Carl Gibsons Warnung vor Putin vom 31. August 2014 ist inzwischen Realität:
http://carl-gibson-werke.blogspot.com/2014/08/putins-nicht-erklarter-krieg-im-osten.html
Das Phänomen ist bekannt und war immer
schon dort präsent, wo der Einzelne nicht zu seinem Staat stand, die Werte
ablehnend, die dort verkündet und durchgesetzt wurden. Doch erfolgte die
Absetzung nicht etwa aus mangelndem Patriotismus, sondern aus humanistischen Überlegungen,
weil der Einzelne, aufrecht und ehrenhaft, Zielsetzungen und Kriegsziele nicht
mittragen und ausfechten wollte, die von Diktatoren vorgegeben worden waren.
So war es bei Hitler und bei Stalin.
Während die Masse der Soldaten sich dem
Auftrag beugten, marschierten, zu Angriffskriegen und Mördern wurden in einen
ungerechten Krieg, entzogen sich andere Rekruten oder Reservisten dem
Mordauftrag durch Flucht,
wurden Deserteure, also „Verräter“ an der Sache des Vaterlandes, andere
nahmen den Kampf nach innen auf und bekämpften das mörderische System und die
Kriegsführung des Tyrannen sowie den Diktator selbst, im Versuch, ihn von der
Macht zu entfernen.
Wie halten es nun die jungen Russen,
die nun doch noch an die Front müssen?
Sie laufen davon, fliehen in hellen
Scharen, ganz nach dem Motto „rette sich, wer kann“, ganz egal, was es kostet, Hauptsache man
rettet das eigene Leben!
So denkt und handelt der Mensch, wenn
es existenziell wird! Für Putins kranke Visionen sterben – das wollen viele junge
Russen, die noch nicht ganz verblödet werden konnten, nicht mehr, nicht nach Hitler
und Stalin, vor allem aber auch deshalb nicht, weil sie in der Zeit seit und nach
Gorbatschow etwas von den Freiheiten erschnuppern und erfahren konnten, die den
Sowjetmenschen lange vorenthalten worden waren.
Als Putins „verbrecherischer Angriffskrieg“
ausbrach
und schon am ersten Kriegstag feststand, wie die angebliche „Spezialoperation“
in der Ukraine verlaufen und was dieser Krieg noch anrichten würde, war zu erwarten,
dass einige aufrichtige, standhafte Russen den Kampf nach innen aufnehmen
würden, neben Putin-Kritiker Nawalny, der im ohnmächtig im Gefängnis sitzt und
dessen Haftbedingungen man noch zusätzlich verschärft hat, und neben dem
mutigen Friedensnobelpreisträger Muratow, den man mundtot gemacht hat und der
nun schweigen muss.
Wer opponierte bisher gegen Putins
Angriffskrieg?
Ein Großmütterchen in St. Petersburg?
Eine junge, blonde Journalistin, auch mit einem Plakat?
Inzwischen wagen sich einige Regionalabgeordnete
hervor und fordern die Absetzung Putins, gar eine Anklage wegen Hochverrats! Das Gros der Russen
aber schweigt, toleriert das Morden in der Ukraine, während die jungen Russen jetzt
ihr Heil in der Flucht suchen!
Sie fliehen, statt daheim gegen die
Diktatur eines Putin zu kämpfen!
Gnädig und verständnisvoll aufnehmen
wird man die Fliehenden im Ausland nicht. Auch wenn sie in Georgien, Armenien,
in der Türkei, in den Baltischen Staaten vorerst eine Duldung finden – es sind
doch Russen, die nicht kämpfen wollen; es sind keine tapferen Russen, sondern
feige Russen, die das Unrecht, das seit einem halben Jahr vor den Augen der Welt
in der Ukraine anläuft, duckmäuserisch tolerierten, billigten, nur, um
selbst keine Nachteile zu erleiden.
Das ist schäbig, wenn auch allzu menschlich
– und somit verständlich.
15 Jahre Haft für jede Form der
Opposition
– mit diesem Terror nach innen und über die verbreitete Angst hat der dem KGB
erwachsene Diktator Putin seine gesamte Nation eingeschüchtert.
So funktionieren alle Diktaturen der Welt.
Was jetzt noch fehlt, aber noch kommen
kann: Putin macht die Grenzen dicht. Keiner kann mehr raus aus Russland.
Dann ist es wieder wie in der Sowjetunion, nur noch schrecklicher, nur noch brutaler.
Die Sowjetunion schlug die Volksaufstände
in Berlin, Budapest und Prag nieder; marschierte in Afghanistan ein, blieb dort
zehn Jahre und zog sich wieder zurück. Putin aber, der den Eisernen Vorhang
neu errichtet, will die ganze Ukraine ohne Ukrainer!
Das gilt es zu verhindern! Die
zivilisierte Welt, die Hitler bekämpfte, muss auch diesen verrückt gewordenen
Diktator Putin stoppen!
dann
haben das, was wir heute in Russland haben:
eine
Diktatur der ganz brutalen Art, ein System der Macht, das alles unterdrückt,
was dem Tyrannen an der Spitze nicht gefällt, ihm gefährlich werden könnte, das
jede Freiheit, jedes Menschenrecht abwürgt und den fast schon souveränen Bürger
wieder zum niederen Sklaven macht.
Das
hatte ich schon einmal, damals, in der Ceausescu-Diktatur, als zwanzig
Millionen Rumänen, dem folgten, was ihr großer „Führer“
vorgab, ohne aufzumucken, ohne Protest, ohne Erhebung, fügsam und geduldig nach
dem Motto aus der mehrhundertjährigen Unterdrückungszeit durch das Osmanische
Reich: Das gebeugte Haupt bleibt vom Schwert verschont!
So
hielt sich der Schusterlehrling, der Kleinkarierte, der nur ein schäbiger
Diktator war, lange Zeit und selbst noch in der Hungersnot, weil ein ganzes
Volk diese Weisheit verinnerlicht hatte, durchdrungen von dem Willen zu
überleben.
Die
Deutschen, die fast alle Hitler folgten, sahen die Dinge ähnlich und machten auch
noch mit, als dieser deutsche Führer längst zum Verbrecher geworden war und
sein Volk über Angriffs- und Vernichtungskriege dem Abgrund entgegenführte.
So
ist das heute in Kim Jong-uns kommunistischem Nordkorea, wo die
Menschen Gras essen, während große Führer Cognac der
Marke „Paradies“ á 5000 Euro pro Flasche trinkt, und von wo aus die gesamte
Menschheit atomar bedroht wird.
Am
gefährlichsten für alle aber ist Putins Russland, wo das Volk der Russen
es zulässt, dass eine Person, ein kranker Diktator - die halbe Welt
herausfordernd - die Zukunft der Nation aufs Spiel setzt, um die Russen für
lange Jahre aus dem Kreis der zivilisierten Kulturvölker auszuschließen.
Putin
kann nur walten, wie er waltet, weil sein Volk es zulässt, weil seine Russen,
gebeugt wie einst die Rumänen und immer noch die Nordkoreaner, mitmachen.
Putin
verstrickt die Verführten in die Schuld und raubt ihnen den letzten Hauch von
Würde.
4.
Satz: Fuga - Reaktion
Allegro con spirito
Die letzte Reise nach Bukarest
Nie wieder Bolero! Acht Tage nach
meiner Entlassung aus dem Gefängnis begab ich mich in Begleitung meines Neffen
Günther auf die letzte Reise in die Hauptstadt. Während der Bolero im Ohr
seinem Höhepunkt zustrebte, wurde es im ganzen Schädel so laut, als müsse er
zerspringen. Das Tosen der Musik folgte der Anspannung der Sinne. Je näher ich
dem Ziel kam, endlich für immer auszubrechen, desto höher wurde der Innendruck.
In der Hauptstadt angekommen, war ich nur noch ein Nervenbündel. Ein letztes
Mal besuchte ich die Deutsche Botschaft in der Rabat Straße und ließ mir jenes
Einreisevisum in den Pass stempeln, das mir ein Von - Bord - Gehen in Frankfurt
ermöglichte. Nachdem ich meine früheren Gesprächspartner in der Botschaft über
den Verlauf der Gewerkschaftsgründung und die Folgen der Aktion informiert
hatte, übernachtete ich noch einmal in einem der großen Hotels der City, um
dann am nächsten Tag Bukarest und dem Land für immer den Rücken zu kehren. Mit
Günther fuhr ich hinaus zum internationalen Flughafen Otopeni. Dort
verabschiedete ich mich von ihm, vorausahnend, wir würden uns bald wiedersehen
und machte mich daran, einzuchecken. Vor dem Abflug wurde ich zunehmend
unruhiger.
Befürchtungen kamen auf. Was
konnte noch passieren? Obwohl alles nach Plan verlief, fühlte ich mich wie eine
Maus, deren unmittelbares Entweichen aus der Mausefalle bevorsteht, die aber
befürchtet, dass draußen vor dem Türchen doch noch eine böse Katze warten
könnte mit scharfen Zähnen und einer angeborenen Lust zu töten - eine traumatische
Konstellation, die Spuren hinterließ. Noch viele Jahre später, nach einer
abenteuerlich riskanten Geschäftsreise in die unsichere Ukraine, sollte ich bei
der Ausreise die gleiche kafkaeske Situation und den gleichen Alpdruck noch
einmal erleben.
In den intensiven Jahren meiner
regimekritisch oppositionellen Tätigkeit in Rumänien hatte ich soviel Negatives
erfahren, dass eine grundsätzliche, negativistische Skepsis ins Blut
übergegangen war. Da ich als intuitiver Kartesianer sowieso an allem zweifelte,
auch wenn die Dinge ihren normalen Verlauf zu nehmen schienen, zweifelte ich
auch jetzt, getreu Murphys Gesetz - alles was schief gehen kann, gehe auch
schief.
Nun stand ich da, mitten in der
Abflughalle, zwanzig Jahre alt, im graugestreiften Anzug wie ein
Versicherungsvertreter, glatt rasiert, nur schlecht genährt und ohne Frisur, in
der Rechten einen dünnen, schwarzen Diplomatenkoffer mit Silberrand- und reiste
wie Zenon: unbeschwert mit kleinem Gepäck. Ach, könnte ich doch das ganze Leben
hindurch so leicht bepackt reisen!
Wertsachen durfte ich keine
mitnehmen, weder Kulturgüter, Gemälde, alte Bücher, noch Schmuck, Geld oder
sonstige Werte materieller Natur. Alles, was von Generationen erwirtschaftet
worden war, das Geburtshaus, die konservativen Stilmöbel, die Fotoalben mit den
Erinnerungen, all dies musste zurückbleiben im Tausch gegen die Freiheit.
Doch ich war immer bereit
gewesen, diesen Kuhhandel einzugehen - bis zuletzt. Also reiste ich wie ein
antiker Zyniker, dessen zeitliche Güter in den Fluten versunken waren und der
nicht mehr besaß, als die Fetzen am Leib. Hatte Gandhi, dessen Widerstand mich
stets inspirierte, eigentlich mehr besessen? Eine Brille vielleicht und einen
Stock, um die tollwütigen Hunde abzuwehren und giftige Schlangen. Vermutlich
wollte es das Schicksal, dass auch ich leichter bepackt auf Fahrt ging, nur mit
etwas Konterbande befrachtet wie der Wahlfranzose Heine an der deutschen
Grenze.
Kent
Meine Schmuggelware reiste mit,
gut versteckt und kaschiert von aromatisierten Glimmstängeln in einer fast
unscheinbaren Zigarettenschachtel, die ich in meiner linken Brusttasche
verstaut hatte. Das Corpus delicti, Ursache einer immer noch vorhandenen
Nervosität, das waren zwei wichtige Dokumente, die ich unbedingt aus dem Land
zu schmuggeln gedachte; eine Abschrift jenes sonderbarenUrteils, welches nach dem obskuren Prozess ausgefertigt worden war
als seltene Rarität rumänischer Rechtssprechung und der Haftentlassungsschein, ein Schriftstück, das mir am Tag der
Entlassung ausgehändigt und mit auf den Weg gegeben worden war, um mich vor
einer spontanen Verhaftung an der erstbesten Ecke zu schützen. Formal
bestätigten die Papiere Dissidenz und Haft. Wurden sie entdeckt, konnte es
mächtigen Ärger geben.
Jetzt waren wieder
schauspielerische Qualitäten gefragt. Mehrfach hatte ich als Schüler Rollen
einstudieren müssen. Nun konnte ich die erworbenen Fertigkeiten austesten. Kurz
vor der letzten Kontrolle kramte ich suchend in den Taschen, würde fündig, klopfte
aus dem nur an einer Ecke angerissenen Päckchen eine Zigarette hervor und
zündete diese mit gespielter Seelenruhe an.
„Kent, Sie rauchen Kent?“ sprach
mich ein jüngerer Zöllner an, der alles mit Argusaugen beobachtet hatte.
„Gestatten Sie, dass ich zugreife … “ Sein Tonfall wirkte freundlich
schüchtern, fast unterwürfig. Die Gier des Abhängigen war nicht zu verkennen.
Offensichtlich erwartete er etwas für sein Wohlwollen bei der Abfertigung.
„Bitte, bitte“, erwiderte ich mit
gespielter Souveränität und hielt ihm das Päckchen mit den drei herausragenden
Zigaretten entgegen: „Bedienen Sie sich!“
Er griff auch sofort zu, entnahm
zitternd eine Zigarette, zündete sie an und sog mit einem tiefen Zug befriedigt
den giftig blauen Dunst in die Lunge.
„Nehmen Sie noch ein paar … “
schob ich gleich hinterher, um ihn gänzlich zu gewinnen, klopfte wieder auf das
Päckchen und bot ihm großzügig noch einige der begehrten Stängel an.
Selbst ein Zöllner rauchte nicht
täglich Kent: „Ich habe schon viele Zigaretten geraucht …Ich habe auch schon
Kameeel geraucht … Aber diese Kent, die schmecken mir einfach am besten - naaa,
bitte!“
Diese ulkigen Worte eines fernen
Bekannten aus Siebenbürgen fielen mir sofort wieder ein, als das markante Wort
fiel. Kent- das war keine Provinz in
Südengland, nicht die Gegend, wo meine väterlichen Wurzeln vermutet wurden,
nein: Kent - das war ein Mythos, mächtiger noch als jener von Freiheit und
Abenteuer! Kent, das war ein Zauberwort, eine Magie, die selbst in
Zigeunerliedern besungen wurde. Eine Mărăşesti
im Zigeunermund, das war Identität und
Heimat, während die Zigarette Kent - hergebracht aus dem Okzident -
nicht weniger verkörperte als die Kultur
des Abendlandes!
Die Wunderwaffe Kent, das
beliebte Universalzahlungsmittel im Osten, verfehlte auch diesmal ihre Wirkung
nicht. Der Bursche ließ mich passieren, ohne den Päckcheninhalt näher zu
überprüfen und wünschte mir selbst noch eine gute Reise.
Von der grenzenlosen Freiheit über den Wolken
Wieder einmal hatte ich Glück
gehabt. Äußerlich ruhig, doch innerlich hochgradig angespannt wie ein Agent auf
der Flucht, durchschritt ich den letzten Kontrollposten und begab mich in den
Bus, der alle abfliegenden Passagiere zum Flugzeug brachte. Gleich fand ich den
gebuchten Patz und nistete mich ein. Aufgeregt rutschte ich auf dem Sessel
herum und sah gelegentlich verunsichert zur Fronttür hin, immer noch
befürchtend, jemand könne mich in letzter Sekunde unter irgendeinem Vorwand aus
dem Flugzeug holen.
Bange Minuten folgten -
Ewigkeiten. Nach wie vor war die Angst übermächtig. Befürchtungen und
Unsicherheit verdrängten die Zuversicht. Was konnte jetzt noch auf mich
zukommen? Was konnte jetzt noch schief gehen?
Endlich wurden die Türen
geschlossen. Es ging los. Das gut besetzte Flugzeug der staatlichen
Fluggesellschaft rollte auf die Startbahn, verharrte wieder, drehte dann aber
lärmvoll auf, beschleunigte mit Schub, schoss immer schneller werdend über den
festen Asphalt und hob ab. Schon nach wenigen Sekunden durchstießen wir die
graue Wolkendecke und erhoben uns in das Blau des Himmels. Erst in freieren
Lüften beruhigte ich mich etwas. Bald darauf konnte ich erleichtert aufatmen.
Geschafft? So vollzog sich der Ausbruch in die Freiheit?!
Die Begrüßungsworte des Piloten
rauschten an mir vorbei wie die gestikulierenden Erläuterungen der tänzelnden
Stewardessen. Unbestimmte Gefühle übermannten mich. Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft schienen zusammenzufallen. Woran sollte ich denken? War ich
überhaupt in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen? Ich fühlte den
Rausch der Euphorie und den Teekessel im Innenohr. Fühlte sich so aufkommendes
Glück an? Erst als die freundlich sonore Stimme des Bordkapitäns verklungen war
und angenehmere Töne an mein Ohr drangen, wachte ich aus der Selbstumkreisung
auf. Der Bolero war fast verklungen - und der Puls ging etwas zurück. Im
Rundumblick gewahrte ich die aufgehellten Gesichter anderer Passagiere, die
wohl froh waren, auch in diesem Flugzeug zu sitzen. Einige reisten ins Glück.
Doch was ertönte da aus dem
Lautsprecher? Genauer hinhörend vernahm ich die ersten Takte eines deutschen
Chansons, dem ich schon mehrfach vergnügt gelauscht hatte. Und auch das Thema,
das mich hier und jetzt in angenehmes Erstaunen versetzte, war mir mehr als
vertraut. Wir alle hörten, harmonisch und unmissverständlich deutlich, jenen
auch heute noch sehr populären, gerne vernommenen Song von Reinhard May über
die unendliche Freiheitder höheren
Sphären mit dem vielsagenden Refrain: Über
den Wolken, Muss die Freiheit wohl
grenzenlos sein, Alle Ängste, alles
Sorgen, sagt man, Liegen darunter
verborgen … War das ein Zufall oder gar die leise Dissidenz eines Piloten?
Wer des Deutschen kundig war,
konnte verstehen, welche Idee hier in den Himmel gehoben wurde. Noch traute ich
dem Gehörten nicht ganz und nahm trotzdem das eine heilige Wort auf wie ein
Abhängiger die lange vermisste Droge. Und das Gefühl erlebter Freiheit schaffte mir Linderung.
Allmählich sank der seelische Druck, der noch auf mir lastete, weiter ab und
mit ihm die Aufregung. Versteckt tastete ich nach dem Puls. Das Rasen beruhigte
sich; Adrenalinspiegel und Herzfrequenz gingen ebenfalls zurück - Ruhe kehrte
ein, trotz gesteigerter Erwartungen und ein Hauch von Normalität kam auf. Ich
war gerettet und konnte es noch nicht glauben.
Man hatte mir einen Fensterplatz
zugewiesen. Von dort aus schweifte der Blick hinab in die Landschaft und hielt
mühevoll nach einigen Orientierungspunkten Ausschau. Aus der Höhensicht sah
alles anders aus. So sah der Adler die Welt. Was unten vorüberzog, musste
gedanklich erschlossen werden. Menschen, die verstehend hinuntersahen,
entdeckten noch mehr - riesige Rechtecke, die bunt erscheinenden Feldparzellen
der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und der Staatbetriebe,
hohe Erdölbohrtürme, wuchtige Industrieanlagen, Flüsse mit Kraftwerken, Städte,
Siedlungen, kleine Marktflecken, isolierte Höfe und manches, was nicht
zugeordnet werden konnte, ferner viel Natur, unendliche Wälder und Gebirgszüge
- ein schönes Land, auch von oben. James Joyce hätte viele unterschiedliche
Begriffe eingesetzt, um das alles festzuhalten.
Wir überflogen die Gipfel der
Karpaten, historische Gegenden, die Burgen Siebenbürgens, die Banater Tiefebene
mit Temeschburg und Sackelhausen, dann das Grenzland zu Ungarn, die ungarische
Puszta, schließlich die letzte Grenze des Eisernen Vorhangs, das Burgenland der
Österreicher, den Donaustrand an der deutschen Grenze, um kaum zwei Stunden später
in Frankfurt am Main zu landen - ohne Zwischenfälle und ohne besondere
Vorkommnisse.
Frei! Die Heimkehr
Immer noch berauscht von einer
eigenartigen Glückseligkeit ging ich von Bord und betrat erstmals deutschen Boden!
Ein mythisches Erlebnis - der
Sohn der Gaia, der die heimatliche Erde berührt, um aus ihr neuen Kampfesmut
und neue Lebenskraft zu ziehen! Schiller hatte dies so plastisch geschildert. Dies war meine Heimkehr! Jetzt war ich
in gleicher Situation, wenn auch nicht mehr im Überlebenskampf. Der kaum erst
gewählte Papst wäre hier niedergekniet und hätte die deutsche Erde symbolisch
geküsst. Mir, dem gesunden Patrioten von
Anfang an, reichte das Bewusstsein, im Land der Väter angekommen zu sein.
Urplötzlich fühlte ich mich gelöst; zugleich aber auch zutiefst gerührt. Ein
Gefühl von Vertrautheit kam auf, ganz so, als wäre ich schon oft hier gelandet.
Gedanken suchten sich ihre Bahn … Einiges hatte das Gehirn bereits vorweg
genommen. Erst mit der Erfüllung des Glücksmoments verrauschte allmählich auch
die Freude. Ich fühlte mich emanzipiert und erstmals unendlich frei, mit großen Erwartungen, aber ohne
Diskrepanz und Frust wie andere, die später kamen, obwohl sie eigentlich nicht
wirklich kommen wollten. Endlich war ich dort, wohin ich immer schon wollte!
Nicht im Land, wo Milch und Honig flossen, aber in einem Raum, wo die
persönliche Bedrohung wegfiel, wo die Angst aufhörte und der staatliche Terror.
Lenau hatte nicht anders gefühlt, als er erstmals Metternichs Wirkungsbereich
entfloh und den liberalen Boden Badens betrat - und Heine jenseits der
preußischen Grenze! Und ich war gerne da,
hatte deutschen Boden unter den Füßen und war glücklich! Ja, ich war
angekommen. Ein Teil der Wanderschaft war zu Ende. Fürs erste war ich am Ziel.
Der Flughafen in Bukarest war
verglichen mit den menschenüberströmten Terminals der Mainmetropole ein
beschaulicher Ort. In Frankfurt pulsierte das Leben. Wohin ich auch blickte,
sah ich Menschen, die sich frei bewegten und die ungehindert und unbeobachtet
ihre Ziele verfolgten. Mitten in der Menge hielt ich inne und betrachtete den
wuselnden Ameisenhaufen um mich herum. Dabei entdeckte ich keinen Einheitsmenschen,
nur hundert Typen und Charaktere; Krumme und Gerade, Alte und Junge, Fette und
Magere, Menschen in Rollstühlen und Schwestern aus Madagaskar, die Kranke vor
sich her schoben. In dieser Gesellschaft wurden die Behinderten anscheinend
nicht versteckt wie in der Welt, aus der ich kam. Offensichtlich war Kranksein
keine Schande. Das alles ließ ich an mir vorüberziehen, ohne Details aufnehmen
zu können, gleich Bildern auf der Kinoleinwand. Haften blieben Empfindungen und
Impressionen.
War ich nicht gerade aus einer
Höhle hervorgetreten und sah nun erstmals Menschen, nachdem ich bisher nur
Schatten gesehen hatte? Meine Blicke schweiften neugierig beeindruckt durch die
Hallen. Die meisten Beschriftungen, Symbole, Werbebotschaften, Läden, Kioske, Restaurants,
Bars, kurz alles, was sich dem Auge darbot, erschien mir farbenfroh, hell
erleuchtet, voller Lebensfreude. Selbst der Kitsch kam mir nicht kitschig vor,
sondern dazugehörig, als Teil der Buntheit. Vieles wirkte vertraut, ganz so,
wie ich es aus den Zeitschriften kannte und auch erwartet hatte. Nach dem
vielen Grau konnte es mir nicht bunt genug sein. Darüber hinaus konnte ich
alles lesen und verstehen. Selbst das Neudeutsche, die paar Brocken Englisch
dann und wann. Obwohl alles neu war, kam keine Fremdheit auf, kein Widerspruch.
Dementsprechend fühlte ich mich auch gleich wohl; so wie man sich fühlt, wenn
man von einer langen Reise wieder glücklich zu Hause ankommt oder von guten
Freunden willkommengeheißen wird.
Die kurze Zeit, die mir zur
Verfügung stand, nutzte ich, um mich im Vorhallenbereich umzusehen. Da war eine
Buchhandlung mit tausend Titeln von Autoren, deren Namen ich noch nirgendwo
gehört hatte; mit Büchern, deren Überschriften in Goldlettern darauf
hindeuteten, dass mit dieser Art Literatur gutes Geld zu verdienen sei. Eine
Flut von Zeitungen aus allen Winkeln der Erde in den großen Sprachen der Welt
fiel mir auf, darunter auch einige exotische. Hier rätselte ich - das war
vermutlich Türkisch! Ganze Heerscharen von Zensoren hätte man engagieren
müssen, um ihre Inhalte zu beschneiden.
Der reiche Pluralismus selbst im
Zeitschriftenregal. Welch eine Vielfalt auch hier! Welch eine Auswahl! Welch
ein Angebot! Da war manches über Geld und Immobilien, über Yachten und Boote!
Ja selbst über Uhren, über alte und neue. Gerade hatte ich ein halbes Jahr ohne
Zeitmessung verbracht. Und hier? Hier wurde sogar die Chronologie der Zeit
erforscht! Da lagen die großen Magazine, nach deren Inhalten ich so lange
gegiert hatte; und nur einen Handgriff daneben andere Magazine, in denen die
physiognomische Erscheinung des weiblichen Körpers bis in die letzten Details
studiert werden konnte, naturalistisch und in Hochglanz. Das war die Freiheit der Vielfalt. Marx hatte nicht
zufällig gern eine alte Mönchsweisheit zitiert - suum cuique, jedem das Seine. Wie wahr! Hier herrschten die Gesetze
des Marktes, der Geschmack und die Kaufkraft der Vielen.
Auf dem Weg in den Außenbereich,
wo es im Bus weitergehen sollte, kam ich an einem Blumenladen vorbei. Unbewusst
hielt ich an. Frühlingszauber mitten im Oktober? Galten die alt gewohnten
Regeln der Jahreszeiten nicht mehr? Zählten nur noch Nachfrage, Angebot und
Preis? War inzwischen alles mit allem vernetzt in einer grausamen Welt der
Globalisierung? Traten ihre Selektionsprinzipien jetzt an die Stelle sozialer
Strukturen? Bestimmten ihre Auslesekriterien jetzt auch den wirtschaftlichen
Überlebenskampf zwischen den Nationen?
Wirre Gedanken … Die Rosen um
mich herum waren irgendwie anders; herrlicher, praller und kraftvoller als jene
zart morbiden in unserem Hof, mit fester Blüte, so als sei der Tau kaum erst
verflogen! Glühend rote Rosen aus dem Kühlschrank? Mit festem Stil, fast ohne
Dornen. Rituell bückte ich mich zu ihnen hinab, um mein Riechorgan, das in den
letzten Monaten nicht gerade verwöhnt worden war, in das Meer der Düfte
einzutauchen, um etwas von dem teuren Rosenöl einzuatmen, das in den Blüten
verborgen lag. Um mit feinen Sinnen, diskret und unauffällig ein neues Aroma
einzufangen; ganz so wie wenn man zum ersten Mal den Wein probiert, der aus
einer neuen Rebzüchtung stammt. Nur konnte ich nichts empfinden, gleich dem
Prächtigen in Florenz. Hatte mein Geruchsinn gelitten? Die roten Rosen dufteten
nicht. Lag es an mir? Verunsichert wandte ich mich zu den anderen hin in
Rosarot, zu den scheußlich Gelben, dann zu den keuschen Weißen und schnupperte
frivol daran, prüfend wie ein Hund ein Exkrement beschnuppert. Selbst diese
Rosen hatten keinen Duft. Nur Schönheit, stille, keusche, kalte Schönheit - wie
eine vollendete Jungfrau im Operationssaal. Schön, doch abweisend steril. Die
Wesenheit fehlte, die das Leben ausmacht. Diese Feinheiten waren im Grunde nur
etwas für ganz sensible Poeten. Sie dämpften meinen Enthusiasmus zwar etwas,
konnten aber die zahlreichen positiven Impulse, die ich noch eindeutiger
fühlte, nicht abwürgen. Immer noch glühte und sprühte ich vor Optimismus und
ganz großen Erwartungen.
Von Frankfurt nach Franken - Im Gleichschritt … Marsch!
Das Vaterland empfing mich mit
einer perfekten Organisation. Die Wehrmacht war jüngst erst über Europa gerollt
wie einst die römischen Legionen. Etwas von dieser mich faszinierenden Logistik
war wieder da. Die Deutschen verstehen etwas vom Organisieren; es ist systematisch
bis ins letzte Detail - wie das Denkgebäude jenes Philosophen aus Königsberg,
dessen Grab heute von Russen in Ehren gehalten wird. Der empfundene Kontrast
konnte nicht größer sein. Wer in einem Land aufwächst, wo nie etwas richtig
funktionierte, wer stets und in allem dem Walten des Zufalls ausgeliefert war,
dem fällt es auf, wenn alles geregelt ist - und funktioniert!
Auch der Empfang der Neubürger
war geregelt und schien zu klappen. An einem der Flughafenausgänge stand ein
Omnibus bereit, der meinen Weitertransport nach Franken übernehmen sollte. Karl
der Große, mein Namensvetter, hatte Spuren hinterlassen - in Frankfurt und in
Franken.
Mit mir waren noch andere
Menschen ausgereist, für die ich keine Augen hatte. Tausend neue Eindrücke
lenkten mich ab - Impressionen wie in einer Bildergalerie mit immer neuen
Farbkonstellationen und Motiven. Auch war ich viel zu sehr mit mir selbst
beschäftigt im Versuch, mein Denken nunmehr zu kanalisieren, zu ordnen.
Endlich fuhr der Bus los und
kämpfte sich durch den dichten Verkehr des Ballungsraums. Ungeduld beherrschte
mich. Das Neue jagte das Neue. In der Ferne war die Skyline des Finanzzentrums
zu sehen mit den Wolkenkratzern der Geldinstitute, deren Größe an der
Marktkapitalisierung der Aktiengesellschaften abzulesen war. An Fuß der
Glasberge lag wohl auch die Börse, der Puls des Kapitalismus. „Wie stehen die
Aktien“, witzelten wir früher beim Zusammentreffen in der Stadt, ohne recht zu
wissen, was Aktien sind, wie man an sie herankommt, wie man mit ihnen reich
wird - oder, wenn es die falschen sind zur falschen Zeit - wie man, endgültig
ruiniert, verzweifelt aus dem Fenster springt. Meine Gedanken schwirrten ab.
Geld-Institute … Bankinstitute, das hatte ich bereits im Flughafen gelesen? War
die Bezeichnung Institutnicht dem
akademischen Sektor vorbehalten, der freien Forschung und Lehre? Nutzten die
Banken die euphemistische Umschreibung, um von ihrem unsittlichen Profitstreben
abzulenken? Hatte Brecht doch Recht? War es nicht wirklich ein größeres
Verbrechen, eine Bank zu gründen oder zu besitzen als eine zu berauben?
Anarchische Hirngespinste - so kombinierte ich nun hin und her. Einmal
Anarchist - immer Anarchist, einmal Dissident - immer Dissident, einmal Rebell
- immer Rebell?
Doch was konnte ich dafür, wenn
ich von Freiheit, von Nonkonformismus
und von kritischer Auflehnung bestimmt wurde? Immer und überall! Auch im
Westen? In der Welt Amerikas, in der Welt der Freiheit. Irgendwann hatte ich aus einem Gefühl heraus A gesagt und immer daran festgehalten.
Jetzt musste ich konsequent bleiben, B
sagen, zumindest bis zur Gegenprobe, und zunächst voll und ganz zu diesem
System stehen, in der Hoffnung, das viel vermisste humane Antlitz einer Gesellschaftwenigstens hier vorzufinden.
Der Bus wurde schneller, fuhr
über einen Zubringer auf die Autobahn und entfernte sich mehr und mehr vom Main
und von Mainhattanin die Richtung des
Ursprungs, hin zur Quelle ins Fränkische. Frankfurt? Das war wohl die
amerikanischste der deutschen Städte? Hatten sie die Freiheit hier eingeführt - oder war sie ein endemisches Produkt,
das schon früher am Fluss gedieh? War nicht Goethe hier geboren, in der alten Freistadt? Stand hier nicht irgendwo
auch die Paulskirche? Das erste deutsche Parlament? Ein erster Hort politischer
Freiheitund Demokratie? Bald wollte
ich wiederkommen, alles sehen, erfassen, vertiefen …
Kurz darauf gewahrte ich ein
großes Schild am Straßenrand mit der Aufschrift Freistaat Bayern: Die Republik in der Republik - fiel mir ein. Vom
reichen Wappen Bayerns erkannte ich nur die weißblauen Farben und den
bayerischen Löwen. Es war ein schönes Gefühl, in einen Freistaat einzufahren!
Jedes Wort, in dem die Freiheit steckte, klang in meinen Ohren
wunderbar wie Mozartsche Musik - und erinnerte an den Geist seiner Zoten, die
er in einem Anflug von Überdruss seiner unfreien Zeit entgegenschmetterte. Freiheit und Musik, das passte irgendwie
gut zusammen. Viva, viva, la liberta!
Der Bus rollte weiter durch den
Spessart; durch einen Märchenwald mit Wirtshäusern und zottigen Räubern.
Irgendwo rechts, an einer der zahlreichen Windungen des Mains auf seinem Weg in
den großen Strom, nahe Wertheim lag der kleine Ort Urphar mit seinem
Wehrkirchlein aus karolingischer Zeit, ein Ort, an dem ich später einmal leben
sollte wie in Würzburg, das gerade in Sicht kam.
Weinland Würzburg
In einem Bilderbuch war ich auf
einige Ansichten der alten Stadt gestoßen. Jetzt lag sie unter mir und breitete
sich aus. Während der Bus die riesige Autobahnbrücke überquerte schaute ich
zunächst nach vorn und hinauf. Dabei fiel mein Blick auf eine abstoßende
Anhäufung von Plattenbauten, die in den Himmel zu ragen schienen. Das gab es
auch überall im Ostblock. Sozialistische Einheitsarchitektur im vielgeliebten
Grau. War das Würzburg? Das fragte ich mich für einige Augenblicke lang. Nein,
es war das andere Mainhattan!
Noch bevor Enttäuschung aufkommen
konnte, schaute ich hinab ins Tal und nahm die Konturen der Altstadt wahr. Vor
mir lag eine weite Landschaft mit unzähligen Kirchtürmen, aus welchen die
Zinnen des Domes und der Turm der Alten Universität herausragten. Das Meer von
roten Ziegeln an das Feuer des Südens erinnernd, erwärmten mir das Herz und
logen mir vor, in einer mediterranen Stadt angekommen zu sein, irgendwo in den
Hügeln der Toskana oder in der Provence. Dann schweifte mein Blick nach links
auf ein sakrales Kleinod der Architektur. Am Hügel klebte das Käppele; ich
blickte auf ein Heiligtum, ohne zu wissen, was ich sah. Und dahinter über allem
thronte die gewaltige Marienfestung, die Stadt über der Stadt, deren
Ausstrahlung das gesamte romantische Deutschland früherer Jahrhunderte
einzufangen schien. Jetzt fuhr ich durch ein anderes Märchen und ahnte natürlich
noch nichts davon, dass ich nur ein paar Jahre später in den prachtvollen
Räumen des schönsten Pfaffenhofs Europas
meinen Studien nachgehen, viele Jahre unter den Fresken Tiepolos philosophieren
und - wie einst die Fürstbischöfe und Napoleon - vergnügt im Residenzgarten
lustwandeln und promenieren würde.
Gerne hätte ich verweilt, um den
schönen Augenblick zu genießen; doch der Busfahrer hatte einen anderen Auftrag.
Während er beschleunigte, um die Steigung zu schaffen, kamen die
flurbereinigten Weinberge von Randersacker in Sicht, die Lagen Ewig Leben und
der Marsberg, wo der Silvaner wuchs, jene alte Rebsorte aus Siebenbürgen, die
schon Jahrhunderte vor mir angereist war; ich blickte nach rechts - ein paar
Kilometer weiter deuteten sich weitere Winzerorte an, die dem Frankenwein zum
Weltruf verhalfen, zunächst Eibelstadt, dann das reiche, sonnenverwöhnte
Sommerhausen und, gleich gegenüber, das arme, kalte Winterhausen. War da um die
Ecke nicht auch Sackelhausen?
Erneut blickte ich hinab ins
tiefe Tal. Dort floss ruhig der träge Main und reflektierte das Licht und die
Wärme seiner zarten Wellen nach oben an die Hänge, wo die Trauben ihrer
Vollendung entgegen strebten. Der Fisch, dessen Ahnen hier aus Würzburg, aus
dem nahen Bamberg und aus Mainz nahe der Mündung in das Banat gepilgert waren,
um Freiheit und Wohlstand zu finden,
war wieder am alten Fluss angekommen, der schon lange gemächlich dahinströmte.
Sein Bett lag unter mir mit der Kulturlandschaft, die es beheimatete. Alles
schien miteinander verwoben zu sein, mein Ich, meine Identität mit der
Landschaft und mit dem Fluss, der auf die Ewigkeit hindeutete.
Es herbstete sehr … Befiehl den letzten Früchten voll zu sein,
gib ihnen noch zwei südlichere Tage ….Die letzte Süße des schweren Weins
war auf meiner rechten Blickseite zu vermuten, wo sich gerade die gipsernen
Hänge des Steigerwalds andeuteten mit den Spitzenlagen von Iphofen, Rödelsee,
Castell und anderen Bocksbeutelzentren der urwüchsigen Art. In meinen Taschen
kramend, zog ich den Abriss des Flugtickets hervor und las das Datum: 13.
Oktober!
Ankunft. Zeit der Reife. Die Zeit
der Weinlese. Und die Zeit der Ernte! Eine gute Zeit, die den Menschen mit
Freude und Dankbarkeit erfüllt; die er freudig feiert, wenn die Früchte der
mühevollen Arbeit Scheuer und Keller erreicht haben.
In der alten Heimat, im Banat, wo
man lange Zeit im Schweiße des Angesichts sein Brot verdiente und es manchmal
auch mit Tränen aß, feierten die Menschen jetzt Kirchweih, Kerwei, ihr zentrales Fest im ganzen Jahr, das für viele Jugendliche
existentielle Bedeutung hatte und ihnen wichtiger war als Weihnachten und
Ostern zusammen; eine Feier, die von anderen aber als faschistisches Fest denunziert worden war!
Der Bus fuhr jetzt schneller. Aus
den Lautsprechern über den Köpfen rieselten Schlagermelodien herab mit dummen
Texten, die mich zwangen, wegzuhören. Doch plötzlich war da eine tiefe,
kräftige Frauenstimme, die etwas anderes sang. Ihr Singen, aus dem ich die
geschulte Stimme mit einen leichten russischen Akzent herauszuhören glaubte und
etwas von den wehmütigen Harmonien in Moll, hob sich vom bisher Vernommenen
deutlich ab; und auch das, was sie sang:
Freiheit
in meiner Sprache heißt Liberta!
Gibt
es ein schönres Wort als Liberta!
Überall
wo Menschen leben
stehst
DU an erster Stelle Liberta!
Es war Milva- eine feurige
Italienerin, eine Grande Dame des Genres. Das fand ich erst später heraus.
Jetzt war ich nur überwältigt. Zunächst Reinhard Mays Eloge auf die Freiheit in höheren Sphären - und jetzt
Milva! Und das alles am Tag meiner
Heimkehr!
Der Dichter, der die
freiheitlichen Worte erdacht und auf Papier gebracht hatte, schrieb Millionen
Freiheitssuchenden aus der Seele, überall auf der Welt. Ich war nur einer von
ihnen.
Nürnberg - Aus dem
Gefängnis ins Lager
Nachdem wir die Aischgründe
passiert hatten, wo Karpfen und andere Fische sich wohl fühlen, bevor sie im
weihnachtlichen Kochtopf landen, kündigte sich bereits Nürnberg an- die Stadt
Dürers, die Stadt der Reichsparteitage - und die Stadt der Prozesse. Wer so in
der Geschichte gefangen war wie ich, konnte sich der historischen Betrachtung
nicht entziehen. Die Geschichte, mit deren Interpretation das Hineinschlittern
in die oppositionelle Tätigkeit begonnen hatte, war nach wie vor das Thema
schlechthin.
Merkwürdig. Nach dem Knast landete
ich jetzt - im Land der Freiheit -
wieder in einem Lager!? Aus dem Regen
in die Traufe? Ein sonderbares Willkommen! Offiziell war der überaus belastete
Begriff bereits eliminiert worden, richtig abgeschafft; in den Köpfen der
Menschen jedoch hielt er sich weiter: „Wenn du in Deutschland ankommst“,wussten
erfahrene Ausgereiste zu berichten „musst du zunächst ins Lager“.
Dieses Aufnahmelager, das amtlich
als Durchgangsstelle für Spätaussiedler und Flüchtlinge bezeichnet wurde oder
so ähnlich, war nur ein erster Anlaufpunkt für Neuankömmlinge, der nach der
Erledigung einiger Formalitäten schon nach wenigen Tagen verlassen werden
konnte. Auch das spätere Übergangswohnheim galt als Lager. Es war ein
Provisorium, das eigentlich nur solange zur Verfügung stehen sollte, bis die
Neubürger eine eigene Wohnung gefunden hatten. In Wirklichkeit aber wurde es
von raffsüchtigen Landsleuten über Jahre blockiert; so lange, bis sie ein
Grundstück erworben hatten, ein Haus errichtet und in das eigene Heim einziehen
konnten. Kaum jemand nahm Anstoß an der makabren Bezeichnung. Das Nachdenken
über Sprache und das sprachgemäße Sprechen, das ich früher schon kläglich
vermisste, war bei vielen Leuten immer noch nicht angekommen. Aber zumindest
ich war da - im Aufnahmelager und gleich mitten im Kreislauf bundesdeutscher
Bürokratie, wo ich zunächst einigen deutschen Angestellten überantwortet wurde.
Im Gleichschritt … Marsch!?
So lernte ich bald auch diesen
Typus Mensch kennen; und nach ihm den noch gründlicheren deutschen Beamten, der
in vorauseilendem Gehorsam und mit vorbildlichem Pflichtbewusstsein in meinen
Augen noch besser funktionierte als ein schweizerisches Uhrwerk - und dies im
schroffen Gegensatz zum rumänischen Funktionär, der stets in Lethargie und
Nichtstun versank, ganz im Geist einer langen Tradition, die seit Gontscharows
literarischem Wirken als Oblomowereibekannt
ist.
Nun durchlief ich jenen Ritus,
den schon Millionen anderer Menschen aus dem Osten vor mir durchlaufen hatten:
Heimkehrer, Vertriebene, Flüchtlinge und selbst Asylsuchende. Zunächst wurde
ich offiziell registriertwie ein
Schaf. Nur die Ohrenmarke blieb mir erspart. Während dieses formalen Prozesses,
der mir im laxeren Land meiner Vorväter, in England, wo es nicht einmal
Personalausweise gab, bestimmt erspart geblieben wäre, durfte ich eine Reihe
von persönlichen Fragen beantworten, die zum Teil in einem Registrierschein festgehalten wurden. Ästhetische Komponenten, die,
wie es mir auffiel, alle Lebensbereiche des neuen Umfelds durchzogen, spielten
bei diesem Dokument keine Rolle. Es war ein eindeutig schäbiges Papier mit der
unpersönlichen Note eines Formulars, in welchem einige Details aus meinem
Vorleben in einer engen, undifferenzierten Terminologie festgehalten wurden.
Das Kästchen, das für die Berufsbezeichnung des Einreisenden vorgesehen war,
vermerkte - nach einigem klärenden Hin und Her: Reparaturschlosserhelfer - und verwies damit auf die
wortkombinatorische Leistungsfähigkeit der deutschen Sprache. Worte wie Obertsturmbanngruppenführerhatten schon
in der frühen Kindheit unsere Phantasie beflügelt, wenn sie als unübersetzbare
Untertitel über den Bildschirm huschten und uns motivierten, über verdichtete
Sprache und monströse Wortzusammensetzungen nachzudenken. Hugo von
Hofmannsthals Essay über den Wert unddie Ehre deutscher Sprache kam mir dabei in
den Sinn, speziell der dort exemplifizierte Aspekt der sprachlichen
Verwahrlosung und Sprachverhunzung, zu der nicht nur Dichter und schlechte
Literaten fähig sind, sondern auch unreflektierte Sprachanwender wie jene, die
ich vor mir hatte.
Da ich aus einem Raum kam, wo ein
anderes Deutsch gesprochen wurde, ein Deutsch, das eine Weile stagniert hatte
wie das Französisch in Quebec, bemühte ich mich um ein möglichst korrektes
Deutsch, wobei die individuelle Sprachmelodie, die sogar mit dem Bildungsniveau
des Vaterhauses zusammenhängen konnte, nicht ganz zu verdecken war. Doch je
deutlicher mein Bemühen wurde, desto krasser fiel mir der sorglose Umgang mit
Sprache bei anderen Personen auf. Der Genitiv, den ich eindeutig favorisierte
und recht häufig gebrauchte, kam in der vernommenen Sprache kaum noch vor. Er
wurde mit komischen Dativkonstruktionen umschrieben -und wenn er in seltenen
Augenblicken doch noch auftrat wie ein rar gewordner Vogel, kam er gleich in doppelter
Form. Und das bei Personen, die, ausgehend von ihrer Stellung, einen höheren,
bisweilen sogar einen akademischen Bildungsabschluss aufzuweisen hatten. War
das ein Hinweis auf die Qualität des deutschen Schulsystems, auf die
Wertschätzung, die der deutschen Sprache allgemein entgegengebracht wurde?
Als ich auf die Zeit der Haft zu
sprechen kam, fragte mich jene steife Dame mit dem überschminkten Gesicht und
den strahlend lackierten Fingernägeln, die meine Aussagen protokollierte und
diese auf einer laut ratternden, mechanischen Schreibmaschine nieder schrieb
recht forsch: „Aus welchem Grund sind Sie überhaupt in Rumänien verurteilt
worden?“
„Wegen Anarchie“, gab ich prompt
zurück. „Dieses Urteil hier verweist auf die Gründung einer antisozialistischen
Vereinigung mit anarchistischem Charakter“, fügte ich leicht ironisch hinzu,
annehmend, der müde Sarkasmus würde verstanden und kramte dabei nach dem
sonderbaren Dokument. „Oooh!“ entgegnete die Dame etwas verunsichert, und fast
schon entsetzt: „Auch hier in der Bundesrepublik werden Anarchisten
verurteilt!“
So? Wunderte ich mich empfindlich
berührt. Welch eine Gleichsetzung! Wir bekämpften ein totalitäres System,
andere wollten eine parlamentarische Demokratie abschaffen. War da nicht
irgendwo ein kleiner Unterschied, der selbst von bescheidener Warte aus hätte
gesehen werden müssen? Und gab es da nicht noch ein paar Anwälte und Blätter,
die Terroristen und Mörder stützten und deren Sache ideell und formaljuristisch
verteidigten? Bei diesen Gedanken unterließ ich das Kramen nach dem Urteil und
versuchte den Kloß im Hals unauffällig hinunterzuwürgen. Das Unverständnis
schockierte. Ich war getroffen und betroffen. So viel Unwissenheit über die
tatsächliche Situation hinter dem Eisernen Vorhang hatte ich nicht erwartet,
schon gar nicht hier, an der Mündung des Menschenstromes aus dem Osten, wo
täglich bestimmt auch Opfer der totalitären Verhältnisse einreisten und ihre
Vita offenlegten wie Frauen ihren Körper im Stripteaselokal. Gerade hier an der
Pforte zur künftigen Freiheit hatte
ich mit einem anderen Erfahrungshintergrund gerechnet. War das eine erste
Desillusion, eine frühe Destruktion des hohen Ideals?
War das kein böses Omen? Wenn ich
hier, am Eingangstor zur neuen Gesellschaft, schon mit soviel Unverständnis
konfrontiert wurde, reflektierte ich, was würde erst bei einer Konfrontation
mit den vielen Ahnungslosen, mit den noch weniger und undifferenzierter
informierten Bürgern auf mich zukommen? Es war ein erster Hinweis darauf, dass
ich die offenen Ohren für die freiheitliche Sache der Menschen hinter dem
Eisernen Vorhang künftig nicht in der erwarteten Art antreffen würde.
Nachdem ich den Initiationsritus
zum Bundesbürger aufgenommen und einige Vorkammern dieser angenehmeren Hölle
passiert hatte, stand ein kurzes Tête-à-Tête mit dem Repräsentanten der
Geheimdienste bevor, der wissen wollte, ob in meiner Person ein gedrillter
Perspektivagent anreist, ein Schläfer und Saboteur, der jederzeit aktiviert
werden konnte wie der Held jenes Spionagethrillers mit Charles Bronson: „Hat
der rumänische Geheimdienst versucht, Sie anzuwerben?“fragte der Beauftragte
direkt. Ob der unscheinbare Herr für den Bundesnachrichtendienst tätig war, für
den Verfassungsschutz oder für einen noch geheimeren Dienst, blieb mir verborgen.
Ich war zunächst irritiert. Was für ihn Pflicht war, erschien mir als
Ungeheuerlichkeit. Von der Securitate angeworben wurden eher junge, angehende
Schriftstellerinnen, die der Partei nahe standen und ihre Führungskraft
anerkannten, nicht notorische Antikommunisten von Anfang an.
„Nein!“antwortete ich deshalb
ebenso direkt wie resolut und ergänzte entrüstet: „Aber die Securitate hat mir
gedroht, wie sie jedem droht, der nach langer politischer Opposition das Land
für immer verlässt und von dem anzunehmen ist, dass er auch im Westen politisch
aktiv bleiben wird.“
Verkehrte Welten? Wo war ich
gelandet? Die routinehaft gestellte Frage nach einem möglichen Auftrag seitens
der Kommunisten galt der Absicherung des Rechtsstaates und war als solche
notwendig. Das leuchtete ein. Trotzdem befremdete sie mich sehr, da ich davon
ausgegangen war, dass die bundesdeutschen Geheimdienste- über die Botschaften
und das Auswärtige Amt - aber auch über andere Quellen, etwa durch das
Auswerten von Berichten und Veröffentlichungen ausgereister Dissidenten, von
unseren jahrelangen, existenzbedrohenden Auseinandersetzungen mit dem
totalitären Regime wissen mussten. Ob es so war? Das konnte es nie wirklich
herauskriegen. Jedenfalls sah der Beamte in mir keine Gefahr für die Sicherheit
der Bundesrepublik - und der Verfassungsschützer aus Stuttgart, der später kam,
auch nicht. Der Rotschopf mit dem Sommersprossengesicht drückte mir seinen
Stempel in das entsprechende Kästchen auf den Laufzettel und überließ mich dem
Eintritt in die freie Welt. Dieser wurde dann auch von Stunde zu Stunde
angenehmer.
Es folgte als typisches Merkmal
des Wohlfahrtsstaates, der an alles denkt, ein Antrittsbesuch in der
Kleiderkammer. Es war eine karitative Einrichtung, eine Klamottenkiste der
Wohlstandsgesellschaft, wo sich Bedürftige aus den Fernen Sibiriens oder sonst
woher einige Kleidungsstücke aussuchen konnten; wohl noch ein Relikt aus der
bitterarmen Nachkriegszeit, als jede Wollhose und jeder warme Pullover
überlebenswichtig waren. Im Kapitalismus wird niemandem etwas geschenkt,
pflegten die Ideologen des Marxismus laut zu verkünden. Jetzt stand ich vor
einer textilen Schatzkammer und konnte frei wählen - unter Jacken und Hosen.
Vorsichtig klopfte ich an wie
einer, der seit Jahren immer wieder anklopft, dann die Tür öffnet und halb
verunsichert, halb servil auf das Unbekannte blickt: „Kommen Sie ruhig näher“,
begrüßte mich eine ältere Dame mit natürlicher Freundlichkeit. Sie verwaltete
die Kleiderspenden. Während ich noch ein paar Schritte auf sie zuging und dann
abwartete, was nun folgen würde, sah sie mich an wie unser Dorfschneider, wenn
er Maß nahm, um einen Anzug anzufertigen; sie überflog mein Äußeres, den grauen
Anzug, das steif gebügelte, immer noch frisch wirkende weiße Hemd, dem man den
Angstschweiß der Ausreise noch nicht ansah; sie sah die silberne Krawatte mit
glitzernder Krawattennadel und meine tadellos blank glänzenden, schwarzen
Lederschuhe, die meine Mutter noch vor der Ausreise nach alter Sitte gewichst
hatte; schließlich blickte sie mich einen Augenblicke lang an, um dann
festzustellen: „Wie Sie aussehen, können Sie wohl kaum etwas von dem
gebrauchen, was ich hier anzubieten habe. Ich glaube Sie sind hier im falschen
Raum.“
Eine realitätsbewusste Frau -
Temeschburg im Banat war kein Sibirien. Zwar sah ich ausgemergelt aus, kam aber
nicht aus dem Gulag, sondern aus einer Zivilisation
jenseits von Sodom. Auch war ich weit davon entfernt, mich mit Plunder zu
beladen und Kram oder Güter anzuhäufen. Nach wie vor reiste ich mit leichtem
Gepäck, das Kapital in der Denketage verstaut; und so sollte es auch bleiben.
Artig bedankte ich mich und ging mit Genugtuung.
Meine Physis schreckte nicht ab.
Und dies, obwohl alles Körperliche noch angeschlagen wirkte und ich nahezu kahl
geschoren und bis auf die Knochen abgemagert dastand. So war ich auch
salonfähig, um in die Stadt zu gehen. Keine üble Idee. Nachdem im Röntgenraum festegestellt
worden war, dass die offene Tuberkulose einiger Zellgenossen nicht auch meine
Lungen kolonisiert hatte, hielt mich nichts mehr zurück.
Neugierig die berühmte Stadt zu
sehen, ließ ich die Baracke hinter mir, ging los und sah mich um, die Bilder
des zu Ruinen zerbombten Nürnberg aus dem Gedächtnis aktivierend. Neunzig
Prozent der Innenstadt waren seinerzeit im Bombenhagel und in der Feuersbrunst
zerstört worden. Davon war jetzt kaum noch etwas zu erkennen. Lücken verwiesen
auf das verflogene Inferno und deplatzierte Zweckbauten, die in den Jahren des
Wiederaufbaus schnell und billig errichtet worden waren.
Wissbegierig ging ich quer durch
die Straßen der Altstadt, ohne genaues Ziel, an der Burg vorbei und an den
Resten mittelalterlichen Fachwerks, das die Flammen überdauert hatte, bis hin
zu jenem ausgedehnten Gelände, wo einst - zum Schrecken der Welt - SA und SS
mit Standarten und Fahnen aufmarschiert waren; wo der Führer, seinen
makaber-dämonischen Kult der Selbstverherrlichung und des Todes zelebriert
hatte. Ein weites, weites Feld … In Gedanken versunken ging ich auf und ab …
Und dachte, die Paraden vor den Augen und das Grollen des Führers im Ohr, wie
so oft in den letzten Jahren, an Größenwahn und Hybris, an menschliche Bosheit,
an vielfachen Terror und Leid, an Tod und Vernichtung, an Geschichte, an die
Vergänglichkeit der Dinge und an das Zerfallen ganzer Weltreiche. Immer hatte
ich an einem geschichtsträchtigen Ort leben wollen, in der Aura des Geistes
früherer Jahrhunderte. Jetzt war ich an einer solchen Stätte: In Nürnberg, in der einst freien wie
wohlhabenden Handelsstadt, im späteren roten Nürnberg, das die
Nationalsozialisten um jeden Preis hatten umkrempeln wollen, um ihm eine neue
Identität, eine braune Identität, zu geben - und dies auch schafften.
Die Nürnberger Gesetze waren hier
verabschiedet worden, die Rassengesetze, juristische Vorstufen der
Wannsee-Beschlüsse, die Nürnberger Prozesse waren hier abgerollt, vor den Augen
der Welt. Jetzt war ich an einem Ort - mit fast schon zuviel historischer
Schwere. Hier befand ich mich an einem Ort deutscher Vergangenheit, den man in
der Welt besonders gut kannte und in dessen Namen sich die jüngste deutsche
Geschichte noch eindeutiger verdichtete als in der Hauptstadt Berlin.
Deutschland … Schweres Schicksal - Jetzt war ich ein Teil von ihm. Und bereit,
es mitzutragen.
Sonntag - oder: von der Freiheit eines Christenmenschen
Der nächste Tag war ein Sonntag.
Ein trauriger Sonntag? Ein Sonntag mit zuviel Einsamkeit und Melancholie? Ein
Sonntag, an dem man sich nach verrauchter Zigarette von der Brücke stürzte,
weil das Leben keinen Sinn mehr machte? Nein! Die traurigen Töne der Geige
waren weit. Ein neuer Tag des Glücks sollte es werden! Aber auch ein Tag der
Einkehr und der Selbstfindung, so ähnlich wie ich ihn nach meiner Entlassung in
der Michaelskirche erlebt hatte, den Blick dankbar zum Himmel gerichtet. Ich
war davongekommen und entsprungen - gerettet. Bevor es am Montag weiterging
hinein ins Ländle und hindurch bis in
das badische Land nach Rastatt unweit des Rheins, gab es nichts mehr zu tun.
Mit einem Zwanzig-Mark-Schein Begrüßungsgeld im Portemonnaie war ich kein armer
Mann und frei. Ein kleines bisschen
reicher wäre auch nicht schlecht gewesen. Doch ich stand ja erst am Anfang
meiner kapitalistischen Lebensphase. Nutze den Tag, dachte ich wie Generationen
von Mönchen vor mir und ging wieder los, vom Zufall gesteuert und ohne
bestimmtes Ziel auf die menschenleere Altstadt zu.
Was war los in Deutschland? Wo
war der Corso? Wo waren die Menschen? Ausgestorben? Wie nach einem Atomschlag
oder nach dem Wüten einer neuzeitlichen Pandemie? Solch eine Leere hatte ich
noch nie erlebt. Die Einsamkeit muss groß sein in diesem Land, dachte ich.
Wurde es doch ein trauriger Sonntag? Wo war die nächste Brücke oder der höchste
Turm? Die gesamte Gesellschaft schien mir auf Einsamkeit ausgelegt und auf
Vereinzelung. Saß jeder in seiner Stube und brütete vor sich hin?
Mein Weg in die Mitte der Stadt
führte mich zur Lorenzkirche, wo gerade ein evangelischer Gottesdienst
abgehalten wurde. Orgelmusik drang an mein Ohr. Viele Gründe hätte ich gehabt,
mit einzutreten und ein Dankgebet zu sprechen; in das Singen von Psalmen
einzustimmen, zu frohlocken und zum Kreuz hochzublicken, das mein Symbol war
und mein Weg im Hoffen und Erleiden; ein Zeichen, das bisher den Kampf
definiert hatte und die Passion. Doch ich verzichtete darauf. Nicht aus
Missachtung und oberflächlicher Ignoranz, die einen beschleicht, wenn man eine
schwierige Situation überwunden hat und einen dabei die metaphysische
Hilfestellung undankbar vergessen lässt, sondern als Freigeist, der sich
unmittelbar zum Höheren hin definiert, das er in sich trägt.
Die Freiheit des Christenmenschen vor Gott, die den Nürnberger
Protestanten seit Luthers Zeiten vertraut ist, die direkte Verantwortung vor
dem Gewissen und der höchsten metaphysischen Instanz war mir, dem zum
Katholiken erzogenen Menschen, näher als die Mediation der Institution Kirche.
Das protestantische Gotteshaus vor meinen Augen erschien mir als ein Ort der
Glaubensgemeinschaft, wo andere, die tiefer in der Religion verwurzelt waren,
Trost suchten, während für mich, den Einsamen auf Wanderschaft, die Kirche
nicht mehr war als ein Ort der stillen Einkehr, ein Refugium, das den Weg der Freiheit zu Gott und somit den Dialog
mit Gott mit ermöglichte.
Wie oft hatte ich, den Blick zu
den Sternen erhoben, jene Fidelio-Passage vor mich hin gesummt: wir wollen mit Vertrauen, auf Gottes Hilfe
bauen … Wir werden frei, wir finden
Ruh! Rettung! Jetzt war es soweit: Ich stand mitten in einer großen Stadt,
die fremd war und doch heimisch und genoss den dumpfen Klang der Glocken aus
der Ferne, die anderswo das Ende eines Gottesdienstes einläuteten.
Doch Gott war überall. Und wenn
er im Herzen war, das lehrte schon Meister Eckhart, bedurfte es der Kirche
nicht. Also blieb ich draußen vor der Schwelle und lauschte der musischen
Andacht der Anderen. Als sie verklungen war und die ersten Messebesucher aus
dem Gotteshaus strömten, zog auch ich weiter und kehrte kurz danach in ein
typisches Gasthaus ein, das mir ein entgegenkommender Kirchgänger, ein
freundlicher Franke in Sonntagstracht, empfohlen hatte.
In der Gaststätte tätigte ich
meinen ersten kapitalistischen Umsatz, indem ich die mich mild anblickende
Tucherfrau, die mir als pekuniäres Begrüßungsgeschenk gereicht worden war, in
einen Schweinebraten mit Kloß und in ein fränkisches Rauchbier umwandelte. Wie
gewonnen, so zerronnen! Alles Schall und Rauch, auch hier? Andere Landsleute
hätten mit dieser stolzen Summe gleich einen Bausparvertrag abgeschlossen oder
ein Grundstück anbezahlt, während ich der Sinnlichkeit frönte und die
Vergänglichkeit aller Dinge zelebrierte. Vielleicht war ich tatsächlich nur
eine unstete Existenz, ein Libertin des Geistes, ein verkappter Künstler und
Ästhet, der nie zum bürgerlichen Leben taugte?
Dann suchte ich aber doch nicht
nach der ersten Brücke, sondern ich ließ mich, körperlich und seelisch
gefestigt, von der Atmosphäre der Stadt berauschen, an deren Universität ich
kaum zwei Jahre später meine Studien aufnehmen und in deren Historie ich mich
noch mehrfach vertiefen sollte.
Reste der großen Zeit im
Spätmittelalter waren noch zu erkennen; ein paar Hinweise auf Hans Sachs … Auch
einige, noch nicht ganz vernarbte Wunden des letzten Krieges, die entsprechende
Assoziationen wachriefen, von den traumatischen Aufmärschen auf dem
monumentalen Parteitagsgelände bis zu den Nürnberger Prozessen, die den
Endpunkt einer langen Politik- und Kriegstradition markierten. Hatte der Krieg
als Mittel der Politik ausgedient? Waren die Eroberungskriege der
Weltgeschichte, die ganze Völker in die Versklavung gestürzt hatten, endlich
vorüber? Und brach nun endlich das Zeitalter
der Menschrechte an, die Zeit des Völkerrechts und der friedlichen
Konfliktlösung? Die Zeit des ewigen
Friedens, an der schon Kant laborierte?
Kleine Welt
Als ich am Spätnachmittag in die
Baracke zurückkehrte, traute ich meinen Augen nicht. Bekannte Gesichter! Und
dazu noch aus Sackelhausen! Vor mir standen zwei Brüder aus der Hauptgasse
unseres Heimatdorfs, ehemalige Sympathisanten unserer Freien Gewerkschaft in Temeschburg. Sie hatten die Gründungsurkunde
zwar nicht unterzeichnet; doch hatten sie sich in einer mündlichen
Solidarisierungsbekundung der Bewegung angeschlossen, vermutlich erst dann, als
ich schon verhaftet war.
Viele waren damals noch mit aufgesprungen
auf den fahrenden Zug in die Freiheit,
mit dem sicheren Gespür, so die Ausreise erzwingen zu können. Ganz andere
Trittbrettfahrer der Bewegung meldeten sich erst nach vielen Jahren, nach dem
Umsturz, als jede Gefahr gewichen war.
Das beherzte und solidarische
Mitwirken hatte den beiden Brüdern eine bakschischfreie Ausreise ermöglicht.
Welch ein Zufall, Helmut und - wie sollte er anders heißen- Hans hier und jetzt
anzutreffen! Ich war verblüfft und zugleich erfreut. Sie hatten einiges gewagt;
und sie hatten auch einige Ohrfeigen im Securitate-Verhör erdulden müssen, auch
Psychoterror, Drohungen und Ängste aller Art. Doch dafür waren sie nunmehr frei
- und frei von Schulden! Eine schöne Begegnung - ein erfreuliches Wiedersehen
mit Menschen aus der Heimat, die ich eigentlich nie richtig kennengelernt
hatte. Nun gab es Gelegenheit, ein paar Stunden miteinander zu verbringen und
noch einmal die Stunden in der Folterkammer der Securitate Revue passieren zu
lassen.
Den jüngeren der Brüder hatte ich
das letzte Mal gesehen, als man ihn während meines Verhörs kurz in den Raum
schob, um mich zu identifizieren. Damals hatte er feuerrote Ohren und zerzauste
Haare, wirkte eingeschüchtert und ängstlich wie ein zierliches Kaninchen beim
Anblick der Schlange. Jetzt stand er als
freier Mann vor mir. Er wirkte glücklich. Das Durchstehen der Maulschellen
hatte sich gelohnt! Alle Wege standen ihm nun offen.
Also hatte sich die
Widerstandsaktion, unser gesamter Einsatz, auch praktisch gerechnet! Auch für
andere. Das war späte Genugtuung für die erduldete Haft. War doch alles gut
eingerichtet in der besten aller Welten?
Gegen Abend besuchte ich mit den
Brüdern einen ihrer Bekannten in Nürnberg, der ebenfalls aus einem Banater Dorf
stammte und in einem Hochhaus lebte. Es wurde ein gemütliches Beisammensein. So
vollzog sich während eines rustikalen Abendessens bei ungarischer Salami,
eingelegter Paprika und pappig süßem Rotwein, umgeben von Menschen aus der
alten Heimat, in kaum erst verflossene Reminiszenzen vertieft, der Eintritt in
die neue Gesellschaft. Allzu viele Details konnten wir nicht vertiefen. Doch
ließ mich der Umstand dieser schnellen Ausreise beider Sympathisanten auch für
alle anderen Zurückgebliebenen hoffen, speziell für Erwin, der noch als eine
Art Geisel festgehalten wurde, vielleicht auch als eine Versicherung der
rumänischen Machthaber, die mich dadurch von aufklärerischen Aktivitäten
abhalten wollten.
Rastatt - Freiheit und Revolution
Von Nürnberg aus reiste ich mit
der Bahn quer durch den Süden Deutschlands nach Rastatt, an jenen Ort, wo der
Kampf deutscher Patrioten für Freiheit
und Menschenrechte im Jahr 1849 als Badische Revolution bereits in die
Geschichte eingegangen war. Dort hat das Land Baden-Württemberg sein
provisorisches Aufnahmelager für Heimkehrer, Vertriebene und Flüchtlinge
eingerichtet, auch für mich. Die unerquickliche Nacht verbrachte ich in einer
Massenunterkunft in einem Raum zusammen mit drei frei gekauften Personen aus
der DDR. „Hast du Mal einen Zwanni für mich? Wir wollen ausgehen und haben noch
kein Begrüßungsgeld erhalten?“ sprach mich einer der beiden stark tätowierten
Burschen an, ein jovialer Rüpel, der nach langer Abstinenz gerade eine
turbulente Nacht mit der Freundin verlebt hatte. Man gab sich emanzipiert. Der
unfreiwillige Voyeur störte keinen. Die beiden ehemaligen Häftlinge schienen
ganz gewöhnliche Kriminelle zu sein. Sie hatten einige Jahre im Gelben Elend
zubringen müssen, bevor sie für einen stattlichen Betrag von der Bundesrepublik
freigekauft worden waren. Hunderttausend Deutsche Mark und mehr konnte der
Arbeiter- und Bauernstaat Honeckers für einen gewöhnlichen Strafgefangenen
erlösen, der aus der Sicht der Bundesrepublik Deutscher und immerhin ein Mensch
war. Der Betrag entsprach dem Zehnfachen dessen, was der geldgierige Ceauşescu
für einen Banater Schwaben oder einen Siebenbürger Sachsen erlöste - modern times, auch hier. Kannte ich
meine Pappenheimer? Der einzige wesentliche Unterschied zu den Straftätern aus
dem Temeschburger Knast bestand darin, dass diese hier deutsch redeten - und
ihnen die langen Mähnen und Schnurrbärte nicht wegrasiert worden waren. „Wie
stellt ihr euch das neue Leben in der Bundesrepublik vor, eure Zukunft?“ wollte
ich wissen, so von Knacki zu Knacki.
„Bundesrepublik?“höhnte der große
Blonde mit dem buschigen Schnauzer. „Hier haben wir keine großen Pläne. Wir
brauchen nur noch Papiere. Dann geht’s ab nach Djibuti!“
„Nach Djibuti?“ wunderte ich mich
und fragte ungläubig nach:„Nach Djibuti in die Wüste, im Golf? Was wollt ihr
denn in Djibuti?“
„Mäuse machen, richtig Mäuse
machen … Kohle machen … Asche machen!“ ereiferte sich der kleine Stämmige
künftige Freuden schon auskostend.
Asche? Kombinierte ich. War das
nicht ein Symbol der Reinigung, des Verfalls, des Nullpunkts. Christen
reinigten sich mit Asche an Aschermittwoch, als Erinnerung an Jesus! Asche, das
war doch jene Essenz, die zurücklieb, wenn das Feuer verbrannt und die letzte
Glut verglüht war; wenn die Liebe tot war und die Leidenschaft; ein Mittel, mit
dem Agni sich einbalsamierte, der Feuergott der Hindus - und sie war das
Element, aus dem Phönix, mein Lieblingsvogel, zu neuem Leben emporstieg!
Konsterniert blieb ich zurück. Das war wieder einmal eine Lehrstunde über die
Ambivalenz der Symbole - und über die Botschaft, die im Mythos liegt.
Geld, immer nur Geld - Mittel zur
Freiheit oder Voraussetzung zur
Versklavung? Die Werte rotierten wie die Wahrheiten. Geld. Auch das war eine
Motivation, in die Bundesrepublik einzureisen - oder, dies schien mir
wahrscheinlicher - nur aus der DDR auszureisen. Selbstverwirklichung über Geld?
Was gab es eigentlich in Djibuti,
was so verlockend klang? Erdöl, andere Kohlenstoffe, Diamanten? Exotische
Tiere, deren Schmuggel in den Westen so lukrativ war? Oder gar die französische
Fremdenlegion, die dort eine Basis unterhält? Die, nach formaler Läuterung,
alles Gesindel aufnimmt, das bereit ist, alle Brunnen zu vergiften und auf
Befehl jeden zu töten? Ich fand es nie heraus. Schließlich war es unwichtig.
Das Kohlemachen hatte für mich überhaupt keine Priorität.
Freiheit
für
Geld - wie tief konnte ein Mensch sinken oder eine Gesellschaft, die den Mammon
verabsolutierte? Der Tanz um das goldene Kalb - war er nicht schon einmal
schwer bestraft worden?
Die wenigen Tage in Rastatt waren
schnell verrauscht. Neben der Besichtigung der Schlossanlagen mit rascher
Rückbesinnung auf die Ideale der Freiheit
und der Badischen Revolution erledigte ich noch jene Behördengänge, die aus mir
in nur wenigen Tagen einen vollständigen
Bürger der Bundesrepublik Deutschland machen sollten.
Eltern und Bruder lebten
inzwischen im Remstal, genauer in Schorndorf, dem Geburtsort des genialen
Konstrukteurs Gottlieb Daimler. Dort sahen wird uns wieder, ohne viel Pathos.
Schorndorf blieb dann auch für einige Jahre parallel zu den Studienorten
Erlangen, Tübingen und Freiburg ein zweitheimatlicher Fixpunkt mit zahlreichen
freundschaftlichen Kontakten und kulturellen Aktivitäten. Kaum ein Jahr nach
ihrer Umsiedlung aus Sackelhausen zogen
meine Eltern für viele Jahre in das nahe, auch an der Rems gelegene Plüderhausen, das gleich neben Waldhausen liegt. Wie sich die Dinge fügten.
Von Hausen nach Hausen. Formal hatte sich fast nichts verändert. So schien es.
In kurzer Zeit neigte sich der Verwaltungskram,
der mehr und mehr meine neue Identität festigte und mir vermittelte, wer ich
eigentlich sein sollte, seinem Ende zu. Schon nach Tagen wurde mir ein Personalausweisausgehändigt; dann bekam
ich einen Reisepass gültig für alle
Staaten der Welt, eine Einbürgerungsurkunde;
einen lindgrünen Flüchtlingsausweis;
dann folgte die Anerkennung als
Heimkehrer, dank derer - in der Art einer ausgleichenden Gerechtigkeit für
die Haft - mir der anstehende Dienst an der Waffe erspart blieb; schließlich
die Anerkennung als ehemaliger
politischer Häftling. Für meine Haftzeit wurde mir eine stattlich
staatliche Entschädigung zugesprochen, eine Mark pro Tag - das ergab die stolze
Summe von 182 Mark. Dieser Betrag reichte gerade aus, um ihn gleich in ein so
genanntes Tramper-Ticket der Bundesbahn zu investieren, das mir die Möglichkeit
bot, bald darauf ausgiebig und weit durch die Bundesrepublik zu reisen und auch
Ecken zu erkunden, die ich sonst nie angesteuert hätte.
Einige Zeit später stockte die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge den
bescheidenen Betrag auf und bewilligte mir, dem Abiturienten und angehenden
Studenten, eine Eingliederungsbeihilfe von 2200 Mark, Mittel, die ich dankbar
annahm und auch gut zur Finanzierung weiterer Menschenrechtsaktivitäten
gebrauchen konnte. Nachdem ich alle Formalitäten erledigt und alle Dokumente in
einem Ordner verstaut hatte, war ich endlich ein vollwertiger Mensch und
Bürger, der in die Gesellschaft eintreten konnte. Jetzt konnte ich endlich auch
antreten, lange erstrebte Freiheiten zu genießen und das künftige Leben frei und sinnvoll zu gestalten, ganz
so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Eigentlich hatte ich mir viel
vorgenommen. Doch vor den egoistischen Interessen erwartete mich die Pflicht.
Einigen Leidensgefährten hatte ich gewisse Dinge versprochen - und diese
Zusagen gedachte ich auch zu halten.
Die eigentliche Aufgabe war noch
nicht abgeschlossen; sie ging weiter.
Ich war froh und dankbar, dass
alles so eindeutig war; und dass ich in meinem bisherigen Widerstand, klar
positioniert auf einer Seite stand, die mir die Richtige erschien - und nicht
im Zweifel und Selbstzweifel wie viele deutsche Widerstandskämpfer, wie Graf
Schenk von Stauffenberg, der sich vor seiner mutigen Tat zwischen Werten
entscheiden musste, zwischen Gehorsam und absoluter Loyalität und der von einer
Notwendigkeit diktierten Pflicht, handeln zu müssen. Welcher Patriotismus ging
vor? Den Führer am Leben zu lassen, wozu der Eid verpflichtete oder die
Pflicht, das Vaterland zu retten, indem er auch gegen eines der höchsten Gebote
des Christentums verstieß? Stauffenberg handelte; und er handelte nach immensen
Gewissenskonflikten - richtig! Mir war dieses Dilemma erspart geblieben. Dafür
war ich sehr dankbar.
Während manche linke Idealisten aus
meinem früheren Umfeld die offiziellen Linken bekämpfen mussten, die
Staatskommunisten, die im Gegensatz zu den Weltverbesserern bereits zu strammen
Rechten mutiert waren, war unser Widerstand einfacher einzuordnen, mit einem
klaren externen Feindbild wie bei Partisanen oder der Résistance.
Die Pflichtethik hatte mein
gesamtes bisheriges Handeln bestimmt. Das Erreichen des persönlichen Glücks war
nur ein erster Antrieb gewesen, ein Stimulans zum Hinauf. Der Weg selbst hatte
dann aber gezeigt, dass egomanisches oder egozentrisches Handeln nicht alles
ist - und dass ein utilitaristisches Glück, das Individuum und Welt miteinander
versöhnt, auch über die Pflicht erreicht werden kann. Manchmal wird aus Freiheit Pflicht. Manchmal aus Pflicht
auch Unfreiheit! Dagegen erkannte ich in meiner Freiheit ab jetzt die Chance, noch höher zu steigen und im
Überindividuellen, im Altruistischen der eigenen Existenz noch mehr Sinn zu
geben. Doch nicht als Pflicht gegenüber dem Staat - dem kältesten aller
Ungeheuer - sondern als Pflicht gegenüber dem Menschen. Das war meine Schlange,
die sich in den Schwanz biss; meine Ewige Wiederkehr des Gleichen - und
definitiv meine Versöhnung von Christentum und Philosophie.
In freiheitlicher
Mission - beim Sender Freies
Europa in München
Innerhalb einer Woche war das
Gröbste an Formalitäten erledigt. Jetzt begann der Alltag in einer neuen Welt,
der Alltag desehemaligen Dissidenten.
Während andere, einmal im Westen angelangt, unter ihren Aufruhr von gestern,
der nur ein Mittel zum Zweck war, einen Schlussstrich zogen, um sich künftig
eigenen Interessen zuzuwenden, machte ich noch eine Weile weiter, ein Weile,
aus der dann noch zehn Jahre wurden.
Über Stuttgart reiste ich
zunächst nach München, um beim Sender Radio Freies Europa anzuklopfen. Für den
Fall, dass ich dort Interviews zu geben beabsichtigte, hatte mir die Securitate
mit Vergeltung gedroht. Der lange Arm der Revolution werde mich auch in der
Bundesrepublik zu erreichen wissen, wie er bereits einige Mitarbeiter des
Senders und einzelne Exilintellektuelle erreicht hatte. Das Land werde es nicht
hinnehmen, öffentlich diffamiert zu werden. Man werde hart durchgreifen und die
zurückgelassenen Freunde zur Rechenschaft ziehen. Was sollte ich jetzt tun?
Ein Gewissenskonflikt bahnte sich
an. Sollte ich nun aus Furcht vor einem potentiellen Mordkommando wie der feige
Wolf im Märchen den Schwanz einziehen und mich memmenhaft verkriechen? Sollte
ich aus Rücksicht auf Freund Erwin und andere gute Bekannte aus meiner Jugend
schweigen und abwarten? Das entsprach nicht unserem bisherigen Handeln. Bisher
hatten wir uns nicht einschüchtern lassen und waren gut damit gefahren. Jetzt kam
es darauf an, diese Linie beizubehalten und konsequent weiterzumachen. Dabei
war mir bewusst, dass eine solche Haltung auch im Sinne des Streitgefährten
war. Auch Erwin, der noch in einer Art Geiselhaft für die Zeit eines weiteren
Jahres im Land gehalten wurde, musste daran interessiert sein, die Erinnerung
an die gerade erst unterdrückte freie
Bürgerbewegung wach zu halten, um dabei nicht wieder in lähmende Anonymität
zurück gedrängt zu werden.
Nachdem ich mich an der Pforte
des Senders, wo bald darauf eine Bombe hochgehen sollte, angemeldet und in
einem der Sessel im Empfangsbereich Platz genommen hatte, dauerte es nicht
lange, bis der Direktor der rumänischen Abteilung auf mich zukam und mir noch
etwas unsicher die Hand reichte: „Noel Bernard“, stellte er sich vor. Den
wohlklingenden Namen kannte ich seit Jahren. Ein Pseudonym? Vielleicht! Jetzt
stand ein kleines, schwaches Männchen vor mir mit brauner Gesichtsfarbe und
schwarzen Haaren. Er trug einen tiefblauen Anzug und zeigte eine nervöse
Grundhaltung, meinem Temperament nicht unähnlich. Vom Typus her erinnerte er
fern an den Barden Charles Aznavour und war vermutlich armenischer oder
kaukasischer Herkunft. Prometheus war dort an den Berg geschmiedet worden,
lange vor der Sowjetdiktatur. Doch dieser Titan des freien Wortes vor mir war
seit Jahren entfesselt und leistete der Freiheitgute
Dienste. Tabakgeruch drängte sich auf und vermittelte mir den Eindruck, mit
einen notorischen Kettenraucher konfrontiert zu sein, mit einem hypernervösen
Charakter, dessen Wesen die Hektik war.
„Wie ist die Versorgungslage im
Land?“ erkundigte sich der Programmchef spontan, hoffend, ich werde ihn mit
allerneuesten Nachrichten aus Temeschburg oder der Kapitale versorgen. Die
Frage überraschte mich etwas und ließ mich verlegen ausweichend reagieren. Was
hätte ich antworten sollen? Eine Katastrophe? Wartete er darauf?
„Ich weiß es nicht genau!“ gab
ich knapp zurück, ohne Lust zu heucheln: „In den letzten sechs Monaten saß ich
in einer Zelle und habe keine genaue Vorstellung davon, wohin die Gesellschaft
in dieser Zeit steuerte und wie sie sich entwickelt hat. Allerdings war
vielfach zu vernehmen, es würde täglich weiter bergab gehen. Selbst genuine
Rumänen hätten kaum noch Lust, bis zum Sanktnimmerleinstag in der Diktatur
auszuharren und auf positive Veränderungen zu hoffen. Ceauşescu, von dem die
Menschen sagen, er würde langsam verrückt werden, soll damit begonnen haben,
die immensen Auslandsschulden forciert zu tilgen, um sich auf diese Weise dem
Würgegriff und der Abhängigkeit westlicher Geldgeber zu entziehen.
Autarkiestreben nenne man das neuerdings, Emanzipation von Moskau und Abkehr
vom Westen. Man spricht aber auch von autistischer Selbstisolation und von progressivem
Wahnsinn!“
Damit bestätigte ich lediglich
Gewissheiten. Bernard saß an der Mündung der Informationsflut aus dem Land und
wusste genau, wohin die Reise ging. Ceauşescu wollte wirklich frei sein. Frei
wie Enver Hoxha, frei wie Kim, frei zum Gang auf dem Holzweg in die Sackgasse.
Während wir uns weiter über die
jüngsten oppositionellen Bestrebungen in Rumänien unterhielten und intern
überprüft wurde, wer ich überhaupt sei und ob ich glaubwürdig sei, kam ein
leitender Mitarbeiter des Senders hinzu, ein Redakteur, der mir namentlich als
Moderator eines Jugendmagazins bekannt war. Er stieg mit in eine Diskussion
ein, die zunehmend lebhafter und emotionaler wurde. Das Eis war inzwischen
gebrochen - und das gegenseitige Vertrauen da. Hier hatte ich es mit Vollblutjournalisten
zu tun, die ihren Beruf mit Leidenschaft und aus weltanschaulichen
Überzeugungen heraus ausübten. In ihrem Engagement war viel innere
Wahrhaftigkeit. Und weil dies so war, kam ihre Botschaft nicht nur bei mir an -
sie erreichte auch die nach objektiven Informationen dürstenden Menschen an den
Radiogeräten im Ostblock.
Nach einer guten Viertelstunde
beendeten wir das Vorgespräch indem wir uns darauf einigten, am folgenden Tag
zwei längere Interviews aufzunehmen. Das erste zum Thema Freie Gewerkschaften in Rumänien, speziell über die Abläufe der
SLOMR-Gründung in Temeschburg; das zweite über mein noch junges, aber schon
wechselreiches Leben im real existierenden Sozialismus rumänischer Prägung; speziell über das langsame Hineinschlittern
in oppositionelle Tätigkeiten und über das genuine Hineinwachsen in eine
Menschenrechtsbewegung, die inzwischen europäische Dimensionen anzunehmen
schien. Die Charta 77
tschechoslowakischer Intellektueller bestand immer noch -und in Polen regte
sich eine breit fundierte Gewerkschaftsbewegung, die, moralisch vom polnischen
Papst unterstützt, bald Millionen Menschen unter einem Ideal vereinen und unter
dem Namen Solidarnoscin die
Geschichte eingehen sollte. Vor diesem Hintergrund sollte ich in einer
Retrospektive zurückblenden.
Münchner Freiheit
Daraufhin verließ ich das
Sendergebäude und schlenderte dem Innenstadtbereich zu. Die späten
Nachmittagsstunden verbrachte ich dann wieder in der milden Herbstatmosphäre des
Englischen Gartens und genoss die Einsamkeit und Freiheit der vergehenden Natur inmitten der Großstadtgesellschaft.
Gegen Abend nahm ich jene Adresse ins Visier, die ich im Sender erhalten hatte
und wanderte vorbei an der Münchner
Freiheit zu einem kleinen Gasthof in Schwabing, wo der Sender seine Gäste
einzuquartieren pflegte. Dort aß ich eine Kleinigkeit und streckte mich dann
zufrieden auf einer bequemen Matratze aus, bereit in einen geruhsamen Schlaf zu
sinken.
Jetzt war ich in der Stadt an der
Isar, in der Stadt der Olympiade, wo unlängst erst Schüsse gefallen und Blut
geflossen war. Unterschiedlichste Assoziationen drängten sich auf; historische
Bilder, die weit zurückreichten, makabre Sequenzen mit revoltierenden Bauern-
und Soldatenräten mit einem dagegen putschierenden Obergefreiten und einem
bombenlegenden Attentäter Elser im Löwenbräukeller, der- als aufrichtiges Gewissen seiner Zeit- das falsch laufende Rad der
Geschichte zurückdrehen wollte! Nicht nur hohe Offiziere revoltierten gegen den
Tyrannen, sondern auch kleine Leute wie Elser: Brandauer verewigte ihn im Kino!
Und hier, im Herzen der Weltstadt
München, hatten in unbarmherziger Zeit die Geschwister
Scholl ihren Widerstand gelebt. Und die Stimme der Göttin Libertaserschallte hier auf diesen
Straßen und in den Räumen an der nahen Universität. Wie schwer es doch war, einige Augenblicke im Leben aufrecht zu gehen
und dem Gewissen folgend zu handeln? Was war von diesem Geist noch übrig?
Gab es Bekannte in dieser Stadt?
Menschen aus meiner Vergangenheit, sonstige Namen, Geistesgrößen, Personen, die
ich damals unmittelbar kontaktiert hätte? Ein alter Kumpel fiel mir ein, mit
dem ich einst in Temeschburg über die Münchner
Freiheit philosophiert hatte. Es war der alte Casanova, der unersättliche
Libertin, der wohl immer noch nach dem Ewig Weiblichen suchte, ohne es je zu
finden? Sollte ich jetzt nach seiner Nummer suchen und ihn anrufen? Er, der Bon
vivant, kannte die Stadt bestimmt schon gut, ihr Nachtleben, ihre Diskotheken?
Wäre das keine gute Gelegenheit, zusammen in Freiheit einmal richtig die
Sau heraus zu lassen, wie wir es doch immer vorhatten? So nach der barocken
Art Mozarts und seines ewig balzenden Don Giovanni, aus tiefster Seele und
Kehle die Worte herausschreiend:Viva, viva,
la liberta! Welche auch immer! Eine köstliche Verlockung!
Doch ich widerstand. Schließlich
sollte ich mit kühlem Kopf zum Interview antreten, nicht mit umnebelten Sinnen.
Über mich selbst amüsiert und über geheime Wünsche, versuchte ich
einzuschlafen. Als der Schlaf nach längerem Herumwälzen trotzdem nicht
einsetzen wollte, blickte ich mich um und erspähte ein kleines Radio, das
unauffällig in einer Ecke stand. Es war ein altes Modell, nicht viel größer als
der legendäre Volksempfänger, der in den letzten Tagen des Krieges - an den
Durchhalteparolen eines Goebbels vorbei - oft nur noch zum Hören von
Feindsendungen eingesetzt worden war, obwohl dies mit der Todesstrafe geahndet
werden konnte.
Dann schaltete ich das Radio ein
und drehte vorsichtig am Drehknopf herum, so lange bis endlich einige klare
Klaviertöne an mein Ohr drangen. Es klang nach Chopin oder Debussy, was ich da
aufschnappte. Nach dem Verklingen der unbekannten Komposition wurde eine
Echtübertragung aus dem Münchner Gasteig angekündigt. Bruckners Achte stand auf
dem Programm - die Apokalyptische. Eine symphonische Rarität, die ich noch nie
gehört hatte. Und am Pult, welch ein Zufall - ein Meister aus Rumänien: Sergiu
Celibidache, der Philosoph unter den Dirigenten der Neuzeit.
Er war der Geist, der in der
Nachfolge seines Lehrers Furtwängler und in der Tradition Husserls, das
innerste Wesen der Musik ergründen und die Substanz selbst aus der wahren Musik
herausholen wollte. Bruckners Achte bot ihm das Medium dazu. Kaum wagte ich es
noch zu atmen. Die mir bekannte Fünfte, die Romantische, ließ mich Großes
erwarten. Neugierig gespannt, dann immer gelöster, doch von innerer Erregung
erfüllt, ergab ich mich dem symphonischen Fluss, der immer mächtiger, tiefer
und dunkler wurde und ewig anzuhalten schien, über eine Stunde hinaus. Entrückt
vernahm ich eine Symphonie, wie ich sie noch nie gehört hatte. Mahler hatte
mich stark beeindruckt. Doch dies ging darüber hinaus. Irgendwann, als sie
verklungen und nur noch ein stiller Nachhall im Ohr fortwirkte, schlief ich
besänftigt ein.
Ein Lockruf des Goldes
Nach einer ruhigen, traumlosen
Nacht und einem mageren Frühstück in der Schwabinger Pension machte ich mich
wieder auf den Weg quer durch den Englischen Garten, zum Sender. Dort traf ich
den Redakteur und Moderator wieder, den Noel Bernard mir vorgestellt hatte. Er
hieß ganz zufällig und vielleicht symptomatisch für sein bayrisches Umland Max.
Wir begaben uns in das
Aufnahmestudio, in einen kleinen sterilen Raum, in dem es nichts weiter gab als
ein Tischchen, zwei Stühle und ein Mikrophon. Die Technik war jenseits des
Fensters untergebracht. In dieser unerquicklichen Atmosphäre, von der ein
ferner Hörer nichts ahnt, sollte ich nun enthemmt über mein Leben reden, über
die Erfahrungen, die ich gemacht hatte, unmittelbar und frei. Gleich stiegen
wir in die Diskussion ein, nachdem Max Bănuş mich in einer Vorrede seinem
Publikum vorgestellt und darauf verwiesen hatte, dass ich als noch relativ
junger Angehöriger der deutschen Minderheit in Rumänien kaum
Rumänisch-Unterricht gehabt hätte und aus diesen Gründen das Rumänische nicht
umfassend beherrsche. Dann ging er zügig und professionell zur Sache über. Max
fragte geschickt und lenkte das Gespräch so, dass alle Essenzen gut
verständlich einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurden. Die Interviews,
die noch vor dem Senden bearbeitet wurden, zogen sich einige Stunden hin.
Schließlich waren wirklich alle Entwicklungsstationen ausgeleuchtet und alles
Wichtige gesagt. Erleichtert atmete ich auf.
Nach der erledigten Arbeit
setzten wir uns in der Kantine des Hauses noch einmal zusammen, aßen etwas und
sprachen über verschiedene Themen, auch über künftige Dinge. In diesem Kontext
machte mir Max ein Angebot: „Das war eine schöne Story“, summierte er jovial.
„Wenn du das willst, können wir noch viel mehr daraus machen!“
Etwas verblüfft horchte ich auf.
Noch bevor ich seine unbestimmten Perspektiven ergründen konnte, fuhr er fort:
„Es wäre denkbar, aus deiner nicht alltäglichen Vita eine Serie zu machen, die
wir dann über Wochen verteilt ausstrahlen wie die Sendung Thesen und Antithesen aus Paris, gestaltet und betreut von dem, dir
sicher bekannten Kritikerpaar Monica
Lovinescu und Virgil Ierunca. Wir könnten aus jedem Kapitel deiner
Biographie eigene Folgen machen, die junge Menschen im Land ansprechen. Wir
könnten dann den Sachen tiefer, differenzierter auf den Grund gehen, so dass
auch einfachere Menschen die regimekritischen Aktivitäten im Land verstehen“,
spekulierte er mit unverkennbarer Begeisterung. Als ihm aber auffiel, dass ich
weder mit spontaner Zustimmung reagierte und auch sonst nicht besonders
enthusiastisch dreinblickte, sondern mich eher nachdenklich reserviert
verhielt, ohne rechte Lust, das Angebot aufzugreifen, warf er noch einen Köder
aus, indem er fast überschwänglich ausrief: „Bedenke, du sitzt hier auf einem
Sack voller Geld. Du brauchst nur zuzugreifen! Wenn wir das Projekt gemeinsam
durchziehen, kannst du dabei eine Menge Geld verdienen, richtiges Geld, das du
bei deinen kommenden Studien sicher gut gebrauchen kannst!“
Geld!? Viel Geld!? Das klang
nicht schlecht. Eine sanfte Versuchung kroch hoch mit dem unbestimmten Klang
des Goldes. Doch hinter diesem Lockruf erkannte ich intuitiv, von menschlicher
Sympathie und humanistischer Absicht kaschiert, die nicht ganz reine Stimme
eines Kalten Kriegers. Die Ost-West Konfrontation tobte immer noch. Wir lebten
in der Breshnew-Ära, noch Jahre vor Reagans Machtübernahme. Der Einmarsch der
Sowjets in Afghanistan stand noch bevor. Das State Departement der Vereinigten
Staaten arbeitete an der moralischen Destabilisierung des Ostens. Und Radio Freies Europawar ein ausgewähltes
Mittel dazu.
Nur wollte ich kein zusätzliches
Mittel sein - und lehnte deshalb ab. Ein Hauch von Käuflichkeit lag in der Luft
- nicht viel anders als bei den Kommunisten, die konzessionsfreudigeren
Mitmenschen auch die Möglichkeit zur Karriereerfüllung boten. Mir reichten
vorerst die beiden Interviews, in denen ich ganz neutral dargelegt hatte, was
sich ereignet hatte; in denen ich unmissverständlich, fern von jeder
ideologisch motivierten Hetze, jenes gesagt hatte, was gesagt werden musste. Instrumentalisiert werden wollte ich
nicht. Und billig hetzen wollte ich schon gar nicht. Denn Hetze, das lehrte die
Geschichte, schuf immer und überall auf der Welt nur Hass, Destruktivität,
Zwist und Krieg.
Auch war nicht die Person
Ceauşescus mein deklarierter Gegner, gegen den andere polemisierten. Mein
Gegner war das kommunistische System selbst, das doktrinär, dogmatisch und
menschenverachtend war. Falschen Werten hatte ich den Kampf angesagt, der
Pseudomoral und der Heuchelei, jener unausrottbaren Pest, die von vielen
Bürgern mitgetragen wurde, in Ost und West. Dort sah ich die Wurzel des Übels,
nicht in einer lächerlichen Führerfigur, die nicht anders funktionierte als die
Marionette des Puppenspielers. Der Puppenspieler aber - das war eine Mehrzahl:
Der Apparat, die Nomenklatur und die vielen Profiteure des Regimes.
Meine Interviews wurden in den
kommenden Jahren mehrfach ausgestrahlt und erreichten Millionen Menschen hinter
dem Eisernen Vorhang, auch die Securitate. Anscheinend wurde meine Geste
verstanden. Die Securitate schickte kein Mordkommando. Als ich nach den
Gesprächen im Studio wieder durch den Englischen Garten streifte und noch
einmal über alles nachdachte, war ich heilfroh dem Lockruf des Goldes
widerstanden zu haben. Damit hatte ich mich einer Instrumentalisierung entzogen
und meine Freiheit, die mir über
alles ging, gewahrt. Jetzt hatte ich immerhin ein paar hundert Mark in der
Tasche, mein Honorar für die Mitwirkung: das erste, selbst verdiente Geld im
Westen. Also beschloss ich, es gleich gut anzulegen, fuhr zum Münchner
Hauptbahnhof und kaufte mir dafür eine Fahrkarte nach Paris.
Ein Deutscher in
Paris - Impressionen und Expressionen
Als es mich erstmals mit Macht
nach Frankreich hinüber zog, in das Land, wo mir Freiheit und Menschenwürde fester verankert schienen als sonst wo
in Europa, in das Land, wo die intellektuelle Streitkultur noch blühte, wo
Dichter, Schriftsteller, Philosophen, ja selbst Köche immer noch mehr gelten
als Manager, fielen kaum noch Blätter von den Bäumen. Paris, der Nabel der
Welt, lag in dichtem Bodennebel versunken, als ich an einem Abend im November
im Ostbahnhof einlief.
Es war nass und kalt. Drei Tage
standen mir zur Verfügung, um das Mekka der Rumänen zu erkunden und nebenbei
einige Dinge zu erledigen, die wichtiger waren als das touristische Programm.
Mein Hotel, Teil des mitgebuchten Städtetourenprogramms und deshalb auch ohne
mein Zutun ausgesucht, lag gerade richtig, am berüchtigten Place Pigalle; also
in einer Gegend, wo sich nicht nur gelangweilte, prüde Lords, sondern auch
kreative Geister wie Toulouse-Lautrec wohlgefühlt hatten. Als ich das einfache
Zimmer betrat, dessen übel riechender Teppichboden seit Jahrzehnten nicht mehr
erneuert worden war, fiel mir eine Sanitäreinrichtung auf, die ich noch nie
gesehen hatte. Ein Bidet! Sekundenlang rätselte ich über den Sinn dieser
sonderbaren Einrichtung mitten im Zimmer. Schließlich dämmerte es. Flüchtig sah
ich mich um, inspizierte das richtige Bad und ließ mich mehr vergnügt als müde
in das breite Franzosenbett fallen. Allein. Erst in der kleinen Dachkammer in
München und jetzt dieser Spelunke in Paris. Da war ich also, am Born der Lust,
allein auf einer ausgeleierten Matratze - und draußen vor der Tür pulsierte das
blühende Leben. Langsam versank ich in einer Mulde. Die Wirbelsäule überdehnte
sich, während die Stahlfedern schmerzhaft ins Kreuz drangen und den Ischiasnerv
aus dem Schlummer kitzelten. Erinnerungen an den Komfort im Knast wurden wach,
an die stinkenden Strohmatratzen dort und an das ewige Kreuz mit dem Kreuz.
Auch das modrige Heim hier war kein Hilton.
Ohne weiter zu grübeln, verließ
ich das Touristenhotel der Zwei-Sterne-Kategorie und trat hinaus auf die
Straße. Inzwischen war es dunkel geworden. Doch die hellen Lichter mit den
schrillen Werbebotschaften erleuchteten den Weg taghell. Während ich mich ein
paar Meter durch die urbane Landschaft bewegte, ohne es zu wissen auf das
Moulin Rouge zu, wurde ich immer wieder von Türstehern angesprochen; in
Wortfetzen aus Deutsch und Englisch, die um einige wenige Begriffe kreisten.
Die schon sprichwörtlichen Freuden des kleinen Mannes schienen auch hier hoch
im Kurs zustehen - doch weniger die kulinarischen, vielmehr die Fleischeslust
des Mannes. Einige Werber zerrten an mir herum und versuchten, nachdem ihre
Überredungskünste nicht fruchteten, mich mit sanfter Gewalt in einen der
Freudentempel zu ziehen, um mir dort die besonderen Reize und die
Annehmlichkeiten von Paris vorzuführen. Aus den Türen dröhnte Cancan-Musik … Schöne Nacht, du Liebesnacht …Was war
aus Jacques Offenbach geworden? Was aus der Quadrille? Und was aus mir, dem
ehemaligen Widerständler, dem moralisierenden Wolf aus der Fabel? Ein Amerikaner aus dem Banat in Paris? Zumindest die Stimmung
stimmte. Kaum da - und schon mittendrin! Das Ewig Weibliche als trivialer
Widerschein? Wieder widerstand ich heroisch wie ein Tamino auf dem Pfad der
Prüfungen. Nachdem schon der Lockruf des Goldes verhallt war, trotzte ich auch
der zweiten Versuchung. Die freie Welt hatte wohl ihre Tücken und feine
Verführungen, die Trieb und Willen in einen schweren Konflikt brachten. Die
Zeit des Neuen war übermächtig. Aber noch dominanter war die Abneigung,
Liebesdienste zu erkaufen. Offensichtlich wurde hier alles feilgeboten, was
Geld einbrachte, auch menschliche Köper wie auf einem antiken Sklavenmarkt.
Nach diesem ersten kleinen Kulturschock, der mir schnell verdeutlichte, dass es
zumindest in dieser Gegend von Paris nichts zu erobern, nichts zu verführen und
auch nichts zu lieben gab, suchte ich ein paar Straßen weiter eine ruhigere
Gegend auf, wo ich wenigstens die Gaumenfreuden ausleben und einen genüsslichen
Abendimbiss einnehmen konnte. Schließlich war ich im Land der
Spitzengastronomie angekommen.
Was wusste ich überhaupt von
Paris? Nicht viel mehr als das, was im Französisch-Lehrbuch zu erfahren war.
Nicht viel mehr, als ich vom Mond und den Planeten unseres Sonnensystems
wusste. Da war die Ile de la Cité, das Herz von Paris, mit der ehrwürdigen
Notre Dame, der Louvre, die Sorbonne … Einiges davon wollte ich am nächsten Tag
in Angriff nehmen. Das schien möglich. Denn Paris ist eine systematische Stadt,
in der man sich kaum verirren kann. Die Untergrundbahn bringt einen schnell und
zuverlässig überall hin.
Gleich nach dem spartanischen
Frühstück im Hotel, das eher den Appetit stimulierte als zu sättigen, machte
ich mich ans Telefonieren, das in dieser Metropole nicht viel einfacher war als
in Bukarest. Die meisten öffentlichen Telefonkabinen waren beschädigt und
verschlangen nur Münzen ohne Gegenleistung. Irgendwann klappte es dann doch
noch, und ich erreichte die Gattin des Historikers und Menschenrechtsaktivisten
Berindei. Spontan lud sie mich zum Abendessen ein. Am gleichen Abend gegen
sechs Uhr sollte ich mich in ihrer Wohnung einfinden und berichten. Der
Zeitpunkt kam mir sehr entgegen, denn Paris wartete.
An irgendeiner Ecke mit dem
Metro-Symbol stieg ich hinab in die modernen Katakomben der Großstadt und ließ
mich in das mondäne Zentrum fahren. Alles, was ich dort zu sehen bekommen
sollte, war mir willkommen. Neugierig kletterte ich die vielen Treppen hoch und
sah mich um wie ein Erdmännchen, das aus dem Bau schaut und nicht viel anders
als jeder Tourist auch, der zum ersten Mal die französische Hauptstadt
erkundet. Paris! Das klang wie Elysium! Und was entdeckten meine Augen?
Markante Punkte überall, alles dicht geballt aufeinander wie in einem
amerikanischen Vergnügungspark! Da war der Triumphbogen, ein Koloss aus Stein,
der an die Siege eines großen Kaisers erinnerte, fast so beeindruckend wie der
echte in Orange, doch immer noch imposanter als die etwas forcierte Kopie in
Bukarest! Der Platz war nach Charles de Gaulle benannt, nach dem General, der
aus dem Widerstand des englischen
Exils heraus sein Land befreit und es als großer Präsident in eine lichte
Zukunft geführt hatte. Unweit dann ein anderer Koloss, ein Gigant aus Stahl,
das Wahrzeichen von Paris, der Eiffel-Turm. Ja, das hier war Mekka vorzuziehen,
wenigstens für ein paar Tage. Mittendrin, am Nabel der Welt, verharrte ich im
stillen Staunen, beeindruckt von der gewaltigen, lange so unerreichbar fernen
Kulisse, deren unscheinbarer Teil ich jetzt war. Plötzlich schien das
Unerfüllbare mit den Händen greifbar. Nur die Sehnsucht war dahin, wo sie sich
gerade erfüllte.
Paris war ein Universum, das noch
erschlossen werden musste. Wohin zuerst? Unschlüssig, ohne genaues Ziel und
Zeitvorstellung, spontanen Impressionen, Gefühlen und Gedanken überlasen,
folgte ich der Avenue des Champs Ellysee in Richtung Concorde und Tuilerien.
Alles war sowieso nicht zu erfassen. Ein erster Eindruck musste genügen. Dort
ragte der Obelisk in die Symmetrie, den die einst Franzosen aus Ägypten
mitgebracht hatten, einfach so, als Andenken an eine vieltausend Jahre alte
Kultur und als unangenehme Erinnerung an ein militärisches Debakel, das noch
als Erfolg verkauft worden war. Napoleon, dessen Überreste im Invalidendom
warteten, war nicht nur ein geschulter Psychologe, sondern auch ein schlauer
Stratege nach innen, wohl wissend dass Kriege und Eroberungszüge nicht nur auf
dem Schlachtfeld gewonnen werden.
Aus allem leuchtete die Historie hervor,
die große Geschichte einer wahrhaftig Großen Nation verknüpft mit dem Los der
Welt. En passant fiel mir das pulsierende Leben der Stadt auf, das Treiben …
Die selbst im Herbst noch gut besuchten Kaffeehäuser, die faszinierende
Symmetrie der Ordnung, die Größe und Weite der einzigartigen Prachtstraße, in
der kaum Normalsterbliche wohnten. Neben dem einzigen Wolkenkratzer in der
sonst recht flach gehaltenen Hauptstadt hielt ich inne und suchte im Stadtplan
kramend verkrampft nach dem Tour Montparnasse, der hier irgendwo sein musste
und den ich nirgendwo erspähen konnte. Nirgends war ein alter Geschlechterturm
zu sehn, wie man ihn aus Bologna oder aus dem toskanischen San Gimignano kennt.
„Wo finde ich den Tour
Montparnasse?“ fragte ich leicht entnervt einen Passanten.
„Hier, hier gleich neben Ihnen
Monsieur“, gab der Herr leicht irritiert zurück. Penibel! Peinlich! Bei soviel
Wald sah ich den Mammutbaum nicht mehr, den die schiere Größe verhüllte.
Drohte nicht auch das Individuum
in der Menge unterzugehen wie die Einzigartigkeit des Einzelnen in der
Anonymität der amorphen Masse der Allgemeinheit? Assoziatives Denken -
assoziatives Schreiben! Hier konnte ich beides einüben. Und alles zur Methode erheben,
zum Stil des neuen Homme des lettres lange nach Diderot und Voltaire!
Tanzender Korybant - oder: Blick vom Turm und
Gang durch die Stadt
Der Turm, nach dem ich suchte,
war kein historisches Bauwerk, kein babylonischer Prestigebau rivalisierender
Familien, kein Speckturm und kein Denkturm, sondern ein profanes Bürohochhaus
aus Glas und Stahl mit Aussichtsplattform, der einzige Wolkenkratzer weit und
breit. Der Empfehlung des Franzosen folgend, fuhr ich mit dem rasenden
Fahrstuhl zum Restaurant in der fünfzigsten Etage hoch und blickte eine teure
Tasse Espresso zu den Lippen führend von einsamer Höhe aus über die Weiten der
Hauptstadt - bis hinaus in die tristen Vororte und nach Versailles, bemüht als
leidenschaftlicher Gipfelstürmer mehr von den Himmelskonturen sehen zu wollen
als andere Erkenntnisjäger. Dann ging es zum ehernen Turm zurück, der dem Zahn
der Zeit und dem Rost trotzte, um von geringer Höhe aus das unmittelbare
Zentrum zu erkunden.
Von oben sieht die Welt immer
anders aus. Mit der Perspektive verschieben sich auch manche Wichtigkeiten und
Wahrheiten bis auf wenige, die konstant bleiben. Einst hatte ich vom Misthaufen
aus in die Welt geblickt; jetzt stand ich auf anderer Warte. Große Geschichte
war hier in Paris abgerollt - freiheitliche und totalitäre Geschichte, gerade
erst in jüngster Zeit. Ein Amerikaner, ein Befreier, konnte hier,
Gershwin-Klänge im Ohr, unbeschwert die Leichtigkeit des Seins genießen,
flanierend das Paris der Schönheit und der Liebe erleben. Als Deutscher
hingegen - und ich kam auch als Deutscher - konnte man die jüngste Geschichte
nicht ignorieren. Hier stand einst Hitler, dämonisch im Morgengrauen- ein
Triumphator am Triumphbogen und die Große Nation im Staub, nach einem
Blitzkrieg, der heute noch das nationale Bewusstsein erschüttert und einer viel
zu schnellen Kapitulation!
Die Bilder eines tanzenden
Diktators drängten sich mir auf, eines gutgelaunten Verbrechers, der einen
großen Coup gelandet und der in seinem Krieg Revanche genommen hatte für
Versailles, indem er die Grand Nation, den alten Erbfeind, erneut demütigte,
wie schon der eiserne Bismarck 1871 vor ihm. Vor mir tanzte ein vergnügter
Korybant im ekstatischen Triumph, im Rausch und in einer Verblendung, die 55
Millionen Menschenleben kostete, was der gesamten französischen Bevölkerung
entsprach! Ein teuflischer Wahnsinn! Von Menschenungeist umgesetzt.
Hinter dem flüchtigen Triumph
erkannte ich aber auch ein Gewissen, das aufrichtige Gewissen eines deutschen
Soldaten der Wehrmacht, der sich dem Früher widersetzte. Klar sah ich den
Stadtkommandanten von Paris, einen Menschen von Bildung und Kultur, der aus
einem humanistischen Ethos heraus sich beharrlich weigerte, einem
verbrecherischen Führerbefehl folgend dies alles, was ich jetzt sah, diese
architektonische Pracht und diese von menschlicher Hand geschaffene Schönheit,
im Augenblick eines sinnlosen Endkampfes in Schutt und Asche zu legen! Anstand
und Niedertracht, Gut und Böse, liegen immer dicht beieinander. Das schlechte
Gewissen regte sich, obwohl ich, der historisch von Anfang an Determinierte,
eine weiße Weste hatte. Denn ich war als Deutscher hier, dem Volk der Dichter
und Denker entstammend, nicht jenem der Richter und Henker! Was war mit Sühne?
Mit Verständigung?
Enttäuscht vom Verlauf der
Geschichte, die oft das Edle opfert, um das Böse zu belohnen, ging ich hinab
zum Fluss, der ruhig dahin floss, und promenierte eine Weile am Seineufer
entlang, die originellen Brücken im Blickfeld. Unmut und Groll verflogen erst
wieder, als ich das Farbenmeer sah, das die Kunstmaler der grauer werdenden
Natur entgegenstellten. Das künstlerische Subjekt kann der determinierenden
Faktoren von Geschichte, Gesellschaft und Umwelt seine produktive
Schaffenskraft entgegensetzen und Kunstwerke schaffen, die ein Eigenleben
führen; in der Malerei, in der Musik und in der Poesie. Wie viele Dichter waren
hier entlang gewandelt in stille Versenkungen vertieft? Gelegentlich hielt ich
an und betrachtete einige jener Werke, die aufstrebende Künstler aus aller Welt
den noch spärlich vertretenen Touristen zum Kauf anboten. Es folgte, die
Schubert-Vertonung der Heineschen Grenadiere im Sinn, der fast schon
obligatorische Gang zum Invalidendom, wo die Gebeine eines großen Kaisers ruhten.
Auch der große Kaiser hatte viel
Blut vergossen; doch noch nach Clausewitzschem Muster in konventionellen
Kriegen, Mann gegen Mann mit aufgepflanztem Bajonett und zumeist dem hehren
Geist verpflichtet, geleitet von fortschrittlichen Ideen zum Wohl der
Menschheit.
Viel Neues hatte er geschaffen
und Besseres, nicht nur für Frankreich. Geeint hatte er und versöhnt - wie der
große Tonsetzer vom Rhein, der ihn verehrte. Auch im Deutschen Reich. Bayern,
heute ein Freistaat, und der liberale Südweststaat Baden-Württemberg verdanken
ihm ihre gegenwärtige Struktur. Als Imperialist und gesunder Patriot zugleich
hatte er Frankreich groß gemacht und wichtig. Und er hatte der Welt den Code Napoleongeschenkt, der ihm
wertvoller war und wichtiger als alle seine siegreichen Schlachten.
Die Geschichte ließ mich nicht
los. Zwar lief ich äußerlich wie ein Tourist durch die Stadt; innerlich jedoch
dachte ich funktional und nahm vieles mit dem Kopf eines osteuropäischen Dissidenten deutscher Herkunft wahr, dessen Denken
sich an der jüngsten Geschichte und an gesellschaftlichen Ereignissen neuester
Zeit ausgerichtete, also aus einer sehr spezifischen Perspektive.
Große Geschichte pulsierte hier
überall. Wo ich jetzt stand, fiel einst die Bastille. Von hier aus brachen
Robespierre, Danton und St. Juste und unzählige andere Revolutionäre zu neuen
Ufern auf, einem Rousseau, ja selbst einem Voltaire folgend, um die Menschheit
zu befreien und Menschenrechte für alle zu implementieren. Hier sprudelte sie
kräftiger und frischer als anderswo, die Quelle der Freiheit! Und wenn ich
immer schon zurück wollte, als Fisch im Wasser gegen den Strom schwimmend, dann
wollte ich nicht nur zu den physischen Wurzeln zurück, sondern zurück zum
wahren Ursprung, zur geistigen Quelle, zur Liberté!
Doch hatte ich den jungen
Häftlingen in der Zelle nicht einst etwas versprochen? Jetzt schritt ich in der
Tat die Champs Ellysee entlang … Durch die Gärten von Paris. Und sie hockten
immer noch in den engen Gefängniszellen einer Diktatur! Wenig stimulierende Reminiszenzen
lenkten mich wieder ab vom Schönen Schein und riefen mich zurück in die
Pflicht. Eigentlich hatte ich hier eine Aufgabe zu erfüllen.
Die verbliebene Zeit bis zum
Abendessen verbrachte ich im Herzland von Paris, im Quartier Latin. Die
Sorbonne war leergefegt wie das Pantheon und der Jardin du Luxembourg, in
dessen Alleen die Melancholie des Herbstes bereits Einzug gehalten hatte. Dies
war die falsche Jahreszeit, um Paris zu erleben. Es nieselte wieder. Im weiten
Park war ich fast allein. Und in mir war die Unruhe des gehetzten Japaners auf
Europareise. Das meiste, was ich noch gerne gesehen hätte, schien zunächst
unerreichbar. Ein halber Tag war verstrichen - und ich hatte bereits alles
erlebt - und zugleich nichts. Doch ein Eindruck musste vorerst genügen. Während
ich durch den Lustgarten schritt, wo die anständigen Bürger von Paris bei
schönerem Wetter ihren Sonntagsspaziergang absolvieren, die Reste der
sterbenden Natur beobachtend, kamen mir jene Ziele in den Sinn, die ich gerne
angegangen wäre, wenn ich länger hätte verweilen dürfen. Irgendwo auf dem
Friedhof Montmartre lag Heine begraben, einer meiner Lieblingsdichter; eine
Kämpfernatur und ein unermüdlicher Verfechter der Freiheit und hoher Ideale. Ein letzter Gruß auf für ihn? Eine
Sentimentalität am Rande? Und Oscar Wilde ruhte in der Erde von Pére Lachaise
neben vielen Berühmtheiten, neben Bizet und Berlioz, neben Chopin und Edith
Piaf.
Unweit von hier waren Plastiken
von Rodin ausgestellt, der hier modellierte, während sein Sekretär Rilke im
Jardin des Plantes amPanther feilte.
Die Franzosen hatten dort irgendwo auch eine Kopie der Freiheitsstatue aufgestellt, jenes Symbols, das ihre Vorväter den
im Freiheitskampf liegenden Amerikanern geschenkt hatten. Symbole und markante
Zeichen überall - von Schutt und Asche bedroht auch heute. Was wurde aus dem
Vermächtnis der Menschheit, wenn es doch noch krachte, wenn der Atomschlag kam,
einfach so - wie ein Blitz aus heiterem Himmel, nur weil Wildgänse wie
Flugzeuge übern Nordpol flogen?
Tausend Kunstwerke aller Epochen
der Malerei warteten hinter den Mauern des Louvre. Und im Jeu de Paume warteten
die Impressionisten und Expressionisten, Renoir und Vincent van Gogh, jeder
Maler ein Universum! Wohin sollte ich mich noch wenden in der kurzen Zeit? Paris
war eine Welt für sich. Ein Leben reicht nicht aus, um alles zu erkunden.
Gershwin war weit. Und auch Kultur und Kunstgenuss mussten warten.
In Gedanken … an Beckett,
an das Rumänische Dreigestirn … und an ein Heidegger-Wort
Die Pflicht trieb mich wieder an
und der Gedanke, von hier aus noch einiges bewegen zu können. Zunächst galt es,
mit jenen Charakteren Kontakt aufnehmen, die sich um uns gekümmert hatten, als
wir, fast vergessen, exponiert und ausgeliefert in der engen Zelle saßen; die,
unbeeindruckt durch die rüde Securitate, sich in Temeschburg nach uns erkundigt
hatten; und die all das, was sie im Gespräch mit unseren Freunden vor Ort
erfuhren, in unzähligen Artikeln in der französischen Tagespresse
veröffentlichten.
Spätnachmittags gegen sechs Uhr
stieg ich wieder hinab in die modernen Katakomben von Paris, boxte mich durch
die Menschenmengen und bestieg eine Metro zum Place D’Italie, in dessen Nähe
der Historiker wohnte. Die Untergrundbahn ratterte los. Ein merkwürdiger
Gestank stieg mir in die Nase. Es roch nach verbranntem Gummi. In den Ohren
zischten die Bremsen. An eine Stange geklammert, inmitten von Menschen aus
allen Ländern der Erde, bunt durcheinandergemischt wie im Sitzungssaal der
Vereinten Nationen, studierte ich mein Umfeld. Es erinnerte daran, dass
Frankreich einst eine bedeutende Kolonialmacht war. Das Erbe kolonialer
Ambitionen stand um mich herum: Menschen aller Rassen und Hauptfarbe mitten im
Existenzkampf auf der Suche nach einem Dach und einem Baguette; Maghrebinier
aus Marokko, aus Algerien und Tunesien, Menschen aus dem Herzen Afrikas,
Vietnamesen und bestimmt auch Rumänen, die weder durch ihre Hautfarbe, noch
durch ihr Aussehen im zivilisierten Westen auffielen. Securitate-Schergen
sollen in der Fremdenlegion untergekommen sein, sagte man. Wer erkannte schon Legionäre, wenn sie kein weißes Käppi,
kein Nackentuch und keine sandbraune Uniform trugen?!
Die Menschheit wuchs zusammen, in
einem Staat, in einer Nation. Doch meine Gedanken entschwirrten, umkreisten
vertraute Namen und richteten sich auf Personen, die ich bald kennen lernen
sollte. Irgendwo weit über mir in einem Appartement verschanzte sich Ionesco
hinter dem Schreibtisch, ein ängstlicher alter Mann, der humoreske Literatur
fabrizierte. Vielleicht brütete er, inzwischen zur Melancholie neigend, gerade
über seinem Alterswerk, dem Roman Le
solitaire, das Werk eines Vereinsamten, das mir erst später in die Hände
fallen sollte. Auch die Tagebücher aus dieser Zeit bezeugen sein einsames
Ringen um Geist und Kunst als Kampf des oft Unverstanden - tragisch auch dies.
Und der andere Protagonist des
Absurden, Samuel Beckett, der Ire, der vergessen hatte, seinen Nobelpreis
abzuholen, lebte auch noch, ebenfalls irgendwo hier in Paris, nur noch
zurückgezogener als der Rumäne!?
Gab
es nur noch Misanthropen? So erweckte es den Anschein! Denn in einer
anderen Spelunke in der Rue de l’ Odeon meditierte Cioran über die missratene Schöpfung, über die Gipfel der Verzweiflung und über den Nachteil, geboren zu sein.Existentieller
Ekel und Weltskepsis an einem Ort der Hoffnung? Der Nihilismus machte sich
breit, auch nach Nietzsche und Heidegger und zog manchen Denker in seinen Bann
- auch Cioran! Einiges von ihm hatte ich angelesen. Sein an Montaigne
geschulter aphoristischer Stil lag mir. Und ich las ihn in der Verlängerung
Schopenhauers und eben Nietzsches, in Auseinandersetzung mit den beiden und mit
dem europäischen und fernöstlichen Nihilismus, fasziniert von der Aussage des
Augenblicks und der unsystematischen Haltung, die ihn mit Nietzsche verbindet.
Inzwischen pilgerten einige
Freunde des Geistes zu ihm hoch, auch aus Deutschland, wie einst, lange vor dem
letzten Krieg, andere in die Bukarester Mansarde des jungen Eliade gepilgert
waren. Der Dichter und philosophische Schriftsteller Dieter Schlesak hat
einiges aus seinen Dialogen mit Cioran festgehalten und aufgezeichnet, darunter
vieles, was mich selbst bewegte.
Hätte nun auch ich die Treppen zu
ihm hinaufsteigen sollen? Aus Eitelkeit vielleicht, um mich an dem bekannten
Namen hinauf zu ranken wie der Efeu an dem Wirt, um mich selbst aufzuwerten
über fremdes Licht und fremden Schein als angehender Philosoph aus Rumänien?
Worüber hätten wir überhaupt geredet? Der uneinholbare Meister der Skepsis im
ungleichen Dialog mit einem ungelehrigen Schüler, der nicht an allem zu
zweifeln bereit war, weil er nicht an allem zweifeln durfte?
Und was war mit Mircea Eliade?
Weilte er noch in Paris oder hatte es ihn inzwischen ganz nach Chicago
verschlagen, wo eine Professur auf ihn wartete? Worüber forschte er im Augenblick?
Über Archetypisches? Über Mythen? Symbole? Schamanen? Oder Scharlatane? Über
den Fisch im Wasser oder die Alchemie der Rosenkreuzer, über mein und unser
aller Kreuz und über meine Rose? Über Feuer und Asche?
Oder gar über das Ei des
Basilisken, das noch nie gelegt worden war. Oder doch? War das Böse nicht doch
in der Welt angekommen? Unter der Tarnkappe wie Siegfried, der Nibelungenheld
aus Xanten? Verkappt als Legion der Guten?
Eliade beschäftigte mich vielfach
wie auch Cioran. Beide waren sie Originale und philosophieorientierte
Schriftsteller, wie ich selbst einer sein wollte. Für linke Kritiker waren die
einstigen Mansardenfreunde nur reaktionäre
Denker wie ihr Vorbild Joseph de Maistre, geistig getarnte, verkappte Legionäre, alte Anhänger faschistischer
Denkweisen, die keine Kraft gefunden
hatten, um sich von den Irrungen und Wirrungen ihrer Jugend zu distanzieren.
In der Rückschau Eliades
erwartete auch ich einige Antworten auf unausgeräumte Vorwürfe - und eine Art
geistig-moralische Reinwaschung. Schließlich war Eliade als das mit Abstand
bekannteste Gesicht des rumänischen Exils im Westen für viele
geistesgeschichtlich interessierte Menschen eine Ikone und ein Vorbild. EliadesErinnerungen waren gerade bei Gallimard
erschienen, Rückblenden aus der Zeit 1907 - 1937 unter dem Titel Les promesses de l’exinoxe. Die deutsche
Übersetzung folgte bald darauf. Bereits hatte ich darin geblättert, den
Werdegang verfolgt, seinen Weg nach Indien und zurück, die Lehr- und
Wanderjahre und dabei viel Neues und viel Verwandtes entdeckt: Viel über die
geistige Welt der Vorkriegszeit im monarchischen Rumänien, über die Anfänge der
Anthroposophie in jenem Raum, über ausgeprägte Rezeption deutscher Literatur
und Geistesgeschichte, vor allem aber über sehr verwandte Entwicklungsschritte
im pubertären Alter auf dem Weg vom Mythos zum Logos. Der stets wissensdurstige
Eliade stand mir als faustische Natur näher als Cioran, der als
überkonsequenter Skeptiker an allem zweifelte, der selbst den Sinn der
Schöpfung in Frage stellte. Während Cioran, der sich noch deutlicher als
Nietzsche jeder Systematisierung entzog, nur einen momentanen Geistesblitz
anbot, der mit dem nächsten Gedanken schon verrauschte, konnte ich von Eliade
noch viel lernen. Cioran wirkte oft destruktiv, ja nihilistisch während Eliade
stets zum Weiterdenken einlud. Sein faustischer Impetus war mir wesensgemäß
vertraut - und ich war damals auch geistig bereit dazu, einzelnen Ideen zu
folgen. Doch Antworten auf den Faschismusvorwurf fand ich keine in den Erinnerungen.
Eliade vermied es beharrlich, sich zu rechtfertigen, wie auch Heidegger einer
direkten Rechtfertigung seiner Haltung als Rektor nach der Machtergreifung der
Nationalsozialisten stets aus dem Weg gegangen war.
Wer
groß denkt, kann groß irren!
Und wer unter die Götter
aufsteigt, erhebt sich über die Moral. Aber die Wahrheit kann uns auch frei
machen! Eliade ignorierte, scheinbar über den Dingen stehend, die
berechtigten Aufklärungserwartungen und zog es vor, sich nicht zu Vorwürfen zu
äußern. Weshalb? Hatte er vielleicht doch ein schlechtes Gewissen? Befürchtete
er einen braunen Fleck auf der untadeligen Weste des Wissenschaftlers?
Doch welchen Wert haben die
schönsten Elogen der Freiheit, wenn
Individuen wie Heidegger und Eliade totalitäre Systeme duldend befürworteten,
indem sie nicht vehement widersprechen? Den Vorwurf, den ich den Dichtern vor
meiner Haustür machte, die keine Dissidenten sein wollten und es vorzogen, mit
der Macht zu paktieren, duldsam und untätig, in innerer Emigration und Passion,
den müssen sich auch die Philosophen anhören. Für sie gilt er noch mehr, weil
sie anders der Wahrheit verpflichtet sind als die Dichter, die nach Nietzsche,
seit Platon, der auch ein Dichter war, bekanntlich lügen! Das Wesen der Wahrheit ist die Freiheit, lehrt Heidegger - und der
Rest, sagt Hamlet, ist Schweigen!
Cioran stellte sich der
Diskussion und redete, Eliade hingegen schwieg beharrlich. Und so wie schon
manche Philosophen vor, neben und nach ihm, wohl nach dem alten Satz der
Rumänen: Dacă tăceai, filosof rămăneai!
Hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph geblieben. Eben weil er
weiterhin als Denker gelten wollte.
Nur Ionesco, weitaus weniger in
nationalistische Zeitströmungen verstrickt, handelte konkret, während ich im
stinkenden Lärm der Metro philosophierte, diesmal mit einer schwarzen Wand vor
den Augen, die ich sah, wenn ich an den Insassen vorbei durch das Fenster
blickte.
Am Born der Freiheit, bei der Liga für
Menschenrechte
Am Place d’Italie quetschte ich
mich durch die Metrotür, rannte die Treppen hoch, hinauf ans Licht, an die
Luft, sah mich um, fand die Adresse, den Eingang ohne Klingel und ohne
Sicherheitscodierung, stieg weiter noch ein paar abgetretene Holztreppen hoch
bis in das zweite oder dritte Stockwerk des Altbaus, klapperte die Türschilder
der Wohnungen ab und pochte schließlich an eine arg verschlissene Holztür. Nach
einigen Augenblicken des Abwartens wurde mir geöffnet. Vor mir stand eine Dame
nicht viel älter als ich, eine angenehme Erscheinung. Sie reichte mir die Hand
und forderte mich mit charmantem Lächeln auf, ihr zu folgen. Etwas schüchtern
kam ihrer Bitte nach und betrat die Etagenwohnung, wo mich der Historiker
ebenso freundlich begrüßte. Zurückhaltend sah ich mich um. Es war ein
zweckdienliches Ambiente, in dem gelebt und zugleich gearbeitet wurde. Und es
war die Anlaufstelle, ein Ort der Zusammenkünfte und der Begegnung. Zwei, drei
Freunde waren schon da, weitere sollten gleich eintreffen. Gleich wurde ich
bekannt gemacht. Dialoge entwickelten sich. Wir redeten … Hier fand ich
Menschen, deren Alltag tatsächlich noch von Ideen und Idealen ausgefüllt wurde;
und dies im materialistischen Westen. Also gab es sie doch noch jene selten
gewordene Spezies, Ausnahmeexistenzen, die nicht nur dem Geld hinterher
rannten! In dieser ganz normalen Mietwohnung trafen sich die Mitglieder der
französischen Liga für Menschenrechte in
Rumänien zu regelmäßigen Konsultationen. Der Spiritus rector der losen
Vereinigung war Hausherr Mihnea Berindei, ein ausgewiesener Türkeiexperte,
dessen Vater Dan Berindei sich bereits in der etablierten Historikerzunft als
nationaler Kommunist einen Namen gemacht hatte. Er war ein unbestrittener Mann
des Systems in Bukarest, einer der die offizielle Geschichtsschreibung nicht
nur mittrug, sondern diese sogar mit viel Geschick förderte und zementierte,
indem er Phänomene tendenziös interpretierte und manches sogar nach Art der
Kommunisten willkürlich umschrieb. Ein paar deutsche Landsleute aus Siebenbürgen
und dem Banat, servile Opportunisten, die gerne die Welle ritten und bewusst mit dem Strom schwammen, scheuten sich
nicht, es ihm gleichzutun. Doch was wusste ich bis dahin vom Gastgeber, der
sich vor einigen Jahren nach einer Türkei-Forschungsreise in den Westen
abgesetzt hatte und nunmehr in Paris lebte? Nicht viel! Gerüchte? Legenden
bestenfalls? Angeblich entstammte er einer gutbürgerlichen Familie aus
Bukarest, die schlimme Erfahrungen mit dem Stalinismus machen musste. Die
Mutter soll als Angehörige einer Bevölkerungsschicht mit ungesunder sozialer Herkunft, wie es im Stalinismus hieß, viele
Jahre an dem Schreckensort Jilava unter extremen Haftbedingungen verbracht
haben. Darüber schrieb sie später ein Buch. Mihnea Berindei, angeblich im
Gefängnis geboren, hatte den Forschungsaufenthalt genutzt, um dem Kommunismus
und der offiziellen Historiographie den Rücken zu kehren. Doch wer hatte ihm
die Ausreise in die kapitalistische Türkei ermöglicht? Das fragen zum Teil
verleumderische Zungen auch heute noch vehement, die in ihm, dem Wissenschafter
ohne Curriculum und vollständige Biographie, einen genial platzierten
Perspektivagenten der Securitate erkennen wollen.
Seit den Siebzigern wirkte der
Historiker in Paris und beteiligte sich in der Stadt an der Seine an dem
Wiederaufbau der Liga für die
Verteidigung der Menschenrechte in Rumänien. Von Frankreich aus soll er
sich dann auch öffentlich vom linientreuen Vater distanziert haben, indem er
ihm eine bewusste Kollaboration mit dem kommunistischen System vorwarf.
Scheinbar kam es zum Bruch zwischen beiden, was die Glaubwürdigkeit von Mihnea Berindei
unter Beweis stellte. An seiner Integrität zu zweifeln, hatte ich jedenfalls keinen Grund. Also
vertraute ich ihm damals uneingeschränkt, vor allem beeindruckt von seiner
Soldarisierungsgeste während unserer Haft, als er vier junge Franzosen aus Lyon
auf Erkundungstour nach Temeschburg entsandte.
Es war sicher kein Zufall, dass
sich auch dieses frühe Opfer des Stalinismus für die Einhaltung der
Menschenrechte in Osteuropa engagierte, wie sie nach der KSZE-Konferenz in
Helsinki kodifiziert worden war. Zusammen mit Maria Brătianu, Anne Planche und anderen
ehrenamtlich engagierten Mitarbeiten, die ihre Kraft und Freizeit für Verfolgte
einsetzten wie höhere Wesen, die geschickt werden, um irdische Leiden zu
lindern, koordinierte Berindei den Fluss der Informationen vor allem aus
Rumänien und versorgte damit die französischen Presseagenturen. Das waren
konkrete, überprüfbare Fakten.
Die Zeitschrift L’Alternative, die er zusammen mit dem
liberalen Editor Francois Maspero herausgab, bot ihm eine weitere Plattform,
seine oppositionelle Arbeit fortzusetzen. In einer der gerade vorbereiteten
Sondernummern Roumanie. Crise et
repression wurden die jüngsten Menschenrechtverletzungen für die westliche
Öffentlichkeit erstmals umfassend dokumentiert. Als ich nunmehr für kurze Zeit
in den Kreis trat, fühlte ich mich interessiert aufgenommen, doch nicht als
Person, sondern als oppositioneller Akteur, als Widerständler, der eine
Bewegung mit entfacht und koordiniert hatte, als frisch exilierter Repräsentant
der antikommunistischen Opposition in Rumänien.
Brot und Wein
Während wir uns unterhielten,
füllte sich nach und nach der Raum mit weiteren Gästen, die mir alle
vorgestellt wurden und die bald darauf an einem rustikalen Holztisch Platz
nahmen. Ganz unterschiedliche Charaktere waren anwesend; ein idealistisches
Häufchen, vereint im Eintreten für die Respektierung der Menschenrechte in ganz
Europa. Es wurde nur französisch gesprochen. Die Atmosphäre behagte mir. Und
langsam entstand wieder der Eindruck, in einem Jakobinerklub gelandet zu sein,
doch in einem wahrhaftigeren als seinerzeit in Bukarest und Temeschburg. Die
allseits erstrebte Freiheitwar hier
kein leerer Wahn, sondern schien, zumindest in diesen Hallen, mit den Händen
greifbar - wie am Vorabend der der Französischen Revolution.
Nur ein paar Straßen weiter, im Musee du Droit de L’homme, auf das ich
zufällig gestoßen war, hatte man einst jene Erklärung
der Menschenrechte unterzeichnet, auf deren Prinzipien auch wir uns berufen
hatten. Auch deshalb fühlte ich mich ganz nahe an der Quelle moderner Freiheit, am Ursprung des liberalen
Geistes, umgeben von Menschen, die endlich etwas mit der großen Idee anzufangen
wussten, für die auch ich jahrelang optiert hatte.
So frei hier alles war, so
asketisch und so bescheiden war das Umfeld. Als zum Dinner aufgetischt wurde,
registrierte ich nichts, was an die französische Gourmet-Küche erinnert hätte.
Da war nichts für Bon vivants, eher mehr etwas für Diätkranke und Patienten mit
Magenleiden oder für geistige Menschen, die überwiegend mit Lichtenergie
auskamen. Es stand fest: Diesmal würde ich wohl hungrig vom Tisch gehen, wie
schon so oft in letzter Zeit. Oder ich hielt mich an das aufgeschnittene
Baguette, das für alle zu reichen schien. Da war noch eine Nuance Butter für
Freunde der Opulenz, einige grünmatte Salatblätter in Essig und Öl und als
Krönung für jeden je eine dünne Scheibe Lyoner, eine Wurst, die man in
Temeschburg Pariser nennt. Die meisten von uns knabberten
tatsächlich nur auf einem Bissen Weißbrot herum und nippten gelegentlich an dem
staubtrockenen Rotwein von den Hängen der Dentelles in der Provence, den jemand
mitgebracht hatte. Gicondas, Vacqueyras, Rasteau, Seguret und Beaumes de Venice
- das klang gut in meinen Ohren und erinnerte an die Ursprünglichkeit einer
blutgetränkten Landschaft, die auch einmal frei war. Der Wein weckte
Erinnerungen, Urerinnerungen an dionysisches Sein, an Eigentlichkeit, an die
Unmittelbarkeit des Gefühls, an Musik und Tanz.
Brot und Wein, archaisch, erd-
und geistbezogen und nicht viel anders als in der langen Reihe von Jesus bis
Hölderlin und Trakl vorzelebriert; abgelenkt nur von den aktuellen Berichten,
die einzelne Teilnehmer mitgebracht hatten.
Nach einer gewissen Zeit der
Akklimatisation, die mir wohlwollend eingeräumt worden war, um mein
Heimischwerden in dem humanistischen Zirkel zu fördern, wurde ich aufgefordert,
zurückzublenden und alles zu berichten, was ich über die Entstehung der freien Gewerkschaft SLOMR und über die
späteren Abläufe bis zu meiner Haftentlassung wusste.
Also legte ich los … Es wurde
eine lange Geschichte!
Gelegentlich kamen Querfragen.
Während des Berichterstattens blickte ich weitgehend in empfängliche Gesichter,
die mit natürlicher Begeisterung folgten. Sie freuten sich, wenn Intuitionen
bestätigt wurden, wenn Vermutungen zutrafen. Während ich aus der Perspektive
des Zeitzeugen sprach, dem es um authentische Dokumentation ging, der als
unmittelbar Betroffener berichtete, gewann ich den Eindruck, dass sich die
Zuhörer selbst als Teil des Geschehens empfanden, an dem sie seit Jahren
betreuend mitwirkten.
Nachdem der nackte
Augenzeugenbericht abgeschlossen war, der sich, fern von ideologischer
Festlegung nur auf Fakten konzentrierte, bedankte ich mich noch einmal
ausdrücklich für die seinerzeit erwiesene Solidaritätsaktion, die keine
Selbstverständlichkeit war. Französische Staatsbürger hatten sich in
Temeschburg selbst in Gefahr gebracht und eine Konfrontation mit der Securitate
riskiert, um uns moralischen Auftrieb zu geben. Das war nicht alltäglich und für
uns überlebenswichtig.
Zwei Pärchen waren damals nach
Temeschburg gekommen - aus Lyon, wie sie sagten. Sie kamen in einer Ente,
suchten nach uns und fanden schließlich Stefan Wolf, der ihnen die Ereignisse
ausmalte. Als ich Berindei im Vorfeld von der Gruppe erzählte, bestätigte er
mir knapp: „Ja, wir haben sie geschickt … “
Unabhängig von unserem Treffen
hatte Mihnea Berindei einige publizistische Materialien vorbereitet, die
neueste oppositionelle Bestrebungen in Osteuropa dokumentierten. Die Sondernummer
der Zeitschrift L’Alternativewurde
herumgereicht, in welcher die freieGewerkschaftsbewegung
in ganz Osteuropa in unterschiedlichen Beiträgen aufgearbeitet worden war - bis
hin zu den Anfängen von Solidarnosc,
die sich mehr und mehr formierte und mit der moralischen Hilfe des Papstes, der
während seines Polen-Besuches die Respektierung der Menschenrechte in Polen und
im gesamten Ostblock eingefordert hatte, zur politischen Kraft aufstieg. Dann
zog er aus einem Wandregal einen dicken Ordner hervor, in welchem in dutzenden
Artikeln das dokumentiert vorlag, was in der französischen, belgischen und
schweizerischen Presse über unsere Bewegung publiziert worden war. Erstaunt
schlug ich die Materialsammlung auf und blätterte sie hastig durch, überrascht
von der Fülle, die sich vor mir ausbreitete.
Seit der Entstehung der Freien
Gewerkschaft im März 1979 waren vor allem in Frankreich zahlreiche Berichte
rund um das Thema Menschenrechte und die freie Gewerkschaftsgründung SLOMR in
Rumänien erschienen, quer durch die Presselandschaft; überwiegend in Le Monde und Libération, aber auch in France
Soir, in Rouge, in La libre Belgiqueund selbst im
konservativen Le Figaro, der
merkwürdigerweise einige Jahre sogar die offizielle Politik Ceauşescus guthieß.
Auffällig war, dass gerade die linken Medien, zu welchen der Kreis gute
Kontakte unterhielt, sehr engagiert berichteten. Der linke Gewerkschaftsverband
CGT unterstützte die Aktivitäten
ebenso, indem in eigenen Aktionen auf die Entwicklungen in Osteuropa verwiesen
wurde. Erstaunt dachte ich jetzt von
Paris aus an Deutschland und an sein Engagement für die Sache der
Menschenrechte in Osteuropa.
Was
war in Deutschland über SLOMR veröffentlicht worden? Nichts! Ganz und gar
nichts! Was hatte der DGB an Solidarität beigesteuert? Nichts! Überhaupt
nichts!
Die
deutschen Gewerkschaftler blickten einfach weg. Vielleicht hatten sie besseres
zu tun, als politisches Aufwieglertum in Osteuropa anzustacheln und zu
ermutigen.
Ernst Breit und seine Genossen aus der linken SPD sahen keinen Handlungsbedarf.
Aus Ignoranz, aus mangelndem Verantwortungsbewusstsein oder einfach nur
deshalb, weil sie, mit einer Innenschau beschäftigt, abgelenkt oder nur
schlecht informiert waren.
Frankreich und Deutschland - zwei
Welten! DieFreiheit und die
Leichtigkeit des Seins - und der Geist der Schwere, die politische Trägheit und
Kurzsichtigkeit? Der Mut zum Experiment - und das Biedere als Weltprinzip!
Ungeachtet meiner Herkunft aus
Rumänien und als Repräsentant einer rumänischen Freiheitsbewegung, saß ich
immerhin als einziger Deutscheram
Tisch. Das war den meisten Anwesenden bewusst - und ich fühlte mich nicht ganz
wohl dabei … Wenn ich an Deutschlanddachte
in dieser Frage und Haltung, war auch ich um
den Schlaf gebracht! - Und ein ewig wacher Geist rumorte unruhig auf dem
Totenacker von Montmartre!
Das Denken der Staatsräson
überwog immer noch das freiheitliche Engagement, leider! Es folgten lange
Diskussionen bis tief in die Nacht hinein. Meinen Teil dazu trug ich bei, indem
ich noch einiges von dem berichtete, was wir schon im Vorfeld der
Gewerkschaftsgründung im realsozialistischen Alltagsleben an massiven
Menschenrechtsverletzungen erlebt hatten, teilweise in holprigem, ungeübtem
Schulfranzösisch ohne subjonctiv, so
wie ich es eben konnte. Doch ich wurde verstanden.
Als ich von dem indirekten
Erlebnis erzählte, wie zwei junge Damen, die sich mit Franzosen zum abendlichen
Rendezvous verabredet hatten, im Rahmen einer Razzia aufgegriffen und von einem
stämmigen Bullen wie Kartoffelsäcke in einen Kastenwagen geworfen wurden, um
anschließend als Ausländernutten beschimpft und auf der Polizeistation wüst
durchgeprügelt zu werden, blieb den zarten Idealisten förmlich die Spucke weg. C`est vrai? Impossible? Inacceptable -
waren ihre entrüsteten Kommentare. Ja, das war das Leben in der Diktatur! Und
dabei waren wir Dissidenten noch Privilegierte, die oft nur mit Samthandschuhen
angefasst wurden, zumindest in Temeschburg. Normale Bürger hingegen wurden von
den niederen Schergen der Exekutive noch schlechter behandelt als das
herumvagabundierende Getier auf der Straße oder das Vieh im Stall.
CIEL - Ein Europa
der Freiheiten und ein Academicien
als Mentor
Dann kamen wir noch auf Ionesco
zu sprechen, der als geistiger Übervater der Liga angesehen wurde. Eugène
Ionesco hatte den von mir erhaltenen Brief an diese Gruppe weitergeleitet. Auch
daran erinnerte sich Berindei. Das prominente Akademiemitglied kam gelegentlich
vorbei. Ionesco half mit, wo er helfen konnte; vor allem dann, wenn es galt,
seinen Einfluss für die Sache anderer geltend zu machen - wenn es darauf ankam,
für Verfolgte eines totalitären Terrorregimes einzutreten, die in
psychiatrischen Kliniken mit Giftspritzen gequält und öffentlich kriminalisiert
worden waren.
Ionesco, der kleine ängstliche
Intellektuelle, der sich scheute über die Straßen zu gehen aus Angst vor
tausend unbekannten Ungeheuern, die ihn aus dem Nichts anfallen konnten, hatte
sehr viel Einfluss im politischen Leben Frankreichs. Er war nicht nur Academicien sondern auch der Präsident
des 1978 gegründeten C.I.E.L. - eines Komitees
der Intellektuellen für ein Europa
der Freiheiten - dem neben bekannten Namen wie Raymond Aron weit über
hundert Persönlichkeiten der Pariser Intelligenz angehörten.
Ionesco griff auf der Seite der
Konservativen zugunsten von Valery Giscard D’Estaing und Chirac in den
Wahlkampf ein, gegen die rote Rose der Sozialisten, eine Ablösung Mitterands im
Auge, und, unterstützt von Goma, vor allem gegen Kommunistenführer Georges
Marchais, dem, seit Solschenizyns aufklärenden Schriften langsam die Genossen
davonliefen. Damals fand ich es einfach großartig, dass der greise Dramatiker
noch so aktiv war und seine Überzeugungen für eine gute Sache einsetzte. Dank
der scharf markierten Konturen bekam der weltanschauliche Dualismus ein klares
Gesicht. Graduelle Unterschiede wurden deutlich. Wenn Marchais als makabres
Schreckgespenst galt, war der immer aberwitziger agierende Ceauşescu der Draco
selbst. Abschließend vereinbarten wir, die von mir neu dargestellten Fakten zu
systematisieren und an die Öffentlichkeit zu bringen. Viel davon ist in die
Materialsammlung eingeflossen, die über die CMT der ILO der UNO vorgelegt wurden.
Als ich spätnachts ging, um in
der letzten Metro den sündhaften Platz anzusteuern, wo die letzten blaublütigen
Engländer bei blauen Engelsgestalten ihr irdisches Vergnügen suchten und mir
wieder einiges von den grausam perfiden Erinnerungen mit den Sadisten hoch kam,
fragte ich mich, wovon ich in den verbleibenden Stunden der Nacht wohl träumen
würde: Von den sinnlichen Damen im Schaufenster oder von den Horrorszenarien
einer Diktatur?
Als ich dann wieder auf dem
ausgeleierten lit francaislag und auf
die verstaubte Deckenlampe starrte, die wohl seit Ewigkeiten nicht mehr
gereinigt worden war, kamen mir die gerade erlebten Altruisten wieder in den
Sinn - alle waren Humanisten aus einem Gefühl heraus und aus Überzeugung. Nie
wäre ich damals darauf gekommen, Mihnea Berindei könne ein Mann der Securitate
sein, ein gut getarnter Agent an der Quelle, der fern von jeder Moral, einer
Diktatur dient!
Dieser Vorwurf ereilte ihn im
Jahr 2006, als er zu einem prominenten Mitglied der Präsidentenkommission zur Analyse der kommunistischen Diktatur in
Rumänien aufrückte. Bei den Überprüfungen durch die CNSAS, der dortigen
Gauck-Behörde, die nach Auffassung einiger Kritiker mehr verdeckt als sie offen
legt, sei unter seinem Namen eine Akte aufgetaucht, die ihn scheinbar als Mann
der Securitate auswies. Die höchst fragwürdige These wurde von rechten Kreisen,
die sich in Wirklichkeit aus alten Securitate-Mitgliedern rekrutierten, in
Umlauf gebracht - als gezielte Verleumdungskampagne wie sie auch gegen Vladimir
Tismăneanu und andere exponierte Mitglieder der Kommission betrieben wurde. Ein
Machwerk? Eine Fälschung?
Ist das die neueste Finte der
CNSAS, einer nicht unbedingt glaubwürdigen Einrichtung, die offensichtlich im
Dienst der alten Securitate agiert und bewusst Sachen verdreht und
verschleiert? Sehr viel spricht dafür. Mihnea Berindei hat prompt und
konsequent jede Mitwirkung bei der Securitate zurückgewiesen - doch ein
Schatten blieb zurück, der auch Demokraten verunsichern kann. Die Schlammschlacht einer wiederbelebten Securitate
als SRI geht weiter - mit demokratischen und pseudodemokratischen Spielregeln.
In der Auseinandersetzung eines Individuums mit einem obskuren
Verschwörungsapparat hat selbst der integerste Charakter kaum eine Chance. Was
kann man überhaupt noch glauben in einer Welt, wo obskure Interessen Wahrheiten
vorgeben? Caraion war durch ähnliche Dokumente belastet worden. Die
Ungewissheit hält auch heute noch an.
Écrasez l’infâme Ein Rendezvous mit dem
zwangsexilierten Dissidenten Paul Goma
Jeder
Emigrant ist ein Odysseus auf dem Weg nach Ithaka. Jede wirkliche Existenz
zieht eine „Odyssee“ nach. Mircea Eliade, Im Mittelpunkt
Am nächsten Tag traf ich Paul
Goma, den wichtigsten der rumänischen Dissidenten, zweifellos aber den
bekanntesten. Er wirkte primär durch seine Haltung und als Träger einer Idee;
erst in zweiter Linie wurde er als politischer Schriftsteller und Romancier
registriert. Das machte ihm Kummer. Doch er lebte damit. Wir hatten uns in
einem Straßencafé verabredet. Schon saß ich da, als er kam. Ein mittelgroßer,
stämmiger Mann mit weißem Rundbart, einer wuchtigen Brille mit starken Gläsern
und dunklem Rahmen, auf dem Haupt eine graue Lotsenmütze. Er steckte in einer
hellbraunen Kaschmirjacke mit Kapuze, am Hals ein karierter Wollschal. Es war
kalt und windig. Wir begrüßten uns und bestellten Tee. Er studierte mich - und
ich ihn. Wir kannten uns schon lange, waren uns aber noch nie begegnet.
„Ich habe dir eines meiner Bücher
mitgebracht - und dir eine Widmung hineingeschrieben, als kleine Wertschätzung
deines Engagements!“ sagte er ruhig. Interessiert nahm ich es entgegen und
bedankte mich.
„Gherla?“ konstatierte ich anerkennend.
„Ja, Gherla, ein unseliger Ort in
Siebenbürgen, ein Unort wie Aiud und Jilava“ sagte Goma und fügte hinzu:
„Dieses Buch ist mir noch das liebste von allen, die ich geschrieben habe!“
Vor einiger Zeit hatte ich in Ostinatogeblättert, in der deutschen
Fassung, ohne systematisch zu lesen und ohne in größere Begeisterung zu verfallen.
Später auch in anderen Werken. Vieles davon war schwere Kost und
Geschmacksache. Gemessen an den Literaten der Weltliteratur, die ich viel
häufiger las als moderne Autoren, hatten Gegenwartsschriftsteller einen
schweren Stand. Bei Goma hing darüber hinaus noch viel vom Talent seiner
Übersetzer ab, die vieles von den Subtilitäten der rumänischen Sprache und der
in ihr mitschwingenden Atmosphäre kaum ins Französische oder ins Deutsche
herüberretten konnten. Auch befreundete Schriftsteller konnte man nicht immer
gut finden. Wie bei anderen schreibenden Freunden auch, setzte ich mehr auf die
ideelle Relevanz der Aussage als auf den Individualstil, gerade bei politischen
Büchern. Solschenizyn, mit dem Goma gelegentlich verglichen wurde, schrieb
systematischer, archaischer und sprachlich differenzierter. Jelena Bonner, die
Gattin des Dissidenten Sacharow, schrieb später während ihres kurzen
Aufenthalts im Westen, quasi zwischen Tür und Angel, die Dokumentation In Einsamkeit vereint über ihren Alltag
an der Seite Sacharows am Verbannungsort Gorki auf eine nahezu unliterarische
Art. Goma stand stilistisch irgendwo dazwischen. Sein naturalistischer Stil
wirkte manchmal direkt, derb und provozierend, nicht immer fein, aber redlich.
Doch ich wollte hier nicht über
Literatur reden, noch über Fragen der Wertung oder Ästhetik, sondern
ausschließlich über menschenrechtliche Fragen. Schließlich war er primär ein
politischer Schriftsteller, ein Zola unseres Jahrhunderts, einer der frei und
unverblümt redete, der klagte, anklagte, der polemisierte und polarisierte -
bis zum heutigen Tag!
„Wie lebt es sich so in Paris?“
fragte ich zunächst mehr rhetorisch mit leichter Ironie, nebenbei am heißen Tee
nippend.
„Bis auf die Bomben, die selbst
in Friedenszeiten über uns herunter krachen, ganz anständig. Hier in Frankreich
darf ich mich artikulieren und mit jedermann reden - soviel ich will, ohne
belauscht zu werden. Politische Meinungen hat hier jeder. Die gesellschaftliche
Kultur ist einfach anders - und der Zivilisationsgrad der Bevölkerung. Keiner
hindert mich daran zu schreiben, was ich will. Und ich kann alles drucken
lassen, was ich verfasst habe. Selbst die Publikumsverlage machen mit,
vielleicht auch aus Solidarität mit den Menschen in Rumänien und Osteuropa-
oder weil es eine Sache des politischen Anstands ist, bestimmte Themen zu
drucken, auch wenn sie sich nicht groß verkaufen. Der Homme des lettres steht hier in Frankreich immer noch hoch im Kurs-
und auch der kritische Essay, bis hin zum provozierenden Pamphlet. Kurz, ich
kann als Schriftsteller veröffentlichen, soviel ich will. Und hier kennt man
auch keine Zensur! Der Franzose unserer Tage weiß kaum noch, was das Wort
bedeutet. Deshalb erinnere ich in meinen Lesungen auch daran und verweise darauf,
wie es hinter dem Eisernen Vorhang zugeht, speziell im autoritären Rumänien, an
die Maulkörbe dort und das generelle Leben in Unfreiheit. Doch gerade deshalb
lebe ich hochgradig exponiert, ohne am Morgen zu wissen, ob ich den Abend noch
erlebe, ohne sicher sein zu können, dass es überhaupt ein Morgen geben wird!
Sie wollen mich immer noch ausgrenzen und fertig machen. Auch hier an der
Seine. Es gefällt ihnen einfach nicht, wenn ich über Radio Freies Europa mit den Menschen im Land kommuniziere und den
Eingesperrten von Wahrheiten berichte und von Freiheiten, die es in Rumänien
noch lange nicht geben wird, wenn die gegenwärtigen Verhältnisse anhalten!
So oder so! Der lange Arm der Revolution, du weißt ja, was damit gemeint ist,
greift nach mir … Sie haben mich in New York bedroht und in Kanada, ganz so
nebenbei in Montreal, in der U-Bahn … Und sie sind auch hier, mitten unter uns.
Sie bewegen sich frei im freien Westen … wie die Fische im Wasser - und keiner
kann ihr destruktives Vorgehen aufhalten. Ich glaube, sie werden auch in
Zukunft nicht aufhören, uns zu diskreditieren, zu diffamieren! Mit allen
Mitteln! Sie bestechen Journalisten, sie kaufen Verleger, sie lassen Bücher
drucken … Geld spielt keine Rolle, wenn es darum geht, ihre Lügen aufrechtzuhalten.
Dahinter stecken auch ökonomische Interessen. Und mit der blanken Fassade
erhalten sie sich selbst. Der Schein des Scheins ist für Uneingeweihte noch
schwerer zu durchschauen.“
Goma wirkte ernst, besorgt und
schon leicht verbittert. Nicht jeder sah die Dinge so klar. Vieles war selbst
erlebt und existentiell fundiert. Auch die Enttäuschung über die allgemeine
Ohnmacht. Sein Zynismus konnte nicht alles auffangen. Irgendwo stand er allein
und kämpfte gegen alle. Das Gefühl war mir nicht ganz fremd. Doch gemessen an
seiner radikalen Kompromisslosigkeit, war ich eine konziliante Natur.
Als er vor zwei Jahren öffentlich
aufmuckte, gab es weder Intellektuelle noch bekannte Schriftstellerkollegen,
die ihm gefolgt wären. Persönliche Animositäten, Neid, aber auch Angst und
Opportunismus hielten viele ab, sich etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen,
Position zu beziehen und eindeutig Flagge zu zeigen. Weshalb sollten sich
erstrangige Namen mit einem zweit-, ja drittklassigen Schriftsteller einlassen,
nur weil er moralisch im Recht war?
Sie würdigten ihn vielmehr herab, sie stigmatisierten und schnitten ihn - zu
Unrecht! Denn nur er erhob seine Stimme, als die selbst erkorene Elite
versagte.
Der
Schriftsteller in Rumänien zur Zeit der Ceauşescu-Diktatur: Das war fast immer
der feige Schriftsteller - und das galt auch für Deutsche und Ungarn.
Zivilcourage, geistiges Vorreitertum? Weit gefehlt! Duckmäuserisches
Mitläufertum war ein Kennzeichen der Intellektuellen im Sozialismus -
ostblockweit!
Goma hatte auch nach seiner
Zwangsexilierung von Frankreich aus weitergemacht und aufgeklärt, unterstützt
nur von Ionesco. Er hatte sich auch für die Sache der Freien Gewerkschaft SLOMR engagiert, nachdem diese unterdrückt
worden war und, noch bevor ich im Westen eingetroffen war, als provisorischer Sprecher von Paris aus weiter
öffentlich für die Bewegung geworben.
Wie es schien, hatte er noch
nichts von seiner kommunismuskritischen Haltung eingebüßt. Doch ich merkte,
dass er hart am Wind segelte - und dass er es nicht einfach hatte. Wer sich mit
einem allmächtigen Gegner herumschlägt, wer sich mit einem totalitären Staat
anlegt, mit einem repressiven System, das über einen effizienten Geheimdienst
selbst im Ausland agiert, wird von vielen Seiten angefeindet. Das ertragen nur
ganz wenige.
Neben den tatsächlichen Feinden
gibt es noch Rivalen, Neider, die kreative Energie abziehen und den Aufklärer
schwächen. Hinzu kommen noch die Herausforderungen des Alltags, die oft
vergessen werden. Bücher schreibt man nicht über Nacht. Sondern sie entstehen
oft unter extremem Verzicht in einer Schwerstarbeit von Jahren, wobei das
Erlittene vielfach wieder und wieder erlitten werden muss. Ein Schriftsteller
im Exil hat nicht selten Schwierigkeiten, im teuren Paris oder sonst wo seine
Miete zu bezahlen, obwohl seine Bücher veröffentlicht werden. Was hat er von
seiner Arbeit? Zehn Prozent? Ein Hungerlohn in teurer Zeit! Aber selbst die
Botschaft wird nicht immer verstanden. Das Abgeschnittensein von den Wurzeln
und vom vertrauten Umfeld daheim in Bukarest, wo man viel direkter reden
konnte, so richtig gerade heraus auf Rumänisch, wo man einen, nahe am
Knastjargon, schnell einmal irgendwohin
schicken konnte, zurück zum Ursprung, das fehlte Goma in fremden Paris und
in der kultivierten Umgebung der aktiven Exilanten. Paul Gomas Ton wurde
zunehmend sarkastischer: „Ich bin ein Schriftsteller, der aus seinem Vaterland
vertrieben wurde, nur weil die Mächtigen nicht hören wollten, was ich zum
gesellschaftlichen Miteinander zu sagen hatte, zu den Spielregeln einer
zivilisierten Demokratie. Nie habe ich allzu viel gefordert! Nur an einem
Prinzip sollten sie festhalten: Wenn ihr
Gesetze macht, dann haltet euch daran, respektiert sie auch und setzt sie um,
vor allem das, was an internationalen Vereinbarungen ratifiziert wurde -
soviel, mehr nicht! Und mit welchem Resultat? Noch bin ich am Leben und
sitze hier in Paris - in der Einsamkeit des Exils - wie ein Fisch auf dem
Trockenen!“
Goma wirkte verärgert. In meinem
längeren Interview mit Max Bănuş hatte selbst ich die Respektierung der
rumänischen Verfassung angemahnt und diese
Constituţie sogar noch in ein positiveres Licht gerückt, als es ihr
eigentlich als undemokratischer
Verfassung zustand. Doch die Respektierung der schon bestehenden Gesetze,
ein Aspekt, den die Charta 77-Anhäger
um Kohout und Vaclav Havel für die Tschechoslowakei angestrebt hatten, war nur
ein Anfang, ein erster Schritt. Das Ziel
war die Umwandlung der autoritären, ja totalitären Gesellschaft in eine
demokratische. Darauf hoffte Goma von Paris aus und machte, unterstützt nur
von Eugen Ionesco, unverzagt weiter. Trotzdem war eine gewisse Resignation
nicht zu verkennen. Skepsis kam auf, selbst bei mir: „Auf was können wir noch
hoffen? Dürfen wir die Ideale aufgeben - und mit ihnen das Handeln?“ fragte ich
leicht provokativ nach, ohne die Aussichtslosigkeit unseres Tuns verstärken zu
wollen.
„Nun“, holte der Bärtige, denn das war sein Spitzname bei
der Securitate, zögerlich aus „ich kann nur für mich sprechen. Aller
Wahrscheinlichkeit nach werde ich weiter agieren, weiter schreiben und meiner
Linie treu bleiben … Auch auf die Gefahr hin, das ich scheitern werde. Dass sie
mich von einer Sekunde zur anderen auslöschen können, daran habe ich mich
gewöhnt. Schon seit geraumer Zeit lebe ich mit Briefbomben und mit den profanen
Schwierigkeiten, die jeder andere Schriftsteller in der Fremde auch hat. Er
will etwas mitteilen; doch die meisten Zeitgenossen interessiert seine
Botschaft überhaupt nicht … Manchmal komme ich mir vor wie einer, der überhaupt
noch nichts publiziert hat … Von mir liegt mehr in der Schublade als im
Bücherregal steht. Wie du vielleicht weißt, schreibe ich nach wie vor in
Rumänisch. Das macht weitere Schwierigkeiten. Die Sachen müssen erst in
mühsamer Arbeit adäquat übersetzt werden, bevor die Menschen hier in Frankreich
oder im Westen etwas von den Wirklichkeiten sozialistischer Lebenswelten
erfahren. Und was noch schlimmer ist: In Rumänien, dort, wo ich tatsächlich
wirken will und wo ich eigentlich gehört werden sollte, gerade dort bleiben
meine Werke vorerst tabu, vielleicht für alle Zeiten … Bis auf die wenigen
Sachen, die Radio Freies Europa gesendet hat und noch sendet, kennt man nichts
von mir in meiner Heimat! Doch war es je anders? Der große Ovid ließ, als er
vor zweitausend Jahren nach Tomis in die Verbannung musste, immerhin ein Oeuvre
zurück, die Metamorphosen, die Kunst des Liebens - und er schickte seine Briefe
vom Pontus heim nach Rom und seine tristen Elegien! Doch was ließ ich zurück?
Nichts! Belele! Ärger! Das ist Dichter-Los,
Dissidenten-Los und namenlos: Mein Los! Hier lebe ich inmitten einer amorphen
Masse, anonym und zurückgezogen, isoliert wie auf einer Klippe, die ins Meer
ragt, nicht weniger einsam als Ovid unter den Geten am Schwarzen Meer! Aber,
darf ich klagen? Selbst die Götter kannten das Exil!“
„Und was ist mit dem kulturellen
Widerstand im Land, mit der literarischen Opposition?“hakte ich nach.
Goma blickte mich verdutzt, ja
fast beleidigt an: „Widerstand? Welch ein Hohn! Selbst wenn Diogenes nach ihm
suchte mit seiner Leuchte oder am hellsten Tag mit einer Lupe bewaffnet - er
würde ihn nicht finden. Wir durchleben sonderbare Phänomene in Rumänien,
Erscheinungen, die noch nicht genau definiert wurden. Wie soll ich die Dinge
nennen? Defaitismus? Persönliche Feigheit? Politischer Autismus? Viele kluge
Köpfe, die das offizielle Programm nicht mitmachen wollen, verkriechen sich in
ihren Kammern und schweigen! Innere Emigration nennt man das auch heute! Fast
alle Schriftsteller sind Feiglinge und schnöde Opportunisten! Ihre Tschorba
reicht ihnen wie bei Stendal die Kartoffelsuppe … Und ihre fade Mămăliga, die
nie explodieren wird! Sie wollen weiter mit der Feder hantieren, statt mit der
Spitzhacke und Schaufel im Steinbruch! Steineklopfen behagt den feinen Leiten nicht!
Also verkriechen sie sich - kuschen und schweigen! Geistige Autoritäten, dass
ich nicht lache! Sie, die hehren Geister und Hüter der Moral, tolerieren jede
Perfidie und segnen jede Schandtat ab wie Popen! Und damit folgen sie - gewollt
oder ungewollt - dem Plan der Kommunisten und sanktionieren auch den Status quo
in der Politik auf ihre Weise … Was soll ich tun? Gerade hier und jetzt - und
allein?
Soll ich mich mit jedem anlegen,
der nichts tut, der schweigt? Kann ich sie alle zur Raison rufen, die Leute aus
dem Schriftstellerverband, an ihre Ehre appellieren- oder an ihr möglicherweise
noch vorhandenes Gewissen? Wer hört mir zu? Du vielleicht, Ionesco, die
Idealisten von der Liga und ein kleines Häufchen Unverbesserlicher vielleicht?
Und ein paar stille Fans! Ja, wir haben Fans! Doch die stille Bewunderung
unserer Verrücktheit nutzt keinem, an wenigsten der Gesellschaft, die es zu
verändern gilt! Wahrscheinlich bleiben wir hier im Exil nur einsame Rufer in
der Wüste! Propheten, denen keiner lauschen will … Das nemo propheta in patria gilt immer noch. Vielleicht werden wir hier
am lauten Puls der Welt endgültig vereinsamen … Oder vom Lärm um nichts
erschlagen werden. Ionesco ist schon auf dem besten Weg in die Selbstisolation,
auch der scheue Cioran, der keine Lust mehr hat. Den Goncourt-Preis verschmähte
er, um ein Signal zu setzen gegen die omnipotente Scheinheiligkeit! Nur wer
rezipiert heute solche Gesten? Wen schert noch Philosophie, nach Sartre, nach
Camus? Bestimmt werden auch wir einsam untergehen, ohne dass auch nur etwas von
unserer Botschaft gehört wird … Was soll’s? C’est
la vie, sagte der Franzose immer schon, fast genauso fatalistisch wie sein
Bruder, der Rumäne, der wirklich alles erträgt … Maisfladen explodieren nicht,
sagen einige mit Recht! So sind die Rumänen nun einmal - fatalistisch, duldsam,
nicht viel rebellischer als die viel verachteten Nomaden aus Hinterindien. Die
Geschichte hat sie leidensfähig gemacht! Du kennst den Knast und weißt, was er
aus freien Menschen macht, Krüppel und Geisteskrüppel! Wer lange Turtoi essen
musste und Arpakasch bis zum Überdruss wird nicht nur friedfertig, sondern auch
fatalistisch passiv, ja nihilistisch und depressiv, bereit alles zu ertragen, auch ein Leben ohne Würde. Irgendwann
bestimmen nur noch Ekel und Melancholie, Sisyphus und Don Quichotte! Wie soll
ich darauf reagieren? Mit Erbrechen vielleicht?
Die Heuchelei stinkt zum Himmel,
überall - und keiner rümpft die Nase! Meine Arbeit ist fast getan! Darf ich
schon Bilanz ziehen? Je ne regret rien,
pflichte ich Edith Piaf bei. Das war mein Weg, mein Tao und vielleicht auch
meine Bestimmung - und ich bereue nichts, I
did it my way.“
Gomas Jammern wirkte müde und
enttäuscht. Die Desillusion hatte ihn verbittert. Nur wenige Freunde wussten
davon, dass er einst auch der Musik nahe stand, nicht nur dem Chanson, sondern
der ernsthaften Musik, während andere, fern von Bach, nur die Kunst der Fuga beherrschten -ganz nach einem
geflügelten Wort der Rumänen in Reimform: Fuga-i ruşinoasă, dar sănătosă! Die Fuga - also die Flucht - ist schändlich,
doch heilsam! Also erst das Leben retten, überleben - und dann nach der
Moral Ausschau halten.
In den Nachwirren der
Ungarnrevolution, als andere davonliefen, um ihre Haut zu retten, Goma aber als
Student opponierte und wie Freund Felix in Temeschburg in den Knast ging, übte
er nach der Entlassung gleich mehrere Berufe aus - auch als Musiker. Vielleicht
blies er damals die große Tuba und schlug die Pauke? Genau weiß ich es nicht
mehr. Aber er hatte auch einen Sinn für Bolero, Tango und triste Walzer an
traurigen Sonntagen - und er war ein Stehaufmännchen nach meinem Geschmack, das
sich täglich neu motivieren und neu entwerfen konnte.
Aufgeben war Gomas Sache nicht:
„Im Land muss sich bald etwas tun, sonst werden sie den Diktator nie los! Eure
Gewerkschaft war schon ein großer Schritt in die richtige Richtung und eine
Erhöhung dessen, was ich damals begonnen habe. Doch es muss noch mehr werden.
Die Vielen müssen aufspringen! Und der Kopf der Hydra muss weg - der
unsterbliche Kopf. Das klingt paradox - aber der Fisch stinkt vom Kopf her, besagt eine Volksweisheit, die man
selbst in Afrika kennt. Bei uns im Land ignoriert man sie immer noch, obwohl
jeder inzwischen merkt, wie kräftig es schon muffelt in der Baracke! In Polen
rotieren inzwischen die Regierungschefs - bei uns in Bukarest hingegen rotieren
nur die Vasallen unterhalbdes
Diktators … Ach, hören wir auf damit, all das regt mich viel zu sehr auf!“
Gomas cholerischer Charakter
trieb ihm das Blut in die Schläfen. Auch mir war diese Art des Ärgerns
vertraut, ein innerer Aufruhr, der auch mich nachts ergriff, wenn ich über die
allgemeine Heuchelei nachdachte, vor allem aber über Personen, die sie mit
ihrem bigotten Handeln erst ermöglichten. Manches konnte ich gut nachvollziehen,
denn ich entstammte Verhältnissen, in welchen die kleinbürgerliche Heuchelei
bis zum Exzess kultiviert wurde, so sehr, dass sie selbst in meinem
persönlichen Umfeld in nächster Nähe Opfer forderte. Und dabei war die
Scheinheiligkeit die Wurzel aller Übel!
Eine ganze Reihe französischer
Geister hatten ihr den Kampf angesagt und sie vehement bekriegt wie die
vielköpfige Hydra, von Villon bis zu Voltaire und Cioran. Hatte nicht noch
Nietzsche mit ausgerufen: Écrasez l’
infâme
Doch die Hydra der Heuchelei
hatte wohl neun Köpfe - und der letzte, der Unsterbliche, von Herakles am
Wegrand verscharrt, schien wieder munter zu sprießen.
In Rumänien, in einem
europäischen Land, das auf seine zweitausendjährigen Wurzeln stolz ist und das
sich von den Römern herleitet, trieben noch im Jahr 1980 und darüber hinaus die
kulturellen Paladine des Diktators ihr Unwesen; Panegyriker der Superlative wie
Adrian Păunescu, der einen Ceauşescu-Kult inszenierte, dass selbst die Koreaner
vor Neid erblassten. Die anständigen
Intellektuellen kuschten, schauten zu und applaudierten Beifall, während
Goma als Vaterlandsverkäuferund Schurke diffamiert wurde. Nach einer
guten Stunde verließen wir das Café und spazierten noch eine Weile durch einen
nahen Park.
Die Rosen blühten nicht mehr.
Dafür zeigten sie ihre Dornen. So nebenbei berichtete ich ihm von meinem
Hineinschlittern in die Dissidenz, von meiner Verhaftung vor seiner Wohnung und
von dem Versuch der Securitate, falsche Angaben aus mir herauszupressen, die
ihn möglicherweise hätten belasten können. Das alles überraschte ihn nicht. Das
hatte Methode und gehörte zu den Geschäftspraktiken der Securitate. Auch hier
rechnete er jederzeit mit dem Schlimmsten. Dann sprach ich von den
antisemitischen Tiraden gegen ihn. Für die Securitate war er ein Fremdling aus
Bessarabien, der eine Jüdin zur Frau hatte, also ein Philosemit, während ich
ein liberalkonservativer Deutscher war. Auch das wunderte ihn nicht. Vielfach
hatte er die stalinistischen Verhörmethoden erlebt, die sich durch nichts von
einem Gestapo-Verhör unterschieden. Und Goma kannte das Wasserpredigen und das
Weintrinken der Kommunisten in- und auswendig. Wir ergingen uns dann auch noch
in Klatsch und Tratsch und redeten nicht mehr ganz so ernst über Trivialitäten
an Rande, über die Zerstrittenheit der Rumänen im Exil, über die Unart jedes
kleinen Opponenten, den Marschallstab führen zu wollen, über antiquierte
Strömungen, über die ewig Gestrigen, über individuelle Eitelkeiten einzelner
Leader sowie über die Kunst, sich selbst im Wege zu stehen und gute Sachen zu
verhindern, statt sie zu fördern.
Goma war ein feuriger Kopf, ein
streitbarer Geist; ein Schriftsteller, der mehr geachtet als geliebt wurde -
und er hatte manche Neider und Feinde, selbst im Exil. Wo Menschen sind, ist
viel Allzumenschliches.
Kurz vor der Verabschiedung
skizzierte ich ihm noch meine künftigen Pläne und den angestrebten Weg in die
internationale Politik. Auch sprach ich über ein mögliches Projekt, die freie Gewerkschaftsbewegung historisch-literarisch
dokumentieren zu wollen, ohne zu ahnen, dass dies noch fünfundzwanzig Jahre
reifen sollte und verwies auf die Bestrebung, noch eine Weile auf dem engen
Pfad, der früher mit Tugenden verknüpft wurde, weiterschreiten zu wollen. Dann
schieden wir wie zwei alte Kombattanten in der Hoffnung, uns in besseren Tagen
wiederzusehen. Was wurde aus Paul Goma?
Er lebt auch heute noch in Paris
und fährt fort, auf seine Weise den Kommunismus in Rumänien zu bekämpfen,
allerdings in einer wesentlich radikalisierten Form. Den Aufruf zur Rückkehr in
seine Heimat, den der Altstalinist und Wendelhals der ersten Stunde Ion Iliescu
nach langen Jahren der Bedenkzeit endlich formulierte, ignorierte Goma - aus
vielen Gründen. Und selbst in jüngster Zeit, als er von Koordinator Vladimir
Tismăneanu in die Kommission zur Analyse und Aufarbeitung des Kommunismus in
Rumänien berufen werden sollte, verscherzte ihm seine lose Zunge Teilnahme und
Mitwirkung.
Nur in meiner Geburtsstadt, wo
man es seit der Proklamation von Temeschburg
mit der Aufarbeitung des Kommunismus und dem Aufbau demokratischer Strukturen
ernst nahm, wurde seinen Verdiensten eine Ehrung zuteil, indem im Bürgermeister
Ciuhandu die Ehrenbürgerschaft der Stadt anbot -eine Geste, die Goma gerne
annahm, die aber einen Sturm der Proteste hervorrief, weil Goma sich inzwischen
aufs Glatteis begeben hatte. Goma, oft zum Juden gestempelt, war - bis zu einem
hohen Grad selbstverschuldet - in eine Antisemitismusdiskussion hineingeraten,
die bis zum heutigen Tag anhält und die viel von seinem Renommee als Dissident
geschmälert hat.
Initiation - Daheim in Europa
Was sollte ich nun mit dem Rest
des Tages anfangen? Die Verlockung, bei Ionesco zu klingeln oder zu Cioran
hochzusteigen und anzuklopfen, war groß. Doch in diesem Punkt war ich auch
bescheiden und verzichtete wie schon am Place Pigalle. Nicht jede erreichbare
Kirsche musste gepflückt und gierig vereinnahmt werden; auch nicht jede Rose
oder weibliche Schönheit.
Die Malerei wartete mit Gemälden,
die ich als Kind im Schuhkasten des Pictors bestaunt hatte. Der Mythos des
Lächelns der holden GiocondaLeonardos
hatte mich schon damals fasziniert, der Mythos der Schönen noch mehr als ihr
Lächeln. Jetzt war die viel bewunderte und oft besungene Grazie in Reichweite,
die Mona Lisa war greifbar nahe. Also steuerte ich den Louvre an, wo Sammler
wie Napoleon viel Kunst der Welt auf engstem Raum konzentriert hatten. Doch die
Schlange am Eingang schreckte mich ab. Wieder Schlange stehen- das ganze Leben
in der Schlange warten? War mir nicht alles zuwider, was etwas mit Schlangen zu
tun hatte? Beginnend mit der alten Schlange der Bibel, die das Unheil in die
Welt gebracht hatte, über das Natterngezücht in Temeschburg bis zu dieser hier,
in der man sich fühlte wie im Würgegriff eines Python? Sollte ich auch heute
weiter kämpfen, für die Kunst und den Kunstgenuss? Die Zeit schien mir zu
kostbar. Und doch harrte ich aus, um das eine Bild zu sehen, das Leonardo auf
seinen Reisen immer mit sich führte und an dem er dann und wann einen
Pinselstrich tat, um es der Vollendung zuzuführen.
Trotzdem blieb es unvollendet wie
die eine Symphonie Schuberts und das Requiem Mozarts und wie meine bescheidenen
Frühwerke, die allesamt in die Glut gewandert waren. Eine halbe Stunde später
stand ich endlich vor dem Bild, hinter einer Traube von Kunstfreunden aus
Fernost und bestaunte die Magie im braunen Rahmen. Viel hatte das
Menschheitsgenie Leonardo nicht gemalt; doch schon das wenige, was er
hinterließ, reichte, um auch seinen malerischen Genius über den anderer Meister
der Renaissance zu stellen. Menschen strömten zu dem Bild. Genaueres Betrachten
und tieferes Nachdenken über das Ausnahmekunstwerk war nicht möglich. Wie von
Misanthropie erfasst, floh ich bald wieder aus dem Tempel und fuhr zum
Montmartre hin, wo - wie am Ufer der Seine - Kunst etwas ungezwungener erlebt
werden konnte. Die Basilika Sacré-Coeur vor Augen, sprang ich die lange Treppe
hoch, den drei aufgetürmten Kreuzen entgegen.
Hatte nicht Eliade genau auf
diesem Pfad, ohne ihn beschritten zu haben, über den tieferen Sinn von Exil nachgedacht? Über die Lamentationen des
Ovid am Pontus und über das Exil des römischen Nachfahren Dante, um dann die
Eingebung zu erhalten, dass der Sinn des
Exils die Initiation ist, nach einer langen Folge von Prüfungen auf einer
langen Wanderung? Dem stimmte ich gerne zu! Alles hing irgendwie zusammen und
war sinnvoll miteinander vernetzt. Also war auch ich auf dem Weg zur Initiation
nach Katharsis und Purgatorium und bald ein Eingeweihter? Das war mir
vielleicht doch eine Spur zu tief, zu metaphysisch, zu esoterisch! Noch sah ich
die Dinge weniger heilig und mehr profan, ja gar oberflächlicher und sorgloser
als früher im Osten. Denn eine drückende Last des Exils, das nur bedingt eines
war, fühlte ich kaum.
Als Deutscher in Deutschland war
ich eigentlich schon daheim,
angekommen im Dasein, in der Eigentlichkeit, im Schoß der deutschen Kultur wie
der französischen, daheim in Europa,
dessen vielfältige Kulturen mir allesamt sympathisch waren.
Oben vor der Kirche blickte ich
mich um. Alles war leergefegt wie nach einem schweren Sturm. Wo waren die
Künstler? Alle weg, auf und davon nach Süden wie die Zugvögel, in die Provence?
Oder hockten sie in irgendeiner warmen Mansarde im Atelier, am Feuer des
Eisenofens bei knisternden Kastanien und Anisschnaps? Wo waren die Nachfahren
von Toulouse-Lautrec, von Vincent van Gogh, Gauguin, Renoir, Matisse?
Wo waren die Komponisten und
Poeten? Wo waren die Genies und Narren? Die Bekannten und die Unbekannten? Wo
war Maurice Mourlout? Malte er an einem Gorilla? Und wo waren alte Freunde wie Jean-Pierre Hammer? Der geigende Maler
und malende Geiger? Der Freigeist und Literat? Fiedelte er gerade den
Mephistowalzer oder schrieb er an seinem Lenau-Essay Poete rebelle et libertaire? Jean-Pierre, der Lebenskünstler, hatte
mit viel Fortune eine KZ-Internierung als
Kind überlebt und war, wie einst Celan, trotzdem ein Freund der deutschen
Literatur und Kultur geblieben. Er hatte lange in Madagaskar gelebt, in
einem Land, wo die Chamäleons noch in den Urwäldern hausten, nicht im Verein
und war ein Mensch geblieben, obwohl er sah, wie die Menschen um ihn herum
verfielen wie das Bildnis des Dorian Gray und mit schwindender Moral und
zunehmender Heuchelei kontinuierlich zu Chamäleons mutierten! Jean-Pierre hatte
den Franzosen nicht nur den liberalenLenau
sondern auch den freiheitlichen Wolf Biermann
vermittelt und als Linker seinem linken
französischen Umfeld klargemacht, dass der Geist des Widerstands in der DDR doch noch nicht ganz erloschen war - immer
ein engagierter Freund der Freiheit
und der Dissidenz - ohne seine eigenen Leiden selbst zu inszenieren! Er war
einer der exponiertesten Charaktere aus der Schar von vielen netten Linken, die mir begegnet waren, ein Mensch, der wie
Biermann, Heine und Lenau das Ideal des Humanum über die Ideologie der Marxisten
aller Couleur ansiedelte.
Doch heute fand ich weder Maler
noch Kunst, nur leere Gassen, durch die ein kalter Zugwind wehte - und ein
eisiger Hauch von Einsamkeit. Nach einem Blick auf das Kreuz, floh ich die
Verzweiflung der kalten Leere und eilte die Stiegen hinab zurück in die Hektik
der Weltmetropole, ohne das Gotteshaus betreten zu haben. Die Zeit raste und
ich mit ihr, ohne zu bemerken, dass die Seele nicht mehr folgen konnte.
Ein Anders-Denkender am Höllentor - Rodin und die
Trias als Humanum
Wohin jetzt noch? Also doch zu
Rodin? Das nur seinem künstlerischen Schaffen gewidmete Museum stand auf meiner
Wunschliste ganz oben. Dort lockten das Höllentor
- lange nach Dante - und einige weitere monolithische Blöcke, aus denen
Idee erwuchsen in eigener Genialität wie sonst nur noch bei Michelangelo!
Ein Denker erwartete mich dort! Ein Seelenverwandter? Ein sinnender
Melancholiker wie am Grabmal der Medici? Ein Urbild und Ebenbild des
Denkprozesses und Erleidens, in welchem alle Dichter und Philosophen des Alten
Kontinents zusammenfielen wie die Töne in der gewaltigen Symphonie, alle großen
Geister der Franzosen, der Rumänen, der Deutschen, Shakespeare und Cervantes,
Dostojewskis und Tolstoi, Ravel und Sibelius!? Der Weg dahin war schnell
gefunden. Und - welch ein Wunder: keine Schlange! In dem kleinen Palast war ich
fast der einzige Gast. Ein Museum nur für mich! Das war gelebter Luxus.
Endlich allein - mitten unter
Millionen an der Schlagader der Welt. Es fiel mir nicht leicht, aus dem Rasen
zur Ruhe zu finden und in kontemplative Betrachtung zu versinken. Und doch.
Rodins Werke waren die Ruhe selbst. Beeindruckt ging ich durch die Räume und
besah andächtig alles, was hier ausgestellt war mit der Gier des Hungernden,
der einen Laib Brot findet.
Balzac blickte mich an. Hatte ich nicht
jüngst eine Posse von ihm gesehen, Das
Finanzgenie, in der Hauptrolle der
deutsche Fernsehkommissar? Auch ein Essay aus der Feder von Stefan Zweig über
den großen Franzosen, der wie Mozart und Wagner immer nur Schulden hatte und
vor Gläubigern floh, spukte mir durchs Gehirn - Und hier die Sicht von Rodin:
die Wucht des Geistes als Kopf des Romanciers! Er schlug mich in Bann!
Und dann: Der Denker! Da war er! Eine Plastik in Bronze, mit der ich mich nur
zu gern identifizierte. Das Denken selbst, die gesamte Weisheit der Welt schien
aus ihr hervor - das Abendland, Echnaton und Buddha, Konfuzius und Zarathustra!
Den Geist und die ewigen Ideen
galt es zu erfühlen - und es kam darauf an, die ewige Idee, den Zusammenfall
des Gegensätze, des Bewussten und des Unbewussten, der Welt und Gegenwelt, mit
dem Herzen sehen und erfassen, wie bei Exupery!
Trotzdem: Die Franzosen waren
Rationalisten. Und das Primat des Geistes hatte Priorität, selbst vor
Descartes. Alles, was den Menschen vom
Tier unterscheidet, wurzelt im Denken. Das gesamte Menschsein ging darauf
zurück. Und dabei wird es nicht einmal in den Schulen vermittelt - wie
andere lebenswichtige Dinge auch.
Ein paar Schritte weiter noch -
dann stand es vor mir: das Port d’ Ènfer
- unvollendet, mit einer Vielfalt
von Symbolen, die tagelanges Meditieren erfordert hätten. Eine Allegorie der
Hölle - die viel bewunderten heiteren Heiden zappelten darin, die edlen Templer
jenseits von Sodom und alle Abgründe der menschlichen Seele einem
humanistischen Gehirn entsprungen und bildhauerisch in Erz gebannt. Die
Unterwelt?
Das Purgatorium? Die Teufel mit
den Mistgabeln, Jammern und Zähneklappern! Katharsis? Selbst die schuldlos
Schuldigen mussten leiden, nicht anders als die ungeziefergeplagten Lauen.
Kindheitsvisionen wurden wach, Vorstellungen, was die Hölle sei. Mehrfach hatte
ich Höllentore passieren müssen. Hinein ins Gefängnis und hinaus. Und hinaus
aus der Hölle des Kommunismus, die ein Dante noch nicht kannte.
Dieses hier wollte ich nur
bestaunen, hoffend, dass es nicht zu tiefe Erinnerungen wachrief an Höllen und
Vorhöllen, die ich schon überwunden glaubte. War die Hölle in uns selbst?
Oder traf Sartres Wort zu: Die Hölle, das sind die anderen?
Fasziniert und etwas verwirrt
riss ich mich wieder los. In einem anderen Raum fand ich sie dann, jene Gruppe,
die mich so sehr an verehrte Idealisten erinnerte: Die Bürger von Calais - ein weiterer Höhepunkt meines Besuches.
Sechs Menschen standen vor mir,
ein jeder anders, mutig, aufopferungsvoll, leidend, eine Gruppe von Charakteren
gebündelt um den ideellen Komplex: Widerstand
- Freiheit - Humanum: die Trias
fand hier zur Einheit, zum Apogäum, - wie die drei Basilikatürme des
Sacré-Coeur. Und mit dieser Dreieinigkeit ging mir noch mehr auf. Mein Tun.
Meine Welt - das Tun meiner Umwelt schien hier zusammenzufließen. Das
menschliche Tun überhaupt schien auf einer Ebene zusammenzufließen, die in
einer Idee eingefangen wird. In diesem Raum des Lichtes und der Kunst
durchlebte ich einige subjektive Eindrücke, die sich von selbst objektivierten
und alles, was bisher abgelaufen war, in einen großen Sinnzusammenhang stellten.
Der gelegentlich aufkommende Pessimismus wurde durch diese Konstellation
aufgelöst.
Als ich das Museum verließ, um
bald darauf auch Paris zu verlassen, umgab mich eine Aura von Zuversicht.
Am Tag danach stand meine
Rückreise nach Deutschland an. Der Zufall, der so viel Symbolisches und
Symbolträchtiges in meinem Leben zusammengewürfelt hatte, wollte es auch, dass
es eine Winterreise wurde. Es war immer noch November, ein trauriger Sonntag.
Schnee lag in der Luft, als ich zum Ostbahnhof schritt und ein Hauch von
Melancholie, die sich einstellt, wenn ein lange erstrebtes Ziel erreicht und
das Glück des erfüllten Augenblicks verflogen ist.
Der Zug nach Straßburg wartete.
Halb euphorisch, halb depressiv stieg ich ein. Im Koffer waren einige Andenken
an die gerettete Architektur der Stadt - und im Kopf war diesmal keine
Konterbande, sondern das Gedenken an Menschen, an Idealisten, die ich in
Fleisch und Blut erlebt hatte. Es zeichnete sich bereits ab, dass ich noch
öfters nach Paris kommen würde, um das Engagement eben dieser Menschen fürFreiheit und Bürgerrechte weiter zu
unterstützen.
Existenzerfüllung und Glück - Von seltsamen
Metamorphosen, vom Ungeist der Schwere und vom beschwingten Sein
In Deutschland angekommen, kühlte
mein Enthusiasmus deutlich ab, als ich zunehmend feststellen musste, dass die
meisten Menschen um mich herum, selbst jene, die erst kürzlich die Freiheit erreicht hatten, kaum noch
einen Sinn für idealistische Dinge entwickelten und weitgehend damit
beschäftigt waren, ihren Lebensstandard zu steigern, eigennützige Interessen zu
verfolgen und ausschließlich materielle Vorteile zu erlangen. „Ich muss meine
Situation verbessern, bis sie so ist, wie ich sie haben will“, hörte ich
manchen Materialisten sagen, der sehr genau zu wissen schien, was und wie viel
davon er haben will, bevor er zur Asche zerfiel. Das Haben rückte in den Mittelpunkt der Existenz, noch bevor das Seinerreicht war. Die einst vehement
erlebte Vergangenheit interessierte sie inzwischen genauso wenig wie die lange
erstrebte bunte, weite Welt.
Manche Freunde gaben selbst
Bildungsambitionen und Erkenntnisinteressen auf und begnügten sich damit,
Bausparverträge abzuschließen, diese zur Reife zu führen, Grundstücke zu
erwerben und, bei höchstem persönlichem Verzicht, die Schulden für den eigenen Freikauf und für das zu errichtende
Haus zu tilgen. Andere freilich, in der Regel junge Mütter mit kleinen Kindern,
mussten sich den Notwendigkeiten fügen, ohne ihren eigentlichen Weg gehen zu können. Dort, wo ich die Freiheit
angesetzt hatte und die Selbstverwirklichung, stand für andere das Haus.
Zunehmend traten mehr und mehr traditionelle Werte wie Besitz, Eigentum und
Sicherheit an die Stelle der Freiheit.
Die Freiheit selbst war für viele kein Wert an sich, sondern nur noch
ein Mittel, um Geld, Gut und Sicherheit zu ergattern. Alle anderen Werte, die
nach meiner Auffassung durch die Freiheit
erst ermöglicht werden, wie Kreativität, Literatur, Musik, Kunst und Kultur,
traten für die meisten Menschen, denen ich später immer seltener begegnete, in
den Hintergrund und wurden ganz und gar unwichtig. Von unterschiedlichen
Zielsetzungen bestimmt, drifteten die Welten auseinander. Über das Verbindende
der Vergangenheit hinweg, stellte sich bald auch eine zunehmende Entfremdung
ein. Geist und Kunst oder nackter Materialismus? Unter hinter allem ein für
mich stets unbegreifbarer Egozentrismus! Bücher schreiben? Wozu? „Kann man von
Bücherschreiben überhaupt leben?“ fragte mich ein Daimlerarbeiter, der die
Schichtarbeit am Fließband für die ultimative Errungenschaft humaner
Arbeitswelten hielt.
Wozu braucht man heute noch
Bücher, wo man doch das Fernsehen hat, ein Medium der Volksverblödung, das rund
um die Uhr zur Passivität und zum Nichtstun einlädt; und außerdem auch noch ein
paar geistreiche Zeitungen, die einem dabei helfen, den Ritus des Lesens für
immer aufzugeben? Kann man denn von Philosophie leben- oder zumindest
überleben? Wozu braucht der Mensch überhaupt Philosophie? Ist sie nicht unnützer
Luxus, den sich nur die dekadenten Griechen und Römer leisteten? Das fragten
andere!
Und ich selbst musste mich
fragen: Was bringt das durchgehaltenes
Ethos heute noch ein, außer massiven Enttäuschungen auf vielen Ebenen? Ist
es nicht offensichtlich, dass der selbstherrliche Staat, das kälteste aller
Ungeheuer, über seine realitätsfremden Politiker seine intellektuellen Eliten
verrotten lässt, indem er sie der totalen Freiheitpreisgibt,
der Freiheit der geflügelten Tauben
in einer Welt der Geier? Viele aus unseren Reihen hatten erst kürzlich alles
aufgegeben, nicht nur Haus und Hof, auch die
Vertrautheit der Heimat und die Geborgenheit der Gemeinschaft, um in Freiheit zu leben! Und jetzt, wo wir, in
alle Winde zerstreut, endlich freiwaren,
gaben wir die Freiheit auf, um
profane Steinhaufen zu errichten!
Bestand darin der Sinn
menschlichen Tuns? Viele von uns waren auf dem Weg, perfekte Egoisten zu werden
und noch perfektere Materialisten, Anbeter des Goldenen Kalbs in Stein!? Wenn
der Haufen endlich stand und die letzte Rate getilgt war, waren die meisten,
die daran geschuftet hatten, ausgebrannt und bald auch tot. Machte das Sinn?
Aus der Sicht der lachenden Erben vielleicht! Für die Handelnden aber war es
nur ein weiterer Opfergang, ein Weg, der sie traurig machte, wenn sie einmal
Zeit fanden, um über ihr Tun nachzudenken. Du
darfst nie die Sinnfrage stellen - hatte ein schlauer Kopf einmal gesagt.
Wie wahr. Jeder Nomade hätte uns verlacht - und nicht nur der Nomade.
Es war schwer zu fassen. Mach
einer war zum Ausgangspunkt zurückgekehrt, der sich eigentlich nur geologisch
verschoben hatte? Die einst zu überwindende kleinbürgerliche Welt des Dorfes,
die sich durch Kulturfeindlichkeit, Bildungslosigkeit und Trivialität in allen
Lebensbereichen auszeichnete, war jetzt wieder da; die Existenzform des
Gartenzwergs, der statisch in der Landschaft steht und vom eigenen Grund und
Boden aus apathisch in die Welt blickt. Im Grunde war es die alte Welt der
Spießer, nur dass ihre Pseudowerte diesmal staatlich anerkannt, gefördert und
gestützt wurden und der Staat dabei auf eine ideologische Untermauerung und
Durchsetzung des Gelebten verzichtete.
Die vielfachen Mechanismen der
Manipulation in der geldorientierten, kapitalistischen Gesellschaft mit ihren
Abhängigkeiten waren viel subtiler und undurchschaubarer. Die materialistische
Gesellschaft würgte den Rest verbliebener Freiheit
nicht endgültig ab, sondern beließ - im Unterschied zur totalitären
Gesellschaft der Kommunisten - die Freiheit
jenen, die noch etwas damit anzufangen wussten. Den meisten Menschen jedoch
wurde eine elementare Tatsache nie bewusst: sie gaben die Freiheit, die sie eigentlich hatten, auf und tauschten sie gegen
eine selbst auferlegte, freiwillige
Unfreiheit ein, um materielle Zielsetzungen zu erreichen.
Geld statt Freiheit, lautete manche Devise, während ich selbst noch lange
Jahre gleich zweifach darauf spekulierte,
über finanzielle Unabhängigkeit endgültige Freiheit
zu erlangen. Eine Schimäre, die ich aus heutiger Sicht als opferreiche
Erfahrung und - mit Proust - fast sogar als verlorene
Zeit verbuche.
Existenzerfüllung
und Lebensglück
wurden nunmehr utilitaristisch definiert als das größtmögliche Glück der
größten Zahl, wie einst bei Bentham und Mill, wobei die größte Zahl dieser
heutigen modernen Menschen ihr persönliches Glück in Wohlstand und Sicherheit
sah, speziell in einem ewig vollen und
trägen Magen, einer fetten Rente und einem möglichst langen, bequemen Warten auf den Todohne
besondere Gehirnaktivitäten!
Und dabei lehrt doch gerade die
moderne Hirnforschung in erstaunlicher Nähe zur Selbsterkenntnisforderung
altgriechischer Philosophen, dass existentielles Glück nicht mit einem schweren
Bankkonto verbunden sein muss, mit Wohlstand und vermeintlicher Sorgenfreiheit
über Besitz und Eigentum, sondern das Lebensglück mit den vielen existentiellen Erfahrungenzusammenhängt,
auf die der Mensch später einmal selbsttröstend zurückblicken kann.
Stimmte
das, dann blieb ich mit meinen zahlreichen Erlebnissen ein reicher Mann, auch
ohne Geld. Der zur Selbsterkenntnis gelangte Mensch findet seine
Existenzerfüllung im Leben in der Eigentlichkeit im Sein und nicht im Haben. Erst dann findet er etwas von
der Freiheit vor, die vielleicht John
Stuart Mill in jenem Essay on Libertyvorschwebte.
Auch ich brauchte meine Zeit, um
materielle Antriebe und Ziele hinter mir zu lassen. Obwohl ich die
Pseudohaftigkeit der materiellen Werte einer Spießbürgergesellschaft damals,
unmittelbar nach der Ankunft im Westen, noch nicht durchschaut hatte, denn dazu
gehören einige Jahre selbst erfahrenerund
freiwilliger Unfreiheit, aus der man
sich in der Regel nie wieder lösen kann, ahnte ich intuitiv die Gefahr und
hielt an der bisher beschrittenen, steinigen Bahn fest - in der Hoffnung,
möglichst viel Freiheit leben und
kreativ altruistisch umsetzen zu können. Das war meine egoistische Antwort auf
die Herausforderungen eines allzumenschlichen, materialistischen Umfelds, das
vom Ungeist der Schwere und seiner niederziehenden Wirkung bestimmt wird. Dabei
wollte ich immer noch hinauf, in die beschwingte Leichtigkeit des Seins, frei
nach der Idee Nietzsches, der gegenwärtige, unzulängliche Mensch sei etwas, das
zugunsten eines höheren Menschen überwunden werden müsse. Künstlerisch kreative
Tätigkeiten und idealistische Projekte dienten als Mittel dazu. Doch der
steinige Weg ist ein Weg der Einsamkeit, den das Gegenüber nur eine Weile
durchzuhalten vermag!
Also pflegte ich auch weiterhin
die Nähe zu Geist und Kunst begann erneut, alles niederzuschreiben, was und wie
ich es erlebt hatte, mit einigen spärlichen Kommentaren versehen - fürfreie Geister und, wie ein anderer Exot
es im Rückgriff auf Shakespeare über ein Werk schrieb: For the Happy Few.
Parallel dazu wirkte ich als kritischer Aufklärer und fuhr fort, als Zeitzeuge
aufzutreten und über Fakten zu berichten.
Kaum aus Paris zurück, fand ich
einen Brief von Erwin vor, den ein Bekannter nach Deutschland geschmuggelt
hatte. Unter anderem berichtete der vertraute Kampfgefährte von einer neuen
Vorladung zur Securitate, die nun offensichtlich die Damenschrauben anzogen: Seit einigen Wochen bin in wieder in der
Electrobanat beschäftigt, am alten Platz - nur bin ich jetzt weitaus bekannter
als früher. Einzelne Arbeiter suchen das Gespräch. Ich habe den Eindruck, dass
die Menschen nun mutiger sind als vor unserer Aktion. Der
Betriebsgeheimdienstler ist ganz auf mich fixiert. Immer wieder zitiert er mich
in sein Büro und stellt mir allerlei Fragen. Edgar ist inzwischen mit den Wolfs
ausgereist. Doch mir haben sie noch keine Zusagen gemacht. Ich habe mehrfach
nachgehakt und war ganz oben beim Chef. Romanescu hat mich angehört, mehr
nicht. Versprochen hat er gar nichts. Der General hält sich zurück: und wir,
meine Eltern und ich, hängen in der Luft. Ich hoffe doch, sie werden uns bald
ziehen lassen. Der Milizchef, General Taurescu, soll inzwischen auf dem Weg in
die Klapsmühle sein, sagt man. Deine Interviews haben hier einigen Wirbel
verursacht, besonders das über Dein Leben, das mehrfach gesendet wurde. Pele
wollte wissen, ob ich auch bei der Kobra mitmache, wenn sie uns freigeben … Ich
sagte ihm nur, dass Du Deine Entscheidungen selbst triffst - und dass ich Dich
nicht beeinflussen kann, von hier schon gar nicht. Irgendwo setzte sich der
Eindruck fest, er koste es aus, bekannt zu werden. Offensichtlich genießt er
es, wenn man selbst im Ausland über ihn spricht! Mit Drohungen hielt sich Pele
diesmal zurück.
Der Gruß Dein Freund, der Dich nie vergisst, beendete das Schreiben. Mutter,
die den Brief in die Hände bekam, zitierte den Schlusssatz auf ihre pathetische
Weise noch so oft, dass er mir für immer im Gedächtnis haften blieb. Die
Neuigkeiten gaben mir zu denken. War es klüger, untätig abzuwarten? Alle
bisherigen Entwicklungen sprachen dagegen. Handeln
- das war der Weg! Je mehr Öffentlichkeit erzeugt wurde, desto sicherer
waren die noch Gefangenen. Deshalb musste ich weiter nach London.
In London bei Amnesty International - Nationale
Identität und Würde
Nur wenige Wochen nach dem
Auftakt in der französischen Hauptstadt schickte ich mich an, als
Handlungsreisender in Sachen Freiheitnun
die englische Kapitale anzusteuern; im Gepäck wieder einmal eine Liste- eine
lange Liste mit Namen, hinter welchen jeweils ein Menschenschicksal stand,
Menschen, die immer noch im Kerker schmachteten und auf Rettung hofften. Das
klingt nach Pathos, war aber bitterer Ernst.
Diesmal brachte mich das Flugzeug
zum Ziel. Nach der Ankunft am Airport Gatwick reiste ich von dort aus mit dem
Zug nach Norden in den Großraum. Von der Victoria Station ging es dann weiter
in die altehrwürdige City of London. Meine Anlaufstelle war die Zentrale der
international tätigen Häftlingshilfeorganisation Amnesty International, deren Name jeder Häftling kennt, der nicht wirklich
wegen einer Straftat einsitzt. Von Amnesty
International anerkannt und adoptiert zu werden, ist gerade für Häftlinge
in totalitären und repressiven Ländern überlebenswichtig. Ein solcher Status
führt den Verfolgten oft in die Freiheit und
garantiert die Aufnahme in einem westlichen Staat, verbunden mit der Gewährung
von politischem Asyl.
Schon die Geschichte der
nichtstaatlichen Organisation, die 1961 in London von dem engagierten
Rechtsanwalt Peter Benenson ins Leben gerufen worden war, hatte viel mit Freiheit zu tun, aber auch mit
Freiheitsentzug, mit Verfolgung und mit einer Begebenheit, die sich im damals
noch totalitären Portugal ereignet hatte. Freiheit,das
schöne Wort, von dem Milva so leidenschaftlich singt, war nicht nur hinter dem
Eisernen Vorhang offiziell verpönt, sondern auch auf der Iberischen Halbinsel,
wo um 1961 noch ein selbstherrlicher Diktator Franco herrschte. Als zwei
Studenten aus dem benachbarten Portugal, das ebenfalls eine Diktatur war, in
einem Restaurant bei einem Gläschen Portwein öffentlich und gut hörbar für alle
auf die Freiheit anstießen, war dies
Grund genug, um sie verhaften und aburteilen zu lassen. Der Akt von
Zivilcourage mit Beispielcharakter, damals keine Selbstverständlichkeit,
sondern ein Wagnis, wurde am westlichsten Punkt Westeuropas mit einem
Freiheitsentzug von sieben Jahren bestraft. Teure Freiheit!
Und ein Skandal! Benenson
berichtete darüber mehrfach in der liberalen englischen Presse und rief zu
einer öffentlichen Solidarisierung mit den Verfolgten und gegen ähnliche Fälle
politischer Willkür auf. Eine konkrete Folgeerscheinung dieses Engagements für
die Begnadigung und Freisetzung politisch Verfolgter war die Gründung von Amnesty International, der
Häftlingshilfeorganisation, die auch heute noch tätig ist und die es auch nicht
scheut, Menschenrechtsverletzungen selbst in demokratischen Staaten des Westens
anzuprangern - Guantanamo ist das beste Beispiel dafür!
Als ich den Amnesty-Sitz endlich
gefunden hatte und das Gebäude betrat, glaubte ich mich in das Geschehen eines
orientalischen Marktes versetzt. Bunt und lässig gekleidete Menschen mit langen
Haaren unterschiedlicher Hautfarbe schwirrten wie jüngst erst in den Straßen
von San Francisco durch die großzügigen Räume. Ein Hauch von Flower Power wehte
durch die Luft. Eigentlich hatte ich eine etablierte Organisation erwartet,
eine funktionierende Behörde. Mit soviel geballter Freiheit in einem scheinbar
chaotischen Durcheinander hatte ich jedenfalls nicht gerechnet. Verwundert
blickte ich mich um. Es dauerte eine Weile, bis ich die für Osteuropa
zuständigen Ansprechpartner fand. Da mein Besuch unangekündigt erfolgt war, sollte
das eigentliche Gespräch über die repressive Lage in Rumänien und über Details
aus dem dortigen Gefängnismilieu erst am Folgetag aufgenommen werden. Das
bedeutete für mich zunächst abwarten - und viel Zeit für ein Sightseeing à la
Paris.
Was interessierte mich nicht in der englischen Metropole? Die
Paläste der Royals, die Hüte der Bobbies und die zeremonielle Wachablösung vor
dem Buckingham Palace, die Krönungskirche in Westminster, die Kronjuwelen im
Tower, die berühmte Brücke über den Themse-Fluss oder die täuschend echten
Wachsfiguren im Kabinett von Madame Tussaud’s. Deshalb knüpfte ich an die
Pariser Erfahrungen an, setzte mich ungezwungen in die Underground und fuhr
hinaus ins Schwarze. Ohne Ziel.
Nach Brixton verschlug es mich
dann, in jenen Stadtteil, wo fast nur Farbige wohnten und nicht jeder Weiße
hochstieg. Dort erwartete mich ein anders pittoreskes London. In Brixton hatte
es schon im Vorfeld immer wieder Krawalle gegeben. Bald sollten auch Flammen
auflodern. Einiges von den Problemen der Gegend kannte ich aus dem Fernsehen.
Bei den Armen in Brixton verblasste der Glanz der Großstadt. Doch es blieb bei
dem Wagnis. In der Unruheecke angekommen, stieg ich die Treppen hoch und sah
mich um. War das ein Ort der Revolte? Wann erhebt sich der Mensch? Camus hatte
darüber geschrieben, vom Mythos ausgehend bis zur Jetztzeit. Auch die
aufkommenden Riots hatten viel mit Rassen zu tun und mit Farben. Der mir
sattsam bekannte Dualismus zwischen Schwarz und Weiß, der nicht nur in
Nordamerika tobte und in Südafrika, der die Lichtmetaphysik auslöste und die
Dialektik zwischen Gut und Böse, er wirkte auch hier. An einigen Häusern waren
Brandspuren zu erkennen. Hier hatte Feuer gewütet, Feuer, das gleich an
Nordirland erinnerte, an Londonderry und Belfast, und an ein historisch
vertrautes England als Besatzungsmacht. Den Schotten hatten sie ihre Freiheit geraubt und den Iren - und
vielen Völkern des Commonwealth, die ein Osteuropäer kaum auseinander halten
konnte. Geschichte auch hier. Geschichte von Freiheitsstreben und Kolonisation
- und profane Tagesgeschichte wie vor meinen Augen in Brixton, im Viertel der
Unterprivilegierten. Vor mir lag die Trostlosigkeit britischer Wirklichkeit
während der Ära Thatcher. Die Dame hasste die Kommunisten: doch das machte sie
mir noch nicht sympathisch. Denn irgendwie hasste sie auch die Iren und hegte
Ressentiments gegenüber Deutschen und Franzosen. Eisern wurde sie wohl genannt,
weil sie eisig eisern war wie Stalin stählern; und weil sie eisern mit ihren
Gegnern umging - bis hin zum verlustreichen Krieg um ein Nichts auf fernen
Inseln im Ozean!
Eckte ich hier an, inmitten unter
Farbigen? Weit brauchte ich nicht zu gehen und schon begegneten mir die
skeptischen Blicke von Menschen, die sich fragten, was der Voyeur hier wohl
wollte. Kinder blickten mich an, mild und doch anklagend. Das schlechte
Gewissen regte sich, das des Ohnmächtigen, der etwas als falsch erkennt, und
der nichts dagegen tun kann. Nicht einmal trösten konnte ich die Leidenden.
Also machte ich bald wieder kehrt
wie ein Tourist, der unfreiwillig in einem Ghetto gelandet ist, ohne dem
Anblick des Elends gewachsen zu sein, und fuhr zurück in das heile London, in
die besseren Gegenden der Stadt, wo Nadelstreifen getragen und Rosenöle
versprüht wurden. Die Diskrepanzen waren krasser in der kapitalistischen Welt
als im arg nivellierten Osten Europas.
Auch in der vornehmeren City war
nicht alles Gold, was glänzte. Viel Katzengold war noch mit dabei und mancher
Katzenjammer, wenn die Ticker falsch tickten. Ohne nach Negativität zu suchen,
stieß ich bald darauf, namentlich in jenen Straßenzügen im Herzen der Stadt, wo
nur Inder oder Pakistani wohnten.
Das Empire war jetzt hier. Und in
den Gesichtern der Menschen vom Subkontinent, die mehr zu vegetieren schienen
als zu leben, vermisste ich die Heiterkeit des Daheimseins, die leuchtenden
Augen und den Frohsinn der Zufriedenheit. Mit dem größten Glück der größtmöglichen Zahlwar es nicht weit her.
Schlecht gelaunte Menschen zogen an mir vorüber, dem Unglück näher als der
Geborgenheit. Der Wohlstand des Empire zog an ihnen vorbei und siedelte - im
Herzland der Demokratie – ein paar Straßen weiter um die Sankt Pauls
Kathedrale, wo der Grund etwas teurer war und die Melonen exquisiter.
Gerade die Hindus und Sikhs
wirkten schwermütig und von der glühenden Sonne der Heimat abgeschnitten. Das
ewig smogverhüllte London drohte ihre Laune mit einzutrüben. Obwohl dem
determinierenden Kastensystem ihres Herkunftslandes entronnen und in totaler Freiheit angekommen, schien ihnen die
westliche Welt fremd zu bleiben. Vielleicht weil eine Perspektive fehlte? War
dies der Rest von der Glorie des Empires? Wo war die Liberty des John Stuart Mill, der Utilitarismus und das Glück der
Vielen, das Jeremy Bentham einst verkündete. Hatten die Ethiker auch die vielen
entwurzelten Inder und Pakistani und die vielen Afrikaner aus Brixton in seine
Überlegungen mit einbezogen? Stolze Völker, aus denen hier Minderheiten
geworden waren? Im Prinzip schon.
On Liberty am Speakers’ Corner
Nachmittags zog es mich dann zum
Hyde Park hin, genauer an jene Ecke unmittelbarer Demokratie, die man schon aus
dem Schulbuch als Speakers’ Corner
kennt; und auf jenes Fleckchen Rasen, wo das freie Wort kultiviert wird wie an keinem anderen Ort auf der Insel
oder auf dem Kontinent.
Einmal frei reden zu dürfen,
hatte ich mir immer gewünscht; vor allem dann, wenn es hieß: Sei vorsichtig, was du sagst, es könnte
jemand mithören. Wer immer schon belauscht wurde mit Ohr und Blick, wer nie
das aussprechen konnte, was er dachte, weiß die Kultur des freien Wortes zu schätzen. Felix wäre hier aufgeblüht
wie eine Rose im Morgentau und der Alte, der die Freie Rede des Cicero über
alles stellte. Die andere Seite hören-
das veränderte die Perspektive - und nach St. Exupery und Nietzsche - auch die
Wahrnehmung und das Denken.
Nick hatte mir von dieser Ecke
vorgeschwärmt, als wir durch den Cişmigiu-Park gingen und nur sub rosa reden konnten. Hier war jenes
Prinzip aufgehoben und ad absurdum geführt, weil jeder frei reden konnte, ohne
dafür in einen finsteren Kerker geworfen und gequält zu werden wie zu Zeiten
der Inquisition.
Karl
Marx,
der Theoretiker des Kommunismus und Urvater
des Unheils in der pseudokommunistischen Welt des 20. Jahrhunderts, hatte
einst hier gesprochen, selbst Lenin,
der russische Revolutionär im westlichen Exil; und lange nach den beiden
Ahnvätern des Weltkommunismus, im völlig entgegengesetzten Geist und von
anderen Idealen durchdrungen: George
Orwell, der Mahner, der den menschenverachtenden Großen Bruder-Staat wie
wenig andere okzidentale Schriftsteller durchschaut und literarisch weit
reichend auch angeprangert hatte. Diesmal fehlten prominente Redner; doch auch
die weniger bekannten Oratoren hatten manches zu vermelden.
Ein buddhistischer Mönch aus
Tibet stand auf einem selbst errichteten Podest aus einer stabileren Obstkiste
und sprach vor Passanten, in deren Minen lebhaftes Interesse und tödliches
Gelangweiltsein sich die Waage hielten. Manch ein Cockney hielt es mit Oblomow.
Viel Lärm um nichts? Der Meister redete über göttliche Dinge, über die Freiheit des Denkens und der Religion,
die es in seiner besetzten Heimat seit dem chinesischen Einmarsch nicht mehr
gab und über das vielfältige Leiden seines Volkes, dem ideologisch verblendete
Maoisten seine tausendjährige Identität rauben wollten. Von menschlicher
Nächstenliebe sprach er wie ein Christ; auch von der Solidarität demokratischer
Völker untereinander, nicht anders als der Dalai Lama auf seiner
Aufklärungsmission durch die Welt und einst Gandhi vor dem Gewissen der
zivilisierten Menschheit.
Doch fast keiner aus dem Haufen
hörte ihm zu. Wen störte der chinesische Imperialismus? Die freie Welt blickte
weg! Und der Westen schien Tibet genauso aufgegeben zu haben wie die Gaffer den
Referenten! Nicht viel anders als einst das rebellierende Ungarn und die
aufmüpfige Tschechoslowakei dem himmlischen Trugfrieden geopfert worden waren?
Endgültig, um Interessensphären zu wahren und, am Völkerrecht vorbei, aus
Gründen der Staatsraison, nur weil sich keiner mit dem totalitären China
anlegen wollte?
War das Völkerrecht nur für die
Starken da? Und wog man die Schwachen im Völkerbund mit anderem Maß? Der Mönch
mahnte und klagte, indem er mild von der Friedfertigkeit sprach, die das Wesen
seines Volkes verkörperte: historisch
gewachsene tibetanische Identität. Sie zu wahren, war nicht einfach.
Schließlich hielten es die Chinesen wie die Russen. Was einmal im Handstreich
erobert worden war, was sie einmal hatte, das gaben sie als gute Imperialisten
nie wieder her, selbst wenn die Schande zurückblieb. Doch was bedeuten schon Schande und Moral, wo heute nur Macht und
Gewalt zählten?
Mitgefühl erfasste mich. Auch
ich, ein Lamm, war in eine Wolfsburg hineingeboren! Was anderes war im Banat
nach Trianon abgelaufen? Unsere deutsche
Identität unter Rumänen, die Identität der indischen Hindus, jene der
moslemischen Pakistani, der Sikhs, die von einigen als Moslems angesehen
wurden, die Identitäten der Schwarzen aus Kenia und Rhodesien und aus den
Homelands, jene verblichene der Schotten und die ewig frische der Iren aus dem
Norden - all diese gefährdeten Wesenheiten verwiesen auf das gleiche Phänomen: auf die notwendige Aufrechterhaltung der Identität
als der Bedingung einer menschenwürdigen Existenz überhaupt. Das
altgriechische Philosophem Erkenne dich
selbst des Individuums findet seine Entsprechung in der Identität der Völker - als nationale
Identität.
Das fühlte ich jetzt noch
deutlicher. Ein paar Schritte weiter trat ein karibischer Körperkünstler auf,
ein Tänzer, der die Tragik der leidenschaftlichen Rede etwas auflockerte. Der
Pantomime gestikulierte frei rhythmisierend hin und her - und er mimte mehr mit
den Augen, als er mit Lippen und Zunge kundtat, so als ob nur der Tanz die
Botschaft der Gefühle angemessen ausdrücken könne. Der Tanz? Ausdruck der
gesamten Lebensfülle! Er war bei mir verkümmert. Der Valse triste und die
Abneigung vor dem Reigen hatten ihn in den Hintergrund gedrängt, obwohl er im
Symphonischen stets mitschwang - in der Siebten sogar als Apotheose des Tanzes.
Vielfältige Assoziationen auch hier.
Beim dritten Redekünstler wurde
ich noch hellhöriger. Es war wohl ein junger Student aus Südafrika, der da
sprach. Klarer als der Metaphysiker vom Dach der Welt und Karibikakrobat,
dessen Pidginsprache irgendwo an Harry Belafontes Musik erinnerte, aber auch an
die Botschaften jener Musik, äußerte sich der Afrikaner in einem gewählten
Englisch, das sich wohltuend von dem unüberhörbar penetranten Cockney-Akzent
der Londoner abhob. Offensichtlich war er ein später Freund der Weisheit, der
hier irgendwo in der Nähe, in Oxford oder in Cambridge, eine gute Erziehung
genossen hatte.
Wie einst die Sophisten im Alten
Griechenland stand er da in seiner bunt geblümten Galabea und erörterte
ethische Fragen. Er sprach über die eigentlichen Werte des Menschen im
historischen Kontext, über die Grundlagen der Magna Charta und typisch für
Engländer - über Prinzipien und somit über Grundhaltungen, die ich selbst - bei
aller Verliebtheit in die Freiheit-
nie über Bord werfen konnte. Einige Zöpfe blieben auch mir. Der Redner holte
aus, erwähnte Hume, ein Vorbild unseres Philosophen aus Königsberg, den weisen
Locke, schließlich Smith und Mill; er warnte vor Hobbes’ Leviathan und
verknüpfte den Wohlstand der Nationen mit
dem Werteverfall der Jetztzeit, die ohne Anstand und Würde in der Politik gut
auszukommen schien. Und dann sprach er - über die britische Aktualität und über
die eiserne Kralle der Downing Street hinausgehend - von Diamanten und
Goldminen, von der Macht und Ohnmacht des Geldes und - für viele taube Ohren -
auch vom System des Apartheid im
Burenstaat.
Abschließend würdigte er Nelsons
Kampf. Nur sprach er nicht von jener Schlacht bei Trafalgar und von den Taten
des großen Admirals; auch er redete nicht von jenem Nelson auf der Kolumne im
Herzen der City, sondern er meinte einen anderen - den dunkelhäutigen Nelson in
der Einzelzelle auf Robben Island! Er würdigte den Kampf und die Ideale Nelson
Mandelas, des Schwarzenführers, dem die Diamantenhändler schon vor vielen
Jahren seine Freiheit genommen hatten
und ihn gefangen hielten wie eine wilde Bestie aus dem Busch.
Nelson Mandelas Freilassung und
Anerkennung ließ noch viele Jahre auf sich warten. Doch sie kam, weil sich der Gang der Freiheitnicht aufhalten lässt,
nirgendwo auf der Welt! Und heute steht sein Abbild in lebensgroße Bronze
gegossen selbst im konservativen England auf dem Podest!
Der Orator faszinierte. Menschenrechte, Würdeund Freiheit waren Schlüsselbegriffe seiner
Ausführungen, Werte, die zur Emanzipation der Menschheit hinführen sollten. Aus
der Anonymität des Zuhörerhäufchens heraus, genoss ich die flammende Rede - und
war begeistert.
Ja, Nick hatte doch Recht! Was
sich hier vor mir ereignete, das war gelebte und erlebte Freiheit! Der Mann durfte weiter reden -und keiner stürzte sich aus
den nahen Büschen auf ihn, um ihn am freien Reden zu hindern oder um ihn
abzuführen und ihn für unbestimmte Zeit und ohne Urteil in ein dunkles Verlies
zu werfen.
Jetzt verstand ich die
nachhaltige England-Begeisterung Nicks wieder besser, der den demokratischen
Gepflogenheiten meiner väterlichen Ahnen mehr abzugewinnen wusste als ich
selbst. In der Tat - das war politische Kultur oder wie die Griechen und Römer
es definieren würden: Zivilisation!
Feuer und Flamme - mit Nyula am Kamin
Einiges von dem Gehörten klang
noch nach, als ich gegen Abend in eine der südlichen Vorstädte reiste, um dort
zu übernachten. Eine Mitarbeiterin der Gefangenenhilfsorganisation hatte mich
eingeladen, die Nacht in ihrem Cottage zu verbringen, in einem jener typischen
Reihenhäuser mit Kamin, die von den Engländern als Heim und Kastell empfunden
werden, allerdings nicht mit ihr, sondern nur bei ihr. Schließlich war ich auf
der anderen Seite des Kanals. Und Nyula war immer noch eine Lady.
Wie ich bald darauf erfuhr, hatte
sie als Gattin einesFreeman of London
schon bessere Tage erlebt. Nachdem ihre erste Verbindung, eine Zweckehe mit
einem wohlhabenden Freimaurer schnell in Scherben gesunken war, hatte sie in
ihm die große Liebe ihres Lebens gefunden - und diese auch genossen, bis er
allzu früh verstarb und sie unerfüllt zurückließ. Ein Schicksal- und eine
andere Passion. An seiner Seite standen ihr damals die vornehmsten Kreise
offen, bis hin zu Empfängen bei Royals aus Schloss Windsor. Bevor sie vor
Bitterkeit ergraut war, musste sie eine begehrenswerte Erscheinung gewesen
sein. Und auch jetzt noch wirkte sie anziehend.
Nyula empfing mich großherzig und
weltoffen, ohne daran zu erinnern, dass unsere beiden Nationen gerade erst zwei
Weltkriege ausgefochten hatten. Nachdem sich mich mit einem alten
Klapper-Renault aus der Stadt gefahren hatte, hinaus in einen der noblen
Vororte der Metropole, forderte sie mich auf, es mir in ihrem Cottage bequem zu
machen und mich heimisch zu fühlen. Ihr Castle war vorerst mein Zuhause. Ich
staunte. Scheinbar befürchtete sie nicht, dass ich in der Nacht mit den
silbernen Kerzenständern verschwinden würde. Sie legte mir eine Wolldecke
bereit. Auf der alten Couch am Kamin sollte ich die Nacht verbringen. Doch was
war mit dem wärmenden Feuer?
„Könnten wir vielleicht den Kamin
anwerfen?“ fragte ich, nachdem ich eine Weile in die fahle Asche gestarrt
hatte. Eine Feuerstelle ohne Feuer?
„Ach, dieser Kamin, der raucht
mehr als er brennt. Er wärmt bestenfalls die Seele etwas auf“, seufzte Nyula.
„Um ein richtiges Feuer zu entfachen, bräuchten wir gutes Kaminholz. Birke
müsste es sein oder Buche. Das aber fehlt uns hier in der Stadt. Draußen auf
dem Land, unten in Devon, wo früher unser Häuschen stand, war das kein Problem.
Doch nun ist es eins. Wir kriegen nur billiges Nadelholz aus Schweden, und das
zu Apothekerpreisen. Da sprühen die Funken und es besteht Brandgefahr. Deshalb
verzichtet mancher Engländer auf sein Feuer im Kamin. Der ist eigentlich nur
noch Dekoration, wie vieles, was sehr britisch ist. Er gehört einfach zur
Lebensart.“
Merkwürdig! Ein kalter Kamin?
Wunderte ich mich im Stillen. Würde denn ein genussfreudiger Franzose nur am
alten Weinfass festhalten, ohne den feurigen Wein zu trinken? Oder am alten
Cognac in der Flasche, nur als Prestigeobjekt, ohne je daran zu nippen? Ein
neuer Fall für Voltaire!
Während ich dem Staunen
überlassen blieb wie ein Ehrfürchtiger vor der Schöpfung, suchte Nyula dann
doch noch einige Scheite zusammen, brachte Zündhölzer und bat mich, das Feuer
zu entfachen.
Nichts lieber als das. Darin
hatte ich Übung - auch als unfreiwilliger Meister des Feuers. Zwei Manuskripte
waren bereits den Flammen übergeben worden und manches Ideelle war verraucht.
Also beugte ich mich nieder, entfernte die alte Asche vom Rost, zückte das
Taschenmesser mit dem Kreuz, machte ein paar Späne und zündete den Zunder an.
Der Zug stimmte. In wenigen Minuten war loderndes Feuer im Kamin.
Feuer machen- das hatte etwas
Rituelles und verwies auf eine archaische Struktur, die tief in die
Menschenseele hineinreichte und entwicklungsgeschichtlich zurückführte bis in
die Anfänge seiner Evolution. Religio? Ja, der Umgang mit dem Feuer war
Religion! Zumindest für mich.
Und mit dem Feuer spielen - das
hatte etwas Existentielles und den Reiz des Verbotenen. Das Überschreiten des Du darfst nicht stand dahinter: Schon
damals in der frühen Kindheit, als das Unkraut angezündet wurde, das Lagerfeuer
auf der Wiese, das Feuer im Kachelofen oder im Herd! Natürliches Feuer im Herd
erquickte anders als ein glühender Draht - und es leuchtete anders als die
zahme Flamme in der Petroleum-Lampe, wenn der Blitz einmal die Leitungen
zerstört hatte. Unbewusst war ich früh darum bemüht, selbst ein kleiner Meister
des Feuers zu werden, ein Alchemist noch vor der Chemie, der im virtuosen
Umgang mit dem Element aus einer Materie eine neue Materie schuf, der- in der
Überschreitung der begrenzenden Schranke etwas formte, was über ihn hinausging.
Feuer brachte Licht in die Welt, Feuer garte und wärmte. Feuer weckte Erinnerungen
- wie der Mythos vom Himmelsfeuer, hundert Assoziationen, Geschichtlein und
selbst erlebte Anekdoten, deren köstlichste ich natürlich zum Besten gegen
musste.
Wer
bin ich? Back to the roots!
Mit den Worten: Ich bin Prometheus, hatte ich unlängst
eine junge Französin schockiert, die rätselte, weshalb ich auf der Grillparty
so begeistert in der Glut herum stocherte. Und
was hat Prometheus mit dem Feuer zu tun - fragte sie konternd zurück. Mit
ihrer Replik erschlug sie mich fast. Ich
kenn unter der Sonn nichts Erbärmlicheres als euch … Menschen, hätte ich
gerne ausgerufen, den antienzyklopädischen Zeitgenossen im Visier, der den
alten Mythos verkannte, die neue Mythologie und die neueste Mythopoesie als
Arbeit am Mythos! Die offensichtliche Bildungsfeindlichkeit irritierte - und
meine Prometheus-Anekdote war nur ein verdichteter Hinweis auf ein gravierendes
Zeitproblem. Der Kultur-Schock währte Jahre und wurde später zum geflügelten
Wort. Gleichzeitig verdichtete sich der Ausspruch zu einem Bild, in dem ich
einmal den Untergang des Abendlandes einzufangen
gedachte. Noch oft zitierte ich die Sentenz als Symptom unserer Welt, die den
Humanismus zugunsten der Computerisierung geopfert hat. Gesellschaftskritik und
Kulturkritik liegen oft dicht beieinander. Nyula lachte. Und das Feuer loderte.
In London rauchte nunmehr ein
Schlot mehr als Hinweis auf Menschen an einer Feuerstelle. Die Neandertaler
hatten so begonnen. Und in weiten Teilen der Welt saßen die Menschen immer noch
um das Feuer, dessen Rauch zu höheren Himmeln aufstieg. Wie drückte es jener
Zigeuner aus, als er sich am dampfenden Misthaufen einen Glimmstängel anzünden
wollte: Wo Rauch ist, dort muss auch Feuer sein! Zigeuner, die in England Gipsy heißen, liebten das Feuer; nicht
nur die Kesselflicker, alle Zigeuner - Deshalb liebte ich die Zigeuner und das
Zigeunerwesen. Inzwischen war aus dem Feuerchen ein Feuer geworden. Je mehr es
anschwoll, desto heimischer fühlte ich mich in dem gastfreundlichen Castle in
der großen, fremden Stadt.
Ob sie etwas Musik auflegen
solle, erkundigte sich Nyula, und was? Klassik oder eher etwas meditativ
Entspannendes? Ein paar Dutzend Platten waren da, Grieg, Sibelius, Ravel,
Berlioz, Tschaikowsky, Dvorak und einiges von den ganz Großen der Komposition,
ferner irische Musik, französische Chansons, Brel, Moustaki, Aznavour. Wofür
sollte ich mich entscheiden? Für französische Lebensart in englischer Wüste?
Für irisches Kneipengefidel mit Getrampel? Ravels vertrauter Bolero war ein Mittelding - zugleich,
was meine Gastgeberin aber nicht wissen konnte, individuelle Musik der
Verfolgung und der Befreiung zwischen Vergangenheit und Zukunft.
Der alte Plattenspieler
knatterte, dann trommelte es und eine unendliche Melodie kam auf. Nyula hatte
mir bereits einen französischen Weinbrand in den Schwenker gegossen, nachdem sie
schnell herausgefunden hatte, wie wenig ich mir selbst aus altem irischen
Whiskey machte. Sie selbst nahm gleich einen Scotch. Nur einen Tropfen! Den
musste sie haben, doch nur einen; und diesen zur Feier des Tages, als einsame
Ausnahme, weil ich da war. Sonst, betonte sie mit ernster Mine, trank sie nie
daheim … zumindest nicht allein! Never!
Dann steckte sie sich einen
Glimmstängel an, nur so, weil das so gut zum Scotch passte; und dann noch einen
und noch einen - die Nerven, sagte sie, die unendlichen Leiden, Kummer und
Sorgen, Melancholie … und der Stress der Großstadt verlangten danach!
Süchtig war sie nicht. Sie genoss
alles nur so, ganz freiwillig, sagte sie. Sie entschied sich zwischen den
Zwängen. Auch das war gelebte Freiheit. Nyula war keine dionysische Natur, die
einsam feiern konnte. Sie brauchte die Gesellschaft. Das alles und manches über
ihr Leben erzählte sie mir so nebenbei, nachdem das Eis gebrochen und sie
Vertrauen gefasst hatte.
Das Getrommel wurde zunehmend
lauter und die Melodie intensiver. Der oft gehörte Rhythmus beruhigte und
lullte mich ein. Während ich ins Feuer starrte, machte sich Nyula in ihrer
kleinen Küche daran, einen Dinner für Zwei vorzubereiten. Was es wohl geben
würde? Ich war gespannt! Denn der englischen Küche eilte ein Renommee voraus,
das durchaus noch gesteigert werden konnte.
Die Scheite knisterten und die
Glut des Cognacs glitt mir über die Zunge in die Kehle, auch dort Feuer
verbreitend. Und die Gedanken nahmen ihr Kreisen auf, rotierten und
entschwirrten über die enge Welt der Cockneys hinaus aufs Land, nach Kent, in
die Welt der geschätzten Glimmstängel, dann nach Essex und Sussex, wo nicht nur
Hühnerrassen herstammten, sondern auch Rosen, vielblättrige Englische Rosen und
ein Teil meiner Ahnen. Ja, ich weiß, woher
ich stamme, hatte ich mir oft in den Bart gemurmelt, wenn ich nach
Ursprüngen und Wurzeln suchte und, dem aufsteigenden Rauch nachsehend, noch
hinzugefügt: ungesättigt gleich der
Flamme, glühe und verzehr ich mich. Dissidenten verzehrten sich ebenso wie
andere Idealisten und sensible Dichter, vor allem dann, wenn sie selbst
dichteten.
Eigentlich war ich nur unweit von
jenem Ort in Südengland entfernt, wo einst mein Vorfahr in eine freiere und
bessere Welt gestartet sein soll. Back to
the roots? Ein sonderbares Gefühl! Oberschwaben und der Schwarzwald
bezeichneten die Herkunft der einen Linie - hier auf der Insel war der
Ausgangspunkt der anderen. Leichte Nostalgie kam auf, ausgehend von einer
Rückbesinnung auf die eigene Identität, die für Menschen genauso wichtig ist
wie für Staaten. Back to the roots?
Nyula ahnte nichts von meinen
Ahnen, noch von meinem tieferen Sehnen nach Gewissheit. Einen
Eisenbahningenieur namens Gibson soll es irgendwann in das Banat verschlagen
haben, berichtete man mir schon in der Schulzeit. Ob es stimmte? Andere dieses
Namens strandeten im fernen Australien, in Ostdeutschland und in Nordamerika,
wo ein halbes Dutzend Ortschaften diese Bezeichnung tragen.
Dinner für Zwei
Nyula hatte noch ein Rendezvous
am Abend. Bevor sie sich zu ihrem Treffen aufmachte und in den Club ging oder
auch nur in den Pub, ganz genau wollte ich es nicht wissen, stand unser Dinner
an. Augenblicke zuvor war die Küche noch kalt. Jetzt aber, kaum zwei Minuten darauf,
bimmelte die Mikrowelle begleitet von Nyulas Stimme, die mir einladend
zurief:„Dinner is ready, Carl!“
Menu
surprise!
Nyula kredenzte mir tatsächlich einiges von den Köstlichkeiten, die der
englische Küche zu jener sprichwörtlichen Berühmtheit verhalfen: ein
Thunfischsandwich als Vorspeise und dann als Krönung insulanischer
Kulinaristik- eine aufgewärmte Fleischpastete als Hauptgang, die vorher im
Kiosk beim Inder um die Ecke gekauft worden war!
Die Fleischpastete dampfte, und
ich verzog die Nase. Es war mir unmöglich, das unappetitlich duftende Ding zu
verzehren. Popa-Şapca-Alpträume wurden wach. Der anwidernde Duft der
Arpakaschsuppe kam wieder hoch und mit ihm ein altes Ekelgefühl. Nur war der
Ekel diesmal anderen Ursprungs. Was tun, ohne unhöflich zu wirken? Das Gericht
verschmähen konnte ich ebenso wenig wie es in heroischer Selbstüberwindung
hinunterzuwürgen. Not macht erfinderisch! Während Nyula mir für Momente den
Rücken zuwandte, um noch etwas aus der Küche zu holen, nahm ich das komische Fleischküchlein
im Teigmantel, wickelte es in eine Serviette und verstaute es schleunigst in
der Seitentasche des Jacketts voller Zuversicht, es so bald wie möglich in den
nächsten Mülleimer werfen zu können. Als Nyula wiederkam und leicht
konsterniert vermutete, die Delikatesse sei längst verschlungen, blieb mir nur
noch die Flucht in die Heuchelei. Einem modernen Gentleman gleich, der eines
sagt und ganz anders handelt, bedankte ich mich artig für das reichhaltige
Abendmahl, inständig hoffend mein Minenspiel werde der Scheinheiligkeit folgen.
Doch gerade als ich erleichtert
aufatmete, froh darüber, der feinschmeckerischen Heimsuchung und potentiellen
Fleischvergiftung entronnen zu sein, sprang ihr kleiner Schoßhund, ein
liebenswürdiger, drahtiger Yorkshire-Terrier, zu mir auf den Stuhl hoch und
fing an, an meiner Jackentasche herumzuschnuppern. Das Hündchen mit dem
merkwürdigen Namen Judge Tim drang ins Verborgene vor und war fast schon dabei,
losbellend den Strolch zu entlarven. Nun war ich ertappt - und die Täuschung
würde gleich auffliegen?! Peinlich!
Was blieb mir anders üblich, als
plötzliches Unwohlsein vorzutäuschend auf die Straße zu stürzen, nach dem
widerlichen Ding zu greifen und es mit aller Wucht, ohne mögliche Folgen zu
bedenken, einfach über eine Mauer zu werfen, hinein in einen Strauch verblühter
Heckenrosen im nachbarlichen Garten. Die edlen Pflanzen hatten das sicher nicht
verdient. Doch ich handelte aus Notwehr!
Nur gut, dass ich nicht auch noch
etwas von der Soße genommen hatte! Wie hatte schon mein geistiger Gewährsmann
Voltaire die englische Küche einst charakterisiert? Die Insulaner hätten
hundert Religionen, doch nur eine Sauce! Das war boshaft untertrieben!
Inzwischen, nach zwei Jahrhunderten, hatte Nyula sogar zwei davon: eine weiße
und eine braune - und dazu noch weißen Toast und braunen. Das alles hätte ich
haben können! Nach der lukullischen Eskapade, die nicht sättigender wirkte als
das opulente Diner in Paris, atmete ich auf, heilfroh darüber, dass mir weitere
endemische Köstlichkeiten erspart blieben.
Nachdem die ahnungslose Nyula
gegangen war, kehrte Ruhe ein. Meditative Stille. Zufrieden und mit der Welt
versöhnt nippte ich gelegentlich an dem Gläschen Weinbrand, genoss das neu
einsetzende Getrommel und starrte lange in die Glut. Endlich war ich allein und
bei mir, allerdings in einer fremden Stadt. War ich auch einsam, gar
vereinsamt? Oder war das nur ein Topos, ein Archetypus für das Sein als
Verlassensein?
Leichte Melancholie kam auf und
eine Ambivalenz der Gefühle. Sweet
melancholy? Was war zarter als Melancholie - und was war schrecklicher? Was
war süßer und was herber? Robert Burton, der Hypochonder, hatte hier an den
Ufern der Themse verzweifelt darüber sinniert und mancher Dichter der
Elisabethanischen Zeit ebenso - auch Shakespeare, der geniale Christopher
Marlowe in seinem Faust und die
luziferischen Dichter der Schwarzen Romantik. Was war die Zeit?
Vergänglichkeit!
Irgendwann schlief ich
halbversöhnt ein. Nur war die Couch recht kurz und hart. Letztendlich
verbrachte ich dann doch eine recht unruhige Nacht, garniert mit neuen
Alpträumen aus der Gefängniszeit, mit Schreckensbildern aus der Welt der
Schlangen und Basilisken. Das Unterbewusstsein reinigte sich auf seine Weise.
Als ich frühmorgens unausgeschlafen und gerädert aufwachte, hatte ich eine
verzogene Wirbelsäule und ein steifes Genick. Also passte ich in die Landschaft
der Griesgrämigen in der City, die allesamt die Werke Schopenhauers
verinnerlicht zu haben schienen. Das Leben war Leiden, auch für die
Nichtbuddhisten am Ufer der Themse.
Amnesty … an der Kette!? Listen!? Irrungen,
Wirrungen und starre Statuten
Nach einem klassischen Frühstück
mit jenen ominösen Würstchen, an denen bisher nach kein England-Reisender
vorbei kam und deren Geheimrezept noch besser gehütet wird als das einer
prickelnden Kokalimonade, begann am frühen Nachmittag der ernsthafte Part der
Reise: Gespräche über Menschenschicksale standen an.
Wir trafen uns in der Zentrale
der Menschenrechtsorganisation. Mit am Tisch saßen meine Gastgeberin, die ihren
Ausgehabend gut überstanden hatte und der Osteuropakoordinator von Amnesty
International. Zunächst erörterte ich die Abläufe in Bukarest und Temeschburg,
nicht ohne die symbolische Unterstützung des Vereinigten Königreichs über ihre
Botschaft in Bukarest ausdrücklich zu würdigen. Mein Englisch war zwar immer
noch nicht viel besser als damals in der Mission, als ich union noch wie onion ausgesprochen
hatte, doch es reichte aus, um Essenzen zu vermitteln.
Gemeinsam gingen wir den
umfangreichen Namenskatalog durch, den ich im Vorfeld der Reise aus dem
Gedächtnis erstellt hatte. Die schon von Giordano Bruno praktizierte und
kultivierte Mnemotechnik ist ein gutes Mittel, Gehirnaktivitäten zu stimulieren
und das Erinnerungsvermögen zu trainieren. In der Zelle, wo mir Bleistift und
Papier verweigert worden waren, hatte ich viel Zeit damit verbracht, das
mentale Speichern einzuüben. Dabei bildete sich die Fertigkeit aus, über
logische Verknüpfungen, so genannte Eselsbrücken, möglichst viele Namen oder
Fakten zu memorieren und diese für lange Zeit im Gedächtnis zu verankern. Die
erstellte Liste war das greifbare Endprodukt der Methode. Listen!? Mitten im
tosenden Holocaust hatten der deutsche Unternehmer Schindler und der
schwedische Diplomat Raoul Wallenberg
Listenerstellt, die unzähligen Verfolgten des Nationalsozialismus das Leben
retten, Lebenslisten, wo andere
Verbrecher in Berlin und Moskau nur an Todeslistenarbeiten!
Hier gedachte ich an Schindler
und Wallenberg anzuknüpfen mit einer Liste, die Ähnliches bewirken sollte. So
etwa hatte ich mir das bereits in der Zelle ausgemalt und im blinden Glauben an
die Moralität des Westens den Verfolgten einiges versprochen im Vertrauen
darauf, die demokratische Gesellschaften Westeuropas würden mir dabei
behilflich sein, mein Versprechen auch einzulösen. Mit der langen Namenreihe
konfrontierte ich nun meine Gesprächspartner und erzählte zu jedem Namen und
Fall eine individuelle Geschichte. Um möglichst überzeugend zu berichten, zog
ich alle Register meines autodidaktisch angeeigneten Ostblock-Englisch. Von
Fall zu Fall verwies ich auf die offizielle Verurteilung und erläuterte die
tatsächlichen Hintergründe der Haft einzelner Personen, die vom Regime bewusst kriminalisiert worden waren. Meine Absicht
war, die Häftlingshilfeorganisation dazu zu bewegen, möglichst viele der auf
der Liste vermerkten Fälle, die aus meiner Sicht eindeutige Opfer darstellten,
als politisch Verfolgte anzuerkennen, sie zu adoptieren und ihr Schicksal öffentlich bekannt zu machen. Manch
einer der so genannten Republikflüchtlingewar
nicht wegen der angestrebten illegalen Grenzüberschreitung verurteilt worden,
sondern wegen Beamtenbestechung. Anderen unterstellte man Unterschlagung, um
die unbefriedigenden Produktionsergebnisse zu rechtfertigen oder illegale
Bereicherung. Anderen, wie dem blonden Bäckersjungen aus der Nachbarschaft,
unterstellte man überhaupt nichts mehr - und verurteilte sie nur so: weil es dem Staat so gefiel - jenem
Unrechtsstaat, der über seine Schreibtischtäter und Handlager in allen
Bereichen der Exekutive das tat, was er wollte.
Einige Pseudoverurteilungen
versuchte ich anzusprechen und zu verdeutlichen. Doch meine Argumentation fand
kein richtiges Gehör. Zu meiner herben Enttäuschung interessierten von den
vielen Namen auf der Liste, die für mich, den Eingeweihten, mehr waren als
bloße Namen und Nummern, nur einige besonders markante Fälle. Die
Hilfsorganisation sah sich ausformalen
Gründen gezwungen, nur eindeutige Opfer
aufzugreifen, um einige von ihnen für eine mögliche Adoption vorzusehen. Es
waren in der Regel nur Personen, die aus
weltanschaulichen und religiösen Gründen offiziell verfolgt wurden, so
genannte Gesinnungshäftlinge, Leute wie mein Zellenkumpan Lae, der Baptist! Ein
umfassenderes Engagement wurde gleich mit der Begründung abgelehnt, die gezielte Kriminalisierungder anderen
Häftlinge auf der Liste könne objektiv
nur schwer nachgewiesen werden und sei kaum zu vertreten.
Zunächst reagierte ich verblüfft,
dann geschockt und mehr und mehr ungehalten. Aus meiner Sicht war das ein
kleiner Skandal. Denn mit dieser äußerst zurückhaltenden Haltung wurde das Mittel der Kriminalisierung endgültig
sanktioniert. Ohne locker zu lassen, rollte ich die Problematik noch einmal
auf und zog, um den Staatsbetrug auf den Punkt zu bringen, den eigenen Fall als
Beispiel heran. Hatte ich, der doch nun physisch hier saß und - munitioniert
mit Dokumenten aller Art - berichtete, nicht selbst eine halbjährige Haft
hinter mir, die für eine fiktive Anschuldigung ausgesprochen worden war, für
ein Vergehen, für einen Verstoß - nur für welchen? Was hatten
wir eigentlich getan, was gegen geltende Gesetze verstoßen hätte? Wogegen
hatten wir konkret verstoßen? Die ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter saßen
hilflos da, einsichtig zwar, aber in den Statuten von Amnesty International gefangen. Gefangen! Es klang paradox und war
paradox, wenn nicht gar absurd? Stoff für Ionesco? Ich hätte ihm berichten sollen!
Amnesty International, die
Gefangenen-Hilfsorganisation, lähmte sich selbst und legte sich selbst an die
Kette!
So etwas hätte ich nicht für
möglich gehalten! Die Freiheitwar
nicht in der Lage, die Gerechtigkeitdurchzusetzen.
Obwohl durchschaut, durfte die Lüge weiter
wirken. Darin erkannte ich wieder einmal das Versagen des Westens.
War das nicht symptomatisch für
den Gesamtzustand der Welt? Und war es auf völkerrechtlicher Ebene bei der UNO
viel anders? Galt die Ethik der Völker noch etwas? War es endgültig aus mit den
Idealen der Freiheit und Humanität sowie der Moral? Hatte Cioran doch Recht -
und das große Heer der Skeptiker und Pessimisten vor ihm? Waren wir, um mit dem
Immoralisten Nietzsche zu sprechen, jetzt tatsächlich jenseits von Gut und Böse angekommen?
Allmählich setzte sich der
Eindruck fest, diese jungen Engländer, die mir weitaus naiver erschienen als
ihre realitätsbezogenen Kollegen in Paris, verstünden die wahren Verhältnisse
im Ostblock nicht ganz. Sie wirkten zum Teil überfordert, nicht anders als
mancher deutsche Hochschulprofessor, der
nur die Einmaligkeit des Nationalsozialismus hervorhob und dabei die Millionen
Opfer des Stalinismus vergaß. Zwischen der grauen Theorie im Elfenbeinturm
und dem tatsächlich Erlebten bestand immer schon eine riesige Diskrepanz. Das
schlechte Gewissen regte sich: „Wir müssen genau hinsehen, wen wir adoptieren!
Leider! Wir können nicht jeden als politisch
verfolgt aufnehmen, sonst werden wir
unglaubwürdig“ wiegelte jetzt auch Nyula ab. Mir, dem noch mittelbar
Betroffenen, fiel es schwer, solchen Rechtfertigungen zu folgen. Ging es denn
hier um die Imagepflege einer Organisation, um Selbstzweck? Oder sollten
Verfolgte zumindest moralisch unterstützt werden? Was machte es aus, wenn ein
paar Namen mehr auf der Liste der Entrechteten, Stigmatisierten und
freiheitlich Deprivierten auftauchten?
„Es muss doch Mittel und Wege
geben, den Gefangenen hinter dem Eisernen Vorhang irgendwie moralisch
beizustehen und zu helfen! Viele aus ihren Reihen hoffen auf Amnesty International, genauso so wie
sie auf Jimmy Carters Amerika setzen und auf die freien Demokratien des
Westens! Ihre Organisation hat sich nun einmal dieser Aufgabe angenommen. Und
es gibt keine andere. Deshalb orientiert sich das Hoffen der Verfolgten in eine
Richtung, hierher nach London!“ konterte ich vorwurfsvoll, entrüstet über die
Tatsache, dass die Auswahl von Menschenschicksalen nicht viel anders gehandhabt
wurde als das stock picking an der
benachbarten Börse im Financial District.
„Dann müssen Sie eben eine
Organisation gründen, die nach anderen Statuten agiert! Sie können sich dann
dieser Justiz-Irrtümer annehmen!“ entgegnete mir der junge Beauftragte leicht
arrogant. Das war dann doch zuviel. Mir verschlug es die Sprache. Mit einem
dicken Kloß im Hals, raffte ich die ausgebreiteten Zettel auf einen Haufen,
bedankte mich förmlich für das Gespräch und schlich enttäuscht davon.
Als Nick mir vor einem Jahr im
Cismigiu-Park von Amnesty International vorschwärmte
und von seiner noblen Absicht, selbst eine Koordinationsgruppe der
Hilfsorganisation in Bukarest ins Leben rufen zu wollen, sprach er von Heiligen
und von irdischen Engeln. Von der Engstirnigkeit
enger Satzungen in Engelandhingegen berichtete er mir damals nichts. Manche
Erfahrungen mussten selbst gemacht werden, bevor man sie glaubte.
Gerade im Begriff, das Gebäude
für immer zu verlassen, erreichte mich Nyula, die mir hinterher geeilt war, auf
der Treppe. So einfach könne ich doch nicht davonlaufen, es gäbe doch noch
manches zu besprechen. Auch solle ich noch einen Tag anhängen und noch einmal
bei ihr im Cottage übernachten, schlug sie vor. Etwas Menschlichkeit war wieder
da. Wie sollte ich regieren? Spontan, ohne an die harte Couch und an die
Segnungen der englischen Gastronomie zu denken, die wieder auf mich zukamen,
wenn ich zusagen würde? Da mein Rückflug nach Frankfurt aber sowieso erst spät
am Folgetag erfolgen sollte, ließ ich mich gern überreden und blieb.
Humor und Galgenhumor
Die äußere Freiheit des Geistes
ist der Humor, er ist immer souverän. Ludwig Börne
Diese Entscheidung sollte ich
nicht bereuen. Nachdem ich mir nachmittags etwas von der belebten Innenstadt
ansehen konnte, vom Regierungsviertel und vom St. James Park unweit der
Queen-Residenz, hockten wir uns am Abend wieder vor das Feuer im Kamin. Diesmal
nahm ich in einem alten Ohrensessel Platz, während Nyula sich mit einem
spartanischen Holzstuhl begnügte. Der Terrier Timm tänzelte herum und
schnupperte heute an meinen Socken herum, die wohl mehr nach Appenzeller
dufteten als nach dem Pflaster der City. Ein bescheidener Weinbrand stand
bereit und einige Toastsandwiches vom Inder, teils mit Schinken, teils mit
Gurke belegt. Das beruhigte. Beherzt griff ich zu und aß ein paar Schnitten mit
Appetit, heilfroh keine Pastete, keine Pommes frites-Brötchen oder öltriefenden
Kabeljau in Zeitungspapierverpackung verzehren zu müssen. Andere Länder, andere
Sitten!
Doch die Herzlichkeit stimmte.
Nyula, die ich von Anfang an duzen musste, weil es nicht anders ging, schlürfte
genüsslich ihren Scotch. Und dies obwohl sie, eine gebürtige Irin von der
anderen grünen Insel, wie sie mir bald offenbarte, die Schotten ebenso wenig
mochte wie die Waliser, aber alle immer noch lieber hatte als die Engländer.
Die arroganten Engländer, die einst die Schotten unterworfen hatten und die
Iren, die ihr Volk aushungerten, um es schließlich übers Meer zu treiben und in
alle Winde zu zerstreuen, jene Eroberer, die vor, neben und nach der
Versklavung der Iren fast die ganze Welt unterjochten - waren in ihren Augen
wohl die letzte unter den großen Nationen. Nur in mir, dem bereits verwaschenen
Angelsachen von vorgestern, sah sie vorerst eine seltene Ausnahme - und wie ich
mit Verblüffung vernahm - allways a gentleman!
Wie schön Schmeicheleien klingen, wenn sie ernst gemeint sind! Auch in Nyula
wirkte die tragische Geschichte fort - der Glanz und die Gloria Englands, was
in ihren Augen nur nackter Imperialismus und zugleich die Leidensgeschichte
ihres Volkes war.
„Die Armut führte mich nach
England“ gestand sie mir nach ein paar Gläsern Schnaps, als die Verkrampfungen
der Seele sich Schluck für Schluck zu lösen begannen. Dann kam die
ursprüngliche Gesinnung durch, irische Patriotismus - und mit ihm die zweifache
Passion. Deutlich spürte ich etwas von ihrem Unbehagen, fast arm im reichen
Grimstead leben zu müssen, statt geborgen zwischen Druiden und Katholiken auf
dem noch grüneren Eiland. Sie vermisste ihre Heimat sehr, ihr irisches Umfeld,
ihre Großfamilie, die zwischen Seattle und Sydney verstreut lebte. Bruder
Cyrill lebte in Dublin und war als Anwalt sehr erfolgreich. Doch eine Rückkehr
dorthin schied für sie aus; ihr fehlten dort sowohl das Umfeld wie auch ein
Auskommen. Also blieb sie einsam im Greater London und lebte im Grunde im Exil.
Waren alle um mich herum Exilierte? Ihr Herz und ihre Gedanken aber blieben
Irland, bei ihren Landsleuten, die anders waren und anders fühlten als die
Engländer vor der Tür. Es war schmerzvoll, fern der eigentlichen Heimat zu
leben. Wehmut und sogar etwas Verbitterung kamen durch, als wir darüber
sprachen, wie einzelne Engländer immer noch mit Iren umgingen, getragen von der
Arroganz und dem Ungeist der Geschichte. Religiöse Spaltung hielt den Brandherd
in Nordirland wach, jenes Fleckchen Erde, das für sie Heimat war; das besetzt war und das, ungeachtet aller
europäischen Einigungsversuche, noch besetzt bleiben sollte und im Krieg, im
schlimmsten aller Kriege, im Bürgerkrieg. Auch in Nordirland ging es um Menschenrechte, um elementare Bürgerrechte für Iren, die Premier Thatcher nicht
wahrhaben wollte - und die gerade jetzt über todbringende Hungerstreiks vieler
Gesinnungshäftlinge aus den Reihen der militanten IRA durchgesetzt werden
mussten. Das massive Unrecht, von fanatisierten Protestanten geschürt und von
der Downing Street gefördert, rüttelte sie auf. Und ich, der ich tief im Osten
Europas ähnlich prinzipienlose Abläufe erlebt hatte, fühlte mit ihr und ihrem
Protest. Freiheit - galt dieses
Prinzip nicht auch für Nordiren und Basken, für Kurden und Palästinenser, für
Tschetschenen und für andere hundert Völker, deren Namen kaum einer kennt?
Aber es blieb auch noch Zeit für
schönere und angenehmere Themen, für solche, die allgemeines Wohlgefallen
auslösten. Also redeten wir über erregende und aufregende Poesie, über irre
Dichter und dichtende Iren, über Yeats und Joyce, über einen meiner Lieblingsdichter
im Englischen, über Oscar Wilde, der zufällig auch ein Ire war und nun
vertrieben und verbannt in Pariser Erde ruhte; und wir streiften Heinrich Bölls
Wirken auf der grünen Insel, der er in dem ihr gewidmeten Tagebuch ein deutsches Denkmal gesetzt hatte.
Über die Volksmusik der Iren mit
ihren Klagen kamen wir auf Humor Galgenhumor. Als das Gespräch über Lebensart
auch den Bereich des Lukullischen tangierte, konnte ich es nicht unterdrücken,
sie nach jenem siebengängigen Menu zu fragen, welches angeblich kein Ire gerne
verschmäht: Ein Sechser-Pack Bier - und
eine Kartoffel! Nyula musste herzhaft lachen. Für Sekunden verflog die
Bitterkeit. Doch sie kam wieder. Die fehlende Kartoffel hatte Millionen Opfer
gefordert. Der mir attestierte englische Humor war ihr irgendwo noch
sympathischer als meine Herkunft. Solange ich diesen behalte, sei noch nichts
verloren, meinte sie scherzhaft. Der Humor, vor allem der rabenschwarze
Galgenhumor, hilft gerade Menschen und Völkern, die in Ohnmacht leben müssen,
ihren Alltag seelisch zu bewältigen. In der Zelle, wo kaum Zeit für Muße oder
Späße war, hatte ich diese Erfahrung gemacht; und im weiteren Kreis der Hölle,
im großen sozialistischen Gefängnis ebenso. Humor half oft dabei, über die
Tristesse hinweg zu kommen, ja selbst beim Bewältigen von Katastrophen. Nach
den schweren Überschwemmungen, nach Sintflut
in Rumänen und nach dem noch verheerenderen Erbeben wurden hochkomische Witze
fabriziert. Das war hier in London nicht anders. Nur waren es hier andere
Feindbilder, die mit Wertvorstellungen wie nationale Identität und Heimat
kollidierten.
Als ich schließlich von Nyula
schied, waren wir fast schon Freunde geworden. Wir telefonierten noch oft
miteinander und intensivierten die Beziehung über Jahre - bis ihr Telefon eines
Tages nicht mehr klingelte. Vermutlich war sie in letzter Einsamkeit
verstorben. Hoffentlich mit dem tröstenden Glas in den Fingern und einem
aufwühlenden Bolero im Ohr!
Am nächsten Vormittag nach der
Verabschiedung hatte ich noch ausreichend Zeit, um wenigstens etwas vom
kulturellen London zu sehen. Schnell lief ich durch die National Gallery, wo alles aushing, was die Malerei seit der
Renaissance an Berühmtem hervorgebracht hatte und ging anschließend in das British Museum, das auf meiner Agenda genauso
hoch angesiedelt war wie der Louvre. Doch ging ich nicht hin, um den Urtext des
Kommunistischen Manifestes zu
bestaunen, der dort angeblich gelagert wird, sondern ich widmete mich einem
anderen Fossil und studierte kurz eine Sache, mit der ich noch keine Erfahrung
hatte: ein riesiges Dinosaurierskelett, das darauf verwies, dass selbst das
Größte und Mächtigste dem Zahn der Zeit unterworfen und vergänglich ist. Die Anatomy of Melancholy - auch hier? Die
Dinosaurier waren alle längst tot. Nur ihre fernen Verwandten, die Chamäleons
und Warane, lebten noch und pflanzten sich munter fort. Inzwischen hatten die
großen und die kleinen Drachen aus Madagaskar und von der fernen Osterinsel
London bevölkert, die Regierungsgebäude, die Glaspaläste der Banken und die
Handelszentren in den Docklands. Und mit ihnen kam auch die neuköpfige Hydra
zurück, die bereits Bukarest, die Metropolen an der Isar, an der Seine und
sicher auch schon jene an der Spree eingenommen hatte. Und sie kam mächtiger
als je zuvor, so als ob dagegen immer noch kein Kraut gewachsen schien. Leicht
deprimiert reiste ich ab; überzeugt, von den Briten werde auch in fernerer
Zukunft keine große Hilfe zu erwarten sein. Rule, Britannia! rule the waves, Britons
never shall be slaves! Wohlan! Nur galt der kategorische
Imperativ auch für Völker?
Im Flugzeug über den Wolken, wo
auch das Grübeln manchmal grenzenlos ausufert, kam alles wieder hoch wie im
Bolero. Der Tiefschlag war noch nicht überwunden. Die Organisation erschien mir
im Rückblick wie ein Häufchen Bürokraten, die selbstgefällig eine Alibiveranstaltung
inszenieren. Die Amnesty International-Begeisterung Nicks konnte ich jetzt
überhaupt nicht mehr nachvollziehen. Ursprünglicher Idealismus schien in
profaner Realpolitik zu verrauschen. Die Bastionen der Freiheit schwanden sichtbar. Die Statue der Freiheit stand woanders. Trotzdem nahm ich mir vor, mit der
deutschen Koordinationsgruppe von Amnesty
International aus Rehden-Diepholz bei Bremen, die Kontakt zu mir
aufgenommen hatten, weiter zusammenzuarbeiten; ahnte aber, dass dies kaum weit
führen konnte, wenn die formalen Vorgaben aus London alles einschränkten.
Das militante Eintreten für Freiheitunter den Bedingungen einer
Diktatur und in permanenter Auseinandersetzung mit einem repressiven System war
nie einfach. Aber es hatte idealistische Ressourcen mobilisiert und dem
Individuum bewiesen, wer es wirklich ist und was es aus seinem Innersten heraus
zu leisten vermag. Allmählich fühlte ich mich wie ein Handlungsreisender, aus
dem ein Handlanger zu werden droht, wie ein Versicherungsvertreter, der, nach
rhetorischem Aufwand, keinen Abschluss getätigt hat. Merklich schwand die Lust
an dieser Form der fortgeführten Dissidenz im Westen. Gegen eine Klagemauer
anrennen, war das nicht hochgradig absurd?
Mit dieser Reise hatte ich das
den Verfolgten gegebene Wort gehalten - ich hielt es auch gegenüber der
Hilfsorganisation in der kommenden Zeit. Parallel
zu meinen künftigen Aktivitäten musste ich jedoch feststellen, dass meine in
London formulierten Befürchtungen zutrafen und alle, die sich im Inland und
Ausland für die Durchsetzung von Freiheiten und Menschenrechte im Ostblock
einsetzten, von Bukarest aus weiterhin systematisch kriminalisiert,
stigmatisiert und diffamiert wurden. Langsam zerrieselten meine
Vorstellungen von den hehren Idealen in einer Welt der Freiheit wie der Sand zwischen den Fingern am Strand. Mein Kerbholz
der Freiheit, das bei der Ankunft in
Frankfurt noch so unbefleckt jungfräulich gewesen war, erhielt nach einer
ersten, leichten Ritze der Desillusion in München, eine schwere Kerbe. Das
Ideal begann zunehmend zu bröckeln.
In Berlin. Allein in der Gedenkstätte Plötzensee - Hommage an den deutschen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur
Neuzeitliches Requiem mit
Trauermusik
Es
lebe die Freiheit! Hans
Scholl
Der
sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist für seine
Überzeugung sein Leben hin zu geben. Henning von Tresckow am 21. Juli
1944
Es
ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun
wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche
Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein
Verräter vor seinem eigenen Gewissen. Claus Schenk Graf von
Stauffenberg
Es gibt Orte, wohin man nicht
gerne geht, weil einem das eigene schlechte Gewissen im Wege steht; Orte des
Grauens, vor denen man zurückschreckt, wenn man sich den Terror
vergegenwärtigt, der von ihnen ausging. Vergessen wird dabei, dass es auch Orte
sind, wo die Würde des Menschen, der Anstand und die sittliche Haltung am
greifbarsten werden, trotz des Schreckens. Ein solcher Ort ist die Gedenkstätte
Plötzensee; ein ehemaliges Gestapo-Gefängnis, in welchem in ganz kurzer Zeit
nahezu dreitausend Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und die
Hitlerdiktatur in menschenverachtender Weise hingerichtet wurden, darunter
illustre Charaktere, die heute das Gewissen der Nation verkörpern und das
bessere Deutschland repräsentieren.
Dorthin wollte ich alleine gehen.
Es wurde ein individueller, ein aufwühlender Gang, denn das eigene Gehirn hatte
vieles noch nicht bewältigt. Als ich nach Deutschland kam, kam ich aus einer
langen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Sie hatte meinen
Werdegang deutlich mitgeprägt. Und ich kam aus einer Widerstandsbewegung gegen
ein totalitäres System. Nur bewältigt war noch gar nichts. Dafür waren die
historischen Abläufe zu vielschichtig und zu komplex. Mir fehlte die geistige
Durchdringung der Gesamtmaterie und noch mancher historische Baustein, um die
Abläufe im deutschen Widerstand gegen Hitler bis hin zum Attentat am 20. Juli
ganz zu verstehen. Einiges hatte ich mir bereits erarbeitet.
Mit unbestimmtem Grauen betrat
ich die Anlage - als ein Eingeweihter in Sachen Menschenvernichtung. Sie hatte
etwas von einer Schlachtbank, die an den Großen Terror während der Endtage der
Französischen Revolution erinnerte. Die Guillotine, deren Anschaffung Hitler
persönlich angeregt hatte, um das systematische Abschlachten von Menschen in
industrieller Weise zu beschleunigen, war nicht mehr zu sehen. Sie war entfernt
worden, um die Empfindungen der Nachwelt zu schonen. Nur die Haken waren noch
da an einem Stahlträger - wie in einer Metzgerei - an denen die edelsten Köpfe
der Nation aufgehängt worden waren, beim Kerzenschein und selbst in der Nacht,
während draußen Bomben fielen.
Nun stand ich da, nach
Jahrzehnten und schaute in einen Raum, in dem es nichts zu sehen gab bis auf
wenige Symbole des Schreckens, die zum Nachdenken anregen sollten, erfüllt von
Bitterkeit und Grausen. Ich rief die Namen! Und ich rief die Persönlichkeiten
zurück aus dem Gedächtnis in die konkrete Anschauung. Nacheinander kamen sie
aus der nahen Geschichte hervor - als Handelnde, als Mahnende.
Die Biographien einzelner der
Opfer rollten vor mir ab, individuelle Leidensgeschichten, Einzeltragödien mit
Namen, deren Wohlklang ich schon im fernen Temeschburg vernommen hatte, ohne
Details zu kennen; Namen aus dem Umfeld des Kreisauer Kreises und aus dem
militärischen Widerstand gegen Hitler. Während ich starr da stand und stumm ins
Leere blickte, drängten sich mir spärliche Bilder auf, verschwommene, vom
Gehirn künstlich zusammengefügte Szenen aus dem Leben jener Charaktere, die
hier hingemordet worden waren, nachdem sie ein perverses Polittribunal unter
Rechtsbeugung im Schnellverfahren zum Tode verurteilt hatte.
Berthold
Graf von Stauffenberg
war in diesem Hinrichtungsschuppen würdelos erhängt worden; und mit ihm Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg
und Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder,
nachdem der so genannte Volksgerichtshof ihnen einen schnellen Prozess gemacht
und sie abgeurteilt hatte.
Ein kurzer Prozess? Leider wusste
ich, was das war – denn ich hatte selbst einen erleben müssen, mit
glücklicherem Ausgang! Kein echter Vergleich - aber eine Ahnung davon.
Claus
Schenk von Stauffenberg
war bereits am 20. Juli - nach dem Scheitern des Attentats auf den Diktator
Hitler - von einem Erschießungskommando hier in Berlin hingerichtet worden.
Bevor Claus von Stauffenberg im
Kugelhagel fiel, hatte der Patriot in einem letzten Appell den Wert gewürdigt,
dem er sein Leben geopfert hatte, indem er ausrief: Es lebe das geheiligte Deutschland!
Mit ihm starben auf die gleiche
Weise seine Mitverschwörer Albrecht Mertz
von Quirnheim, Friedrich Olbricht und Hans-Bernd
Haeften. Viele weitere Widerstandskämpfer folgten
Jetzt stand ich an der Stelle, wo
Ströme Blut geflossen waren - so lange, bis die Guillotine versagte. Danach
wurde nur noch gehängt, makaber im Schein der Fackel. Im Licht der Bombenfeuer
und im Kampfgetöse des Zusammenbruchs waren die aufrichtigsten und
wahrhaftigsten eines Volkes einfach aufgeknüpft worden wie Strolche und
Tagediebe im rechtsfreien Raum!
Viele Unbeteiligte ahnten nichts
davon. Viele Informierte blickten weg. Manche sahen zu. Und manche agierten,
blind, fanatisiert oder aus reiner Bosheit heraus. Dass sich immer Menschen
fanden, die bereit waren, andere Menschen umzubringen, einfach hinzumorden …
Der Mensch - die Krone der Schöpfung? Und das im Volk der Dichter und Denker?
Wie dünn war das kulturelle Substrat wirklich? Wann wurde der Mensch zur
Bestie? Auch darüber hatte ich bis zum Exzess, bis zur Grenze der Verzweiflung
räsoniert, ohne eine Antwort zu finden.
In meiner Rückschau sah ich Helmuth James Graf von Moltke, den
aufgeklärten Urgroßneffen des preußischen Feldherrn, der auf seinem Gut in
Schlesien den Kreisauer Kreis begründet
und am Leben gehalten hatte. Sein Tun war auf ein demokratisches Deutschland
nach Hitler gerichtet. Und er handelte, vom Gewissen
getrieben. An einem dieser Haken vor mir musste er unwürdig sterben.
Dann sah ichAdam von Trott zu Solz, den Spross einer alten Diplomatenfamilie,
der bereits 1939 im Widerstand agierte und als Diplomat in London und New York
um Kontakte zu den dortigen Regierungen bemüht war, aber überhört wurde. Weder
in England, das, wie man heute weiß, damals vor der Münchner Konferenz den
Krieg noch hätte verhindern können, wenn es Hitler mit einer Kriegsandrohung
Einhalt geboten hätte, noch in Amerika war er ernst genommen worden.
Vielleicht, weil er sehr früh opponierte. Aber verhöhnt wurde er und zynisch
abgewiesen, als die Logik des Krieges ihrer Autodynamik verfiel. Also flog er
auf und musste hängen, weil das Unrechtssystem der Braunen Diktatur es so
befahl.
Und ich sah Peter Graf Yorck von
Wartenburg und Hans von Dohnanyi,
zwei andere konservative Intellektuelle, Widerstandskämpfer frühester Stunde,
die sterben mussten, damit ein kranker Diktator weiterleben und nochmals
Millionen Menschen in Endkampf und Tod schicken konnte.
Weiter sah ich vor meinem
geistige Auge Carl Friedrich Goerdeler,
den aufrechten konservativen Politiker und Widerständler, gedemütigt vor dem Volksgericht stehen, einem schreienden
Richter Freisler ausgeliefert, der mit der gleichen Dämonie schrie wie Hitler
geiferte.
Goerdeler sollte nach Hitlers
Sturz der künftige Reichskanzler sein. Da, wo ich jetzt stand, wurde er
enthauptet, nachdem seine schon angefertigten Minister-Listen den Schlächtern weitere Opfer ans Messer geliefert
hatten. Wie gut, dass unsere Liste nicht gefunden worden war. Listen, das sind
oft Todeslisten ….
Die Reihe der aufrechten
Charaktere, die nur an dieser Stelle von Verbrechern hingemordet wurden, fern
von Recht und Gesetz, fern von Gnade, wollte kein Ende nehmen. Es gab doch aufrechte Deutsche, die, ihrem
Gewissen folgend, in schwerer Zeit das Richtige taten. Manche von Anfang
an; andere wie die Hitlerattentäter Henning von Tresckow und Claus von
Stauffenberg erst später, nachdem die Menschheitsverbrechen, die aus der Logik
des Krieges resultieren, die verbrecherischen Führerbefehle aus dem Bunker und
vor allem der befohlene Mord an Frauen und Kindern unter keinen Umständen zu
rechtfertigen waren. Aber sie handelten aus höherer Einsicht und von wahrer
Verantwortung fürVolk und Vaterland
getrieben! Die Tat Stauffenbergs hatte mich immer schon beschäftigt; schon
damals, als unser kleiner Widerstandskreis sich formierte, in den Tagen der
Untersuchungshaft und in den langen Nächten des Gefängnisaufenthalts.
Jetzt war ich hier am Ufer der
Spree in Plötzensee, am Ort des Geschehens. Hier war Stunden nach dem Attentat
die Operation Walküreangelaufen, der
Auftakt zu einem Staatsstreich, der ein demokratisches und freies Deutschland
begründen sollte. Eine Reihe ungünstiger Zufälle und befehlsblinde Offiziere -
wie der von Hitler zum Generalmajor beförderte Ernst Otto Remer, dem ich bald
darauf unter anderen Umständen begegnete - führten zum Scheitern des letzten
großen Aufbegehrens für Freiheit und
Gerechtigkeit. Während Revisionisten wie
Remer, der die Widerstandskämpfer um Graf von Stauffenberg öffentlich als
Vaterlandsverräter bezeichnet hatte, Hetze und Hass verbreitend weiterleben
durften und bis ins hohe Alter hin der weltanschaulichen Haltung ihrer
persönlichen Glanzzeit treu blieben, mussten die eigentlichen
Widerstandskämpfer und mit ihnen ungezählte andere aufrichtige Deutsche, die an
dem politischen Umsturz mitgewirkt hatten, gleich ihr Leben lassen, während
ihre Familien in Sippenhaft genommen und über lange Jahre geschnitten und
diskriminiert wurden. War das gerecht?
Nach Remers Putschvereitelung
forderten die kommenden Monate des fortgesetzten Krieges an allen Fronten mehr
deutsche Opfer als die Kriegsjahre seit dem Ausbruch.
Etwas von dieser schier
unbegreiflichen Tragik rollte vor meinem inneren Auge ab, nach Szenen, die ich
aus Büchern kannte, aus Dokumentationen und vom Bildschirm. Viel Mut war
bewiesen worden in einem Aufstand des Gewissens gegen massives Unrecht: Klar
und deutlich sah ich den aufrechten Gang und die Haltung eines Ehrenmannes in
Trott zu Solz’ entschlossener Selbstbehauptung gegenüber dem Scheusal Freisler,
die Worte aussprechend, die alles bezeichneten, das Menschheitsgrauen und den
Abgrund: Die vielen Morde!
Morde? Ja, Morde!
Und ich sah, wie der einst
ritterliche Erwin von Witzleben
inzwischen im Gestapo-Verhör gebrochen von derselben Bestie in der Robe eines
pervertierten Volksgerichtes niedergeschrieen wurde. Justitia verdeckte ihr
zweites Auge, während Libertas schon auf dem Schafott lag in einer großen Lache
Blut.
Das Bildnis Dietrich Bonhoeffers
einsam in der Zelle sitzend, drängte sich mir auf, ein Christ vor Gott, in
Gebete, in Verse vertieft, Zeilen eines geistigen Vermächtnisses aufsetzend,
den Blick voller Zuversicht zum Himmel erhoben.
Miserere
domine!
Und dann hörte ich erneut, klar
wie die Posaunen von Jericho, die leitmotivische Mahnung des Claus von
Stauffenberg: Es lebe das geheiligte
Deutschland!
An
diesem Ort verblutete das andere Deutschland; seine Edelsten und Besten ließen
hier ihr Leben im bewussten Opfergang für das gesamte deutsche Volk, um ihm,
dem geopferten Phönix, nach dem Zusammenbruch eine Reinwaschung zu ermöglichen
von den Menschheitsverbrechen, in die es der dämonische Diktator Hitler
gestürzt hatte - und ein österliches Wiederauferstehen.
Doch war Stauffenbergs Tat
repräsentativ für den deutschen Widerstand gegen Hitler kein letztes müdes
Aufbäumen kurz vor dem Untergang, als das Gewissen gegen das maßlose Unrecht
und Leid aufbegehrte, sondern eine bewusste Gegnerschaft, ein luzider
Widerstand gegen ein totalitäres System, der von frühester Stunde an da war und
konsequent durchgehalten wurde - bis in den Tod. Es entspricht nicht der
historischen Wahrheit, wie vor allem im Osten Europas immer wieder behauptet
worden war, das gesamte deutsche Volk
hätte geschlossen hinter Hitler gestanden, es hätte seine
Aggressionspolitik mitgetragen, sein Hegemoniestreben, seinen Imperialismus;
und es hätte seine Verbrechen gedeckt.
Richtig
ist, dass es aus dem deutschen Volk heraus einen höchst beachtlichen Widerstand
gegen Hitler gab - und dies von Anfang an aus Prinzip, lange noch bevor die
schlimmen Wahrheiten bekannt wurden.
Wie vom Teufel persönlich
beschützt, überlebte der Führer vierzig Anschläge! Eine makabre Groteske des
Zufalls, eine Undenkbarkeit! Und Ceauşescu, dem wir kleine Dissidenten nichts
entgegen zu setzen hatten, was mit der Operation Walküre vergleichbar gewesen
wäre? Keinen!
Doch vom systematischen Kampf
gegen Hitler wusste selbst ich, der historisch interessierte Europäer, der
westliche Medien auswertete, wenn sie erreichbar waren, im fernen Banat fast
nichts.
Erst späte westliche Quellen und
die intensive Beschäftigung mit der Materie über Jahre erschlossen mir die volle Dimension des deutschen
Widerstands gegen den Nationalsozialismus, der von allen Teilen der Bevölkerung
getragen wurde, vom einfachen Mann aus den Volk wie Georg Elser im Münchner Bierkeller bis in die Spitzen der Wehrmacht
zu Persönlichkeiten wie General Ludwig
Beck, dem Gehirn des versuchten Staatsstreichs vom 20. Juli.
General Beck durchschaute die
kriminellen Machenschaften Hitlers schon sehr früh und setzte seit 1938, also
noch vor dem Einmarsch in die Tschechoslowakei, alles daran, den Widerstand
gegen Hitler zu fördern, um den Diktator von der Macht zu entfernen. Die
Generalität unterstützte ihn - nur England zögerte, als um Mitwirkung ersucht
wurde.
Wenn
wir euch gegenüber so aufrichtig gewesen wären wir ihr im Gespräch mit uns,
dann hätten Hitlers imperialistische Expansion, der Zweite Weltkrieg und mit
ihm 55 Millionen Opfer vermieden werden können, bekennen informierte Briten
heute offenherzig.
Sie haben ihre moralischen Hausaufgaben inzwischen fast erledigt und einiges
zur Vergangenheitsbewältigung beigetragen. Auf andere kommt dieser Komplex noch
zu - auch auf die Rumänen!
An dieser matten Stelle in der
ehemaligen Reichshauptstadt Berlin starben für ihr Vaterland - aus
ethisch-religiösen Überzeugungen und tiefer protestantischer Gesinnung heraus -
innerhalb von Monaten fast dreitausend Menschen. Unter den Opfern waren herausragende
Repräsentanten der militärischen Elite: Erwin von Witzleben und Karl Heinrich von Stülpnagel. Sie
opferten ihr Leben für höhere Werte, für Gerechtigkeit, politische Freiheit und Vaterlandsliebe.
Erwin von Witzleben war als
Generalfeldmarschall der ranghöchste Soldat, der von den Nationalsozialisten
ermordet wurde, nachdem sie auch ihn, den General, der noch vor Jahren als
erster jene verhängnisvolle Vereidigung
der Wehrmacht auf den Führer durchgeführt hatte, öffentlich degradiert, vor
den Volksgerichtshof gezerrt und in einem schäbigen Schauprozess, ohne
Hosenträger der Lächerlichkeit preisgegeben, entwürdigt, beleidigt und
gedemütigt hatten.
Erwin von Witzleben, dessen
Stammbaum bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann, ging bereits 1934
auf Distanz zu Hitler. Die Ermordung Ernst Röhms auf persönlichen Befehl
Hitlers, wobei Teile der Wehrmacht mit involviert und somit instrumentalisiert
worden waren, sowie die ebenfalls von Hitler angeordneten und öffentlich im
Reichstag verteidigten Ermordungen der Generale von Schleicher und von Bredow
bei krasser Hinwegsetzung über die geltenden Gesetze hatten ausgereicht, diese
Haltung, die er mit General Beck, General von Stülpnagel, mit Henning von Tresckow und anderen
oppositionellen Militärs teilte, herbeizuführen.
Erwin von Witzlebens Plan, den
Usurpator Hitler bereits 1938, also zu einem Zeitpunkt von der Macht zu
entfernen, als Europa noch nicht an allen Ecken brannte, scheiterte an einem
dummen Zufall der Geschichte - an der Beschwichtigungspolitik der Engländer, am
Appeasement Chaimberlains und dem
verhängnisvollen Münchner Abkommen, das die Tschechoslowakei dem Diktator
auslieferte und ihn mit diesem - so genannten diplomatischen - Erfolg nach
innen hin stärkte; der Opposition hingegen jeden Wind aus den Segeln nahm.
General Halder und von Witzleben konnten bei entsprechender politischer Kulisse
ihren Plan, Hitler verhaften zu lassen nicht durchsetzen. Die späteren
Blitzkriegerfolge in Polen und Frankreich erzielten den gleichen Effekt und
zementierten noch den Mythos der Unfehlbarkeit.
Auch der gemeinsame Plan General
von Stülpnagels, damals Oberkommandierender der Wehrmacht in Frankreich und von
Generalfeldmarschall Erwin Rommel,
der die Abwehrmaßnahmen einer drohenden Invasion am Kanal koordinierte, Hitler
zu einer Besichtigung der Wehranlagen nach Westfrankreich zu locken, um ihn
dort durch loyale Truppen der Wehrmacht verhaften zu lassen, scheiterte an
einem dummen Zufall. Hitler, der bis dahin immer wieder Gründe finden konnte,
nicht nach Frankreich zu reisen, blieb endgültig fern, nachdem eine nach
England gelenkte V 1versehentlich im
Abwehrgebiet einschlug.
Nach dem gescheiterten
Staatsstreich von 20. Juli nahmen sich General von Beck, Generalfeldmarschall
Rommel, Henning von Tresckow und andere Mitverschwörer selbst das Leben, nicht
zuletzt, um keine anderen Mitwisser in
drohenden Verhören zu belasten. Heinrich Karl von Stülpnagel richtete seine
Pistole an die Schläfe und schoss sich durch den Kopf. Er überlebte schwer
verwundet - und wurde wahrscheinlich noch von der Gestapo gefoltert bevor er in
dieser Halle an diesem Haken wie ein Strauchdieb erhängt wurde.
Wie er starb hier, wo meine Füße
zitterten, der andere aufrechte Soldat, der nach einem Umsturz die Führung der
Wehrmacht übernommen hätte: Erwin von Witzleben. Wie viel menschliche Größe war
hier verrauscht, hier vor mir?
Wie
konnte ich alle würdigen und die Erinnerung an ihre altruistischen Taten wach
halten? Und das große Aufbegehren jedes einzelnen Opponenten, jedes offenen
Regimekritikers ins rechte Licht rücken? Die Taten von Tausenden, die gegen das
Unrecht aufstanden und ihr Leben hingaben, um es zu beseitigen?
Wo war jetzt die heitere
Gelassenheit eines Dietrich Bonhoeffer, der mit Gottvertrauen zuversichtlich in
den Tod ging, in der Hoffnung auf das wahre Leben? Tragische Betroffenheit
überkam mich - und ein spätes Schaudern vor der Dämonie des Bösen, auf die ich
keine Antwort fand.
Wie viele einfältige Leute hatte
ich über das Böse plaudern hören, philosophisch abstrakt und ironisch wie
Mephisto in Faust. Das Böse der Geschichte war echt und immer noch real.
Gleichzeitig spürte ich aber auch etwas von der Macht des Ethos, das über Jahre
aufrechterhalten und von ganz unterschiedlichren Charakteren vorgelebt wurde.
An solchen Taten verblasste das
eigene Tun. Doch die Botschaft der Geschichte ist eindeutig - der Mensch muss in jeder Situation am
Humanum festhalten und alles menschenmögliche tun, um es zu beschützen.
Die Würde des Menschen, Freiheit
und Gerechtigkeitsind Grundwerte, die
über allem positiven Recht angesiedelt sein müssen - auf nationaler wie auf
internationaler Ebene. Die Verfassung der Bundesrepublik ist eine nationale
Antwort darauf - die Charta der Vereinten Nationen die Antwort der
Völkergemeinschaft.
Wir hatten auch einiges erlebt in
unserer Auseinandersetzung mit dem repressiven System einer Diktatur. Doch was
waren unsere Erlebnisse gemessen an der Tragik, die an dieser Stelle
kulminierte und im Vergleich mit dem Grauen in den Konzentrationslagern mit dem
millionenfachen Tod, Leid und Schrecken, der sich im Anonymen und Namenlosen
vollzog?
Das Böse hatte wieder einmal über
das Gute und Gerechte triumphiert. Und das Feige über Mut und Tapferkeit! Die
gesamte Weltordnung schien für alle Zeiten erschüttert. Wie schwer war es doch,
in kritischer Zeit aufrecht zu gehen?
Vor dem schweren Gang an den
Unort hatte ich mir eine Liste besorgt - schon wieder eine Liste -mit den Namen
der Beteiligten des nationalen Aufstandes vom 20. Juli 1944, die für die Sache
der Freiheit ihr Leben hingegeben
hatten. Darunter waren viele illustre Persönlichkeiten bis hin zu legendären
Gestalten wie Feldmarschall Erwin Rommel.
Jede von ihnen wirkte als
Vorbild. Und jede von ihnen verdient eine würdige Auseinandersetzung. Denn hinter
jedem individuellen Einsatz fürFreiheit
und Demokratie bei Preisgabe des eigenen Lebens steht eine schwere
Gewissensentscheidung, ein Golgotha-Erlebnis, zu dem in schwerer Zeit nur die
wenigsten Menschen fähig waren.
Noch einmal sah ich zu den Haken
hin und erkannte dort die Gnade meines Schicksals durch die späte Geburt. Wäre
das Baumeln dort am Haken mein Los gewesen, wenn ich einige Jahrzehnte früher
gelebt hätte? Wie hätte ich mich entschieden? Hätten mein Patriotismus und mein
Ethos ausgereicht, um dort zu hängen?
Berechtigte Zweifel kamen auf …
Wir hatten es einfacher! Wir wussten, wo wir zu stehen hatten und wo wir
standen! Dafür musste ich dankbar sein. Die Zweifel an der eigenen Festigkeit
wurden umso deutlicher, je mehr ich über die innere Entscheidungssituation der
deutschen Widerständler gegen Hitler nachdachte. An ihrer Entschlossenheit
verblasste die meine. Als ich ging, ging ich in tiefer Betroffenheit, doch
hadernd über den Lauf der Geschichte.
Der Feuervogel - kathartisches
Intermezzo am schönen Ort
Nach dem erschütternden Erlebnis,
dessen Nachhall die Seele mehr aufwühlte als sie nach kathartischer Reinigung
in ruhende Apathie, ja Ataraxie zu versetzen, fuhr ich zu meinem Aufenthaltsort
nach Zehlendorf zurück, um in mich zu gehen und auszuruhen, ohne rechte Lust,
die Großstadt zu erleben.
Nachmittags ging ich zu Fuß zur Krummen Lanke, an jenen kleinen Badesee,
mit dessen Namen ich keine Gräuel oder Schandtaten assoziierte. Das Wasser war klar
und tief. Und das Umfeld war still wie an einem entlegenen Hochgebirgssee. Für
Augenblicke war ich in meinem Element. Doch dann kreisten sie wieder, die
unseligen Gedanken: Plötzensee! … Wannsee! Idylle!?
Schöne
Orte, die zu Synonymen für Terror geworden waren! Zu Entsprechungen für
Weltengrauen, für Horror über die Zeiten hinweg!
Den Zusammenfall der Gegensätze -
die coincidentia oppositorum - Hier
wurde das Unverstellbare konkret, das Phänomen leibhaftig. Der Locus war ein
Locus terribilis geworden, er hatte sich gewandelt und verwandelt in einer
makabren Metamorphose der Dinge, zum Unort, der hinaus strahlte und immer ein
grausiges Frösteln wachrief, wenn man ihn nannte.
Seen sind tief wie die
Verborgenheit des abgrundtiefen Bösen in der Seele des Menschen.
Wozu das späte Morden, als alles
schon verloren war? Wozu die alte Nibelungentreue der Vielen im verzweifelten
Endkampf, wo doch der Endsieg weniger war als eine Illusion? Wozu das
unendliche Leid der Unzähligen? Ihr aussichtsloses Opfer? Ihr sinnloser Tod? Wo
war die Sinnstruktur der Welt? Gab es noch einen Sinn?
Zurück blieb das Leid. Nur Fragen
kamen noch auf, keine Antworten. Ein Philosoph soll fragen wie ein Kind, denn
jedes Erkenntnisstreben, jede Suche nach Wahrheit beginnt mit naivem Fragen
Doch ein Historiker sollte auch antworten, sinnvoll antworten. Wie war das
Unbegreifbare zu erklären?
Am Abend sollte ich ins
Kongreßzentrum; in jenes neu errichtete Monstergebäude, über dessen Äußeres man
verschiedene Meinungen haben kann, dass nebenbei auch ein Tummelplatz war, ein
Ort der Massenbelustigung im Namen der Kultur. Der Komplex erinnerte mich in
seiner aufgesetzten Modernität irgendwie an das Center Pompidou in Paris,
welches ich ebenfalls mit verblüfftem Staunen erlebt hatte, ohne mich darin
besonders wohl zufühlen. Fast lustlos ging ich die Treppen hoch in den
Mammutsaal und ließ mich dort müde in einen dicken Polstersessel fallen.
Der Feuervogel stand auf dem Programm. Stravinski! Eine märchenhafte
Gaukelei um einen alten Mythos, der irgendwo zum Tagesablauf zu passen schien -
Phönix aus der Asche! Eine Fabel? Ein Motiv!? Ein Zufall wie die Koinzidenz?
Feuer und Asche! Mein Motiv -
unser aller Motiv? Ein gutes Gleichnis auch für das neue Deutschland, von dem die meisten exekutierten Widerständler
geträumt hatten?
Konnte
ganz Deutschland wieder aus den Ruinen auferstehen und in einer eigenen
Renaissance tradierter Werte ganzer Dichter- und Denkergenerationen erneut zu
einem besseren Deutschland werden?
Was war aus den alten
Nazirichtern geworden, die grobes Unrecht begingen, indem sie - in Berufung auf
geltendes Recht das eigentliche Recht - beugten, obwohl ihnen die
Naturrechtswidrigkeit ihres Tuns bewusst war?
Aufrechte Juristen hatten dem
Karrieresprung widerstanden! Sie waren nicht in die NSDAP eingetreten! Und sie
hatten ihr rechtliches Fachwissen eingesetzt, um Verfolgten zu helfen.
Dafür waren sie jetzt tot!
Und die anderen, die mit den
Wölfen heulten, machten auch im neuen Deutschland Karriere, auch unter Hammer
und Sichel! Und sie lebten immer noch, auch ohne Gewissen -als Wendehälse, als
Chamäleons, als Farbenwechsler in allen Farben des Regenbogens!
Das Leben musste weitergehen,
auch ohne Moral! Auch für die Schuldbeladenen, für Schreibtischtäter, auch ohne
Sühne! - Im Osten Bert Brechts und Johannes Robert Bechers, wo die Ruinen zum Dauerdenkmal wurdenund
wo ein Neues Deutschland bald nur
noch am Kiosk gekauft werden konnte, ebenso wie im Goldenen Westen, wo
zumindest einige Fakten aufgearbeitet wurden.
Grazile Tänzerinnen huschten über
die ferne Bühne wie das entrückte Geschehen der verflossenen Geschichte.
Russische und kubanische Tänzerinnen waren dabei, während andere Artisten in
Afghanistan und Angola aufspielten - Kulturimperialismus und Entwicklungshilfe
mit Kanonen!
Ballet war gerade nicht mein
Fall. Die Müdigkeit übermannte mich. Kurz vor dem Einschlafen nutzte ich die
Pause, um zu gehen, ohne den krönenden Pas des deux gesehen zu haben.
Kreuzberger Krawalle - oder: Macht kaputt, was euch kaputt macht!
In der Nacht schlief ich tief und
fest wie nach einer überstandenen akademischen Prüfung. Am nächsten Morgen
stand ich erfrischt auf und tat das, was die meisten Menschen sonst auch tun;
ich wendete mein Haupt, verdrängte die jüngsten Impressionen des Schreckens und
richtete meinen Blick auf angenehmere Dinge. Lebte nicht Gerhard in Berlin,
mein alter Literaturkumpan? Um es herauszufinden, konsultierte ich das damals
noch ausliegende Telefonbuch in einer Fernsprechzelle. In der Tat fand ich
einen Eintrag, stellte den Kontakt her und machte mich auf die Suche nach einer
vertrauten Person aus der Vergangenheit, die ich irgendwo im Großstadtdschungel
vermutete. Mit etwas Mühe fand ich ihn in Kreuzberg, in dem multikulturellen
Viertel, wo gerade ein kleinerer Bürgerkrieg tobte. Brixton war auch hier. Nur
rebellierten nicht Türken gegen Deutsche, sondern Autonome gegen den Rest der
Welt.
In Namen der uneingeschränkten Freiheit der Zerstörung und des Chaos
wüteten Linksextremisten aller Couleur - nicht wie früher als der Schah kam -
gegen totalitäre Verhältnisse und gegen den US-Imperialismus in Vietnam,
sondern gegen Recht und Ordnung in einer parlamentarischen Demokratie. Der alte
Slogan Macht kaputt, was euch kaputt
macht, war wieder salonfähig geworden. Pflastersteine flogen durch die
Luft. Kreuzberg, das war eine Welt für sich im westlichen Berlin, das auch ganz
anders war als alle anderen Städte der Bundesrepublik Deutschland. Mein
ehemaliger Nachbar, der zeitkritische Poet, weilte, wie mir schien, nicht zufällig
am Ort des Geschehens, sondern - wie die rasenden Reporter von einst, weil dort
am meisten los war, weil das Herz Berlins damals wohl in Kreuzberg schlug. In
der höheren Etage eines sterilen Plattenbaus, der nicht freundlicher aussah als
die vielen der gleichen Sorte in Ostberlin, hatte er einen Ausguck eingerichtet
und beobachtete die Szenerie aus der Perspektive des geistig involvierten
Voyeurs, der zusieht wie ein Kriegsberichterstatter, ohne selbst Steine in die
Luft zu werfen, wohl aus der Einsicht heraus, dass diese durchaus auch auf dem
Schädel eines Staatsbediensteten niedergehen konnten.
Es war die Zeit, als die Grünen
sich bundesweit zur Partei zu formieren begannen; die Zeit, als künftige
Pazifisten und Würdenträger der Bundesrepublik bestimmte Wertvorstellungen und
Prinzipien noch auf den Barrikaden verteidigten!
„Was machst duhier in
Westberlin?“ wollte Gerhard verblüfft wissen.
„Zufällig genieße ich hier etwas
von der sprichwörtlichen Berliner Luft und den Himmel über dem freien Teil der
Stadt!“ beantwortete ich die provozierende Frage sarkastisch mit dem
Hintergedanken, eine womöglich noch bestehende Überheblichkeit von Anfang an
abzuwürgen.
„Offiziell komme ich als
Teilnehmer eines Bildungsprogramms nach Berlin, das wohl veranstaltet und finanziert
wird, um das politische Bewusstsein der Bevölkerung zu stärken. Vielleicht
wollen die Organisatoren im fernen Bonn so auf das Schicksal einer geschundenen
Stadt aufmerksam machen; und auch uns Neubürger mit den Auswirkungen der
Teilung des Vaterlandes konfrontieren.“
Damit gab sich der auch sonst
recht joviale Poet vorerst zufrieden. Da ich nun einmal da war, bot sich ihm
die Möglichkeit, in die Rolle eines Cicerone zu schlüpfen, um mir Dinge von
Berlin zu zeigen, die auf keiner Agenda standen. Sightseeing war angesagt - wie
in München, Paris und London. Nur war Berlin Berlin - und Gerhard wollte ja
immer schon nach Berlin, weil er nicht in die Bundesrepublik wollte, aber auch
nicht in das Arbeiter- und Bauernparadies des Bert Brecht.
Gesichter der Freiheit - Ein Blick über die Mauer
in die Todeszone
Zusammen ging es an den
Kurfürstendamm, an die Schlagader Berlins, zum Pflichtprogramm in die
Gedächtniskirche. Sie ermahnte äußerlich alle diejenigen, die wohl nie den Weg
nach Plötzensee finden würden, als dauernder Pfahl im Fleisch. Weitere
Sehenswürdigkeiten der deutschen Metropole wie der museal erscheinende
Reichstag oder die Siegessäule konnten nur im Vorbeigehen gestreift werden.
Danach folgte der für mich obligatorische, ja höchst symbolträchtige Gang zur
Mauer. Auf diesen Moment hatte ich lange
hingearbeitet. Wenn es einen modernen Ausdruck des Schreckens gab, dann war
es diese nahezu unüberwindbare Mauer mit dem Todesstreifen, dieser antiimperialistische Schutzwall, der dieFreiheit begrenzte und Leben beendete.
Da die Mauer überall war, musste
nicht lange gesucht werden. Unweit des Brandenburger Tores bestiegen wir beide
eine der dort errichteten Aussichtsplattformen und blickten vom Turm aus in die
Deutsche Demokratische Republik - und
wir sahen erstmals von außen aus hinein
in den unfreien Osten des Landes, in das bessere und neue Deutschland, das
demokratisch zu sein vorgab, das sich aber selbstheuchlerisch hinter einen
so genannten antifaschistischen Schutzwall verschanzte musste, weil im die
Bürger sonst davonliefen! Ein uns bekanntes Phänomen! Wir blickten über den Eisernen Vorhang hinaus und in ein großes
Gefängnis hinein, das sich um den halben Erdball zog und bis nach Wladiwostok
reichte.
Einen Teil davon, den
Machtbereich des Diktatorenehepaars Ceauşescu, in dem wir zwei Jahrzehnte lang
unfreiwillig ausharren mussten, hatten wir beide erlebt, doch höchst
unterschiedlich. Wir starrten über die Mauer, über Sperrzäune, Stacheldraht und
Selbstschussanlagen hinweg hinter den imaginären Eisernen Vorhang, tief in den
Gulag hinein, der nur ein Steinwurf entfernt war. Der Zynismus einer
Weltanschauung war unverkennbar.
Was wohl in Gerhards Kopf
vorging? Im Kopf eines Dichters, der noch unlängst ein Weltverbesserer sein
wollte? Schon früher war er in die bessere Welt eingetaucht und hatte die
andere Seite als Gaststudent erlebt. Meine Sehnsucht, Ostberlin zu erkunden,
hielt sich seit je her in Grenzen. Dafür war ich heilfroh, inzwischen auf der
richtigen Seite stehen zu dürfen, um von der freiheitlichen Perspektive aus
rundum zu sehen und die ganze Welt
betrachten zu dürfen.
Vor unseren Augen jenseits der
Mauer entfaltete sich ein Alptraum in einer Welt der Heuchelei, die von
Emporkömmlingen aus der Arbeiterschaft nach diktatorischen Richtlinien
verwaltet wurde, von Leuten wie Honecker, Stoph, Mielke, Krenz und dem späteren
freien SchriftstellerMarkus Wolf.
Wir schrieben mittlerweile das
Jahr 1981. Und unter uns drohte ein Musterstaat des Sozialismus, der deutsche
Bruderstaat der Sowjetunion, eingehüllt in Stacheldraht, umsäumt von Minen,
Sperren und Selbstschussanlagen, umgeben von einer kaum überwindbaren
Riesenmauer - als Bollwerk und Schutzwall gegen die Heimsuchungen und
Anfeindungen westlicher Imperialisten. Die Heilslehre des Weltkommunismus hatte
noch nicht resigniert. Der gesamte Ostblock strotzte vor Waffen. Russische
Panzer rollten durch Afghanistan - und Castro kämpfte in Afrika für die Sache
des Sozialismus.
Angesichts solcher Realitäten vor
uns und weit von uns entfernt, fragte mich wieder, ob die linkssozialistischen
Überzeugungen der Temeschburger Idealisten aus Gerhards Umfeld noch zeitgemäß
waren oder ob sich ihre weltanschaulichen Überzeugungen inzwischen bereits
etwas verschoben hatten, nach rechts! Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass
die gerade erfassbaren Realitäten - dieser unmittelbar erlebbare Todesstreifen
vor unseren Augen - jedes linke Weltbild und die damit verbundenen
Überzeugungen erschütterten und zurückdrängen mussten. Konnte man nach einem bewussten Anblick solcher Bilder noch am Ideal
des Kommunismus festhalten? An der großen Lüge von Anfang an?
Demagogische Diktatoren wie
Honecker, Ceauşescu und Castro, die logen, wenn sie die Lippen bewegten und die
alles verraten und gebrochen hatten, was ihren Völker einst großtuerisch
vorgegaukelt worden war, konnten es. Die
Lüge, die ich so oft selbst erleben musste, hatte System - ostblockweit!
Auch ich war gegen
Manchesterkapitalismus und gegen alle Formen der Armut auf der Welt, doch
Kommunismus? Nein! Hier, wo Ost und West aufeinander prallten, wo jederzeit ein
menscheitsvernichtender Weltkrieg ausgelöst werden konnte, kam es nicht mehr
auf die Auseinandersetzung mit der Welt der Spießgesellen an. Die Welt, ein
Pulverfass, das jederzeit hochgehen konnte, hatte andere Probleme. Nach dem
Mauerschock, den ich etwas bübisch triumphierend genoss und als besonders
wohltuend empfand, weil er die einst als nichtintellektuell gebrandmarkte
weltanschauliche Ausrichtung meiner letzten Jahre bestätigte, ging es zurück
zur Flaniermeile am Kurfürstendamm, in die Welt der Litfasssäulen und der
Leuchtreklame, wo der Westen greller leuchtete als sonst wo.
Es dämmerte schon. Mein Cicerone
machte seine Sache gut. Am Gehsteig standen ein paar herausgeputzte Damen herum
und lächelten wie schon vor tausend Jahren. Doch die Atmosphäre von Döblins Berlin
Alexanderplatz, von Werner Fassbinder gerade monumental verfilmt, war
verfolgen. In einem obskuren Winkel, wo nur das älteste Gewerbe der Welt zu
expandieren schien, glaubte Gerhard, mich mit einer besonderen Einrichtung der
kapitalistischen Gesellschaft bekanntmachen zu müssen- einer Peepshow.
Spendabel griff er nach einer Mark und drängte mich förmlich zu einer jener ominösen
Kabinen hin, wo ich durch ein gefängsnisartiges Guckloch für eine paar Minuten
ein halb entkleidetes und bald splitternacktes Frauenzimmer bestaunen durfte,
sich rekelnd und schlängelnd wie eine Boa im Baum. Ein Frauenzimmer? Wo mir noch das Ideal des Ewig Weiblichen
vorschwebte, sprach Gerhard barock verbrämt vom Frauenzimmer! Wohl nur, weil er nicht Weib sagen wollte! Was war pejorativ, was euphemistisch, was
konventionell oder was frei und individuell? Bereits am Sprachgebrauch schieden
sich die Geister!
Nackte Tatsachen überall - an der
Mauer wie in der Stadt. Das war also die Berliner Freizügigkeit ein dreiviertel
Jahrhundert nach dem Fin du Siècle und der Belle Epoque; die Zeit nach Berlin Alexanderplatz!
Mein Enthusiasmus für die Reize
des Schönen Scheins hielt sich in Grenzen. Sichtlich wirkte ich weniger
beeindruckt, als es Gerhard vielleicht erwartet hatte. Nur woher sollte er
davon wissen, dass ich bereits ein paar Tage am Place Pigalle logiert und das
Moulin Rouge bestaunt hatte. Dagegen war das Nachtleben von Berlin nur ein
schwacher Abglanz.
An der Freien Universität
Nachmittags reisten wir mit der
Untergrundbahn in Richtung Zehlendorf. In Dahlem stiegen wir aus und besuchten
ein germanistisches Seminar an der Freien
Universität, in welchem gerade Kreatives Schreiben erörtert wurde. Bevor ich
den Lehrraum betrat, prallte ich im Vorfeld noch verbal mit einigen Marxisten
zusammen, die an der Pforte der Universität, die Freiheiten der Demokratie
ausschöpfend, ein paar Stände aufgebaut hatten, wo linke Blätter, Literatur und
sonstige Propagandamaterialien, zum Teil aus dem Osten der Stadt stammend,
teils von den Brüdern und Schwestern aus dem Osten finanziert, mehr schleppend
gestreut als verkauft wurden. Es waren die gleichen Leute vom Spartakusbund und
anderen linken Vereinigungen, die mir Wochen vorher auf dem Areal der Bremer
Universität begegnet waren. Und es waren die gleichen Parolen, die ich jetzt in
Berlin zu hören bekam. Man warb um Solidarität mit den Verurteilten der RAF,
die in Stammheim einsaßen und um die Unterstützung anderer so genannten
Antifaschisten, die dem kapitalistischen System, der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung der eigenen Republik und vor allem dem
amerikanischen Imperialismus den Kampf angesagt hatten. Macht kaputt, was euch kaputt macht, war immer noch ein gängiger
Kampfruf!
Als einer der jüngeren Missionare
des Weltkommunismus an mich herantrat, um mir ein Bündel rot bedrucktes Papier
in die Hand zu drücken, nahm ich mir die Freiheit, ihn anzusprechen:
„Warst Du schon einmal drüben, im
Osten, Unter den Linden? Am Alexanderplatz? Dort ist das Papier kostbarer und
knapper. Dort kannst du bestimmt dankbare Abnehmer finden. Und aufmerksame
Zuhörer, wenn du weiter so flammend über diefreie
Meinungsäußerung redest, über Menschenrechte für Gesinnungshäftlinge und über
das politische Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ahnst du, wie viele Menschen
und Völker jenseits der Mauer diese Prinzipien einfordern würden, wenn ihnen
die Freiheit dazu nicht versagt
wäre?“
Der junge Mann ungefähr in meinem
Alter, sah mich verächtlich an, dann sagte er recht barsch:„Wir wollen nicht
den Kommunismus der DDR oder jenen der Sowjetunion, wir wollen einen anderen!
Wir haben eigene Vorstellungen, wie der wahre Kommunismus gestaltet werden
soll!“ Ähnliches hatte ich vor Jahren auch in Temeschburg vernommen, wenn
wahrhaftige Linke in ihrem stillen Kämmerlein gegen die Pseudolinken des
Staatsapparats wetterten. „Studiert zunächst den real Existierenden!“
entgegnete ich abgehakt. Den Kommunismus eines Mao, eines Breschnew, eines Tito
oder Castro! Oder noch besser die Modelle von Kim oder Ceauşescu!“
Nachdem jede Reaktion ausblieb,
wandte ich mich ab und suchte nach dem Raum, in welchem angehende
Schriftsteller die Kunst des Schreibens erlernen wollten - über die knappe Form
der Kurzgeschichte hinaus. An der ideologisch zementierten Front, die
undurchlässiger wirkte als eine Klagemauer, war jede Aufklärung vergebens. Das
war mir längst bewusst. Bereits im roten Bremen hatte ich versucht, faktisch
argumentativ und differenziert zu diskutieren und im Dialog mit linken
Studenten auf eigene Erlebniswelten zu verweisen, auf Dissidenz, Opposition,
Systemkritik und auf Erfahrungen während der Haft in einer Diktatur - empirisch
also und ganz im Geist der Frankfurter Schule, die gerade en vogue war. Nur
wollten die blind fanatisierten Utopisten nichts von alledem hören und sich
auch von keinem ehemaligen politisch Verfolgten, der andere Realitäten erlebt
hatte, belehren lassen. Die Botschaft, alle
totalitären Systeme seien gleich verwerflich, stieß auf taube Ohren.
Vom Kuschen und vom Ducken und vom stillen Triumph
Am nächsten Tag entschlossen wir beide
uns zu einer legeren Schifffahrt auf dem Tegel-See, um Berlin aus der
Wasserperspektive zu betrachten. Auf dem Schiff hielt Gerhard mir wieder einen
seiner längeren Vorträge im Stil jener aus der Wohnküche und erklärte mir alle
Details, die Berlin betrafen, so ausführlich, wie er mir früher die Struktur
der Welt geschildert hatte.
Er war immer noch der geborene
Referent. Nur war ich inzwischen der Hörerrolle entwachsen. Wenn ich ihm im
vitalen Überschwang massiv widersprach und dabei meinem hitzigen Temperament
freien Lauf ließ und, ohne Rücksicht auf mein zivilisiertes Umfeld im
Großstadtberlin, meine Meinung offen kundtat, auch ohne groß auf Freiherr von
Knigges Empfehlungen Rücksicht zu nehmen, pfiff mich mein früherer Mentor
zurück wie einen Schulburschen. „Sei doch nicht so laut!“ flüsterte er dann
beschwichtigend, als hätten wir Staatsgeheimnisse zu verbergen. Wir waren
fürwahr nicht mehr in Sackelhausen auf dem Misthaufen, wo es noch lauter zuging
und unmittelbarer, doch was war mit der Berliner Schnauze? Die vornehmsten
waren diese Wilhelminer nicht!
Dabei wollte ich doch nur meine Freiheit auskosten und genießen, anstatt
brav zu kuschen. Gerhards zur Räson rufender Appell kam mir diesmal etwas
deplatziert, ja geradezu grotesk vor - und er amüsierte mich mehr, als dass er
mich kränkte: Ironie des Schicksals - der einsame Wolf, der endlich seine Höhle
hatte verlassen dürfen, sollte nun in freier Wildbahn den Schweif einziehen?
Der unangepasste, immer noch ausgeprägte Nonkonformist, sollte sich wieder
ducken, fügen, unterordnen, um nicht aufzufallen? Der Anarchist sollte zum Kastraten mutieren!? Und dazu noch ein klein
wenig heucheln, wo doch alle irgendwie heuchelten, weltanschaulich wie
gesellschaftlich!? Und das in der freien Stadt Westberlin. Galt das das nicht
eher für die Zone und die Hauptstadt der DDR?
Was hatte ich zu verbergen? Was
hatte ich der offenen Gesellschaft,
wo mich offensichtlich, niemand mit Ohr und Blick verfolgte, vorzuenthalten?
Nichts! Freisein heißt, frei reden - und recht laut, damit alle, die Ohren
haben auch hören was die andere Seite zu sagen hat. Duckmäuserisch
herumschleichen in einer freien Welt - und schweigen, wenn das Reden angesagt
war? Fügsamkeit, Kuschen, Duckmäusertum
-das waren die Schlüssel zur Diktatur und die Gefängnisse des Geistes. Jenseits
der Mauer waren solche Tugenden gefragt! Doch selbst kuschen und hier? Nie
wieder!
Dazu hatte ich überhaupt keine
Lust. Nie wieder wollte ich mich ducken müssen, vor keiner Autorität und
Instanz, vor keinem Staatsanwalt und keinem Richter! Zwar zuckte ich, als der
Affront kam, zunächst zurück wie eine unsanft berührt Mimose; doch mehr
überrascht und irritiert von der Mahnung, aber nicht getroffen. Und ich fügte
mich nicht, auch nicht aus Rücksicht. Weshalb auch? Inzwischen war aus mir, dem
alten Knastbruder, ein Raubein der Dissidenz geworden, ein Haudegen und ein
verwegener Pirat des Geistes, dem einiges auf das Kerbholz eingeritzt worden
war, der auf vier, fünf äußerst turbulente und intensivst erlebte Jahre zurück
blickte, nicht selten angesiedelt zwischen Sein und Nichts, zwischen Aktion und
Passion, zwischen Manie und Depression, zwischen Elegie und Euphorie. Jetzt
aber war ich endlich frei!
Und frei wollte ich auch für alle
Zeiten bleiben!
Wie hatte es Kurt Tucholsky, ein
Berliner, ausgedrückt? Wer die Freiheit
nicht im Blut hat, wer nicht fühlt, was das ist: Freiheit - der wird sie nie
erringen. Und vor ihm Goethe ähnlich: Wer es nicht fühlt, der wird es nicht
erjagen! Sie hatte ich inniglich gefühlt, als ich sie leidenschaftlich
erstrebte - und jetzt, wo ich sie hatte, wollte ich sie nie wieder loslassen,
hergeben, eintauschen, für nichts in der Welt, selbst für die größte Liebe
nicht! Frei ist der Mensch, weil er frei
sein will!
Ja, tief war es gefühlt. Gerhard
war zwar immer noch sechs Jahre älter als ich. Doch der Entwicklungsvorsprung,
den ihm die Natur als dem Frühergeborenen eingeräumt hatte, war inzwischen
zusammengeschrumpft. Damit war auch seine Autorität geschwunden und dahin, jene
als Dichter und die als souveräner Geist - alles war weg. Nur hatte er es noch
nicht bemerkt.
Die Jahre der Opposition hatten
Spuren hinterlassen. Selbstbewusster war ich geworden, reifer und noch
kritischer im Bezug auf die Linken aller
Couleur, die langsam moralisch ins Hintertreffen gerieten, während mit
Reagan, Thatcher und Kohl der antikommunistische Konservativismus in der Welt
eindeutig auf dem Vormarsch war. Darüber hinaus war ich inzwischen auch viel
lässiger geworden; getragen von der Überzeugung, dass sich letztendlich meine
konservative Weltauffassung durchgesetzt hatte, mein gesunder Patriotismus und mein Festhalten
an der deutschen Identität, nicht aber die Vision der Marxisten, die
ungeachtet des fest betonierten, ideologisch unflexiblen Ostblocks immer noch
an den Sieg der kommunistischen Weltrevolution glaubten.
Die Mauer, wo einst Kennedy seine
berühmten Worte gesprochen hatte und deren Niederreißen Reagan bald einfordern
sollte, war immer noch das scharf anklagende Gegenargument: open this gate - tear down this wall - forderte es Reagan später
im plain speach in seinem Appell an
Michail Gorbatschow ein wie einer, der das moralische Recht auf seiner Seite
weiß. Der russische Präsident sollte
ihm entgegen kommen, ihm die Hand reichen und handeln. Doch das war noch
fernste Zukunft.
Die persönlichen Umstände
Gerhards in Kreuzberg waren asketisch. Das behagte mir, da ich selbst ein Asket
war, dessen Prioritäten ungeachtet aller barocken Lebensfreude zum Geistigen
hin strebten und zur Kunst. Aus Sackelhausen
stammend, hausteer damals, nicht viel
anders als ich seinerzeit in Rottweil, auf dem Sprung und aus dem Koffer
zehrend, auf einem Trampolin ins Nichts, mitten im Türkenviertel, in
Klein-Ankara, in einer Mietskaserne, mehr als provisorisch in einem leeren
Zimmer, im dem es, neben einem chaotischen Haufen Bücher, nichts anderes gab
als eine Schlafstelle und ein tragbares Fernsehgerät.
Zu meiner Überraschung schaltete
er es ein und suchte gleich nach der Aktuellen
Kamera, immer noch kapitalismuskritisch und skeptisch ausgerichtet. Nur das
Ostfernsehen, meinte er, würde die tatsächlichen Hintergründe der
Hausbesetzungen und der Studentenproteste in Kreuzberg offen legen. Er war sich
also immer noch treu geblieben und lebte, leicht desillusioniert vielleicht,
wie andere Mitglieder der einstigen Aktionsgruppe
Banatjene Haltung weiter, die sie mir in Temeschburg vorgelebt hatten: Die Utopie eines linken Weltbilds, das mir
nicht viel reeller erschien als die Phantastereien der Spartakisten vor der
Freien Universität. Die Freiheit von
Forschung und Lehre, deren Grenzen ich bald selbst ausloten durfte, und die
Freiheit zur Destruktion lagen dicht beieinander.
Angekommen und nicht da? Zum Exodus deutscher Dichter aus dem Banat
Gerhard war der Erste aus dem
harten Kern der Aktionsgruppe ohne besondere Aktionen, die Rumänien endgültig
verließen und in der Bundesrepublik ihren Wohnsitz nahmen. Die Gründe, weshalb
er dem real existierenden Sozialismus den Rücken zuwandte -auch jenem der DDR -
und in den Westen ging, dürften auf der Hand liegen. Neben dem Aspekt, dass er
mit Ernst Wichner, einem Freund aus der Aktionsgruppe, der schon vor Jahren
ausgereist war, einen literarischen Anlaufpunkt hatte, gab es viele
Beweggründe, im gerade Westteil der Stadt Zuflucht zu suchen. Überall in
Westeuropa, ganz egal wie manchesterkapitalistisch die politische Struktur
ausgeprägt war, konnte ein politisch Denkender frei agieren und ein Künstler
frei schaffen - ohne jede Bevormundung durch den Staat, durch Zensuren oder
politische Auflagen. Hier konnte er - nicht anders als Goma in Paris dichten,
schreiben, erzählen, publizieren und verlegen, was er wollte. Doch nicht mehr so elitär herausgehoben und
privilegiert wie einst unter der Ägide Berwangers und der Kommunistischen
Partei; nicht mehr als ein Komet aus einer kleinen, bisweilen bevorzugten
Gruppe Sternschnuppen, sondern als ein Schaffender unter unendlich vielen vor
Ort -und in direkter Auseinandersetzung und Konkurrenz mit zehntausend anderen
Poeten und Schriftstellern, die kein Verständnis dafür hatten, dass jemand
einen Sonderstatus beansprucht oder
einen Bonus, nur weil er aus dem
Banat oder generell aus dem Osten herstammt.
Das war Chance und Risiko
zugleich - Durchsetzung und Erfolg oder Niedergang. Würde er den richtigen
Zeitpunkt erwischen und die richtige Welle, um von ihr getragen zu werden wie
bald die literarisch höchst mittelmäßige und geistig wenig differenzierte Herta
Müller? Oder würde sein Talent verpuffen? Das waren die Spielregeln der
Demokratie!
Selbst nahm ich den Bonus des ehemals Verfolgten, des
Bürgerrechtlers und Widerständlers nie in Anspruch! Falsche Bescheidenheit?
Vielleicht! Da es in mir trommelte, wollte ich nicht selbst noch trommeln und
klappern, schon gar nicht in eigener Sache. Deshalb
kommen manche Bücher spät - doch nicht zu spät. Den, der zu spät kommt,
bestraft bekanntlich das Leben.
Ein weiterer Grund von Gerhards
Ausreise hing mit seiner Herkunft zusammen. Wie ich selbst, stammte er aus
Sackelhausen, aus einem Dorf, das an Temeschburg klebte, und durch das einst
die Front gezogen war. Dort hatte nahezu jede Familie einen direkten Anhang im
Westen, Eltern ihre Kinder, Kinder ihre Eltern; und somit war die
Ausreisementalität überreif und führte, katalysiert durch enorme
Bakschischzahlungen in Vermögenshöhe, zu einem nahezu vollständigen Exodus schon am Anfang der Achtziger
Jahre.
Als Gerhard, dessen feinere
Tentakeln und Sensoren diesen Trend sicher ausgemacht hatten, das Dorf
Sackelhausen und das Banat verließ, war ich bereits im Westen. Er hatte sich
noch längere Zeit mit den Repräsentanten einer offiziell inexistenten Zensur
herumschlagen müssen, die sein Erstlingswerk bis zur Unkenntlichkeit zerrupft
und zerschnitten hatten - und er hatte auch etwas von den Kellern der
Securitate gesehen und vielleicht auch die Verhörmethoden des Basilisken
kennengelernt. Das reichte schon, um den Garten Eden und die Gesellschaft des Lichts für immer zu
verlassen.
Ihm folgten aus dem Umfeld der
Aktionsgruppe einige Jahre später teils freiwillig, teils unsanft geschoben die
Dichter und Journalisten William Totok,
der Dissident unter den Dichtern, Rolf
Bossert, Werner Söllner, Horst Samsonund Helmuth Frauendorfer. Einige Künstler aus dem Umfeld der Gruppe
machten in Deutschland literarisch weiter.
Werner
Söllner,
der bereits 1982 in die Bundesrepublik kam, konnte - nicht ohne redliches
Bemühen und mit viel Engagement - an die erfolgreich begonnene
poetisch-literarische Laufbahn anknüpfen und produktiv bleiben. Weniger
etablierte Dichter hatten es schwerer, Verleger zu finden, die poetische Werke
publizierten. Anton Sterbling
entschied sich für die akademische Laufbahn, während William Totok sich von
Berlin aus bald der kritisch aufklärenden Journalistik widmen sollte, wobei
sein literarisches Schaffen etwas in den Hintergrund trat.
Und Rolf Bossert, den begabten
Lyriker aus der Reschitzer Gegend, ereilte fast unmittelbar nach seiner Ankunft
in der Bundesrepublik ein tragisches Schicksal. Er starb einen rätselhaften Tod
durch einen Sturz vom Balkon eines Hochhauses. Selbstmord oder Mord? Wurde er
das späte Opfer der Securitate, des langen Arms der Revolution? Ereilte ihn das Schicksal, das so manchem
anderen Schriftsteller und Dissidenten angedroht worden war? Herta Müllers
vielfache Andeutungen in Herztier verweisen
in diese Richtung. Rolf gehörte zu ihrem Freundeskreis. Doch sie nährt in ihren
Fiktionen nur Mythen, ohne substantielle Aufklärung zu leisten Auch andere
Weggefährten hegen berechtigte Zweifel an einem möglichen Selbstmord Rolf
Bosserts, dessen beste Gedichte erst posthum der deutschen Öffentlichkeit
vorgestellt wurden.
Nach 1986 lebten nahezu alle
früheren Mitglieder und Sympathisanten der Aktionsgruppe
Banat in der Bundesrepublik Deutschland - bis auf Herta Müller und ihren damaligen Lebenspartner Richard Wagner. Beide
weigerten sich immer noch, Rumänien zu verlassen, obwohl Herta Müller, nach
ihren eigenen Aussagen, bereits 1982 mit der Securitate kollidiert war. Nach
ihrer oft schwer nachvollziehbaren, nicht immer mit Verständnis aufgenommenen
Überhäufung mit Literaturpreisen in der Bundesrepublik für den kontroversierten
Band Niederungen und für ihre angeblich regimekritische Haltung im Land,
soll, gemäß ihren Aussagen, die direkte Verfolgung durch die Securitate noch
deutlicher zugenommen haben. Sie machte die Bekanntschaft des Basilisken in der
Person des hier ausgiebig portraitierten Scheusals Pele, dessen Verhörmethoden
sie in existentielle Angst versetzten und ihr das Leben so schwer machten, bis
sie, begleitet von Richard Wagner, 1987 doch noch Rumänien verließ, um dann in
der nicht gerade innig und heiß geliebten Bundesrepublik Zuflucht zu finden. Beide kamen spät, kaum zwei Jahre vor dem
Sturz des Diktators, in ein Land, welches ihnen seit je her ideologisch suspekt
war, das sie aber dem demokratischeren Teil Deutschlands, der schon
zerbröckelnden DDR, vorzogen! Schließlich hatte es ihnen Mentor Berwanger
vorgemacht, dass die dämonisierten Teufel doch nicht ganz so schwarz waren und
dass man - mit der schon trefflich eingeübten Konzilianz - auch in der
kapitalistischen Hölle unter Faschisten und Revisionisten behaglich leben kann.
Getragen von einem Dissidenten-Image, das
sie nie gezielt anstrebten und das ihnen eigentlich auch nie zustand, welches
aber auch heute noch kultiviert und gepflegt wird, fuhren sie fort, auf ihre
Art Literatur zu produzieren und aus ihrer Sicht über die Welt zu
berichten, aus der sie kamen. Der Rest ist Geschichte und
Geschichtsbewältigung.
Da auch ich über Jahre eigene
Wege gehen musste, ohne die Möglichkeit an vielem aus der Vergangenheit
festhalten zu können, verlor ich Gerhards Spur wieder. Erst die Arbeit an
dieser Geschichte führte mich zur Materie zurück und in die späte
Auseinandersetzung mit ihr.
Auszug aus: Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
Chronik und
Testimonium einer Menschenrechtsbewegung
in autobiographischen
Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Dettelbach 2008, 418 Seiten - Leseprobe
Philosoph Carl Gibson
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
"Symphonie der Freiheit"
bzw. in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen
Allein in der Revolte.
Eine Jugend im Banat
Zeitzeuge und Autor Carl Gibson
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
Carl Gibson:
„Ohne Haftbefehl gehe ich nicht mit“ - Herta Müllers erlogenes Securitate-Folter-Martyrium
Mit Hass, Hetze, Täuschung und politischer Protektion plagiatorisch bis zum Nobelpreis – ein Skandal?
Ein Pamphlet
ISBN: 978-3-00-045364-9
Titelbild sowie Illustrationen im Innenteil: Michael Blümel
Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim
Inhalt:
Carl Gibson
„Ohne Haftbefehl gehe ich nicht mit“ - Herta Müllers erlogenes Securitate-Folter-Martyrium
Mit Hass, Hetze, Täuschung und politischer Protektion plagiatorisch bis zum Nobelpreis – ein Skandal?
Prolog: Befinden wir uns auf dem Weg in eine Meinungsdiktatur?
Herta Müller und die Securitate – Dichtung oder Wahrheit? – Wie Herta Müller sich selbst neu erfindet
Vorwort: Fragen, Fragen, Fragen …
Reden oder Schweigen?
1. Grundsätzliche Vorfragen:
Darf eine „moralische Instanz“ lügen?
2. Herta Müller erfindet sich selbst neu – Von „Fiktion“ und „Faktion“
Herta Müllers ZEIT-Artikel „Die Securitate ist noch im Dienst“ in kritischer Relecture fünf Jahre nach der Nobelpreisverleihung 2009.
Über „unsauberen Journalismus“ als Mittel zum Zweck in Deutschland und über das fragwürdige Ethos mancher Redakteure und Autoren
3. Aufklärung als Verschleierung? Der Pseudo-Aufklärer täuscht, indem er geschickt lügt.
4. Eine Frage der Ehre
Zum „Circulus viciosus“ der Verleumder als Denunzianten und Ankläger anderer Verleumder.
Geheimdienste, Instrumentalisierung und Deviation
5. „Die Verleumdung gehört zum Brauchtum der Banater Schwaben“ – wer hat das gesagt? Zur Botschaft der Hasspredigerin und den Machenschaften DER ZEIT
6.
Eine kompromittierende Email – Herta Müller lügt in alle Richtungen,
nur um die eigene Haut zu retten und belastet dabei die ZEIT-Redaktion
schwer
7. Das Geschäft in einer Welt ohne Moral?
Cui bono?
8. „Darf gegen Teile des Deutschen Volkes gehetzt werden, verehrter Herr Bundespräsident?
Vom Hass als Antrieb literarischen Schaffens zur offenen Hetze!
9. Cui honorem honorem!
David gegen Goliath … und Leviathan?
10. „Ohne Haftbefehl gehe ich nicht mit“ – zur nachhaltig erschütterten Glaubwürdigkeit der Herta Müller
11. Ein „gedankenloses Versehen“-
Oder:
Wie die ZEIT-Redaktion versucht, mit einer „Richtigstellung“, die keine ist, sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen, im krampfhaften Versuch, gleich zwei Gesichter zu wahren!
12. Wieder „ fährt ein Zug nach nirgendwo“ …
- Herta Müllers wundersam abstruse Sonder-Zug-Fahrt … ins rumänische Pankow.
13. Post festum-Lügen in unheiliger Allianz und im „Komplott“?
14- Ein Hauch von James Bond – 007 in Draculas Transsylvanien
15. Der ominöse Brief an „amnesty international“?
Herta Müller lügt – aber sie lügt schlecht!
16. „Plagiat“ als Methode! Ist wirklich alles Plagiat – alles „geklaut“ und alles erlaubt?
17. Der „Verhörer“ – „Konkreativität“ im Teamwork – Herta Müllers helfende Hände und Köpfe
18. Die wundersame Mär, wie Herta Müller harte Eier essen musste, um „kotzen“ zu können! –
„Authentische Lebensgeschichte“ oder Münchhausiade und Plagiat der geschmacklosen Art?
19. „Selig sind, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen“!
Über Opfer mit Opfer-Bonus und Opfer-Abo
20 . Wenn in deutschen Medien Mythen und Märchen als Fakten verkauft werden –
Unprofessioneller, unkritischer Journalismus zwischen politischer Naivität und bewusster Desinformation
oder gezielte Instrumentalisierung zwecks politischer Einflussnahme und Deviation?
21. „April, April!?“ Die Pseudo-Dissidentin rudert zurück!
Mythen, Puppenspieler und Puppe
22. Zu Herta Müllers „Lebenslauf“ und der Securitate- Beobachtungsakte „Cristina“ –
Chronologie einer großen Lüge und Volksverdummung nach Maß –
Wie Lügen salonfähig gemacht werden
Nachwort
Carl
Gibsons Buch - und Anklageschrift ist eine kritische Auseinandersetzung
mit Herta Müllers gröbsten Lügen, ebenso mit der unrühmlichen Rolle,
die das Wochenmagazin DIE ZEIT bei der Verbreitung dieser Lügen und der
Behinderung der Richtigstellung durch Aufklärer spielt.
Für die wissenschaftliche Zitation verbindlich ist die am 12. März 2014 erschienene Druckfassung der Darstellung.
Frühere,
im Internet veröffentlichte Fassungen einzelner Beiträge zur Thematik
verbleiben trotzdem online auf meinen Blogs, da sie die Genese der
Materie verdeutlichen.
Der Untertitel dieser Studie, die zwischen der jüngst publizierten, weiter führenden Essay- und Aphorismensammlung "Die Zeit der Chamäleons" und dem eigentlichen, noch unveröffentlichten Plagiatsnachweis entstand,
ist zugleich Programm:
Mit Hass, Hetze, Täuschung und politischer Protektion plagiatorisch bis zum Nobelpreis – ein Skandal?
Ich antworte mit meinem "J'accuse!" -
denn alle relevanten Fragen sind noch unbeantwortet; und alle plumpen
Lügen Herta Müllers und ihrer Macher wirken weiten, ohne dass es
Konsequenzen gegeben hätte.
Auszug aus der Streitschrift:
1. Grundsätzliche Vorfragen:
Darf eine „moralische Instanz“ lügen?
Darf eine Nobelpreisträgerin für Literatur öffentlich lügen?
Darf eine Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland öffentlich lügen?
Darf eine „geistige Autorität“, die den Anspruch erhebt, eine „moralische Instanz“ darzustellen, lügen?
Darf eine Kandidatin für politische Preise und für den Nobelpreis ihre Verfolgung und Martyrium frei erfinden?
Dürfen
deutsche politische Persönlichkeiten und Institutionen offensichtliche
Unwahrhaftigkeiten und Unwahrheiten decken oder machen sie sich dadurch
mitschuldig?
Oder wurden
bundesdeutsche Persönlichkeiten und Institutionen wie Bundespräsident
a. D. Horst Köhler, Bundespräsident Joachim Gauck bzw. die
Konrad-Adenauer-Stiftung nur gezielt getäuscht, bewusst
instrumentalisiert, um politische oder pekuniäre Interessen bestimmter
Kreise durchzusetzen?
Wurde die internationale Öffentlichkeit ebenfalls getäuscht?
Diese berechtigten Fragen, die ich seit Jahren öffentlich stelle, Fragen, die schon vor mir im Prinzip auch von anderen Personen gestellt worden waren, sind heute noch offen.
Ein Skandal?
Auch heute kann noch nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, wer – im ominösen Fall Herta Müller - wen
täuscht: Die kontrovers diskutierte Literatin aus dem rumänischen Banat
die deutsche und internationale Öffentlichkeit und Politik oder
machen bestimmte Kreise aus Politik, Literaturbetrieb und
Medienwirtschaft ihr böses Spiel, nur um noch mehr Macht zu erreichen
oder und Geld zu erwirtschaften, wobei die Literatur und Literatin zur
Magd machiavellistischer Machtentfaltung reduziert werden?
Fakt ist:
Bisher wurde sehr viel Druck ausgeübt, um
mich, den antikommunistischen Dissidenten und Widerstandskämpfer aus
den Folterzellen der Ceausescu-Diktatur, von der Beantwortung der oben
formulierten Fragen abzuhalten:
Der
Zeitzeuge, der das totalitäre Regime der Kommunisten auf der eigenen
Haut erlebt hat, soll ebenso schweigen wie der kritische Journalist,
Buchautor und Bundesbürger, der – als studierter Philosoph – ein moralisches Problem von besonderer politischer Tragweite aufwirft und öffentlich diskutiert sehen möchte.
Da es aus meiner Sicht – allein schon aus moralischen Gründen - nicht hingenommen werden kann, dass diese schamlosen, werteverzerrenden Lügen einer Person weiter gehen, da die Politik bisher ebenso untätig blieb wie die etablierte deutsche Presse, und
dies, obwohl zahlreiche Ungereimtheiten, Abstrusitäten, ja viele
schamlose Lügen in den Darstellungen Herta Müllers bekannt wurden, sehe
ich mich gezwungen, publizistisch aufklärend weiter machen zu müssen,
quasi aus einer legitimen Notwehr heraus, angetrieben vom
verfassungsrechtlich garantierten Widerstands-recht des deutschen
Bundesbürgers, der nicht bereit ist, Entwicklungen hinzunehmen, die
geeignet sind, die Grundwerte der europäischen Demokratie zu zerstören.
Wehret den Anfängen, besonders nach den bitteren Erfahrungen mit der braunen und roten Diktatur auf deutschem Boden!
Noch mehr Kritik an Herta Müller hier:
© Carl Gibson
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