For the happy few!
Putin hat den wirklichen
politischen Gegner Boris Nemzov, der ein charismatischer Politiker, ein
sympathischer Mensch, und deshalb im russischen Volk – als eine Art Volkstribun
– noch viel populärer war, als es später Alexej Nawalny später werden konnte,
einfach wegräumen lassen, nach der Art der Corleone-Leute in den Straßen von
Palermo. Nawalny sollte still und leise vergiftet werden, anonym, auch Kara-Mursa,
zwei Regime-Gegner in Russland, die heute im Gefängnis sitzen und deren Leben
stündlich bedroht ist. Boris Nemzov aber wurde einfach abgeknallt – wie im
schlechten Film!
In Deutschland ist man noch nicht
ganz so weit, aber fast, selbst wenn er nur um „geistige“ Dinge geht, um
Politik über Literatur – wie damals, als man mich, den Kritiker Herta Müllers,
öffentlich mundtot zu machen versuchte, wobei ich auch – zwar nicht physisch,
doch immerhin von der Wirkung her – aus dem Feld geräumt werden sollte, gemäß
dem guten alten Sprichwort: aus den Augen, aus dem Sinn!
Also wurde meine – hauptsächlich ethisch-moralische
wie politische - Kritik an dieser Herta Müller als Stütze und Helferhelferin
der Ceausescu-Kommunisten während der Diktatur in Rumänien einfach entfernt –
nach der Methode Putin: wo kein Kritiker ist, ist auch keine Kritik!
Das war unmittelbar nach dem
Nobelpreis-Coup des Michael Naumann aus der SPD, der auf seine Weise einen
Nobelpreis nach Deutschland geholt, wohl eingekauft hatte, über eine
Marionette, die ich als „Antideutsche“
definiere, als einen Baustein antideutscher Kräfte aus dem In- und Ausland, um
alles Deutsche in diesem Deutschland systematisch zu destruieren, abzubauen und
zu vernichten.
Was früher, als diese „Amoralistin“
hier noch überhaupt keinen Namen hatte, so gesehen werden konnte, was dann –
mit und nach meiner Eliminierung als öffentlicher Kritiker dieser Person –
virulent wurde, bekommt seit Jahren immer deutlichere Konturen und wird vor
allem denen bewusst, die tiefer über die subversiven Praktiken dubioser Kräfte mit
eindeutigen Vernichtungsziel nachdenken. Deutsche Identität und deutsche Werte
sollen mit diesem Vehikel und Instrument, dass immer schon „antideutsch“ und amoralisch
destruktiv war, nivelliert, abgebaut, ganz verdrängt werden – zugunsten einer –
ideologisch rotgrün eingefärbten – Gleichmacherei, die alles, was „deutsch“ war
und ist, nicht mehr braucht, die alles Deutsche, auch das, was gut war, bereits
überwunden zu haben glaubt.
Aus der Sicht der „vaterlandslosen
Gesellen“ war das immer schon so! Und heute, wo der SPD-Amoralist und deklarierte
Freund des Massenmörders Putin ungeniert wie frei in Deutschland herumläuft und
sogar noch akzeptierte Lobbypolitik machen kann, erscheint das auch der Sicht
der Deutschland-Zersetzer umso dringlicher, ja, das Gebot der Stunde! Denn, wo
zu braucht der Deutsche ein Vaterland? Verzichtet er darauf, lässt er sich das
wegnehmen, dann gibt es auch keine „Vaterlandsverräter“ mehr und keine, die die
deutsche Identität und deutsche Werte weiterhin mit Füßen treten, denn
Deutschland hat abgedankt, dank der tatkräftigen Mithilfe der Antideutschen,
die, adoptiert durch die CDU, am großen Zerstörungs- und Umwertungswerk
mithelfen, als das, was sie immer schon waren, als billige, schäbige Marionetten
und Mittel zum Endzweck. Dieser Endzweck der neuen Saboteure aus den ehemals großen
Volksparteien SPD und CDU aber ist die Vernichtung Deutschlands.
Hört, hört! Werden meine politischen
Widersacher ausrufen, der „Verschwörungstheoretiker“, der die „antideutsche“
Herta Müller gerade deshalb von Anfang an bekämpfte, diese heilige Herta, die
immer schon auf der Seite der Gutmenschen war – und immer schon „antideutsch“
agierte, auch damals, als die Gutmenschen „rumänische Kommunisten“ hießen!
„Antideutsch“ war immer schon gut – und wird auch solange
bleiben, bis alles Deutsche zersetzt, eliminiert und Deutschland als Staat der
Deutschen ausgelöscht, gänzlich vernichtet ist.
Wenn die aufrechten Deutschen,
die es durchaus noch gibt und deren „Erweckung“ ich gleich in zwei
Publikationen
provokativ betrieben habe – im Stil und in Berufung auf Heine und Nietzsche – diese
durch und durch dekadente Abwärtsentwicklung hinein ins Nichts zulassen, dann
wird sich am Ende auch herausstellen, was das Endziel ist, wohin die
Destruktion echter Werte über den Einsatz übler Marionetten geführt hat.
Kleine Ursache – große Wirkung?
Wer einige Jahrzehnte innerlich beteiligt zuschaut, sogar aktiv gegen die
nationale Wertezersetzung ankämpft, denn deutsche Werte sind oft mit den humanistischen
Bestrebungen großer Geister identisch, wird darauf kommen, während sich der –
permanent abgelenkte, künstlich im Schlaf gehaltene – Deutsche weiterhin
manipulieren lässt von obskuren Kräften der Vernichtung. Wenn der Schläfer
irgendwann einmal aufwachen und um sich sehen wird, dann wird das Ende nicht
gut, sondern schrecklich sein – und er, ein Nichts, mit Volk und Staat
vernichtet.
Vgl. dazu:
Vier Jahrzehnte nach meiner
oppositionellen Zeit in der kommunistischen Diktatur Ceausescus sitze ich da
und sehe zu, wie Putin mit den oppositionellen Bestrebungen –
denn von „Kräften“ kann man nach wie vor nicht reden - im neuen Russland
umgeht, mit Einzelkritikern wie Boris Nemzov und
später mit Alexej Nawalny - oder mit ganzen Organisationen der
Bürgerbewegung, die für Menschenrechte und freie Historiographie eintreten wie „Memorial“.
Vgl. auch:
Man muss kein Prophet sein, um
bestimmte Entwicklungen vorauszusagen oder Ereignisse, die eintreten werden, weil
sie absehbar sind. Das Gesetz von Ursache und Wirkung ist gnadenlos. Der Zufall
spielt zwar manchmal mit und schafft neuen Verhältnisse; doch das sind Ausnahmen.
In der Menschenwelt tritt das ein, was man selbst eingebrockt, von langer Hand
planmäßig vorbereitet hat, im Guten wie im Bösen. Das Tier handelt spontan,
situationsbedingt, instinktiv – der Mensch aber hat das vorausschauende Denken
zur Verfügung, das vernünftige Denken, dessen er sich bedienen sollte, das er
einsetzen sollte, um zu antizipieren, um Schlimmeres zu vermeiden.
Der Westen fährt seit Jahren
einen Konfrontationskurs, jedoch nicht gegen den eigentlichen Feind, gegen das
zur ökonomischen wie militärischen Supermacht angewachsene China, in dessen Abhängigkeit
man sich längst befindet, sondern gegen Putin.
Dort, wo US-Präsident Trump sich
noch zurückhielt, schüren die Westeuropäer ein gefährliches Feuer in einem eskalierenden
Konflikt, der ins Augen gehen könnte. Und das auch noch recht schizophren,
indem man Geschäftemachen und rechthaberisches Moralisieren miteinander zu
verknüpfen versucht, dabei aber Russland, immer noch eine Großmacht im
Militärischen, auf plumpe Weise brüskiert.
Putin, der kluge Machtpolitiker,
hat bisher mit Langmut reagiert; aber er lässt mit den säbeln rasseln an der Grenze
zur Ukraine, Präsenz zeigend und den Willen zur Machtdemonstration.
Und nun der Fall Alexej
Nawalny – vom Westen instrumentalisiert und eingesetzt, um Putin zu
blamieren, zu diskreditieren.
Mir, seinerzeit, unmittelbar nach
meiner Ausreise aus dem kommunistischen Gefängnis als noch aktiver Dissident im
Westen existenziell exponiert und mit dem Tod bedroht, erschien die gesamte
Entwicklung in diesem Fall – vor allem aber die Rolle des Westens – als ungeheure
Provokation, als ein Spiel, eine Herausforderung, in der man einen Menschen ins
Feuer schickte, gezielt opferte, um einen propagandistischen,
pseudo-moralischen Sieg zu erringen, um, recht billig, über Putin und dessen
immer noch unerschüttertes Machsystem in Russland zu triumphieren.
Was prophezeite dieser Carl
Gibson genau, was sagte er voraus, nein, nicht von Gott oder höheren Mächten
inspiriert, sondern schlicht auf der Grundlage des gesunden Menschenverstandes,
des bon sens, dessen sich aufgeklärten Westeuropäer sich nicht erst seit
den Tagen von Descartes, Kant und Voltaire bedienen?
In einem knappen Essay, mit der
müden Feder eines genesenden immer noch am Rand der Erschöpfung verfasst, schrieb
ich, sanft mahnend, warnend, nur das auf, was absehbar war und was in zynischen
Machsystemen überall auf der Welt umgesetzt wird, nicht nur in Putin Russland:
„Man
wird Alexej Nawalny in
einem Straflager umbringen – so oder anders.
Die
Welt wird aufschreien, um dann schnell zur Tagesordnung überzugehen.
Alexej
Nawalny – eine Nummer, ein geopferter im Namen der Freiheit, um eine Illusion
am Leben zu halten.“
Dazu ergänzte ich im weiteren
Kommentar:
„Alexej
Nawalny hat nicht existenziell agiert, indem er zurückging. Er hat sich
ausgeliefert – und die abstrakte Macht wird nach den Gesetzen der Macht
agieren: der Einzelne ist nichts, das Volk ist alles – oder, gemäß der
Staatsräson, der Staat, das kälteste alle Ungeheuer, an dessen Spitze ein
Tyrann steht, ein Zyniker der Macht.“
Diese Situation ist jetzt
eingetreten. Kreml-Kritiker Alexej Nawalny kann jederzeit ableben.
Was nutzen da die Drohungen der
USA, des Westens? Putin wird unbeeindruckt bleiben und weiter Weltpolitik
machen, mit China, mit Indien, mit den armen „blockfreien“ Ländern der Welt,
auch auf die Gefahr hin, ganz mit Westeuropa zu brechen. Putin wird auch
weiterhin Kriege führen, in Syrien und anderswo, weil es zu den Spielregeln der
Weltmachtpolitik gehört, Kriege zu führen.
Carl Gibson, Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker, im Dezember 2020
Mehr zu Carl Gibson, Autor, (Vita, Bibliographie) hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/
Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.
Copyright: Carl Gibson 2021.
Vgl. dazu auch meinen hier publizierten Beitrag vom 6. Februar:
Damals, 1979, kurz vor dem Ende
der Amtszeit des US-Präsidenten Jimmy Carter, als der Westen noch ein
leuchtendes Gesicht und vor allem ein moralisches Antlitz hatte, wurden sie
immer wieder eingefordert: die universelle Respektierung der Menschenrechte,
allen voran von den USA, von den Demokratien Westeuropas.
Die Diktaturen des Kommunismus,
die Sowjetunion, die Ostblockstaaten, Nordkorea, Kuba und die Volksrepublik
China, die es auch heute noch so hält, reagierten alle im Gleichklang mit der
völkerrechtlichen Parole von der „der Nichteinmischung anderer in die
inneren Angelegenheiten souveräner Staaten.
Herren im eigenen Land, machten
sie, was sie wollten. China exerziert diesen Zynismus der macht auch heute noch
vor – und Putins Russland, wenn auch etwas gewandelt, ebenso, nur subtiler,
nicht mehr ganz so krass wie in kommunistischen Zeiten. Schließlich ist
Staatschef (de facto schon auf Lebenszeit wie Mao, Ceausescu, Kim oder Tito)
Wladimir Putin – gemessen an den steril-unflexiblen Vorgängern im Amt
Breschnew, Andropov, Tschernenko, ähnlich Gorbatschow fast schon ein Mann von
Welt, einer, der Deutsch spricht, der Deutschland bis zu einem gewissen Grad
kennt, aber auch mit der PR-, desinformations- und Deviationsstrategien der
Geheimdienstsphäre vertraut ist, mit der professionellen Art, den Westen zu
unterwandern, zu manipulieren. US-präsident Trump war wohl ein Opfer! In den
EU-Staaten, vor allem in Deutschland - über eine 5. Kolonne – geht die
subversive Wühlarbeit weiter, ohne, dass der deutsche Bürger das recht merken
und deuten kann.
Die Spitzen der EU wissen davon
und versuchen, dagegen zu steuern doch plump, politisch linkisch, ja, dumm, so,
dass der verwirrte EU-Bürger nicht mehr weiß, was eigentlich Sache ist. Ist
der Kalte Krieg wieder ausgebrochen – oder was?
Früher, als die kommunistischen
Diktaturen Dissidenten ziehen ließen, einen Solschenizyn aus der Sowjetunion in
die USA, einen Paul Goma aus Ceausescus Rumänien nach Frankreich, mich nach
Deutschland und später Ai Wei Wei und andere aus China, geschah das mit
Kalkül, um sich unliebsamer Kritiker zu entledigen, für immer. Eine Rückkehr
war nicht vorgesehen.
In Fall Nawalny war das ähnlich:
Putin ließ ihn ziehen, in der Hoffnung, dass sein schärfster Kritiker im Westen
bleibt – wie lange Zeit Solschenizyn, der erst in das neue Russland heimkehrte,
oder Paul Goma, der jüngst in Frankreich verstarb, ohne sein im Jahr 1977
verlassenes Heimatland Rumänien wieder betreten zu haben.
Oder
war die spontane Ausreise des – angeblich vergifteten – Dissidenten Andrej
Nawalny nur ein Betriebsunfall im Land des Despoten Putin, der seinen Staat
wohl nicht mehr ganz im Griff hatte?
Während der Zeit des Eisernen
Vorhangs zwischen Ost- und Westeuropa hätte kein Dissident die Sowjetunion oder
einen Ostblockstaat ohne das Plazet der Mächtigen aus Partei und Geheimdiensten
verlassen dürfen. Und nun- ließ Putin die Ausreise gnadenvoll zu oder ist er am
Ende jetzt doch schwach geworden, unfähig die Zügel in den Händen zu halten,
das Ruder zu führen?
Wer kann es wissen?
Jedenfalls hat der Westen, nicht
weniger machtzynisch als die kommunistischen Tyrannen bis heute, immer wieder
versucht, ausgereiste Dissidenten für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, sie
zu antikommunistischen Propagandaaufgaben einzusetzen. Einige haben mitgemacht,
Solschenizyn, auch Paul Goma, wurden bekannt, konnten ihre – literarisch nicht
immer wertvollen – Bücher drucken und habe nicht schlecht davon gelebt, während
andere wie ich selbst, den Lockruf des Goldes aus prinzipiellen Gründen
ablehnten, sich nicht kaufen und einspannen ließen, dafür aber arm und
unbekannt blieben, doch mit reinem Gewissen – und im fundamentalen Gegensatz zu
obskuren Gestalten, die, aus dem Kommunismus als Kommunisten kommend, nichts zu
verlieren hatten wie Scheindissidentin und Plagiatorin Herta Müller, die
oppositionelle Tätigkeiten vortäuschten, die Deutschen nach Strich und Faden
belogen, aber rücksichtslos absahnten unter stützt aus der Politik und von
unredlichen Journalisten großer Medien.
Andrej Nawalny bekam seine
Plattform – er konnte sagen, was er wollte, hier im Westen!
Doch wer schickte diesen Mann
zurück?
Ging er selbst, weil er - nach
der gesundheitlichen Wiederherstellung, der sich anschließenden Genesung und dem
Urlaub im Schwarzwald – hier, in der westlichen Welt, mit sich und dem neuen
Umfeld nichts mehr anfangen konnte? Das Gefühl kenne ich aus eigener Erfahrung:
wenn der Feind wegfällt, entfällt auch der Gegenstand der Auseinandersetzung,
die Dissidenz, die Opposition. Für den einzelnen Dissidenten, der sich als
Ankämpfender definiert, wird das Leben in Untätigkeit sinnlos.
Lag Alexej Nawalnys Mission in
Russland, im Kampf geben Putin?
Wurde er von anderen motiviert,
zurückzugehen, um als David gegen Goliath zu kämpfen, um einen, mir gut
bekannten, doch aussichtslosen Kampf zu führen? Wurde Nawalny manipuliert?
Wer die Verhältnisse im ehemaligen
kommunistischen Machtbereich kennt, wenn mit den Machtstrukturen eines autoritären,
ja, totalitären Systems vertraut ist, wird sich die Frage stellen:
Rennt Alexej Nawalny in ein
offenes Schwert? Als Gesandter des Westens in höherer Mission? Oder doch nur
als Instrument, als Vehikel und Zankapfel, manipuliert und instrumentalisiert, wobei
der Tod des potenziellen Märtyrers für Freiheit, Recht, Ordnung, Demokratie vom
Westen zynisch in Kauf genommen wird?
Putin ließ ihn schon mehrfach
aburteilen von einer Justiz, die nicht anders als in Polen oder auch in Ungarn,
der Führung gehorcht. (Auch das habe ich vor vierzig Jahren in der
Ceausescu-Diktatur erlebt!)
Der im Schnellprozess
Abgeurteilte hat – schon vorverurteilt – keine Chance.
Man wird Alexej Nawalny in einem Straflager
umbringen – so oder anders.
Die Welt wird aufschreien, um
dann schnell zur Tagesordnung überzugehen.
Alexej Nawalny – eine Nummer, ein
geopferter im Namen der Freiheit, um eine Illusion am Leben zu halten.
Alexej Nawalny hat nicht
existenziell agiert, indem er zurückging. Er hat sich ausgeliefert – und die
abstrakte Macht wird nach den Gesetzen der Macht agieren: der Einzelne ist
nichts, das Volk ist alles – oder, gemäß der Staatsräson, der Staat, das
kälteste alle Ungeheuer, an dessen Spitze ein Tyrann steht, ein Zyniker der
Macht.
Und das Land des
"lupenreinen Demokraten" Putin ist eine Diktatur, auch wenn die Farbe
des Russenstaates nicht mehr explizit rot ist.
Rot oder braun, links oder rechts
ausgerichtet: Eine Diktatur ist überall auf der Welt eine Diktatur und die dort
eingesetzten Mittel, da spreche ich aus eigener Erfahrung, sind die Instrumente
einer Diktatur, zynisch, menschenverachtend, menschenvernichtend.
Putin regiert wie ein Zar, er ist
ein Despot, nur klüger als die roten Vorgänger, der modernen Zeit angepasst.
Jetzt aber zeigt der „lupenreine
Demokrat“ sein wahres Gesicht!
Er hetzt die Höllenhunde auf das
Volk, der repressive Apparat schlägt zu, protestierende Bürger werden
verprügelt, abgeurteilt, ins Gefängnis geworfen - wie bei Lukaschenko im
Weißrussland, nicht anders als in China.
Nawalny - eine Schachfigur in dem
Spiel der Macht!
Wie Putin es zugab: Wenn man
ihn hätte umbringen wollen, dann hätte man ihn auch umgebracht, eliminiert,
exekutiert, so, wie man alle in den Westen geflüchtete Oligarchen ermordet hat
- aus Gründen der Staatsraison, natürlich.
Weshalb ließ Putin Nawalny
ausreisen?
Weil er um sein Image besorgt
war, nicht anders als Lukaschenko, der die oppositionellen seines Landes in
Ausland abdrängte, nachdem er diese in brutalen verhören massiv eingeschüchtert
und existenziell bedroht hatte.
Dieses Szenario habe ich mehrfach
in Rumänien erlebt, damals, als der angehende Diktator Ceausescu um sein „liberales“
Image im Westen besorgt war.
Wer opponierte, sollte ausreisen
und für immer im Ausland bleiben!
Eine Rückkehr war nicht
vorgesehen!
Nawalny aber kehrte zurück,
obwohl er die Verhältnisse in dem despotischen Russland Putins kannte, obwohl
er über Justiz und die Gefängniswelt des GULAG Bescheid wusste.
Lebensmüde?
Wer hat Nawalny diesen Floh ins
Ohr gesetzt, zurückzukehren, um den Despoten zu bekämpfen, um als Führungsfigur
aufgebaut zu werden?
Eine Illusion!
Diktatoren dulden keine
Opposition.
Diktatoren vollenden ihr Werk und
lassen töten, von Experten, die die Tat später als Zufall erscheinen lassen.
In einem Gefängnis kann jeder Verbrecher,
der nichts mehr zu verlieren hat, schon für eine kleine Gefälligkeit den Mord
begehen- was kann der Westen dagegen tun?
Nichts!
Ein kurzer Aufschrei, moralische
Entrüstung, dann business as usual!
Die Welt hat andere Sorgen, als
über ein Einzelschicksal die Destabilisierung Russlands zu betreiben.
Es war unklug von Nawalny,
zurück, in Putins reich zu reisen.
Man wird ihn isolieren, ins
Straflager schicken ... noch schlimmeres kann jederzeit passieren.
Und der Westen kann sich nicht
einmal mehr auf die Moral berufen, denn die echten Werte wurden längst
verspielt.
Nawalny ist für viele aufrichtige
Russen keine Identifikationsfigur, dessen politische Ansichten man teilen
würde, aber ein Symbol des Aufrechten, der den Mut aufbringt, die Wahrheit zu
sagen.
Wenn man dieses Symbol aus der
Öffentlichkeit entfernt, zeitweise oder für immer, dann wird es wieder ruhiger
werden im Despotenstaat Russland, der von den Diktatoren Lenin, Stalin und den Nachfolgern
bis hin zu Breschnew geprägt wurde.
Sacharow wurde isoliert und starb
fern der Welt in Gorki.
Der Westen wird Russland nicht
verändern können; schon gar nicht durch plumpe Interventionen, indem ein
potenzieller Putin-Gegner aufgebaut und ins Rennen geschickt wird.
Putin, der hier im Westen
Unterschätzte, wird reagieren - mit Macht und mit den Mitteln der Macht, die
ihm noch zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus ist die Politik
des Westens gegenüber Putins Russland schizophren, besonders die deutsche
Haltung.
Entweder - oder!
Entweder
man entscheidet sich für einen
Modus vivendi mit dem „lupenreinen Demokraten“ Putin, setzt strategische
Prioritäten und erfreut sich gegenseitiger Vorteile im Wirtschaftsbereich, vor
allem auf dem Gebiet der Energieversorgung und schafft Versorgungssicherheit
durch importiertes russisches Erdöl und Erdgas - auch über die noch zu vollendende
Pipeline Nordstream 2 -
oder man setzt auf ideologische Konfrontation,
indem man sich einmischt und den Russen sagt, wer sie regieren soll und wie.
Vernünftig ist Merkels Politik in
dieser Frage nicht, ja, sie steht im krassen Dissens zu den existenziellen
Interessen der deutschen Wirtschaft, die auf die fossilen Energien aus Russland
und an sich noch lange angewiesen sein wird.
Zynisch an der Gesamtangelegenheit:
gleich einem Himmelfahrtskommando ohne Wiederkehr, schickt der Westen den etwas
naiven russischen Oppositionellen in einen Kampf, den dieser nicht gewinnen
kann. Denn Putin ist mächtig und noch lange nicht an Ende.
Wir opponierten seinerzeit wie
die Neandertaler: sie, die Securitate und der Repressionsapparat, hatten alles
- und wir hatten nichts. Der gewisse Rückhalt im Westen, für den ich im Vorfeld
gesorgt hatte, unter anderem bei der UNO, war eine Illusion. Das wir davonkamen
und - nach dem Gefängnis - überlebten und ausreisen durften, im Westen aber
nicht eliminiert wurden, verdanke - ich zumindest - der Gnade und der Einsicht
einer roten Diktatur, die nach außen hin mit humanem Antlitz auftreten wollte.
Ich befürchte, Nawalny, der in das
Feuer geschickte – und nach meiner Auffassung gezielt verheizte - Held auf
Zeit, wird keine zweite Chance bekommen, die „Charité“ in Berlin wiederzusehen,
die dunklen Wälder des Schwarzwalds, wo er noch unlängst Urlaub machte und die
vielen „netten“ Deutschen.
Wenn Nawalny letztendlich
scheitert, dann liegt ein großer Anteil an diesem potenziellen Scheitern bei
denen, die diesen neuen Sputnik - entgegen jeder politischen Vernunft - auf die
Umlaufbahn brachten.
Über Ursachen und Wirkung in der Diktatur:
Ein Kritiker – ein Problem! Kein Kritiker, kein Problem!? Aus Putins Kriegsschule des Lebens – Zur Exekution von Boris Nemzow
Wer ein Problem hat, schafft es aus der Welt. Das
wusste bereits Stalin. Wenn der rote Diktator unter hundert
Verdächtigen einen Verräter vermutete, ließ er alle liquidieren, ohne
mit der Wimper zu zucken.
So
entstanden Todeslisten. Abertausende wurden bei Nacht und Nebel oder
ganz offiziell im Stadion aus der Welt geschafft wie lästige Objekte –
zu allen Zeiten und in allen Diktaturen der Welt, auch nach Hitler, Mao, Pol Pot und Idi Amin Dada.
Echte Dissidenten lebten immer gefährlich.
Pseudo-Dissidenten wie Herta Müller und Konsorten wurden erst zu Widerstandskämpfer und Helden, nachdem der Genosse und Diktator Ceausescu aus der KP tot war.
(Nach Herta Müller war er gestürzt!)
Boris Nemzow stellt heute kein Problem mehr dar – weder für Putin, noch für die Grauen Eminenzen und Intriganten dahinter.
Cui bono?
Nachdem Kreml-Kritiker Chodorkowski in langjähriger Lagerhaft zum Schweigen gebracht worden war,
hätte man es ahnen können:
Wer
in einer Diktatur aufbegehrt, bekommt nicht immer einen schnellen
Prozess – er wird einfach umgebracht – auf der Straße wie ein Hund, den
anderen Rebellen zur Warnung!
Das ist die Schule Stalins und Dscherschinskis
Ist
Putin ausreichend naiv, um seine direkten politischen Kritiker und
Gegner kaltblütig von professionellen Assassinen liquidieren zu lassen …
wie im Vorfeld schon im Fall Beresowksi vermutet?
Lässt Machtpolitiker Putin jeden aus der Welt schaffen, der ihm und seiner Macht gefährlich werden kann?
Das
„Cui bono“ spricht gegen den Krem-Chef als Auftraggeber, gerade weil
der Hauptverdacht in den Augen vieler Beobachter in die Spitze des Kreml
führt!
Die Mörder von Boris Nemzow jedoch im Kreis der Putin-Gegner suchen zu wollen, ist noch zynischer als dumm!
Nachtrag, 28. Juli 2023:
(Die Mörder von Boris Nemzow jedoch im Kreis der Putin-Gegner suchen zu wollen, ist noch zynischer als dumm!)
-
In diesem Punkt irrte ich damals, vielleicht, weil ich dem
"Rationalisten" Putin so viel hochkrimnelle Energie nicht zugetraut
hätte, wie er sie heute als Kriegsverbrecher -
ohne Vergleich in der jüngsten Geschichte - aller Welt beweist.
Ex-Regimegegner kämpft weiter. Carl Gibson kontra Herta Müller: "Vom Logos zum Mythos !?",
Bericht der Tauber-Zeitung vom 21. Februar 2015
Der antikommunistische Bürgerrechtler Carl Gibson mit seinem neuen Werk
zur "Herta Müller-Maskerade im Brenn-SPIEGEL der ZEIT-Kritik"
und einer Kopie seiner Securitate-Opfer-Akte,
eingesehen im Oktober 2010 bei der rumänischen Gauck-Behörde CNSAS in Bukarest
Ein weiteres Werk aus der Feder des Zeitkritikers Carl Gibson
Wahrheit oder Lüge - Fiktion oder Faktion? |
Neu:
Carl Gibson,
Vom Logos zum Mythos !? Die Herta Müller-Maskerade im Brenn-SPIEGEL der ZEIT-Kritik
Ein forcierter Nobelpreis für Literatur (2009)!?
Wie
eine Hasspredigerin und Systemprofiteurin der Ceausescu-Diktatur
deutsche Politiker hinters Licht führt und die Werte des christlichen
Abendlandes auf den Kopf stellt!
Abschied von der Moral - Umwertung aller Werte!?
Zum aktuellen politischen Wandel im Land des aufwachenden Deutschen Michel:
Renaissance des Kommunismus, Wille zur Macht oder neues Biedermeier in Deutschland?
Was ist los in Deutschland?
Verabschiedet sich das neue Deutschland nach der Wende von der Moral?
Weshalb werden in Berlin Kommunisten mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt?
Weshalb
setzen sich deutsche Politiker rücksichtslos über die Wahrheit hinweg
und segnen in fragwürdigen Ehrungen Lügen ab, ohne auf berechtigte
Einsprüche und Bürgerprotest einzugehen?
Fallen die Deutschen, saturiert, apolitisch unkritisch in die Welt des Biedermeier zurück, den Blick abwendend, wenn Unrecht geschieht, während sich so in politischer Arroganz eine neue Form des Willens zur Macht ausbildet?
Carl Gibsons zunehmend politischer werdendes Aufklärungswerk geht weiter.
Nachdem bereits in den drei im Jahr 2014 publizierten Kritiken zum Leben und Werk Herta Müllers argumentativ dargelegt und philologisch-komparatistisch im Detail nachgewiesen wurde, wie die umstrittene Nobelpreisträgerin für Literatur (2009) systematisch lügt, täuscht und plagiiert, fragt
der Zeitkritiker Gibson nun nach den Hintermännern der forcierten
Abläufe und inszenierten Maskeraden sowie nach dem Endzweck des – für
die demokratische Kultur fatalen - Zusammenspiels von Medienwirtschaft
und Politik auf Kosten von Ethos und traditionellen Werten. Wohin
steuert dieses Deutschland, das die „Tugenden des Kommunismus“, das
Lügen, das Täuschen und das Stehlen, der Ehrung wert findet? In
den antidemokratischen Berlusconi-Staat der Machtzyniker? Oder fallen
die wiedervereinten Deutschen ethisch blind und politisch kurzsichtig in
die verlogene Welt des Kommunismus zurück?
Carl Gibson, Zeitkritiker, Historiker, Literaturwissenschaftler, Gründer und Leiter des „Instituts zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa“, lieferte mit seinen autobiographischen Aufklärungswerken „Symphonie der Freiheit“ (2008) und „Allein in der Revolte“ (2013), verfasst aus der Insider-Perspektive eines verfolgten Dissidenten während der kommunistischen Diktatur in Rumänien, die
realistischen Vorlagen für Herta Müllers Selbst-Inszenierung als
Oppositionelle. Gibsons scharfe, seit 2009 weltweit rezipierte Herta
Müller Kritik ist in der bundesdeutschen „Forschung“ noch nicht recht
angekommen. Mehr zur Materie in den –in Deutschland noch boykottierten,
inzwischen aber an den US-Eliten-Universitäten vorliegenden - Studien: „Die Zeit der Chamäleons. Kritisches zum Leben und Werk Herta Müllers aus ethischer Sicht, 2014, in: „Ohne Haftbefehl gehe ich nicht mit“ – Herta Müllers erlogenes Securitate-Folter-Martyrium, 2014 bzw. in: „Plagiat als Methode – Herta Müllers „konkreative“ Carl Gibson-Rezeption“. Diese Studien - teils mit umfassender Dokumentation - bilden eine Basis für die noch ausstehende „kritische“ Herta Müller-Monographie sowie für die systematische Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Rumänien.
Carl Gibson, Bücher:
Deutsche Nationalbibliothek (DNB):
Internationaler Katalog: Worldcat Identities:
Zur Vita und Auswahl-Bibliographie:
Plagiat als Methode - Herta Müllers „konkreative“ Carl Gibson-Rezeption
Wo beginnt das literarische Plagiat? Zur Instrumentalisierung des Dissidenten-Testimoniums „Symphonie der Freiheit“ –
Selbst-Apologie mit kritischen Argumenten, Daten und Fakten zur Kommunismus-Aufarbeitung
sowie mit kommentierten Securitate-Dokumenten zum politischen Widerstand in Rumänien während der Ceaușescu-Diktatur.
Rezeption - Inspiration - Plagiat!?
Herausgegeben vom Institut zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa, Bad Mergentheim. Seit dem 18. Juli auf dem Buchmarkt.
Publikationen des
Instituts zur Aufklärung und Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Europa,
Bad Mergentheim
Zur Geschichte des Kommunismus,
zu Totalitarismus
und zum Thema Menschenrechte
Aktuell in der Presse:
Die Bücher von Carl Gibson -
und aktuelle Veröffentlichungen (2014/15)
Copyright © Carl Gibson 2015
Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur
Leseprobe aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit, 2008
zum Thema kulturelle und politische Opposition im kommunistischen Rumänien.
Vor Lausanne:
Gedanken an Ion
Caraion -
Stimme der Freiheit und nationales Gewissen?
Eine Apologie!
Zum
Glück brauchst du Freiheit, zur Freiheit brauchst du Mut.
Perikles
Hier
lebte seit einiger Zeit Ion Caraion, einer der großen Lyriker und Essayisten Rumäniens,
der gerade erst zum Verlassen seiner Heimat gedrängt worden war. Nachdem wir
uns vor einiger Zeit im literarisch-politischen Umfeld kennengelernt hatten,
tauschten wir jetzt Briefe aus und Ideen.
Caraion
war gerade damit beschäftigt, einen Essay für die von mir mitkonzipierte und
kaum erst in die Welt gesetzte Kulturzeitschrift nomen zu verfassen. Mir schwebte ein Beitrag vor, in welchem die
großen, schon etablierten Namen des rumänischen Exils im Mittelpunkt stehen
sollten; von der Koryphäe Mircea Eliade, dem auch die Hauptlast der
Kulturrepräsentanz der Rumänen im Westen aufgebürdet worden war, über den
eigenwilligen Cioran, der nicht mehr rumänisch schrieb und sich auch von den
Geschicken seines Herkunftslandes innerlich gelöst hatte, bis hin zu dem schwer
greifbaren, doch sympathischen und politisch für die Sache des Ostens sehr
engagierten Ionesco. Aus diesen Vorgaben schuf Caraion den Essay Der Konflikt zwischen dem Bleibenden und dem
Vergehenden und somit den gemeinsamen Versuch, mit einem entsprechenden
Auftakt den Kulturbeitrag der Rumänen zur europäischen Geistesgeschichte der
Neuzeit in das Bewusstsein einer breiteren Allgemeinheit zu rücken - als Paukenschlag.
Wie
andere Schriftsteller, Dichter und Kulturschaffende aus dem ehemaligen Ostblock
verstanden auch wir uns als Brückenbauer und Mediatoren zwischen den Kulturen
und konzentrierten uns dabei auf die Vermittlung von Themen, die im Westen nicht
ganz präsent waren. Mein frühes Lenauporträt in nomen tendierte in die gleiche Richtung. Caraion, ein Meister des
literarischen Essays, ging noch über meine Anregungen hinaus und plante die
Ausweitung seines Beitrags zu einem größerem Projekt als Serie mit einem
vertieften literaturhistorischen Einstieg, beginnend mit Tristan Tzara und anderen frühen Exilsschriftstellern bis hin zu Paul Celan, den er mit entdeckt und als
Freund gefördert hatte. Über den Protagonisten des Absurden Eugène Ionesco,
über den Mythenforscher Mircea Eliade und den Radikalskeptiker Emil Cioran, der
aufgrund früherer reaktionärer Denkweisen bei vielen Intellektuellen in Ungnade
gefallen war, also über weitgehend etablierte Namen, die als Persönlichkeiten
der Geistesgeschichte, doch nicht als Rumänen bekannt waren, wollte er später
noch vertieft eingehen.
Dracula - Mythos und Geschichte
Am Präsidentenpalast in Bukarest
Brückenbauer
und Apostel der Freiheit - Tzara, Celan …
Seinerzeit
hatte ich speziell diese wohlklingenden Namen gewählt, weil jeder von ihnen das
teilweise äußerst bittere Leben im Exil dem geistig ohnmächtigen Leben unter
totalitären Verhältnissen vorgezogen hatte. Statt sich der geistigen Knechtschaft
zu unterwerfen, hatten sie alle den Weg der Freiheit
eingeschlagen, um im Westen ein Werk zu schaffen, das ideell unterschiedlich,
doch in seinem Wesen frei war. Ihre Werke wurden seit Jahrzehnten in
unterschiedlichen Sprachen im Westen verlegt, vor allem in Deutschland und Frankreich
- und jedermann konnte ihre Bücher im Buchhandel an der Straßenecke erwerben
oder in der Bücherei ausleihen. Sie waren inzwischen Teil der freien Welt
geworden. Wer war prädestinierter über diese Autoren und ihre Werke zu
schreiben als Ion Caraion, ihr Zeitgenosse und Wegbegleiter, der selbst viele
Jahre für das freie Wort eingetreten war und dafür bitter gebüßt hatte. Ein
Grund, an Caraions Integrität zu zweifeln, hatte ich damals nicht.
Doch
was verband mich mit den großen Namen? Was schätzte ich an ihrer Haltung, an
ihrem Ethos, an der Botschaft ihres Werkes?
Tsara
- das war der unbedingte Mut zum Experiment.
Celan
- das war die Kraft, an der deutschen Sprache fest zu halten, nach dem Unfassbaren,
an der Tradition der Dichter und Denker festzuhalten.
Cioran
- der Nietzsche-Enthusiast und notorische Neinsager, über Schopenhauer hinaus,
der gefährliche Denker und Provokateur - er widerstand den Verlockungen der bürgerlichen
Gesellschaft und ihren Preisen und Ehrungen, ohne sich vereinnahmen zu lassen. Dafür
lebte er konsequent über Jahrzehnte in bitterster Askese zwischen Einsamkeit
und Melancholie wie nur noch Diogenes der Hund, um seine Freiheit zu wahren und die Freiheit
seines Denkens, und somit eine Haltung, die vielen gegen den Strich geht, eben
weil sie kompromisslos und gnadenlos ist.
Etwas
von dieser Kompromisslosigkeit in geistigen Dingen hatte ich selbst durchlebt
und dabei auch den Schmerz des Verzichts kennengelernt. Ihn zu ertragen, indem
vielen Eitelkeiten widerstanden wurde, empfand ich als bewusstes Leben. Und
Eliade?
Ein
Bekannter aus Heidelberg, mit dem ich in kurzer Zeit einige hundert Briefe
austauschte, über Literatur und über Gott und die Welt, übersetzte gerade eines
seiner Bücher über einen Hasenmythos der Indianer; was faszinierte mich an ihm?
Er war fast am gleichen Tag geboren wie ich; ein Fisch, der es mit allen
konnte; er war ein Bücherwurm, wie auch ich einer war, ohne damals je seinen
Namen gehört zu haben; er rezipierte Papini mit der gleichen Begeisterung, wie
ich es tat - und er praktizierte die Alchemie des Wortes - die seltene Kunstfertigkeit,
aus Stroh Gold zu spinnen, wie ich sie so oft im Leben auch anwenden musste, um
nahe an der Literatur in Würde zu überleben.
Eliade
war eine faustische Natur; einer, der alles wissen wollte, von den Untiefen des
Alchemischen und dem Urgrund der Wesenheit bis in die höchsten Sphären der
Metaphysik. Er war ein Erkenntnis suchender Geist und zugleich eine archaischer;
er war ein äußerst produktiver Schriftsteller, der gerne und viel schrieb, der
im Rausch schrieb, der in einer Woche einen Roman verfasste, während andere ein
Exposé entwarfen, der zwanzig Werke plante, während andere über Jahre an einem
herumdokterten; ein Dionysiker, ein Mann des Ekstatischen, der auch im Taumel
Werke schuf - aber er war auch ein Forscher von Weltruf, ein Wissenschaftler
par excellence und ein offener Freigeist, der ging, als er die Freiheit bedroht sah - wie ich auch
ging und Caraion und andere.
Eliades
Erinnerungen klingen mit den Worten aus: Und
trotzdem spürte ich, dass wir uns der Periode näherten, die ich vorausgesehen
und seit meiner Studienzeit gefürchtet hatte, die Periode, die ich in meinem
Innern „die Zeit, in der wir nicht mehr frei sein werden zu tun, was wir wollen,“
nannte. Es handelte sich dabei nicht um die Sehnsucht nach einer anarchischen
und asozialen Freiheit, sondern um die Freiheit, gemäß unser eigenen Berufungen
und Möglichkeiten schöpferisch tätig zu sein. Im Grunde genommen ging es um die
Freiheit, „Kultur zu machen“, die einzige Freiheit, die ich vorläufig
ausschlaggebend hielt für uns Rumänen. Zu dem Zeitpunkt, als sich der
Himmel über Rumänien verfinsterte, um lange Jahre der Diktaturen einzuleiten,
einer monarchischen, einer braunen und einer blutroten, im Jahr 1937, versiegte
auch die Freiheit. Eliade ging - und
ihm folgten viele.
Mich
selbst sah ich als vorläufigen Endpunkt einer langen Tradition freiheitlicher
Bestrebungen, die anhalten und unbedingt weiter geführt werden mussten. Die Freiheit sollte auch für alles Künftige
das Leitmotiv werden, die Bedingung, ohne die nichts geht und aus der alles
emaniert. Denn 1981 standen die Reihen der Kommunisten noch eng geschlossen;
und von der nahen Freiheit war noch
kein Windhauch zu spüren. Rumänien war fern, isoliert, für viele unbedeutend
und wurde genauso ignoriert wie die dort erbrachten intellektuellen Leistungen
der wenigen wahren, aufrechten Intellektuellen, die noch nicht resigniert
hatten und unter den Bedingungen eines totalitären Systems weitermachten.
Kirche, Bukarest
Der Wahlverwandte
Caraion
hatte sich kaum erst mit Frau und Kind in den Westen abgesetzt, verweilte kurz
in Frankreich und fand dann rasch in der Schweiz politisches Asyl. Er kam,
knappe zwei Jahre nach meiner Ausreise, der eine Verurteilung wegen anarchischer und asozialer - sprich
nichtsozialistischer Umtriebe vorausgegangen war.
Zunächst
sah ich in Caraion nur den homo
litteratus, den Dichter, den virtuosen Literaturanalytiker und Vermittler,
weniger den politischen Menschen, der zunehmend mehr in die Rolle des antikommunistischen
Dissidenten schlüpfte. Als Poet und Literat litt Caraion darunter, dass die
poetischen Leistungen, die in einer engen, schwach verbreiteten Sprache erbracht
werden, nicht adäquat rezipiert und gewürdigt wurden. Als Mensch kränkte es ihn
aber noch mehr, dass auch die Botschaft, die aus den Diktaturen des Ostens
herüber schallte, genauso wenig gehört wurde wie das literarische Wort: Ich schreibe aus der Überzeugung heraus und
für die Überzeugung, dass keine Kunst innerhalb der Grenzen des Kompromisses
konzipiert werden kann - und außerhalb der Freiheit. Wenn wir nicht in der Lage
sind, für unseren Glauben zu sterben, bedeutet dies, dass wir überhaupt keinen
Glauben haben und dass wir innerhalb unserer Kunst nicht mehr zählen als
geweißte Grabsteine, sagte er in einem Gespräch mit Vahé Godel, das im
Februar 1982 in der Tribune de Genève
erschien. Die Temeschburger Linken um Herta Müller und Richard Wagner, die im
Kompromiss verweilten und dort, wo sie kritische Akzente setzen wollten, den
falschen Feind fokussierten, hätten diese Haltung beherzigen können. Und die
meisten etablierten Schriftsteller im Land ebenso.
Die
Freiheit der Kunst war Caraion ein
hohes Anliegen, weil aus ihr die Freiheit
und Selbstbestimmung des Individuums resultieren. Lenau hatte seinerzeit am
französischen Vorbild orientiert genauso argumentiert. Und ich fühlte in den
Jahren der politischen Opposition ebenso. Diese Haltung, die Caraion schon
während der Zeit der rechten Diktatur aufrecht erhielt, damals als Pazifist mit
klarer Poesie gegen den Krieg; dieses Ethos, das ihn bald darauf, nachdem der
erste Enthusiasmus des Ausbruchs in eine neue Zeit, die ihn erfasst hatte,
verflogen war, auch mit den Kommunisten in schwere Konflikte brachte, bestimmte
unsere Wesensverwandtschaft. Wir verstanden uns, wie es den Anschein hatte, auf
Anhieb, weil wir von den gleichen Ideen und Aspirationen getragen wurden. Ion
Caraion, ein Männlein mit einem enigmatischen Blick, schwach und zerbrechlich,
der eher dafür geschaffen schien, einen Federkiel zwischen den Fingern zu halten
als auf den Barrikaden zu kämpfen, war ein Linker, der zum Teil von Repräsentanten
der rechten Exillandschaft, die schon lange im Westen lebten, argwöhnisch
beäugt wurde. „Was willst du eigentlich mit diesem Caraion?“ hielt mir eines
Tages ein Konservativer vor und ergänzte verächtlich: „Das ist doch ein
Kommunist, ein Ultralinker und dazu noch privilegiert … er war einer der
wenigen Schriftsteller, die je in den Westen reisen durften, er, als
Repräsentant der Sozialistischen Republik … “
Aus
dem antifaschistischen Widerstand kommend hatte Caraion an der Begründung der
Zeitung Scînteia - der Funke - mitgewirkt
und war einige Zeit Redakteur dieses Sprachorgans der Kommunistischen Partei.
Das machte ihn einigen konservativen Exilanten suspekt. Trotzdem war er
gleichzeitig ein scharfer Kritiker jener selbst erklärten Kommunisten gewesen,
die sich inzwischen sehr weit von dem einst erstrebten idealistischen Weg
entfernt und das Land in totalitäre Verhältnisse gesteuert hatten.
Während
andere ihn auch als potentiellen Informanten des rumänischen Geheimdienstes
Securitate mieden, denn eine Absetzung mit Frau und Kind war alles andere als
alltäglich, sah ich in ihm damals nur den Verfolgten, den stigmatisierten
Literaten und Humanisten, der elf Jahre Gefängnishaft hinter sich hatte. Für welches
Vergehen oder Verbrechen? Gesinnungshaft für das Verfassen von zwei Essays, Die Krise des Menschen und die Krise der Kultur, skurrilerweise auch
für die Weigerung, überhaupt nicht mehr publizieren zu wollen und bald darauf
für die Edition einer als kosmopolitisch verschrienen Edition sowie für die
offen formulierte ideologische Gleichsetzung von Nationalsozialismus und
Kommunismus: sprich - für eine scharfe Zunge, für freie Gedanken und für ein freies
Wort. Der Dichter hatte mir damals eine Selbstcharakterisierung zukommen lassen
- in seiner unverwechselbaren und deshalb auch nur schwer fälschbaren
Handschrift, deren Aussagen ich glaubte.
Als
der ehemalige Illegalist Caraion,
nach 1945 kaum über Zwanzig, von einer Stimmung des allgemeinen Neuanfangs
getragen, als Kommunist agierte, war er, etwas naiv vielleicht wie manch andere
Künstler auch, von Weltverbesserertum erfüllt. Die kommunistischen Machthaber
dankten ihm sein Engagement für die gute Sache mit langen Jahren
Freiheitsentzug, der ihn in nahezu alle berüchtigten Gefängnisse des Landes
führte. Aus eigener Erfahrung wusste ich, was ein Tag im Gefängnis bedeutet,
wie schwer eine Woche vergeht und gar ein Monat. Was waren da ganze Jahre in
einem Vernichtungslager am Schwarzmeerkanal oder bei Schwerstarbeit unter Tage?
Wer viele Jahre seines Lebens in stalinistischen Gefängnissen verbringen
musste, konnte kein Freund des totalitären Regimes in Bukarest sein, kein
Kollaborateur, als den man Caraion in den letzten Jahren präsentierte. Das
Faktische wog schwerer als die von der Securitate in Umlauf gebrachten
Verdächtigungen und Gerüchte, gegen deren verheerende Wirkung sich Caraion
bereits 1982 öffentlich zur Wehr setzte.
Damals
fand er noch Gehör. Heute ist er tot und kann sich gegen späte Anschuldigungen,
die von bestimmten Kreisen am Leben gehalten werden, nicht mehr wehren. Er
berichtete mir von einer groß angelegten Kampagne der Sicherheitsleute um Eugen
Barbu in der Zeitung Săptămăna gegen
ihn mit dem Ziel, ihn im Westen zu diskreditieren und zu isolieren. Săptămăna, deutsch Die Woche, war das inoffizielle Sprachorgan der Securitate, das
Insidern wie Barbu und Tudor zur Verfügung stand, um vor allem Repräsentanten
des Exils zu kompromittieren, wobei die Securitate zu diesem Zweck großzügig
ihre Archive öffnete und bereitwillig kompromittierendes Material zur Verfügung
stellte.
Caraion
verwies darauf - und ich glaubte ihm. Elf Jahre ärgsten Stalinismus überlebt zu
haben - das genügte mir, um das Vertrauen zu Caraion aufrecht zu erhalten.
Andere bürgerliche Demokraten aus der Bundesrepublik, Frankreich bis hin nach
Israel sahen die Dinge ebenso. Caraion war ein eindeutiges Systemopfer, dem man
unbedingt vertrauen musste. Er war das redende Gewissen seiner Nation, ein
Gewissen überhaupt. Keiner aus dem weiten Kreis jener, die ihn schätzten, hätte
ihm einen Januskopf zugetraut, ein zweites Gesicht.
Ion
Caraions erster großer Wurf als Publizist war das Agora-Projekt; eine internationale Lyrik-Anthologie mit sehr
bekannten Namen, die er bereits 1947, in den finsteren Jahren des Stalinismus,
zusammen mit Virgil Ierunca in Bukarest ins Leben gerufen hatte. Nobelpreisträger
Eugenio Montale wirkte mit und steuerte unveröffentlichte Manuskripte bei. Und
neben ihm seine nicht minder bekannten Landsleute Umberto Saba und Salvatore
Quasimodo. Drei Gedichte von Paul Celan wurden hier erstmals einem
internationalen Publikum vorgestellt.
Caraion
war als Dichter ein erstrangiger rumänischer Lyriker von europäischem Format.
Manche hielten ihn für den bedeutendsten rumänischen Lyriker der Gegenwart und
nannten seinen Namen gleich nach Tudor Arghezi und auf einer Ebene mit Lucian
Blaga. Hingegen ignorierten ihn sein Vaterland und die Literaturwissenschaft
der DDR ganz. In dem Sammelband Literatur
Rumäniens 1944 bis 1980 in Einzeldarstellungen, der 1983 in Berlin
erschien, fehlt das Portrait Caraions. Dagegen sind alle systemkonformen
Dichter und Schriftsteller aufgeführt bis hin zu Caraions Intimfeind, dem
Securitatemann Eugen Barbu und dem Ceauşescu-Lobhudler Adrian Păunescu, der
später Caraion als Verräter denunzieren sollte. Eugen Barbu und sein Ziehsohn Vadim
Tudor gründeten nach der Revolution die Großrumänienpartei, ein Hort für Hass
und Hetze, und betreiben auch heute noch von jener Plattform aus das Spaltungswerk,
das die Securitate nicht mehr vollenden konnte. Caraion hingegen, eines ihrer
ersten Opfer, galt im sozialistischen Rumänien des Jahres 1981, nachdem sein
fluchtartiges Absetzen bekannt geworden war, nur noch als Unperson. Nur wenigen
Beobachtern ist überhaupt bekannt, dass Barbus Diskreditierungskampagne in dem
Wochenblatt die Ausreise des Dichters erst erzwungen hatte.
Ab
jenem Zeitpunkt war er als Literat genauso abgeschrieben wie Goma und alle
anderen im Exil lebenden Dissidenten und Geistesgrößen der Rumänen. Seine Bücher
wurden aus den Regalen genommen und sein Name durfte nicht mehr erwähnt werden.
Seitdem er sich dann im Radiosender Freies Europa öffentlich gegen die
Machthaber im Land gestellt und das selbstherrliche Diktatorenpaar in scharfer
Polemik gegeißelt hatte, galt er als Staatsfeind, der unbedingt ausgeschaltet
werden musste. Das Risiko, welches er dabei einging, indem er sich und seine
Familie gefährdete, sahen seine späteren Kritiker nicht mehr.
George Enescu Museum, Bukarest
Januskopf und Chamäleon oder
Opfer des langen Arms der Revolution?
Als
der Fall Artur publik wurde, jene
Akte, die Caraion als angeblichen Kollaborateur der Securitate seit 1964
entlarvte, waren fast alle gegen ihn - das Pro wurde nicht mehr gesehen. In
seinem Fall, der wirklich ein Fall ist, ein sehr interessanter sogar, weil aus
ihm die gesamte sozialistische Wirklichkeit hervorscheint, gibt es vorerst nur
ein Kontra. Während dieses Buch geschrieben wurde, musste ich, um der Tendenz
Rechnung zu tragen, zumindest ein Fragezeichen über mein Kapitel setzen - ohne
Überzeugung! Unsicher geworden fragte ich bei Kollegen herum, die Caraion schon
vor Jahrzehnten näher gekannt hatten und an deren Wort ich nicht zweifelte.
Genaues wusste keiner. Doch einiges erschien plötzlich plausibel und belastend
für den Dichter. „Ja, Caraion!“ schrieb mir Dieter Schlesak, der an der Seite
des Repräsentanten des Rumänischen Schriftstellerverbandes Caraion etwa im Jahr
1968 zum ersten Mal in den Westen gereist war: „Wahnsinn, dass ich mich erinnern
muss. Artur? Kannte den Namen erst seit 2001. Damals, ich hatte meine erste
Westreise mit ihm nach Mondorf gemacht, war er ein Held für mich. Dann
irgendwie in den Trinknächten, gab er was preis, ja, schien beichten zu wollen.
Jedenfalls war es seltsam, dass er alle rumänischen Exilintellektuellen treffen
wollte. Aber seltsam auch, dass er aushorchte. Und vorher und später mich mehrfach
zu sich einlud, den Edlen spielte, den Verfolgten, mein „Freund“ wurde, schon
in Bukarest, o Gott, o Gott, welch ein Monstrum. Jetzt erst kommt alles raus.
Und 1945 war er mit Ceauşescu befreundet, sie wollten eine Zeitschrift herausgeben.
Er war ja auch Illegalist gewesen.
Vielleicht muss ich mal was darüber schreiben! War auch angesetzt auf mich.“
Soweit die Stimme eines möglichen Opfers aus der Rückschau.
Was
kannte ich von Caraions Kunst, bevor wir uns im Exil begegneten? Nicht viel. Einige
seiner expressionistischen Gedichte hatte ich überflogen, die ihn fern mit
Baudelaire und den französischen Symbolisten verbanden, über die er vertieft
gearbeitet hatte. Und einen langen Essay über Tudor Arghezi als Einleitung in
dessen Werk, in welchem er auch über sich sprach und über das Agora-Projekt.
Dann einen weiteren Essay Bacovia. Das
sich fortsetzende Ende, ein Beitrag
über den großen Einzelgänger im rumänischen Expressionismus, zu dem ich - als
sechzehnjähriger Schüler mit seinen depressiven Blei-Versen konfrontiert, noch keinen angemessenen Zugang hatte.
Caraion
war zudem ein Meister des komplexen Essays, wie ich ihn liebe. Als Essayist
verkörperte er den inzwischen zur raren, ja aussterbenden Spezies gewordenen poeta doctus par excellence, der seinen
Übersetzer mehr forderte als viele andere Geistesgrößen der Zeit. Davon konnte
ich als Übersetzer seines nomen-Beitrags,
den ich nur mit viel Mühe ins Deutsche übertrug, ein Lied singen. Als Poet war
er ein auch an Bacovia geschulter Expressionist, der die Tiefe des Poetischen,
die der rumänischen Sprache und Kultur innewohnt, zu höchster Kunstfertigkeit
steigern konnte - leider, wie so oft, unübersetzbar, schon gar nicht in eine germanische
Sprache. Von allen Lyrikern der Gegenwart hat er die Möglichkeiten des Rumänischen
vielleicht am weitesten ausgelotet.
Und
heute wird der tote Dichter mit dem Vorwurf konfrontiert, angesichts seines ethischen
Versagens verblasse die ästhetische Leistung! Welch ein Hohn? Doch die
textimmanente Interpretation wird anders urteilen. Als politisch Denkender und
als Mensch erschien er mir als ein aufgeklärter Idealist, ein unerschütterlicher
Himmelsstürmer, der für seine antitotalitäre Haltung auch zu leiden bereit war:
„Meine Feststellung, Faschismus und Kommunismus seien im Prinzip die gleiche
Sache, hat mir eine Verurteilung zum Tode eingebracht“, sagte er mir eines
Tages in einem Gespräch, als wir am Ufer des Genfer Sees promenierten und etwas
von der Freiheit genossen, die uns
das Leben doch noch geschenkt hatte: „Für sie war ich schon damals ein obskurer
Vaterlandsverräter, ein Freund des Westens, der mit bürgerlichen Decadents
Umgang pflegte, der im Reich des Kapitals seine Gedichte zu veröffentlichen
trachtete, ein Klassenfeind und Kosmopolit, der das eigene Schicksal und das
Schicksal der Welt über das Vaterland stellt … und sie haben es mich büßen
lassen, in ihrem Vernichtungslager am Donau - Schwarzmeerkanal und dann in den
Bleiminen von Cavnic und Baia Sprie, wo wir, tausend Meter unter der Erde, bei
nackten Leibe und heißen Dämpfen schuften mussten wie Galeerensklaven und auch
wie jene krepierten … Als dann im Jahr 1964 die große Amnestie kam und nahezu
alle politischen Häftlinge entlassen wurden, war ich nur noch Haut und Knochen.
Wenn es noch eine Weile so weitergegangen wäre, hätte ich nicht überlebt.“ Ion
Caraion wurde kurz vor der Amnestie aus der Haft entlassen, nachdem er fünf von
fünfundzwanzig Jahren verbüßt hatte.
Seine
Story erschien mir authentisch und über jeden Zweifel erhaben, während andere
in späterer Rückschau zur Auffassung neigten, Caraion hätte damals, unmittelbar
vor der Entlassung am Ende seiner Kräfte angelangt, psychisch in die Enge
getrieben und unmittelbar vor der Verzweiflung stehend, einen Pakt mit dem
Teufel unterschrieben, um überhaupt frei zu kommen. Der Preis der eigenen Freiheit sei nicht die überantwortete
Seele gewesen, sondern die eindeutige Kollaboration mit der Geheimpolizei und
die spätere Denunziation von regimekritischen Schriftstellerkollegen.
War
Caraion eine tragische Gestalt, ein Opfer, das aus existentieller Not handelt
und dabei sein Gewissen in die Waagschale wirft, wegwirft - ein Heros, aus dem
ein Antiheld wird? Solchen Überlegungen hätte ich damals nicht folgen können. Sie
wären mir abstrus und literarisch forciert erschienen. Und auch heute kann ich
die nicht voll substanziierten Thesen kaum ernst nehmen. Unveröffentlichte Manuskripte
aus den Archiven der Securitate, die um 1995 von der Nachfolgeorganisation SRI
der Familie zurückgegeben wurden, entlasten Caraion. Denn daraus spricht kein
verhätschelter Zögling und Informant des Systems, sondern ein fast mittelloser,
in die Enge getriebener Autor, der sich mit der Zensur herumschlägt, weil diese
ihm die Interpretation seines Preda-Essays vorgeben will und ein verzweifelter
Familienvater im Zwist mit seiner Frau, weil er nicht weiß, woher er die 100
Lei nehmen soll, um das fiebernde Kind ärztlich behandeln zu lassen. Es wurmt
ihn mit ansehen zu müssen, wie servile Diener der Partei, Stalinisten von gestern,
ihr Süppchen kochen, ihn verlachen und die Straßenseite wechseln, wenn er
kommt; und dass diese Leute, deren Poesie sich verbreitet wie die Fliegen, Worte
wie Ethik und Moral im Munde führen, dabei ihre kaum erst begangenen Verbrechen
vergessen. Das war im Jahr 1971, also zu einer Zeit relativer Liberalität und
Aufwärtsentwicklung im Land.
Darüber
hinaus spricht alles, was Caraion im Westen unternahm, was er an antikommunistischer
Dissidenz und Agitation entfaltete, gegen eine Vereinahmung durch die
Staatskommunisten. Konnte ein potentieller Agent der Securitate, der in den
Westen geschickt wurde, um das geistig-literarische Exil zu destabilisieren,
über Radio Freies Europa vehement und zynisch gegen Bukarest wettern und den
Menschen ins Gewissen reden, nur um eine perfekte Tarnung aufrecht zu erhalten?
Caraion hat das Diktatorenehepaar wüst beschimpft, für meinen Geschmack sogar
zu wüst! War das etwa die Tarnung des Chamäleons, eine Maske unter vielen?
Auch
daran weigerte ich mich zu glauben. So etwas war theoretisch denkbar, in der
Praxis aber höchst abwegig. Caraions Gesundheit war nach langjähriger Schwerstarbeit
unter Tage bei hoher Strahlenbelastung und permanenter Vergiftung stark
angeschlagen, ja zerstört. Nach der Entlassung wies er physische Verletzungen
auf und war mit Tuberkulose infiziert - nur sein Geist war noch immer rege und
der Wille, die verlorene Zeit wettzumachen und poetische Werke zu schaffen.
Trotzdem war er ein Gezeichneter.
Die
schwere Haft, die unzähligen Verhöre über dreißig Jahre, teils innerhalb, teils
außerhalb der Gefängnismauern und das immer unerträglicher werdende Dasein
eines Verfolgten, eines Exponierten und Angefeindeten außerhalb der Zelle, doch
innerhalb weiterer Schranken und Grenze, überlebt man nicht ohne Schäden an Leib
und Seele. Wusste ich doch selbst, was politische Häftlinge alles erdulden
müssen und was es bedeutet, den sozialistischen Alltag zu Tag für Tag zu meistern.
Wie oft hatten wir die RFE-Sendung Die
Geschichte der Rede - Vergessene
Seiten, Zensierte Seiten, Exilierte Seiten, verfolgt, die Caraions
literarischer Kompagnon von einst Virgil Ierunca aus dem Pariser Exil
moderierte? Hundertfach waren die stalinistischen Haftbedingungen dort
geschildert worden, plastisch und realitätsnah aus der Sicht von Augenzeugen.
Politische Freunde, die ähnliches durchgemacht hatten, erhärteten die Fakten
zusätzlich. Bis 1964 hatte Caraion diese von Alexander Solschenizyn in die
Weltliteratur eingebrachte Schreckenszeit stalinistischer Haft voll miterlebt.
Doch er ließ sich nicht unterkriegen und fand, wieder in relative Freiheit gelangt, zu ungeheuer
Produktivität, so als wollte er in kurzer Zeit all die Jahre des Stumpfsinns
und des Nichtstuns wieder aufholen. Nahezu jährlich legte er einen Gedichtband
vor.
Ienei-Kirche, Bukarest
Wie
kam es aber, dass er, der lange Zeit Stigmatisierte, nun doch so großzügig
veröffentlichen durfte? Das fragte auch ich mich später einmal, als ich die bibliographischen
Auflistungen überflog, die er mir geschickt hatte. Was führte dazu, dass er zum
Chefredakteur einer literarischen Zeitschrift aufstieg? Und dass er im
Rumänischen Schriftstellerverband seine Position ausbaute, immer
einflussreicher wurde und den Verband auch im Westen als Aushängeschild
repräsentieren durfte? Waren es nur die talentierten Gedichte, die zu
enigmatisch waren, um vom Zensor gestoppt zu werden, die seinen Ruhm als
Dichter begründeten? War es allein die Fachkompetenz, die seinen Aufstieg
förderte? Oder waren es ganz andere Faktoren, die seinen Stern kometenhaft
aufsteigen ließen?
Protegierte
und begünstigte ihn jetzt gar der Geheimdienst - oder hatte er einen noch
mächtigeren Mentor, ganz oben vielleicht?
Spätere
Gerüchte, die der Literaturkritiker Nicolae Manolescu im Jahr 2006 anlässlich
der Buchpräsentation zum Fall Artur,
Caraions Pseudo-Pseudonym, verbreitete, unterstellen ihm, er hätte den oft
geschmähten, späteren Staatschef Nicolae Ceauşescu persönlich sehr gut gekannt.
Angeblich wollten die drei Linken Caraion,
Ierunca und Ceauşescu in
frühstalinistischer Zeit eine gemeinsame Zeitschrift herausgeben, ein
kommunistisches Propagandablatt! Eine Legende? Nicolae Manolescu, als kulturelle
Autorität zum Mitglied der späteren Präsidialkommission
zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien berufen, dürfte kein
Interesse haben, abenteuerliche Thesen und Gerüchte in die Welt zu setzen. Wenn
seine Informationen, die allerdings nirgendwo belegt sind, tatsächlich stimmten,
würden sie manches erklären.
War
Caraion doch ein Chamäleon? Ein Proteus der Literatur, der einen eigenen Modus
vivendi gefunden hatte, um im sozialistischen Alltag doch noch zu überleben?
Darauf konnte ich damals nicht kommen, weil seine Vita dagegen sprach. Also
vertraute ich ihm weiter und schob leise Bedenken anderer arglos beiseite. Über
die konsequent kommunismuskritische Haltung hinaus hatte das Geschaffene in
meinen Augen absolute Priorität, das vorliegende Werk, zahlreiche Gedichtbände
und die Essays. Teilweise wurde ihr Erscheinen sicher auch durch die Liberalisierungstendenzen
der späten Sechziger und frühen Siebziger Jahre, die noch mit einem Anstieg des
allgemeinen Lebensniveaus im Land einhergingen, begünstigt, bevor die
einsetzende Minikulturrevolution in Bukarest das Rad der Geschichte noch einmal
massiv zurückzudrehen suchte.
In Bukarest
Existenz und Ethos - Haltung und
Botschaft
Ion
war ein leiser, desillusionierter Skeptiker, dem der freie Gebrauch des Wortes in den Jahren des Stalinismus viel Leid
beschert hatte. Als Persönlichkeit entsprach er genau dem Typus, nach dem ich
während meiner Dissidenz immer wieder Ausschau gehalten hatte, ohne ihn in der
Provinz zu finden. Hier in Lausanne, wo ich ihn in seinem Appartement besuchen
und auch seine Frau Valentina und Tochter Marta kennen lernen sollte, hatte er
nach vielfachen Auseinandersetzungen mit den Zöglingen des Systems und manchen
Schikanen im Land, nach Anfeindungen und Diffamierungen, Zuflucht gefunden und
verlebte, ganz dem literarisch-publizistischen Schaffen gewidmet, in höchst
bescheidenen Verhältnissen - doch in Freiheit
und Würde - die letzten Tage seines Schweizer Exils.
„Ich
kämpfe mit der Armut“, schrieb er mir damals in einem Brief, in welchem er mich
gleichzeitig vehement aufforderte, ungeachtet der Enttäuschungen, die ein
geistiger Mensch in einer geistfeindlichen Welt erleben muss, unbeirrt weiter
zu machen. Traduttore, tradittore? Diesen
Ezra Pound gemachten Vorwurf konnte ich nicht auf Caraion beziehen. Zu viel
sprach dagegen. Er hatte viel erlitten, ohne zu resignieren - und er wusste,
wovon er sprach.
Eines
seiner letzten Projekte war die Zeitschrift Correspondances,
die nominell an Baudelaire erinnerte und sich wiederum der Veröffentlichung
lyrischer Texte widmete. Es war der späte Versuch einer Wiederbelebung des
Agora-Paradigmas, das die Dichter der Welt, darunter viele Exilierte, in ihrer
heimatlichen Sprache vereint - in der Art eines symphonischen Zusammenklangs in
Versen und Rhythmen. Im ersten Heft gab es noch Texte von Ernst Jünger und
Michel Butor. In den beiden weiteren Nummern fehlten aber die ganz großen,
international bekannten Namen, jene big
names, die in der modernen Welt den kommerziellen Erfolg garantieren. Unter
dem Titel Don Qichotte gab er eine
Anthologie heraus; und eine weitere Zeitschrift war, wie er mir schrieb, noch
geplant - 2 Plus 2, eine Art
Fortsetzung von Correspondances.
Viele
gute Aussprüche und treffliche Zitate erinnerten mich an Ion und manch deftige,
tiefgründige Anekdote, die er, sub rosa, bei gelegentlichen Treffen nur
mündlich zum Besten gab. Allein schon der Name, der, was ich zunächst nicht
wusste, ein Pseudonym war, amüsierte mich - denn er klang wie eine pointiert
ironische Selbstparodie, und er war gleichzeitig Programm. Früher waren mir in
Temeschburg Schriftsteller begegnet, die die Decknamen wechselten wie die
Chamäleons die Farben, Dichter, die unter den Faschisten unter einem Namen
schrieben, später unter den Stalinisten und Kommunisten unter neuen Namen; die
die Farben wechselten und ihre Überzeugungen wie andere die Unterhosen - mich
zu einer Satire inspirierend, die ich mit Club
der Chamäleons überschrieb. Hatte sich auch Ion in der Auseinandersetzung
mit Braunen und Roten einen Bazillus eingefangen und als Mittel gegen die
Infektion eine zeitspezifische Überlebensstrategie entwickelt? Darüber dachte
ich vor fünfundzwanzig Jahren nicht nach! Ion war in unseren Begegnungen nett,
recht witzig - und immer mild human mit einem leichten Zug von
desillusionierter Misanthropie: „Was kann ich dafür“, meinte er eines Tages,
als wir über das Walten des Bösen in der Welt sprachen, recht verbittert
darüber, dass die von den Kommunisten zementierten Machtstrukturen noch lange
anhalten werden, „wenn die Läuse den Platz der Menschen eingenommen haben!“
Er
hatte das Gefühl, niedere, gehirnlose Geschöpfe würden die Geschicke der Zeit
bestimmen. Im Jahr 1982 erschien in München eine seiner letzten Buchpublikationen
in rumänischer Sprache. In dem Band Die
Insekten des Genossen Hitler sind kleinere Aufsätze und Interviews
enthalten, in welchen der Literat zurückblickt, Bilanz zieht und auch
abrechnet. Viele Rechnungen, die in einer Diktatur nicht beglichen werden
konnten, waren noch offen. Und jetzt war der Maulkorb weg. Einiges an Hass
hatte sich wohl angestaut in all den Jahren des nicht immer würdigen Überlebenskampfes.
In dem Begriff Genosse Hitler, ein
Synonym ehemaliger Häftlinge für den Partei und Securitate-Apparat ihrer Zeit,
laufen die beiden großen totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts zusammen,
rote Genossen und braune Genossen.
Auch
in mir sah Caraion ein Opfer der Insekten,
das früh angeknabbert worden sei. Eine Widmung von damals, die er mir in eines
seiner Bücher schrieb, erinnert mich daran. Es wäre Zeitvergeudung, die
Insekten des Sozialismus bekämpfen zu wollen, meinte er voller Resignation.
Nicht ist es unser Los, ein Fliegenwedel zu sein, argumentierte einst Nietzsche
ganz allgemein in Zarathustra.
Caraion, der übrigens als junger Dichter mit der Zeitschrift Zarathustra debütierte, steigerte den
verachtenden Sarkasmus noch indem er die besonders niederträchtigen unter den
intellektuellen Handlangern der Partei mit den Worten geißelte: „Schmeißt nicht
mit Steinen auf sie - ihr beschmutzt die Steine!“
Gigantomanie?
Zu groß für eine gewöhnliche Kamera.
Stalinistische Baukunst.
Libertate - Freiheit
in meiner Sprache …
Sein
wohl letzter Band ist das Bekenntnis eines Zeitzeugen, der scharf ins Gericht
geht, und der erstmals vor einem großen Auditorium frei sprechen darf. Der vom
US amerikanischen State Department finanzierte Sender Radio Freies Europa mit
dem Sitz im Englischen Garten von München bot ihm diese Plattform. Er konnte
nun vor einer ganzen Nation sprechen. Eine Verlockung. Zwei Jahre vor Caraion
saß ich an der gleichen Stelle und sprach vor dem gleichen Publikum - mit einer
gewissen Genugtuung, doch nicht im
Triumph und so sachlich wie möglich. Caraion, dem dort auch ein
Mitarbeiter-Vertrag angeboten worden sein soll, ging weit darüber hinaus und
sprach sich nicht nur frank und frei den angestauten Ärger und Stress von der
schon schwerkranken Leber weg; er steigerte die Abrechnung mit der
kommunistischen Welt, die er verlassen hatte, zu einer Orgie von polemischen
Beschimpfungen, wie ich sie kaum für möglich gehalten hätte.
Alles,
was sich in den elf Jahren Haft und in den unfreiwilligen, unwürdigen Jahren
danach an Hass und Ressentiments festgesetzt hatte, schien sich in jenen Interviews
zu entladen, eruptiv und unkontrolliert, wie beim plötzlichen Ausbruch eines
Vulkans. Dabei wurde der stammelnde Diktator genauso aufs Korn genommen wie
seine stets übergelaunte Gattin, der Caraion die Boshaftigkeit und den Verstand
eines Affen attestierte. Nicht verschont blieben natürlich die Helfer und
Helfershelfer des Systems, die Speichellecker und Hofdichter, die Schergen des
Geheimdienstes, für die Caraion die übelsten Epitheta fand, die seine Sprache
hervorzubringen im Stande war.
Handelte
so ein Agent der Securitate, der in den Westen reiste, um die geistige Struktur
des Exils zu unterwandern? Jegliche Logik sprach dagegen. Oder handelte die
Securitate nach der Chaostheorie, den Gesetzen des Irrationalismus und des
Absurden folgend? Caraions hochgradig von Bitterkeit bestimmter Abrechnungsfeldzug,
der vielleicht auch darauf abzielte, sein neues Image als antikommunistischer
Dissident zu schärfen, war eine direkte Antwort auf die Diskreditierungskampagne,
die das totalitäre Regime gegen ihn gestartet hatte. Das bloßgestellte Imperium
schlug nunmehr zurück - bereit, ihn zu treffen und zu vernichten. Doch Caraion
kämpfte seit je her einen ungleichen Kampf. Der Staat hatte ihm und seiner
mitgeflohenen Familie alles genommen, bis auf den Inhalt von zwei Koffern und
sie dem harten Los des Exils überantwortet. Seine Bitterkeit überraschte mich
nicht. Denn es gab Gründe dafür, viele Gründe.
„Weshalb
haben Sie sich doch noch zum Absprung in den Westen entschlossen?“ fragte ich
ihn einmal fast beiläufig; ich siezte ihn, während er mich duzte, auch in den
vertrauten Briefen. Die Antwort des verjagten Dichters war vielsagend: „Meine
Frau, die seinerzeit verurteilt und für Jahre ins Gefängnis gesteckt worden
war, weil sie mir geholfen und meine Manuskripte abgetippt hatte und ich haben
lange gerungen, bevor wir uns zu diesem schweren Gang entschlossen haben. In Verbannung
leben war nie einfach. Aristoteles, Cicero, Seneca, sie alle waren zeitweise
verbannt worden und schließlich der große Ovid, der bei uns in Tomis an Schwarzen
Meer elend zugrunde gehen musste. Keiner von ihnen lebte gerne in der Fremde.
Keiner gab je seine Heimat freiwillig auf. Wenn wir uns trotzdem entschlossen,
alles zurückzulassen, was wir hatten, immaterielle Werte, Freunde, Bücher,
Erinnerungen, Gefühle, dann taten wie dies aus Rücksicht auf unser Kind Marta.
Für sie haben wir hier in der Schweiz, im christlich-katholischen Umfeld, eine
Bleibe gefunden, die ihr Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Sie soll eine bessere
Zukunft haben, als wir sie hatten.“
Wie
oft hatte ich ähnliche Ausreiseargumente vernommen, auch bei Deutschstämmigen.
Eine Generation, die gelitten hatte, war bereit das eigene Martyrium für das
Wohl der künftigen Generation fortzusetzen.
Mitte
1982 übersandte mir Caraion den Essay. Nachdem ich ihn mit Mühe übertragen
hatte, wurde er auch noch gesetzt. Doch dann war es aus mit unserer Zeitschrift nomen. Mein Nachruf auf das
idealistische Projekt unter dem Titel Wo
liegt der Kulturverlag begraben, erschien bald darauf in einer
Literaturzeitschrift aus Berlin mit dem signifikanten Namen Tabula Rasa. Das Geld war uns
ausgegangen. Mein Studienortwechsel nach Wien stand damals gerade an - und ich
redete mit Caraion darüber: „Wien?“, wunderte er sich, „da bist du ja mitten im
Ostblock! Unterschätze nicht die Gefahr. Alle östlichen Geheimdienste treiben
sich dort herum. Sie können dich jederzeit um die Ecke bringen, ohne dass ein
Hahn nach dir kräht!“
So
glaubte er warnen zu müssen. Aber ich ignorierte die Mahnung und ging trotzdem.
Während dieser Zeit in Wien verlor ich im Spätjahr 1983 Caraions Spur. Dann
wurde es ruhiger um den Dichter. Einiges von ihm las ich noch in der Exilzeitschrift
Dialog, die Ion Solacolu mit viel
Mühe aus eigenen Mitteln herausgab. Solacolu war fast bis zu seinem Sterbetag
um ihn und half ihm dabei, etwas Ordnung in seine Manuskripte zu bringen.
Schwerkrank konnte Caraion kaum noch zehn an Stück Minuten arbeiten.
Als
Caraion im Sommer 1986 recht vereinsamt und selbst im Exil exiliert starb,
verlor sein Land eine komplexe Kulturpersönlichkeit, die einige Rätsel mit ins
Grab nahm. Ob er ein Gewissen war,
wie lange angenommen wurde? Oder ob er doch als eines jener vielen prominenten
Opfer der Diktatur angesehen werden konnte, die auf dem Weg in die Freiheit scheitern mussten, bevor sie
noch etwas von dem helleren Licht eines bald freier werdenden Alten Kontinents
hatten sehen können? Ich weiß es immer noch nicht!
Doch
ich bleibe bei meiner Apologie!
Ion
Caraion war lange Jahre seines aktiven Lebens eine Stimme der Verfolgten; in
der Zeit der Illegalität vor 1945 ebenso wie in den späten Tagen seines Exils.
Er liebte sein Volk, seine Sprache und er vergaß sein Volk, an dessen Befreiung
vom Kommunismus er glaubte, nie.
Einer
seiner letzten Appelle, die über den Äther gingen, ist der Freiheit gewidmet. In einem Aufruf zur Selbstfindung appelliert
Caraion in Rückbesinnung auf die Leiden und das Vorbild Christi an das
rumänische Volk, den Glauben an die politische Emanzipation niemals aufzugeben.
Mit dem ihm eigenen romanischen Pathos setzt er auf die inneren Werte jedes
Menschen, wenn er verkündet: Eingesperrt
könnt ihr noch freier sein als die, die euch einsperrten; die jetzt vor Angst
zittern, obwohl ihr unbewaffnet seid und sie in voller Rüstung dastehen. Die
Peitsche vermodert wie die Mauern verfallen. Das Licht der Freiheit leuchtet
aus eurer Wesenheit hervor, eine Freiheit, die sie nicht sehen, die sie aber
fürchten. Sie wird bald die Sprache des Sieges finden, weil der Samen der
Freiheit, wie ihr wisst, ewig ist und ewig unüberwindbar sein wird. Er sprießt
nach zehn Jahren, nach hunderten von Jahren, ja nach tausenden von Jahren unter
tausend labyrinthischen Wirrungen wieder hervor.“
Es
ist eine Eloge auf die Freiheit, ein Hymnus! Es sind Worte der Selbstbesinnung
auf die eigene innere Freiheit, auf
die Selbstbestimmung des Subjekts, die auch von Mark Aurel oder anderen
stoischen Philosophen hätten stammen können. Sicher wurden sie im
kommunistischen Rumänien gehört und fielen vielleicht auf fruchtbaren Boden.
Wer nur diese evozierenden Worte hörte, der interpretiert sie, fern von jeden
biographischen Implikationen, textimmanent wie ein Gedicht. Er hört, ohne den
Autor zu kennen, auf die unmittelbare Botschaft, versucht diese zu verstehen
und zu deuten - und viele Botschaften Caraions, der heute am moralischen Pranger
steht, waren keine Botschaften der Niedertracht, sondern Botschaften der Freiheit.
Atheneul Roman - Rumänisches Athenum
Die Jagd auf den toten Dichter - und
moralische Entrüstung
Heute,
mehr als zwanzig Jahre nach Ion Caraions Tod im Exil, scheint sein Ruhm als Geist
und Dichter weiter zu verblassen. Neue alte Dokumente sind in den
Securitate-Dossiers aufgetaucht, die seine Informantentätigkeit angeblich
bestätigen. Es sollen schwerwiegende Dinge sein, die ihn belasten und seine
moralische Integrität in Frage stellen.
Caraion
soll den schreibenden Kollegen Nicolae Steinhardt verraten haben. Und er soll
einen Agentenlohn erhalten haben und sonstige Privilegien, um andere regimekritische
Dichter und Schriftsteller aus seinem Umfeld auszuspionieren. Es fällt mir auch
heute noch schwer, all dies zu glauben, nicht zuletzt deshalb, weil die
rumänische Gauck-Behörde, die CNSAS, unglaubwürdig arbeitet, mehr hemmt und
verschleiert als sie zu Tage fördert und enttarnt. Nach neuesten einschlägigen
Veröffentlichungen schützt diese Einrichtung - ein fiktives Interesse der
Staatsicherheit vorgaukelnd - sogar die Aktivitäten der inzwischen in SRI
umbenannten Securitate.
Die
Dokumente, die heute vorliegen, könnten aus vielen
beschlagnahmten Manuskripten zusammenkompiliert worden sein wie eine Collage.
Nichts von dem, was ich bisher zitiert fand, belastet Caraion eindeutig. Vieles
ist zweideutig und, da es aus dem Kontext gerissen ist, sehr fragwürdig. Deshalb
wundere ich mich, mit wie viel Lust und Überzeugung er von offensichtlich zu
jungen Moralisten belastet wird, die selbst weder je etwas von ihm gelesen
haben, noch über seine Gefängniserfahrungen angemessen urteilen können.
Caraion
war als Dichter in einem totalitären Staat abhängig, erpressbar. Doch ein
Verräter im eigentlichen Sinne war er kaum. Jedenfalls nicht aus freien
Stücken! Natürlich hat er mit der Securitate kommuniziert. Doch ging es anders?
Auch
ich hatte immer wieder mit ihren Mitarbeitern zu reden, selbst auf der Straße,
ohne kontrollieren zu können, was nachher sie über mich in ihren Berichten festhielten
oder was sie als Gerücht streuten. Der Mensch Caraion, den ich kannte, spricht
gegen die Verdächtigungen und Unterstellungen sowie gegen eine gezielte Kooperation
aus eigenem Antrieb. Was ist Dichtung? Was ist Wahrheit? Und was ist
schlechthin gezielte Manipulation des Geheimdienstes?
Ist am Ende alles nur ein geschickter
Schachzug der Gegner von einst, der Verantwortlichen aus den höheren Etagen der
Securitate, die mit einem solchen Nebenkriegsschauplatz von den eigenen Untaten
ablenken wollen?
Während
die Berufsverbrecher der Securitate in Ruhe ihre Pension verleben, wird zur
Hetzjagd auf ein leichtes Opfer geblasen. Der Angriff wird auf einen toten
Dichter gelenkt - und kaum einer merkt etwas davon. Fast alle folgen der moralischen
Fährte und gehen dabei den Gerissenen auf den Leim.
Es
ist unbegreifbar, wie viel politische Naivität immer noch möglich ist. Nicht
ein verzweifelter Dichter ist das Problem der neuen, nach Europa ausgerichteten
Gesellschaft, ein hochsensibler Künstler, der nach Jahren psychischer Folter
und Grausamkeiten aller Art nicht mehr konnte und zusammenbrach - nicht über
sein moralisches Versagen gilt es zu richten.
Das Problem sind die immer schon
verbrecherischen Verbrecher, die immer schon unmoralischen Speichelecker,
Lobhudler und Hofdichter, Leute wie Vadim Tudor, der heute die Großrumänien
Partei anführt und mit Leidenschaft gegen Juden, Zigeuner, Intellektuelle und
andere Minderheiten hetzt und dabei von Millionen Rumänen gewählt und von
Europas Politikern akzeptiert wird. Es ist der gleiche Vadim Tudor, der in
einer nie gekannten Unterwürfigkeit Ceauşescu über den grünen Klee lobte, in
der Hoffnung, so zum einzigen Hofdichter aufzusteigen, der, um Karriere zu
machen, durch das eigene Tun nicht nur die Dichtung pervertierte, sondern als Denunziant auch noch die wahren Dichter
in Misskredit brachte. Dieser Tudor, der selbst ein Ultrarechter Antisemit ist,
ein Produkt des kommunistischen Regimes, wie man heute weiß, denunzierte Ion
Caraion wie den Dissidenten Dorin Tudoran bei der Securitate als rechtsextreme Elemente, und verwies die
Securitate auf den feindlichen Gehalt
von Caraions Poesie.
Ist
das der neue Mann für Europa? Das sind die Fragen, die nicht nur die Rumänen
beantworten sollten, sondern auch die Verantwortlichen in der EU. Manch einer
aus der Reihe der plötzlich moralisch wertenden Zeitgenossen, die nie eine
Gefängniszelle von innen gesehen haben, sieht heute in Caraion vorschnell den
Verräter, den Ängstlichen und Feigen, der andere ans Messer lieferte, um selbst
zu überleben. Und nur wenige Stimmen, darunter kaum Exilautoritäten,
verteidigen Caraion als das tragische
Opfer eines möglichen Komplotts, einer revanchistischen Verschwörung alter
Kräfte, die sich gegen alle antikommunistischen Widerständler richtet, doch
mit schwacher Stimme. Ganze Materialsammlungen wie die Sipos-Dokumentation, in
denen dargelegt wird, mit welchen Maßnahmen die Securitate den Dichter im Exil
unter Druck setzte, ihn kompromittierte, diskreditierte und Fakten, die für
Caraion sprechen, fallen dabei unter den Tisch. Das Resultat davon ist, dass
die Gesamtsituation, die eigentlich klar offen legt, wie ein exponiertes
Individuum aufgrund makropolitischer Konstellationen instrumentalisiert und zum
tragischen Opfer reduziert werden kann, vorerst ambivalent bleibt wie auch ihre
endgültige Bewertung.
Regierungssitz in Bukarest
Das Stockholm-Syndrom und ein
Pakt mit dem Teufel?
Caraion,
der einen beachtlichen Teil seines Lebens im Gefängnis für eine ideelle Haltung
gelitten hat, ist, auch wenn er zerbrach, immer noch mehr Opfer als Täter.
Neuerdings, wo die Phantasien der Schreiber immer neue Blüten hervorbringen,
sieht man in ihm einen Kranken, der am Stockholm-Syndrom
litt. An jener Wesensveränderung, die beim Opfer zur Solidarisierung mit
dem Täter führt und es veranlasst seine Denkperspektive zu übernehmen. Auf
diese Weise hätte sich Caraion in die Sicht der Securitate versetzt, sie
gestützt, beraten und anderen unschuldige Kollegen und Freunden im Land und im
Exil großen Schaden zugefügt. Das klingt plausibel, doch ist die Problematik
vielschichtiger und komplexer. Caraions konspiratives Tun und Handeln, insofern
es wirklich so gewesen sein sollte, steht trotzdem in keinem Vergleich zu den
Taten der eigentlichen Täter, die seine seelische Not ausbeuteten.
Caraion
erzählte mir einmal, Marin Preda hätte biographische Details aus seinem
Gefängnisdasein im Roman verarbeitet. Jetzt bietet sich der ganze Caraion an - als
Sujet eines psychologischen Romans, aus welchem die Fratze der kommunistischen
Diktatur hervorschaut. Wer den Fall
Caraion begriffen hat, versteht auch die Machterhaltungsmechanismen einer
Diktatur. Die Steinewerfer unter den selbsterklärten Moralisten dieser Tage
sollten sich zurückhalten.
Auch
darf eines auf keinen Fall verkannt
werden - jenseits von Schuld und Unschuld: wer in der Hölle sitzt, und Caraion
saß nicht nur in der Vorhölle, sondern am tiefsten Punkt im letzten Kreis der
Hölle unter ärgsten Teufen, der paktiert auch mit Luzifer und Satan! Und dies
nicht nur aus Angst, nicht nur aus Schwäche und nicht aus freiem Willen,
sondern aus einen Selbsterhaltungstrieb
heraus, der zutiefst existentiell
ist, und der aus sich selbst heraus
agiert, ohne nach moralischen Kategorien zu fragen!
Selbst
wenn Caraion schuldig geworden sein sollte, dann habe ich viel Verständnis für
ihn, mitfühlendes Verständnis, hatte ich doch eine ähnliche Situation unter
Folter selbst erlebt.
Selbst
wenn Caraion als angeblich schwacher Charakter versagt haben sollte, wenn er
sich verstellte, wenn er schauspielerte, wenn er viele, die fest an ihn und
seine Botschaft glaubten, bitter enttäuschte, dann bleibt immer noch der Künstler in ihm bestehen - und mit
diesem sein erstrangiges poetisches Werk, das nicht nach moralischen Kriterien
beurteilt werden darf. Die moralische Entrüstung, die so lange tot zu Eis
erstarrt dalag, schlägt im erwachenden Rumänien hohe Wellen - als Mode? Die
Kunst aber ist beständiger als der Zeitgeist. Warten wir es ab …
Das
Nachdenken über den Dichter, der sich mir gegenüber immer geistig solidarisch,
menschlich, ja freundschaftlich verhalten hatte, der, genau betrachtet, ein
später, väterlicher Freund war, ließ mich die Schönheiten der Seenwelt vergessen.
Gerne hätte ich seine Sache noch tiefergehend ausgelotet und verteidigt, doch
nicht profan wie im Gerichtssaal, sondern existentiell philosophisch. Ein weites Feld, ein Schicksal, in welchem
sich ein politisches System spiegelt und aus dem etwas deutlich hervor scheint:
Das Wesen der Diktatur!
Im
Vorausblick auf die noch anstehenden Herausforderungen drängten sich wieder
andere Reflexionen auf, mit vielen selbstkritischen Fragen, die ich mir stellte
und die berechtigterweise auch andere stellen durften.
Hotel Intercontinental in Bukarest- zur Zeit Ceausescus gebaut
Gegen
das Vergessen
Das
menschliche Leben ist viel zu kurz, um alle Erfahrungen selbst machen zu können.
Deshalb sollte wenigstens etwas von dem Wesentlichen, das man selbst erlebt
hat, aufgeschrieben werden, auch wenn Skepsis und aufkommende Misanthropie eher
dazu verleiten, die Intimität in das Selbst zu verschließen - und, vielleicht
für immer, zu schweigen. Manchmal wird das Schreiben zur Selbstüberwindung,
manchmal aber zur Pflicht. Ich unterwarf mich weiterhin der Pflicht.
Schon
wenige Tage nach meiner Einreise in die Bundesrepublik hatte ich mit der
aufklärenden Öffentlichkeitsarbeit begonnen. Zunächst beschrieb ich meine politischen
Erfahrungen, informierte die Medien über Hintergründe der Dissidenz in Rumänien
und veröffentlichte einiges, obwohl ich langsam an dem Sinn eines öffentlichen
Agierens zu zweifeln begann. Früher, in der Enge sozialistischer Gefängnismauern,
hatte ich gefühlt wie Tantalus und Sisyphus. Jetzt im weiten Land uneingeschränkten
Freiseins kam ich mir allmählich vor wie ein melancholischer Don Quichotte,
der, an Idealen festhaltend, gegen die Windmühlen kämpft - gleich einer
tragischen Figur auf der Weltbühne und wie ein Protagonist des Absurden.
Ungeachtet
des aufziehenden Politikekels, der mich, nach dem Tiefschlag bei Amnesty
international in London, mehr und mehr zum Rückzug in die Philosophie, Musik
und Literatur drängte, folgte ich dem Pflichtgebot und machte weiter. Doch die
meisten Informationen, die ich an die Öffentlichkeit brachte, verpufften weitgehend
ungehört in der Flut anderer Meldungen und versiegten nahezu wirkungslos.
Selbst die sonst gründliche wissenschaftliche Forschung, die auch nicht alles
rezipieren kann, ignorierte so wichtige Phänomene, wie das einer größeren
freien Gewerkschaftsgründung im Ostblock lange vor Solidarnosc, was dazu führte, dass historische Ereignisse über
Jahrzehnte unbekannt blieben.
Neben
dem chronischen Desinteresse Deutschlands an den Entwicklungen in Rumänien
wurde unsere Aktion gerade durch die weltgeschichtlichen Ereignisse in Polen
massiv überlagert. Als auswärtiger Sprecher der Freien Gewerkschaft rumänischer
Werktätiger SLOMR verfasste ich noch 1981 im Namen der Vereinigung ein Solidaritätsschreiben
an Lech Walesa, in welchem ich die Sympathie und die moralische Unterstützung
der rumänischen Arbeiter und des westlichen Unterstützungskomitees bekundete.
Der ausbleibende Rückschein signalisierte mir jedoch, dass der Brief bereits in
den Auswirkungen des Kriegsrechts untergegangen sein musste, das General
Wojciech Jaruzelski im Dezember über Polen verhängt hatte, um Solidarnosc zu stoppen. Durch die
Ereignisse in Polen wurden die schon weitgehend abgewürgten und erstickten
Gewerkschaftsbewegungen in Rumänien vollständig überlagert und in den
Hintergrund gedrängt.
Was
ich damals veröffentlichte, erreichte in der Regel nur eine Handvoll Menschen
im Westen - und sensibilisierte Charaktere aus der Exillandschaft. Am 1. März
1981 erschien in der Freien Rumänischen
Presse in London mein Zeitzeugenbericht Ein
Schritt zur Freiheit, der die Frage nach dem Verbleiben der SLOMR mit den
Hinweis beantwortet, die Freie Gewerkschaft wäre noch relativ intakt anzutreffen,
wenn ein freier Zugang zu den Gefängnissen des Landes gegeben wäre. Und mein
Bericht klingt mit den visionären Worten aus: Seien wir nicht skeptisch. Die Idee hat überlebt und trägt Früchte. Die
Errungenschaften, die Mahatma Gandhi, Luther King und Lech Walesa kennzeichnen,
werden auch wir in Rumänien erreichen. Das war Zweckoptimismus, doch auch
eine insgeheim gehegte Vision. Wer an eine Idee glaubt und von ihr über Jahre
erfüllt ist, zählt auch auf ihre Vollendung. Hinter meinem Bericht stand der
spätere Präsidentschaftskandidat Ion Raţiu aus London. Mit dem anderen demokratischen
Kandidaten Radu Câmpeanu, unserem Mistreiter aus Genf, hatte Raţiu gegen den
Altstalinisten und Wendehals Iliescu die erste halbdemokratische Wahl nach dem
Sturz von Diktator Ceauşescu verloren. Als wir über Vladimir Krasnosselski aus
Genf im Dialog standen, glaubte er an die Möglichkeit eines demokratischen
Umbruchs und ermutigte mich weiter zu machen. Im Gegensatz zu anderen
Schriftstellern deutscher Zunge, etwa zu Herta Müller, die sich später rühmte,
nie ein Wort in rumänischer Sprach geschrieben zu haben, schrieb ich auch in
Rumänisch - und eben für jene, die später die Demokratie in Rumänien mit
aufbauen sollten. Die Sache zählte, nicht die Mittel. Kurz darauf, im Herbst
des gleichen Jahres, veröffentlichte ich in der Zeitschrift Menschenrechte zwei Berichte über
politische und religiöse Verfolgungen in Rumänien: Die Arbeiterbewegung in Rumänien - Anders als in Polen und Christen in rumänischen Gefängnissen, in
welchen ich auch auf unsere Vorreiterrolle einging.
Menschenrechte war das
Publikationsorgan der, wie es sich später herausstellte, etwas rechtslastigen
Gesellschaft für Menschenrechte, der immerhin einige bekannte Völkerrechtler
angehörten wie mein späterer Lehrer Blumenwitz. Zu dieser Gesellschaft hatte
ich schon vor Jahren von Rumänien aus Kontakt aufgenommen, ohne ihre ideologische
Ausrichtung objektiv einschätzen zu können. Als ich dann gedrängt wurde, über
die politischen Verfolgungen und religiösen Diskriminierungen zu berichten,
beschrieb ich die selbst erlebte Zeit von den Minenarbeiterstreiks im Schiltal
bis zur Niederschlagung der freien Gewerkschaftsbewegung SLOMR und der angestrebten
CMT-UNO-Klage sowie die religiöse Dissidenz vor allem der neoprotestantischen
Glaubensrichtungen. Aus dem Kontakt mit der späteren Internationen Gesellschaft
für Menschenrechte wurde mir ein Aspekt bewusst, der auch heute noch präsent
ist und manche Geister irritiert. Ein Dissident, der ehemalige SLOMR-Begründer
Ionel Cană aus Bukarest ist ein Beispiel dafür, nutzt nahezu jede
publizistische Plattform, um seine Informationen, Ideen und Thesen bekannt zu
machen, auch auf die Gefahr hin, instrumentalisiert zu werden.
Später
folgten sechs ausführliche Interviews über die Entwicklung der Opposition in
Rumänien und über die Rolle des rumänischen Exils, die in den folgenden Jahren
in dem Publikationsorgan des Demokratischen Kreises der Rumänen in Deutschland,
in der von Ion Solacolu redigierten Zeitschrift Dialog, erschienen. Der promovierte Chemieingenieur formte in
dieser Zeit mit persönlichem Einsatz und mit spärlichsten Mitteln Dialog zu einer der substantiellsten Exilzeitschriften
in rumänischer Sprache. Im Rahmen meiner Möglichkeiten half ich ihm dabei als
Mitwirkender. Das alles - bis hin zur angestrebten Klage in Genf - war weniger
als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Aber es war immerhin mehr als
nichts.
Nach
dem Abitur nahm ich in Erlangen ein Universitätsstudium auf mit dem Ziel, im
völkerrechtlichen Umfeld im Bereich der internationalen Organisationen tätig zu
werden, möglicherweise als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes. Das Außenministerium
hatte in schweren Zeiten nicht nur Kollaborateure der Macht wie Ribbentropp
geformt, sondern auch eine Reihe von Widerständlern hervorgebracht. Vorbilder
wie Trott zu Solz, die mich genauso beeindruckten wie der schwedische Diplomat
Raul Wallenberg, der sich persönlich in Gefahr brachte und wohl auch opferte,
um unzählige Verfolgte zu retten. Ungeachtet zunehmender kultureller
Prioritäten und aufkommenden Überdrusses an politischen Dingen gab ich das
menschenrechtliche Engagement nie auf und machte weiter, solange ich gebraucht
wurde.
Dringend
gebraucht wurde ich seinerzeit als Zeitzeuge gerade in Genf, wo CMT und UNO
dabei waren, das zunehmend despotischer agierende Regime von Präsident
Ceauşescu dem Verdikt der Völkergemeinschaft zu unterwerfen. Also musste ich in
die schöne Stadt am See, wo mich ein Herr Ganea und ein Monsieur Robert
erwarteten. An dieser Stelle biss sich die Schlange in den Schwanz. Finis
tragoediae?
Das Gebäude der rumänischen Gauck-Behörde CNSAS
Von
der Freiheit der Lüge -
Die UNO-Klage. Eine völkerrechtliche Disputation
„Nun,
Monsieur Robert, habe ich Ihnen diese lange Geschichte vorzutragen! So habe ich
die Dinge erlebt - aus der Sicht eines Dissidenten, der ein Handelnder war,
bevor er zum Schreiben kam. Nun hoffe ich, die exponierten Fakten können dazu
beitragen und der Confederation dabei helfen, eine umfassende Materialsammlung
zu erstellen, die den Vereinigten Nationen zur Erstellung der Klageschrift
vorgelegt werden kann!“
Es
klang wie ein Schlussplädoyer in einem äußerst verfahrenen Verfahren. Damit
schloss ich und atmete entlastet auf. Uff - geschafft! Kurz darauf klappte ich
im Sessel zusammen wie ein Luftballon, aus dem das Gas entweicht.
„Lassen
Sie uns optimistisch bleiben“, lächelte der freundliche Herr aus Madagaskar
ebenso erlöst, um dann zu betonen:
„Sie
haben uns nicht nur Fakten geliefert, die für sich sprechen. Sie haben ferner
manche Hintergründe erleuchtet, die auch mir, der ich die Situation in jener Gegend
der Welt überhaupt nicht kannte, einiges näher brachten. Manches wurde so
ausführlich geschildert, dass selbst verdeckte Zusammenhänge erkennbar werden.
Sie haben uns Interpretationshilfen vermittelt, indem die unterschiedlichen ethischen
und völkerrechtlichen Aspekte der Materie beleuchtet wurden. Das ist uns eine
große Hilfe bei der Wertung. Ebenso ist die erörterte Minderheitenproblematik,
die auch bei uns in Afrika ein gewaltiges Problem darstellt, hilfreich. Das
stimmt mich zuversichtlich, was die öffentliche Wirkung der Klage betrifft. Sie wird als solche schon ein Zeichen
setzen. Wir werden nunmehr alle Fakten zusammenstellen und sie der
Internationalen Organisation für Arbeit der Vereinten Nationen vorlegen. Dann
werden wir als Völkergemeinschaft die rumänische Regierung in Bukarest
offiziell mit den Vorwürfen, die substantiell sind, konfrontieren - als Klage,
als öffentliche Anklage, die jeder Interessierte weltweit wird verfolgen
können. Die Regierung in Bukarest wird sich äußern müssen … Ceauşescu selbst
wird Farbe bekennen müssen … Die Entwicklungen in Polen legen es offen … Die
Zeit der Parolen ist endgültig vorbei. Ich glaube, wir dürfen zuversichtlich
der Zukunft entgegen sehen!“
Nach
diesem hoffnungsvollen Ausblick, den ich mit großer Genugtuung entgegen nahm,
verabschiedete ich mich von dem verständnisvollen Mitarbeiter, der mir nun
tagelang zugehört hatte, ohne meinen Redefluss entscheidend zu hemmen.
Zufriedenheit kam auf - bescheidener Lohn für mein Engagement, eine Zufriedenheit
nach erfüllter Mission, die den Rückschlag von London wieder wettmachte.
In
den letzten Tagen hatte ich tatsächlich erzählt wie Scheherezade in einem Märchen aus Tausend und einer Nacht; nur
war der Grund nicht Zeitvertreib und Unterhaltung des Zuhörenden, sondern ein
weitaus ernsthafterer. Der Eiserne Vorhang war nach wie vor ein stabiler
antiimperialistischer Schutzwall, der noch einige lange Jahre bis zum Auftreten
von Michael Gorbatschow als Staatschef der Sowjetunion seinen Zweck erfüllte.
In Polen brodelte es zwar immer noch heftig und eine neue Freiheitsbewegung
schien sich unaufhaltbar ihren Weg bahnen zu wollen. In der Tschechoslowakei
murrten die Intellektuellen, doch in anderen Teilen Osteuropas herrschte noch
sibirischer Winter. Kadar, Schivkov, und Honecker befanden sich auf dem Gipfel
ihrer Macht - und in Rumänien regierte immer noch uneingeschränkt der zunehmend
seniler und realitätsfremder werdende Diktatur Ceauşescu.
Es
dauerte dann noch ein paar Monate bis CMT und die ILO der UNO die Klage auf den
Weg brachten und damit die selbstherrlichen Regierungsvertreter in Bukarest
wachrüttelten. Während ich meinen Studien nachging und abwartete, nahmen die
Mühlen der Bürokratie ihr Werk auf und mahlten das, was schon gedroschen war.
Nur mahlten sie zur Zeit des Kalten Krieges langsamer.
Der Triumphbogen in Bukarest
Klage
vor der Klage - Diskreditierung, Diffamierung und Kriminalisierung
Wie
im zwischenmenschlichen Bereich gibt es auch im Zusammenleben der Völker
Prinzipien und Gesetze, an die sich alle halten müssen. Das ist die Grundlage
des internationalen Rechts, das man im Deutschen unter dem Begriff Völkerrecht
kennt.
Wer
im zivilisierten Konzert der Völker mitspielen will, wer bereit ist, diese
höhere Form der Ethik anzuerkennen und sich an die vorgegebenen Maßstäbe und Spielregeln
zu halten, wird Mitglied der Vereinten Nationen und ihrer Organisationen und
ratifiziert die entsprechenden Abkommen. Das sozialistische Rumänien hat, wie
andere totalitäre Staaten auch, manches ratifiziert - und wenig eingehalten.
Trotzdem wollte das Land immer international gut dastehen und das schwer erworbene
liberale Image wahren. Der Schein wurde stets über das Sein gestellt.
Ceauşescu
selbst gefiel sich in der Rolle, ein Dissident im Lager der Kommunisten zu
sein, der selbstständig eigene Wege ging, ein Visionär, der sein Land in eine
glückliche Zukunft führt.
In
Wirklichkeit jedoch war er nur ein ehrgeiziger Machtpolitiker von hervorstechender
Mittelmäßigkeit in allem, was er tat. Da er nach außen hin immer den Schein
wahren wollte, war auf seinen Befehl hin alles zu vermeiden, was das positive
Erscheinungsbild des sozialistischen Rumänien unter seiner Führung hätte stören
können. Das war eine der Leitlinien seiner Politik, die sich selbst schon in
den Köpfen der Sicherheitsorgane so festgesetzt hatte und die von diesen in
Servilität und vorauseilendem Gehorsam schon im Vorfeld erfüllt wurde.
Als
man uns Gründern der Freien Gewerkschaft
im Gerichtssaal von Temeschburg einen sprichwörtlich kurzen Prozess machte und
uns wegen der Konstituierung einer Gruppe
mit anarchischem Charakter
verurteilte, war die eigentliche Bezeichnung in weiser Voraussicht bewusst
vermieden worden, weil man sich der völkerrechtlichen Implikationen sehr wohl
bewusst war. Was vermieden werden sollte, trat nun doch ein. Jetzt, zwei Jahre
nach unserer Verurteilung, war es soweit. Auf Ceauşescus Regierung in Bukarest
kam eine Klage zu, die von der Confederation
vorbereitet und von den Vereinigten
Nationen eingereicht wurde. Es war
wohl die erste dieser Art in ganz Osteuropa!? Monsieur Robert und seine
Mitarbeiter hatten innerhalb von einigen Wochen nach unserem Gespräch gute
Arbeit geleistet.
Am
2. April 1981 machte die Brüsseler Tageszeitung La Libre Belgique in dem Bericht von Nicolette Franck unter dem
Titel Rumänien unter Anklage vor seinem Gewerkschaftskongress
die anstehende UNO-Klage gegen Bukarest publik. Die kritische Haltung der Confederation im Hinblick auf die
Unterdrückung der gewerkschaftlichen Freiheiten in Rumänien wird akzentuiert.
Statt eine Einladung zur Teilnahme am Kongress der offiziellen Gewerkschaft in
Bukarest anzunehmen, habe sich die Confederation entschlossen, eine
Klageschrift aufzusetzen und die Einhaltung der zugesagten Vereinbarungen einzufordern.
Die
Confederation wartete noch den Verlauf des Kongresses in Bukarest ab. Nachdem
aber feststand, dass mit keinen neuen Erkenntnissen gerechnet werden konnte,
nahm dieser lange und mühsam vorbereitete Prozess seinen Lauf. Die Klageschrift
wurde der UNO-Unterorganisation International
Labour Organisation, ILO, übergeben, die das Verfahren einleitete und die
Regierung in Bukarest mit den Vorwürfen konfrontierte.
Es
begann eine langwierige und bürokratische Auseinandersetzung zwischen der
Völkergemeinschaft aus Genf und den totalitären Machthabern in Bukarest, ein
ewiges Hin und Her, eine unendliche Konfrontation von These und Antithese fern
von jeder Dialektik, die sich fast vier lange Jahre hinzog. Wer unter den Sterblichen
konnte da noch folgen? Gelegentlich erhielt ich aus Genf einige Zwischenberichte,
die nicht viel mehr aussagten, als dass die Angelegenheit weiter verfolgt
wurde, Genf nicht locker lies und Bukarest sich massiv zur Wehr setzte.
Allmählich steigerte sich die
Klage dann doch zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei ideologisch
entgegengesetzten Systemen, einem freiheitlichen und einem diktatorischen,
sowie zu einer Konfrontation von Paragraphen und Interpretationen
völkerrechtlicher Aspekte - oder kurz: Es war ein Kampf
zwischen Wahrheit und Lüge, wobei die zynisch vorgetragenen Unwahrheiten aus Bukarest sogar noch
schriftlich fixiert wurden und heute noch im Internet nachgelesen werden können.!
Wer
einmal lügt, dem glaubt man nicht, wenn er auch dann die Wahrheit spricht!
Solche Lebensweisen hatte man uns im Kindergarten eingehämmert, als die ersten
Grundsteine einer Ethik und Moral gelegt wurden. Was war davon zu halten, wenn
nun Regierungen frech logen und wider besseres Wissen jede Wahrheit verdrehten?
Kommunismus
- das war freche die Lüge von Anfang an bis zum Niedergang, nur aus Gründen des
Machterhalts. So lange auch nur etwas von den Scheinbild gewahrt werden konnte,
sollte es gewahrt werden.
Die
politisch-juristische Auseinandersetzung zwischen der ILO der UNO und der
Regierung in Bukarest vollzog sich fern der Augen der Öffentlichkeit in irgendwelchen
Glaspalästen, ohne dass viel über den Fortgang der Sache bekannt wurde. Das
bürokratische Auf und Ab der Argumente beschäftigte lediglich eine größere
Anzahl von trägen Funktionären, ferner hoch bezahlte Juristen, Beamte, Übersetzer
bis hin zu Geheimdienstaktivisten, die weitere Menschen schikanieren und
Informationen herbei karren mussten, um die Pseudoargumentationen, die auch
durch häufiges Wiederholen nicht wahrer wurden, untermauern zu können. Selbst
ich, der positive Kronzeuge der Klage,
erfuhr zum Fortgang des Verfahrens, das weiterhin mit meinem Namen verknüpft
war und mich hohen Sicherheitsrisiken aussetzte, in der Folgezeit nur noch
wenig.
In Bukarest
Die „so genannte Freie Gewerkschaft“ - eine
Fiktion?
Der
Fall Nr. 1066 wurde am 10 Juli 1981 auf den Weg gebracht. Erst im Jahr 1984 lag
mit der Veröffentlichung des Berichts Nr. 236, heute noch als ILO-Dokumentation
im Internet abrufbar, eine endgültige Bewertung der Auseinandersetzung vor. Es
war ein Resultat, wenn man es so
bezeichnen will, das der makropolitischen Situation der Zeit entsprach - es war
ein klassisches Remis. Die moralische
Konfrontation gegensätzlicher Weltauffassungen endete so, wie sie begonnen
hatte, mit einem Patt.
Jede
Seite beharrte auf ihrer Position. Die Regierung in Bukarest stellte sich stur
und negierte einfach alles. Damit befand
sie sich im Einklang und auf der Schiene des großen Führers Ceauşescu, der
inzwischen jeden Sinn für die Realität verloren hatte und zunehmend zum
Ultrastalinisten nordkoreanischer Prägung mumifizierte. Jeder Hauch von
Liberalität nach innen wie nach außen wich einem retrograden Urkommunismus, der
nicht mehr in die aufziehende Zeit von Glasnost und Perestroika passte. Der
sture Ceauşescu wurde für den erst antretenden Gorbatschow zunehmend zum ernsten
Problem. In dieser verschärften Situation war es nahezu unmöglich, mit Rumänien
vernünftig zu kommunizieren. Die Regierenden schotteten sich ab und igelten
sich ein im Bewusstsein, in ihrer Souveränität vom Westen bedroht zu sein. Die
Realitätsfremdheit in allen Lebensbereichen wurde zum zeitspezifischen Phänomen
– auch über Rumänien hinaus von Berlin bis Bukarest.
Das
Dokument mit den so genannten Antworten des Regimes ist ein authentisches
Zeugnis aus dieser Zeit und gleichzeitig ein grotesk-absurder Beweis einer
angewandten Vogel-Strauß-Politik nach dem Motto: Alles, was nicht hätte sein
dürfen, war nicht! In dem Papier wird schlechthin alles geleugnet, was sich im
oppositionellen Umfeld der Arbeiterbewegung in den letzten Jahren ereignet
hatte, beginnend mit dem Minenarbeiterstreik im Schiltal, an dem viele Tausend
Kumpel beteiligt waren. Nach der Auffassung der Regierung hat es in Rumänien
nie einen Minenarbeiterstreik gegeben - und auch keine Freie Gewerkschaft.
Der
Gründer dieser Bürgerbewegung in Bukarest, der Arzt Ionel Cană, sei wegen der
Verbreitung faschistischer Propaganda
verurteilt worden, die meisten so genannten Sympathisanten der Gewerkschaft
wären frei erfunden oder wüssten nichts davon, andere seien gemeine Verbrecher
und gescheiterte Existenzen mit unsittlichem Lebenswandel, teils an
Alkoholvergiftung gestorben.
Der
offizielle Bericht der rumänischen Behörden beginnt mit einer breiten Beschreibung
des wirtschaftlichen Fortschritts im Land während der letzten Jahrzehnte. Dann
wird auf die alte Gewerkschaftstradition des Landes verwiesen, die bis in das
Jahr 1872 zurückreichen soll. Neunundneunzig
Prozent aller Arbeiter, mehr als 7. 500. 000 Mitglieder, gehörten der offiziellen Gewerkschaft an,
die eigenständig sei und sogar Gesetze vorschlagen könne. Alle formulierten
Anschuldigungen beruhten auf missverständlichen, irreführenden Angaben, die von
Personen stammen, die nichts mit dem Land
gemeinsam hätten.
Eine
dieser landesfeindlichen Personen machten sie in meiner Person aus. In der
Klagesschrift des Westens wird unter Punkt 96 die Regierung in Bukarest aufgefordert,
zu meinen Aussagen Stellung zu nehmen:
Im Februar 1983 hat das Komitee die Regierung ebenfalls aufgefordert,
präzise Informationen über die Gründe der Verhaftung und Verurteilung einer
bestimmten Zahl genannter Personen in der Stadt Temeschburg mitzuteilen, die an
der Gründung der Freien Gewerkschaft Rumänischer Arbeiter in jener Stadt
beteiligt waren. Der Kläger hat später auch die Namen und Anschriften anderer Gewerkschaftsanhänger
in Temeschburg mitgeteilt, aber die Regierung hat dem Komitee weder
Informationen noch Erklärungen als Antwort auf seine Anfrage zukommen lassen.“
Soweit die englische Textfassung. Da die
Angelegenheit selbst heute von besonderer Brisanz ist und als zeitgeschichtliches
Thema noch auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung wartet, stellt die UNO
gleichzeitig auch eine französische und spanische Textfassung der Dokumentation
bereit, damit nach Möglichkeit eine weltweite Rezeption und Differenzierung
zwischen Wahrheit und Lüge stattfinden kann.
Ienei-Kirche, Bukarest
Verleumderischer
Steckbrief und noch ausstehende Rehabilitation
Neben
meiner Person, die mehrfach und für längere Zeit in Genf präsent war und
konkret wie ausführlich über die Ereignisse aussagte, standen noch eine Reihe
weiterer Persönlichkeiten aus anderen Ländern Europas mit ihrer gesamten Integrität
und Verantwortung hinter der Klage und verliehen ihr die notwendige Glaubwürdigkeit.
Darüber
hinaus hielt ich ein Urteil in der Hand, das Bände sprach; und bei zusätzlichem
Bedarf hätten noch zahlreiche weitere Zeugen, die Teil des Geschehens waren und
inzwischen im Westen lebten, befragt werden können. Erwin lebte inzwischen in
Freiburg, ebenso seine nahen Verwandten und die so genannten Zeugen der damaligen
Gerichtsverhandlung.
Deshalb
musste die Regierung irgendwie ausweichend antworteten, um die Angelegenheit
der Temeschburger Personen mehr zu
verschleiern als aufklären. Sie nannte mehrere der Unterzeichner beim Namen,
auch in diesem Werk namentlich nicht erwähnte Personen, die sich nach dem
Eintreffen im Bundesgebiet ins Privatleben zurückzogen, ferner Erwin, Edgar,
Wolf und mich und führte dann jede Wahrheit verhöhnend aus: Die Regierung stellt fest, dass diese
Personen das Recht verlangt haben, in Übersee zu leben, was in vielen Fällen
auch gewährt worden sei. Sie waren in keine Aktion verwickelt, die mit der so
genannten Freien Gewerkschaft verknüpft gewesen wäre.“
Nach
Übersee wollte keiner von uns; außer
vielleicht nach Übersee in Bayern!
Dann
kommt die Regierung Ceauşescus auf mich zu sprechen und stellt lapidar fest: Die Kontakte, die diese Personen mit den
Gerichten hatten, betrafen nicht Gewerkschaften, sondern das allgemeine Recht.
Carl Gibsons Fall zeigt dies:
seine Familie hatte das Land verlassen - und bis zu dem Tag, wo er das Land
legal verlassen durfte, musste er sich wegen seines sozialen Verhaltens vor
Gericht verantworten, das im Gegensatz zu den rechtlichen Regeln stand
(Versuche, illegal die Landesgrenze zu überschreiten).
So
konnte man gewisse Dinge auch interpretieren. Man negierte sie einfach nach dem
Motto: Was nicht sein darf, war nicht!
Es gab also keine Freie
Gewerkschaft in Rumänien! Weder in Bukarest, noch in Temeschburg!
Alles
Fiktion, alles phantasiebegabten Gehirnen entsprungen? Alles war somit erstunken
und erlogen! Und auch das, was ich künftig vielleicht noch zu Papier bringen
würde, war a priori romanhaft fiktiv, Literatur eben, unwirkliche Realitätsverzerrung
und Verunglimpfung eines souveränen Staates!
Nach
der Auffassung der Regierung in Bukarest hatte ich nur gegen geltendes Recht
verstoßen!? Wohlan!
Weshalb
verschonte die Diktatur gerade mich? Jeder rumänische Bürger, dem bereits versuchte Republikflucht vorgeworfen
werden konnte, landete umgehend für Jahre im Gefängnis! Mir war nie ein
Grenzübertrittsversuch vorgeworfen worden; nie wurde ich dafür vor Gericht
gezerrt oder gar verurteilt, obwohl ich an der Donau aufgegriffen worden war. Versuche, hatte ich unternommen! Wie
viele denn?
Nun
aber, wo ein Delikt formal gebraucht wurde, zauberten sie als Rechtfertigung a
posteriori ein Häschen aus dem Hut, weil es sonst nichts gab, was man mir hätte
vorwerfen können! Selbst die Lügen waren dilettantisch aufgemacht!
Trotzdem,
die Sache ist ernst; denn neben der emotionalen Betroffenheit und der ethischen
ist da noch eine faktische, die existentielle Relevanz hat und ins Auge gehen
kann: Meine Verleumdung durch Ceauşescus
Handlanger ist auch heute, fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Diktators,
im Internet nachzulesen, ohne gleich als Verleumdung erkannt zu werden - in
drei Weltsprachen, einem Steckbrief gleich, den man um die Welt schickt. Für
Ceauşescus Freunde in der Welt bin immer noch ich der Schurke - und deshalb in
anderen Einflusssphären weiterhin exponiert!
Da die rumänische Regierung von
heute das Unrecht von gestern noch nicht aufgehoben hat, bin auch ich heute
noch ein Vogelfreier - und meine Mitstreiter sind es ebenso. Und dies, obwohl
dreißig Jahre ins Land gegangen sind und die Rumänen seit zwei Jahrzehnten den
Weg in die Demokratie einüben!
Unsere Rehabilitierung, auf die
ich mit Erwin immer noch hoffe, für die es aber aus vielen pragmatischen wie
moralischen Gründen noch keine gesetzliche Grundlage gibt, steht auch noch aus.
Schläft Präsident Băsescu - oder will er und darf nicht?
Mahnmal für die Opfer der antikommunistischen Revolution von 1989
bzw.
Mahnmal, Detail -
der Sockel bröckelt wie die Erinnerung an die Helden der Revolution
Tragik und Opfer am Wegrand –
Klage nach der Klage
Auf
solche Weise und mit infamen Lügen aller Art reduzierten die kommunistischen
Machthaber in Bukarest die völkerrechtliche Disputation zu einer Farce. Ceauşescu
witterte überall nur Feinde, imperialistische Kräfte, die sein Land destabilisieren
wollten. Wir waren in seinen Augen nur Agenten fremder Mächte, die das
Zerstörungswerk der Amerikaner zu erfüllen halfen.
Also
musste alles, was nicht sein durfte, konsequent negiert werden, auch gegen jede
Logik. Und jede objektive, vielfach verifizierbare Wahrheit sollte als Lüge
ausgelegt werden. Selbst in bestellten Machwerken williger Ghostwriter, die es
allerdings vermieden, auf jene Bereiche einzugehen, wo die Beweislast
erdrückend war - wie im Fall der hier ausgiebig beschriebenen Freien Gewerkschaft in Temeschburg! Sie
war keine Fiktion!
Diskreditierung,
Diffamierung und Kriminalisierung waren Teil des Systems. Wen wunderte es, wo
doch jedermann wusste, welche Werte im so genannten Reich des Bösen die
Tagespolitik bestimmten. Der Kalte Krieg tobte noch in den Köpfen - und Michael
Gorbatschow war noch nicht im Amt.
Wir alle aus Temeschburg hatten in
dieser Groteske noch Glück gehabt und profitierten überproportional von der
Vertuschungspolitik Ceauşescus, der unseren speziellen Fall als deutsche
Minderheitler mit einer vielleicht schützenden Hand dahinter nicht an die große
Glocke hängen wollte. Deshalb wohl kamen wir mit einer nur halbjährigen Haft davon
und durften allesamt Rumänien verlassen.
Das
Wahren des Scheins rettete uns das Leben und versetzte uns in die Freiheit,
während genuine Rumänen aus dem Landesinneren für ganz bescheidene Oppositionsinitiativen
in der Folgezeit zu drakonischen Haftstrafen von fünf bis zu zehn Jahren verurteilt
wurden. In ihrem Fall griff das Repressionsorgan Securitate hart durch und
wütete nach allen Regeln der Unterdrückungskunst.
Viele
Andersdenkende, die weniger bekannt oder ganz unbekannt waren, verschwanden für
lange Zeit in psychiatrischen Anstalten, Gefängnissen oder kamen bei
rätselhaften Unfällen ums Leben. Offizielle Nachforschungen waren wie in jeder
Diktatur illusorisch.
Andere
Dissidenten und Gewerkschaftssympathisanten wie Carmen Popescu und Nick Dascălu
scheiterten - mit dem Bestreiten des alltäglichen Lebens beschäftigt oder aus
sonstigen Gründen, die keiner ergründen wird, weitgehend anonym in der Verbannung.
Zu
Nick Dascălu hatte ich 1981 noch Kontakt. Nachdem er New York erreicht hatte,
berichtete er in einer rumänischen Exilzeitung sehr umfassend über die
SLOMR-Gründungen in Bukarest und Temeschburg. Auf meine Anregung hin teilte er
auch der Confederation und über diese
der UNO seine Sicht der Gründungsabläufe
mit, ferner alles, was er zusätzlich zu dem Oppositionsthema wusste, um so die
Klage faktisch weiter zu untermauern.
Dascălu
blieb in New York noch einige Zeit aktiv und begründete dort im Exil ein
Komitee der Wahrheit über Rumänien,
das vor allem die amerikanische Öffentlichkeit über Menschenrechtsverletzungen
unterrichten sollte. Doch dann verlor sich plötzlich seine Spur in den Weiten
Nordamerikas für immer. Auch er - ein Opfer? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch,
denn das klanglose Abtauchen entsprach weder seinem Wesen noch seinem Charakter.
Viele aufrichtige Bürger, die
ihre Gesellschaft verändern wollten, die aufmuckten und über SLOMR gegen das
totalitäre System ankämpften, scheiterten in ihrem Aufruhr. Der Weg zur politischen
und individuellen Freiheit ist mit bekannten und unbekannten Opfern gepflastert. Das macht den tragischen Zug dieser - nicht nur in
eigener Sache beschriebenen - Protestbewegung aus.
Das ZK der RKP - Machtzentrale der Kommunisten Ceausescus
Ein Signal - Bilanz, Wertung und
Konsequenzen der UNO-Klage aus heutiger Sicht
Nach
einigen Jahren des relativen Stillstands verlief die völkerrechtliche Auseinandersetzung,
in der ich nur eine Figur auf dem Schachbrett war, nahezu im Sande, ohne
konkrete, greifbare Ergebnisse. Die Klage, der noch viel vom Geist des Kalten
Krieges anhaftete, konnte die hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen, die wir
Dissidenten in sie gesetzt hatten.
Um
1984, als in Europa noch politische Eiszeit herrschte, verloren auch wir Zeitzeugen
sie gänzlich aus den Augen. Erst Jahre später, nach der Veröffentlichung der
Dokumentation im Internet, stellte ich fest, dass mit einigen unserer Angaben nicht ganz sorgfältig umgegangen worden war
und dass die Betreuer doch einige Zusammenhänge nicht voll erfasst hatten.
Gegen
große Resultate sprach die nach wie vor unveränderte makropolitische
Konstellation, die vom Kreml bestimmt wurde. Bewirkt hat die Klage aber immerhin
einiges für die inhaftierte Gewerkschaftsaktivisten, die zu langjährigen
Haftstrafen verurteilt worden waren. In einem Artikel, den ich seinerzeit in
Ion Raţius Presseorgan in London veröffentlichte, beantwortete ich die von der
Gegeninformation der Securitate in den Raum gestellte Frage, wo denn die freie Gewerkschaft geblieben sei,
mit dem Hinweis, wir würden sie intakt vorfinden, wenn uns die Tore der
Gefängnisse geöffnet würden.
Dank
der UNO-Klage gegen Bukarest öffneten sich einige Gefängnistore. Prominente
Gewerkschaftsgründer, unter ihnen vermutlich der Priester Calciu-Dumitreasa,
der Arzt Ionel Cană und der Ökonom Gheorghe Braşoveanu, dessen Name auch auf
dem Gründungsdokument des Komitees zur
Verteidigung des Glaubens der Baptisten auftauchte, wurden vorzeitig aus
der Haft entlassen. Vermutlich wussten die Betroffenen nichts von der Klage.
Selbst in der informierten Fachwelt wurde generell nur von internationalem Druck gesprochen, ohne genau differenzieren zu
können, wie dieser Druck entstehen konnte.
Während
der Klagezeit durften weitere Sympathisanten der freien Gewerkschaftsbewegung
SLOMR in den Westen ausreisen. Die
Tatsache, mit meinem Engagement nochmals Menschen zu einem würdigen Leben in
Freiheit verholfen zu haben, tröstet mich auch heute noch. Fortgesetzte
Dissidenz machte also Sinn.
Darüber
hinaus war die öffentliche Klage der UNO gegen eine der finstersten
osteuropäische Diktaturen von immenser
ideeller Bedeutung, denn sie war weitgehend einzigartig, hatte Präzedenzfallcharakter und vermittelte -
über die kleine Schar der Eingeweihten hinaus und tief in den kommunistischen
Machtbereich hinein eine deutliche Botschaft: Die Kommunisten im Osten Europas mussten ab 1981 damit rechnen,
differenzierter beobachtet zu werden. Sie mussten wissen, dass nicht alles, was
in ihrem Machtbereich an Verbrechen geschah, auf immer verborgen bleiben würde
- und dass auch sie eines Tages vor dem
Gericht in Den Haag für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden konnten,
gleich den NS-Schergen in Nürnberg!
Persönlich
verbuchte ich die völkerrechtliche Auseinandersetzung als einen weiteren Sieg
von Freiheit, Wahrheit und
relativer Gerechtigkeit, als einen
ethischen Triumph und darüber hinaus als einen weiteren, kleinen Schritt hin
zur Auflösung der Starrheit zwischen den Blöcken.
Springbrunnen im Zentrum von Bukarest
Kurzer Abriss vorrevolutionärer
Opposition seit 1979
Das Wort Freiheit darf nur selten verwendet
werden.
Rolf
Bossert über die Praktiken der inoffiziellen Zensur
„Wenn
du nicht schweigst, kommst du nach Dachau“ - das war schon zu Beginn der 30er
Jahre in Bayern zu hören, lange bevor die Nationalsozialisten die Macht in
Berlin übernommen hatten. Auch im Stalinismus behielt die Aussage ihre Gültigkeit.
Wer aufmuckte, wurde weggesperrt und für lange Zeit mundtot gemacht. Dichter
und Schriftsteller waren genauso betroffen wie einfache Menschen, die nur ihre
Meinung kundtaten.
Bis
zum Zusammenbruch der Diktatur im Winter 1989 war das kommunistische Regime
Rumäniens bestrebt, die eigene Bevölkerung von den politischen Entwicklungen in
Osteuropa seit Gorbatschows Machtantritt abzuschneiden. Rumänien befand sich
auf einem extremen Weg der Selbstisolation in die so genannte Albanisierung.
Trotzdem ging der Protest im Land weiter und erfasste immer breitere Kreise der
Gesellschaft bis hinein in die Reihen der Nomenklatur.
Die
Formen des Widerstands und der Auflehnung waren vielfältig. Sie reichten vom
stillen Protest bis zur inszenierten Verzweiflungstat. Antikommunistische
Parolen heraus schreiend, soll sich Liviu
Babeş auf einer Skipiste bei Kronstadt - gleich Jan Palach in Prag - angezündet
und als leuchtende Fackel ins Tal gestürzt haben. Es war, wie erst später
bekannt wurde, ein individueller Akt der Rebellion, die Tat eines Menschen, der
an der Feigheit, der Lethargie und der politischen Apathie seines Umfelds
verzweifelte, nachdem sich seine Hoffnung, über den Glauben dem Labyrinth
entrinnen zu können, zerschlagen hatte. Sein spektakulärer Protest verhallte.
Kaum jemand vernahm etwas davon im Westen.
Intellektuelle
wie Ana Blandiana, Doina Cornea, Mircea Dinescu und auch andere, weniger
bekannte Dichter und Schriftsteller wie Bujor Nedelcovici versuchten weiterhin,
an der Zensur vorbei ihre Werke zu veröffentlichen; sie wurden aber eben von
dieser Zensur massiv ausgebremst. Statt sich der Auseinandersetzung mit der
realen Gegenwart zu stellen und diese anzuerkennen, wie sie war, versuchten die
Zensoren, die Schriftsteller zur Abänderung ihrer Sujets zu veranlassen und
diese so weit zu entschärfen, bis jede Ähnlichkeit mit der tatsächlichen Realität
verwischt war. Ion Caraion, der die meisten kritischen Dichter persönlich gut
kannte, hatte mir selbst Fälle geschildert, wo Romanciers von Zensoren gezwungen
worden waren, ihre Werke mehrfach zu überarbeiten, solange, bis von den
ursprünglichen Konzeptionen und Ideen nicht mehr viel übrig blieb.
Ovid-Büste in Bukarest
Freiheit
und künstlerische Selbstbehauptung: Ana Blandiana und Doina Cornea -
Dissidenz
und literarische Produktion waren kaum noch von einander zu trennen. Bis in den
Westen drangen jedoch nur wenige Namen durch; Ana Blandiana ist einer von ihnen.
Die
1982 mit dem Herder-Preis geehrte Dichterin wurde einem größeren Publikum
bekannt, als eines ihrer satirischen Poeme, das Ceauşescu als Kater Arpagic
karikiert, nahezu in alle großen Sprachen des Westens übersetzt wurde. Mit
ihren pamphletartigen Travestien wagte sie es als eine der wenigen, den
Diktator persönlich herauszufordern und seinen Schergen vom allmächtigen Sicherheitsdienst
zu trotzen.
Ana
Blandiana, die Tochter eines so genannten Volksfeindes, den man für viele Jahre
in stalinistische Kerker geworfen hatte, wurde unter dem bürgerlichen Namen
Otilia Valeria Coman in Temeschburg geboren. Ihr Pseudonym geht auf den Ort
Blandiana zurück, wo ihre Mutter herstammte. Von sich selbst sagte die Dichterin,
der es trotz massiver Diskriminierung gelang, ein bedeutendes poetisches Oeuvre
zu schaffen, sie sei bereits als verbotene
Dichterin bekannt gewesen, noch bevor man sie als eigentliche Dichterin
kannte.
Nachdem
sie 1988 mit einem Publikationsverbot belegt worden war, gelang es ihr erst
nach der Revolution auch als Bürgerrechtlerin zu wirken. Sie übernahm die
Präsidentschaft der Akademie für
bürgerliche Freiheiten und leitet auch heute noch das Memorial Sighet - eine Gedenkstätte, die als ehemaliges Gefängnis
für Gesinnungshäftlinge an die Opfer des Stalinismus und Kommunismus in
Rumänien erinnert und heute als Ort der Begegnung und politischen Bildung
dient.
Bei
Doina Cornea, einer
Philologieassistentin an der Universität Klausenburg, standen von Anfang an
Dissidenz und antikommunistische Opposition im Vordergrund. Ihre
gesellschaftskritischen Schriften verbreitete sie ab 1980 als Samisdat, als
kleine, selbst gefertigte Heftchen und Büchlein mit originellen Ideen und ethischen
Anregungen, die sie unter Freunden verteilte und die dann weiter kursierten - bis
in die Finger der Sicherheit. Als Radio Freies Europa 1982 beim Ausstrahlen
einer ihrer kritischen Stellungnahmen versehentlich ihren richtigen Namen
nannte, in der Annahme es sei ein Pseudonym, begann für die damals Fünfzigjährige
ein Leben der Verfolgung, Stigmatisierung und vielfacher Leiden.
Während
unsere Klage gegen das totalitäre Regime in Bukarest gerade ihren Lauf nahm und
in der Hauptstadt minutiös analysiert wurde, um dann zynisch beantwortet zu
werden, wurde Doina Cornea systematisch verfolgt, arg schikaniert und praktisch
bis zum Sturz des Diktators unter Hausarrest gestellt. Nur gelegentlich gelang
es ihr die Isolation zu durchbrechen, um sich dann, wie 1987 beim Aufruhr von
Kronstadt, zusammen mit ihrem Sohn auch physisch in die Schlacht zu werfen. Als
in den Tagen revolutionärer Auseinandersetzung in Klausenburg die Kugeln auf
die Straßen prasselten, war sie ebenfalls mittendrin. Während ihrer strammen
Dissidenz wurde die Französischassistentin, die de Gaulle bewunderte und Frankreich
sehr verbunden war, von der Französischen Botschaft in Bukarest, mit der sie
wöchentlich kommunizierte, förmlich beschützt. Der heute noch im Internet
abrufbare Bericht Rumänien: Dossier 666,
den Mirel Bran in Le Monde veröffentlichte,
fängt ihre Odyssee, deren Dimension erst nach der Öffnung der Akte deutlich
wurde, treffend ein.
Doina Corneas Fall ist symptomatisch. Er
ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus einem bewussten Staatsbürger, der sich
kritisch mit seinem Umfeld und dem politischen Regime auseinander setzt und an
dieser Haltung konsequent Jahre hindurch festhält, ein Dissident und
Bürgerrechtler wird.
Dank
ihrer Initiativen entstand nach der Revolution das Antitotalitäre Demokratische Forum und andere Organisationen der
Kultur und des sozialen Dialogs, die einzelne Strömungen der Opposition zur Demokratischen Konvention Rumäniens
zusammen führten. Doina Cornea legte neben unzähligen journalistischen
Beiträgen auch einige Buchveröffentlichungen vor, unter anderen das 1990 in
Paris und Bukarest edierte Werk Freiheit?
Orthodoxe Kirche in Cotroceni, Bukarest
Intellektuelle Distanzierung - Tudoran
und Tismăneanu
Vieles
an politischem Machtmissbrauch vollzog sich über den uneingeschränkt agierenden
Sicherheitsdienst im Verborgenen. Nur die Opfer nahmen Kenntnis davon. Von der
Dissidenz junger Dichter um Dan Petrescu
in Iaşi, von Dorin Tudoran, Norman Manea und von dem Wirken des lange
verfolgten Philosophen Constantin Noica,
der ebenfalls viele Jahre seines Lebens in Kerkern verbracht hatte, erfuhr kaum
jemand etwas.
Dorin Tudoran, gleich
Blandiana in Temeschburg geboren, Jahrgang 1945, war ein leiser Dissident, ein
sanfter Lyriker, der im stillen Kämmerlein seine Verse zimmerte und auf eigene
Weise an der heuchlerischen Umgebung litt. Als er die Diskrepanz zwischen
Schein und Wirklichkeit nicht mehr ertragen konnte, entschloss er sich wie
viele andere geistige Menschen zur Ausreise und versuchte dann, vom Gefühl des
leisen Verzweifelns geleitet, mit der minderjährigen Tochter diesen Ausbruch in
die Freiheit zu forcieren. In seinem Sendschreiben an Staatschef Ceauşescu
schrieb Tudoran: Als Schriftsteller,
Bürger und Vater bin ich endgültig überzeugt davon, dass zwischen meinem
tiefsten Glauben an den Menschen und an seine unverzichtbaren Rechte, an
Freiheit und Demokratie, an Dialog und Meinung, an Ehrlichkeit und Ethos, an
Patriotismus und Opfergeist usw. und den rumänischen Wirklichkeiten von heute
eine unüberwindbare Kluft besteht.
Ähnliches
hatte ich über Jahre selbst durchgemacht, von den gleichen Beweggründen
getrieben. Und viele Intellektuelle und weniger intellektuelle Aufrichtige und
wahrhaftig Fühlende sollten noch folgen. Nachdem ihm ein Strafprozess angedroht
wurde, trat der Poet, der immerhin bereits mehrere Gedichtbände vorgelegt
hatte, in einen Hungerstreik und erzwang über diesen Protestakt die Ausreise in
die Vereinigten Staaten.
Im
amerikanischen Exil traf er auf den bereits 1981 geflohenen Vladimir Tismăneanu, der dem Regime um
Ceauşescu bewusst den Rücken gekehrt hatte, obwohl er zu jener Gruppe
Privilegierter im Land gehört hatte, zur Nomenklatur. Als Sohn jüdischer
Linksintellektueller, die im Spanienkrieg auf der Seite der Antifaschisten
gekämpft hatten, hätte Vladimir Tismăneanu, der spätere Koordinator der Präsidentenkommission zur Analyse der
kommunistischen Diktatur in Rumänien, durchaus in Ceauşescus Diktatur
überleben können, wenn nicht auch er von ideellen Wertvorstellungen geleitet
worden wäre, die ihn gezielt auf Distanz gehen ließen. Das Fehlen der Freiheit gerade im Denken wurde ihm, dem
gleich nach dem Studium Kaltgestellten, irgendwann unerträglich: Ich konnte die permanente Aggression gegen
den freien Geist einfach nicht mehr aushalten. Gleich anderen Kollegen und
Freunden, hatte im Bezug auf den grotesken Personenkult, auf die öffentliche
und tatsächliche Lüge, in der wir lebten, ich die Grenzen der Geduld erreicht.
Wie ich in meinem späteren Büchern festhielt, fragte ich mich immer wieder,
weshalb nicht auch wir einen Michnik, einen Havel oder einen Sacharow haben.
Grenzenlos bewunderte ich jene, die sich dem System widersetzten - und ich
bewundere sie immer noch; und ich kann es nur beklagen, dass es in Rumänien
keine kollektive Dissidentenbewegung gab. Es gab allerdings Einzeldissidenten -
und sie sollten ihrem Wert entsprechend geschätzt werden, sagte er in einem
Gespräch, im welchem er auf die Beweggründe seiner Flucht nach Amerika einging.
Die
These Tismăneanus von einer fehlenden Dissidentenbewegung, der ich als drei
Jahre lang aktiver Dissident in Rumänien schon aufgrund eigener Erfahrungen
widersprechen muss, verweist darauf, dass die dissidenten Bewegungen im Land,
allen voran die SLOMR-Bewegung noch nicht
wirklich wissenschaftlich aufgearbeitet und analysiert wurden.
Die
Freie Gewerkschaft war keine reine Arbeiterbewegung, wie oft angenommen, und wurde
auch nicht, wie ebenfalls von Analytikern betont, von Intellektuellen für die
Arbeiterschaft konzipiert, sondern sie ist darüber hinausgehend ein freier
Zusammenschluss von Werktätigen aller
Berufe und Arbeitsverhältnisse - und als
freie Überorganisation verkörperte sie ein Sammelbecken für dissidente Strömungen
aller Art, die einen Fokus suchten. Das Fehlen einer prominenten Führungspersönlichkeit
war nur ein kleiner Nachteil, wie das Beispiel in der Danziger Werft beweist - Walesa
war kein Intellektueller! Die
SLOMR-Bewegung, die eindeutig organisierte und somit kollektive Dissidenz
verkörpert, scheiterte an den äußerst repressiven Bedingungen der Diktatur in
Rumänien. Im späteren Dialog mit Tismăneanu, der geführt wurde, als die
erste Fassung der Analyse bereits veröffentlicht war, habe ich mehrfach darauf
hingewiesen und Wert darauf gelegt, diese Argumente in die Forschung einfließen
zu lassen. Was davon noch in den Endbericht
zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien an präsentierten Fakten
und Interpretationen eingeflossen ist, in ein enges Kompendium, das keine
differenzierte Diskussion erlaubt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Norman Manea, ein anderer
Schriftsteller jüdischer Herkunft, der sich dem Emigrationsdruck, dem die Juden
wie die Deutschen im Land ausgesetzt waren, nicht entziehen konnte, fand erst
Gehör, als seine Bücher in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden. Der
Philosoph Noica hingegen, der unbequeme Literat Caraion und andere wurden als
ehemalige und künftige Zuchthäusler diffamiert und geschnitten.
Auch
manche der nicht gerade linientreuen Dichter und Schriftsteller, die in deutscher
Sprache veröffentlichten, konnten sich den Schikanen des Geheimdienstes nicht entziehen
und wurden als unbequeme Zeitzeugen zum Teil gegen ihren Willen aus dem Land
gedrängt – selbst auch diejenigen, die nur loyale
Kritik üben und keine Dissidenten
sein wollten!
Am Präsidentenpalast in Bukarest
Der Tod geht um - Marin Preda,
prominentestes Securitate-Opfer?
Ab
1980, zu einem Zeitpunkt, als ich kaum erst den Westen erreicht hatte, kam es
in rumänischen Schriftstellerkreisen zu rätselhaften Todesfällen. Dan Deşliu, ein ehemaliger
Systemlobhudler, dessen Lobeshymnen auf die Partei ich noch in meinen Schulbüchern
ertragen musste, ein eindeutiger Profiteur der kommunistischen Verhältnisse,
durchlief in seiner letzten Lebensphase ein Saulus-Paulus-Erlebnis und wandelte
sich zu einem Kritiker der einst verherrlichten Ideologie. Noch bevor er seine
Glaubwürdigkeit als Dissident begründen konnte, verstarb er nach einem Verkehrsunfall.
Ein Zufall? Man weiß es nicht genau.
Doch
Marin Preda, ein über die Grenzen
seines Landes hinaus bekannter Romancier, war das wohl prominenteste Opfer. Er
starb, vermutlich mit einem Kissen erstickt, in einem Dichterrefugium im Palais
Mogoşoia - wahrscheinlich von Geheimdienstschergen ermordet, weil er ein Werk
verfasst hatte, das nicht mehr so ganz in die Welt des sozialistischen
Realismus passen wollte: Der geliebteste
der Irdischen. War doch in diesem Werk eine bewusste Absetzung vom Titan
der Titanen, vom allerliebsten Sohn des Vaterlandes,
nicht zu verkennen. Schon der mutige Umgang mit einer Apposition, die nur dem Conducător - dem Führer vorbehalten war, konnte selbst einem etablierten Schriftsteller
zum Verhängnis werden. Nach außen hin war Predas Abgang ein frei gewählter Tod,
bedingt durch Drogen und Alkohol. Ion Caraion, der selbst befürchtete, der
nächste auf der Exterminierungsliste zu sein, berichtete mir in Lausanne von
der Genese des Werks und verwies darauf, dass Preda, mit dem er lange
befreundet war, zahlreiche Passagen aus Caraions Gefängnisaufenthalten in das
Mammutwerk von weit über tausend Seiten eingearbeitet hatte. Hatte nun Preda,
der es in Delirium schon gewagt
hatte, ein Tabu zu berühren, seiner Unantastbarkeit vertrauend wiederum
unvorsichtig agiert? Oder handelte er nach langem Überdruss und in innerer
Dissidenz gleich Caraion und anderen - letztendlich doch noch mutig? Die
indirekte Rehabilitation von Marschall Antonescu in dem Werk Delirium hatte seinerzeit Moskau
provoziert und auf den Plan gerufen. Mit welcher Konsequenz? Viele Fragen sind
nach wie vor unbeantwortet. Preda, ein großes Talent unter den Romanciers der
Gegenwart, nahm sein Geheimnis mit ins Grab. Intellektuelle Courage war nicht
immer erfolgreich.
Ecce poeta! Mihai Eminescu-Büste vor dem Rumänischen Athenuäm in Bukarest
Der Mord an Gheorghe Ursu
Es
gab manche Opfer. Darunter viele unbekannte Namen. Im Jahr 1985, als die
Gesamtsituation in Rumänien zunehmend spürbar verfiel und das Leiden weite
Teile der Bevölkerung erfasste, wurde der rumänische Ingenieur und Dichter Gheorghe Ursu in Securitate-Haft ermordet.
Wer wusste etwas davon?
Ursu,
der auch literarisch tätig war, hatte bis dahin kaum etwas veröffentlichen
können - bis auf den Band Immer zu zweit,
der von seiner Freundin Nina Cassian,
einer Dichterin jüdischer Herkunft, die zunächst als Proletkultistin debütiert
hatte, eingeleitet worden war. Nach der Verfolgung und letztendlichen Ermordung
ihres guten Bekannten im Gefängnis zog es Nina Cassian, die auch als
Komponistin hervorgetreten war, vor, von einer Reise in die Vereinigten Staaten
nicht mehr zurückzukehren.
Ursu,
der Verfasser eines bis heute unauffindbaren intimen Journals, war von einem systemloyalen Arbeitskollegen, der
von seinem kritischen Projekt wusste, verraten und an die Securitate
ausgeliefert worden. Der Schriftsteller Gheorghe Ursu starb schließlich an den
Folgen einer brutalen Tätlichkeit eines Mithäftlings, eines kriminell geworden
Securitate-Offiziers, die in der Calea Rahovei durchgeführt worden war - genau
an jenem Ort, wo ich einst die Konfrontation mit dem inkarnierten Bösen hatte
erleben müssen, ohne zu wissen, dass sich unter mir auch noch Folterverliese befanden,
wo Menschen zu Tode gemartert wurden.
Ausgleichende
Gerechtigkeit, die den toten Dichter aber nicht mehr wiedererwecken konnte, kam
erst spät - und dann nur halbherzig als letztendlich verhöhnende Farce. Zwar
wurden nach den vielfältigen Bemühungen der Familie in den Jahren 1999 bis 2003
Gheorghe Ursus Mörder formal zu zwanzig Jahren Gefängnishaft verurteilt. Doch
diese Verurteilung, die schon nach wenigen Jahren erledigt sein sollte, traf
nur einen gemeinen Verbrecher, den als Spitzel eingesetzten Mithäftling, der
Ursu getreten und tödlich verletzt hatte. Die
eigentlichen Auftraggeber, mehrere bekannte Securitate-Offiziere höheren Rangs,
kamen ungeschoren davon – genau wie diejenigen, die später die Öffentlichkeit
auf das angebliche moralische Versagen eines Ion Caraion, eines toten Dichters,
lenkten.
Gegen die vielen Schreibtischtäter aus
den hohen Etagen der Securitate, die in Ursu nur einen Routinefall sahen, an
den sie sich nicht mehr erinnern wollten, wurde nicht einmal Anklage erhoben.
Das war Vergangenheitsbewältigung neuester Art. Auch eine
Petition führender Intellektuellen im Land, die einem moralischen Aufschrei
gleichkommt, brachte keine Veränderung.
Mahnmal für die Opfer der antikommunistischen Revolution von 1989
Die Weiße Rose von Bukarest - individuelle und kollektive Protestaktionen
Nach
Ursus Tod ging der Protest weiter. Je mutiger die Menschen wurden und je
deutlicher sich die Lebensbedingungen der Menschen verschlechterten, desto brutaler
wurde die Vorgehensweise der Geheimpolizei und der Justiz.
Als
der junge Ingenieur Radu Filipescu - vielleicht
nach dem Vorbild der Geschwister Scholl und der Weißen Rose - Anti-Ceauşescu-Flugblätter
in die Briefkästen seiner Bukarester Landsleute steckte und zum offenen Protest
gegen die Diktatur aufrief, wurde er dafür kurz darauf zu einer zehnjährigen
Haftstrafe verurteilt. Die Diktatur wehrte sich nun immer massiver und ließ
radikal durchgreifen. Jede auch noch so kleine oppositionelle Bewegung war mit
drakonischen Maßnahmen zu stoppen. Der Befehl dazu, der in unserem etwas
delikateren Fall noch die Empfehlung von Samthandschuhen nahe legte, kam vermutlich
von ganz oben.
Im
Jahr 1983, also zu einem Zeitpunkt, als das Regime in Bukarest sich bereits
gegen die in Genf auf den Weg gebrachte Klage öffentlich zur Wehr setzen musste,
gründete der Fernsehtechniker Dumitru
Iuga zusammen mit sechs weiteren Jugendlichen die Organisation Bewegung für Freiheit und soziale
Gerechtigkeit. Im Verhältnis zur Freien
Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLMOR, die in weiten Teilen des Landes
Verbreitung fand, war diese Bewegung für Freiheit
sicher nur eine kleine Gruppierung. Das Regime jedoch ahndete dieses erneute
Aufbegehren gleich mit dem zwanzigfachen unseres Strafmaßes, nämlich mit zehn
Jahren Haft.
Jeder
Widerstand musste um jeden Preis vermieden werden. Die Repression verschärfte
sich zunehmend. Während einzelne regimekritische Intellektuelle das Land für
immer verlassen mussten und Kunstschaffende wie Doina Cornea, Ana Blandiana und
Mircea Dinescu mundtot gemacht wurden, griff der Protest allmählich auf die
breite Arbeiterschaft über.
Im
Jahr 1987 kam es anlässlich einer Lokalwahl zu einer großen Arbeiterkundgebung
in dem Kronstädter Werk Steagul Rosu.
Bevor viele Dutzend Arbeiter verhaftet und die Rebellion niedergeschlagen
wurde, war es zu verheerenden Übergriffen auf Einrichtungen der Partei gekommen
- als Spontanreaktion der jahrelang Hungernden und Darbenden und inzwischen zu
Lumpenproletariern reduzierten Menschen. Was daraufhin folgte, konnte selbst im
Westen nicht mehr ignoriert werden: die Revolution von Temeschburg, die
den Anfang vom Ende der Diktatur einleitete.
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Dettelbach 2008, 418 Seiten
Weitere Bilder aus Bukarest:
Mihai Eminescu - poeta laureatus
Namen der Gefallenen - beim Sturz des Diktators Ceausescu
Foto: Michael Blümel
Antikommunistischer Bürgerrechtler Carl Gibson vor dem ehemaligen
Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei
Ienei-Kirche
Blick in eine orthodoxe Kirche in Bukarest
Blick auf das Athenäum vom Königsschloss aus
Blick auf ein kapitalistisches Bauwerk
Die alte Ienei-Kirche
In der Ienei-Kirche
Ienei-Kirche
Foto: Michael Blümel
Zwei Exilierte
Ein Parteigebäude im Diplomatenviertel
Casa Gorjara - ein rumänisches Spezialitätenrestaurant
mit traditionellem Ambiente
Wasserspiel
Die rumänische Trikolore
CEC-Gebäude (Bank)
Das städtische Krankenhaus in Bukarest
an der Dimbovita
Bibliotheksneubau
Mein Bericht in der "Siebenbürgischen Zeitung" nach dem Einblick in meine Securitate-Opfer Akte
Technologischer Fortschritt
Strom-, Telefon- und Internetleitungen
Kabelsalat
Foto: Michael Blümel
Gesicherte Baustelle.
Im Mittelalter warf man Leute ins Loch,
heute fallen sie selbst hinein.
Der ehemalige Königspalast - heute Kunstgalerie
Flohmarkt - hier findet man auch die Publikationen jener Schriftsteller deutscher Zunge,
die angeblich im Kommunismus verfolgt wurden.
Blick von Hotelzimmer aus auf eine sich wandelnde Architektur weg vom sozialistischen Einheits-Plattenbau hin zum Individuellen.
Fotos: Carl Gibson
Mehr zum Thema Kommunismus hier:
Carl Gibsons neues Buch
zur kommunistischen Diktatur in Rumänien -
über individuellen Widerstand in einem totalitären System.
Allein in der Revolte -
im Februar 2013 erschienen.
Das Oeuvre ist nunmehr komplett.
Alle Rechte für das Gesamtwerk liegen bei Carl Gibson.
Eine Neuauflage des Gesamtwerks wird angestrebt.
Carl Gibson
Buchrückseite
Pressefotos von Carl Gibson:
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel
©Carl Gibson. Alle Rechte vorbehalten.
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