Carl Gibsons Warnung vor Putin vom 31. August 2014 ist inzwischen Realität:
http://carl-gibson-werke.blogspot.com/2014/08/putins-nicht-erklarter-krieg-im-osten.html
Das
Phänomen ist bekannt: das Volk schart sich um seinen Führer, auch wenn dieser
ein Verbrecher ist und einen verbrecherischen Angriffskrieg führt, einen
Vernichtungskrieg mit den Zielen, andere Völker auszurotten, um, wie schon im
Alten Testament vielfach belegt und beschrieben, das eroberte Territorium an
sich zu reißen.
Die
Deutschen hatten damals ihren Hitler – die Russen haben heute ihren Putin.
Die
Deutschen waren damals ein „gedemütigtes Volk“ mit amputierten Territorien und einem
zurechtgestutzten Staat – und die Russen sind es heute ebenso, faktisch wie
gefühlsmäßig: was der „Versailler Vertrag“, der überhaupt erst Hitlers Aufstieg
ermöglichte, seinerzeit besiegelte, leistete der Zerfall der Sowjetunion in
Russland, das sich – nach dem „schwachen Gorbatschow“ und dem ewig besoffenen
Jelzin nach einem „starken Mann“ sehnte, nah einer Führer-Figur, die in der
Lage ist, die nationale Ehre und Größe wiederherzustellen.
Zum
staunen der Welt, der zivilisierten Welt der Kulturvölker, konnte seinerzeit
der kleine, schäbige Gefreite und Putschist, der von Anfang ein – vom politischen
Mord (an Rähm) nicht zurückschreckender – Verbrecher war, ein Machtpolitiker
aus Leidenschaft mit Charisma, doch ohne Augenmaß, die politische Macht an sich
reißen und zum Kanzler des Deutschen Reiches aufsteigen, ohne von der Mehrheit
des deutschen Volkes gewählt worden zu sein.
So
auch im Fall des kleinen KGB-Agenten Putin, dem das Erbe Russland undemokratisch
zufiel, weil er zugesagt hatte, die materiellen Errungenschaften des
Jelzins-Clans zu beschützen und zu bewahren.
Dann
aber wurde der kleine Mann, der angetreten war, um Banditen zu bekämpfen,
selbst zum starken Mann und zum Banditen, der andere Verbrecher und Schwerverbrecher
aus den Gefängnissen rekrutieren lässt, um für ihn und obskure imperialistische
Zielsetzungen zu kämpfen.
Die
Parallelen Hitler – Putin sind erdrückend. Kleine Leute aus dem Volk steigen
auf bis zum Diktator und führen ihre Völker in den Abgrund, während die Völker,
nibelungentreu und dem Schicksal ergeben, marschieren, sich selbst opfern wie
Opferlämmer auf dem Weg zum Schafott.
Getragen
von der Woge einer nationalen Empörung gegen die zersetzenden Bestimmungen des „Versailler
Vertrages“ war es dem Demagogen Hitler gelungen, sein Volk, das Volk der
deutschen, zu verführen, auf einen historischen Irrweg zu führen, in einen weltanschaulich
motivierten, an sich aber sinnlosen Eroberungs- und Ausrottungsfeldzug zu
führen, was heute bei - dem nicht weniger demagogisch agierenden – Putin ähnlich
ist.
Doch
Hitler wurde auch mit Widerstand konfrontiert, aus den eigenen Reihen und auf höchster
militärischer Ebene, als die Erfolge des Blitzkrieges ausblieben und die
verbrecherische Kriegsführung im Weltanschauungskrieg gegen die Sowjetunion bekannt
wurden. Der Fall der Geschwister Scholl und der Widerstandskreis „Die weiße Rose“
zeugen davon, viel früher aber der Fall Georg Elser, der Hitler aus der Welt
schaffen wollte, noch bevor der Führer das Unheil anrichtete, das er später
tatsächlich angerichtet hat, indem er Tod und Verderben über Völker und über
die eigene Nation brachte.
Einige
aus den Reihen der Deutschen kämpften an, gegen den Diktator und die Diktatur,
andere warfen die Flinten weg und liefen davon, weil ihr christliches Gewissen
oder ihre humanistische Gesinnung gegen das sinnlose Morden im Krieg und in
Uniform rebellierte.
Das
Gros des deutschen Volkes aber mied beide Verhaltensweisen – die Rebellen, die Widerstandskämpfer, die Attentäter ebenso wie die Deserteure,
überzeugt davon, dass diese Akteure unpatriotisch handelten und dem großen, weisen
Führer in den Rücken fielen und somit Verrat an der Sache des Vaterlandes
begingen.
Diese Stimmung herrscht heute auch
in Russland, wo das Gros der Russen Putins glaubt, vertraut, während einige,
die nicht kämpfen wollen, desertieren, davonlaufen, ins Ausland fliehen, auf
das Vaterland und Putin pfeifen, aber das eigene Leben retten.
Wird
es den Fliehenden und Schutzsuchenden besser ergehen als den aufrechten
Deutschen damals, in Hitlers Reich, das die „innere Emigration“ der Intellektuellen
ebenso gekannt hat wie die „äußere Emigration“ vieler Geistesgrößen auch aus
dem deutschen Judentum?
Deutsche
wechselten damals die Straßenseite in Ulm, als ihnen ein Angehöriger der der
Scholl- Geschwister entgegenkam. Widerstandskämpfer wurden ausgegrenzt,
stigmatisiert. Die Deutschen haben bereut und sind zur Besinnung gekommen,
stehen heute geläutert da und wehren sich, imperialistische Machtpolitik und Menschenvernichtung
gutzuheißen und mitzumachen bei Verbrechen gegen die Menschheit.
Darüber
sollten die Russen nachdenken, die noch Putin folgen, dem Führer und dem
Führer, der auf einen gefügigen Apparat zurückgreift. Die Scholls und Stauffenbergs
heißen heute Nawalny und Muratow, während ein Medwedew und ein Schoigu
verbrecherisch mitstricken wie einst Göring und Goebbels in Lawrow und Peskow
ihre Entsprechung finden. Die Dinge gleichen sich wie die Phänomene der Volksverführung
in einer Diktatur.
Möge das Ende
gnädiger ausfallen als damals, als der Reichstag zu Berlin in Trümmern lag und
der rote Diktator Stalin auf der Kreml-Mauer triumphierte!
Das Phänomen ist bekannt und war immer
schon dort präsent, wo der Einzelne nicht zu seinem Staat stand, die Werte
ablehnend, die dort verkündet und durchgesetzt wurden. Doch erfolgte die
Absetzung nicht etwa aus mangelndem Patriotismus, sondern aus humanistischen Überlegungen,
weil der Einzelne, aufrecht und ehrenhaft, Zielsetzungen und Kriegsziele nicht
mittragen und ausfechten wollte, die von Diktatoren vorgegeben worden waren.
So war es bei Hitler und bei Stalin.
Während die Masse der Soldaten sich dem
Auftrag beugten, marschierten, zu Angriffskriegen und Mördern wurden in einen
ungerechten Krieg, entzogen sich andere Rekruten oder Reservisten dem
Mordauftrag durch Flucht,
wurden Deserteure, also „Verräter“ an der Sache des Vaterlandes, andere
nahmen den Kampf nach innen auf und bekämpften das mörderische System und die
Kriegsführung des Tyrannen sowie den Diktator selbst, im Versuch, ihn von der
Macht zu entfernen.
Wie halten es nun die jungen Russen,
die nun doch noch an die Front müssen?
Sie laufen davon, fliehen in hellen
Scharen, ganz nach dem Motto „rette sich, wer kann“, ganz egal, was es kostet, Hauptsache man
rettet das eigene Leben!
So denkt und handelt der Mensch, wenn
es existenziell wird! Für Putins kranke Visionen sterben – das wollen viele junge
Russen, die noch nicht ganz verblödet werden konnten, nicht mehr, nicht nach Hitler
und Stalin, vor allem aber auch deshalb nicht, weil sie in der Zeit seit und nach
Gorbatschow etwas von den Freiheiten erschnuppern und erfahren konnten, die den
Sowjetmenschen lange vorenthalten worden waren.
Als Putins „verbrecherischer Angriffskrieg“
ausbrach
und schon am ersten Kriegstag feststand, wie die angebliche „Spezialoperation“
in der Ukraine verlaufen und was dieser Krieg noch anrichten würde, war zu erwarten,
dass einige aufrichtige, standhafte Russen den Kampf nach innen aufnehmen
würden, neben Putin-Kritiker Nawalny, der im ohnmächtig im Gefängnis sitzt und
dessen Haftbedingungen man noch zusätzlich verschärft hat, und neben dem
mutigen Friedensnobelpreisträger Muratow, den man mundtot gemacht hat und der
nun schweigen muss.
Wer opponierte bisher gegen Putins
Angriffskrieg?
Ein Großmütterchen in St. Petersburg?
Eine junge, blonde Journalistin, auch mit einem Plakat?
Inzwischen wagen sich einige Regionalabgeordnete
hervor und fordern die Absetzung Putins, gar eine Anklage wegen Hochverrats! Das Gros der Russen
aber schweigt, toleriert das Morden in der Ukraine, während die jungen Russen jetzt
ihr Heil in der Flucht suchen!
Sie fliehen, statt daheim gegen die
Diktatur eines Putin zu kämpfen!
Gnädig und verständnisvoll aufnehmen
wird man die Fliehenden im Ausland nicht. Auch wenn sie in Georgien, Armenien,
in der Türkei, in den Baltischen Staaten vorerst eine Duldung finden – es sind
doch Russen, die nicht kämpfen wollen; es sind keine tapferen Russen, sondern
feige Russen, die das Unrecht, das seit einem halben Jahr vor den Augen der Welt
in der Ukraine anläuft, duckmäuserisch tolerierten, billigten, nur, um
selbst keine Nachteile zu erleiden.
Das ist schäbig, wenn auch allzu menschlich
– und somit verständlich.
15 Jahre Haft für jede Form der
Opposition
– mit diesem Terror nach innen und über die verbreitete Angst hat der dem KGB
erwachsene Diktator Putin seine gesamte Nation eingeschüchtert.
So funktionieren alle Diktaturen der Welt.
Was jetzt noch fehlt, aber noch kommen
kann: Putin macht die Grenzen dicht. Keiner kann mehr raus aus Russland.
Dann ist es wieder wie in der Sowjetunion, nur noch schrecklicher, nur noch brutaler.
Die Sowjetunion schlug die Volksaufstände
in Berlin, Budapest und Prag nieder; marschierte in Afghanistan ein, blieb dort
zehn Jahre und zog sich wieder zurück. Putin aber, der den Eisernen Vorhang
neu errichtet, will die ganze Ukraine ohne Ukrainer!
Das gilt es zu verhindern! Die
zivilisierte Welt, die Hitler bekämpfte, muss auch diesen verrückt gewordenen
Diktator Putin stoppen!
dann
haben das, was wir heute in Russland haben:
eine
Diktatur der ganz brutalen Art, ein System der Macht, das alles unterdrückt,
was dem Tyrannen an der Spitze nicht gefällt, ihm gefährlich werden könnte, das
jede Freiheit, jedes Menschenrecht abwürgt und den fast schon souveränen Bürger
wieder zum niederen Sklaven macht.
Das
hatte ich schon einmal, damals, in der Ceausescu-Diktatur, als zwanzig
Millionen Rumänen, dem folgten, was ihr großer „Führer“
vorgab, ohne aufzumucken, ohne Protest, ohne Erhebung, fügsam und geduldig nach
dem Motto aus der mehrhundertjährigen Unterdrückungszeit durch das Osmanische
Reich: Das gebeugte Haupt bleibt vom Schwert verschont!
So
hielt sich der Schusterlehrling, der Kleinkarierte, der nur ein schäbiger
Diktator war, lange Zeit und selbst noch in der Hungersnot, weil ein ganzes
Volk diese Weisheit verinnerlicht hatte, durchdrungen von dem Willen zu
überleben.
Die
Deutschen, die fast alle Hitler folgten, sahen die Dinge ähnlich und machten auch
noch mit, als dieser deutsche Führer längst zum Verbrecher geworden war und
sein Volk über Angriffs- und Vernichtungskriege dem Abgrund entgegenführte.
So
ist das heute in Kim Jong-uns kommunistischem Nordkorea, wo die
Menschen Gras essen, während große Führer Cognac der
Marke „Paradies“ á 5000 Euro pro Flasche trinkt, und von wo aus die gesamte
Menschheit atomar bedroht wird.
Am
gefährlichsten für alle aber ist Putins Russland, wo das Volk der Russen
es zulässt, dass eine Person, ein kranker Diktator - die halbe Welt
herausfordernd - die Zukunft der Nation aufs Spiel setzt, um die Russen für
lange Jahre aus dem Kreis der zivilisierten Kulturvölker auszuschließen.
Putin
kann nur walten, wie er waltet, weil sein Volk es zulässt, weil seine Russen,
gebeugt wie einst die Rumänen und immer noch die Nordkoreaner, mitmachen.
Putin
verstrickt die Verführten in die Schuld und raubt ihnen den letzten Hauch von
Würde.
Auszug aus dem Werk: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur. 2008.
Hommage
dem deutschen Widerstand
gegen die Hitler-Diktatur -
In memoriam 20. Juli 1944
Neuzeitliches Requiem –
Sprech-Drama mit Trauermusik,
Es lebe die Freiheit! Hans Scholl
Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist für seine Überzeugung sein Leben hin zu geben.
Henning von Tresckow am 21. Juli 1944.
Es
ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas
zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die
deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann
wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.
Es
gibt Orte, wohin man nicht gerne geht, weil einem das eigene schlechte
Gewissen im Wege steht; Orte des Grauens, vor denen man zurückschreckt,
wenn man sich den Terror vergegenwärtigt, der von ihnen ausging.
Vergessen
wird dabei, dass es auch Orte sind, wo die Würde des Menschen, der
Anstand und die sittliche Haltung am greifbarsten werden, trotz des
Schreckens. Ein solcher Ort ist die Gedenkstätte Plötzensee; ein
ehemaliges Gestapo-Gefängnis, in welchem in ganz kurzer Zeit nahezu
dreitausend Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und die
Hitlerdiktatur in menschenverachtender Weise hingerichtet wurden,
darunter illustre Charaktere, die heute das Gewissen der Nation
verkörpern und das bessere Deutschland repräsentieren.
Dorthin
wollte ich allein gehen. Es wurde ein individueller, ein aufwühlender
Gang, denn das eigene Gehirn hatte vieles noch nicht bewältigt. Als ich
nach Deutschland kam, kam ich aus einer langen Auseinandersetzung mit
der deutschen Geschichte. Sie hatte meinen Werdegang deutlich
mitgeprägt. Und ich kam aus einer Widerstandsbewegung gegen ein
totalitäres System. Nur bewältigt war noch gar nichts. Dafür waren die
historischen Abläufe zu vielschichtig und zu komplex. Mir fehlte die
geistige Durchdringung der Gesamtmaterie und noch mancher historische
Baustein, um die Abläufe im deutschen Widerstand gegen Hitler bis hin
zum Attentat am 20. Juli ganz zu verstehen. Einiges hatte ich mir
bereits erarbeitet.
Mit
unbestimmtem Grauen betrat ich die Anlage - als ein Eingeweihter in
Sachen Menschenvernichtung. Sie hatte etwas von einer Schlachtbank, die
an den Großen Terror während der Endtage der Französischen Revolution
erinnerte. Die Guillotine, deren Anschaffung Hitler persönlich angeregt
hatte, um das systematische Abschlachten von Menschen in industrieller
Weise zu ermöglichen, war nicht mehr zu sehen. Sie war entfernt worden,
um die Empfindungen der Nachwelt zu schonen. Nur die Haken waren noch da
an einem Stahlträger – wie in einer Metzgerei – an denen die edelsten
Köpfe der Nation aufgehängt worden waren, beim Kerzenschein und selbst
in der Nacht, während draußen Bomben fielen.
Nun
stand ich stand da, nach Jahrzehnten, und schaute in einen Raum, in dem
es nichts zu sehen gab bis auf wenige Symbole des Schreckens, die zum
Nachdenken anregen sollten, erfüllt von Bitterkeit und Grausen.
Biographien einiger der Opfer rollten vor mir ab, individuelle
Leidensgeschichten, Einzeltragödien mit Namen, deren Wohlklang ich schon
im fernen Temeschburg vernommen hatte, ohne Details zu kennen; Namen
aus dem Umfeld des Kreisauer Kreises und aus dem militärischen
Widerstand gegen Hitler. Während ich starr da stand und stumm ins Leere
blickte, drängten sich mir spärliche Bilder auf, verschwommene, vom
Gehirn künstlich zusammengefügte Szenen aus dem Leben jener Charaktere,
die hier hingemordet worden waren, nachdem sie ein perverses
Polittribunal unter Rechtsbeugung im Schnellverfahren zum Tode
verurteilt hatte.
Berthold Graf von Stauffenberg war in diesem Hinrichtungsschuppen würdelos erhängt worden; und mit ihm Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder, nachdem der so genannte Volksgerichtshof ihnen einen schnellen Prozess gemacht und sie abgeurteilt hatte.
Ein
kurzer Prozess? Leider wusste ich, was das war – den ich hatte selbst
einen erleben müssen, mit glücklicherem Ausgang! Kein echter Vergleich –
aber eine Ahnung davon.
Claus Schenk von Stauffenberg
war bereits am 20. Juli – nach dem Scheitern des Attentats auf den
Diktator Hitler – von einem Erschießungskommando in Berlin erschossen
wurden. Mit ihm starben auf die gleiche Weise seine Mitverschwörer Albrecht Mertz von Quirnheim, Friedrich Olbricht und Hans-Bernd Haeften. Viele weitere Widerstandskämpfer folgten. Bevor Claus von Stauffenberg erschossen worden war, hatte er noch ausrufen können: Es lebe das geheiligte Deutschland!
Jetzt stand ich an der Stelle, wo Ströme Blut geflossen waren – so lange, bis die Guillotine versagte.
Dann wurde gehängt, makaber im Schein der Fackel.
Im
Licht der Bombenfeuer und im Kampfgetöse des Zusammenbruchs waren die
aufrichtigsten und wahrhaftigsten eines Volkes einfach aufgeknüpft
worden wie Strolche und Tagediebe im rechtsfreien Raum!
Viele
Unbeteiligte ahnten nichts davon. Viele Informierte blickten weg.
Manche sahen zu. Und manche agierten, blind, fanatisiert oder aus reiner
Bosheit heraus. Dass sich immer Menschen fanden, die bereit waren,
andere Menschen umzubringen, einfach hinzumorden … Der Mensch – die
Krone der Schöpfung? Und das im Volk der Dichter und Denker?
Wie
dünn war das kulturelle Substrat wirklich? Wann wurde der Mensch zur
Bestie? Auch darüber hatte ich bis zum Exzess, bis zur Grenze der
Verzweiflung räsoniert, ohne eine Antwort zu finden.
In meiner Rückschau sah ich Helmuth James Graf von Moltke, den aufgeklärten Urgroßneffen des preußischen Feldherrn, der auf seinem Gut in Schlesien den Kreisauer Kreis
begründet und am Leben gehalten hatte. Sein Tun war auf ein
demokratisches Deutschland nach Hitler gerichtet. Und er handelte, vom Gewissen getrieben. An einem dieser Haken vor mir musste er unwürdig sterben.
Dann sah ich Adam von Trott zu Solz,
den Spross einer alten Diplomatenfamilie, der bereits 1939 im
Widerstand agierte und als Diplomat in London und New York um Kontakte
zu den dortigen Regierungen bemüht war, aber überhört wurde. Weder in
England, das, wie man heute weiß, damals vor der Münchner Konferenz den
Krieg noch hätte verhindern können, wenn es Hitler mit einer
Kriegsandrohung Einhalt geboten hätte, noch in Amerika war er ernst
genommen worden. Vielleicht, weil er sehr früh opponierte. Aber verhöhnt
wurde er und zynisch abgewiesen, als die Logik des Krieges ihrer
Autodynamik verfiel. Also flog er auf und musste hängen, weil das
Unrechtssystem der Braunen Diktatur es so befahl.
Und ich sah Peter Graf Yorck von Wartenburg und Hans von Dohnanyi,
zwei andere konservative Intellektuelle, Widerstandskämpfer frühester
Stunde, die sterben mussten, damit ein kranker Diktator weiter leben und
im Endkampf nochmals Millionen Menschen in den Tod schicken konnte.
Weiter sah ich vor meinem geistige Auge Carl Friedrich Goerdeler, den aufrechten konservativen Politiker und Widerständler, gedemütigt vor dem Volksgericht stehen, einem schreienden Richter Freisler ausgeliefert, der mit der gleichen Dämonie schrie wie Hitler geiferte.
Goerdeler
sollte nach Hitlers Sturz der künftige Reichskanzler sein. Da, wo ich
jetzt stand, wurde er enthauptet, nachdem seine schon angefertigten
Minister-Listen den Schlächtern weitere Opfer ans Messer geliefert
hatten. Wie gut, dass unsere Liste nicht gefunden worden war. Listen,
das sind oft Todeslisten ….
Die
Reihe der aufrechten Charaktere, die nur an dieser Stelle von
Verbrechern hingemordet wurden, fern von Recht und Gesetz, fern von
Gnade, wollte kein Ende nehmen. Es gab doch aufrechte Deutsche, die,
ihrem Gewissen folgend, in schwerer Zeit das Richtige taten. Manche von
Anfang an; andere wie die Hitlerattentäter Henning von Tresckow und
Claus von Stauffenberg später, nachdem die Menschheitsverbrechen, die
aus der Logik des Krieges resultieren, die verbrecherischen
Führerbefehle aus dem Bunker und der befohlene Mord an Frauen und
Kindern nicht mehr zu rechtfertigen waren. Aber sie handelten aus
höherer Einsicht und von wahrer Verantwortung für Volk und Vaterland getrieben!
Die
Tat Stauffenbergs hatte mich immer schon beschäftigt; schon damals, als
unser kleiner Widerstandskreis sich formierte, in den Tagen der
Untersuchungshaft und in den langen Nächten des Gefängnisaufenthalts.
Jetzt war ich hier am Ufer der Spree in Plötzensee, am Ort des Geschehens. Hier war, Stunden nach dem Attentat, die Operation Walküre
angelaufen, der Auftakt zu einem Staatsstreich, der ein demokratisches
und freies Deutschland begründen sollte. Eine Reihe ungünstiger Zufälle
und befehlsblinde Offiziere - wie der von Hitler zum Generalmajor
beförderte Ernst Otto Remer, dem ich bald darauf unter anderen Umständen begegnete - führten zum Scheitern des letzten großen Aufbegehrens für Freiheit
und Gerechtigkeit. Während Revisionisten wie Remer, der die
Widerstandskämpfer um Graf von Stauffenberg öffentlich als
Vaterlandsverräter bezeichnet hatte, Hetze und Hass verbreitend
weiterlebten und bis ins hohe Alter hin der weltanschaulichen Haltung
ihrer persönlichen Glanzzeit treu blieben, mussten die eigentlichen
Widerstandskämpfer und mit ihnen ungezählte andere aufrichtige Deutsche,
die an dem politischen Umsturz mitgewirkt hatten, ihr Leben lassen,
während ihre Familien in Sippenhaft genommen und lange diskriminiert
wurden. War das gerecht? Nach Remers Putschvereitelung forderten die
kommenden Monate des fortgesetzten Krieges an allen Fronten mehr
deutsche Opfer als die Kriegsjahre seit dem Ausbruch.
Etwas
von dieser schier unbegreiflichen Tragik rollte in meinem Gedächtnis
ab, nach Szenen, die ich aus Büchern kannte, aus Dokumentationen und vom
Bildschirm. Viel Mut war bewiesen worden in einem Aufstand des
Gewissens gegen massives Unrecht: Ich sah Trott zu Solz’ entschlossene
Selbstbehauptung gegenüber dem Scheusal Freisler, und sah, wie Erwin von Witzleben von derselben Bestie in Robe niedergeschrieen wurde.
Das
Bildnis Dietrich Bonhoeffers einsam in der Zelle sitzend, drängte sich
mir auf, ein Christ vor Gott, in Gebete, in Verse vertieft, Zeilen eines
geistigen Vermächtnisses aufsetzend, den Blick voller Zuversicht zum
Himmel erhoben.
Miserere domine!
Und dann hörte ich erneut, klar wie die Posaunen von Jericho, die leitmotivische Mahnung des Claus von Stauffenberg:
Es lebe das geheiligte Deutschland!
An diesem Ort verblutete das andere
Deutschland; seine Edelsten und Besten ließen hier ihr Leben im
bewussten Opfergang für das gesamte deutsche Volk, um ihm, dem
geopferten Phönix, nach dem Zusammenbruch eine Reinwaschung zu
ermöglichen von den Menschheitsverbrechen, in die es der dämonische
Diktator Hitler gestürzt hatte und ein österliches Wiederauferstehen.
Doch
war Stauffenbergs Tat repräsentativ für den deutschen Widerstand gegen
Hitler kein letztes müdes Aufbäumen kurz vor dem Untergang, als das
Gewissen gegen das maßlose Unrecht und Leid aufbegehrte, sondern eine
bewusste Gegnerschaft, ein luzider Widerstand gegen ein totalitäres
System, der von frühester Stunde an da war und konsequent durch gehalten
wurde – bis in den Tod.
Foto: Carl Gibson
Die Dichter und Denker blicken oft weg, wenn Urecht geschieht - damals ...
und heute?
Es entspricht nicht der historischen Wahrheit, wie vor allem im Osten Europas immer wieder behauptet worden war, das gesamte deutsche Volk hätte geschlossen hinter Hitler gestanden,
es hätte seine Aggressionspolitik mitgetragen, sein Hegemoniestreben,
seinen Imperialismus; und es hätte seine Verbrechen gedeckt.
Richtig
ist, dass es aus dem deutschen Volk heraus einen höchst beachtlichen
Widerstand gegen Hitler gab – und dies von Anfang an aus Prinzip, lange
noch bevor die schlimmen Wahrheiten bekannt wurden.
Wie
vom Teufel persönlich beschützt, überlebte der Führer vierzig
Anschläge! Eine makabre Groteske des Zufalls, eine Undenkbarkeit! Und
Ceauşescu, dem wir kleine Dissidenten nichts entgegen zu setzen hatten,
was mit der Operation Walküre vergleichbar gewesen wäre? Keinen!
Doch
vom systematischen Kampf gegen Hitler wusste selbst ich, der historisch
interessierte Europäer, der westliche Medien auswertete, wenn sie
erreichbar waren, im fernen Banat fast nichts.
Erst späte westliche Quellen und die intensive Beschäftigung mit der Materie über Jahre erschlossen mir die volle Dimension des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, der von allen Teilen der Bevölkerung getragen wurde,
vom einfachen Mann aus den Volk wie Georg Elser im Münchner Bierkeller
bis in die Spitzen der Wehrmacht zu Persönlichkeiten wie General Ludwig Beck, dem Gehirn des versuchten Staatsstreichs vom 20. Juli.
General
Beck durchschaute die kriminellen Machenschaften Hitlers schon sehr
früh und setzte seit 1938, also noch vor dem Einmarsch in die
Tschechoslowakei, alles daran, den Widerstand gegen Hitler zu fördern,
um den Diktator von der Macht zu entfernen. Die Generalität unterstützte
ihn – nur England zögerte, als um Mitwirkung angesucht wurde. Wenn wir
euch gegenüber so aufrichtig gewesen wären wir ihr im Gespräch mit uns,
dann hätten Hitlers imperialistische Expansion, der Zweite Weltkrieg und
mit ihm 55 Millionen Opfer vermieden werden können, bekennen die Briten
heute offenherzig. Sie haben ihre moralischen Hausaufgaben inzwischen
fast erledigt und einiges zur Vergangenheitsbewältigung beigetragen.
Auf andere kommt dieser Komplex noch zu – auch auf die Rumänen!
An
dieser matten Stelle in der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin starben
für ihr Vaterland – aus einer ethischen Überzeugung und tiefer
protestantischer Gesinnung heraus – innerhalb von Monaten fast
dreitausend Menschen. Unter den Opfern waren auch herausragende
Repräsentanten der militärischen Elite: Erwin von Witzleben und Karl Heinrich von Stülpnagel. Sie opferten ihr Leben für höhere Werte, für Gerechtigkeit, politische Freiheit und Vaterlandsliebe.
Erwin
von Witzleben war als Generalfeldmarschall der ranghöchste Soldat, der
von den Nationalsozialisten ermordet wurde, nachdem sie auch ihn, den
General der noch vor Jahren als erster jene verhängnisvolle Vereidigung
der Wehrmacht auf den Führer durchgeführt hatte, öffentlich degradiert,
vor den Volksgerichtshof gezerrt und in einem schäbigen Schauprozess,
ohne Hosenriemen der Lächerlichkeit preisgegeben, entwürdigt, beleidigt
und gedemütigt hatten.
Foto: Carl Gibson
Das KZ-Gelände von Buchenwald - Locus terribilis,
Ort des Grauens,
Ort des Schreckens,
ort des Verbrechens,
die Diktaturen mahnen.
Erwin
von Witzleben, dessen Stammbaum bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgt
werden kann, ging bereits 1934 auf Distanz zu Hitler. Die Ermordung
Ernst Röhms auf Befehl Hitlers, wobei Teile der Wehrmacht mit involviert
und somit instrumentalisiert wurden, sowie die ebenfalls von Hitler
angeordneten und öffentlich im Reichstag verteidigten Ermordungen der
Generale von Schleicher und von Bredow bei krasser
Hinwegsetzung über die geltenden Gesetze hatten ausgereicht, um diese
Haltung, die er mit General Beck, General von Stülpnagel, mit Henning von Tresckow und anderen oppositionellen Militärs teilte, herbei zu führen.
Erwin
von Witzlebens Plan, den Usurpator Hitler bereits 1938, also zu einem
Zeitpunkt von der Macht zu entfernen, als Europa noch nicht an allen
Ecken brannte, scheiterte an einem dummen Zufall der Geschichte – an der
Beschwichtigungspolitik der Engländer, am Appeasement Chaimberlains und
dem verhängnisvollen Münchner Abkommen, das die Tschechoslowakei dem
Diktator auslieferte und ihn mit diesem - so genannten diplomatischen -
Erfolg nach innen hin stärkte; der Opposition hingegen jeden Wind aus
den Segeln nahm. General Halder und von Witzleben konnten bei
entsprechender politischer Kulisse ihren Plan, Hitler verhaften zu
lassen nicht durchsetzen. Die späteren Blitzkriegerfolge in Polen und
Frankreich erzielten den gleichen Effekt und zementierten noch den
Mythos der Unfehlbarkeit.
Auch
der gemeinsame Plan General von Stülpnagels, damals Oberkommandierender
der Wehrmacht in Frankreich, und von Generalfeldmarschall Erwin Rommel,
der die Abwehrmaßnahmen einer drohenden Invasion am Kanal koordinierte,
Hitler zu einer Besichtigung der Wehranlagen nach Westfrankreich zu
locken, um ihn dort durch loyale Truppen der Wehrmacht verhaften zu
lassen, scheiterte an einem dummen Zufall. Hitler, der bis dahin immer
wieder Gründe finden konnte, nicht nach Frankreich zu reisen, blieb
endgültig fern, nachdem eine nach England gelenkte V 1 versehentlich im
Abwehrgebiet einschlug.
Foto: Carl Gibson
Hier ermordeten NS-Schergen der Kommunist Ernst Thälmann.
Nach
dem gescheiterten Staatsstreich von 20. Juli nahmen sich General von
Beck, Generalfeldmarschall Rommel, Henning von Tresckow und andere
Mitverschwörer selbst das Leben, nicht zuletzt, um keine anderen Mitwisser in drohenden Verhören zu belasten.
Heinrich
Karl von Stülpnagel richtete seine Pistole an die Schläfe und schoss
sich durch den Kopf. Er überlebte schwer verwundet – und wurde
wahrscheinlich noch von der Gestapo gefoltert bevor er in dieser Halle
an diesem Haken wie ein Strauchdieb erhängt wurde.
Wie
er starb hier, wo meine Füße ruhten, der andere aufrechte Soldat, der
nach einem Umsturz die Führung der Wehrmacht übernommen hätte: Erwin von
Witzleben.
Wie viel menschliche Größe war hier verrauscht, hier vor mir?
Wie
konnte ich alle würdigen und die Erinnerung an ihre altruistischen
Taten wach halten? Und das große Aufbegehren jedes einzelnen Opponenten,
jedes offenen Regimekritikers ins rechte Licht rücken? Die Taten von
Tausenden, die gegen das Unrecht aufstanden und ihr Leben hingaben, um
es zu beseitigen?
Wo war jetzt die heitere Gelassenheit eines Dietrich Bonhoeffer,
der mit Gottvertrauen zuversichtlich in den Tod ging, in der Hoffnung
auf das wahre Leben? Tragische Betroffenheit überkam mich – und ein
spätes Schaudern vor der Dämonie des Bösen, auf die ich keine Antwort
fand.
Wie
viele einfältige Leute hatte ich über das Böse plaudern hören,
philosophisch abstrakt und ironisch wie Mephisto in Faust. Das Böse der
Geschichte war echt und immer noch real. Gleichzeitig spürte ich aber
auch etwas von der Macht des Ethos, das über Jahre aufrechterhalten und
von ganz unterschiedlichren Charakteren vorgelebt wurde.
An solchen Taten verblasste das eigene Tun.
Doch die Botschaft der Geschichte ist eindeutig – der Mensch muss in jeder Situation am Humanum festhalten und alles menschenmögliche tun, um es zu beschützen. Die Würde des Menschen, Freiheit und Gerechtigkeit
sind Grundwerte, die über allem positiven Recht angesiedelt sein müssen
– auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Die Verfassung der
Bundesrepublik ist eine nationale Antwort darauf – die Charta der
Vereinten Nationen die Antwort der Völkergemeinschaft.
Wir
hatten auch einiges erlebt in unserer Auseinandersetzung mit dem
repressiven System einer Diktatur. Doch was waren unsere Erlebnisse
gemessen an der Tragik, die an dieser Stelle kulminierte und im
Vergleich mit dem Grauen in den Konzentrationslagern mit dem
millionenfachen Tod, Leid und Schrecken, der sich im Anonymen und
Namenlosen vollzog?
Das
Böse hatte wieder einmal über das Gute und Gerechte triumphiert. Und
das Feige über Mut und Tapferkeit! Die gesamte Weltordnung schien für
alle Zeiten erschüttert. Wie schwer war es doch, in kritischer Zeit
aufrecht zu gehen?
Vor
dem schweren Gang an den Unort hatte ich mir eine Liste besorgt – schon
wieder eine Liste - mit den Namen der Beteiligten des nationalen
Aufstandes vom 20. Juli 1944, die für die Sache der Freiheit
ihr Leben hingegeben hatten. Darunter waren viele illustre
Persönlichkeiten bis hin zu legendären Gestalten wie Feldmarschall Erwin
Rommel. Jede von ihnen wirkte als Vorbild. Und jede von ihnen verdient
eine würdige Auseinandersetzung. Denn hinter jedem individuellen Einsatz
für Freiheit
und Demokratie bei Preisgabe des eigenen Lebens steht eine schwere
Gewissensentscheidung, ein Golgotha-Erlebnis, zu dem in schwerer Zeit
nur die wenigsten Menschen fähig waren.
Noch
einmal sah ich zu den Haken hin und erkannte dort die Gnade meines
Schicksals durch die späte Geburt. Wäre das Baumeln dort am Haken mein
Los gewesen, wenn ich einige Jahrzehnte früher gelebt hätte? Wie hätte
ich mich entschieden? Hätten mein Patriotismus und mein Ethos
ausgereicht, um dort zu hängen?
Berechtigte
Zweifel kamen auf … Wir hatten es einfacher! Wir wussten, wo wir zu
stehen hatten und wo wir standen! Dafür musste ich dankbar sein. Die
Zweifel an der eigenen Festigkeit wurden deutlicher, je mehr ich über
die innere Entscheidungssituation der Widerständler nachdachte. An ihrer
Entschlossenheit verblasste die meine. Als ich ging, ging ich in tiefer
Betroffenheit, doch unerfüllt über den Verlauf der Geschichte.
Auszug aus dem Werk: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur. 2008.
Foto: Monika Nickel
Auf den braunen Totalitarismus folgte der rote - Reste der "Berliner Mauer",
entdeckt:
1000 Kilometer südlich der deutschen Hauptstadt
irgendwo in Südbaden - sie erinnern und mahnen.
Die Opfer der beiden Diktaturen auf deutschem Boden im 20. Jahrhundert sollen nicht umsonst gewesen sein.
Dort, wo die Würde des Menschen bedroht wird, ist Widerstand angesagt - überall, weltweit.
Mehr zum Thema Kommunismus hier:
Carl Gibsons neues Buch
zur kommunistischen Diktatur in Rumänien -
über individuellen Widerstand in einem totalitären System.
Allein in der Revolte -
im Februar 2013 erschienen.
Das Oeuvre ist nunmehr komplett.
Alle Rechte für das Gesamtwerk liegen bei Carl Gibson.
Eine Neuauflage des Gesamtwerks wird angestrebt.
Carl Gibson
Buchrückseite
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel
©Carl Gibson. Alle Rechte vorbehalten.
Nikolaus Lenau
Welke Rose
In einem Buche blätternd, fand
ich eine Rose welk, zerdrückt,
und weiß auch nicht mehr, wessen Hand
sie einst für mich gepflückt.
Ach, mehr und mehr im Abendhauch
verweht Erinnerung; bald zerstiebt
mein Erdenlos, dann weiß ich auch
nicht mehr, wer mich geliebt.
Unter Rosen
Manchmal
machte ich im Rosarium Station, in jenem beschaulichen Rosengarten
mitten in der Stadt, wo alte Menschen die letzten Sonnenstrahlen
genossen und wo junge Verliebte eng umschlungen ihren Gefühlen freien
Lauf ließen. Der Rosengarten war der rechte Ort, um Einkehr zu halten,
um die Stille zu genießen, um durchzuatmen und dem Gang der Gedanken
folgen; auch um zu lesen oder um nur allein zu sein und um
selbstvergessen vor sich hin sinnend manche kontemplative Stunde zu
verbringen. Das Rosarium, ein gartenähnlicher Park mit unzähligen Rosen,
das man auch aus anderen Rosenstädten kennt, aus Eltville am Rhein, aus
Weltbädern wie Baden-Baden, Bad Kissingen oder Bad Mergentheim, war
bereits in der Vorkriegszeit angelegt worden – mit mehr als tausend
Rosenarten. Etwas von der früheren Pracht war immer noch da und
erinnerte an rosigere Zeiten.
Eigentlich
war ich unter Rosen aufgewachsen, wenn auch nicht auf Rosen gebettet.
Wir hatten viele daheim im Vorgarten, wilde Feldrosen ebenso wie edelste
Hybride aus England. Sie waren immer schon da und wurden gehegt und
gepflegt – purpurne und samtrote, mehrfarbige und weiße Rosen, auch
Strauchrosen und Heckenrosen, die im Konkurrenzkampf mit den ebenfalls
sich hinauf schlingenden Reben, bis zum Dach emporkletterten und einen
Teil des Hauses in ihrem grün-roten Teppich verhüllten. Die Rosen waren
ein natürlicher Teil unseres Lebens und wurden, wie jeder zur
Selbstverständlichkeit gewordene Wert, gerade von uns jungen Menschen
nicht angemessen gewürdigt. Nie hatte ich daheim über Rosen nachgedacht
und übersah sie, wie ich vieles andere von Wert auch übersehen hatte.
Rosen sollten nicht nur wahrgenommen werden. Es gilt vielmehr, sie zu
entdecken. Sie in ihrer Wesenheit im Bewusstsein aufzunehmen, in ihrer
ästhetischen Vollkommenheit mit ihrem Duft, der ihr Wesen mit bestimmt.
Erst im Rosengarten fand ich die Zeit und Muße, diese besonderen
Pflanzen zu betrachten, ihr Bild zu erfassen und ihr Sinnbild. Die Rosen
vor meinen Augen waren schön; sie verströmten ein mildes Parfüm – und
sie waren zart und zerbrechlich wie alle Rosen.
Rosen
blühten auf und welkten schnell dahin. Am gleichen Strauch sprossen sie
und starben. Sie verglühten im Strahl der Sonne. Wie wir. Wie wir am
Leben zerbrachen, ohne es voll ausgekostet zu haben. Rosen sind das
Sinnbild unseres Lebens! Welcher Dichter hatte sie nicht besungen?
Welcher Denker hatte nicht über sie nachgedacht? Welche Kultur hatte
sich der Rose verschlossen? Könige hatten sich ihrer erfreut und Kaiser!
Zu allen Zeiten wurden üppige Rosengärten angelegt. Rosen prägten das
Bild der Städte und den Hof auf dem Land. Wie die Reben standen sie für
Kultur. Auch im Banat. Ob es auch Orte gab, wo keine Rosen blühten?
Orte, wo ihr Duft noch unbekannt war und der Reiz ihrer milden Feinheit?
Lieder kündeten von ihr auch als Symbol, selbst als Symbol der Heimat.
Gelegentlich hatte ich Vater dabei beobachtet, wie er, der Gärtner aus
Leidenschaft, mit den zarten Pflanzen umging, mit den Schönheiten, die
auch Dornen hatten. Dann merkte ich, mit wie viel Liebe er diese Blumen
umhegte, die ihm mehr zu bedeuten schienen als manche Menschen. Er
kultivierte seinen Rosengarten wie Candide, nachdem er seine
existenziellen Erfahrungen gemacht hatte, in stiller Kontemplation wie
ein Mönch seinen Kräutergarten.
War
dies die Quintessenz seiner Existenz, nach den Erfahrungen der
fünfjährigen Deportation als deutscher Volkszugehöriger? Auch der
meinen? Oder der Existenz überhaupt? Was bleibt übrig, wenn alle
Erfahrungen gemacht, alle Leiden durchlitten und alle materiellen Werte
verloren sind? Der liebevolle Umgang mit dem Schönen – die reine
Anschauung? Doch war das Leben in der Pflanze wirklich besser aufgehoben
als auf der höheren Entwicklungsstufe, im Menschen? Hatte es sich in
die falsche Richtung entwickelt? Von Reflexionen verleitet, schlenderte
ich durch den Rosenpark, durch ein Meer von duftenden Rosen;
schneeweiße, rosenrote, gelbe und gestreifte Rosen, ganze Rosensträucher
wie bei Dornröschen boten sich dar, verschwenderisch wie ein Luxus der
Natur – erst hier, wo ich die Muße fand, mich betrachtend in die Natur
zu vertiefen, ohne von den Wirren der wilden Außenwelt abgelenkt zu
sein, entdeckte ich die wahre Rose: die Idee der Rose, von der schon
Platon sprach – und hinter ihr die Emanation aus der Idee: die
Symbolkraft der Rose.
War
es ein Zufall, dass sich die mich immer schon faszinierenden vier
Elemente, die ich nie aus dem Bewusstsein verlieren wollte, gerade in
der Rose harmonisch vereinten, im alchemistisch mystischen Prozess, wie
ihn die Begründer des Rosenkreuzertums empfanden? Neben dem Kreuz wurde
die Rose zu einem vielschichtigen Sinnbild, das mich durch die Jahre der
Opposition und durch das Leben begleitete, ohne dass ich damals etwas
von den naturphilosophischen Schauungen jener Mystiker geahnt hätte. Als
Repräsentant der aufgeklärten Zeit und der Naturwissenschaft scheute
ich damals jede dunkle Mystik, jede Form der Geheimnistuerei und
Geheimbündlerei, selbst das Freimaurertum, weil es noch geheimer war als frei. Im Rosarium erkannte ich vielmehr den schönen Ort, der angenehm und zugleich verschwiegen war. „Sub rosa dictum“
– das galt hier an diesem stillen Ort, wo der eigene Genius regierte
und wo manches Gespräch geführt wurde, nur bis zu einem gewissen Grad.
Wir waren zwar immer noch belauscht – mit „Ohr und Blick“. Doch unsere
Gespräche, die vielleicht konspirativ anmuteten, waren im Grunde
weltoffen und konkret sozialkritisch ausgerichtet. Die Pracht des
Angenehmen und Nützlichen signalisierte auch Weltoffenheit. Die Rose
stand, über die Verschwiegenheit, Keuschheit und Reinheit hinaus, für
Licht und Leben, für Optimismus und Aufbruch. Sie war deshalb auch das
Symbol einer neuen Zeit; des „wahren Sozialismus“, der eigentlichen Humanität, von welcher auch die Freimaurer träumten.
Die
Assoziationen, die Rosen in meinem Gedächtnis wachriefen, je tiefer ich
ihrer Symbolik auf den Grund gehen wollte, waren vielfältig und
chaotisch wie der Wandel der Sinnbildlichkeit in der Zeit und reichten
zurück bis in die Welt frühkindlicher Wahrnehmung, bis in die Bereiche
des Unbewussten. Düfte waren ebenso tief verwurzelt wie Farben, viel
tiefer als Begriffe.
Als
Kind hatte ich einst ein blutrünstiges Spektakel am Bildschirm
verfolgt, ein Szenario von erhabener Schönheit und nackter Brutalität in
der Serie: „Der Krieg der Rosen.“
Dargestellt wurde dort in bester Theatralik ein authentischer
Machtkampf im alten England, ein langwieriger und vernichtender Krieg
zwischen den Häusern York und Lancaster im Namen und unter dem Emblem
der „Roten Rose“ und der „Weißen Rose“ – mit einer Handlung, von der mir
bald nur noch das Bild rollender Köpfe im Gedächtnis haften blieb und
ein unendlicher Strom von Blut, dessen rote Farbe ich so deutlich sah
wie die Leuchtkraft der Rosen, obwohl das damalige Medium noch keine
Farben wiedergeben konnte.
In Memoriam „Weiße Rose“
Und dann … waren da nicht noch ganz andere Köpfe, die rollen mussten?
Im fernen Berlin?
Weil der Führer es befohlen hatte?
Köpfe von Friedfertigen, von reinen Pazifisten, die gegen Krieg und Vernichtung aufstanden und für eine Idee: für die Idee der Freiheit? Und für die Vorstellung von einem „freien, ehrenhaften, würdevollen Deutschland“?
War da nicht eine ganz andere „Weiße Rose“?
Ein Symbol des Kampfes gegen übelste Tyrannis!
Ein Symbol des Widerstands! Des Aufbegehrens des Gewissens, des aufrechten Bürgers gegen maßloses Unrecht!
Ein
Sinnbild des Widerstands gegen den mit Abstand größten Verbrecher der
Menschheitsgeschichte, gegen Hitler, und gegen das System des
Nationalsozialismus in Deutschland?
Was
wusste ich von den Geschwistern Scholl aus Forchtenberg am Kocher? Von
Hans und Sophie? Von ihren geistigen Mistreitern Christoph Probst, Willi
Graf und Alexander Schmorell. Von ihren zahlreichen Unterstützern aus
München?
Es
waren junge Leute in meinem Alter, die aufgestanden waren und vom
Gewissen getrieben friedlich gegen ihr totalitäres Regime opponierten,
nachdem sie dessen verbrecherische Politik und Kriegsführung teilweise
aus eigenen Anschauungen an der Front kennengelernt hatten. Der
verbrecherische Vernichtungskrieg im Osten hatte sie veranlasst, andere
Mitbürger aufzuklären und zum „Widerstand gegen Hitler und seine Handlanger“ aufzurufen. Ihr Schlüsselwort war Freiheit! Sie war ihr moralischer Antrieb und der Motor ihres Gewissens!
Nachdenklich saß ich auf einer Bank und blickte konsterniert in die Zeit … Noch wusste ich nicht viel über den „Widerstand gegen Hitler“.
Nur das Wenige, was ich den Nachrichtenmagazinen entnommen hatte. Noch
spärlicher waren meine Informationen über die anderen Attentatsversuche
auf den zynisch diabolischen Diktator, von Elser bis zu Claus von
Stauffenberg; vom Kreisauer Kreis bis hin zu Heros Erwin Rommel und der
zwielichtigen Gestalt von Admiral Canaris. Doch war mir bewusst, dass
„unzählige andere anständige Deutsche“ mit aufgestanden waren, um auf
ihre Weise früher oder später zu handeln; und dass sie als
Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und gegen die
Hitlerdiktatur im Dritten Reich verfolgt, abgeurteilt und ermordet
worden waren. Das genügte mir, um an eigene Aktionen zu denken. Nur war ich noch weit davon entfernt, die Tragweite der Handlungen des „Widerstands“
zu erfassen. Damals sah ich die deutsche Widerstandsbewegung im Chor
der vielen Freiheitskämpfer aller Zeiten, ohne den besonderen Charakter
der Taten zu erkennen. Die
Reife der Durchdringung und ein ausdifferenziertes, vertieftes
Geschichtsbild fehlten mir noch. Doch die Vorbildfunktion der
Widerstandshelden stand fest. Deshalb wollte ich nicht zurückstehen.
Auch wir lebten in einer Diktatur, deren selbstgefälliges Walten so nicht hingenommen werden musste. Die Freiheit
war ein Wert, der einem nicht so einfach zufiel wie eine reife Frucht
vom Baum. Sie war fern wie ein Edelweiß an steiler Felswand und
versteckt hinter spitzen Dornen. Sie zu erlangen erforderte
Leidensfähigkeit und Mut – Aktion und Passion. Hatte ich diese Eigenschaften?
Das Kreuz und die Rose
Sachte
näherte ich mich einem Rosenstrauch aus Purpur und sah dem Wachstum zu.
Es ist erhaben zu sehen, wie etwas wächst, wie erste zarte Blätter
ausgeformt werden, nach dem Plan, den die Natur vorgegeben hat; wie sich
Knospen bilden und aufbrechen; wie sich die Blüte öffnet und ihr Parfüm
verströmt, ihren natürlichen Duft, den kein noch so meisterhafter
Parfümeur nachahmen kann. Wachstum hat etwas Erhebendes, in der Pflanze
wie im höheren Leben.
Wehmütig
bückte ich mich leicht hinab und sog den Duft einer gerade sich
öffnenden Knospe ein, lange und tief wie etwas, was man aufnimmt, um es
nie wieder preiszugeben. Die Süße drang in mich wie Ambrosia, wie eine
Speise der Götter, die Geistiges nährt. Das war etwas, was noch intakt
war in einer kaputten Welt.
Ja,
die Rose war immer schon etwas ganz Besonderes … Wer allein ist, ist
auch im Geheimnis, sagt Benn. Hier war ich allein. An einem „Locus amoenus“, an einem lieblichen Ort, unter Rosen, um mich der „Genius Loci“.
Allein mit meinen Gedanken umgeben von dem karminroten Samt einer
Heckenrose mit unzähligen Blüten in allen Entwicklungsstufen. Ich
pflückte eine davon, die gerade dabei war, zu vergehen, und zerrieb ihre
tiefroten Blütenblätter in den Fingern. Sie verfärbten sich blutig und
erinnerten an anderes Blut, das geflossen war, vom Kreuz herab und
vielfach unter dem Zeichen des Kreuzes bis hin zum Hakenkreuz.
Wo stand ich?
An der Seite der Kreuzritter?
Oder im Lager der Rosenkreuzer?
Oder allein?
Allein in der Revolte – und bald auch im offenen Widerstand?
Die
einen kämpften für die Idee des Christentums gegen Juden und Moslems
und gegen die eigenen Glaubensbrüder, um eine bestimmte Vorstellung vom
Christentum durchzusetzen; mit Mitteln, die in der Zeit lagen und damals
legitim schienen, mit dem Schwert wie schon Karl der Große.
Die
anderen kämpften an einer anderen Front, im Verborgenen gegen den
starren Geist ihrer Zeit, im Geheimen, den stillen Kampf des Verstandes,
dessen Taten nicht gleich offensichtlich wurden. Viele Denker, die ich
bewunderte, wurden zu ihnen gerechnet. Francis Bacon, Giordano Bruno,
René Descartes, Johannes Kepler und Baruch Spinoza waren nur einige
illustre Namen von Hunderten, die sich unter „das Kreuz und die Rose“
scharten, um in diesen Zeichen mit der Kraft des Geistes ihr
humanistisches Werk zu vollenden. Es waren allesamt frühe Aufklärer,
Reformatoren ihrer Zeit, die die gespaltene Welt am Vorabend des
Dreißigjährigen Krieges zum Positiven hin verändern wollten. Es waren
freigeistige, antiklerikale Denker, die der institutionalisierten Kirche
und dem Papsttum ebenso kritisch begegneten wie der Reformator Martin
Luther.
Antiklerikalismus unterm Kreuz?
Das
war kein Widerspruch! Auch mein Protest hatte sich unter das Kreuz
geflüchtet. Das fühlte auch ich. Die Wege unterm Kreuz waren so
vielfältig wie das Ringen um die Ideale des Kreuzes. Was assoziierten
die Rosenkreuzer mit dem goldenen Kreuz und der roten Rose?
Das
Kreuz symbolisiert den Menschen, der aufgerufen ist, sich in seiner
Wesenheit zu überprüfen und so zu hinterfragen, dass er sich von der
niederen, unedlen Stufe zu einem aufrechten, höher stehenden edlen
Menschen entwickelt.
Spätere Freimaurer wie Haydn, Mozart, Lessing und universale Geister wie Goethe bis hin zu Thomas Mann haben diesen Weg zum „Humanum“
hin in dieser Tradition gesehen. Die Rose hingegen symbolisiert die
Seelenessenz, bei der die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft im
Einklang stehen. Ich sah die Dinge nüchterner in intuitiver Ablehnung
des Esoterischen und Okkulten und erkannte in den beiden Symbolen
lediglich sehr „alte Sinnbilder der Menschheit“, die ihre Geschichte
durch die Jahrtausende bestimmt hatten.
In
Lenaus Lyrik hatte ich Spuren einer Rosenkreuzerrezeption gefunden, die
vermutlich auf den Umgang mit dem Theosophen Franz von Baader
zurückzuführen waren und gedanklich zu Rudolf Steiner hinführten, zu
Steiner der über das „Kreuz und die Rose“ geschrieben und eine „Philosophie der Freiheit“
verfasst hat. Mir genügte jedoch seinerzeit die allgemein verständliche
philosophische Botschaft der beiden Symbole, die mir persönlich in
meiner gesellschaftlichen Auseinandersetzung eine wertvolle Orientierung
boten.
Für mich avancierte das Kreuz
zum Kampfsymbol im weitesten Sinne, ohne es vollständig vom Religiösen
zu lösen, während die Rose den Rückzug in das eigentliche Menschsein, in
Schönheit, Liebe und Humanität, darstellte. „Freudig kämpfen und entsagen“
– ein Motto, das die angebetete Geliebte dem liebend leidenden Lenau
vorgegeben hatte. Also war auch ich bereit, meinen Kampf zu kämpfen: für
die Kunst und die Welt dahinter. Das „Rosarium“ wurde zum Rückzugsort
und gleichzeitig zum Ort vielfältiger Gespräche, zum Ort der Muße, der
Muse und des Dialogs – und die Rose blieb mein Symbol der Hoffnung.
Leseprobe/ Auszug aus: Carl Gibson: Allein in der Revolte
Heckenrose in voller Blüte
Rose im wilden Garten
Nikolaus Lenau
Welke Rose
In einem Buche blätternd, fand
ich eine Rose welk, zerdrückt,
und weiß auch nicht mehr, wessen Hand
sie einst für mich gepflückt.
Ach, mehr und mehr im Abendhauch
verweht Erinnerung; bald zerstiebt
mein Erdenlos, dann weiß ich auch
nicht mehr, wer mich geliebt.
Zum Thema Rosen und Politik:
Kapitel-Auszug (MS) aus:
Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit:
In Genf – oder: Kann die UNO einen Diktator zur Rechenschaft ziehen?
Frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht. Präambel der Schweizer Verfassung
An
den Bahnhof der Stadt kann ich mich heute nur noch vage erinnern. Als
Wanderer zwischen den Welten, als interkultureller Emissair, habe ich in
all den Jahren so viele Bahnhöfe erlebt, gewaltige und kleine,
historische und profane, architektonisch herausgeputzte und verkommene,
freundlich heitere und trostlos trübsinnige, dass mein Gedächtnis sie
nicht mehr genau auseinander halten kann. Ein Bahnhof hat oft mehr von
Abschied als von Willkommen und ist nicht selten verknüpft mit
unfreiwilligen Transporten und Reisen ins Ungewisse, mit Trauer und
Melancholie. Aber ein Bahnhof ist auch eine Stätte der Beweglichkeit,
ein guter Ort, um dem bunten Treiben zu folgen, um nachzudenken.
Menschen strömen auf und ab, und Züge fahren hin und her. Auch auf
Bahnhöfen ist alles im Fluss, selbst die Gedanken.
Bevor
ich auf den brieflich vereinbarten Treffpunkt zusteuerte, wo mein
Gastgeber bestimmt schon meiner harrte, ging ich wie gewöhnlich in den
ersten Blumenladen in der Vorhalle, um einen Strauß zu besorgen. Bisher
hatte ich es immer so gehalten, wenn ich besuche abstattete und wusste,
dass eine Dame das Haus führt. Blumen öffnen das Herz und machen
Menschen empfänglich.
„Was darf es sein, mein Herr?“ sprach mich ein junges Fräulein an.
„Rosen“
erwiderte ich wie einer, der weiß, was er will. „Fünf weiße Rosen,
bitte!“ Die Frau sah mich etwas erstaunt an, denn weiße Rosen wurden
wohl nicht oft verlangt, und brachte mir dann fünf kräftige Rosen, die
aber nicht richtig weiß waren, sondern eierschalenweiß mit einer
leichten Tendenz ins Grünliche. Als ich sie entgegen nahm, verspürte ich
sogleich einen leichten Hauch von dem schwachen, süßlichmilden Duft,
den sie verströmten. Ja, diese Rosen dufteten noch. Sie sahen makellos
aus und so frisch, als wären sie kaum erst geschnitten worden – und sie
dufteten. Noch einmal sog ich mit einem tiefen Zug das zarte Parfüm ein,
bezahlte großzügig, bedankte mich und ging dann zum Treffpunkt am
Hauptausgang.
Diesmal
wurde ich warm empfangen. Der Herr im besten Alter, der mich dort schon
nervös entgegenfieberte, war von hagerer Statur, hatte dunkle Haare und
einen markant ernsten, doch freundlichen Blick. Halb verunsichert kam
er auf mich zu, begrüßte mich dann aber mit einer Herzlichkeit, die nur
Menschen zusteht, die man seit langem gut kennt. Die gemeinsame Sache
einte uns. Er schien vor Tatendrang zu sprühen und wirkte auf mich wie
ein hektischer Enthusiast, der die ganze Welt mit einem Ruck aus den
Angeln heben will. Man sah es ihm gleich an, dass er ein geradliniger
und pflichtbewusster Charakter war, ein Mensch für den, im Gegensatz zu
den meisten anderen Zeitgenossen, der höhere Zweck mehr zählte als die
Bestreitung des trivialen Alltags. Er hieß Ganea. Sein Vorname war Ion.
Viele Rumänen führen diesen Vornamen. Wie hätte er denn sonst heißen
sollen? Ion entspricht dem deutschen Namen Johann oder kurz Hans, der
als Taufnamen bei den Deutschstämmigen im Banat genauso häufig herhalten
musste wie Ion bei den Rumänen. Stammte ich nicht selbst aus einer
Sippe, die mütterlicherseits seit fünf Generationen diesen Vornamen
kultivierte, so als ob keine weiteren Namen auffindbar gewesen wären.
Mein Urgroßvater, ein k.u. k. Soldat, der bereits 1922 an den Folgen des
Kriegseinsatzes starb, hieß Johann oder populär Hans. Sein Sohn, mein
Großvater hieß Hans. Und dessen jüngerer Bruder, streng nach dem Namen
des Paten getauft, wurde auch Hans gerufen; ebenso wie sein Sohn Hans
hieß. Gott sei Dank, bekam mein Bruder den viel verbreiteten Vornamen
Jahre vor mir ab – wie das halbe Dorf - und bewahrte mich davor. Das war
die Gnade der späten Geburt, die auch noch andere Vorteile mit sich
bringen sollte. Mehr zufällig als gezielt erhielt ich einen königlichen
Namen, der mir imponierte, weil er nobel klang und weil er dort selten
und damit unverwechselbar war. Später hörte ich selbst noch die Namen
Hans Hans und Ion Ion als ultimative Steigerung und Gipfel der
nominellen Phantasielosigkeit. Dahinter stand die Macht der Tradition,
die so einfach nicht zu durchbrechen war. Durfte ich mich da wundern?
Als
1990, wenige Monate nach der Revolution, in Rumänien erstmals wieder
freiere Wahlen abgehalten werden konnten, forderte Ion Ratiu, ein
Exilpolitiker, der von London ausgewirkt hatte, den Postkommunisten Ion
Iliescu heraus. Und Stelian Diaconescu, ein Dichter von europäischem
Format, entschied sich für das Pseudonym Ion Caraion, was genau in
meinen Ohren genau so witzig klang wie Ilie Pintilie, ein heute etwas
vergessener Revolutionär aus dem Geschichtsbuch. Ion ist ein archaischer
Allerweltsname, dessen Ursprünge auf den Evangelisten zurückgehen und
in das orthodoxe Griechentum hineinreichen. Wohl deshalb führt die halbe
Nation der Rumänen diesen Namen. Die anderen tragen mit Vorliebe die
Namen berühmter Urahnen, die teils von bedeutenden Cäsaren abgeleitet
sind wie: Traian, Adrian, Claudiu, Tiberiu, Marcu, Marius, Cesar oder
aus denen römische Geistergrößen hervorleuchten wie Virgil, Liviu,
Ovidiu, Cicerone und andere mehr, um so, nach Ion Luca Caragiale, als waschechte Rumänen
zu gelten und auf die antike Herkunft der an sich noch jungen Nation zu
verweisen. Dahinter verbirgt sich eine Art historischer Komplex der
Spätgeborenen, der die Zeiten überspringen und die spät geformte
nationale Identität durch eine edle, über zwei Jahrtausende
zurückreichende Herkunft kompensieren will. Nach Decebalus, ihrem geto-dakischen Ahnherrn, oder nach Burebistas, der
das Dakerreich vom Pontus bis nach Makedonien ausdehnte, wurde
merkwürdigerweise kaum jemand benannt; auch nicht nach Caligula und Nero
oder nach dem noch edlen Diktator Sulla Felix, der in Mozarts Oper Sila heißt.
Gerade nationalistisch orientierte Rumänen akzentuieren in der
Nachfolge ihres historiographischen Übervaters Nicolae Iorga immer
wieder ihre romanische Herkunft und ignorieren dabei gern die Tatsache,
dass ihre gegenwärtige Hochsprache erst im 19. Jahrhundert auf der
Grundlage des Französischen und des Italienischen durch das Einfügen
zahlreicher Wörter erweitert und reformiert wurde, ohne dabei etwa ein
Drittel des alten Wortschatzes slawischen Ursprungs verleugnen und
ausmerzen zu können.
Wie
ich bald feststellen sollte, spielten bei Ion Ganea nationalistische
Überlegungen keine übergeordnete Rolle. Er war ein politisch denkender,
engagierter Emigrant, der sich als Liberaler verstand. Als solcher hatte
er seinerzeit in Bukarest gewirkt, bevor die einzige Partei des Landes,
die Kommunisten, nach einem erfolgreich durchgeführten Staatsstreich
unter der Regie Moskaus das politische Monopol für sich reklamierten, um
die Alleingestaltung der Volksrepublik und später der Sozialistischen
Republik zu übernehmen. Jetzt kam es ihm darauf an, Mittel und Wege zu
finden, um von Genf aus die Respektierung der Menschenrechte in seinem
Heimatland durchzusetzen. Die 1975 in der finnischen Hauptsstadt
Helsinki abgehaltene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa, kurz KSZE, an welcher seinerzeit auch die Ostblockstaaten
teilnahmen und sogar gewisse Verpflichtungen eingegangen waren, hatte
diese Weichenstellung theoretisch ermöglicht. Die praktische Umsetzung
gewisser Liberalisierungsbestrebungen jenseits des Eisernen Vorhangs
jedoch war nach wie vor reine Illusion. Trotzdem war Ion nicht davon
abzuhalten, für eine gute, ihm und anderen wichtig erscheinende Sache
aktiv zu werden. Er war zweifellos ein Idealist alter Schule – und die
Rechtfertigung seiner Existenz bestand im konkreten Einstehen und
Handeln für einen höheren Wert. Das Eintreten für ein Ideal, für eine
ethische Zielsetzung, für Menschenrechte, für die Ideale der
Französischen Revolution, die besonders im Ostblock von den politischen
Akteuren zynisch verachtet wurden, verband uns intuitiv. Obwohl es nie
ausführlichere Wertediskussionen gegeben hatte, verstanden wir uns auf
Anhieb. Damals war ich zwar noch recht jung an Jahren, brachte aber eine
natürliche Autorität ein, die auf dem Faktischen beruhte und auf meine
mehrjährige, sehr intensive Oppositionstätigkeit zurückging, die für
sich sprach. Das individuelle Handeln unter Repressionsbedingungen und
der Gestus des weiteren antitotalitären Wirkens auch im Westen zählten
mehr als die Person dahinter. Mein oppositionelles Agieren im Land wurde
allgemein anerkannt; nicht zuletzt von Ion, mit dem ich seit Monaten
über die anstehende Aktion, deren geistiger Urheber er war,
korrespondierte und häufig telefonierte. Ion bestach mehr durch eine
fast naive Geradlinigkeit, die ihm generell Glaubwürdigkeit verlieh, als
durch intellektuelle Prägnanz. Wir kannten uns also schon etwas. Sein
Geld verdiente der Liberale, wie manch anderer geschickte
Kunsthandwerker in der Schweiz, als Uhrmacher in einer traditionellen
Werkstatt. Unmittelbar nach meiner Ankunft bestiegen wir seinen Wagen
und fuhren in ein nahe gelegenes Wohnviertel, wo er mit seiner Gattin
ein kleines Appartement bewohnte. Kinder hatten sie keine.
Während
wir die viel befahrenen Hauptalleen der City entlang fuhren, hatte ich
genügend Zeit, die ersten Eindrücke dieser an sich recht kleinen, von
ihrem Format her aber wahren Weltstadt aufzunehmen und diese auf mich
wirken zu lassen. Nach einem doch etwa stürmisch rasanten Aufstieg aus
dem unscheinbaren Provinznest Sackelhausen hatte ich zunächst die nahe
Universitätsstadt Temeschburg ausgelotet; dann erlebte ich die erste
kleine Metropole Europas, die Hauptstadt des Staates, Bukarest; das
gigantische London hatte ich bereits gesehen, die Boulevards von Paris,
selbst die Prachtstraßen Amsterdams und einige deutsche Großstädte,
darunter München und Westberlin – doch Genf war anders, ganz anders. Es
erinnerte mich zwar leicht an Paris und Bukarest wie eine zweite Tochter
derselben Mutter - doch Genf hatte etwas eigenes, etwas calvinistisch
Kühles, das ich nicht greifen konnte und das sich mir entzog. Die
Eisigkeit sagte mir, dass ich hier nicht heimisch werden konnte.
Die
Dämmerung wich bereits dem Dunkel der Nacht, die sich langsam über der
Stadt ausbreitete. Mir bot sich ein gewaltiges Panorama. Glaspaläste,
repräsentative Bauten, Brunnen, Fontänen, von Parks umgebene Villen der
Superreichen. Alles war in strahlendes Licht getaucht und verlieh dem
Ganzen etwas märchenhaft Romantisches. Die scheinbare Irrealität der
Illumination beeindruckte mich wie die poetisch entrückte Welt eines
Algabal. Plötzlich riss Ion mich etwas unsanft aus den Träumereien,
indem er mir signalisierte, in der unmittelbaren Umgebung von Versoix,
wohne der abgedankte König Michael von Rumänien und führe hier am See
eine fast bürgerliche Existenz. Seit der erzwungenen Abdankung nach dem
Zweiten Weltkrieg lebe König Michael aus dem Hause Hohenzollern im
Schweizer Exil. Auch er sei an unseren Aktivitäten interessiert; und
höchstwahrscheinlich werde er uns alsbald zu einem Gespräch empfangen.
Die Hoffnung auf eine Revision der politischen Verhältnisse in Osteuropa
und die Institution einer konstitutionellen parlamentarischen Monarchie
in seiner Heimat habe er noch nicht ganz aufgegeben. Interessiert
folgte ich Ion Ausführungen, war aber doch recht skeptisch, was die
hehren Ziele anging, denn Entwicklungen dieser Art erschienen mir im
Jahr 1981 doch sehr unrealistisch.
Deutschland,
mein altes Vaterland und neue Heimat, wurde damals von der
sozial-liberalen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt und Vize Hans
Dietrich Genscher regiert. Beide setzten in ihrer Außenpolitik,
besonders aber im Verhältnis zu Osteuropa und der Sowjetunion, auf
Entspannung, auf Verständigung und auf Wandel durch Handel. Die von
Bundeskanzler Willy Brandt begründeten Ost-West-Beziehungen waren nach
wie vor ein zartes Pflänzchen, das es zu pflegen galt und das nicht
durch übereilte Aktionen zertreten werden sollte. Deshalb fand ich
unmittelbar nach meiner Einreise in die Bundesrepublik bei den damals
politisch Verantwortlichen weder Echo noch Gehör für die Sache der
inzwischen unterdrückten Freien Gewerkschaft SLOMR, nicht einmal beim
Deutschen Gewerkschaftsbund. In Großbritannien bestimmte die Eiserne
Lady die Richtlinien von Downing Street Nr. 10 und im Weißen Haus war
der ehemalige Hollywoodschauspieler Ronald Reagan gerade dabei, den
Baptistenprediger Jimmy Carter als Präsident der Vereinigten Staaten
abzulösen. Amerika litt seinerzeit unter der so genannten Malaise
Carters und war außenpolitisch angeschlagen. Trotzdem war Amerika auf
dem Gebiet der Menschenrechte immer noch die paradigmatische Leitnation
der Freiheit,
zu der die Geknechteten aus allen Teilen der Welt aufblickten. Amerika
hatte damals noch eine moralische Stellung inne, die es, kaum zwei
Jahrzehnte danach durch das alles andere als weitsichtige Wirken eines
einzigen Präsidenten und durch die Verabschiedung vom Völkerrecht
vielleicht für immer einbüßen sollte. In der Sowjetunion ging die Ära
Breschnew ihrem Ende entgegen. Es folgten aus der Reihe der starren
Altherrenriege des Kreml Tschernenko, Andropow und schließlich
Gorbatschow. In Rumänien hingegen behauptete sich nunmehr seit 1965 eine
Person als Staatschef, Nicolae Ceausescu, ohne dass eine potentielle
Personalveränderung denkbar erschien. Der Status quo war unverrückbar
starr und erschien für alle Zeiten zementiert zu sein. Der konservativ
ausgerichtete Westen setzte weitgehend auf Konfrontation und Tot-Rüsten.
Der Osten, inklusiv China, das seine kommende Weltmachtrolle schon
vorbereitete, setzte auf Selbstbehauptung. In dieser Konstellation war
es nicht einfach zu opponieren und auf Veränderungen zu hoffen. Trotzdem
musste es sein, denn es gab keine alternative Perspektive. Vielleicht
konnte im Kleinen etwas bewegt werden, was irgendwann große Wirkungen
haben konnte. Wenn der ehemalige König Michael noch daran glaubte, das
Eis könne brechen, dann wollten wir nicht daran zweifeln, sondern
weiterhin aktiv vorgehen und durch unser Tun etwas bewirken.
Ion
bewohnte mit seiner liebenswerten Ehefrau, die ich gleich kennen lernen
durfte, eine gut bürgerliche Wohnung in einem auffällig sauberen,
ruhigen Stadtteil von Genf. Auch die Dame des Hauses empfing mich mit
natürlicher Freundlichkeit und Warmherzigkeit, die ich auch noch bei
anderen Rumänen angetroffen habe. Ich hingegen verhielt mich zunächst
etwas verkrampft, nicht zuletzt deshalb, weil ich unbewusst noch in
einem einst exzessiv gelebten Deutschtum gefangen war, das tiefer
verwurzelt war als der intellektuelle Humanismus. Leicht gehemmt
überreichte ich ihr die Blumen.
„Rosen?
Weiße Rosen?“ wunderte sie sich und grinste verschmitzt wie wenn ich
rote gebracht hätte. Auch weiße Rosen verwiesen auf Leidenschaft, aber
auch auf Reinheit, Trauer und Entsagung.
„Ja,
Rosen! Madame!“ antwortete ich mit einem Hauch von Ironie. „Rosen sind
ganz besondere Blumen, Madame! Ich habe ein spezielles Verhältnis zu
diesen Pflanzen! Sie müssen wissen, dass ich unter Rosen aufgewachsen
bin und dass sie mich durch mein ganzes Leben begeleitet haben. Viel
Ideelles ist in ihnen und viel vom Schönen dieser Welt!“
„Es sind die Blumen der Liebe!“
„Im
weitesten Sinne, Madame. Bei uns in Deutschland assoziiert man noch
ganz andere Dinge mit Rosen, mit weißen Rosen… Für manche Leute stehen
sie für Anstand, für den aufrechten Gang …und seltener selbst für ein
reines Gewissen!“
Wir
vertieften die Materie nicht. Die Gastgeberin griff routinehaft nach
einer Kristallvase, füllte sie mit Leitungswasser, schnitt die Stiele
kürzer und stellte sie in das frische Nass. Dann stellte sie die Vase
auf eine furnierte Kommode aus Eiche unweit der Tafel, an der wir bald
Platz nahmen. Als wir später beim Abendessen zusammen saßen und bei
einem Jurakäse und einem Chasselas aus der Region etwas von den
kulinarischen Köstlichkeiten genossen, die die Schweiz zu bieten hat,
fiel mein Blick auf die mitgebrachten Rosen, aus deren Hintergrund ein
lackiertes Holzkreuz hervor strahlte. Das Kreuz und die Rose
durchdrangen sich und verschmolzen zu einer symbolischen Einheit, die
mir noch in der Nacht zu denken gab und die Erinnerungen wach rief,
Erinnerungen, die tief in die Vergangenheit reichten. Mir wurde ein
komfortables Gästezimmer zugewiesen, wo ich in den nächsten Tagen auch
meine freien Stunden verbringen konnte. Auch mein leibliches Wohl kam
nicht zu kurz. Die Dame des Hauses, die selbst keine Kinder hatte,
bemühte sich fast mit mütterlicher Umsorgung darum, dass alles stimmte.
Sie war vor allem bestrebt, möglichst gepflegt zu kochen, damit wir auch
vornehm tafeln konnten. Etwas savoir vivre war stets dabei – als
Hinweis auf die kleinen Freuden des Lebens, die es lebenswert machen.
Bei späteren Besuchen, die bis zum Abschluss der Klagevorbereitungen
noch erforderlich werden sollten, erlebte ich immer wieder die gleiche,
natürlich unmittelbare Gastfreundschaft dieser Menschen. Während dieses
mehrtägigen Aufenthalts in Genf lernte ich eine Reihe weiterer Personen
kennen, die in der Schweiz oder überwiegend in Frankreich lebten und
sich in der Regel als Exilpolitiker betätigten. Sie alle hatten eigene
Vorstellungen, wie das politische Wirken im Westen zu gestalten und zu
koordinieren sei. Partiell verfolgten sie eigene Interessen - und manche
von ihnen sahen sich schon als künftige Mitglieder eines
Schattenkabinetts, das nach einem politischen Umsturz in Bukarest seine
Arbeit unverzüglich aufgenommen hätte. Für unsere Sache waren diese
zahlreichen Politakteure weniger wichtig, mit der Ausnahme einiger
weniger Persönlichkeiten, die tatsächlich Einfluss hatten und unserer
Mission in der Öffentlichkeit dienlich sein konnten. Unter ihnen war
eine etwas ältere Dame, die sich als Autorin und Journalistin betätigte
und zahlreiche gute Kontakte unterhielt.
„Ich
bin Nicolette Franck“, stellte sie sich mir vor. Sie sprach dann noch
über ihre Kindheit und Jugend im Großrumänien der Vorkriegszeit. Sie
stammte aus dem jüdischen Zentrum Tschernowitz, in der Bukowina, dessen
kulturgeschichtlicher Hintergrund erst mit der breit rezipierten Lyrik
Paul Celans, der aus der gleichen Gegend stammte, bekannt wurde. Sie
hatte ihre aktive Zeit als Journalistin in Jassy verbracht, in einer
Stadt an der nordöstlichen Grenze zur Sowjetunion, wo mein noch in
Rumänien weilender Mitstreiter Erwin seinen Militärdienst absolviert
hatte. Mehr als vierzigtausend Juden hatte das Jassy der Vorkriegszeit
eine Heimat geboten, bevor unter Antonescu Pogrome möglich wurden, die
vielen von ihnen das Leben kosteten. Nicolette Franck verkehrte
regelmäßig im Haus des ehemaligen Königs Michael. Den Umständen seiner
Abdankung hatte sie eine historische Abhandlung gewidmet. In dem
seinerzeit taufrisch in Paris erschienenen Buch La Roumanie dans l’ Engrenage;
dessen mögliche Edition ich in ihrem Auftrag auch Deutschland ausloten
sollte, beschrieb sie auf Informationen aus erster Hand gestützt, wie
Michael I., König von Rumänien, von inländischen Stalinisten mit
vorgehaltener Pistole gezwungen wurde, das Ausscheiden Rumäniens aus der
mehr als vier Jahre andauernden Allianz mit Hitler-Deutschland und der
Wehrmacht zu unterschreiben; also nach außen hin einen unfreiwilligen
königlichen Putsch zu vollziehen, in welchem auch der bald darauf
verurteilte und exekutierte Marschall Antonescu entmachtet wurde. In der
deutschen Historiographie, mehr noch im Bewusstsein der weniger genau
informierten Allgemeinheit, ist dieser Akt der Kapitulation eher als
Verrat interpretiert und empfunden worden – nicht zuletzt von den
Volksdeutschen aus dem Banat und Siebenbürgen, die die daraus
erwachsenden Konsequenzen bis zum Exodus hin auszubaden hatten. Aus dem
abrupten Abfall des Bündnispartners erwuchs möglicherweise ein gewisses
Ressentiment, aus welchem das spätere Desinteresse Deutschlands an dem
politischen Schicksal Rumäniens zu erklären wäre. Es ist mir aus
zeitlichen Gründen leider nicht gelungen, diese Diskussion, die mich
auch als Historiker faszinierte, weiter zu verfolgen. Gleichzeitig
wirkte Nicolette Franck als Genfer Korrespondentin der Brüsseler
Tageszeitung La Libre Belgique.
In dieser Eigenschaft sorgte sie dann auch dafür, dass unsere
ausführlich geplante und gut vorbereitete Aktion, die rumänische
Regierung auf internationaler Ebene zur Verantwortung zu ziehen und zu
verklagen, angemessen in der Brüsseler Zeitung veröffentlicht wurde. Da
ich der einzige Repräsentant der 1979 in Rumänien gegründeten Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger, kurz SLOMR, war, der im Westen lebte, kam mir die Aufgabe zu, als so genannter porte parole, als Sprecher dieser
inzwischen unterdrückten Vereinigung, aufzutreten und die Sache in der
westlichen Öffentlichkeit zu vertreten. Dazu war ich geistig wie
politisch in der Lage, da ich die Protestbewegung – zumindest in
Temeschburg – selbst konzipiert und organisiert hatte. Selbst hatte ich
mir die mit vielen persönlichen Risiken behaftete Aufgabe, als
anklagender Zeitzeuge aufzutreten, die von einem genuinen Rumänen
vielleicht besser hätte wahrgenommen werden können, nicht ausgesucht,
sondern ich nahm sie aus einer moralischen Verpflichtung heraus an, wie
ich gebraucht wurde – und weil es zu meiner person keine Alternative
gab. Flankiert werden sollte ich bei der Klageaktion von
Menschenrechtsorganisationen, speziell von der rumänischen Liga für
Menschrechte aus Paris, und von Exilgruppierungen demokratischer Rumänen
vorwiegend aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Auf der
Grundlage meiner authentischen Aussagen über den Ablauf der
Gewerkschaftsgründung in Banat sollte ein Dossier erarbeitet werden,
eine Akte, in welcher die wichtigsten Menschenrechtverletzungen in
Rumänien seit der Verabschiedung der gemeinsamen Charta der
KSZE-Konferenz von Helsinki festgehalten wurden, unter besonderer
Berücksichtung der Gründung einer freien Werktätigengewerkschaft SLOMR in Rumänien, Monate vor den turbulenten Ereignissen in Polen. Die Gründung von Solidarnosc
in Polen, die Ausweitung der Bewegung in
Millionen-Mitglieder-Dimensionen und die letztendliche Verhängung des
Kriegsrechts unter General Jaruzelski, die gerade in der Realität
abliefen, bildeten den geistigen wie politischen Hintergrund dazu.
Mehr zur Thematik auch unter:
http://books.google.de/books?id=ykTjXDg8uycC&pg=PA313&lpg=PA313&dq=carl+gibson+rhapsodie&source=bl&ots=uk12-BovDD&sig=fdvi9QpWohkt8VKvssgupZbLSUA&hl=de&ei=jBZqTrOVHonSsgaKntnmBA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CB0Q6AEwAA#v=onepage&q&f=false
|
Carl Gibson, Bücher, Books, Livres |
Copyright: Carl Gibson
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen