Die Kanu-Fahrer und die Kanada-Gänse Oder Das Naturerlebnis der anderen Art
Ruhig standen sie da, auf ihrer kleinen Insel unter der Weide, und sie genossen den Sonntag, der manchmal ruhig ist, wenn nichts dazwischenkommt, wenn keine Sirenen aufheulen oder wenn kein rücksichtsloser Zeitgenosse mit seinem dicken Auto am Ufer vorfährt, dort, wo er nicht fahren darf, um seine drei Kamphunde in die Tauber zu jagen, zwecks Abkühlung, denn es ist heiß.
Das Geschrei des Herrchens, das noch lauter ist als das wilde Gebell der Hunde und die gesamte Naturlandschaft übertönt als Hinweis, dass hier ein zivilisierter Mensch vorbeikam, um seine Hunde herunter zu kühlen, treibt selbst die stoischsten Gänse in die Flucht, denn sie wollen überleben!
Doch noch war er, der später kam, nicht da – und die Gänse hielten vergnügt, in sich gekehrt ihre Siesta ab, satt und zufrieden im Schatten des Baumes, während die Tauber ruhig dahinfloss, nach den trockenen Tagen im Juli kaum noch Wasser führend.
Ja, es hatte geregnet, gut geregnet, doch davon war nichts zu sehen weit und breit. Die Wiese schien grün bei flacher Betrachtung; wer aber genauer hinsah, in die Tiefe, erkannte die Zeichen der Dürre; und ihm wurde bewusst dass die Wüste wächst, in der Natur und in der deutschen Gesellschaft.
Von mir, dem Vertrauten, nahmen die Gänse kaum Notiz, kannte sie mich doch aus den Tagen der Brutzeit, beginnend mit der Ankunft im Frühjahr, dann täglich, wenn ich an der Brutstätte vorbeistreifte, um den Fortgang zu dokumentieren, die Brütende im Blick, während der treue Partner fürs Leben wachend im Fluss auf- und abschwamm, so lange bis drei junge Gänslein das Licht der Welt erblickt hatten.
Ein Küken scheiterte gleich am dritten Tag. Die anderen zwei aber waren noch da, quicklebendig, munter, lebensfroh, und schon mächtig herangewachsen zu stolzen Vögeln der Lüfte, denen nur noch die Kunst des Fliegens fehlte, um ganz frei und unabhängig zu sein.
Hier auf dieser Insel waren sie zur Welt gekommen; hier war ihr Zuhause!
Der Gänse-Vater immer wach, immer aufmerksam, behielt alles im Auge, auch mich. Einen, der nicht störte und der seine Fotos machen durfte, weil er diese auch an andere weiter reichte, an Menschen, die nicht mehr laufen und sich nicht mehr frei bewegen konnten.
Ja, der Chef hörte auch alles, vom kleinsten Geräusch der Fische im Wasser oder der Teichhühner aus der Nachbarschaft unter der anderen Weide am Ufer, bis zum furchteinflößenden Gekläff der Bestien, die ins Wasser getrieben wurden ohne Rücksicht auf brütende Wasservögel oder zarte Küken im frühen Kampf ums Überleben.
Wenn Gepolter aufkam im Fluss, wenn ungeübte Kanu- und Schlauchbootfahrer aus der Stadt mit den Paddeln ins Wasser schlagen, dass es knallte und krachte, dabei auch noch wirr durcheinanderschreiend, merkten die Wasserbewohner das sofort: Die Bisamratte tauchte ab, Stockenten und Teichhühner verzogen sich in das Ufergebüsch, und die Nil-Gänse flogen sofort auf, laut und disharmonisch aufschreiend im Protest. So auch jetzt!
Wieder kamen Menschen, Kulturmenschen aus der großen Stadt, um den Frieden der Natur zu stören, nur, weil sie Ablenkung suchten von der Hitze des Sommers über einen Sport, der kein Sport war, nur ein Geschäft. Herumpöbelnde, grölende, halbetrunkene Freizeit-Touristen waren keine Seltenheit. Sie urinierten ins Wasser und fielen in das gleiche Wasser im Suff, um dann nur mit großer Mühe und etwas Glück am Leben zu bleiben.
Das eigentliche Leben im Fluss und am Fluss interessierte diese Leute nicht – Hauptsache sie, die nur sich kannten und ihre elementaren Bedürfnisse, bewegten sich fort, im Lebenselement Wasser, das man auch verseuche3n darf mit Unrat, eine Bierflasche in der Hand und ein obszönes „Lied“ auf den Lippen.
Doch die Kanada-Gänse, Wesen, fast von einem anderen Stern, nahmen das alles hin, wie heute, wo diese so selten gewordenen „Nahbaren und den vielen Unnahbaren der heimischen Tierwelt rund um den Fluss, dem Nahen der sieben, acht Kanus gelassen entgegensahen.
Der Chef machte seinen schon sehr langen Hals noch länger und schielte so nebenbei die drei Meter zu mir ans Ufer hinüber, während auch ich seelenruhig dastand, wohl wissend, was gleich zu erwarten war. Wie oft hatte ich diesen Vorgang, für den auch noch offiziell geworben wird, argwöhnisch beachtet? Vergebens! Geschäft ist Geschäft! Die Kanus glitten wieder an mir vorüber; einer grüßte verlegen, so, als hätte er ein schlechtes Gewissen bei dieser Fahrt, andere grüßen nicht, bestrebt sich der Musterung schnell zu entziehen.
„Sind das Nil-Gänse?“ fragte dann doch einer scheinbar interessiert.
„Kanada-Gänse“, antworte ich etwas lakonisch, ohne darlegen zu können, dass die Farben der heißen Nilgegend sich vom Schwarz-Weiß des kühlen Nordens krass unterscheiden, denn der Kahn zog zügig weiter, wie alles, was im Fluss wogt und schwindet.
Zwei, drei weitere Kanus passierten mich und die Wildgänse.
„Quak, quak,“ kommentierte einer aus dem folgenden Gefährt, sich etwas zu den immer noch stoisch in die Welt blickenden Gänsen hinneigend! Fatalistisch ertrugen sie alles, diese faszinierenden Geschöpfe, auch die Dekadenz der Dekadenten!
Die Gänse nahmen es auch hin, wenn sie als Enten angesehen wurden! Stadtmenschen wussten es wohl nicht besser?
Nur die Frösche im nahen Teich rebellierten!
Was ist aus dem Quaken der Frösche geworden, fragten sich vielleicht einige, und aus den Menschen der Zeit, die nicht mehr in die Natur gehen und die Natur nicht mehr begreifen, obwohl sie grün wählen und im Herzen Naturfreunde sind, am Abend, vor dem Fernseher!?
Carl Gibson,
Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker, politischer Essayist,
Naturfotograf, im März 2022
Mehr zu Carl Gibson, Autor, (Vita, Bibliographie) hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/
Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.
Copyright: Carl Gibson 2022.
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