Mittwoch, 16. Januar 2013

Klage vor der Klage - Diskreditierung, Diffamierung und Kriminalisierung


Klage vor der Klage - Diskreditierung, Diffamierung und Kriminalisierung



Wie im zwischenmenschlichen Bereich gibt es auch im Zusammenleben der Völker Prinzipien und Gesetze, an die sich alle halten müssen. Das ist die Grundlage des internationalen Rechts, das man im Deutschen unter dem Begriff Völkerrecht kennt.

Wer im zivilisierten Konzert der Völker mitspielen will, wer bereit ist, diese höhere Form der Ethik anzuerkennen und sich an die vorgegebenen Maßstäbe und Spielregeln zu halten, wird Mitglied der Vereinten Nationen und ihrer Organisationen und ratifiziert die entsprechenden Abkommen. Das sozialistische Rumänien hat, wie andere totalitäre Staaten auch, manches ratifiziert - und wenig eingehalten. Trotzdem wollte das Land immer international gut dastehen und das schwer erworbene liberale Image wahren. Der Schein wurde stets über das Sein gestellt.

Ceauşescu selbst gefiel sich in der Rolle, ein Dissident im Lager der Kommunisten zu sein, der selbstständig eigene Wege ging, ein Visionär, der sein Land in eine glückliche Zukunft führt.

In Wirklichkeit jedoch war er nur ein ehrgeiziger Machtpolitiker von hervorstechender Mittelmäßigkeit in allem, was er tat. Da er nach außen hin immer den Schein wahren wollte, war auf seinen Befehl hin alles zu vermeiden, was das positive Erscheinungsbild des sozialistischen Rumänien unter seiner Führung hätte stören können. Das war eine der Leitlinien seiner Politik, die sich selbst schon in den Köpfen der Sicherheitsorgane so festgesetzt hatte und die von diesen in Servilität und vorauseilendem Gehorsam schon im Vorfeld erfüllt wurde.

Als man uns Gründern der Freien Gewerkschaftim Gerichtssaal von Temeschburg einen sprichwörtlich kurzen Prozess machte und uns wegen der Konstituierung einer Gruppemit anarchischem Charakterverurteilte, war die eigentliche Bezeichnung in weiser Voraussicht bewusst vermieden worden, weil man sich der völkerrechtlichen Implikationen sehr wohl bewusst war. Was vermieden werden sollte, trat nun doch ein. Jetzt, zwei Jahre nach unserer Verurteilung, war es soweit. Auf Ceauşescus Regierung in Bukarest kam eine Klage zu, die von der Confederationvorbereitet und von den Vereinigten Nationen eingereicht wurde. Es war wohl die erste dieser Art in ganz Osteuropa!? Monsieur Robert und seine Mitarbeiter hatten innerhalb von einigen Wochen nach unserem Gespräch gute Arbeit geleistet.

Am 2. April 1981 machte die Brüsseler Tageszeitung La Libre Belgique in dem Bericht von Nicolette Franck unter dem Titel Rumänien unter Anklage vor seinem Gewerkschaftskongressdie anstehende UNO-Klage gegen Bukarest publik. Die kritische Haltung der Confederation im Hinblick auf die Unterdrückung der gewerkschaftlichen Freiheiten in Rumänien wird akzentuiert. Statt eine Einladung zur Teilnahme am Kongress der offiziellen Gewerkschaft in Bukarest anzunehmen, habe sich die Confederation entschlossen, eine Klageschrift aufzusetzen und die Einhaltung der zugesagten Vereinbarungen einzufordern.

Die Confederation wartete noch den Verlauf des Kongresses in Bukarest ab. Nachdem aber feststand, dass mit keinen neuen Erkenntnissen gerechnet werden konnte, nahm dieser lange und mühsam vorbereitete Prozess seinen Lauf. Die Klageschrift wurde der UNO-Unterorganisation International Labour Organisation, ILO, übergeben, die das Verfahren einleitete und die Regierung in Bukarest mit den Vorwürfen konfrontierte.

Es begann eine langwierige und bürokratische Auseinandersetzung zwischen der Völkergemeinschaft aus Genf und den totalitären Machthabern in Bukarest, ein ewiges Hin und Her, eine unendliche Konfrontation von These und Antithese fern von jeder Dialektik, die sich fast vier lange Jahre hinzog. Wer unter den Sterblichen konnte da noch folgen? Gelegentlich erhielt ich aus Genf einige Zwischenberichte, die nicht viel mehr aussagten, als dass die Angelegenheit weiter verfolgt wurde, Genf nicht locker lies und Bukarest sich massiv zur Wehr setzte.

Allmählich steigerte sich die Klage dann doch zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei ideologisch entgegengesetzten Systemen, einem freiheitlichen und einem diktatorischen, sowie zu einer Konfrontation von Paragraphen und Interpretationen völkerrechtlicher Aspekte - oder kurz: Es war ein Kampf zwischen Wahrheit und Lüge, wobei die zynisch vorgetragenen Unwahrheiten aus Bukarest sogar noch schriftlich fixiert wurden und heute noch im Internet nachgelesen werden können.!

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, wenn er auch dann die Wahrheit spricht! Solche Lebensweisen hatte man uns im Kindergarten eingehämmert, als die ersten Grundsteine einer Ethik und Moral gelegt wurden. Was war davon zu halten, wenn nun Regierungen frech logen und wider besseres Wissen jede Wahrheit verdrehten?

Kommunismus- das war freche die Lüge von Anfang an bis zum Niedergang, nur aus Gründen des Machterhalts. So lange auch nur etwas von den Scheinbild gewahrt werden konnte, sollte es gewahrt werden.

Die politisch-juristische Auseinandersetzung zwischen der ILO der UNO und der Regierung in Bukarest vollzog sich fern der Augen der Öffentlichkeit in irgendwelchen Glaspalästen, ohne dass viel über den Fortgang der Sache bekannt wurde. Das bürokratische Auf und Ab der Argumente beschäftigte lediglich eine größere Anzahl von trägen Funktionären, ferner hoch bezahlte Juristen, Beamte, Übersetzer bis hin zu Geheimdienstaktivisten, die weitere Menschen schikanieren und Informationen herbei karren mussten, um die Pseudoargumentationen, die auch durch häufiges Wiederholen nicht wahrer wurden, untermauern zu können. Selbst ich, der positive Kronzeuge der Klage, erfuhr zum Fortgang des Verfahrens, das weiterhin mit meinem Namen verknüpft war und mich hohen Sicherheitsrisiken aussetzte, in der Folgezeit nur noch wenig.





In Bukarest





Auszug aus: Carl Gibson,

Symphonie der Freiheit

Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur





Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten,

Leseprobe,
Foto: Carl Gibson


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