast zwei Jahre vor „Solidarnosc“ in Polen, gelangte ich – unmittelbar nach der Haft – aus eigener Kraft in den Westen; und, im Rahmen der von mir konzipierten und organisierten Aktion, meine Familie und alle, die mir seinerzeit folgten mit familiärem Anhang, ohne dass das sonst übliche, privat aufzubringende Kopfgeld von 10 000 Deutsche Mark pro Person von einem aus diesen Kreis von mehr als 100 Personen bezahlt worden wäre. Später wurde meine Aktion, die vielen Menschen die Freiheit brachte, von verlogenen Kommunisten aus dem Umfeld Herta Müllers kleingeredet, auch in der „Wissenschaft“, selbst in einer jüngsten Studie aus dem Jahr 2021. Undank ist der Welt Lohn? Dafür wurden die verlogenen Kommunisten, die seinerzeit, als ich opponierte und im Gefängnis saß, von ebenso verlogenen Politikern der Bundesrepublik Deutschland mit dem Verdienstkreuz dieses – moralisch verkommen - Landes geehrt.

 


 


Carl Gibson, 

Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker, politischer Essayist,

Naturfotograf, im März 2022



Mehr zu Carl Gibson, Autor,  (Vita, Bibliographie) hier:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

(Das Wikipedia-Porträt Carl Gibsons in englischer Sprache)


https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/

 Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.



Copyright: Carl Gibson 2022.

 

 

 

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