Donnerstag, 17. Januar 2013

Poesie und literarische Opposition - Dichter Werner Söllner liest aus Dinescus Lyrik, Auszug aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen, Leseprobe

Poesie und literarische Opposition -

Dichter Werner Söllner liest aus Dinescus Lyrik



Man schrieb den 18. November 1989. Es war irgendwo im Frankfurter Raum, in Offenbach vielleicht, in einem öffentlichen Saal. Eine Dichterlesung war angesagt. Werner Söllner, ein Dichter aus der Arader Gegend im Banat, ein paar Jahre älter als ich, seit 1982 im Westen, stellte seinen jüngsten Gedichtband vor. Und - über eigenen Gedichte hinausgehend - noch ein paar aktuelle Verse aus Feder von Mircea Dinescu, die zu einem Bändchen zusammengefasst, gerade taufrisch vorlagen. Beider Werke waren bei Suhrkamp erschienen, in einen Verlagshaus mit Sinn für deutsche Kreationen aus Rumänien, das auch Texte von Pastior, Wichner, Hodjak und früher auch von Goma edierte. Söllner, ein Freund Dinescus, hatte die Gedichte aus dem Rumänischen ins Deutsche übertragen.

Die Veranstaltung war gut besucht. Neben mir saß Ion Solacolu, in dessen Armen vor einiger Zeit Caraion verstorben war, vom Demokratischen Kreis der Rumänen in Deutschland, der als liberaler Publizist Dialogherausgab, mein früherer Mitstreiter aus Genf, exzellenter Beobachter politischer Ereignisse in Rumänien und im Exil. Als Förderer und Editor literarischer Werke war er nicht weniger neugierig als ich selbst, was an kritischer Dichtung auf uns zukam. Dann ging es los.

Söllner, der neben William Totok bald als einer der wenigen Kreativen aus Rumänien in Deutschen Fernsehen über die Entwicklungen in Rumänien Auskunft erteilen konnte, las zunächst aus seinem Band Kopfland. Passagen. Wir hörten Gedichte, verschlüsselte Lyrik und lyrische Reflektionen eines Poeten, der den Raum seines Seins und Wirkens unfreiwillig hatte wechseln müssen; subjektive Auseinandersetzungen mit der Welt, die so war, wie sie war -und in die er, wie später im Gespräch mit Stefan Sienerth vom IKGS bekundete, einfach hineingeboren war. Politische Zwischentöne und Zeitkritik lagen in den Versen verborgen und manches, was sich zum Teil erst nach späterer, tiefergehender Relecture erschloss.

In der zweiten Hälfte der Lesung ging Söllner zur Lyrik seines Freundes aus Südrumänien über und las aus Mircea Dinescus neuestem Gedichtband Exil im Pfefferkorn. Es wurde noch stiller.

Angespanntes Interesse lag in der Luft und ein Hauch von besonderer Erwartung, die nicht enttäuscht wurde. Denn fast fünf Jahre nach der von Michael Gorbatschow losgetretenen Liberalisierungsbewegung Glasnost und Perestroika war Osteuropa am Ende - bis auf Rumänien, wo ein uneinsichtiger Diktator sich verbissen an die Macht klammerte. Durch Ostdeutschland hallten immer noch die Wir sind das Volk-Rufe. Und die deutsch-deutsche Grenze sollte bald für immer offen sein. Doch was tat sich in Bukarest und im weiten Land Rumänien?

Etwas von dem heraufziehenden Aufruhr dort, poetische Präludien der Revolution, konnten von feineren Ohren aus der vorgetragenen Lyrik Dinescus heraus gehört werden. Wir hörten zu - und das merkten die Kunstverständigen schon nach wenigen Versen, wir vernahmen neue, ungewohnte Töne, in einer kräftigen und originellen Sprache!

Viel Mutiges und manches Kritische war dabei; vor allem Gedanken, die auf eine baldige Veränderung der Gesellschaft abzielten und Ideen, wie ich sie vorher bei keinem der deutschsprachigen Dichter im Banat oder Siebenbürgen vernommen hatte.

Werner versah die auch stellvertretend für Dinescu signierten Gedichtbände mit dem Datum - es waren gerade noch drei Wochen bis zur Revolution von Temeschburg und dem Auftakt zum Sturz der Diktatur in Rumänien!

Nach der Lesung diskutierten wir ausführlich über die Gründe seiner Ausreise, über die literarischen Schaffensbedingungen im Westen, über Lyrikrezeption und über die Bedingungen künstlerischer Arbeit im vorrevolutionären Rumänien, speziell über die arg beschnittenen Freiheiten, überhaupt noch Poesie produzieren zu können und als Dichter oppositionell tätig zu sein.



Auszug aus: Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit



Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten - Leseprobe






Zeitzeuge und Autor Carl Gibson


Philosoph Carl Gibson
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
"Symphonie der Freiheit"

bzw.
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band

"Allein in der Revolte".
Eine Jugend im Banat




Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel













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