Bundesdeutschen
„Intellektuellen“ oder „Journalisten“, die quasi über Nacht mit Fragen
der deutschen Minderheit in Rumänien konfrontiert werden, fällt es oft
schwer, die beiden - historisch wie religiös grundverschiedenen - Kulturregionen
auseinanderzuhalten. Nicht anders, als ob man Berlin aus reiner
Unwissenheit heraus in Bayern ansiedeln würde und München auf der Insel
Rügen, so wurde die Stadt meiner Geburt, Temeschburg, nach Siebenbürgen verlegt.
Zu diesen und vielen anderen Ungereimtheiten vgl. meine Abhandlung: „Wie
man mit einem Monster-Artikel seine Gegner erschlägt – Zur
psychologischen Wirkung eines Presseberichts, der primär über Titel und
Untertitel wahrgenommen wird“, in „Die Zeit der Chamäleons“ – „Was Desinformation gepaart mit oberflächlichem, ja lumpigen Journalismus anrichten können, ist einem weiteren Beitrag zu entnehmen, der am gleichen Tag (9. Oktober 2009) in der „Berliner Zeitung“ erschien, einen Beitrag aus der Feder des Kritikers Dirk Pilz, den man mir umgehend im Internet in der SbZ vor die Nase rieb, um meine Autorität zu zerstören und mich öffentlich zu diffamieren. Da eine Kommentarmöglichkeit bei der „Berliner Zeitung“- Online nicht vorgesehen war, konnte ich seinerzeit - obwohl
unmittelbar betroffen - nichts auf die indirekt vorgetragenen
Anschuldigungen erwidern, nicht abklären, nichts richtigstellen - und auch sonst hatte ich keine Möglichkeit, mich gegen ähnlich gelagerte Vorwürfen wie oben zur Wehr zu setzen. Um
die Eine, über die gerade in Stockholm auch die Bundesrepublik
Deutschland geehrt worden war, in den Himmel zu heben, musste ihr
heftigster Widersacher natürlich an den Pranger gestellt und somit in
die gleiche Ecke verfrachtet werden, wo die dämonisierte Securitate
bereits angekommen war.
In dem Bericht, der also eindeutig für Nobelpreisträgerin Herta Müller Partei ergreift, ohne überhaupt einschätzen zu können, was der antikommunistische Bürgerrechtler aus dem Ceaușescu-Gefängnis, dieser Carl Gibson substanziell zur Materie zu sagen hat, heißt es zur Erschütterung des Lesers: „Noch
erschütternder ist er, wenn man Carl Gibsons 2008 erschienenes Buch
„Symphonie der Freiheit“ über die erste größere freie
Gewerkschaftsbewegung in Rumänien gelesen hat – in ihm beschuldigt der
gleichfalls in Siebenbürgen geborene Schriftsteller Herta Müller, sie
habe durch ihre „von Hass motivierten Werke“, vor allem durch
„Niederungen“, indirekt die Regierungspartei Ceaușescus unterstützt.
Es
ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, unglaublicher noch als die Vorwürfe
einiger Mitglieder der konservativen Landsmannschaft der Banater
Schwaben, sie schreibe im Auftrag der Kommunistischen Partei Rumäniens.“
Der Kritiker Dirk Pilz zitiert mich zwar richtig, nur wertet er deplatziert, einfach deshalb, weil
er weder die diffizile Securitate- und Oppositions-Materie, noch die
geschichtlichen, ethnischen, geographischen, politischen und sozialen
Hintergründe in Rumänien, im Banat und in Siebenbürgen kennt.
Er vermischt Kraut und Rüben, Äpfel und Birnen, Stroh und Heu - und macht dabei den Bock zum Gärtner, weil er es nicht besser weiß, vor allem aber weil er nicht gründlich recherchierte und unsauber gearbeitet hatte. Wenn er sich nicht dort bediente hätte, wo es am schnellsten geht, nämlich auf Wikipedia, namentlich – in dem noch nicht retuschierten und der Nobelpreisehrung adäquat angepasster Wikipedia- Porträt Herta Müllers, wenn er gar meinen Wälzer, der
zu den Büchern gehört, die geworfen tödlich wirken, wie mein – leider
allzu früh verstorbener akademischer Lehrer und Freund zu sagen pflegte, tatsächlich in den Händen gehabt hätte, dann wäre diesem Geist auch aufgefallen, dass die „Symphonie der Freiheit“ nicht das fiktionale
Werk eines „Belletristen“, eines Schöngeistes, der harte Eier, Tritte
ins Kreuz, Fahrten ins Nichts, Bahnhöfe in den Wolken,
Wolkenkuckucksheime, apathische, feige Rumänen, böse Monster anders mehr
„erfindet“, was bei Herta Müller zuhauf vorliegt, sondern dass ein
Akteur aus dem antikommunistischen Widerstand sein Zeugnis ablegt, eben sein Testimonium authenticum! Nicht der „Schriftsteller“ agiert primär in meinem Werk, sondern der
Chronist seiner Zeit, als Phänomene und Ereignisse Zeit
wissenschaftlich und realistisch beschreibt – im krassen Gegensatz zu
den reinen Fiktionen Herta Müllers, die ausschließlich Kopfgeburten und
Emanationen einer eigenwilligen, grenzwertigen Phantasie sind.
Auch bin ich nicht in „Siebenbürgen“ oder Transsylvanien geboren - Herta Müller übrigens auch nicht, sondern ich bin in Temeschburg im Banat zur Welt gekommen. Ein Journalist, der kein „Oberleichthindrüberhuscher“ sein will, wie Lenau einen Teil der Rezensenten-Kaste treffend bezeichnet, sollte wissen, dass das von Prinz Eugen der Türkenhand entrissene „Temesvar“ heute als „Timisoara“ immerhin die zweitgrößte rumänische Stadt ist, hunderte Kilometer entfernt von den siebenbürgischen Geisteszentren Hermannstadt (Sibiu) und Kronstadt (Brasov). Es ist der Ort, wo Herta Müller mehr als zwanzig Jahre vor ihrer Offenbarung in der ZEIT, angeblich unter Zwang acht hartgekochte Eier essen und einige Tritte ins Kreuz erleben musste!
Die
Welt wird dieses wirkungsreiche Ereignis noch zu würdigen wissen,
insofern es mit der Nobelpreisvergabe nicht antizipiert wurde! Ein Journalist, der – höchstwahrscheinlich für wenig Geld - für die „Berliner Zeitung“- über eine Nobelpreisträgerin schreibt, der sollte so viel Sachverstand und Wissen mitbringen, dass er die - in dem ZEIT-Lügen Artikel von Herta Müllers arg, ja volksverhetzend beschimpften - Banater Schwaben von den - vor 800 Jahren im Karpatenbecken angesiedelten -Siebenbürger Sachsen unterscheiden kann.
Genauso
wie ein Altbayer kein Franke ist, kein Schwabe ein Hesse, kein Berliner
ein Hamburger oder Wiener – und keine Münchner Weißwurst ein Pfälzer
Saumagen, so sind auch die von Kaiserin Maria Theresia vor mehr als 200
Jahren im ungarischen Banat angesiedelten Banater Schwaben nicht identisch mit den Siebenbürger Sachsen, obwohl alle völkisch wie kulturell „Deutsche“ sind.“
Zum Gespräch mit dem Tübinger Literaturwissenschaftler Horst Fassel über seine angeblichen „Securitate-“Kontakte. („Ich bin nicht Filip“, am 12. Juli) „So genannte Beweise. „Audiatur et altera pars – und: In dubio pro reo! Das
sind bewährte Rechtsgrundsätze seit der antiken Kultur und
Zivilisation. Und heute: Zweierlei Maß? Alle Dokumente der ehemaligen
„Securitate“ stammen von der rumänischen Gauck-Behörde „CNSAS“. Alle
diese Dokumente belasten angeblich bis zu einem gewissen Grad die
Autoren Peter Grosz, Franz Thomas Schleich, Werner Söllner und – so
wollen es Herta Müller und Richard Wagner – auch H. Fassel? Doch sind die CNSAS-„Securitate“ Dokumente in der Tat „authentisch“? Wer sagt es uns? Wer hat sie überprüft? Wenn
es um Herta Müllers Akte „Cristina“ geht, die sie nach ihrer eigenen
Aussage als Kommunistin und „Securitate“-Agentin ausweist, dann sind
diese CNSAS-Unterlagen „entkernt“, gefälscht, manipuliert, – wenn es um
andere Fälle geht, dann sind sie echt?! Sonderbare Logik! Ich
finde es gut, dass Horst Fassel sich nun auch formaljuristisch wehrt,
denn nur in einem ordentlichen Gerichtsverfahren in Sachen „Verleumdung“
kann endgültig geklärt werden, was diese so genannten Beweise wirklich
wert sind. Es kann nicht sein, dass H. Müller und Ex-KP-Mitglied
R. Wagner immer nur denunzieren, anklagen, sich als die Guten und
Gerechten im Recht meinen, während die andere Seite nicht gehört wird. Tatsächliche Opfer der „Securitate“ müssen gehört werden, die Dissidenten des Widerstands aus den Zellen. Lyriker und Essayist (. . .) Carl Gibson, Bad Mergentheim.“
Die
Banater Schwaben haben sich mehrfach gegen Anfeindungen aus dem linken
Lager gewehrt, aber sie sind nicht gehört worden. Die Stimme eine ganz
kleinen Blattes, das kaum einige Tausend Vertriebene erreicht, ist von
den auflagenstarken Medien – nicht nur aus Hamburg – übertönt worden. So
wurde das „Un-Phänomen“, das „Negativ-Phänomen“ Herta Müller überhaupt
erst möglich!
Zur Antwort Horst Fassels: Fassel schreibt in der „Banater Post“ vom 05.April 1987: Eine „Transsylvanische Reise“ ins Banat. Das Banat-Bild bei Rolf Michaelis in der „Zeit“.
„1.)Behauptung: Die Landsmannschaft der Banater Schwaben und die rumänische Sicherheitspolizei (Securitatea) seien beide repressive Organe. Herta Müller und Richard Wagner wurden von der Securitate und von der Landsmannschaft verfolgt und bedroht. Antwort: Die
Securitatea ist der verlängerte Arm eines repressiven Regimes, dessen
wahres Gesicht seit kurzem nun auch von den deutschen Medien entdeckt
wird, nachdem diese seit den späten sechziger Jahren konsequent den
"eigenwilligen" Kurs von Nicolae Ceaușescu hochgejubelt hatten. Die
Landsmannschaft der Banater Schwaben, gegründet im Jahre 1950, hat sich
drei Ziele gesetzt: den Banater Schwaben die Eingliederung in
Deutschland zu erleichtern, die deutschen Kulturleistungen im Banat zu
erforschen und in Dokumentationen festzuhalten, den im Banat lebenden
Deutschen Hilfe zukommen zu lassen, bzw. denjenigen, die ausreisen
wollen, im Rahmen der Möglichkeiten beizustehen. Das ist nachzulesen in
der Satzung der Landsmannschaft, die am 20. August 1986 in der "Banater
Post" publiziert wurde (Abschnitt I, § 2). Diese Zielsetzung enthält
keine Spitze gegen Andersdenkende, die sich außerhalb dieses
eingeschriebenen Vereins aller Freiheiten des deutschen Rechtsstaates
erfreuen können. Es gibt keine von der Landsmannschaft der Banater
Schwaben in die Wege geleiteten Aktionen gegen Herta Müller und gegen
Richard Wagner. Wenn diese tatsächlich Drohbriefe erhalten haben, so
sind diese sicher nicht von der Landsmannschaft veranlaßt worden,
vielmehr könnte ein repressives Organ wie die rumänische Securitate dahinterstecken. Es kann sich freilich auch um Einzelpersonen handeln, die möglicherweise Banater sind und für deren Willkürakte kein Verein der Welt, auch nicht die Landsmannschaft der Banater Schwaben, eine Verantwortung übernehmen will und kann.
2. Behauptung: Die
Landsmannschaft der Banater Schwaben sei ein Verein von Revanchisten,
von "Unverbesserlichen". Das paßt sowohl in die deutsche
Medienlandschaft, wo Landsmannschaften jeglicher Couleur in den gleichen
Extremistentopf gesteckt werden, als auch ins Arsenal der Propaganda in
den Ostblockstaaten, wo alle Emigranten - vor allem wenn sie als
Organisation zu fassen sind – als Rechtsextremisten und Faschisten
verteufelt werden.
Antwort: Die
Landsmannschaften der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen
haben nie territorielle Ansprüche erhoben, wie etwa die Landsmannschaft
der Schlesier, der West- und Ostpreußen usw. Sowohl den Banater Schwaben
als auch den Siebenbürger Sachsen ging es darum, das Leben ihrer in
Rumänien verbliebenen Landsleute nach Möglichkeit erträglicher zu machen
bzw. Ausreisewillige dabei zu unterstützen, sich kultureller,
politischer wie nationaler Diskriminierung zu entziehen. Unter den
Deutschen Rumäniens hat es ebenso Faschisten gegeben wie unter den
Rumänen und Ungarn des Landes, wie in Deutschland, in Italien und
anderen der heutigen europäischen Demokratien. Eine Reihe von
Funktionären der Deutschen Volksgruppe hat sich nach dem Zweiten
Weltkrieg in die heutige Bundesrepublik Deutschland abgesetzt. Auch in
den Landsmannschaften der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen
wurden solche ehemalige Nationalsozialisten anfangs tätig. Trotzdem
haben diese Landsmannschaften zum sozialistischen Rumänien immer gute
Beziehungen angestrebt, um den Rumänien-Deutschen zu helfen. Auch sind
Zeichen der Toleranz schon früh gesetzt worden: Die Landsmannschaft der
Banater Schwaben setzte es durch, daß Dichter und Wissenschaftler aus
Rumänien den Donauschwäbischen Kulturpreis und .andere Anerkennungen in
Deutschland erhielten (Franz Liebhard, Johann Wolf, Hans Kehrer). was
wichtiger ist: längst gibt es in keinem der Führungsgremien der
Landsmannschaften der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen
"Unverbesserliche". In der schon genannten Satzung der Landsmannschaft
der Banater Schwaben ist zu lesen, daß diese "die Beziehungen ihrer
Mitglieder zur alten und zur neuen Heimat fördert", daß sie "zur
Vertiefung der Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland beiträgt".
Im Herbst 1986 war es eine der ersten Amtshandlungen des neuen
Bundesvorsitzenden Jakob Laub, ein Gespräch mit dem rumänischen
Botschafter in Bonn anzustreben, bei welchem sowohl Möglichkeiten der
humanitären Erleichterungen für die Banater Schwaben in Rumänien als
auch Wege für eine kulturelle Zusammenarbeit der Landsmannschaft mit
rumänischen Kulturinstitutionen erörtert wurden. Im Dezember 1986 stand
die Kulturtagung der Landsmannschaft der Banater Schwaben in
Sindelfingen im Zeichen der Auseinandersetzung zwischen den 1945
ausgesiedelten Banater Schwaben und denjenigen, die in den letzten
beiden Jahrzehnten ausreisen durften. Seit die Regierung Schmidt es sich
1977 in Bukarest bestätigen ließ, daß aus Rumänien jährlich mindestens
11-12000 Deutsche, ausreisen dürfen, hat sich die Zahl dieser
Spätaussiedler merklich erhöht. Die 70-80000 Banater Schwaben, die
seither in die Bundesrepublik Deutschland kamen, spielen auch in den
Führungsgremien der Landsmannschaft der Banater Schwaben und im Verein
selbst eine wichtige Rolle. Diesen 70-80000 Banater Deutschen
faschistoides Verhalten anzudichten, wäre Zynismus. Sie alle sind Opfer
der Auswirkungen, der Katastrophen, die das Dritte Reich veranlaßt hat.
Sie haben Deportationen, Kerkerstrafen, Verfolgungen,
Zwangsevakuierungen erduldet, haben die systematische Zerstörung von
Familien und Gruppen hinnehmen müssen. Es ist richtig, wenn man auf die Schuldigen und Mitschuldigen in den eigenen Reihen verweist. Es
ist aber Verhöhnung der Tatsachen und grenzt an Sadismus, wenn man die
Deutschen Rumäniens insgesamt zu Extremisten und Bösewichten stempelt. Immerhin fanden in Rumänien sehr viele im Dritten Reich Verfolgte Zuflucht. Bis 1945 konnten z. B. die deutschen Exilautoren in Rumänien mehr publizieren als in anderen Asylländern. Im
Banat war die Temeswarer "Neue Zeitung" von 1933-1940 (also auch
während der Zeit der Königsdiktatur) ein engagiert antifaschistisches
Blatt. Im Banater Bergland gab es bekanntlich erheblichen Widerstand
gegen jegliche NS-Gleichschaltung. Die katholische Kirche wurde zum
Sammelplatz für alle, die nicht mitmarschieren wollten. Man kann alle diese Fakten wissentlich übersehen. Man kann die absurde Behauptung aufstellen, banater-schwäbische Trachtenzüge seien Ausdrucksformen des Faschismus. Dann wäre die ganze Welt, die Folklore pflegt, ein Reich der Brutalität und Willkür, der Trachtenaufzug auf dem Münchner Oktoberfest mit Trachtenträgern aus fünfzig Ländern eine faschistische Veranstaltung. Man
darf auch die Opfer als Täter darstellen. Aber dann ist es nicht mehr
statthaft, von objektiver Erkenntnis und adäquater
Wirklichkeitserfassung zu sprechen.
3. Behauptung: Herta
Müller und Richard Wagner sei vorgeworfen worden, daß sie im Auftrag
"der Bukarester ZK-Propaganda-Abteilung und anderer Departements
agieren". Das stand 1984 in der "Banater Post", die sich "nicht schämte,
von „Schädigung der Auslandsdeutschen im Mutterland“ zu faseln".
Antwort: Die zitierte Rezension stammte von Helmut Schneider, der in Rumänien-Verfolgung und Haft über sich ergehen lassen mußte und
der- ähnlich wie andere Banater - von denen in der "Zeit" zu lesen ist,
daß sie "sich gegen alles Neue ängstlich verschließen" -
Unterstellungen nicht hinnehmen will. Helmut Schneider verschließt
sich dem Neuen nicht. Auch andere, die sich im Banat zur Erzählung
"Schwäbisches Bad" von Herta Müller geäußert hatten, sind keine
notorisch Gestrigen. Die Vorwürfe, die gegen Herta Müller und Richard
Wagner erhoben werden, sind so "neu" nicht, wie Sie, Herr
Michaelis, vielleicht vermuten. In den späten Vierzigern ging man in
Rumänien dazu über, die zunächst offen bekundeten Ausrottungsgedanken
mit Bezug auf die Rumänien-Deutschen aus taktischen Gründen durch
raffiniertere Methoden zu ersetzen. Rumänien mußte – um nicht noch
einmal durch einen Schiedsspruch das stark ungarisch durchsetzte
Nordsiebenbürgen einzubüßen – Nationalitätenpolitik "a la russe"
betreiben. Die nationalen ("mitwohnenden") Minderheiten erhielten eigene
Schulen, eigene Kulturinstitutionen, eine eigene Presse, die von
Bukarest aus zentral bemuttert wurden. Durch ideologische
Indoktrination und gezielte Diffamierungen sollten die nationalen
Minderheiten einander selbst zerfleischen und die von Bukarest
angestrebte Assimilation durch das Staatsvolk erleichtern. Die
deutschen Kulturideologen im Dienste Bukarests hatten zunächst gegen
die angebliche "deutsche Einheit", gegen das Zusammengehörigkeitsgefühl
der deutschen Minderheitengruppen in Rumänien aufzutreten. Zugleich war die vorgebliche Schuld der Rumänien-Deutschen am Krieg (obwohl Hitler und Antonescu diktatorisch über die Schicksale dieser Rumänien-Deutschen verfügten) zu belegen.
Die potentielle Neigung der Rumänien-Deutschen zu reaktionärem
Verhalten war auch durch deren Bindung an Familienmitglieder im
westlichen Ausland bloßzulegen. Noch 1982 erschien ein Roman, "Unsere
lieben Anverwandten", der die Kriegshetzer rumäniendeutscher Provenienz,
die nach 1945 in West-Deutschland lebten, anprangerte usw. Das waren
die Voraussetzungen, die es in den sechziger Jahren den Autoren der
"Aktionsgruppe" schwer machten, ihre kritischen Positionen als nicht
konform mit der Staats-Propaganda zu präsentieren. Denn - ein Dilemma
der Schriftsteller in sämtlichen Ostblockstaaten - alle "Aktionsmitglieder" veröffentlichten ausschließlich in den staatlich subventionierten und kontrollierten Periodika. Deren erste Aufgabe war und ist es, Propaganda für
ein Regime zu betreiben, das eigentlich schon seit den fünfziger Jahren
wegen seiner stalinistisch-repressiven Maßnahmen unpopulär war. Dabei
war die Spitze gegen die nationalen Minderheiten im Land immer klar zu
erkennen. Die Kritik an diversen Mißständen im Staat hielt sich seitens
der Autoren meist in den geduldeten Grenzen, Wie hätte man da die
Wortführer der sogenannten " Gruppe" nicht als Exponenten des
Zwangs-Regimes betrachten sollen? Und die Diskriminierungen und
Verfolgungen: wer war ihnen nicht ausgesetzt? Wurden die Nonkonformen
der fünfziger Jahre - die es nach Ihrer Meinung, Herr Michaelis, nicht
gegeben hat – weniger verfolgt? 1959 fand in Rumänien ein Prozeß gegen
aufmüpfige Schriftsteller der Rumänien-Deutschen statt. Die Haftstrafen
überschreiten bei weitem das Maß dessen, was heute über Terroristen in
der freien Welt verhängt wird. Aber als Hans Bergel, als Andreas
Birkner, als Wolf von Aichelburg, zu 20-25 Jahren schweren Kerkers
verurteilt, in die Bundesrepublik Deutschland kamen, waren sie den
Medien unbequem, weil sie das Bild des "liberalen Rumänien", das in den
bundesdeutschen Medien damals gepflegt wurde, getrübt hätten. Auch heute
schweigt man über sie und über die Banater Intellektuellen (Dr.
Weresch, N. Schmidt, usw.), die, wie viele andere siebenbürgische und
Banater Autoren der fünfziger Jahre, ebenfalls 1959 in einem
Monsterprozeß verurteilt wurden. Ist das nicht ungleich brutaler gewesen
als alle Belästigungen, denen sich die "Aktionsgruppe" je ausgesetzt
sah? Warum berichtete die französische, englische, italienische Presse
über den Schriftstellerprozeß 1959, nicht aber die bundesdeutsche? Ihre
Informationslücken sind beachtlich, Herr Michaelis. Wer in der
Öffentlichkeit steht oder stand, muß, auch die Folgen tragen, die sich
aus seiner einmal bezogenen Position ergeben. Für die Leser
einer Zeitung oder einer Zeitschrift in Rumänien war jeder, der sich der
herrschenden Ideologie genähert hatte, verdächtig. Wenn er dann noch –
oft unberechtigte - Angriffe auf Nicht-Literaten, - die sich nicht
wehren können - startete, sind auch deren aggressive Reaktionen durchaus
zu erwarten. Wenn Richard Wagner 1973 den Literaturpreis des ZK des
Verbandes der Kommunistischen Jugend nicht ausschlug, wenn er 1981 den
Preis des Landesrates der kommunistischen Pionierorganisation ebenso
entgegennahm wie Herta Müller 1982 den Preis des ZK des Verbandes der
Kommunistischen Jugend, dann kann das von Außenstehenden als Zeichen
einer Zugehörigkeit ins "andere Lager" gesehen werden. Und was das andere "Lager" den Rumänien-Deutschen angetan hat, kann leicht dokumentiert werden.
4. Behauptung: Die Kritik an Herta Müller und Richard Wagner sei - da sie von Nicht-Fachleuten stamme - irrelevant.
Antwort: Das stimmt. Doch
haben weder Herta Müller noch Richard Wagner je behauptet, daß sie ihre
literarische Fiktion nach immanent literarischen Gesetzen schufen, daß
sie nicht ein adäquates Abbild der Wirklichkeit im Banat geben wollen,
sondern ausschließlich eine subjektive Vision konzipieren. Solange
die literarischen Werke der beiden Autoren den Anspruch erheben, eine
individuelle Deutung der Wirklichkeit und der Entwurf einer Ich-Welt zu
sein, kann und soll man ihr Werk wann immer vor dem Zugriff der
Nicht-Literaten verteidigen. Weil jedoch sowohl Herta Müller als auch
Richard Wagner für sich beanspruchen, die Banater Wirklichkeit entdeckt
zu haben und quasi einen Allein-Vertretungs-Anspruch erheben, kann und
muß um der Tatsachen willen vieles von dem, was in ihren Schriften
anzutreffen ist, auf seinen Wahrheitsgehalt hinterfragt werden. Es gab in Rumänien durchaus viele empörte Leserbriefe an Redaktionen als
Reaktion auf die literarisch ausgezeichnete Parabel der Herta Müller
von der Fruchtlosigkeit des Beharrens im eigenen, kleinen Dunstkreis - weil
jedoch die Presse im Ostblockland Rumänien in keiner Weise auf die
Wünsche der Leser eingeht, konnte Herta Müller weiterhin unkritisiert
publizieren: die Leser mußten sich damit abfinden. Und Autoren der "Aktionsgruppe" haben bis kurz vor ihrer Ausreise publizieren können (Rolf
Bossert veröffentlichte im Oktober 1985 - er kam im Dezember nach
Frankfurt - noch in der "Neuen Literatur", unter dem Pseudonym B. Rolf,
aber das war leicht zu entschlüsseln). Und in der "Neuen Banater
Zeitung", die Nikolaus Berwanger leitete (er war ebenso wenig wie
Fraunhofer und Samson Mitglied der "Aktionsgruppe"), erschienen
neben den Texten von Herta Müller, Richard Wagner und Rolf Bossert auch
Diffamierungen ausgereister Banater Schwaben, "Enthüllungen" über die
westdeutschen Analphabeten, über den ausufernden Faschismus in Bonn usw. So
wurde Literatur immer in einen nicht-literarischen Rahmen gerückt. Ein
Ausklammern der Meinung von ästhetisch nicht Gebildeten, von
"Nicht-Kennern" war und bleibt daher schwierig. Auch in der "Banater
Post" und im "Donauschwaben" ergriffen Nicht-literaten das Wort. Und
eines muß man ihnen doch zugestehen: Sie können es schwer begreifen, weshalb
auch in' Deutschland ein Bild des Banates und seiner Deutschen
popularisiert werden muß, das nur sehr bedingt mit der
gesellschaftlichen und historischen Wirklichkeit zu tun hat. Wenn
die Banater Schwaben nur Faschisten, Alkoholiker, seelisch und geistig
Pervertierte wären, dann wären sie im Laufe von fast 300 (nicht 200)
Jahren einige Male untergegangen. Dasselbe gilt für die Siebenbürger
Sachsen. Und so zu tun, als ob in diesen beiden Landschaften ein kultur- und geschichtsloses Häufchen im besten Fall Bedauern und Mitleid für sich beanspruchen dürfe: das bedeutet die totale Mißachtung von Tatsachen und Leistungen. Man muß nicht einem prophetisch-provinziellen Pathos huldigen, um die "Glaubwürdigkeit" solcher Darstellungen anzuzweifeln. Realität
und Fiktion zu unterscheiden liegt allerdings weder in der Absicht der
beiden Autoren noch der bundesdeutschen Kritik, F. C. Delius mag genaue
Kenntnisse in Sachen Literatur haben. Dessen ungeachtet stuft er in
seiner Rezension der "Niederungen" von Herta Müller - wie Helmut
Schneider, wie alle die Nicht-Literaten aus dem Banat – dieses Buch als
Spiegelbild der Banater Welt ein, die ja nun endlich sehen kann, wie
mies sie ist! Sehr geehrter Herr Michaelis, Sie waren schockiert, als Sie die Dracula-Vision in Temeswar erlebten, die Sie zum Titel "Transsylvanische Reise" greifen ließ, obwohl das Banat weit weg von Transsylvanien liegt. Sie haben wahrscheinlich auch vieles für bare Münze genommen, was man Ihnen erzählt hat. Zum
Beispiel, daß der Verwandte der Dame vom Hotel, der Sie zur gewünschten
Adresse brachte, ein Zivilist gewesen sei. Sie sind wohl davon
überzeugt, daß Rumänien erst seit 1945 eine "erste demokratische
Regierung" bekam, obwohl das Land seit 1881 eine konstitutionelle
Monarchie war, die erst in den Jahren 1938-1944 von einer Königs- bzw.
einer Militärdiktatur geknebelt wurde. Und Sie meinen
auch, daß nur der Familien-Clan von Ceaușescu die Mißstände
hervorgerufen hat, die Sie als Augenzeuge miterlebt haben. Deshalb
bejahen Sie auch den Allein-Vertretungs-Anspruch der beiden Autoren, die angeblich als einzige zu leiden hatten und denen schlimmer mitgespielt wurde als anderen,
was eine geradezu unerhörte Verdrehung der Tatsachen ist. Und Sie sind
auch der festen Überzeugung, daß die Banater in all den Jahren nichts
dazugelernt haben. Deshalb "schämt sich" die "Banater Post" auch nicht, deshalb "haben die West-Banater (!) kein Recht, sich ein Urteil anzumaßen, schon gar kein literarisches".
Weil Sie aber auch sagen: "Wo nichts stimmt, stört die läppische
Differenz von 96000 Seelen auch nicht mehr", kann ich Ihnen antworten: Wo vieles in Ihrer Darstellung nicht stimmt, weil sie sich auf eine einseitige Information stützt, spielt es auch keine Rolle mehr, wenn eine kleine Minderheitengruppe - und das waren die Banater Schwaben
und die Siebenbürger Sachsen in Rumänien und das sind sie, bis zur
endgültigen Eingliederung, auch in Deutschland - nicht gehört werden
darf, bzw. wenn man sich in Vexier-Bildern über sie lustig macht. Ist
das Demokratie? Ist das Respekt vor Menschen? Ich wiederhole, was ich anfangs gesagt habe: Herta
Müller und Richard Wagner sind uns als Landsleute willkommen, als
Autoren nicht minder! Doch sollten sie nicht meinen, die Kritik sei
ausschließlich ihr Vorrecht, die Landsleute seien nur dazu da, als
Marionetten literarisch karikiert und als Menschen nie und nimmer ernst
genommen zu werden. Man sollte die Mühe nie scheuen, außer
dem eigenen Ich auch die Gemeinschaft zu sehen, aus der man ob es einem
paßt oder nicht - stammt, und an die man - unverschuldet – gebunden
ist. Ich
weiß, daß weder Herta Müller noch Richard Wagner auf die "Banater Post"
oder auf die Landsmannschaft zukommen werden. Das hat nichts damit zu
tun, daß hier "Faschisten" oder bornierte "Unverbesserliche" am Werk
sind: "Die Zeit" zahlt eben gute Honorare, die "Banater Post" hingegen
ist auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen. Trotzdem wünschen' wir Herta Müller und
Richard Wagner und auch der Wochenschrift "Die Zeit", daß sie nicht nur
auf vielen Seiten ein Publikum überraschen sollen, sondern daß sie auch
viel-seitig und damit verständnisvoll Zusammenhänge erforschen mögen,
bevor sie kategorische, apodiktische und scheinbar unumstößliche Urteile
fällen. Mit den besten Grüßen Dr. Horst Fassel.
Sehr geehrter Herr Michaelis, Freiburg, 24. März 1987, es ist zu begrüßen, daß Sie in der Wochenschrift "Die Zeit" (20. März 1987) über die
Banater Schriftsteller Herta Müller und Richard Wagner schreiben, weil
dadurch gleichzeitig die allgemeine Not in Rumänien angesprochen wird.
Ich kann Ihnen im Namen des Bundesvorstands der Landsmannschaft der
Banater Schwaben und in meinem eigenen versichern, daß wir auch
im Falle von Herta Müller und Richard Wagner froh sind, daß Landsleute
die Freiheit erlangen durften, die sie anstrebten. Die Freude an
der Ankunft der beiden wird bei meinen Banater Landsleuten und bei mir
lediglich dadurch getrübt, daß Herta Müller und Richard Wagner von
Anfang an ungerechtftertigte Angriffe auf die Banater Schwaben in
Deutschland und auf deren Landsmannschaft starteten. Weil beide auf die Unterstützung der deutschen Medien rechnen können, werden Unwahrheiten verbreitet, an denen auch Ihnen, Herr Michaelis, nicht gelegen sein kann. Im Folgenden teile ich Ihnen die Richtigstellungen mit und bitte Sie, sowohl Herta Müller als auch Richard Wagner zu sagen, daß kein Mitglied der Landsmannschaft der Banater Schwaben etwas gegen sie hat, wenn sich beide - ebenso wie wir alle - für die Belange unserer armen, im totalitären Rumänien gequälten Banater Landsleute einsetzen. Mit freundlichen Grüßen Horst Fassel.“
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