Wer ist der wahre „Totengräber der Sowjetunion“ – Gorbatschow oder Jelzin?
Der Rüpel, der – nach Gorbatschow - einen halben Eimer Wodka austrinken konnte?
Für Gorbatschow ist das klar, was auch für mich – als fernem politischen Beobachter – schon lange feststand: dieses „Verdienst“ kommt Jelzin zu, denn Gorbatschow hätte die alte Struktur erhalten, und er hätte auch diesen dionysischen Bauern, der nur ein über Säufer war, verhindern können, wenn er denn von der Macht Gebrauch gemacht hätte, die er bis zuletzt hatte.
Doch Gorbatschow scheute die Gewalt – so, wie er die Balten in die Freiheit entließ, ohne Feuerbefehl auf die Menschen, so schied er von der Macht im Kreml und übergab die Geschicke der Sowjetunion einem Machtmenschen, in der das verwirrte, verblendete Volk der Russen – aber die westliche Welt – für kurze Zeit den eigentlichen Retter sah, um sich friedlich zurückzuziehen wie ein Demokrat in der funktionierenden Demokratie, der zu scheiden weiß[1], wenn die Amtszeit um ist.
Die Absage an den Einsatz von Gewalt, ein – von mir früher schon betonter - Wesenszug von Gorbatschow, von anderen auch als Schwäche ausgelegt, verhinderte ein Blutvergießen in den Straßen Moskaus wie einst in Berlin, Prag, Budapest und später in Peking und schuf eine Perspektive für ein Leben in Frieden für alle, während die Abkehr von diesem Prinzip zu Putin führte und zu Putins Krieg.
Machtmensch Jelzin, den einige im Westen leichtfertig einen „Radikalreformer“ nennen, auch im Suff nur die eigenen Interessen im Sinn, hat – als undankbarer Erbe – die ihm zugefallene Sowjetunion so aufgeteilt wie das Fell eines erlegten Bären. Die Brocken wurden an Unwürdige vergeben, während der restliche Rumpf Russland zurück an den KGB fiel, an einen, kleinen schmächtigen Mann mit viel Bosheit und politischen Kalkül, nur um die eigene Familie - und das dieser zugeschanzte Raubgut - zu schützen.
Der Westen, allen voran die nicht immer moralischen USA, nahmen das hin, in der Hoffnung, dass das geschwächte Russland als alter Hauptfeind mit Atomwaffen ewig schwach bleiben wird, und dass auch Putin - wie Jelzin – zu einer Marionette[2] westlicher Interessen wird, zu einem Spielball in der größeren Partie, in der noch anstehenden Auseinandersetzung mit dem aufsteigenden, noch bedrohlicheren China.
Bekanntlich ging diese Rechnung nicht auf. Putin, der kleine Hässliche, der, die eigene Minderwertigkeit über Macht kompensierend aus dem Ressentiment heraus agiert und vernichtet, machte – im Versuch die alte Sowjetunion im Kern zu restaurieren – wie Stalin einst seinen Strich und Stich.
Ergo haben wir Krieg – und Lösungen sind nicht in Sicht.
[1] Trump, der potenzielle Diktator und Demokratienverächter, wusste das nicht.
[2] Eine Dokumentation über Jelzin auf „arte“, die diese – für die USA nicht schmeichelhafte - Rolle und die gezielte Instrumentalisierung Jelzins betont, ist schnell aus dem Programm verschwunden. Fakt ist: die der USA ausgelieferte Russische Föderation – das war Wasser auf die Mühlen des Restaurators Putin, der sich damit in als echter „Retter des Vaterlandes“ stilisieren und profilieren konnte, was man ihm nicht nur in weiten teilen Russlands, sondern auch in dem Bereich der ehemaligen DDR abgenommen und promulgiert hat.
Vgl. auch:
Gorbatschow über die Freiheit - längst über den Dingen,
abklärt, fast schon entschwebt!?
Zu Silvester 2020/2021 genießt er im kleinen Kreis ein bescheidenes Mahl zum Jahreswechsel, erhebt dabei sein Gläschen Wodka auf das Kommende, während im - im Hintergrund laufenden - Fernseher Putin spricht, der starke Mann Russlands seit Jahrzehnten, und bald darauf die russische Hymne erklingt, die von Putin wieder eingeführte Stalin-Hymne, … gespickt mit Parolen wie eh und je!
„freies Russland“ – tönte es dort.
Gorbatschow hört mit einem Ohr zu und wiederholt etwas resignativ, fast wie in Trance: „freies Russland“, um dann leicht zynisch, still nachzufragen:
„Wer brachte euch die Freiheit?“
Das breite Volk der Russen hat von der geschenkten Freiheit keinen Gebrauch gemacht!
Es hat die Botschaft des Michail Gorbatschow, die mit den Schlagworten „Glasnost“ und „Perestroika“ begann, nicht verstanden, also auch nicht umsetzen können!
Während Gorbatschow, der den Weltlauf verändert hat, im Westen als Held gehandelt, in Deutschland aber als Wegbereiter der Wiedervereinigung höchst verehrt und gefeiert wird, gilt er im Russland von heute weitgehend als „Verräter“, ist unbeliebt[1], wird gar verachtet, was für die gesamte Reformbewegung gilt und darauf hinweist, dass auch Andersdenken, Dissidenten und Aufklärer wie Nawalny oder Muratow das Gros des Volkes der Russen, das gerade Putins Krieg unkritisch mitträgt, nicht erreichen werden.
[1] Mit einer Popularität von 0, 8 Prozent! Ähnliche s schaffte im Westen nur noch der französische Präsident Hollande, der in der Wählergunst angeblich in den 5 Prozent-Bereich abrutschte.
Vgl. auch:
Gorbatschow poetisch und mit Gesang
Viele Gedichte hat er schon vergessen, einiges aber ist ihm noch präsent, haftet und Gedächtnis, Prägendes, oft Wiederholtes, Essenzielles, Verse von Puschkin, von Lermontov, von Jessenin[1], aber auch das Liedgut der Mutter, die nur wenige Lieder kannte, doch tiefe Lieder, aus denen die Seele des Volkes spricht, melodische, verinnerlichte Verszeilen, die – nicht anders als bei Puschkin - auf die starke Verwurzelung Gorbatschow im Volk verweisen, aus dem er kommt, und aus dessen Provinz er aufstieg bis in den Kreml, in die höchste Zentrale der Macht.
Gorbatschows Mutter war eine Ukrainerin – und das Kind hörte die Lieder in Ukrainisch, um dann, geprägt von der Diktion dieser Poesie aus dem Volk die Ukrainerin Raissa zu lieben, zu heiraten und ewig zu ehren in fortgesetzter Liebe.
Gorbatschow sang beim Rasieren – traurig in Moll mit tiefer sonorer Stimme über Kosaken, die ein Mädchen heimführen, hochpoetisch über den Frühling, der zum Bach zurückkommt und über die nie wiederkehrende Jugend, fatalistisch, eingefügt in das Schicksal und in ein Leben, dass ein großes war.
Unbekannte Seiten?
Nur selten hat ein Politiker umfassende Bilder, gar Kultur, tieferen, differenzierten Literaturgeschmack. Francois Mitterand, der seinerzeit während seines Deutschland-Besuches Ernst Jünger zwischen Alb und Bodensee unbedingt die Reverenz erweisen wollte, gehört dazu, auch Helmut Schmidt, der Weltreisende, der in DDR-Zeiten Ernst Barlachs Kunst nicht vergaß, dann aber wird es schon dünn in der Szene der gebildeten Kunstfreunde in der Politik – longa pausa!
Was Gorbatschow so nebenbei zitiert, ob Poesie, ob volkstümlicher Liedgesang, ist tief verinnerlicht, nicht aufgesetzt und höchst erstaunlich für eine Apparatschik und sturen „Bolschewik“, wie Reagan es ausdrückte, der sich von Lenin und Stalin herleitet, der aber aus Stalins Verbrechen am russischen Volk[2] seine Lehren gezogen und sich gegen Machterhalt über Gewaltausübung entschieden hatte.
[1] Er gab sich, jung im Alter von 30, den Freitod.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sergei_Alexandrowitsch_Jessenin
[2] Stalin unterzeichnete 40 000 Todesurteile.
Über alles aber stellt Gorbatschow die Liebe
In Raissa[1], einer Ukrainerin, hatte er sie gefunden – und nie mehr losgelassen. Die geliebte Frau ist um ihn, am Tag und in der Nacht, selbst auf dem Friedhof im Grab. Gorbatschow hat die Stellen an ihrer Seite längst „gebucht“ – und wie es scheint, freut er sich schon auf die Zeit, wieder als Seelenwesen miteinander zusammen zu sein, er, der von Lenin und Stalin herkommende Kommunist und Atheist, der nun vom Schöpfer spricht und sich bekreuzigt.
Nicht Machtfülle, Ruhm und Ehre sind die Quintessenzen der Existenz, sondern die Liebe, jene große irdisch-geistige Liebe, die Paulus – als Liebe zu Gott und als Liebe überhaupt – sogar über Glauben und Hoffnung gestellt hat.
Vgl. auch:
Gorbatschow tragisch
Er wollte seinem Volk die Freiheit bringen; doch das Volk Russen war nicht fähig, die Botschaft zu begreifen. Wer immer schon in Knechtschaft gelebt hat, gewöhnt sich auch an die Sklaverei und will – aus guter Gewohnheit - die Knute nicht mehr loswerden. Also liebt man die Unfreiheit und Gängelung durch und neue Despoten, weil Umdenken und Wechsel lästig sind, den Russen und anderen archaisch lebenden Völkern auch.
Vgl. auch:
Gorbatschow privat – Gedanken zu einer besonderen Filmdokumentation[1] auf „arte“, ausgestrahlt anlässlich des Ablebens des Visionärs und russischen Humanisten und Staatenlenkers Michail Gorbatschow
Er schlürft und schmatzt, schwer gezeichnet von der Krankheit im hohen Alter – und er bewegts ich so, mit Keksen und Tee, auf die Wahrheit zu, besser gesagt auf Wahrheiten, die er sybillinisch fassen, ausdrücken muss, um sich nicht selbst auszuliefern, auch jetzt noch in später Stunde vor ein despotisches Gericht gezerrt und an den Galgen mit einem selbstgedrehten Strick. Der Visionär von gestern, der, sich des eigenen Wertes bewusst, die Zeiten des Umbruchs höchst fatalistisch überlebt hat, ist immer noch weitsichtig und klug.
[1] https://www.arte.tv/de/videos/092996-000-A/gorbatschow-paradies/
In der Hoffnung, dass noch mehr interessierte Zuschauer sich diese ungewöhnliche Sendung mit Interviews in privatem Umfeld und in der Gorbatschow-Stiftung ansehen und die nichtalltäglichen Einblicke und Hintergründe zu schätzen wissen, notierte ich diese – mir essenziell erscheinenden – Gedanken noch unter dem Eindruck der Sendung vom 31. August 2022, denn in dieser schnelllebigen Welt wird auch viel schnell vergessen und verdrängt, auch die würdigenden Erinnerung an das Lebenswerk von Gorbatschow, dem viele Menschen, Völker und Nationen eine lebenswerte Zukunft im Würde und Selbstbestimmung verdanken, denn Gorbatschow hat diese Welt, die jetzt von Putin weit zurückgeworfen wird, in der Tat ein gutes Stück besser gemacht!
Vgl. auch:
Gorbatschow ist tot
Ich habe ihn gewürdigt[1], als er noch lebte und - die Welt mit gestaltend - aktiv war. Andere hingegen, etwa die 7 Millionen Überlebenden der DDR-Diktatur, die ihre Laufbahn in der SED, in der Staatssicherheit, in der Gewerkschaft oder in anderen gleichgeschalteten Parteien und Organisationen des zweiten deutsche Staates dem Sowjetkommunismus verdankten, werden den „Totengräber der glorreichen Sowjetunion“, die ein Völkergefängnis und Versklavungssystem war, auch heute noch verfluchen; denn mit Gorbatschow kam das Ende der glücklichen Mitläufer und Nutznießer in der roten Diktatur.
Leute wie Krenz, werden Gorbatschow keine nachweinen. Während die Völker der GUS-Staaten frohlocken, froh, ihre staatliche Souveränität und individuelle Freiheit endlich gefunden zu haben, wird die „Alte Garde“ getreuer Kommunisten – auch aus der DDR – Putin zujubeln, dem „Retter des Vaterlandes“ huldigen und auf die Wiedererstehung, auf die der Renaissance Sowjetunion hoffen - durch Putins Kriege[2] … und aus der asche der Kriege wie Phönix.
[1] In Büchern und im Internet.
[2] Meine Auseinandersetzungen mit der „russischen Diktatur“ schon vor dem Krieg und während des Krieges des kriegerischen Diktators Putin betragen – in zahlreichen Beiträgen – inzwischen mehr als 500 Seiten und ergeben längst ein Buch.
Carl Gibson,
Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker, politischer Essayist,
Naturfotograf, im März 2022
Mehr zu Carl Gibson, Autor, (Vita, Bibliographie) hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/
Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.
Copyright: Carl Gibson 2022.
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