Donnerstag, 17. Januar 2013

Strippenzieher und Marionetten, Wendehälse und Chamäleons, Auszug aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen, Leseprobe

Strippenzieher und Marionetten, Wendehälse und Chamäleons



Als der selbst erklärte Lotse mit der Arbeiter-Kappe von Bord gedrängt wurde, folgten ihm die Ratten schnell; doch nicht ins Wasser und in den Abgrund, wie seinerzeit in Hameln; sondern hinauf auf den Thron. Ein quicklebendiger Diktator gleicher Herkunft und fast gleichen Schlages löste schnell den bald schon toten Tyrannen ab.

Die Wende! Die Umkehr und die Kehre!? Die Zeit der Wendehälse, die Zeit der Chamäleons brach an, ganz nach dem Muster aus den Bruderstaaten. Das Paradigma des Neuwerdens lief bereits in der DDR ab.

Viele Abläufe des Kommenden konnten dort zeitverzögert in großen Zügen nachverfolgt und realitätsnah studiert werden. Es war der Einstieg in eine neue Zeit. In eine Zeit des Umbruchs, wo aus loyalen Funktionären der Nomenklatur über Nacht Patrone wurden, die das Land unter sich aufteilten wie das Fell des Tanzbären, der noch exekutiert werden musste oder das Purpur Christi unter dem Kreuz. Dabei wurden, wie überall und zu allen Zeiten auf der Welt, die vielen Armen, denen schon immer alles gehört hatte, wieder einmal vergessen.

Das Fähnlein hatte gedreht. Jetzt ging’s nach neuen Meeren. Neuer Wind kam auf und mit ihm kamen neue Herausforderungen. Was zählten da die Taten von vorgestern? Die Vasallen von gestern schritten mutig zur Tat; und sie machten - ganz im Geist Robbespieres und einer gleichmachendenInternationale - reinen Tisch und dem einstigen Conducator, dem Führer, der Lichtgestalt der neuesten Zeit, einen Kurzen Prozess!

Fast wollte ich den Bildern nicht recht trauen, als sich vor den Augen der Welt jene Ironie des Schicksals vollzog: genauso wie man uns vor den Kadi gezerrt hatte, stand nun Ceauşescu vor seinem eigenen Volksgerichtshof, von ihm einst bestellten Richtern ausgeliefert, für die Rechtsbeugung zum guten Ton gehörte.

Da stand er nun, der geliebteste Sohn des Volkes -als Opfer eines Systems der Willkür, das er selbst ausgebaut und gegen andere eingesetzt hatte!

Schon wieder ein Deja vu-Erlebnis? Auf den Landesvater, geflohen wie König Karl und König Michael, kam der Jüngste Tag zu und das Jüngste Gericht. Die Könige hatten überlebt und nicht schlecht weiter gelebt. Doch dem Diktator winkte der Schlund der Hölle! Wieder einmal verschlang eine Revolution ihre eigenen Kinder - und, wie es schien, mit großem Genuss!

Staatsanwälte und Richter hatten ihre Freude daran. Ihr neues System, das den Rumänienkenner, nicht nur fern an die Vergeltungspraktiken Vlad des Pfählers erinnerte, war ebenso rücksichtslos wie gnadenlos. Der in Ungnade gefallene Führer, ein Bewunderer des grausamen Walachenfürsten Vlad Ţepeş, wurde nun genauso unwürdig und beleidigend behandelt wie seit den Anfängen des Stalinismus im Nachkriegsrumänien Regimekritiker, Dissidenten und anders denkende Bürger nach seinen Verdikten und Edikten behandelt worden waren.

In der juristischen Farce jenseits aller Legalität, in jener Groteske, die unsensibel vor der Weltöffentlichkeit ausgestrahlt wurde, um zu signalisieren, dass mit Ceauşescus Ende auch das Ende des Kommunismus in Rumänienangebrochen war, wurde er, der übermächtige Führer von gestern, der nicht den geringsten Widerspruch geduldet hatte, genauso schäbig behandelt wie ein Straßenköter oder ein Bandit, ganz nach den Spielregeln des Systems, das er selbst herangezüchtet hatte. Plötzlich blieb von dem einst absolutistisch regierenden Despoten, der an Selbstherrlichkeit selbst den Sonnenkönig übertrumpfte, nur noch ein großes Nichts übrig, ein verhöhnendesDu!

Nach Robbespiere, Marat, Saint-Juste, Danton …war es jetzt Nicolae Ceauşescu, der Bauernsohn aus Scornicesti, der vom langen Arm der Arbeiterrevolution erreicht wurde! Die Bewegung, die einst mit dem Sturm auf den Winterpalast des Zaren begonnen hatte, fraß erneut ihre eigenen Kinder, um sich dann für immer aufzulösen. Oder war es die Schergen der Konterrevolution, die ihm jetzt den Garaus machten? Ceauşescu hätte es wissen können, wenn er während seiner Kaderausbildung in Moskau die Geschichte der Französischen und der Bolschewistischen Revolution aufmerksamer studiert hätte.

Der über Nacht antiquierte Diktator wurde reduziert, eingedampft zur Nummer, zum Schrumpfkopf, zur Fratze - und dies von den eigenen Leuten. Also wiederholte sich die Geschichte doch!? Und das Grauen der Geschichte! Vlad Draco winkte wie Kapitän Ahab – aus der Hölle!

Die Marionette hatte ausgedient. Vielleicht war er schon zu Lebzeiten nicht mehr als eine mumifizierte Puppe, eine hohle Larve, die nur eine von Moskau vorgegebene Rolle vortrug, eine Nummer, die einen Platz ausfüllte, aber jederzeit ersetzbar war.

Die eigentlichen Entscheidungen wurden längst von anderen Strippenziehern getroffen, von geschickten Wendehälsen und Chamäleons, die sich selbst einen galanten Ausgang sicherten, indem sie die inzwischen ungeliebte Führerfigur absägten. Die Drohne hatte ihre Schuldigkeit getan - sie durfte weichen.

Die Farben wechselten wie die Stimmungen. In der Bundesrepublik Deutschland gab es noch Möglichkeiten und Kontrollinstanzen, die Chamäleons und Wendehälse der DDR zu beobachten. Wer sollte diese Aufgabe in Rumänien übernehmen? Die Götter im Olymp vielleicht? Oder die wenigen in ein unfreiwilliges Exil gedrängten, weit versprengten und weltanschaulich uneinigen Dissidenten? Die Untergrundkämpfer und Ruhiggestellten im eigenen Land?

In Polen avancierte der schlichte Arbeiterführer Lech Walesa zum Staatschef!

In Tschechien der differenziert denkende Intellektuelle Vaclav Havel!

Was wurde aus den rumänischen Oppositionellen? Sie wurden entweder korrumpiert oder kurzfristig als moralisches Feigenblatt vereinnahmt. Bald darauf wurden kritische Intellektuelle ruhig gestellt, indem sie entweder in wenig einflussreiche Pöstchen abdrängt - oder, was am einfachsten war, gleich nach altem Muster diffamiert und diskreditiert wurden. Irgendwann löste sich das gesamte kritische Oppositionspotential in Luft auf - keiner von ihnen übernahm wirklich politische Verantwortung.

Kein Zwangsexilierter wurde rehabilitiert. Schon Monate nach dem Sturz wurden Bürgerrechtler und Menschenrechtsaktivisten einfach nicht mehr gebraucht. Jene aus dem Westen schon gar nicht.


Auszug aus: Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit



Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten - Leseprobe






Zeitzeuge und Autor Carl Gibson


Philosoph Carl Gibson
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
"Symphonie der Freiheit"

bzw.
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band

"Allein in der Revolte".
Eine Jugend im Banat




Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel















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