Freunde und Wegbegleiter:
Jean-Pierre Hammer und die deutsch-französische Freundschaft
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Maler, Musiker, Lenau-Forscher,
aktiver Zeitzeuge und mutiger Mitgestalter der DDR-Opposition
um Wolf Biermann und Robert Havemann
https://www.jean-pierre-hammer.fr/
Manchmal ergeht es Freunden wie den Königskindern; sie können zusammen nicht kommen, weil immer etwas dazwischenkommt und Ereignisse des Lebens sich zwischen die Begegnung schieben und so das verhindern, was wichtig und notwendig war.
Leider habe ich es nicht mehr geschafft, wie angedacht mit dem Maler und Musiker in aller Ruhe der Seine entlang zu schlendern, kontemplativ Bilder betrachtend in gegenseitig befruchtender Diskussion, oben in Paris, am Montmartre oder im Jardin des Plantes, wo Rilke seinen „Panther“ dichtete und Maurice Mourlot, der Freund des Freundes, zeichnete und malte.
Lenau brachte uns zusammen, damals, 1989, auf einer Tagung in Mosonmagyarovar[1], kurz bevor als der Eiserne Vorhang für immer fiel und mein Buch und Dissertation auf den Markt kam noch vor dem akademischen Promotionsverfahren, ein Werk, das im Auftrag verteufelt[2] wurde, um mich von der Uni zu jagen, das aber trotzdem um die Welt ging.
Jean-Pierre, der Freund, der als Lenau-Forscher mehrere Bücher über den großen Lyriker der Spätromantik verfasste, hat mein Werk seinerzeit gewürdigt und betont, es wäre wert, ins Französische übersetzt zu werden.
Die Schützenhilfe Hammers und anderer[3] kam zu spät - ich kehrte der Alma Mater den Rücken, für immer.
Doch es gab andere Formen des Zusammenwirkens, u. a. die
Mourlot-Ausstellung in Bad Mergentheim
https://fr.wikipedia.org/wiki/Maurice_Mourlot
im Jahr 2000, von mir angeregt und von der Stadt mit Jean-Pierre umgesetzt. Das war deutsch-französische Freundschaft der konkreten Art.
Lebt Jean-Pierre noch? fragte ich mich, nachdem ich, selbst schwer erkrankt, gehemmt und produktiv gelähmt, in wenigen Jahren alle guten Freunde und Bezugspersonen verloren hatte, darunter den Freund fürs Leben.
Ja, er lebt noch, sagt mir das Internet.
Und sicher wirkt er noch weiter - als Künstler, als Forscher, inzwischen 95 Jahre alt!
Ganz durchgedrungen ist er weder in Deutschland, noch in Österreich, obwohl er als Germanist sehr für die deutsche Literatur getan hat, als Linker speziell für die oppositionelle Literatur in der DDR rund um Wolf Biermann und Robert Havemann[4].
Hammer hat viel für Biermanns Wirken in Frankreich getan – und er hat ein vielbeachtetes Interview mit Havemann geführt, das in der Zeitung „le mionde“ abgedruckt wurde und dann noch in weiteren großen zeitungen der wetlichen Welt.
Hammer war sehr oft in der DDR und hat sehr frühzeitig die DDR-Opposition mitgestaltet. Er ist also ein wichtiger Zeitzeuge im Bereich der deutschen Gegenwartsgeschichte[5].
http://worldcat.org/identities/lccn-n88132791/
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/person/gnd/11911867X
Zwischenstaatliche Freundschaft aus der Sicht des Einzelnen bedeutet Hinwendung, aktive Beschäftig des Deutschen mit der französischen Kultur- und Geistesgeschichte, was ich in meinem Werk über „Einsamkeit und Melancholie[6]“, 2015 getan habe, und umgekehrt wie es Jean-Pierre vorexerziert Jahr hindurch hat.
Manches geht unter, gut Intendiertes kommt nicht an in der Öffentlichkeit, wird, da nicht verstanden, oft verkannt - die echte Freundschaft aber bleibt ... über den Tod hinaus und gibt dem Leben dessen Sinn, der wahre Freunde hatte.
Am Ende lassen uns nur Freunde gelten, betonte Lenau einmal etwas resignativ, doch tröstend an einer Stelle im vertrauten Brief an die mütterliche Freundin Emilie von Reinbeck aus Stuttgart.
Jean-Pierre Hammer[7] wird - neben Büchern und Essays - wie Mourlot[8] auch als Maler Werke hinterlassen, denen man sich vielleicht noch zuwenden wird, auch in Deutschland, denn in Frankreich ist das längst geschehen.
Nach zwei Ehescheidungen und vielen Umzügen sind mir die Primär- und Sekundärwerke rund um den Künstler und Forscher sowie Originale von Mourlot, Geschenke von Jean-Pierre, abhandengekommen. Die Freundschaft aber blieb.
http://www.m-e-l.fr/jean-pierre-hammer,ec,316
[1] Ungarisch-Altenburg, Lenau hat dort eine Weile Landwirtschaft studiert.
[2] Von einem Wadenbeißer aus Graz, namentlich von einer gewissen Frau Beatrix Müller-Kampel, die, von wem auch immer aus dem Kreis der Lenau-Forscher und Neider, angesetzt wurde, einen Verriss über mein Buch zu schreiben, was mich die Promotion und die lange über Forschungsarbeiten vorbereitete akademische Laufbahn kostete. (ich schrieb darüber ausführlich an anderer Stelle.)
Von mir später zur Rede gestellt, konnte sich diese „Rezensentin“ – gleich manchem Politiker mit Gedächtnisschwund - nicht mehr an den Auftraggeber erinnern.
[3] Etwa von Viktor Suchy, ausgewiesener Literaturkritiker, Lektor Herausgeber und intimer Lenau-Kenner:
https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Suchy
[4] Hammer hat das Material darüber publik gemacht.
(Vgl.
dazu: Der französische Freund und die Staatssicherheit
Enrico Seewald, in: ZdF 38/ 2015) mit Foto von beiden.) Im Internet abrufbar.
[5] Seinerzeit übergab mir der Freund sein Werk
Hammer, Jean-Pierre:
Le vrai visage de la RDA, Entre la Stasi et l’opposition démocratique.
Villeneuve-d’Ascq 2010
Bzw.
Hammer, Jean-Pierre: Es war einmal die DDR – Bericht eines Augenzeugen aus Frankreich.
Berlin 2015.
Mit den Herta Müller-Publikationen beschäftigt, die ab 2014 erschienen und die mich bis 2016 voll einnahmen, versäumte ich eine angemessene Rezeption, hoffte aber, mit Jean-Pierre Hammers Beistand die Herta Müller-Materie in Frankreich zur Debatte zu bringen, was ebenso aus Zeitgründen nicht möglich wurde. Vielleicht is es noch Zeit dazu.
[6] Von der BNP in Paris angeschafft. In rezipiere dort von Petrarca, über Montaigne auch Rousseau und die französischen Moralisten.
https://data.bnf.fr/en/12737118/carl_gibson/
[7] Ein Wikipedia-Porträt des verdienten Freundes konnte ich nicht finden, weder in Frankreich, noch in Deutschland. Ein Skandal?
Jeder Hanswurst aus dem Banat, Mitläufer aus der der KP und Stützen der Ceausescu-Diktatur, der sie lange Jahre treu dienten hat ein solches Porträt, oft sich selbst zugelegt – über Seilschaften und Unterstützer aus den eigenen Reihen – alles Leute ohne Werke, ohne eigentliche Verdienste für Öffentlichkeit und de facto ohne öffentliches Interesse – mancher Künstler und Forscher aber hat es nicht oder es ist grob entstellt, verzerrt, fern der Fakten und dem Leben.
[8] Ein Buch widmet Jean-Pierre Hammer dem malerischen Werk Mourlots, und somit einem Maler, den man in Deutschland kaum kennt.
Von der Mourlot-Ausstellung in Bad Mergentheim findet das Internet nichts mehr, doch die Presse vor Ort, FN und die "Tauber-Zeitung", inzwischen in der FN aufgegangen, bestimmt!
Roman Rocek, Dämonie des Biedermeier. Nikolaus Lenaus Lebenstragödie.
Von allen, die den Sänger lieben,
Die, was ich fühlte, nachempfanden,
Die es besprochen und beschrieben,
Hat keiner mich wie du verstanden,
formulierte es Lenau einst in Zueignung. Etwas von diesem tieferen Verstehen schwingt in der durchweg positiv wertenden Darstellung mit. Neben der individuellen wie originellen Annäherung über einige weniger bekannte Gedichte Lenaus, die allerdings schon ausreichen, um das geistige Format und die poetische Potenz des Lyrikers zu verdeutlichen, bezieht Rocek die großen Dichtungen Lenaus, seinen Faust, dann Savonarola und die freien Albigenser-Dichtungen ansatzweise in seine Interpretationen mit ein, insofern es die Möglichkeiten einer Biographie erlauben. Diese gesamte Welt neuer, vielfach befruchtender Gedanken zum Werk Lenaus ist von Roceks Darstellung fast schon als Zuschlag zu werten, denn die eigentliche Leistung des Buches wird in den gründlich erarbeiteten, sehr überzeugenden biographischen Teil erbracht, die dem vielfach ausgewiesenen und brillanten Essayisten aus der Feder fließt. Diese Lenau-Biographie ist, um es vorweg zu nehmen, nicht nur ein großer Gewinn für die Forschung, sondern auch ein Buch für den anspruchsvollen Leser, das mit Lust gelesen werden kann.
Die Philosophieverbundenheit Lenaus, speziell sein Verhältnis zum Deutschen Idealismus, zu Schelling, vor allem aber zu Hegel, zieht sich als roter Faden durch die gesamte Studie, immer interessiert, den Gang des Denkens und die künstlerische Rezeption von Ideen zu verfolgen und darzustellen. Die Überschreibungen der Einzelabschnitte wie: Faustisches Verlangen oder der ewige Student, Amerika – Tod und Wiedergeburt, Flucht aus der verlorenen Zeit und Eine Ästhetik des Schreckens markieren die Stoßrichtung. Hinter der Lebensbeschreibung entsteht dabei ein vielschichtiges Lenaubild, das selbst dem profunden Lenaukenner deutlich macht, auf wie vielen Wegen man sich nach wie vor dem Dichter nähern kann, ohne ihn erschöpfend zu erfassen. Die unruhige und wechselvolle Lebensbeschreibung steht für einen proteushaften Lenau, dem immer neue Züge abzugewinnen sind – und dies, obwohl die in jüngster Zeit abgeschlossene historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe Lenaus keine nennenswerten Zusatztexte und Materialien erschlossen hat.
Rocek geht sehr detailliert auf die besonders intensive Mutterbindung des späteren Dichters ein und sieht darin das Element der Verhinderung, einen Faktor, der jede spätere engere Bindung an Frauen verhindern wird. Er folgt dabei bis zu einem gewissen Grad den psychopathologischen Ansätzen des Freud-Schülers Isidor Sadger, der in einer Studie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Liebesleben Lenaus eine zweifelhafte Pathologisierung des Dichters betrieb, indem er die Melancholie- Genie – Wahnsinn- These weiter strickte. Einen Makroansatz Freuds aufgreifend, nachdem jede Kunst aus Krankheit emaniert, erscheinen Leben und Werk als unfreiwillige Funktion der genetische Disposition, der Melancholie, und später der syphilitischen Infektion, also determiniert durch Krankheit. 1)
Den älteren, oft undifferenziert eingesetzten Melancholiebegriff drängt Rocek etwas zurück und favorisiert dabei das modernere Krankheitsbild des Neurasthenikers. In den interessanten Ausführungen über Lenaus geistige Entwicklung während der Studentenzeit und Zugehörigkeit zu einer Burschenschaft erhalten Lenaus philosophische Lehrer erstmals ein markantes Gesicht, vor allem Vinzenz Weintridt, Lenaus Lehrer der Religionswissenschaft und der Philosophie an der Universität Wien. Weintridt, eine wichtige Bezugsperson Lenaus in jener Zeit, galt als liberaler Mann der Kirche und war – aus der Aufklärung kommend – ein mehr oder weniger deklarierter Anhänger der damals in Wien verfemten Philosophen Kant und Bolzano. Die Nähe zu Bolzano und der sehr liberale, auf direkte Kommunikation ausgerichtete Kontakt zu den Studierenden führten zu seiner Entfernung aus dem Lehrbetrieb. Mit Lenaus Wesen gut vertraut, soll er sehr früh festgestellt haben, der Dichter werde wohl nie glücklich werden. In seiner Darstellung, die in den größeren Strukturen die Forschungsergebnisse einer immerhin mehr als hundertfünfzigjährigen Lenauforschung anerkennt, im Detail aber zahlreiche Korrekturen vornimmt und mit neuen Spiegelungen andere Akzente setzt, zieht sich der Autor immer wieder in prätentiöse Exkurse zu zeitgeschichtlichen und ideengeschichtlichen Themen zurück, die er unmerklich galant in die Beschreibung einstreut. Es sind Notwendigkeiten, die viel über die Zeithintergründe aussagen, das Biographische ergänzen – und über die reine Textimmanenz hinausgehend – große Interpretationshilfen geben. Gründlich und mit viel Liebe zum Detail, das nur jener kennt, der in der Kaiserresidenz, im Wiener Umland und in der österreichischen Landschaft aufgewachsen und daheim ist, der – auf Lenaus Spuren – die Welt in Stockerau, Ischl oder Grinzing sinnend erwandert hat, bringt Roman Rocek viel Licht in manche dunkle Stelle aus der Vergangenheit des faszinierenden Lyrikers, die vielfach poetisch in die Zukunft weist und einiges davon antizipiert hat. Das Schubert-Umfeld im Silbernen Kaffeehaus, das Lenau täglich mehrfach beehrte, um dort seine tief gelebte Einsamkeit in der Geselligkeit der Künstlerfreunde aufzulösen, ist ein solches Thema; ebenso wie das erste amouröse Abenteuer der platonischen Art mit Nanette Wolf aus Gmunden, der Freundin Franz Schuberts. Das persönliche Verhältnis zwischen dem lange bewunderten, dann zugunsten Beethovens wieder abgelehnten Komponisten und Lenau, die sich wahrscheinlich gekannt haben, bleibt mangels neuer Quellen weiterhin enigmatisch verdunkelt. In solch einem Kontext erscheint dann immer wieder ein Leitmotiv der Biographie: Lenaus Verhältnis zur Musik, das als unendliches Thema mit Variationen stets wiederkehrt. Die sich anbahnende Freundschaft zu den Repräsentanten der Schwäbischen Dichterschule wird hingegen etwas zurückhaltender behandelt, wobei auf das Verhältnis zu einzelnen Dichtern wie Ludwig Uhland und – neben den Schwaben – auch Denkern wie Franz von Baader oder Virtuosen wie Liszt überhaupt nicht näher eingegangen wird. Die Prioritäten in dieser Monographie liegen nicht in der genauen Auslotung aller Querverbindungen, sondern ganz woanders:
Lenau in Amerika steht im Mittelpunkt dieser Monographie – als Herzstück des Ganzen und, könnte man meinen, als Buch im Buch.
Roceks Lenaubiographie ist – ganz im Geist des Dichters, der als Ausstrahlungsphänomen den Impressionismus und noch eindeutiger den Expressionismus befruchten wird – in manchem Sinne freiheitlich geschrieben, ohne jedoch die Basis strenger Wissenschaftlichkeit zu verlassen. Nicht selten findet sich ein gängiges Briefzitat in einem unerwarteten Kontext. Das schafft neue Sichtweisen und spornt an, den Dichter immer wieder mit veränderten Augen zu sehen.
Interpretationen zur Dichtung Lenaus in meinem Werk:
Carl Gibson,
Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker, politischer Essayist,
Naturfotograf, im März 2022
Mehr zu Carl Gibson, Autor, (Vita, Bibliographie) hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/
Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.
Copyright: Carl Gibson 2022.
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