Montag, 5. September 2022

Die Präsident Selenskyj jetzt entgegengebrachten Vorwürfe, er hätte sein Volk nicht vor Putins Invasion gewarnt, sind unbegründet und schäbig

 

Die Präsident Selenskyj jetzt entgegengebrachten Vorwürfe, er hätte sein Volk nicht vor Putins Invasion gewarnt, sind unbegründet und schäbig

Das hält einen Teil der – in Osteuropafragen, ach, so kompetenten – deutschen Presse jedoch nicht davon ab, die dümmlichen Vorwürfe der späten Stunde auch noch aufzugreifen und als – de facto – berechtigt darzustellen, indem in Schlagzeilen, um die es manchen Journalisten nur geht, von einer „Entzauberung[1]Selenskyjs gefaselt wird.

Wem dient, wem nützt solches Geschwätz?

Als ich im Jahr 1996 den jungen souverän gewordenen Staat Ukraine bereiste, zu einem Zeitpunkt, als das Gros der deutschen Journalisten nicht einmal wusste, wo die Ukraine auf der Weltkarte zu finden ist, musste ich bei Verhandlungen feststellen, wie ausgeprägt und undurchschaubar die ukrainisch-russischen Verflechtungen, Verstrickungen und Verwicklungen in Wirklichkeit sind. Skepsis und Misstrauen lagen immer in der Luft und bestimmten die Atmosphäre des Argwohns, auch im Dialog mit westlichen Partnern.

Wer vertraut wem? Wer belauscht wen? Wer kocht sein eigenes Süppchen, bereit, andere in die Pfanne zu hauen und ans Messer zuliefern?

Der Stalinismus der Sowjetzeit ab Lenin bis hin zu Gorbatschow hatte eine Saat des Misstrauens kultiviert, die nicht über Nacht und gleich nach dem Zerfall des Völkergefängnisses Sowjetunion aus der Welt zu schaffen war. Nicht alle Ukrainer waren auf einmal die Guten, während auf russischer Seite nur Böse waren! Jedermann verfolgte eigene Interessen, am Eigenwohl ausgerichtet, und gingen später in die Politik, nur, um viel zu verdienen, nicht anders als ich es in Rumänien während der kommunistischen Diktatur erlebt hatte, wo Angehörige der deutschen Minderheit sich mit den Kommunisten des Diktators Ceausescu arrangierten, auch Ungarn oder auch Repräsentanten andere Minderheiten im Staat, nur, um selbst etwas davon zu haben.

„Was habe ich davon?“ – das war ein Satz, den ich in den höchsten Etagen der Entscheidungsträger der Ukraine im Umbruch immer wieder gehört habe. Dieser amoralische Grundsatz der Gier und Verblendung gilt auch jetzt noch in der Ukraine, wo es, über das Materialistische und Pekuniäre hinaus, starke politische Gegenkräfte zu Präsident Selenskyjs Regierung gibt, Akteure, die auch gegen Klitschko agieren, obskure Kräfte aus dem Geheimdienst, die hier und dort mitversdienen, Saboteure und Verräter wie jene, die die Stadt Cherson dem Feind auslieferten und noch viel mehr dieser Art, was die Schul- und Lehrbuchweit westlicher Schlagzeilen-Journalisten, Kommentatoren und Berater aller Couleur übersteigt.

Fakt ist: - und hier muss ich eine Lanze brechen für den klug wie besonnen agierenden Präsidenten Selenskyj – die Elite der westlichen Welt war sich am Vorabend der Invasion uneins, was sein wird, eben, weil die Kluft zwischen den USA und den großen Staaten Europas, Deutschland und Frankreich, unüberbrückbar groß war.

Indem sie vor dem „zweiten Irakkrieg“ mit gezinkten Karten spielten und frech, doch unglaubwürdig die Welt belogen, hatten die USA ihr Vertrauen mitverspielt – ergo wollte kaum ein deutscher oder ein französischer Politiker die – explizit und unmissverständlich ausgesprochenen - Warnungen der Amerikaner hören. Die US-Geheimdienste, ausgestattet mit einen Jahresbudget von inzwischen 85 Milliarden US-Dollar, hatten ihre Erkenntnisse und schlugen Alarm. Doch kam es wie im Märchen mit den Schweinchen und dem Wolf. Die Botschaften der US-Politiker, die Putin das zutrauten, was dann auch erfolgte, den befürchteten Einmarsch, verhallten im Wind! Putin ließ einmarschieren – und ganz Europa, das bisher mit Putin paktiert hatte, doch schlechter als ein Faust mit dem Teufel, staunte und konnte es nicht fassen, was geschah.

Mehr Informationen als die beiden – inzwischen wieder enger - befreunden Lager des Westens hatte Präsident Selenskyj seinerzeit auch nicht.

Inzwischen hat er zu den Vorwürfen Stellung genommen und seine Haltung von damals, das Volk nicht über übereilte Warnungen in Panik zu versetzen und in großen Scharen aus dem Land zu treiben, in einer Selbstapologie gerechtfertigt.

Mit dieser unbeschreiblichen Bosheit Putins, die nicht nur die freie Welt des Westens erschütterte, hat selbst Präsident Selenskyj nicht gerechnet; vor allem aber erschienen ihm und anderen die an den Tag gelegten Kriegsverbrechen und Brutalitäten unmittelbar nach der Invasion unvorstellbar.

Putin aber, der uneingeschränkte Kriegsverbrecher, hat der Welt bewiesen, wozu er fähig ist, im Krieg und als Erpresser der Nationen der Welt, wobei ein Ende der verbrecherischen Bosheiten noch nicht absehbar ist. Putin, der kranke Kopf und Massenmörder ohne Schranken, ist, gestützt von verlogenen Gestalten, die ihm ähnlich sind, als Krönung der vielen Drohungen zu allem fähig, auch zum Atomschlag.

Was für Gorbatschow undenkbar schien, ist für diesen Narren und Hasardeur Putin, für den Menschenleben nicht zählen, nur ein Mittel des Krieges.

Jetzt aber, wo es für die gesamte Menschheit um Sein oder Nichtsein geht, hat der sensationsgesteuerte deutsche Journalist nicht Besseres zu tun, als – Putins Spiel der Deviation und der Spaltung mitgestaltend – dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, der sich bisher so mutig geschlagen hat, in den Rücken zu fallen, um so auch Stimmung gegen die gesamte Ukraine zu machen, gegen eine Nation, die sich selbst verteidigt.

Zersetzungsarbeit dieser Art hat zur Folge, dass die Solidarität mit der Sache der Ukraine in den Staaten der EU ins Wanken gerät, bröckelt, nachlässt, was Putin stärkt.

Ein Glück, dass Scholz, der einen Eid geschworen hat und auch bestrebt ist, den Schwur faktisch einzulösen und andere besonnene Politiker des Westens dieser diffamierenden Linie der Destruktion nicht folgen.

 



[1] Über missverständliche Überschriften wird der Eindruck vermittelt, der wackere Ukraine- Präsident Selenskyj hätte tatsächlich irgendeine grobe Verfehlung begangen und Schuld auf sich geladen. Dieser „schlechte Stil“ zieht sich seit Monaten durch die oft zweifelhafte Berichterstattung.

  

 

 


Carl Gibson, 

Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker, politischer Essayist,

Naturfotograf, im März 2022



Mehr zu Carl Gibson, Autor,  (Vita, Bibliographie) hier:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

(Das Wikipedia-Porträt Carl Gibsons in englischer Sprache)


https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/

 Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.



Copyright: Carl Gibson 2022.

 

 


 

 

 

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