Montag, 7. Januar 2013

Polemica in nuce!? Kritik und Selbstkritik - Leseprobe, aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit, 2008




Leseprobe, aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit, 2008

Polemica in nuce!? Kritik und Selbstkritik

 

Die linken Idealisten und Utopisten waren im Gegensatz zu mir offensichtlich immer noch bereit, den längst degenerierten Staatskommunisten noch etwas Aufbruchseuphorie zuzugestehen, statt ihnen nach eklatantem Versagen auf allen Ebenen die Führungskompetenzabzusprechen. Das Rütteln an der politischen Macht war selbst im Jahr 1985, als Rumänien bereits vor dem totalen Kollaps stand, für sie noch nicht angesagt!
Auch stand für Herta Müller, Richard Wagner und andere aus dem Umfeld keine direkte Kritik an der Kommunistischen Partei Rumäniens zur Debatte, obwohl diese Kraft auf ihrem 9. Parteitag alle Intellektuellen im Land zum Üben von Kritik aufgerufen hatte - und indirekt zur Selbstkritik.
Offene Dissidenz war selbst in dieser größeren Gruppe nicht gewollt, obwohl das Land kurz vor dem Abgrund stand. Ceauşescu, der weitsichtige Führer, hatte damals bereits sämtliche Nahrungsmittelvorräte gegen Devisen ins Ausland verschachert, um die Fremdschulden forciert zu tilgen. Im einst wohlhabenden Rumänien, wo, zumindest im Banat, Weizen, Mais und Gerste, von den überfüllten Dachböden rieselten, war schon vor Jahren das Brot knapp geworden. Menschen mussten hundert Kilometer anreisen, um in Temeschburg ein Baguette zu kaufen. Die Kommunistische Partei unter Ceauşescu hatte inzwischen total versagt. Ihren Führungsanspruch trotzdem anzuerkennen bedeutete eine eklatante Verkennung der Gesamtsituation.
Wo blieben der Stolz der Kunstschaffenden und die geistige Revolte des Menschen gegen Unrecht, von der Camus spricht? Indirekte Dissidenz und kulturelle Opposition entstanden bestenfalls dadurch, dass sich die einzelnen Dichter weigerten, an Schandtaten wie Lobhudelei, konformistische Berichterstattung und Infiltration mitzumachen, als Individuen, während die Gruppe den Individualwillen aufhob und löschte. Das Agieren innerhalb einer Gruppe - auch wenn es keine Aktionsgruppe war - schützte zwar den Einzelnen vor Repressalien, weil niemand wusste, wer was gesagt und formuliert hatte, aber die Einbettung exponierte das Individuum auch, indem es einem Gruppenzwang unterworfen wurde, der jede geistige Eigenständigkeit aufhob. Dahinter stand zusätzlich eine mögliche Sippenhaftung, die – wie einst bei der Aktionsgruppe – im Ernstfall den Untergang aller auslösen konnte. Aus diesen Gründen zog ich es vor, über Jahre allein gegen den Strom zu schwimmen, meine Protestschreiben allein zu verfassen, allein zu unterzeichnen und allein mit den Folgen zu leben.. Auch in unserem offenen OTB-Kreis kamen und gingen wir als freie Individuen - fern von jedem Zwang!
Als der oben zitierte Brief im Jahr 1985 an die Lokalpartei abgeschickt wurde, nagten ein Großteil der zwanzig Millionen Menschen im Land bereits an Knochen - an was wohl die Häftlinge nagten, die zu meinen Zeiten noch Schlemmereien wie Schweinehufe vorgesetzt bekamen?
Es fehlte überall an allem; an Energie, um zu kochen und zu heizen, an Wasser, um sich zu waschen. Der Schritt zum Verzehren von Gras - wie bald darauf in Nordkorea - war schon absehbar. Die Hälfte des Bruttosozialprodukts, Milliarden, wurde nicht für die sträflich vernachlässigte Daseinvorsorge investiert, sondern für einen Monsterbau verschleudert, der nur einem Größenwahnsinnigen, ja offensichtlich gänzlich verrückt gewordenen Despoten diente.
Doch der neue Turm von Babel mit dreitausend Räumen, dem Zehntausende Bukarester weichen mussten, um Platz zu machen für das Achte Weltwunder, stand nicht im fernen Banat, in der heilen Welt meiner Kindheit, wo Leute wie C.F. Delius nach der Niederungen-Lektüre Herta Müllers Sodom und Gomorra vermuteten, auch nicht im fernen Babylon zwischen Euphrat und Tigris bei Saddam Hussein, sondern im Herzen der Walachei, in Bukarest, in Rumänien! In einer solchen gesellschaftspolitischen Konstellation erteilten naive Linke der für all das verantwortlichen Kommunistenpartei Absolution! Ein Hohn!
In den Schriftstellerverband wollten einige aus ihren Reihen aufgenommen werden, nachdem die Partei ihnen wohlwollend ein Büchlein genehmigt hatte - als Krönung ihres Künstlerdaseins!
Das war ihre größte Sorge, während andere hungerten und ihre Landsleute von panischer Untergangsstimmung ergriffen alles dem Freikauf opferten und ohne Rücksicht auf Verluste nur das nackte Leben rettend aus dem Land flohen – wie bei drohendem Krieg!
Der die Meriten der Partei unkritisch anerkennende Appell endet mit der unverhohlenen Drohung, den Großen Bruder in Bukarest informieren zu wollen, falls eine lokale Lösung ausbleibe: Also, kleiner Pinscher Unheil, wenn du nicht spurst, dann holen wir den großen Wauwau!
Darüber vergaß Herta Müller später in der Bundesrepublik zu berichten!
Den Pour le Mérite auf dafür, noch vor dem Nobelpreis!!!
Polemica in nuce? Vielleicht. Mein Ärger, der mir den Schlaf raubte, floss in einige Essays - und Satiren. Doch das Lachen bleibt weg, wenn man an die Opfer denkt, die das - wenn auch ungewollte - Stützen einer Diktatur gekostet hat. Ein Endkampf auch hier - ohne Endsieg. Nur mehr Opfer. Verbitterung kommt manchmal auf - und auch Verständnis dafür, dass aus langjährigen demokratischen Dissidenten, Menschenrechtlern und freien Geistern irgendwann nach langem Sisyphus- und Don Quichotte-Dasein der Umschwung in den radikalisierten Zynismus erfolgt! Cioran, Goma … sind Beispiele dafür!
Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass nicht jeder aus der Gruppe den Text, so wie ihn vielleicht einer von ihnen aufgesetzt hatte, voll stützte und mittrug - und dass einiges davon als plakativer Appell verstanden wurde, der notwendig erschien, um überhaupt angehört zu werden. Trotzdem ist die Aktion einstiger Mitglieder der ehemals anders gestarteten Aktionsgruppeeine Geste des Kompromisses, des Arrangements mit der Macht, die 1985, als die Zivilisation in Rumänien unterging, schwer deplatziert war - das war aus meiner Sicht unfreiwillige Kollaboration!
Und worin bestand die Alternative dazu?
Eben in dem von uns durchexerzierten Modell des konkreten politischen Widerstands, das Folter und Haft implizierte, aber auch andere Signale an die Gesellschaft sendete.Vielfacher Widerstand über Jahre machte die spätere Revolution möglich - und nicht die stille Duldung einer Weltanschauung, die sich selbst schon überlebt hatte!
Manche Erfahrungen, die ich in unendlichen Variationen während der dreijährigen oppositionellen Tätigkeit hatte auch machen müssen, tauchen in dem gelinden Protestschreiben wieder auf, nur transponiert in den Bereich des Literarischen -und mit anderen Akteuren. Das System dahinter blieb gleich wie die Methoden, Menschen einzuschüchtern, sie psychisch und selbst physisch zu vernichten. Unter diesen Umständen bot sich für die Deutschen aus dem Banat und Siebenbürgen nur eine Alternative an - die Ausreise, für mich und für andere - der Exodus!
Während ich schon früh dafür optierte und so schnell wie möglich die elysischen Gefilde verlassen wollte, entschlossen sich loyale Kritiker sträubend erst später, nachdem sich selbst der stramme Antifaschist Berwanger abgesetzt und das Banat so gut wie frei von Deutschen war.
Den Schriftstellern deutscher Zunge liefen die Leser davon! Bereits 1979 war ich gegangen, weil ich die Führungsrolle der Kommunistischen Partei, die sich mit vorgehaltener Pistole und einen legitimen Monarchen nötigend an die Macht geputscht hatte, nie anerkannt hätte. Weder in Rumänien, noch sonst in einem anderen totalitären Staat.
Statt kleine Büchlein zu machen mit subjektiven Ergüssen und antiimperialistischen Parolen von der Stange, Jugendsünden, die mancher aus der Gruppe aus heutiger Sicht gerne ungeschehen machen und vergessen würde, habe ich mit anderen ähnlich denkenden Opponenten das totalitäre Regime bekämpft; und zwar selbst noch zwischen 1981 und 1984 über das Mittel der völkerrechtlichen Klage, obwohl ich meine Haut in den freien Westen gerettet und nichts mehr zu gewinnen hatte, aber alles verlieren konnte, nämlich das Leben!
Als ich damals zum Zeitpunkt der Klageerhebung - für die Sache anderer eintretend - nächtliche Drohanrufe erhielt und die zuständigen Behörden darüber informierte, vergaß ich das öffentliche Aufschreien, das Tamm-Tamm, das Trommeln, Schellen und Klappern. Das alles ertönte erst 1987, als die richtigen Dissidenten kamen!
Steht es mir damit zu, anderen den Spiegel vorzuhalten, anderen, die die Deutsche Minderheit in der Schuld sahen, sich von ihr absetzten und sie bekämpften, statt gegen die Kommunisten anzutreten? Ist es nicht schon zu spät für die Wahrheit?
Darauf mögen andere antworten!
Wer - wie Herta Müller und ihre nicht immer konsequent-kritischen Zeit-Genossen - eine kommunistische oder pseudokommunistische Einheitspartei so undifferenziert bestätigt, sollte nie Preise, die für Dissidenz vergeben werden, anfassen oder gar annehmen.
Und wenn sie solche Preise, die für Widerstand, Zivilcourage und bürgerliche Opposition in einer Diktatur vergeben werden, versehentlich von Leuten zugesprochen bekommt, die von den inneren Verhältnissen in einem totalitären System, von Dissidenz und von politischem Andersdenkertum keine Ahnung haben, dann sollte die Dame jene Ehrungen schleunigst zurückgeben, damit sie jenen Menschen zukommen, die für ihre weltanschaulichen Überzeugungen wirklich im Gefängnis saßen - über eine Woche hinaus.





Pestsäule und Dom, Temeschburg,


OTB-Organisator Georg Weber, 1982 in Dortmund



Bürgerrechtler Carl Gibson zur Zeit der UNO-Beschwerde gegen Ceausescu (1981)
in Rottweil




Kathedrale, Temeschburg

ZK


Ceausescus Palast


Carl Gibson, Lesung




Ein Pressebericht, Tauber-Zeitung, FN (2008)



Carl Gibson, Symphonie der Freiheit,

Dettelbach, 2008, 418 Seiten.

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