Donnerstag, 29. Dezember 2022

    Der Pictor und andere Kapitel aus der Geschichte der Gemeinde Sackelhausen, Sacalaz, im Banat, beschrieben von Carl Gibson in „Allein in der Revolte, 2013,

 

 

Der Pictor und andere Kapitel aus der Geschichte der Gemeinde Sackelhausen, Sacalaz, im Banat, beschrieben von Carl Gibson in „Allein in der Revolte, 2013,

Da das Erscheinen des Buches (- das ist der zweite Band der „Symphonie der Freiheit“, 2008) durch den Verleger um 5 Jahre verzögert wurde und erst nach juristischer Intervention erschien, das Buch, aus dem Herta Müller abgeschrieben hat, publizierte ich weite Teile des Werkes online, auf meinem US-Blog.

Die Bücher zur Geschichte Rumäniens sind in Rumänien wenig verbreitet – und da dort kaum noch einer deutsch lesen kann, wurden sie auch nicht angemessen rezipiert.

Das Wikipedia-Porträt von „Sackelhausen“, das heute unter „Sacalaz“ existiert,

https://de.wikipedia.org/wiki/S%C4%83c%C4%83laz

habe ich vor vielen Jahren hier in Deutschland angelegt!

und meine Homepage

www.gibsonpr.de

habe ich in dieser Form viele Jahre aufrecht erhalten und bezahlt, damit die „deutsche Identität“ ein historisches Gesicht hat und jeder erfahren kann, wie die Deutschen im Banat lebten – quasi als bewussten und gezielten „Gegenentwurf“ zu den pseudo-literarischen Zerrbildern Herta Müllers, die – über kommunistischen Helfer von hier und dort – aus dem „Banat“ eine „Hölle auf Erden“ gemacht hat.

Dazu sowie zu den Plagiaten liegen weitere Bücher aus meiner Feder vor – die gesamte Materie ist noch nicht aufgearbeitet.

 

https://carlgibsongermany.wordpress.com/2011/01/20/pictor-der-gezeichnete-vom-frei-gewahlten-anderssein/

Charaktere tummelten sich viele vor unserer Haustür. Das enigmatischste und faszinierendste unter diesen Originalen aber war ein rumänischer Maler, der sich nur ein paar Häuser weiter als Mieter einquartiert hatte. Fast alle „Einheimischen“ wohnten in ihrem eigenen Haus. Kaum einer kannte das Wort „Miete“. Nur der Kunstmaler musste monatlich seinen Obolus entrichten, ächzend, wenn er denn überhaupt Geld hatte. Sonst musste eines seiner wenigen Gemälde herhalten … und bald seine ganze Sammlung. Keiner wusste, wo er herkam. Aus dem Norden stammte er angeblich her, aus der fernen Moldau, genauer aus der Gegend von Voroneti mit dem berühmten Kloster und dem einzigartigen Blau der Kirchenmauern, das ich später noch bestaunen sollte. Was ihn in das tausend Kilometer südwestlich gelegene Banat verschlagen hatte, gerade nach Sackelhausen, war unbekannt. Ein kleines, dürres Männlein war dieser Künstler mit schmalem Gesicht und ungepflegter Künstlermähne, eine unscheinbare Gestalt, den kaum jemand beachtete, wenn er ihn nicht kannte. Doch die wenigen, die ihn wirklich persönlich kennengelernt hatten, schätzten ihn auch, nicht nur, weil er ein Original war, sondern auch um seiner Kunst willen und der seltenen, leisen Lebensphilosophie dahinter. Kaum einer von uns Kindern hatte je seinen richtigen Namen gehört – weit und breit war er nur der Pictor. Er gehörte zum Straßenbild, noch mehr zu meiner Ecke. Wenn er nicht hinter der Staffelei stand und arbeitete, oft diszipliniert wie ein Industriearbeiter in der Fabrik oder auf der Baustelle, saß er krumm eingeknickt im Laden auf dem Pult in einer Ecke nah am Fenster. Von dort aus beobachtete er die Außenwelt und sah den Kunden zu, die kamen und gingen. Wenn Geld da war, spendierte er uns Kindern gelegentlich etwas – oder er ließ sich die auf einer Schnur aufgereihten Lose reichen und versuchte sein Glück: „Necistigator“ stand oft darin zu lesen, „Leider nicht“! Wenn ihm andere keine Enttäuschung bereiteten, dann sorgte er schon selbst für Rückschläge und Desillusion.

Dass unser Pictor, der bürgerlich Ilie Vasu hieß, ein Stigmatisierter war und wie ein Gebrandmarkter lebte, fiel nur wenigen auf, eigentlich nur denjenigen, die ihn über Jahre aus nächster Nähe erlebten, im Atelier und im späten Siechtum bis zum elenden Ende. Das Kainsmal, das ihn zum Gezeichneten machte, zum Verstoßenen aus der Dorfgesellschaft wäre zu erahnen gewesen, wenn man ihn genauer beobachtet hätte, doch schwer zu erkennen. Denn die Brandnarbe an der linken Schläfe wusste er geschickt zu verdecken, indem er stets eine große, dunkelblaue Baskenmütze tief über die linke Gesichtshälfte zog. Das musste so sein, dachten die meisten. Eine Schrulle, eine Marotte? Sein Äußeres war unverwechselbar einmalig. Es machte ihn zum besonderen Original unter anderen und rückte ihn unmerklich in die Nähe der Künstler am Montmartre, die er vielleicht verehrte. Das Mal, das er selbst im Schlaf zu kaschieren pflegte, war sein Geheimnis – und noch geheimnisvoller waren die Umstände, die ihm das Zeichen beschert hatten. Selbst ich sah die Narbe nie richtig, obwohl ich ihn manchmal, aus dem Schlaf gerissen, noch nicht zurechtgemacht erlebte. Was war dahinter? An ein tragisches Geschehen soll das Zeichen erinnert haben, vielleicht auch an eine ferne Schuld, die ihm wohl peinlich war wie das Stigma im Gesicht, denn er sträubte sich, über beides zu sprechen. Zeitlos wirkte er und war ein lebendes Rätsel, das er auch blieb, bis zu seinem Tod. Jahrelang sprang ich in seinem Atelier herum und nahm auf meine Weise an seinem tristen Dasein teil und Anteil, an einem asketischen Leben, das ein neuzeitliches Flagellantentum war mit selbst gewählter Kasteiung und Sühneleistungen für undurchschaute Schuld. Wann, wo, wie war er schuldig geworden? In was hatte er sich verstrickt? Leiblich-sinnliche Genüsse bedeuteten ihm nicht viel. Und der Schöne Schein? Das interessenlose Wohlgefallen? Auch die große Liebe, so schien es, lag längst hinter ihm. Die Angebetete war tot. Tägliche Nahrung, für andere ein Wohlgefallen, eine Lust, war ihm unwichtig. Er lebte nicht von grauem Brot allein, sondern existierte, so schien es mir, genährt und bestimmt von geistigen Dingen, hinstrebend zu einem höheren Sein. Aus der Spießersicht von nebenan aber lebte er, wie die Leute zu spotten pflegten, fast ausschließlich von Fischkonserven, von den Sardinen in Öl und von den Heringen in Tomatensoße, die ich ihm oft und gerne aus dem Laden besorgte. Wie andere Hungerleider auch qualmte er billige Filterzigaretten. Gelegentlich trank er etwas Alkohol, Weinbrand zum Vergessen, als Stimulans vielleicht und Inspiration? Kaum einer kümmerte sich um ihn, kaum einer verstand sein asketisches Sein, sein Martyrium, seine Selbstaufopferung für die Kunst und für nicht ausgesprochene Ideale. War das ein Leben, fragten sich die Leute. Sein Umfeld registrierte vieles, was er tat, nur mit Verachtung. Gerade die Braven blickten überheblich auf ihn herab. Mich scherte der Spott der Leute wenig. Schließlich waren es die gleichen Biedermänner, die mich, den schlimmen Jungen, zur Raison riefen. Im Atelier, das ein Freiraum war, und in seiner ungezwungenen Umgebung fühlten wir Kinder uns wohl, ja heimisch, noch deutlicher als zu Hause. Im Haus des Pictors waren wir frei – wie nur noch bei Hans, zwei Häuser weiter nebenan. Als der Pictor Jahre später umziehen musste, wurde er gerade dort aufgenommen – die Sphären der Freiheit fielen zusammen. Ungewöhnlich war das und eine große Ausnahme im Ort, die manchen Moralisten die Nase rümpfen ließ. Weshalb nahm unser angesehener Dorfbäcker Janny einen Gestrauchelten auf, einen namenlosen Gestrandeten, einen zum Tode Kranken? Aus einem Sinn für Anstand und Würde? Aus Nächstenliebe vielleicht? Darauf kamen die Kirchgänger nicht. Sie lästerten nur weiter und verhöhnten den Gefallenen, bis er dahinsank. Dass der Pictor ein Schaffender war, zugleich ein Gastfreund antiker Prägung mit offenem Haus und einem offenen Herz für uns Kinder, das sahen die Biedermänner nicht.

 

https://carlgibsongermany.wordpress.com/2011/01/20/freigeistiger-maler-in-kunstfeindlichem-umfeld/

 

Oft, wenn ich im Atelier weilte, sah ich ihm beim Malen zu, neugierig und interessiert zugleich, denn auch ich wollte einmal ein Bild malen, ein Gemälde, gewaltig und faszinierend wie der Erzengel am Kirchenaltar. So erlebte ich den Schaffenden am Werk – und sah, wie mit ein paar Strichen auf weißer Leinwand ein Kunstwerk konzipiert wird, wie ein Werk entsteht, Strich für Strich, wie aus Konturen Formen entstanden. Aufmerksam verfolgte ich, wie Ölfarben auf die Palette gepresst wurden, wie er die Farben mischte. Begeistert durfte ich zusehen, wie aus drei Grundfarben nach den Gesetzen einer enigmatischen Farbenlehre viele neue Farben entstanden, die Farbenpalette des Regenborgens. Dann beobachtete ich, wie der Maler den Holzrahmen bespannte, mit fester Leinwand, wie er den Hintergrund weißte, wie er dann eine Madonna aus dem Nichts hervorzauberte, mit ein paar Strichen, und wie er die leuchtenden Farben auftrug, Schicht für Schicht, bis ein herrliches Frauenbildnis erstrahlte, nein, keine Heilige, kein Engel: Eine sinnliche Madonna kam da zum Vorschein, lächelnd wie Mona Lisa, nur natürlicher mit prallen Brüsten, mit rosafarbenen Wangen und liebreizendem Gesicht.

Ilie, der Pictor, malte hauptsächlich dann, wenn er in Stimmung war, wenn er wirkliche Schaffenslust verspürte. War die Gestimmtheit gegeben, dann gelang das Werk, dann wurde Kunst daraus. Dekorative, sinnliche Frauengestalten, teils im zarten Negligé festgehalten, venusartige Göttinnen für diskrete Auftraggeber wie „Die drei Grazien“ von Raffael, die er virtuos von einer rumänischen Briefmarke herunter kopierte, waren sein Spezialgebiet, seine Klassiker überhaupt. Wurden sie, wie er es formulierte, mit Lust in harmonischer Verfassung gemalt, überzeugten sie auf Anhieb. Wenn sie aber notgedrungen aus materiellen Zwängen entstanden, nur weil sich der verachtete Korpus meldete oder der Magen knurrte, wirkten sie bescheidener. Malen war leider oft nur ein Mittel zum schnellen Gelderwerb, viel zu selten Selbstzweck. Not, das fiel selbst Kinderaugen auf, schafft nicht immer große Kunst – und manchmal verhindert sie sie auch gänzlich. Düster melancholisch, übel gelaunt und mürrisch konnte er sein, wenn er abliefern sollte, was noch nicht geschaffen war. Dann blieb es beim Kunsthandwerk. In solchen Fällen signierte er seine Arbeiten nicht und lieferte uns wie seinen Interpreten den Hinweis darauf, vom Wert dieses Gemäldes selbst nicht überzeugt zu sein. Die innere Wahrhaftigkeit war ihm wichtig. War die Identifikation mit seiner Kreation nicht gegeben, so lehnte er das Bild ab – und das, obwohl auch er überleben musste. Genauso wie dem Dichter manchmal ein großes Gedicht gelang, öfters aber nur ein galanter Reim, so war es auch in der Malerei und in der Komposition. Höhen und Tiefen wechselten sich ab – der Mensch war nun einmal keine konstante Größe, noch weniger der sensible Künstler, der Stimmungen und Gestimmtheiten viel intensiver spürte als der Durchschnittsmensch auf der Straße in den profanen Dingen. Das Fehlen der Signatur fiel uns irgendwann auf und beschäftigte uns rege. Stand der Pictor nicht zu seinem Oeuvre? War er gar kein richtiger Kunstmaler, sondern nur ein Kirchenmaler, ein Epigone, ein Anstreicher gar oder ein Scharlatan wie manche meinten? Das Nachdenken über seine Kunst warf Fragen auf, Fragen, die oft unbeantwortet blieben. Keinen Sinn hatten wir Kinder damals für existenzielle Aspekte, für die Notwendigkeit, Gemälde und Porträts verkaufen zu müssen, um von Kunst leben zu können. Wir sahen auch nicht, dass er gegen den eigenen Willen und künstlerische Überzeugung ein Auftragsmaler sein musste, der weitgehend den schlechten Geschmack seiner Kunden zu befriedigen hatte. Von Geldnot getrieben und vom schlechten Geschmack seiner Auftraggeber auf kitschige Motive festgelegt, verzichtete er weitgehend auf eigene Wege, Neuansätze oder Interpretationen und beschränkte sich hauptsächlich auf die Darstellung des Gegenständlichen.

Stillleben malte er gern, einen Teller mit reifen Früchten aus dem Garten, mit Äpfeln und Birnen, einen Strauß Kornblumen oder den roten Klatschmohn aus unseren Fluren – farbig strahlend, klassisch konventionell, einmal mehr, einmal weniger vollendet. Einzelobjekte und Motive wurden kopiert, ohne immer anspruchsvoll umgesetzt zu werden. Später, in den Jahren seines Dahinsiechens, schrumpfte sein Repertoire zusehend. Dem guten Geschmack angepasst, reduzierte es sich auf stereotype Landschaften in Öl mit dunklen Tannen, blauen Bächen, Schneegebirge und dem ewig röhrenden Hirsch. Ferner kamen Auftragsporträts und Frauenbildnisse hinzu. Die rotbackig kitschigen, schmucküberhäuften Zigeunermadonnen von strotzender Vitalität mit breit ausgeschnittenem Dekolleté in prall leuchtenden Farben wurden weiter anfertigt, fast von der Stange, weil sie gut zu verkaufen waren. Schließlich brachten die weltlichen Madonnen etwas Farbe in das Alltagsgrau und einen Hauch Lebensfreude. Nur das Glück blieb aus im Atelier des Pictors.

Gelegentlich, wenn der Geldbeutel arg zusammengeschrumpft war, betätigte er sich auch als Kirchenmaler und Restaurator in dem orthodoxen Kirchlein der rumänischen Glaubensgemeinde wie auch in unserer mächtigen katholischen, Sankt Michael geweihten Kirche. Wenn die Ölgemälde, die den Passionsgang Christi darstellten, in unserem Gotteshaus zu sehr nachdunkelten und die Einzelheiten der Leidenstafeln kaum noch zu erkennen waren, half er mit etwas Firnis nach und ließ die Farben wieder hell leuchten. Das Leiden Christi auf Golgotha wurde wieder sichtbar; aber auch die Grazie der Engelsgestalten, die – von höherer Leidenschaft erfüllt – über den irdischen Dingen schwebten. Worin er wohl aufging? In der Schönheit angeschaut mit Augen? Oder im Leiden, das ein Teil seines Wesens war? Seine Motive entnahm der Asket nicht etwa der freien Natur, den öden Schilfgestaden am Ortsrand, die ein Lenau besungen hatte oder der üppigen Vogelwelt im nahen Hain, die uns vor der Nase herumschwirrten als Hinweis auf die Großzügigkeit der Schöpfung, sondern fast ausschließlich von Ansichtskarten, die er in einem Schuhkarton verwahrte. Beim Durchsehen dieser Vorlagen stieß ich zu meiner damals großen Verblüffung erstmals auf frivol erotische Darstellungen in künstlerischer Verfremdung, auf derbe Motive, die sich mir erst später erschlossen. An tiefer gehende Einzelgespräche mit dem Pictor kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Doch weiß ich noch, dass er, das Opfer der Moralisten drum herum, kein Moralapostel gewesen ist, der uns mit Lebensweisheiten abgespeist hätte. Belehrend war seine Art nicht. Er war ja auch kein Schulmeister, sondern ein armer Künstler und Schlucker im selbst gewählten Leiden. Wenn er trotzdem damals schon auf mich wirkte und das weitgehend indirekt intuitiv, doch nachhaltig, dann deshalb, weil er ein Freigeist war, ein Individuum zwischen den Nationen, einer, der sein Leben lebte, seinen Existenzentwurf, auch als Stigmatisierter, als Gestrauchelter und Gescheiterter. Nichts von alledem erfasste ich damals im Alter von fünf bis elf Jahren bewusst. Auch der Pictor war Milieu – er war ebenso ein Teil des prägenden Milieus meiner Kindheit wie die Zigeunerkinder vor unserer Haustür in ihrem spezifischen Sein. Wir nahmen an, dieses auch negativ ausstrahlende Umfeld würde uns nicht tangieren, gar beeinflussen und determinieren. Diese Annahme war falsch – sie alle beeinflussten uns doch, unterschwellig und intuitiv, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollten. Ohne dass es mir groß aufgefallen wäre, spürte ich seinerzeit die Faszination der Künstlerexistenz, die von dem Original, dem Picteur ausging. Er lebte wie ein Künstler, sorgenfrei, glaubte man, in Wirklichkeit aber ernst und trist. „Ars longa vita brevis“, stöhnte er manchmal, wenn nicht alle Blütenträume reiften, Worte die auch Kunstkenner Goethe nicht verschmäht hatte. Der bei uns in dieser Form selten anzutreffende Habitus, dieses trotzige, frei gewählte „Anderssein“, musste imponieren und prägen, weitaus mehr als seine Malerei.

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Als Mensch lebte der Maler ziemlich zurückgezogen. Die Einsamkeit schien sein Element zu sein – und das Schaffen aus der Einsamkeit heraus, wie es Caspar David Friedrich oder der noch einsamere Vincent van Gogh praktizierten. Er verehrte Michelangelo und Leonardo – und lebte auch wie Michelangelo in Armut und Verzicht. Einige seiner Andeutungen, die selbst uns Kinder gedanklich beschäftigten, vermittelten den Eindruck, die exzessiv gelebte Askese sei eine Art Selbstkasteiung, ein verspätetes Flagellantentum und eine Form von Bestrafung oder gar eine Sühnehandlung für eine Schuld, die in der Vergangenheit dieses enigmatischen Menschen zu vermuten war. „Vielleicht bestrafe ich mich selbst“ rechtfertigte er sich eines Tages so nebenbei, als ihn ein kluger Zeitgenosse mit wohl gemeintem Rat auf einen neuen Pfad bringen und ihn zu einem besseren Leben bekehren wollte. Diese Haltung beeindruckte uns Kinder, weil das Phänomen der Selbstbestrafung neu für uns war. Von Sadisten hatten wir schon gehört, doch kaum etwas von Masochisten, von Leuten, die sich aus unergründbarem Anlass selbst quälen oder von Märtyrern der Kunst, die das eigene Glück für die Kunst hingeben. Sich selbst ans Kreuz zu schlagen, sich selbst zu opfern wie Lenau und andere Adepten des „L’ art pour l’art“ – Prinzips, das hatte uns noch keiner beigebracht.

Einsamkeit und Armut im Leben des Pictors waren selbst gewählt – und dies in einer Welt, die allgemein diesen Zuständen zu entfliehen trachtete. Der Pictor war andererseits auch ein geselliger Philanthrop, erfüllt von Freude an unserer frühkindlich naiven, moralisch noch weitgehend unverfälschten Sicht der Dinge. Narren, Berauschte und Kinder standen der Wahrheit bekanntlich näher als Dichter und Philosophen. Und weil wir Kinder waren, verehrte er uns Kinder. Da er außerdem ein großzügiger Mensch war, einer ganz nach meinem späteren Geschmack, der von anzuhortender Materie nicht viel hielt, ließ er die Moneten kreisen und belohnte unsere kleinen Botendienste königlich. Das oft bitter verdiente Geld zerrann in seinen Fingern wie Sand. Wir aber freuten uns über den unerhofften Segen, da wir von Haus aus nicht unbedingt reichlich mit Taschengeld versorgt wurden. Wir Kinder fanden Gefallen an dem Kauz, vielleicht weil er in seiner Seele noch ein Kind war, ein Träumer, ein Fantast, der die schnöde Erwachsenenwelt ablehnte: Nur das „Dolce far niente“ oder ein „Laissez- faire“ – das waren keinesfalls die Tugenden des Dorfes. Nichtstun, das Leben verrauchen und vergeigen – die Welt verachten, indem man darüber stand und die Spießer nicht ernst nahm? War das nicht die Brücke, zu den noch fauleren und noch mehr verachteten Zigeunern am Dorfrand? Der Pictor exerzierte uns dieses Anderssein vor, ohne eine Moral daraus zu schmieden. Er lebte einfach sein Leben. Und dieses Freisein ging ihm über alles. Für die recht konventionelle, an sich kunstfeindliche und weitgehend von kleinbürgerlichen Werten bestimmte Außenwelt war die Erscheinung des verschlossenen Malers oft nicht mehr als ein exotischer Zufall, eine Laune der Natur, die nicht besonders beachtet werden musste. Er war ein Kontrastbild, von dem man sich milde lächelnd, überlegen absetzte. Eine Provokation oder gar ein Stimulans, über die eigenen, selbst gelebten Werte nachzudenken, war er aus der Sicht der Ignoranten nie.

Kaum jemand wusste etwas anzufangen mit dieser Individualität. Nur Dorfbäcker Janny, der Vater meines langjährigen Spielkameraden Hans, mein früher Mentor und indirekter Erzieher, konnte als Freund des Malers gelten. Als Einziger nahm er sich später des Malers noch an, als dieser unrettbar einem Siechtum verfiel, als Krankheit, Elend wie schwere Not sein traurig gewordenes Leben zu beenden drohten. Nachdem der Pictor seine Mietwohnung hatte verlassen müssen, war es eben Janny, der ihn von der Straße auflas, um ihn über Jahre im eigenen Haus zu beherbergen, mit zu betreuen und mit zu versorgen, ohne Begründung, ohne Rechtfertigung nach innen oder außen – nur aus Nächstenliebe, aus Pietät, aus Mitleid und Mitleiden, kurz aus Menschlichkeit. Janny war kein Kirchgänger, aber ein Christ. Aus eigener Erfahrung wissend, was Entbehrung bedeutet, sicherte er dem über Jahre Dahinsterbenden die notwendigsten Dinge zum Überleben; selbst in der letzten Lebensphase noch, als der unaufhaltsame, physische Niedergang einsetzte und der Pictor zum Schatten verkommen vor unseren kindlichen Augen wegzusterben begann.

Janny war ein Handelnder, ein Mann der Tat, nicht der Worte. In unserer egomanischen, stets auf den eigenen Vorteil bedachten Gesellschaft war er zudem eine erstaunlich humane Ausnahmeerscheinung, ein seltenes Beispiel an Altruismus in dem oft spröden, allzu nüchternen und unmusischen Umfeld. Als Kind der bitteren Nachkriegszeit, in der er selbst viel Elend erlebt hatte, wusste er das Menschliche richtig zu werten und sozial umzusetzen. Janny, dem ich selbst viel an erzieherischen Impulsen verdanke und dessen gelebtes Vorbild für mich sehr wichtig sein sollte, war übrigens einer der seltenen Geister weit und breit, der neben der unverwechselbaren Individualität des Menschen auch dessen Kunstfertigkeit und Werke würdigen konnte. Gleiches gesellt sich zu Gleichem, sagt man. Der Pictor, so arm er auch war und so bescheiden er auch lebte, faszinierte auf seine Weise. Gleichgesinnte zog er an – sie kamen oft und gern, über Jahre. Einsamkeit und Geselligkeit wechselten. Rumänischen Intellektuellen aus der Region bot sein Atelier einen geistigen Mittelpunkt, einen Freiraum. Die Werkstatt wurde zur Begegnungsstätte, zum Ort der Zusammenkunft und des Gesprächs. In der Konversation erholte er sich von der stillen Einkehr in der Spelunca und fand zu neuen Ideen. Der geistige Disput – ein Born der Inspiration. Die unterschiedlichsten Charaktere fanden sich ein. Erfolgreiche wie Versager. Gelegentlich spielten sie Schach. Sonst redeten sie viel über Kunst, Literatur und Zeitgeschehen, wobei der kleine Junge von nebenan, mittendrin war, unauffällig wie das zottelige Hündchen Rex, ohne viel von dem zu verstehen, was da so leidenschaftlich impulsiv wie intensiv diskutiert wurde. Da ich erst einfache Sprachstrukturen der rumänischen Landessprache beherrschte und noch weit davon entfernt war, den Sinn sachspezifischer Terminologien zu erfassen, war es mir unmöglich komplexeren Themen zu folgen. Auch hörte ich viele Namen, die mir nichts sagten. Trotzdem registrierte ich die Wucht der Gespräche, das Feuer der Dialoge, das romanische Pathos, die aufrichtige Teilnahme, die Entrüstung, die exzessive Mimik und die Gestik der Redenden, die wirkten wie Schauspieler auf der Bühne. Was war echt? Was war falsch? War der Schauspieler, der in jede Rolle schlüpfen konnte, nicht zugleich der geborene Lügner? Das ernste Stirnrunzeln, noch mehr die lebendige Rhetorik ließen mich erahnen, wie wichtig das Erörterte wohl sein müsse.

Ein ewiger Student fand sich häufig ein, ein ernstes Langgesicht mit breitem, schwarzem Schnurrbart, ein angehender Jurist, der einmal Staatsanwalt werden wollte … oder auch Anwalt in einem Staat, wo es mehr anzuklagen gab, als zu verteidigen. Er schien sich einzuüben in der Kunst der Plädoyers. Ein Lehrer stieß zum offenen Kreis … Und manchmal kam auch ein gefallener Engel zu Besuch. Der Exot namens William war ein verarmter Unternehmersohn, ein Überlebenskünstler, der sich, seitdem das Vermögen dahin war, mit Fahrradreparaturen über Wasser zu halten wusste. Das Violinspiel beherrschte er auch, ja er konnte sogar virtuos aufspielen, wenn man ihm eine Fiedel reichte und einen Schnaps dazu. Dann rief er die entschwundenen Tage zurück und ihr zerstobenes Glück in Tönen – mit ihr die Nostalgie und trieftraurige Melancholie einer „Welt von gestern“.

Geister fanden sich – trotz aller Armut und Entsagung. Und uns Kindern blieb der Eindruck des mittelbar Erlebten: der intellektuelle Gesprächskreis, eine Form der zwischenmenschlichen Zusammenkunft, die sich wohltuend von den immergleichen Kartenspielrunden der Männer im Dorf unterschied; ebenso die Vorstellung von einem frei gewählten Anderssein, das sich ganz wesentlich von unserer bieder geordneten Wertewelt abhob. Der Pictor – das war ein alternativer Existenzentwurf, ein individuelles Modell, das mir schon deshalb behagte, weil ich selbst gegen gängelnde Regeln war. Für die Braven, Guten und Gerechten im Dorf aber war dieser Andere, Andersdenkende und Andershandelnde nicht mehr als ein andauerndes Ärgernis, ein Dorn im Auge, ein schmerzhafter Pfahl im Fleisch, der immer wieder aufrüttelte, die eigenen Werte infrage stellen zu müssen.

Der Kunstmaler Ilie Vasu eckte an, weil er so ganz und gar nicht dem Standard seines Umfelds entsprach und der Auffassung seiner Mitmenschen, wie man zu leben hat. Doch anstatt nach einem tieferen Verstehen des Anderen in seinem Anderssein zu suchen, begnügten sich die meisten Leute damit, hochmütig auf den halb Ausgestoßenen herabzusehen, ihn überheblich zu belächeln und sein gesamtes Sein ins Groteske zu ziehen. Den ausgekosteten Spott einzelner Spießgesellen verfolgte ich seinerzeit mit staunender Abneigung, nicht weil ich damals tiefer über Ausgrenzung nachgedacht hätte, sondern weil ich intuitiv mit dem scheinbar Schwächeren mitfühlte. Der gegen alles Geistige gerichtete Hohn der Borniertheit behagte mir auch deshalb nicht, weil stets eine tiefere Ungerechtigkeit in ihm mit schwingt. Kinder ahnen viel von dem, was sie noch nicht wissen können. Gerade jene Spießbürger, die am wenigsten von der Welt wussten und denen Kunst und Kultur kaum etwas bedeuteten, hatten mit Außenseitern ihre größten Schwierigkeiten.

Das Abweichen von der Norm, das „Verschieden-Sein-Wollen“, störte die Biederen mit ihren Gartenzwergen im Hof mehr, als sie es sich eingestehen wollten – denn die offensichtliche Gegenwelt in täglicher Konfrontation zerstörte die gottgewollte Harmonie einer scheinbar noch intakten Gesellschaft und gefährdete die Zufriedenheit des vollen Magens und des gesunden Schlafs. Nur wenige nahmen die Erscheinung dieses Nonkonformisten hin und akzeptierten den Lebensmodus des Außenseiters, dessen künstlerische Begabung und handwerkliches Können sonst gerne in Anspruch genommen wurden. Außenseiter wie der Pictor wurden fast generell als Provokation wahrgenommen, auch in der realsozialistischen Gesellschaft, als eine Art Affront, der die staatlich vorgegebene Norm infrage stellte. Gleichzeitig repräsentierten freie Individuen alternative Lebensformen, die, ähnlich der Wertegemeinschaft der Zigeuner, der etablierten Gesellschaftsstruktur krass entgegengesetzt waren. In den letzten Jahren vor dem bitteren Ende schrumpfte das sonst schon zierlich schüchterne Männlein zu einer Karikatur zusammen. Oft saß er dann in sich gekehrt kontemplativ, manchmal auch melancholisch sinnend, apathisch auf der Bettkante. Schwach hüstelte er vor sich hin. Zu sagen hatte er nichts mehr.

Der Zufall wollte es, dass ich seinen letzten Gang, genauer seine letzte Fahrt, miterleben sollte. Einsam und alleine verlief sie – fast so, wie er gelebt hatte. Nur er merkte nichts mehr davon. Der leibliche Rest des Malers, eine dürre, fast mumifizierte Leiche, lag im schwarzen Sarg des Totenwagens. Zwei schwarze Hengste mit schwarzem Federbusch geschmückt trabten durch die Kleine Kreuzgasse an unserem Haus vorbei. Verblüfft stand ich am Türchen des Bretterzauns, ohne zu ahnen, was da ablief. Es war düster, wie auf Golgotha – es regnete. Schauriger Nieselregen und noch schaurigere Fracht. Ein Graus. Nach einigen Augenblicken war der Totenwagen entschwunden – und mit ihm der Pictor, ein väterlicher Freund auf seine Weise, ein Original.

Gerade wollte ich kehrt machen und wieder ins Haus gehen, da sah ich eine Gestalt hinter dem Totenwagen herjagen durch Wind und Wetter – es war Janny, der Freund, auf dem Fahrrad durch den Regen strampelnd, entschlossen wie damals nach dem Stromschlag. Das Bild trieb die Scham in mir hoch und erinnerte mich spontan an den Tod Mozarts, den man ebenso teilnahmslos in einem Massengrab verscharrt hatte. Das Menschheitsgenie ohne Vergleich war vorausgegangen. Nun folgte ein unbekannter Künstler, nicht weniger tragisch. Keiner von den hundert Frommen der Gemeinde, die sonst dem Sarg folgten, begleitete den Aussätzigen auf seinem letzten Gang – bis auf Janny. Und auf seinem Grabeshang sollte auch keiner weinen als der Regen – melancholisch wie in Lenaus Gedicht. So war das Leben.

 

 

 

https://carlgibsongermany.wordpress.com/2011/01/20/am-brunnen-vor-dem-tore-%e2%80%a6-und-im-kramerladen-an-der-ecke/

 

Wer unter mehreren Völkern aufwächst, wird zwangsweise mit dem permanenten Vergleich konfrontiert. Zufallsbedingt hatte ich jene strategische Ausguckposition inne, unmittelbar an der Quelle des zwischenmenschlichen Geschehens, ganz so, wie ich oft an unserem einzigen artesischen Brunnen saß, an der Ecke in der Schwarzwälder Gasse, den Blick auf das Kruzifix gegenüber gerichtet, auf das langsame Volllaufen der Wassereimer und Gießkannen wartend. Manchmal dachte ich über den Lauf des Wassers nach und darüber, dass alles im Fluss ist und ewig im Fluss bleiben wird, das Werden und Vergehen. Gelegentlich sah ich dem Treiben der Menschen auf der Straße zu und sann über das nach, was sie so zufällig sagten. Zeit war damals unwichtig. Das lange Leben lag noch vor mir, dunkel und offen. Trotzdem war ich froh, wenn keiner vor mir am Brunnen war, gar einer der gleich mehrere Gießkannen und Eimer zu füllen gedachte. Die sich weitgehend selbst überlassene Süßwasserquelle floss, da sie kaum noch gewartet wurde, von wuchernden Grünalgen gehemmt, immer langsamer, so als wollte sie mit ihrem schon absehbaren Versiegen andere Endzeitphänomene andeuten: den Untergang des Deutschtums in Rumänien, im Banat und im Siebenbürgen, wo seit achthundert Jahren deutsch gesprochen und gelebt wurde? Der Exodus vollzog sich bereits, tröpfchenweise. Nahe Verwandte, Schulkameraden, Nachbarn waren längst auf und davon. Hans zuerst, dann Erna, dann Annemarie … und andere, das fühlte jedermann unbestimmt, würden folgen.

Endzeitstimmung. Am Brunnen vor dem Tore … Schuberts Lieder vermehrte die Wehmut noch … Untergang wie in Thomas Manns Zauberberg … am Schluss. Lindenbäume gab es bei uns keine, dafür aber Akazien in großer Zahl mit spitzen Dornen, die an das karge Afrika erinnerten, aber auch mit lieblich duftenden, schneeweißen Blütentrauben, die wir Kinder herunter zupften und verschlangen wie Salat, ohne Rücksicht zu nehmen auf die kleinen, schwarzen Insekten im Nektar des Blütenbodens.

Der viel genutzte, heute leider schon versiegte „Alleinläufer“ war – ohne dass es einem aufgefallen wäre – ein „Ort der Begegnung“ gleich allen Marktbrunnen der Welt. Am Brunnen, am Born des Lebens, kamen die Menschen des Ortes zusammen, um sich das Lebenselixier zu holen, das Element, ohne das kein Leben möglich ist. Aber sie kamen auch nur, um miteinander zu reden. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Tier, ein „Zoon politikon“, nicht erst seit Aristoteles. Er will nicht allein sein, weil das Alleinsein nicht gut für ihn ist. Also zieht es ihn hinein in die Gesellschaft, an den Brunnen. Wer dann und wann doch einmal lange allein dasaß, am Alleinläufer, was kaum passierte, weil immer jemand vorbei kam, der mit einem sprach, der konnte auch träumen … manchen süßen Traum. Eine Gemeinschaft fand dort zusammen, im Mitsein, im Gespräch. Man musste nur hinzutreten – und schon war man mittendrin als Teil des Ganzen. Ausgegrenzt wurde niemand. Schließlich waren alle gleich, seitdem der Kommunismus eingekehrt und alles nivelliert hatte und die früher reichen Bauern ihre Felder und Ländereien hatten abgeben müssen – an den Staat, an die Volksgemeinschaft, wie es offiziell hieß, damals im Stalinismus, als die Bodenreform beschlossen und umgesetzt wurde, zum Nachteil der begüterten Deutschen im Banat, während die rumänischen Bauern ihre Güter teils behalten duften. Von der Ungleichheit, die die in Amerika verdienten Gelder noch vor dem Zweiten Weltkrieg geschaffen hatten, war auch nichts mehr zu sehen. Die Viehställe waren ebenso leer wie die kaum erst erbauten Gewölbeweinkeller, die landwirtschaftlichen Maschinen waren beschlagnahmt – und nur noch die größeren Steinhäuser, Familiengruft und marmorne Grabsteine erinnerten an frühere Tage, an „bessere“, höhere Menschen. Der Geldsegen aus Amerika hatte die Menschen zeitweise sogar verdorben, sie hochnäsig gemacht. Es sei jetzt nicht mehr schön im Dorf, hatten einige gemeint, weil der Unterschied so groß geworden war zwischen Habenichtsen und Krösussen. Inzwischen hatten Krieg und Kommunismus die alte Ordnung wieder hergestellt. Alle besaßen alles – und alle hatten nichts. Alle waren wieder gleich nackt wie nach der Erschaffung des Menschen im Paradies … bis auf einige, die mit dem „roten Büchlein“, die doch etwas gleicher waren, als die Gleichen der egalitären Kommune. Fast alle im Dorf waren verarmt und mehr oder weniger bewusst in Ketten wie die Galeerensklaven auf Raabes „Schwarzer Galeere“. Und alle ruderten unmerklich im gleichen lecken Boot den tosenden Strudel hinab mit der Zeit und ihrem Ungeist. Der „Untergang des Abendlandes“ hatte längst eingesetzt, schon seit 1944, als die Wehrmacht von Temeschburg nahend sich über Sackelhausen zurückzog, Tausende von uns mitnehmend, „heim ins Reich“. Ja, der Untergang vollzog sich vom Osten her, mit dem Lauf der Sonne. Wir waren mittendrin im Exodus – nur hatten es einige von uns noch nicht bemerkt.

Nur zweihundert Meter straßenaufwärts, vor der Ladentür, das gleiche Bild wie am Brunnen. Doch nicht Geselligkeit und Durst, der Mangel ließ die Menschen zusammenströmen: „Habt ihr es schon gehört? Es gibt Hefe“. Bierhefe zum Brotbacken. Ohne diese „Hefe“ ging nichts, es sei denn, man hatte genügend Sauerteig angesetzt, der den Brotteig auch aufgehen ließ, selbst ohne Hefe. Die große Warteschlange bildete sich immer dann, wenn seltene Güter eingetroffen waren. Dann eilten alle herbei, Jung und Alt, in die Schlange, die eigentlich ein undisziplinierter Haufen war, um wenigstens etwas von den ewig knappen Produkten zu ergattern. Schlichte Bierhefe war eine solche Begehrlichkeit!

Realsozialistischer Mangel passte irgendwie zur Unzulänglichkeit der Menschen. Nichts war perfekt – weder die sozialistische Gesellschaft, die angeblich noch im Aufbau war, noch die mehr oder weniger fleißigen Arbeitsbienen drum herum, die die „Gesellschaft des Lichts“ errichten sollten. In der Regel waren es Erzeugnisse der Lebensmittelindustrie, die man in unserer weitgehend autarken Selbstversorgergemeinschaft nicht aus eigener Kraft produzieren konnte. Der Dorfladen im Eckhaus von Nea Marin, im Volksmund kurz „Kammer“ genannt, weil der Name der langjährigen Betreiber des Geschäftes – die stets freundlichen Leute hießen „Kammerer“ – vielen zu umständlich erschien, war ein Relikt aus der heilen „Welt von Gestern“, aus der Zeit vor dem letzten Weltkrieg, als es im Dorf noch viele Krämerläden gegeben hatte, darunter lange auch drei jüdische.

Es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht im Laden gewesen wäre. Süßigkeiten lockten dort in großer Auswahl. Und nicht selten erledigte ich die Einkäufe meines Großvaters, des Pictors aus der Nachbarschaft oder die Aufträge meiner Mutter, die mich gelegentlich losschickte, um eine Fleischkonserve zu kaufen: Rindfleisch oder Schweinefleisch in eigenem Saft, das war etwas, womit man mit etwas gekochtem Reis schnell mal ein Reisfleischgericht herzaubern konnte. Not machte erfinderisch – und selbst mit etwas Mehl, Öl oder Schmalz konnte man tagelang überleben, wenn es denn sein musste und dabei sogar satt werden.

Das Produktangebot, das ich tausendmal vor Augen hatte, war recht ausgewogen und entsprach den Bedürfnissen der Menschen vor Ort, von denen die meisten noch die hohe Kunst der Selbstversorgung beherrschten. Rumänen und Zigeuner hingegen, die weniger konsequent wirtschafteten, konnten nahezu alles gebrauchen, was die Lebensmittelindustrie des Landes herstellte und was da in den großen Holzkisten, Jutesäcken und festen Regalen gelagert wurde. Wir Schwaben erwarben im Laden durchweg nur jene Güter, die wir selbst nicht herstellen konnten. Dazu gehörten Artikel des täglichen Bedarfs: Zucker, Reis, Bonbons, Schokolade, Fisch- und Fleischkonserven, Kekse, Waffeln und Kaffee-Ersatz. Bohnenkaffee war nahezu unbekannt wie vieles von dem, was man in westlichen Kolonialwarenläden verkaufte.

Großvater Ott aber, der als Soldat schon etwas von der Welt gesehen und in Wien bereits einen Braunen getrunken hatte oder einen Pharisäer mit Schuss, schätzte Bohnenkaffee über alles. Doch was macht ein Connaisseur und Bon vivant, wenn weit und breit keine Bohne aufzutreiben ist und der Lösekaffee aus Deutschland längst aufgebraucht war? Er gibt sich mit billigem Ersatz zufrieden und träumt von echten Genüssen. Da sonst nichts zu kriegen war, trank Großvater ein selbst gemischtes Gebräu aus gerösteter Zichorie-Wurzel und Gerste, das so ähnlich schmeckte wie richtige Kaffeebohnen. Wie oft besorgte ich ihm jene Packungen Ziguri und Enrilo? Manchmal benötigten wir in unserer sonst recht schweineschmalzlastigen Küche auch Sonnenblumenöl zum Kochen und Backen, ein seltenes Gut, das in einem alten, verbeulten schwarzen Dieselfass hergekarrt und dann mit einer antiquierten Blechpumpe in einen emaillierten Eimer gepumpt wurde. Von dort aus schöpfte es der nette Herr Kammerer – und nach seinem Tod seine nicht minder freundliche Gattin – den zäh fließenden Sonnenblumenextrakt heraus, um das Öl anschließend geduldig mithilfe eines großen Blechtrichters in die oft trüb ranzigen, wenig appetitlich anmutenden Ölflaschen einzelner Käufer zu füllen. Das alles war fast schon eine rituelle Angelegenheit der besonderen Art, die gerade kleine Jungs, die zum Spielen drängten, ungeduldig herumzappeln ließ.

Zigeuner setzten beim nahezu täglichen Einkauf ganz andere Prioritäten – und ihren Bestellungen zu folgen, war ein Vergnügen eigener Art, jedenfalls für mich: „Meeensch, Kammer, gib mir einen halben Liter Zuika, von dem alten! Dann noch ein paar Rippen, von diesen geräucherten, ein knappes Kilo vielleicht … einen Batzen Schweineschmalz … und zweihundert Gramm Marmelade. Dann krieg ich noch … Kekse, für zwei Lei etwa, von den viereckigen … und von den langen, gespritzten … für einen weiteren Leu … gefüllte Karamellbonbons …   für den Rest aber … Mărăseşti …ohne Filter …  und … ein Zündholz!“

Ein Zündholz? Fragte ich mich stutzig, was fängt man mit einem Zündholz an, wenn gar der Wind weht? Natürlich war eine ganze Schachtel gemeint. Schließlich mussten zwanzig Zigaretten angezündet werden … und man saß ja nicht immer am Lagerfeuer mitten in der Stube. Doch wie lange reicht eine Schachtel aus? Bis morgen? Und in der Tat. Am nächsten Tag war die gleiche Litanei wieder zu hören. Alles wurde wieder erworben, in gleichen Mengen. Basta! Fertig! Aus! Schnaps, Zigaretten – und Feuer: Damit war der Tag gerettet! Alles andere war unwichtig. So schien es. Die lange Einkaufsliste der Zigeuner änderte sich kaum. Nur die Kleinstmengen variierten, je nachdem, wie üppig der Taglohn ausgefallen war. Hatten sie Arbeit, gab es was zu essen; hatten sie keine, darbten sie oder versuchten sich irgendwo etwas zu borgen. Auch hier derselbe Ritus wie beim Ölpumpen. Den Zigeunern musste ein kleiner Schein zum Großeinkauf reichen. Der wurde dann in winzige Beträge aufgeteilt, nicht in Mengen. Dem Verkäufer, einem Kriegsversehrten, kam dann die höhere Denkaufgabe zu, die richtige Menge zu dem genannten Betrag herauszufinden. Eine Kunst für sich!

Oft stand ich staunend an dem den Raum teilenden Holzpult und fragte mich, weshalb denn alle Zigeuner gerade diese stinkenden Mărăseşti rauchten, die zweitbilligste Marke aus der untersten Schublade des Zigarettenangebots – und nicht die noch billigeren „Nationale“ oder die kaum teureren „Carpaţi“? Damals wusste ich noch nichts von jener Volksweise, in welcher der Ausspruch vorkommt: „Eine Mărăseşti im Zigeunermund“. Selbst eine Zigarettenmarke kann ein Identitätsmerkmal sein und eine Identität mit begründen wie die Zugehörigkeit des Fans zur Fußball-Klub-Gemeinschaft. Schnaps, Speck und Zigaretten – das war genug für das alltägliche Fest und für ein paar Stunden Lebensfreude. Auf die Substanz kam es an, nicht auf Akzidenzien, auf das Drumherum. Der Dorfladen hielt noch manches andere bereit, bis hin zu Losen, wo Leute wie unser „Pictor“ ihr Glück versuchen konnten. Auch der Zufall sollte seine Chance haben. Schließlich war die Welt aus einem Zufall heraus entstanden – und auch wir waren gerade da und nicht dort, weil die Macht des Zufalls, andere nannten es Schicksal, es so wollte.

Zeit war keine Kategorie. Kleine Jungs, wie ich einer war, hatten es immer eilig. All die anderen Leute aber, so schien es mir, Alte, Zigeuner, Hausfrauen, hatten unendlich viel Zeit. Trotzdem drängte sich eine immer wieder nach vorn in der Schlange, ungeniert und zu meiner Verblüffung stets mit dem gleichen dummen Spruch auf den Lippen: Macht Platz, lasst mich vor, Kinder, mein Reis brennt an! Kochte die gute Frau immer nur Reis, fragte ich mich gelegentlich. Da die Käufer sich weitgehend natürlich verhielten und frank und frei das aussprachen, was ihnen gerade einschoss, war es einfach, sie zu studieren; die heimischen Zigeuner mit ihrer Pidginsprache, den verballhornten Ausdrücken und den vielen dialektalen Eigenheiten ebenso wie die schwäbische Mundart der Donauschwaben, die in ihrem breiten, von fränkischen und pfälzischen Wortfetzen dominierten Dialekt die Inhalte dieser Nachrichtenbörse bestimmten. Ein fein kultiviertes Deutsch war unsere Mundart nicht. Jeder sprach so, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Und wie er redete, so war er meistens auch. Die Grobschlächtigkeit des Schwäbischen fiel mir bereits damals auf, und dies, obwohl es die eigene Mundart war. Manchmal erinnerte der derbe Dialekt an die karge Sprache der Cowboys aus den Groschenheften und sprachkargen Italo-Western, wo man gut mit ein paar Dutzend Worten auskam.

Waren die Erwachsenen in ihrem Element, unter ihnen nicht selten Leute, die zwei Weltkriege unmittelbar erlebt hatten, hörten wir Kinder andächtig zu und staunten, wie viel Weisheit und Lebenserfahrung aus mancher Sentenz sprach. Dabei wurde selbst uns Kleinen ein Faktum recht bald bewusst: Je geringer das Wissen des Einzelnen, desto radikaler war seine These.

Eine der Theorien, die im Zusammenhang mit dem ewig erörterten Thema „Deutschland“ und einer eventuellen Auswanderung dorthin in einem vehementen „Pro und Kontra“ erörtert wurde, wartete mit der Feststellung auf, in Deutschland gäbe es kein Brot auf dem Tisch – dort würden die Speisen ohne Brot verzehrt. Und worin bestand die Quintessenz der Botschaft? Ein Leben ohne Brot ist kein Leben – also ist es auch nichts mit Deutschland! Solches hörte ich und staunte nicht schlecht. Soviel Weisheit aus dem Mund eines alten Mannes, der ein leidenschaftlicher Brot-Esser war? Ohne Brot konnte er nicht satt werden. Die Abstrusität dieser scheinbar logisch anmutenden Syllogismen irritierte selbst das Bewusstsein eines Vorschulkindes und führte zu einer weiteren Destruktion der Erwachsenenautorität.

Vis- a- vis des Krämerladens waren ebenfalls Rumänen eingezogen, fromme Baptisten, die später, nach der Ausreise meiner Eltern in mein Geburtshaus umziehen sollten. Dort leben sie auch heute noch. Und unweit in der Nachbarschaft wohnten weitere sogenannte „Zigeuner“, deren genaue ethnische Herkunft nicht feststand, deren Namen aber russisch oder bulgarisch klangen. Zigeuner, das wurde mir langsam bewusst, waren in unseren Augen alle, die sich nicht explizit als Rumänen, Deutsche oder Ungarn ausgaben. Es waren eben die Anderen, Menschen jenseits eines imaginären Limes, Menschen, die im Alten Griechenland oder im Römischen Weltreich als Barbaren bezeichnet wurden – Barbaren im eigentlichen, im nichtpejorativen Sinn des Wortes.

https://carlgibsongermany.wordpress.com/2011/01/20/herr-%e2%80%9eso-ist-das%e2%80%9c/

Kaum ein paar Schritte von unserem Hof entfernt stand ein imposantes Eckhaus mit großem Festsaal, in welchem bei Festschmaus und Blasmusik nahezu alle Hochzeiten des Dorfes abgehalten wurden. Auch einer der letzten Dorfläden, inzwischen zugemauert, fand noch darin Platz. Rumänen hatten das Objekt erworben – ein älteres Ehepaar aus der Moldau mit ihrer bereits erwachsenen Tochter Aurica. Es waren bescheidene, freundliche Menschen. Der Hausherr, ein kleiner, unscheinbarer Mann mit kurzem Schnauzbart, hieß Marin. Er galt als geschäftstüchtig, ja bauernschlau, hatte aber ein gutmütiges, konziliantes Wesen. Im Gespräch mit anderen Ortsansässigen verhielt er sich stets verständnisvoll zustimmend. Seine jeden denkbaren Konflikt vorwegnehmende Einfühlsamkeit ging sogar soweit, nie ein Anliegen gleich abzulehnen oder gar brüsk zu verneinen. Er war der geborene Zuhörer, ein Geist, der stets bejahte – und das mit Recht! Schließlich konnte man alles so und anders sehen! Weshalb sollte man der Negativität das Wort reden, wenn man im gleichen Atemzug Positives Denken kultivieren und praktizieren konnte? Marins Lebensart war eben positiv und sie drängte ihn dazu, etwas vom guten Geist weiter zu geben. Wenn jemand irgendwie belehrend auf ihn einredete und dabei eine Weisheit nach der anderen zum Besten gab, pflegte Herr Marin nur zu staunen: „Ach, so isch des?“ Das war sein Dauerkommentar im eigenen Idiom. Wurde er aber mit diversen Überlegungen konfrontiert, dann sagte er fast nach jedem Satz mit betroffenem Ernst nur die Worte: „Ja, so ist das, ja, so ist das!“ Gewöhnlich verhielt er sich zustimmend – wie ein Psychologe, der gerade das positive Konditionieren seines Gesprächspartners zum Programm erhoben hat. Aus der zur Floskel reduzierten Aussage „So ist es“ entstand bald der entsprechende Spottname in Rumänisch, den ein Vorschulkind als solchen noch nicht durchschauen konnte. Ein Spottname? Was war das? Wie hätte ich daraufkommen sollen? Schließlich war nur zu vernehmen, wie die Leute ihn nannten. Und dieser stets verständnisvoll kopfnickende kleine Herr mit dem grauen Schnauzer im ovalen Gesicht wurde von allen nur „Aschai“ genannt,  manchmal auch „Aschaeste“.

Als ich ihn eines Tages noch im Vorschulalter-Kauderwelsch naiv mit Herr Aschai anredete, genauso, wie ich es den Erwachsenengesprächen entnommen hatte, sah mich der gütige Alte etwas gekränkt an, um mir dann zu sagen: „Mein lieber Cari, nenne mich künftig bitte nicht mehr „Herr So-ist-das“! Nenne mich bitte einfach „Domnu Marin“ – oder „Nea Marin“, denn mein richtiger Namen lautet schlicht Marin! So heiße ich wirklich!“ Marin war der Vorname – und die Anrede „Herr Marin“ oder „Onkel Marin“ entsprach voll der üblichen Anrede im Banat, wo Erwachsene von Kindern und Jugendlichen noch ehrfurchtsvoll mit „Vetter Hans“ oder „Wes Gret“ angesprochen wurden.

Was konnte ich Herrn Marin entgegnen? Nichts! Konsterniert, da empfindlich getroffen, würgte ich den Kloß hinunter. Blamiert hatte ich mich und falsch benommen. Die Zurechtweisung saß, nur war ich mir keiner Schuld bewusst. Etwas Zeit musste vergehen, um zu begreifen, was die sanfte Ermahnung bezweckte. Ohne es zu wollen, hatte ich einen liebenswerten Mitmenschen verletzt; aus Unwissenheit – und nur, weil ich reinen Herzens unverblümt geredet hatte. Was wusste ein kleiner Junge von den Zweideutigkeiten der Sprache, von den Mehrdeutigkeiten der Worte in den Sprachen anderer Völker, von Hintergedanken, Boshaftigkeiten oder von der blanken Heuchelei der Menschen um mich herum. Bigotterie? Gab es das wirklich? Auch bei uns? Schließlich gingen doch alle in die Kirche, zur Heiligen Messe, zum Beichten und zum Speisen! Und die Sündhaftesten sangen am lautesten im Kirchenchor!? Der peinliche Vorfall, der mir vorkam wie die späteren Watschen und Ohrschellen meiner nicht immer zimperlichen Lehrer war ein erster Hinweis darauf, den erkenntnisreichen Segnungen der Erwachsenenwelt künftig noch mehr zu misstrauen und diese weitaus kritischer aufzunehmen.

Der gütige Herr Marin hatte sich oft Zeit für mich genommen. Er hatte Drachen mit mir gebaut aus feinen Holzlatten und blauem Papier. Gemeinsam hatten wir diese Drachen später im aufkommenden Wind steigen lassen. Ein Vergnügen, die zitternde Schnur zu halten und gegen den Wind anzukämpfen! So muss das Segeln funktionieren, kombinierte ich, immer hart am Wind! Nea Marin hatte mir von einer um Weihnachten in die verschneite Sowjetunion unternommenen Reise bunt illustrierte Märchenbücher mitgebracht mit neuen, kulturfremden Inhalten. Indische Volksmärchen enthielt das dicke Buch und viele Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die vom Leben armer Bauern berichteten, deren sehnlichster Wunsch ein gefüllter Reistopf war, mit einem Hähnchenschlegel darin. Erstmals vernahm ich etwas von Menschen fressenden Tigern, von alles niedertrabenden Elefanten, von Turbanträgern, schmuckbehangenen Prinzessinnen, von Säulenheiligen am Ganges, von Heiligen Kühen und Ratten, von Maharadschas und lumpenumhüllten Bettlern, Göttersöhnen, von Vishnu und von Buddha, von tausend Gottheiten dahinter – ebenso von anderen Sichtweisen und Werten. Das tägliche Brot der Inder war der Reis? Staunen erfüllte mich. Interkulturelle Unterschiede fielen auf – und neue, unbekannte Welten. Da war viel bildhafte Romantik und Fantasiereiche Kurzweil in den Märchen. Die pittoresken Ausmalungen ferner, exotischer Welten beflügelten die eigene Vorstellung. Das Unbekannte faszinierte doppelt und förderte das Interesse an fremden Kulturen. Wenn die allabendliche Märchenstunde anstand und Vater, in einer Küchenecke auf dem gemauerten Sparherd sitzend zum Vorleser wurde, übersetzte er mir die Inhalte aus dem Rumänischen. Gleichzeitig betätigte er sich als Zensor, indem er aus der Sammlung nur diejenigen Märchen auswählte und vortrug, welche die zarte Seele eines heranwachsenden Kindes am wenigsten zu belasten drohten. Ohne viel von theoretischer oder angewandter Psychologie zu verstehen, setzte Vater weitgehend intuitiv psychologische Kriterien an und sonderte die seelisch grausamen Geschichten aus, um so meinen unbelasteten Schlaf zu gewährleisten, frei von Albträumen, während Mutter sich geradezu konträr verhielt. Für sie waren die „Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm“ ein probates Mittel, das manchmal trotzige, eigenwillige Kind schnell zur Raison zu rufen, es in die Schranken zu weisen, während Vater, intellektuell versierter und an Lebenserfahrungen wesentlich reicher, vielmehr auf Trostspenden und Harmonievermittlung bedacht war. Nach ihrem pathetischen Vortag vergaß Mutter fast nie, „die Moral von der Geschichte“ nachdrücklich mit erhobenem Zeigefinger in Klartext zusammenzufassen, in der Regel mit einer gelinden Drohung verbunden und dem dazugehörenden Hinweis auf Strafe: „Siehst du, wenn die Kinder den Eltern nicht folgen, wenn sie nicht brav sind und tun, was man ihnen sagt, dann werden sie ausgesetzt im Wald wie „Hänsel und Gretel“ und in wilde Tiere verwandelt wie die „sieben Raben“. „Brüderchen und Schwesterchen“ ähnlich sentimental vorgelesen und nachträglich interpretiert, verursachte mir frühkindliche Albträume und brachte mich zum Weinen. Was wusste die Mutter von der Psyche des Kleinkindes? Nicht viel. Fast nichts.

Ein dickes Märchenbuch mit vielen Zeichnungen – das war ein schönes Geschenk! Auch sonst hatte Nachbar Nea Marin mich mit kleinen Präsenten überhäuft, mich mit Süßigkeiten verwöhnt, mit Kuchen und Torten, die von den zahlreichen Familienfeiern im Ballsaal stammten. Weshalb hätte ich diesen guten Menschen überhaupt kränken sollen, den väterlichen Freund, der mehr für mein kindliches Wohlbefinden tat, als die oft gleichgültigen Angehörigen und nahen Verwandten? Erneute Zweifel kamen auf. Also zweifelte ich eher am eigenen Milieu, dessen geistige Autorität langsam bröckelte und allmählich ins Wanken geriet, als an den manchmal argwöhnisch beäugten Rumänen von vis –à- vis.

Mein soziales Umfeld sollte noch mehr in eine chronische Schieflage geraten, als ich auf konkrete Wissensfragen oft falsche oder ausweichende Antworten erhielt – auch im Elternhaus, was mich sehr enttäuschte. Eine Konsequenz bestand darin, die lästige Fragerei bald ganz einzustellen. Für mich, den Knaben im Vorschulalter, zählte bald mehr und mehr die unmittelbare Erfahrung der Menschlichkeit im Alltag, ganz egal, woher sie kam, nicht die Äußerlichkeit oder das trennende Vorurteil. Schon früh kristallisierte sich dabei ein Phänomen heraus, das später im Leben vielfach bestätigt werden und bis zu meiner Ausreise Ende der Siebziger Jahre anhalten sollte: Von wenigen Ausnahmen, die es in allen Nationen gibt, blieb der im Alltag erlebte Rumäne eine konstante positive Größe; oft entgegenkommend, konziliant, freundlich, vor allem aber menschlich. Mit diesen Rumänen konnten wir auskommen, wie es damals hieß – und sie mit uns Deutschen. Es gab sie wirklich – die anständigen Rumänen, auch wenn manchmal am Stammtisch hasserfüllte Stimmen zu hören waren, die im Überdruss oder nach einer persönlichen Enttäuschung gleich das ganze Staatsvolk in Bausch und Bogen verdammten.

Im Gegensatz zu den sonst wesentlich temperamentvolleren Ungarn, die weder in Sackelhausen noch im Temeschburg meiner Zeit nationalistisch militant auftraten, konnte man mit den Rumänen vor der Haustür in der Regel und weitgehend konfliktfrei, ja sogar gut zusammenleben, wenn nicht noch ein ideologisches Element hinzukam, das die kommunistischen Scharfmacher einsetzten, um einen Keil zwischen Nationen und einfache Menschen zu treiben. Von Kindesbeinen an habe ich die nachbarschaftlichen Rumänen als sanfte und konziliante Menschen erlebt – ausgehend von Prototypen und Vorbildern wie Nea Marin und Fräulein Tănăsescu, die Lehrerin. Der abstrakte Rumäne hingegen, der nationalistisch ausgerichtete Chauvinist, Produkt einer stilisierten Geschichte, oft Ideologieträger und Funktionär, wurde bald zum bekämpfungswürdigen Gegner, ja sogar zum Feindbild, zumindest für mich in meiner bald aufkommenden sozialkritischen, antikommunistischen Polemik. Das Hineinwachsen in die Gesellschaft und die zunehmende Ideologisierung vollzog sich in diesem Spannungsfeld.

Schon als Kinder entwickelten wir die Mittel dazu: die Beobachtung, die Analyse und den immerwährenden Vergleich. Die späteren Sozial- und Geisteswissenschaftler unter uns mussten nicht lange nach einer Interpretationsmethode suchen. Sie waren schon geborene „Komparatisten“, von Anfang an. Wer zwischen mehreren Nationen und Kulturen aufwächst, wird später viel zu differenzieren haben – zwischen den Werten einzelner Nationen und zwischen Ideologien, zwischen demokratisch-pluralistischen und monostrukturiert -totalitären.

 

 

 

 

 

Hintergrund, Dokumentation, Auszüge und Blogbeiträge, die später in die Buchpublikationen aufgenommen wurden:

 

Carl Gibson: Allein in der Revolte. Eine Jugend im Banat.

Zweiter Band der "Symphonie der Freiheit"
erschienen



Neuerscheinung:

Carl Gibson:

Allein in der Revolte


Ab sofort im Buchhandel und Online-Buchhandel:

http://www.amazon.de/Allein-Revolte--Eine-Jugend-Banat/dp/389754430X/ref=sr_1_4?s=books&ie=UTF8&qid=1362068743&sr=1-4


Carl Gibson, Allein in der Revolte.

Eine Jugend im Banat.



Carl Gibson: Gegen den Strom. Deutsche Identität und Exodus - Neu: Allein in der Revolte

http://roell-verlag.de/shop/article_978-3-89754-430-7/Gibson%2C-Carl%3A-Allein-in-der-Revolte%3A-Eine-Jugend-im-Banat.-Aufzeichnungen-eines-Andersdenkenden-%E2%80%93-Selbst-erlebte-Geschichte-und-Geschichten-aus-dem-Securitate-Staat.html?sessid=og5KWB3r0pvwbfGSXLaz33MJbJsMiHXsB0GCeK7TbSQAdYJCZcMeVOZEN03Spg3a&shop_param=cid%3D32%26aid%3D978-3-89754-430-7%26



Der längst überfällige zweite Band der

"Symphonie der Freiheit"

ist gerade erschienen -
unter dem Titel:


Carl Gibson, Allein in der Revolte

im J. Röll-Verlag Dettelbach.

Aus editorischen Gründen wurde der ursprünglich vorgersehe Titel:


Carl Gibson: Gegen den Strom
Deutsche Identität und Exodus 
Autobiografisches zum Untergang der deutschen Kultur im Banat und in Siebenbürgen während der kommunistischen Diktatur in Rumänien
Erlebnisse, Erinnerungen, Reflexionen

abgeändert.


 Foto: Privatarchiv Carl Gibson

Melancholischer Rebell in der Revolte-




Carl Gibson (19 Jahre jung)
Anno 1979 in Temeschburg, Banat, Rumänien, unmittelbar vor der Verhaftung als SLOMR-Organisator in Temeschburg (Timisoara).
Auf meinem US-Blog liegt - noch für kurze Zeit - eine umfangreiche Leseprobe vor, unter :
Der Druck des Aufklärungs- und Aufarbeitungswerkes verzögerte sich verlagsbedingt um mehrere Jahre.

Buchrückseite:

Carl Gibson, M.A., Jahrgang 1959, Bürgerrechtler während

der kommunistischen Diktatur in Rumänien,

lebt als Philosoph, Historiker und Schriftsteller (VS)

in Bad Mergentheim.

Mehrere Buchveröffentlichungen, Aufsätze, Essays.

Zu seinen Hauptwerken zählen die literaturhistorische Dichter-Monographie:

Lenau. Leben – Werk –Wirkung, Heidelberg, 1989

sowie die autobiographische Darstellung: Symphonie der Freiheit.

Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur, Dettelbach 2008.


Ergänzend zur „Symphonie der Freiheit“, ein Erinnerungswerk, in welchem die Geschichte der ersten freien Gewerkschaft „SLOMR“ im Ostblock aus der Insider-Sicht eines Dissidenten sowie die Bedingungen der politischen und kulturellen Opposition differenziert wie kritisch beschrieben werden, schildert der Autor nunmehr im Folgeband „Allein in der Revolte“ seinen Weg in den antikommunistischen Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur.

Carl Gibson beschreibt das Phänomen des „real existierenden“ Kommunismus aus der konkreten Erlebnisperspektive eines jungen Nonkonformisten im Banat und erörtert dabei den Kampf um Menschenrechte sowie das Ringen der deutschen Minderheit um ethnische Identität. Zeitgeschichtlich orientiert fragt der Autor nach den Ursachen und Gründen, die zum Exodus der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen aus Rumänien führten.


Foto: Privatarchiv Carl Gibson

Der jugendliche Carl Gibson in Sackelhausen
bzw. Temeschburg,
im Banat, Rumänien
während der Oppositionszeit 1977/1979 im antisozialistischen Westlook.


Online-Publikation als Leseprobe (in dieser Ausführlichkeit nur noch kurze Zeit):






Folgendes ist augenblicklich noch
 - für jeden frei ( und kostenlos
zugänglich -
 
im Internet veröffentlicht:

Die Einzel-Titel bitte googeln 
( unter Autor und Kapitelüberschrift oder Stichwort):
Prolog:
„Heim ins Reich“
23. August 1944 – „Großer Tag der Befreiung“.

Teil I:
Präludium – ein Fisch im Wasser
Im dunklen Drang
Stadtluft macht frei – in Temeschburg geboren
Viele Identitäten und ein Selbst – in Sackelhausen daheim
Von Namen, Herkunft und Zukunft
Im Garten Eden – Zauberstab und Prisma
Niederungen und Höhen. Von der Freiheit der Kindheit und der Entdeckung der Welt
Ein „Homo ludens“ – Experiment und Hybris
Ein „Strom-“ Schlag – symptomatisches Scheitern?
„Heile Welt“?
Das „Wir“, die Gemeinschaft und das Fremde
Drei Kulturen – Menschen vor der Haustür
Erste Kontakte zu Rumänen – das „Fräulein“ und der Desperado
Tabu und Stigmatisierung
Herr „So-ist-das“
Am Brunnen vor dem Tore … und im Krämerladen an der Ecke
Pictor, der Gezeichnete – vom frei gewählten Anderssein
Freigeistiger Maler in kunstfeindlichem Umfeld
Einsamkeit und künstlerisches Schaffen – ein Schicksal hinter der Kunst
Exkurs:
Die Freiheit der „Zigeuner“ – ihr Wesen, ihre Kultur, ihre Musik
Teil II:
Zurück, zum Ursprung!?
Prosperität und Niedergang – das Banat während der Weltkriege
Stalinistische Willkür und Revanchismus: Enteignung, „Bodenreform“, Zwangskollektivierung
Von Freidorf aus in die Unfreiheit – Verschleppung Deutscher in die Sowjetunion
Schuld und Sühne – Zur Instrumentalisierung Volksdeutscher in der “Waffen-SS”
Verbannt in die Wüste – stalinistische Vergeltung gegen Deutsche im Bărăgan
„Inszenierte“ Geschichte – ein Schwabenzug
1968 – Der Prager Frühling und das Ende der Freiheit
„Dissidenz“ von oben? – Ceauşescu – Enfant terrible der Kommunistischen Welt?
„Die Russen kommen!“ – das Trauma von 1968
Tirol, Tirol … Argonner Wald … Waidhofen an der Ybbs – vom Reden und vom Schweigen
Geschichte und Wahrheit – Begrenzung oder Stimulans der Freiheit?
Ethos und Humanität – im Wertevergleich zwischen Leitsatz und Vorurteil
Andere Völker, andere Sitten – von nationalen Tugenden … Lastern und religiöser „Toleranz“
Das Banat ist die Stirn – Heimat und gesunder Patriotismus
Herkunft und Heimat – Lex sanguinis oder Jus soli?
Aufforderung zum Tanz – oder: vom Reigen und vom Contredance.
„Rumänisches Herz“ und „Unkraut“ – Chauvinismus und Nationalkommunismus
BRD oder DDR? Ethnische Selbstbehauptung und Identitätswahrung
„Meine Ehre heißt Treue“! Übermenschentum und Nibelungentreue
Kriegsfolgen, Minderheiten und Irredentismus
Bildung ist Freiheit, und Wissen ist Macht. Vom Ritus des Lesens
Ein Königreich für ein Buch!
Bücherwelten, sexuelle Aufklärung und Tabus
Vom Ungeist des Hasses und von der Macht des Ressentiments
„Unterm Rad“ - zwischen dem Hochdeutschen und banat- schwäbischer Mundart
Felix Krull und Linguistik, Grammatik, Komparatistik für Anfänger
„Wert und Ehre deutscher Sprache“
Ein Liebling der Götter – von der Freiheit realsozialistischer Pädagogik
Du gehst zur Schule, vergiss die Peitsche nicht! – Von Zucht und Züchtigung
„Lever dood ut slow“ – Literatur-Rezeption, Kulturkampf und Selbstfindung
Vom Tuten und Blasen … und vom Singen – frühe Indoktrination und Lobhudelei
Der „Homo novus“ des Sozialismus – oder: der „unfreie Mensch“
Zum Glück verdammt? Der Mensch als „Pawlowscher Hund“ und das Eiapopeia vom Himmel
„Entweder – Oder“ !? Kartoffelsuppe und Seelenheil
„Geh zu Hitler“ – der „böse Deutsche“ in Ideologie und Alltag
„Geld stinkt nicht“! „Bakschisch-Kultur“ und „Kopfgeld-“ Mentalität
Lernt! Lernt! Lernt! Von „linguistischer Satisfaktion“ zum „interkulturellen Witz“
„Der Unbeständige“ – drei Gymnasien und ein Ziel
„Proletarier“, Possenreißer und „Pojatzel“ – von der Freiheit des Narren
Ein „Spiel mit dem Feuer“ – verbotene Dinge und deplatzierter Humor


Wer mehr zu den Themen:

Geschichte des Banats,
Sackelhausen,
Temeschburg,
Alltag und Opposition während der kommunistischen Zeit in Rumänien erfahren will,
kann die einzelnen Kapitel online lesen,
kostenlos, aber bestimmt nicht umsonst!
Die hier bereits veröffentlichten "Dokumente" und "Bilder" veranschaulichen und ergänzen die Beschreibungen des Zeitzeugen.

Wissenschaftliche Zitation ist gestattet.
Kommerzielle Verbreitung der Texte oder von Auszügen daraus jedoch nicht.


 Foto: Carl Gibson

Der Alt (Olt) in den Karpaten auf dem Weg in den Strom (Donau)




Leseprobe:

Online-Publikation
von:

Carl Gibson, Allein in der Revolte
Selbst erlebte Geschichte und Geschichten aus dem „Securitate“-Staat

Foto: Privatarchiv Carl Gibson

Schwarz, Rot, Gold-
Offenes Bekenntniss zur Bundesrepublik Deutschland
bzw. zum Christentum

Anno Domini 1977 in Sackelhausen/ Temeschburg, im Banat -
im kommunistischen Ausland "Rumänien"
zur Zeit des Kalten Krieges zwischen Ost und West.

Inhalt - folgende Kapitel werden bzw. sind als Leseprobe bereits veröffentlicht:

Teil I:
Der lange Weg zur Freiheit
Von der Lichtmetaphysik und der Symbolkraft der Farben
Die Partei – zwischen Nationalismus und Internationalismus
Äußere Erscheinung und innere Werte
ICHTYS – vom religiösen Widerstand und von der Solidarität der Verfolgten
Im Dilemma – „Kulturkampf“ zwischen katholischer Kirche und atheistischem Staat
Ein „Kreuzträger“ im „Aufstand der Moral“
„Märtyrer für Christus“ – ein Monsignore, ein Jesuit und ein Konvertit
Ein „Brief mit sieben Siegeln“
Opfergang für ein Buch – „Präfaschist“ Nietzsche
Schwarz, Rot, Gold
Im „Zeichen des Kreuzes“
„Agent provocateur“? Vom „Deutschen Orden“ zu Otto von Bismarck
Maskerade
Nachspiel und Folgen
Nichts wie weg! – „Gehen wir oder bleiben wir“?
Unendlicher Bolero
Rumänien-Rundreise – das „Blau von Voroneţ“
Reflexionen
Bukarest – In der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
Großstadtflair
„Hungerstreik“ und „ziviler Ungehorsam“ – im Ministerium
Spießrutenlaufen
Stalins Schattenriss – vom Großen Terror der Diktatur
Jedem das Seine – von Menschheitsverbrechern und moderner Tyrannis
Auftakt mit einer Bestie
Der Mohr im Loch
Zuckerbrot und Peitsche – oder: vom „Wesen der „Securitate“
Zukunft aus dem Kaffeesatz – von der Freiheit des Okkulten
„Bafta“! Glück und Glas … Von der „weißen Magie“ „schwarzer Leute“
Ein Anflug von Freiheit
Freiheit oder „Anarchie“? „Schein statt Sein“
Instrumentalisierte Instrumente
In Sturm und Drang – Ideale und „Idole der Freiheit“:Beethoven, Mozart und Goethe
Schiller und Lenau
Beben und Erschütterungen
Ein langer Tag – zwischen Dom und Kathedrale
Unter Rosen
In Memoriam „Weiße Rose“
Das Kreuz und die Rose
Nach Süden, ans Schwarze Meer
Das „Eiserne Tor“ am „Eisernen Vorhang“
Holzkreuze im Wind – Bărăgan
Himmel und Hölle
Einübung in die Ars amatoria
Tristia – mit Ovid in Tomis
Deutsch-deutsche Begegnungen
Teil II:
Flamme und Schwert
„Du bist nichts – Dein Volk ist alles!“ „Parasitäre Elemente“ und Schmarotzer
In einer kleinen Konditorei … in der Bastei – Signale der Freiheit: Es gärt im Land!
Felix, der Musiker
Musik als kulturelle Opposition und Widerstand
Musik-Rezeption
Mozart – Musik als Manifestation von Freiheit und Menschenrechten
Großmutters Garten Eden
„Schaffe, schaffe!“ – „Von nichts kommt nichts“ – Großmutters Lebensphilosophie
Das Refugium auf dem Land – schöpferische Freiheit in freiwilliger Abgeschiedenheit
Mozart und Schubert – Therapeutikum Musik
Melancholie und künstlerisches Schaffen
Literatur- und Geistesrezeption – von Heine und Lenau zu Nietzsche
Künstlerisches Schaffen im Untergrund – „Die Flucht in die Heimat“ zu: „Don Carlos Rex
„Maria Magdalena“
Ceauşescu in Sackelhausen
„Déjà-Vu“ mit zwei Königen
Staatspräsident „auf Lebenszeit“ und KP-Chef Ceauşescu – Reflexionen eines Ungehorsamen
Widerstandsrecht und Tyrannenmord
„Heim ins Reich“ – Bundeskanzler Schmidt als Katalysator des Exodus
Menschenhandel und Kopfgeld
In den Vorhallen des Orakels
Warten auf … den Pass – von der „Freiheit der Verweigerung“
Im Fadenkreuz des Geheimdienstes „Securitate“
Panta rhei – auf der Suche nach oppositionellen Alliierten
Gegeneinander statt miteinander – Nationalkommunisten und Chauvinisten
Gebeugte Häupter bleiben vom Schwert verschont, also duckt euch!
Am Meer, im Reich der Sinne
Die „Loreley am Pontus“
Eine „unheilige Madonna“ und Don Juan auf Urlaub
In Angst und Verzweiflung
System-Opfer am Wegrand
Das Heil in der Flucht … über die grüne Grenze
Ein gescheiterter Fluchtversuch an der Donau
Vor dem Ausbruch in die Freiheit
Grenze und Grenz-Erfahrungen oder Hybris?
Rettung
Folter und Strafe
Homo sum – U-Haft in Drobeta – Turnu Severin
Sippenhaft
Symphonie der Freiheit – Widerstand gegen die Ceauşescu -Diktatur – Ausblick


Foto: Privatarchiv Carl Gibson
 Foto: Privatarchiv Carl Gibson

Verurteilung der beiden Gründer der "Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLOMR"
Erwin Ludwig und Carl Gibson -
"Urteil" in deutscher Übersetzung.

In dem im Mai 2008 publizierten Werk “SYMPHONIE DER FREIHEIT” wird die Geschichte der ersten größeren freien Gewerkschaft in Osteuropa “SLOMR” beschrieben.
Die zweite Teil “Allein in der Revolte “
schildert
den Weg zur freien Gewerkschaft SLOMR
sowie die Voraussetzungen und Bedingungen antikommunistischer Opposition während der Ceausescu-Diktatur.


Wer mein Werk "Symphonie der Freiheit" aus materiellen Gründen nicht erwerben kann,
der kann das Buch

auszugsweise trotzdem lesen:

Google und das Internet machen es möglich,

unter:

http://books.google.de/books?id=ykTjXDg8uycC&printsec=frontcover&dq=carl+gibson+symphonie+der+freiheit&source=bl&ots=uj9Z1AnzGy&sig=2QfvmREQUYtE-BmUnlAFwwpj7As&hl=de&ei=PYLvTJD1FtDxsgbI2f2DCw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=9&ved=0CEYQ6AEwCA#v=onepage&q&f=false

Wichtig ist, dass die Inhalte,
namentlich die

Geschichte und Gründung der "freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLOMR" im Jahr 1979 in Bukarest und Temeschburg (Timisoara),


fast zwei Jahre vor "Solidarnosc" in Polen,
bekannt und -über die Forschung hinaus - diskutiert werden.





Nachtrag (18. 1. 2911):

In der Zwischenzeit hat sich einiges geändert.

Der vom Verlag ins Internet gestellte "Auszug" aus meinem Werk "Symphonie der Freiheit" ist in dieser Form nicht mit mir abgestimmt.

Die Textpassagen sind willkürlich ausgewählt,
bestenfalls zufällig, aber keinesfalls "repräsentativ" für das Gesamtwerk,
dessen zweiter Teil ( unter: Gegen den Strom) bereits im Herbst 2010 im gleichen Verlag hätte erscheinen müssen.

Nach dem Einblick in meine Securitate-Akte bei der CNSAS in Bukarest
wäre eine

Neuauflage der "Symphonie der Freiheit"

angesagt,
da teilweise neue Erkenntnisse, vor allem aber zahlreiche bisher noch unbekannte Daten und Fakten zum Oppositionsgeschehen während des Ceausescu-Kommunismus vorliegen.


Auch zu einer Neuauflage schweigt der Röll Verlag aus Dettelbach .




Buchbesprechung von Dieter Michelbach, in: Banater Post, November 2008.

Eine Variante dieses Artikels existiert auch unter: http://www.carlgibsongermany.wordpress.com/

 
 
Nachwort zur „Symphonie der Freiheit“

Zur Konzeption und Genese eines politischen Buches in künstlerischer Form


Das Ringen um den Wert der Freiheit zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Die Freiheit, das Leitelement der Humanität, ist der Wert schlechthin, aus dem alles hervorgeht, die „Conditio sine qua non“ der menschlichen Existenz - ohne sie ist wahres Menschsein unmöglich. Das ist eine selbst gemachte Existenzerfahrung. Die Sehnsucht nach Freiheit ist der Motor, der alles antreibt. Um diese Botschaft weiter zu geben, schrieb ich dieses Buch.
Als Präsident Traian Băsescu am 18. Dezember, dem Vorabend des EU-Beitritts seines Landes, vor das rumänische Parlament trat, um, gestützt auf einen wissenschaftlichen Kommissionsbericht, den mehr als vierzig Jahre herrschenden Kommunismus im Land als „illegitim“ und „kriminell“ zu verurteilen, war dieses Buch bereits geschrieben. Es ist eines von vielen Zeugnissen, die den Mitgliedern der Präsidentenkommission zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien die Möglichkeit boten, ihren Auftrag zu erfüllen; eine jener Biografien individueller Opposition, die in ihrer Gesamtheit auf das Phänomen der „Dissidenz“ verweisen, die es als solche in Rumänien nach Meinung mancher „Experten“ überhaupt nicht gegeben hat. In der wohl repressivsten aller Diktaturen des Ostblocks, wo man noch in den 80er Jahren während der Zeit von „Glasnost“ und „Perestroika“ für das Anbringen einer „Nieder mit Ceauşescu-“ Losung gleich mit fünf, sechs, ja selbst fünfzehn Jahren Haft rechnen musste, war weder eine „systematisch koordinierte Opposition“, noch eine liberale, gesellschaftsverändernde Dissidenz möglich, eben weil dem totalitären Staat Ceauşescus und seiner KP in dem Geheimdienst „Securitate“ ein unüberbietbar repressives Instrument zur Verfügung stand. Möglich waren oft nur verwegene Einzelaktionen, die von mutigen Menschen ausgetragen wurden, von Menschen, die sich, oft um den Preis ihres Lebens, für Ideale einsetzten und für Werte, die heute nur in wenigen Teilen der Welt zut Selbstverständlichkeit gehören: für Freiheit und für Menschenwürde.
Bevor ich mich durchringen konnte, dieses Buch auszuarbeiten, habe ich mir in den letzten fünfundzwanzig Jahren immer wieder die Frage gestellt, ob das seit Langem angedachte Projekt „überhaupt“ realisierungswürdig ist. War mein Zeugnis, mein „Testimonium authenticum“ noch notwendig, gar wichtig? War es sinnvoll, die höchst intensiv durchlebte Zeit von damals mit all dem, was ich an sozialpolitischen Entwicklungen erfahren hatte, noch einmal wachzurufen und zu schildern? War es mir selbst gegenüber gerechtfertigt, noch einmal „substanzielle Lebensenergie“ aufzubringen und weitere Jahre ausschließlich in ein Projekt zu investieren, das zudem noch finanziert werden musste wie eine wirtschaftliche Unternehmung? Würde es objektiv gebraucht werden, Anklang finden oder doch nur „böses Blut“ verursachen, da es manch unbequeme Fakten und „Wahrheiten“ anzusprechen galt und an Tabus gerüttelt werden musste? Früher, zur Zeit der Pharaonen und Cäsaren, ließen die Herrscher ihre Chronisten kommen, um ihnen das Vermächtnis an die Nachwelt in die Feder zu diktieren, so, wie sie es haben wollten – mit Glanz und Gloria. Die Tradition währte bis zu Ceauşescu und seinen „Genossen“, die, wie alle Diktatoren der Welt, Herkunft und Geschichte umschreiben ließen. Was historisch wahr war, bestimmten sie selbst, auch wenn vieles sich anders ereignet hatte. War es in den Demokratien des Westens viel anders? Bestimmten nicht die Medien, allen voran die großen Tageszeitungen, Wochenzeitschriften und die mächtigen Verlagshäuser der Republik, was wahr ist und was falsch, indem sie einer Meinung und Richtung den Vorzug gaben und alle anderen Meinungen abwürgten, unterdrückten, trotz Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und fehlender Zensur? Hatte man nicht schon ein paar „Auserwählte“ auserkoren, die als Handlanger der Macht sagen durften, was opportun war und was „als Wahrheit“ gelten durfte? Wenn das denn so war, weshalb sollte ich mich selbst wieder quälen, alle verschütteten und verdrängten Schrecknisse der Vergangenheit mehrfach wachrufen und - über die bloße Niederschrift hinaus - bei jeder Überarbeitung der Szenen und Kapitel all die albtraumweckenden Prozesse wie Verhör, Folter und Haft erneut nacherleben, sisyphusartig wie im Bolero als unselige Wiederkunft des Gleichen? Nur um ein Buch über „totalitäre Phänomene“ zu schreiben, wo diese doch bereits an anderer Stelle vielfach ausführlich dargestellt und analysiert worden waren? Ein weiteres Buch über eine „kommunistische Diktatur“, die bereits Teil der Geschichte ist, in einer Zeit, wo das Ende des Weltkommunismus fast überall schon zum Greifen nahe scheint? Die Zweifel blieben bis zuletzt. Sie wollten auch nicht weichen als - den nicht üppigen Schaffensbedingungen zum Trotz alles festgehalten war, in einem Lebenswerk auf tausend Seiten, aus welchen andere - kommerziell orientiert - vielleicht einen „Rougon-Macquart-Zyklus“ in zehn Bänden gemacht hätten.
Kurz vor der Edition der „beiden Bände“, in die mein umfangreiches Werk aufgeteilt werden musste, mit erheblichen Konzession an die „künstlerische Konzeption“ fiel mir während des fortgesetzten Quellenstudiums das Zeugnis eines Landsmannes aus Sackelhausen auf, in welchem er die tragische Zeit seiner Existenz und die eigene Opferrolle zusammengefasst hatte. „1945 wurde ich im Kessel von Budapest von Russen gefangen genommen. Eine halbe Stunde später hatte ich kein Gewehr mehr, keine Uhr und keine Stiefel. Dann ging es für zehn Jahre in die russische Gefangenschaft. In der Zeit habe ich viel gesehen, erlitten und erlebt. Würde ich das alles aufschreiben, wäre es ein ganzes Buch.“ Der potenzielle Autor und „Zeitzeuge“ beschränkte sich auf die Andeutung der Möglichkeit, schrieb aber nichts auf - wie neunundneunzig Prozent der Opfer in ähnlicher Situation, vielleicht aus der Einsicht heraus, dass wahrhaftiges „Schreiben“ auf einem bestimmten ästhetisch-geistigen Niveau „Schwerstarbeit“ gleichkommt, womöglich aber auch aus der Einsicht heraus, nach Krieg und zehn vergeudeten Jahren in Kriegsgefangenschaft künftig im Leben „besseres“ zu tun zu haben. Die meisten „Zeitzeugen“ nahmen ihr tristes Schicksal hin und schwiegen beharrlich, der eigene Vater nicht ausgenommen. Durch ihr Schweigen aber schützten sie die Täter – und sie nahmen dabei in Kauf, dass sich all das Unselige und Unfassbare, das im Verborgenen weiter Wühlende, da nicht bewältigt, wiederholt.
In diesem Punkt wollte ich dagegen halten und „etwas mehr“ zu Papier bringen als die fünf prägnanten Sätze meines Landsmannes - als „Zeitzeuge“ und als „aktiv handelnder Augenzeuge“, der bestimmte Entwicklungen und Prozesse selbst erlebt hatte, Ereignisse, die zum Teil „singulär waren“ und deshalb schon aus historischen Gründen festgehalten werden mussten wie die „Gründung und Niederschlagung der ersten größeren freien Gewerkschaft in Osteuropa, SLOMR.
Darüber hinaus sprachen noch viele andere Gründe und Fakten „für die Niederschrift des Zeugnisses“, für ein positives Dagegenhalten, für „ein entschiedenes Pro“ - nicht zuletzt die jüngsten makropolitischen Entwicklungen in der freien Welt, wo die Ethik der Nationen, das für alle Staaten verbindliche Völkerrecht, mehr und mehr in die Defensive gedrängt wird! Aber auch die nur dem aufmerksamen Ostbeobachter auffallende Erkenntnis, dass im schon niedergerungen geglaubten, einstigen „Reich des Bösen“ die Stalin-Statuen wieder aus der Mottenkiste geholt und auf die Podeste russischer Städte gestellt werden. Ein Menschheitsverbrecher der Sonderklasse wird einmal mehr retuschiert und als historische Persönlichkeit verklärt - wie im gleichen Atemzug damit eine anderswo als illegitim und kriminell verurteilte Ideologie des Klassenkampfes eindeutig rehabilitiert wird. - Etwas von dem Ungeist der Lüge ist inzwischen unbemerkt in den Westen übergeschwappt und ist schon kräftig am Wirken. Waren die großen Verbrechen, die scheinbar präventiv im Interesse des Vaterlandes begangen wurden, doch nicht so schlimm? Große Individuen, aber auch reine Machtmenschen in entsprechender Position und mit Macht ausgestattet, können das Rad der Geschichte beschleunigen. Und sie können auch das gleiche Rad zurückdrehen und den Status quo ante wieder herstellen. Kommt das bald auf uns zu? Das „Gespenst des Kommunismus“ lebt noch wie der „untote“ Graf Dracula aus dem fernen Transsilvanien; es ist quicklebendig wie die schon tot geglaubte „Securitate“. Solange auf unserer Erde ein Großteil der Menschen in Armut und Elend verharren müssen, wird das „Rote Gespenst“ weiter umgehen; und mit ihm wird die Forderung „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ uns allen erhalten bleiben.
Während im Westen die Erinnerungen an das, was der diktatorische Kommunismus in Osteuropa war, bereits verblasst, müssen ganze Kontinente nach wie vor in totalitären Verhältnissen und unter autoritären Systemen leben - in Diktaturen, die, von starken Führerpersönlichkeiten durchgesetzt, jederzeit überall wieder möglich werden können, selbst in hochkultivierten Nationen, in Völkern von Dichtern und Denkern, wenn das Bewusstsein der Bürger dies zulässt. Freiheitliche Völker und Staaten stützen heute aus Gründen der Staatsraison und von realpragmatischen Überlegungen ausgehend, menschenverachtende Diktaturen in Afrika und Asien, statt prinzipiell an den wankelmütig erscheinenden, jungen Demokratien festzuhalten.
Makropolitische Fehlentwicklungen beginnen oft mit Fehleinschätzungen im Kleinen, weil Prinzipien leichtfertig aufgegeben und wie unnützer Ballast von Bord geworfen werden. Schließlich konnte auch ich mehr als fünfundzwanzig Jahre hindurch staunend selbst beobachten, wie „historische Wahrheiten“, die ich konkret miterlebt hatte, vergessen und ignoriert wurden; wie Tatsachen, die meine Existenz mitprägten, ganz oder partiell entstellt und somit verfälscht wurden, selbst in der sonst so gründlichen Wissenschaft. Und ich durfte mit verfolgen wie manches zwischen Dichtung und Wahrheit angesiedelte politische Thema in belletristischen Fiktionen sogar auf den Kopf gestellt und ad absurdum geführt wurde. Doch Ignoranz und Vermengung von Wahrheit und Fiktion sind Irrwege, Holzwege, die in die Sackgasse führen, wenn nicht gar ins Nichts.
Jeder Wertezerfall, und wir erleben heute einen dramatischen Zerfall von Wertstrukturen, hat auch sozialpolitische Auswirkungen. Gerade deshalb muss der „Philosoph“ in Erscheinung treten und dort ansetzen, wo Dichter - wie schon seit Platons Zeiten - mehr oder weniger bewusst lügen, indem er aufklärt und widerspricht, eben weil er nicht selbstverliebt dichtet, sondern verantwortungsvoll denkt, indem er nicht die Freiheit der Dichtung beschneidet, sondern ihre Grenze aufzeigt, damit nicht der Mythos zur Wahrheit wird.
Nach meinem Weltverständnis ist es eine „Bürgerpflicht“ und eine „Pflicht vor der Welt“, dort aufzuklären und zu widersprechen, wo Täuschung, Heuchelei und bewusste Verfälschung den Blick auf die Wahrheit verstellen, auf die historische, politische und existenzielle Wahrheit; vor allem dann, wenn die Mittel gegeben sind, den Kraftakt zu schultern.
Das eigene Gewissen, das ein Vierteljahrhundert nicht schweigen wollte, drängte mich schließlich, eine durch Skepsis, Lethargie und Schwäche „vor mir hergeschobene Aufgabe zu Ende zu bringen“, einem Gelübde gleich, das man sich selbst auferlegt hat - doch nicht die Eitelkeit, selbst noch einmal im Rampenlicht stehen zu wollen. Dazu hatte ich damals, 1981, als ich als Sprecher der Freien Gewerkschaft rumänischer Werktätiger SLOMR von Genf aus die Beschwerde der Vereinten Nationen gegen das Regime von Diktator Ceauşescu mit auf den Weg brachte, ausreichend Gelegenheit, allerdings ohne davon Gebrauch zu machen. Schrieb ich dieses Buch auch aus solipsistischen Gründen, um über einen reinigenden Prozess, über eine Katharsis die Vergangenheit endgültig ad acta zu legen und um letztendlich psychisch zur Ruhe zu kommen, weil eine bewusste Verdrängung dies nicht schafft? Oder aus der Sicht des „moralisierenden Besserwissers“? Keinesfalls!
Die „Symphonie der Freiheit“ und ihr zweiter Band „Gegen den Strom“ entsprechen weder der Emanzipationsbestrebung eines prometheischen Sisyphus, der irgendwann von Überdruss und Ekel bedrängt den Fels, den er den Berg hinan schiebt, von sich stößt, um, der Last des Schicksals entledigt, endlich befreit aufzuatmen; noch verkörpert das Werk die Sicht des Weisen, der sich im Besitz der Wahrheit weiß. Das Dokumentieren realsozialistischer Wirklichkeiten entspringt primär pflichtethischen Überlegungen, die bescheiden darauf abzielen, von Hass und Hetze ausgelöste totalitäre Bedingungen künftig verhindern zu wollen. Das: „Wehret den Anfängen“ mahnender Seher motivierte auch mich. Meine „Symphonie der Freiheit“ wurde von moralischen Impulsen ausgelöst. Sie wird von „historischen Notwendigkeiten“ geleitet und bestimmt, von Phänomenbeschreibungen, die über das individuelle Geschick, über die Existenz des Berichtenden, hinausgehen. Sie waren konzeptionsprägend und formbestimmend.
Als sich vor zwei Jahren - mitten in einer existenziellen Krise - plötzlich die Chance bot, das lange hinausgezögerte Projekt doch noch in Angriff zu nehmen, nutzte ich die Gunst des Augenblicks, von dem ich nicht wissen konnte, ob er wiederkehrt und brachte mein Testimonium zu Papier, aufgewühlt und eilig und nicht immer im Einklang mit meinem ästhetisch-literarischen Anspruch. Ein Lebenswerk braucht Zeit, Muße und Einkehr - Faktoren, die mir lange Zeit nicht zur Verfügung standen. Doch die Notwendigkeit, Fakten darzustellen, wog schwerer.
Bestärkt von Freunden, die immer wieder zur Aufnahme der Dokumentation gedrängt hatten, hämmerte ich „mein Zeugnis“ in den Computer, wohl wissend, dass solche Phasen rar sind im Leben und günstigere Schaffensbedingungen wohl nie mehr auftreten würden. Die trügerische Hoffnung darauf, die politisch-historische Wissenschaft werde ihre Hausaufgaben erledigen und die Dissidenzthematik in Rumänien aufarbeiten, „falsche Bescheidenheit“ und die Selbstachtung, die es mir untersagte, am Portal oft nur kommerziell orientier Publikumsverlage antichambrieren zu müssen, waren verantwortlich dafür, dass mein „Zusammenklang der Ideen in Worten“ nicht früher realisiert werden konnte.
Der ersten Textfassung, die, gemessen am Endprodukt, nur ein Entwurf war, folgten sieben Überarbeitungen mit Ausweitungen und Differenzierungen, wobei deutlich wurde, dass Prioritäten gesetzt und nicht alle Themen ausführlich und vertieft dargestellt werden konnten. Erfreulicherweise fand die frühe Fassung des Textes bereits im Frühling 2006 die wohlwollende Anerkennung der Experten, namentlich von Professor Stefan Sienerth und seinen Wissenschaftskollegen vom Institut für südosteuropäische Kultur und Geschichte, IKGS, eine Institution, die das Projekt, speziell den ersten Band, über die Gewährung eines Druckkostenszuschusses auch materiell gefördert hat. Für beide Formen der Unterstützung, ohne die eine rasche Umsetzung des Projektes kaum hätte möglich sein können, bin ich außerordentlich dankbar. Ebenso danke ich für die begeisterte Akklamation meiner „Testleser“ aus zwei Generationen unterschiedlicher Herkunft, die mich auf ihre Weise ermutigten, das Werk an die Öffentlichkeit zu bringen.
Mit der Niederschrift meines Erlebnisberichts, der keine vollständige Lebensbeschreibung sein will und kann, sondern nur ein zweckdienlicher Extrakt daraus, ein Auszug, der weitgehend das wiedergibt, was von öffentlichem Interesse ist, melde ich mich als „Zeitzeuge“ zurück, als ein Mitgestalter politischer Umbruchprozesse, der sich fragend der Vergangenheit stellt, wissenschaftlich-analytisch wie essayistisch-literarisch. Was geschah damals unter bestimmten Bedingungen in Temeschburg, in Bukarest? Und weshalb geschah es ausgerechnet so? Wie war es wirklich? Was ist Wahrheit und was Mythos?
Vielleicht wirken einige meiner Aussagen wie der Bericht eines „Überraschungszeugen im Gericht“, der unerwartet aus der Versenkung auftaucht, der dem Prozessverlauf eine neue Wendung gibt und dessen Faktendarstellungen dazu führen, dass die wahren Schuldigen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen und verurteilt werden; dessen Zeugnis aber zumindest ausreicht, um das, wozu er Position beziehen kann, „in einem neuen Licht“ erscheinen zu lassen, um „veränderte Perspektiven“ oder „neue Aspekte“ hinzuzufügen, damit - über eine denkbare Neubewertung - die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt und die lange noch nicht abgeschlossene Vergangenheitsbewältigung wie Versöhnung möglich werden.
Viele Kernaussagen von Zeugen der Geschehnisse objektivieren historische Entwicklungen. Die Aufarbeitung einer schwierigen Vergangenheit ist nur dann möglich, wenn ihre Abläufe authentisch rekonstruiert, dokumentiert und im Dialog der sozialen Schichten oder der involvierten Völker untereinander erörtert werden. Wie es einer staatsbürgerlichen Pflicht entspricht, eine Straftat anzuzeigen, von der man erfährt, entschied auch ich mich - über das Gewissen hinausgehend und aus einer „Ethik der Pflicht“ heraus - nicht weiter zu schweigen wie der eigene Vater, der nichts von den fünf Jahren seiner Deportation nach Kriwoj Rog preisgab, vielmehr über bestimmte Erlebnisse so „wahrhaftig und vollständig wie möglich“ zu berichten. Andere politisch-geistige Vorbilder waren mir dabei vorausgegangen.
Solschenizyn hatte über den siebten Kreis der Hölle berichtet und über das Inferno selbst, über die Strafkolonien des Gulag und das große Völkergefängnis Sowjetunion. Paul Goma, einer der wenigen kommunismuskritischen Schriftsteller Rumäniens, schrieb über „Gherla“ und andere rumänische Gefängnisse. Als Temeschburger und Banater Schwabe habe ich andere Dinge erlebt, aus anderer Sicht, Phänomene, die nicht verschwiegen werden dürfen. Und als glücklich Entsprungener schulde ich dies den Opfern, denen keine Stimme gegeben war, zu reden. Das Schweigen des Philosophen und aktiven Zeitzeugen hätte in meinem Fall nur ein Decken der Täter bewirkt. Die ungesühnten Opfer am Wegrand schreien mahnend nach Gerechtigkeit. Wo das Gewissen der Welt nach „historischer Wahrheit“ verlangt, ist Silber wichtiger als Gold. Denn zum „falschen Zeitpunkt schweigen“ bedeutet „Billigung aller Schandtaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, die es im totalitären System des Kommunismus zuhauf gegeben hat – vor meiner Zeit und nach meiner aktiven Dissidenz. Wo die starre Verweigerung der Aussage bestimmt, sind destruktiven Legendenbildungen und Mythisierungen weiterhin Tür und Tor geöffnet. Die vielen Untaten, ja Verbrechen, von denen ich auf meinem Weg in die Freiheit erfuhr, dürfen nicht unbestraft der Anonymität verfallen, weil sie, einmal durch die Nichtahndung belohnt, wiederkehren und vielleicht noch schlimmeres Unheil anrichten wie in der jüngsten Vergangenheit mit Genozid und vielfachem Tod. Solschenizyn sah die Dinge so, Sacharow, Havel, die polnischen Dissidenten um Michnik und Kuron, Paul Goma, viele Andersdenkende und Menschenrechtler aus der DDR und nicht zuletzt auch ich selbst. Solange die Oppositionsprozesse, hinter welchen sich Menschenschicksale verbergen, nicht dokumentiert, vielfach gespeichert und verbreitet waren, konnte ich nicht ruhig schlafen. Die verschwiegene Missetat von gestern ermöglicht das Konzentrationslager von morgen.
Die in der „Symphonie der Freiheit“ und in „Gegen den Strom“ geschilderten Abläufe und Phänomene sind keine „Kopfgeburten“ der Imagination, keine Kreationen eines fantasiebegabten Dichterhirns, surreale Welten schildernd, nur weil man mit der „realexistierenden“ nicht klarkommt; sie entstammen auch nicht der „Perspektive eines Voyeurs“, der von sicherer, saturierter Warte aus über Zeitungen, Zeitschriften, über Radio, Fernsehen oder heute auch über neue Medien wie das „Internet“ die Ereignisse aus der Ferne betrachtet und dann bestimmte Phänomene, die er nur „vom Hörensagen her“ kennt, frei thematisiert. Die von mir präsentierte Erlebniswelt entstammt der „Sicht des konkret politisch Handelnden, der ein Teil des Geschehens“ war, der dieses rege mitgesteuert und beeinflusst hat - und der, im Gegensatz zu vielen, die Ähnliches und viel Schlimmeres erlitten haben, über die geistig sprachlichen Möglichkeiten verfügt, wenigstens etwas von den menschenunwürdigen Schrecknissen der Jetztzeit festzuhalten.
Die „Symphonie der Freiheit“ ist das Werk eines langjährigen Dissidenten, das die „Sichtweise eines Andersdenkenden“ transportiert, der sich an „tatsächlichen Wahrheiten“ orientiert, nicht an „Fiktion“. Ein Aufklärer nach der Aufklärung, ein Philosoph der Jetztzeit, schreibt anders als der verspielte Ästhet, auch ohne den moralisierenden Zeigefinger zu erheben - und ohne dabei unliterarisch schreiben zu müssen. Historische, politologische, psychologische und philosophische Kapitel oder Passagen können - vom aufmerksamen Leser gut voneinander zu unterscheiden - durchaus als eigenständige Betrachtungen, Analysen und Essays neben rein literarischen Texten stehen. Die zu vermittelnde Botschaft ist dabei wichtiger als die Form. Deshalb setzt mein Erinnerungswerk nicht auf „Selbstmythisierung“, diese wäre vor dreißig Jahren im Kalten Krieg besser inszenierbar gewesen, sondern auf die Authentizität der Ereignisse und faktischen Abläufe sowie auf die phänomenologische Beschreibung selbst gemachter Erfahrungen auf unterschiedlichen Ebenen. Das entspricht dem sachlichen Anspruch dieses Werkes. Insofern ist das Dargestellte der „Bericht eines Zeit- und Augenzeugen“, der durch die Präsentation von objektiven Gegebenheiten aus etwa fünf höchst intensiv erlebten Jahren über historisch-politische Spiegelungen einen fünfzigjährigen Abschnitt neuester Zeitgeschichte, was der Lebenszeit des Autors gleichkommt, einzufangen sucht. Die vom Gehirn bereits stark zusammen komprimierten Jahre 1976-1981 mussten wieder auseinandergezogen und im Detail rekonstruiert werden, wobei die „damalige Sicht der Dinge“ - mit allen ihren Vorurteilen und unreifen Unzulänglichkeiten - herüber gerettet werden sollte. Das Gehirn erinnert sich und leistet diesen Akt, wobei der Autor, das braucht kaum betont zu werden, als wissenschaftlich denkender Hermeneut von heute natürlich mit seinem gegenwärtigen Geistesinstrumentarium agiert.
Dem Wirklichkeitsnahen und somit einer „empirisch objektivierbaren Wahrheit“ wird dabei Priorität vor dem „ästhetisch-literarischen Komplex“ eingeräumt. Der Verfasser der „Symphonie der Freiheit“ beschreibt einzelne Phänomene zwar auch literarisch - und er erklärt Phänomene, wo es notwendig erscheint, auch in abstrakter Metadiskussion, Phänomene, die „nur aus der Perspektive des Insiders“, aus dem „inneren Erleben der Wirklichkeit“ und der „inneren Schau heraus“ thematisiert werden können. Doch auch dieses Vorgehen entspricht der „Methode des philosophischen Schriftstellers“, der im Zugang und in der Darstellung „anders gewichtet und wertet“ als weniger „existenziell“ orientierte Autoren: Wer die einzelnen Kreise der Hölle noch nicht auf eigener Haut verspürt hat, kann leicht über die Teufel mit den Mistgabeln spotten. Doch wer den Schmerz des Stiches einer dieser Folterinstrumente in seinem Allerwertesten fühlte, den Gummiknüppel des Schergen auf der nackten Fußsohle, die Faust im Nacken oder den Stiefeltritt im Rücken, wer einmal in finstrer Kerkerzelle von Todesangst geplagt in Ketten strampelte, wer Martern erdulden musste, die die Grenzen des Menschseins aufzeigen, der wird die Welt mit ernsteren Augen sehen, bewusster, existenzieller und moralischer. Er wird anders werten und fühlen. Schmerz hat viel mit Wahrheit zu tun. Wer politisch-soziale Wirklichkeiten „in ihrer verheerenden Negativität“ erlebt hat, wird notwendigerweise anders Dinge analysieren und beurteilen als unbefangene Betrachter, kritischer und schonungsloser. Das Ethos hat für ihn einen anderen Stellenwert - eben, weil es existenzieller Natur ist.
Wer an der Humanität festhält - in diesem Punkt wiederhole ich mich gern und bewusst mit Leidenschaft, darf tatsächliche Abläufe der Geschichte nicht sorglos unterschlagen. Die Fakten müssen ausformuliert und schriftlich fixiert werden als Beitrag zur objektiven Wahrheitsfindung, der sowohl der regen, sicher lange noch andauernden „Vergangenheitsbewältigung der involvierten Völker“ als auch der künftigen Historiographie dient. Damit ist das „objektive Anliegen“ der „Symphonie der Freiheit“ definiert - ein Ziel, das natürlich bis zu einem gewissen Grad auch in einem unliterarischen, nüchtern analytischen Tatsachenbericht hätte erreicht werden können. Hätte ich ihn trocken und distanziert verfasst, wäre daraus ein „politologisch- gesellschaftskritisches Sachbuch“ geworden – wieder nur ein Buch für ein paar Fachleute aus der Wissenschaft und einige interessierte Laien. Dazu drängte es mich nicht. Ganz im Gegenteil!
Wenn ich mich in meiner Darstellung „gegen eine rein wissenschaftliche Fassung“ und „für eine freie literarisch- künstlerische Form“ entschieden habe, dann geschah dies nicht nur deshalb, weil selbst die strenge Wissenschaft oft allzumenschliche Erwartungen enttäuscht, sondern aus geistig-ästhetischen Überlegungen heraus, aus dem starken Impetus, auch im Gesamtkünstlerischen andere, neue Wege gehen zu wollen sowie dem Ehrgeiz, das eigene Philosophieren anhand der Existenz zu entwickeln und zu exponieren. Was Philosophie letztendlich taugt, offenbart sich, wenn ihre Weisheiten und Lehren vom Leben selbst in Extremsituationen überprüft werden. Dem Schicksal danke ich dafür, solche Extremsituationen durchlebt zu haben, Erfahrungen, die mich trotz allem das individuelle Ethos konsequent aufrechterhalten ließen.
Weshalb sollte ich ein „konventionelles“ Werk verfassen, wenn ich gleichzeitig ein „freiheitliches“ Buch zu schreiben bereit war, ein Buch, das vielleicht doch nicht so verrückt ist, wie es beim ersten Anblick anmutet? Nur weil die Verlagswirtschaft zwischen Belletristik und Sachbuch oder Fachbuch einen Gegensatz konstruiert, der in Wirklichkeit nicht da ist? Einen Gegensatz, den das wahrhaftig „belletristische Werk“ aufhebt. Nicht-Fiktion, sprich Wirklichkeit, muss nicht als Antithese zur Fiktion erscheinen. Nichtfiktion, also Faktisches aller Art in ästhetisch anspruchsvoller Form, ist der Gegenstand der Belletristik, der schöngeistigen Literatur, überhaupt. Eben deshalb entschloss ich mich in meiner „Symphonie der Worte“, das - streng typologisch gewertet - tatsächlich ein „belletristisches Werk“ ist, gegen die Monostruktur und für die komplexere Darstellungsweise der von mir erlebten Wirklichkeiten.
Neue Wege in der Kunst - bis hin zum avantgardistisch Forcierten, das in eine Sackgasse führt, stießen immer wieder auf den Widerstand der Krämerseelen. Trotzdem war ich überrascht, auch heute noch die gleiche Renitenz, Starrheit und Unflexibilität in den Verlagsetagen vorzufinden, wenn es um die Durchsetzung einer etwas nonkonformistischen Konzeption ging. Der „künstlerisch angehauchte Dissident“, der immer schon opponiert hatte, sollte sich endlich zusammennehmen und im „Stil des Oberlehrers“ schreiben! Und dies nur deshalb, weil Vermarktungsgepflogenheiten und Geschäftspraktiken in der Buchwirtschaft dafür sprachen. Was ist aus der Freiheit der Autoren geworden? Im krassen Gegensatz zum Schubladendenken kommerziell ausgerichteter Publikumsverlage, die ein Editionsprojekt nur noch danach beurteilen, ob damit eine hohe Auflagenzahl erreicht werden kann, entschied ich mich für ein „eigenständiges Buch“, fest entschlossen, die „freie Konzeption bis zum Ende durchzusetzen“, auch auf die Gefahr hin, „das Projekt selbst verlegen“ zu müssen. Mit Goethe, Schiller und Nietzsche, um nur einige der ganz Großen zu nennen, wäre ich damit in guter Gesellschaft.
Einst, als es noch „Verlegerpersönlichkeiten“ gab und Verlage noch eine „geistige Mission“ erfüllten, wurden auch noch „Bücher verlegt“, obwohl keine „hohen Verkaufszahlen“ zu erwarten waren - nur so, aus Prinzip und um der Sache willen! Doch heute, wo „Werte“ nur noch in den Sonntagsreden versierter Politiker vorkommen oder im Stahltresor der Großbanken, sind auch diese Zeiten längst vorbei. Die „Symphonie der Freiheit“ in starrer Form? Undenkbar!
Weshalb entschied ich mich ausgerechnet für eine freie Form - und dazu noch in Anlehnung an die Musik? Weshalb wurde alles gerade „so“ umgesetzt und nicht anders? Vielleicht weil im Verfasser auch ein verkappter Komponist steckt, ein Ver-Dichter und Wort-Setzer, ein Frei-Geist, der seine Themen, Motive, Allegorien und Symbole nach Strukturen arrangiert, die freiheitliche Momente implizieren, nicht nach dem fixen Schema einer Fuga? Vielleicht, weil in ihm ein kon-kreativer Koch steckt, der „neuen Wein in neuen Schläuchen reicht“, der antike Rezepte frei moduliert, um den Gaumen anderer Leute feststellen zu lassen, was daraus emaniert? Geist und Kunst? Die freie Form mit unterschiedlichsten Geschichten für die unterschiedlichsten Leser - und, dies betone ich für taube Verlegerohren, das können durchaus viele sein - eröffnet im Gegensatz zum kühlen Tatsachenbericht, nicht nur dem Autor vielfache geistig-künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten. Auch der Leser, der nicht dumm ist, kann sich das Gesamtwerk oder auch nur Teile daraus im freien Zugang erschließen. Ein durchaus ernster Stoff wird dabei in zugänglicher Weise vermittelt - vielfach auch mit einer humoresken Note. Der Interessierte soll nicht nur traurig werden oder gar der Melancholie verfallen, wenn er darüber liest, was Menschen anderen Menschen antun und was die „Bestie im Menschen“ ausmacht. Er soll auch schmunzeln können, wenn er hier blättert und liest. Trotzdem entspricht dieses Werk einem „Pflichtprogramm“, wo die Grenzen von Spott und Lachen erkennbar sind. Die „Kür“, mit dem lösenden und erlösenden Lachen im Vordergrund, folgt noch - und zwar in einer satirisch-parodistischen Humoreske, die mehr sein wird als nur ein Splitter oder Nebenprodukt aus dem Hauptwerk. Es ist die sublimierte Essenz daraus, die poetisch- philosophische Extraktion, die literarisch wie lebensphilosophisch Wege geht, die ihm Hauptwerk nur angedeutet werden konnten.
Ohne gelegentliche Ausflüge in den literarisch-künstlerischen Bereich, ins Poetische und Musikalische, in die Welt der Schöngeistigkeit, hätten eine Reihe aus dem reellen Kontext heraus beschriebener Phänomene philosophischer und psychologischer Natur nicht in ihrer vollen Tragweite und Tiefendimension erörtert und beschrieben werden können. Bestimmte existenzielle Phänomene wie Grenzerfahrungen, Ängste, Melancholie, die sonst nur akademisch abstrakt diskutiert werden, ohne die Menschen zu erreichen, werden im Handlungsprozess in ihrer Entstehung exponiert, um ihr Verständnis zu ermöglichen. Das ist ein weiteres Anliegen des literarisch agierenden Philosophen, der die Philosophie über die Kunst aus den steril abstrakten Hallen der Akademie herausführen will - hin zu den Menschen.
Was hier in der relativ kurzen Zeit von drei intensiven Arbeitsjahren entstand - unter Bedingungen, die so waren, wie sie waren - will ein, modern gesprochen, interaktives Buch sein; ein Buch der Neuzeit, das, fern vom Elfenbeinturm, im Dialog mit dem Leser steht und entsteht; ein Werk, das noch nicht fertig ist, vielleicht auch nie fertig wird, sondern immer „Fragment“ bleibt - vielleicht aber auch weiter geschrieben wird, wenn der Leser mir dies signalisiert und bessere Schaffensbedingungen es ermöglichen. Ferner behalte ich mir vor, nachdem nun die dokumentarische Leistung erbracht ist, in einer zweiten Auflage einige Sätze der Symphonie frei auszubauen und andere wegzulassen. Vielleicht entsteht so ein noch freieres Buch, welches noch weniger in die engstirnig kommerziellen Raster der Verlage passt als das vorliegende. Die Freiheit selbst hat den Charakter meines Werkes diktiert und seine Form weitgehend mitbestimmt. Sie ist organisch aus der Materie erwachsen und eben „so“, weil ein Autor, der freie Wege geht, auch in Kunst und Geist, sich keiner Zensur unterwerfen darf - weder der Zensur des Formalen, das nicht einmal literaturwissenschaftlich definiert werden kann, noch der „Zensur des Kommerziellen“, die von einer Handvoll Verlage diktiert wird und sich als „Verhinderung eines Buches“ auswirkt wie die vielen Monopole in der arg beschränkten freien Marktwirtschaft, die sich selbst ad absurdum geführt hat.
Ein freies Buch ist immer auch ein Experiment. Viel lieber hätte ich anders über das große Thema Freiheit geschrieben, nur aus der Sicht des schaffenden Subjekts heraus, des Künstlers, des verdichtenden Tonsetzers und gaumenfreudig komponierenden Musikers, mit anderen Akteuren als den Bestien, die ich in der Darstellung nicht ignorieren konnte und darstellen musste, weil sie integraler Teil des Geschehens waren und die historische Materie auch jenes so vorgegeben hat. Aber schon deshalb ist dies kein selbstgefälliges „Art pour L’art- Projekt“, das im entrückten Elfenbeinturm entstand - und, selbstverliebt um sich kreisend, einmal in die Welt geschickt, seinem Schicksal überlassen wird. Es ist vielmehr ein „politisches Buch“, das rezeptionsorientiert geschrieben wurde, also für den kritischen Leser, obwohl die Konzeption eine freie ist, die eine formale Trennung zwischen schöngeistiger Literatur und sachlicher Abhandlung nicht akzeptiert. Wissenschaft, das wussten schon die Populärphilosophen seit Sokrates und alle großen Dichter, muss nicht immer trocken sein und menschenfern. Literarischer Avantgardismus und pragmatischer Nutzen müssen sich nicht gegenseitig aufheben! Das Werk ist gerade „so“ geschrieben worden, weil die Materie den potenziellen Leser „angeht“, weil es manche aus der Leserschaft, die Teile der Wegstrecke mitgegangen sind, sogar unmittelbar betrifft. Auch soll die Sache andere Interessierte berühren, wachrütteln, Menschen ohne spezielles Vorwissen über den nahen und doch so fremden Raum mit seinen Menschen vor der eigenen Haustür.
Dieses Werk „in zwei Bänden“ ist in mancher Hinsicht ein modernes, assoziatives Buch mit Wechselwirkung, das von neuzeitlichen Informationsmöglichkeiten ausgeht und diese auch genutzt hat. Die nicht immer einfache „Symphonie der Freiheit“ mit ihren wandelnden Perspektiven und Wahrheiten appelliert deshalb an ein vernetztes Denken, an ein enzyklopädisches Bewusstsein, das heute durchaus aufrecht erhalten werden kann, wenn man das humanistische Bildungsideal noch nicht gänzlich aufgegeben hat. Beide Bände richten sich an einen anspruchsvollen, assoziativ kombinierenden Leser, der mehr von der ihm noch unvertrauten Welt eines europäischen Nachbarn erfahren will, viel mehr und Tieferes als es ihm die gängig geschilderte Story eines zeitgemäßen Romans bieten kann. Mein Werk richtet sich an Geister, die an interdisziplinären und interkulturellen Zugangsformen Freude haben, ohne aber nur für die „Happy Few“, für eine Handvoll Intellektuelle, geschrieben worden zu sein. Einzelne Kapitel, eigentlich abgeschlossene wissenschaftliche Aufsätze, die, um der Lesbarkeit willen, nicht mit einem Berg von Quellenangaben und Fußnoten überhäuft wurden, haben einen intensiven Forschungsaufwand erfordert. Die einzelnen Essays ebenso. Trotz bewusst weggelassener Fußnoten wird die strenge Sicht des Wissenschaftlers nicht aufgegeben. Ausgewählte Quellenangaben und Literaturhinweise erfolgen im Text. Damit ist auch dieses Werk, konventionell gesprochen, in wesentlichen deskriptiv analytischen Partien auch ein Fachbuch, allerdings in literarisch-künstlerischer Einbettung und mit entsprechenden künstlerischen Freiheiten, die jeder Geist zu würdigen weiß. Es folgt damit dem freien publizistischen Ansatz eines Essays, einer literarisch-wissenschaftlichen Gattung, die in Frankreich immer schon bevorzugt wurde, und setzt auf den unverkrampften Stil des „Hommes des lettres“, der sich wohltuend vom verstaubten Professorenduktus abhebt und der, frei von vielen Zwängen, sich im künftigen Europa sicher durchsetzen wird. Leichtigkeit und Zugänglichkeit genießen Priorität, während auf das „literarische Experiment in nuce“ weitgehend verzichtet wurde. Ein Franzose, selbst der Akademiker, würde mein schlichtes Ganzes „einen umfangreicheren Essay“ nennen - eine Weltbeschreibung in freiartistischer Form, ohne nach engen Gattungstypologien und eingrenzenden Begrifflichkeiten zu fragen.
Um der Wissenschaftlichkeit zu genügen, die den eigenen Blick bestimmt und den Anspruch, die Materie zu erörtern, ist mein umfangreicherer Essay mit vielen Gesichtern also auch methodenpluralistisch und interdisziplinär ausgerichtet - und stilistisch so geschrieben, weil gerade diese Art der geistesgeschichtlichen Beheimatung des Autors und seinem Literaturverständnis entspricht. Politologisch-historische Passagen analytischer Art im wissenschaftlichen Duktus gehalten stehen neben literarischen Abschnitten oder psychologisch-philosophischen Betrachtungen und Beschreibungen, weil die Struktur der Symphonie der Freiheit dies als bescheidenes Gesamtkunstwerk erfordert. Wird der Leser mit dem „scheinbaren Chaos“, in welchem trotzdem Ordnung herrscht, fertig werden? Das fragen sich skeptische Verleger, denen das Buch „zu komplex“ erscheint. Doch hier irrt die Verkaufszahlen-Empirie. Der Leser ist viel gescheiter und gewandter in seiner Rezeption, als es ihre Verlagsweisheit ahnen lässt und auch bereit, „schwere Kost“ zu sich zu nehmen und zu verdauen. „Kursivschrift“ wird als mildes Gestaltungsmittel eingesetzt. Ohne penetrant oder gängelnd wirken zu wollen, werden jene Begriffe und essenziellen Aussagen kursiv hervorgehoben, über welche der Leser - über das Zitat hinaus - etwas tiefer nachdenken sollte, wo er bei der Lektüre innehalten, reflektieren und meditieren kann. Ferner werden „offene Strukturen“ abgedeutet, die dort entstehen, wo „kein gängiges System greift“. Diese zunächst dokumentarisch-analytisch konzipierten „Erinnerungen“, die ich nicht „Memoiren“ nennen will, da ich mein Leben noch nicht als abgeschlossen betrachte, entwickelten sich im Verlauf der Ausarbeitung mehr und mehr zu einem belletristischen Werk, in welchem, neben der politisch und historischen Sachdiskussion, die der Materie immanent ist, zunehmend die individuelle Form eines eigenen literarischen Stils in den Mittelpunkt trat. Autobiografische Skizze, Erzählung, Reflexion und Essay als eigenständige Einzelkreation formen zusammen genommen - hermeneutisch gesprochen - ein Ganzes, das kein Ganzes sein will, weil es offenbleibt, ein kleines Universum, in welchem sich die Einzelkomponenten verhalten wie der Mikrokosmos zum Makrokosmos. Die einzeln antizipierten Phänomene werden im Ganzen noch erweitert und vertieft. Erst unmittelbar vor der Drucklegung wurde aus hermeneutischen Gründen zusätzlich zum symbolischen Haupttitel sowie zum objektivierenden Untertitel folgende dritte Ergänzung beigefügt: Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung in autobiografischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen. Die an sich bescheidene, ja fast unprätentiöse prosaische Kurzform „Skizze“, in welcher die narrativen Abläufe erfolgen, mag darauf hindeuten, dass in diesem thematisch festgelegten Werk eigentliche Literatur nur gelegentlich hervorscheinen wird. Das ist ein Kompromiss an die darzustellende Materie. Das „Bekenntnis“ steht für das emotional Subjektive bis hin zur pamphletartigen, polemischen Kampfschrift, während die analytische „Reflexion“ wiederum auf eine Objektivierung der subjektiven Perspektive zielt.
How to read? Das fragte Ezra Pound einst, als er über Sinn und Unsinn von Literatur nachdachte. Doch gibt es eine Anleitung, Bücher zu lesen, ohne seine Zeit zu vergeuden? Vielleicht! Als all dies niedergeschrieben wurde, hatte ich die wertvolle Zeit des Lesers nicht ganz vergessen. Deshalb schrieb ich oft „in nuce“ - und oft leider mit gezogener Handbremse, wobei ich nur etwas von der Welt, die ich beschreiben wollte, einfangen konnte. Balzac und Zola, Thomas und Heinrich Mann sowie ein paar andere Romanciers, die nur Schriftsteller sein durften, hatten mehr Raum und Zeit. Gehetzt schrieb ich „gegen Hetze“ und „für symphonischen wie symphilosophierenden Zusammenklang“, gelegentlich angstgetrieben, die Aufgabe nicht adäquat bewältigen zu können. Dabei schrieb ich „höchst ungern“ in der oft unvermeidbaren „Ich-Form“. Nicht die moderne Romantheorie, nur die innere Wahrhaftigkeit legte mich auf die Ich-Perspektive fest.
Was die „objektive Glaubwürdigkeit“ meiner Aussagen betrifft - da halten sich noch andere Zeitzeugen bereit, „Menschen mit gutem Gedächtnis“, die einiges bestätigen können oder auch dementieren. Wir opponierten seinerzeit nicht im luftleeren Raum, noch im Verborgenen und auch nicht in der Scheinwelt des Algabal. Der Leser wird selbst entscheiden, ob er der Beschreibung tatsächlicher Wirklichkeiten mehr vertraut als „surrealer Fiktion“; und ob dieser Stil ihn mehr anspricht oder eine andere Art, Wirklichkeiten und Zerrbilder zu Literatur zu machen.
Ein freies und offenes Buch - und die „Symphonie der Freiheit“ ist ein freiheitlich offenes Buch - wird dem Leser keine Zwänge auferlegen. Er muss nicht alles lesen, um „eine andere Welt“ kennen zu lernen - oder Phänomene, die nur aus dem Detail hervor scheinen. Der werte Leser kann in freier Selbstbestimmung das Werk irgendwo aufschlagen, in den Geschichtlein und Geschichten über Geschichte und Zeit, über Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit, mit Einblicken in die Zeit, in der wir wirklich leben - und dort mit dem Lesen beginnen, wo es ihn lockt, neue Dinge zu erfahren, vor allem „neue Gedanken“, heitere Wortspiele und „ungewohnte Assoziationen von Ideen“. Wenn ihm das gefällt, was es liest, kann er an anderer Stelle vertiefend weiter lesen: Von hinten nach vorn - oder auch nur das Inhaltsverzeichnis, wie ich es selbst oft praktiziert habe; oder einzelne Kapitel aus dem weiten Geschehen als Anregung oder kurzweilige Entspannung. Er kann aber auch ganz gewöhnlich lesen wie seit Jahrtausenden im Abendland - von Alpha bis Omega. Dann wird er viele unterschiedlich gestaltete Einzelteile vorfinden, Sujets teils mit Substanz, die im inneren Zusammenhang stehen, doch nicht im System angeordnet, sondern in der offenen Struktur; Texte, die allesamt auf ihre Weise das Hauptphänomen Freiheit umkreisen und darlegen, wie vielfältig sich die Reflexionen dieses Begriffes allein in der deutschen Sprache gestalten. Oder er kann sich anderen Erscheinungsformen der Freiheit widmen, Epiphänomenen und Emanationen der Freiheitsidee, der Humanität, der Wahrheit, der Identität und der viel verpönten HeimatEr wird ein farbenfrohes Mosaik vorfinden, eine bunte Welt der Worte, viele Splitter, die sich zu einem offenen Ganzen formen, zu einer größeren, noch nicht abgeschlossenen Lebensgeschichte mit dramatischen und mit tragischen Komponenten, doch mit einem vorläufigen „Happy End“. Er wird schlicht vorgetragene Erinnerungen vorfinden, bescheidene Aufzeichnungen, die sich zum fragmentarischen „Lebensroman“ zusammenfügen, zum „autobiografischen Roman“, der literaturtheoretisch bewertet nur bedingt einer ist, weil das „Romanhafte“ fehlt, das Romantisch-Versponnene und Irreale. Das Buch ist vielmehr eine „realistisch gehaltene Zeitstudie“, die zwar nicht die gesamte Existenz einfängt, aber repräsentative Teile daraus in einer bestimmten Zeit, wobei möglichst viel von der damaligen Erkenntnisweise herübergerettet werden soll - die Perspektive eines jungen Menschen in der Revolte gegen einen selbstherrlichen Staat. Dargestellt werden allerdings nur jene biografischen Abschnitte, die zur Erklärung von Regimekritik, Dissidenz und Widerstand notwenig sind. Dabei erschließt sich dem Leser das „Psychogramm einer Diktatur.
Die Kerngeschichte der „Symphonie der Freiheit“ und des zweiten Teils „Gegen den Strom – Eine Jugend im Banat“, der Weg eines Jugendlichen deutscher Herkunft in die Auseinandersetzung mit einem totalitären Staat und das „unfreiwillige Hineinschlittern in Dissidenz und Opposition“, wird, umrahmt von Elementen einer musikalischen Komposition, in mehreren Sätzen einer sprachlichen Symphonie eingefangen. Der Symphonie-Begriff markiert die offene Struktur des Ganzen, während die Freiheit das tragende Thema ist, das Hauptphänomen, dem alle anderen Motive, auch der Widerstand, nachgelagert sind: Freiheit - großes Thema mit Variationen bis hin zur Destruktion des Ideals in der freien Welt des Westens. Die vielen Facetten und Nuancen der großen Thematik werden dabei literarisch zum Zusammenklang gebracht.
Die Geschichte selbst, in welcher der Name des Protagonisten unwichtig ist, steht repräsentativ für vergleichbare Schicksale, speziell im zweiten Band, die von anderen Menschen aus dem ehemaligen Ostblock und in anderen Diktaturen der Welt ähnlich erlebt wurden. Neben der Gewerkschaftsgründung, die eine reale Einzelgeschichte ist, umkreisen die zahlreichen Miniaturen, Erzählungen und Essays, das Kernmotiv wie Planeten ihre Sonne, und bilden zwischen Prolog und Epilog angesiedelt, einen Rahmen des Gesamtgeschehens, das die jüngste rumänische Vergangenheit und die aktuelle Situation in Rumänen einzufangen sucht. Der Rhapsodische Block verweist noch einmal auf die Priorität der freien Form des Dionysischen vor der Begrenztheit des apollinischen Systems. Auf diese Weise entsteht ein Ausschnitt aus einer intensiv erlebten Zeit und einer Welt, Vergangenheit spiegelnd und in die Zukunft ausstrahlend. Ohne den Anspruch, eine ausführliche Autobiografie sein zu wollen, wurde diese Sammlung von Geschichten und Essays in erster Linie für den westlichen Leser geschrieben, für den Deutschen, den Österreicher, den Schweizer, den Franzosen, der sich für das noch ferne Volk der Rumänen interessiert - aber auch für das Schicksal der deutschstämmigen Landsleute vor seiner Haustür, die unter den Völkern des Ostens aufwachsen und die Kriegsfolgen austragen mussten. Meine „Symphonie“ soll eine geistige „Heranführung“ sein an eine noch junge europäische Nation, an das Kulturvolk der Rumänen, die durch die Jahrhunderte der Geschichte ihrer Selbstwerdung oft selbst Opfer mächtigerer Konstellationen waren, aber auch ein Element der inneren Versöhnung unter Deutschen.
Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen werden hier etwas von ihrem Ringen um die schwer zu wahrende, eigene „Identität“ wieder finden und einiges, was ihnen vielleicht „aus der Seele spricht“, während die genuinen Rumänen selbst, denen hier nochmals aus der Ferne die versöhnende Hand gereicht wird, gerade in „Gegen den Strom“ mit der Perspektive eines Deutschen konfrontiert werden, der sie aus einer Minderheit heraus, aber auch von der eigenen kulturellen Warte aus betrachtet. Keiner aus den im Werk thematisierten Völker und Volksgruppen wird nur Harmonistisches vorfinden, dem er uneingeschränkt zustimmen kann - doch das liegt im Wesen der Sache. Im Blickpunkt des Autors steht, fern von schönfärberischem Harmoniestreben, die tatsächlich erlebte realsozialistische Gesellschaft in ihrem Querschnitt darzustellen - immer aus der Perspektive des Ankämpfenden, des politisch Andersdenkenden, der manches anders sah, der aber auch heute weit davon entfernt ist, eine ideologische Abrechnung betreiben zu wollen.
Geisteswissenschaftlich betrachtet versuchte ich, zusätzlich die Sicht des Philosophen einzubringen. Da dieser der historischen Wahrheit und dem Ethos mehr verpflichtet ist als der absolut frei und somit wertungsfrei gestaltende Dichter, wird er - bis zu einem gewissen Grad auch aus südosteuropäischer Sicht - politisch-gesellschaftlich doch wesentlich anders werten, indem er aufgrund seiner Erfahrungen existenzielle wie ethische Prioritäten setzt, wobei die Klarheit eines Descartes zum Vorbild wird: Nicht Verdunkelung ist angesagt, kein Obskurantismus im neuen hermetischen Gewand des Irrealen, Surrealen und Unmoralischen, sondern ein spätaufklärerisches Erhellen - als Existenzerhellung und als Welterhellung.
Der Leser kann in der „Symphonie der Freiheit“ selektiv lesen und nur Teile rezipieren. Er kann auch nur einige „Wahlsprüche“ lesen, jene bunten Federn großer Geister, aus welchen stets die zu exponierende Idee hervor scheint, ohne dass diese näher abgehandelt wird. Der potenzielle Leser darf aber auch von seiner absoluten Freiheit Gebrauch machen und dieses vielleicht verrückte Buch unbesehen links liegen lassen! Oder auch rechts!
Doch wenn er sich zum Lesen überwindet, was heute schon selten ist, wenn er den einzelnen Essay überfliegt, das Zeugnis, die Erzählung, und darüber tiefer räsoniert, wird er manche dort versteckte Idee vorfinden, die ihm vielleicht neue Denkimpulse vermittelt. Er wird dort Heiteres antreffen und Ernstes. Er wird auf Tristes stoßen und Lustiges; auch auf jene Spur Bitterkeit, die nur einer ganz unterdrücken kann, der über dem Leben steht. Er wird auch manchen Selbstzweifel entdecken und Spuren anderer Zweifel, die nicht weichen wollten. Er wird Humanes vorfinden und Unmenschliches. Und er wird auf einiges stoßen, was ihn zu noch tieferem Nachdenken veranlassen wird, auch über die Welt der Uneigentlichkeit um ihn, die ihn festlegt und bestimmt. Er wird mit positiven Phänomenen konfrontiert werden, mit freiheitlichen Gedanken, mit Wahrhaftigkeit, mit Menschlichkeit in vielen Formen, aber auch mit überbordender Heuchelei und mit dem immer noch nicht vertilgten Ungeist der Hetze und der Negativität in unterschiedlichen Erscheinungsformen. Heuchelei und Hetze aber sind in allen ihren Formen trennend und spaltend und somit Gegensätze, ja Feinde des symphonischen Zusammenklangs zu Wahrheit und Freiheit.
Neben dem historisch notwendigen Aspekt, ein „Zeugnis“ formulieren und Tatsachen dokumentieren zu müssen, verbinde ich mit der Symphonie der Freiheit auch noch einige persönliche, subjektive Ambitionen, essenzielle Zielsetzungen, die sich, was die „Identitätsfindung“ betrifft, primär an meine direkten Nachkommen richten. Meine beiden Töchter Melanie und Julia sollen, wenn sie wie ich einmal „nach ihren Wurzeln suchen und ihrem Selbst“, mehr über ihren Vater erfahren, als ich über meine Vorfahren erfahren durfte. Dem alten „Erkenne dich selbst“ der Griechenwelt, das ein Leben lang anhält, geht die Selbstfindung über die eigene Identität voraus, insofern man offen und bewusst lebt und sich nicht hinter einer Pseudoidentität verschanzt. Auch ich lebte viel zu lange in einer mich selbst verleugnenden „Pseudoidentität“ und in der „Pseudoexistenz der Uneigentlichkeit hier im Westen, bevor ich, durch Erfahrungen geläutert, zur alten Freiheit wieder fand und zur existenziellen Selbstkorrektur. Mit 50 Jahren Bilanz ziehen, die Memoiren schreiben, neue Fragen ans Leben stellen - das ist eine gute Möglichkeit, korrigierend und gestaltend auf die künftige Existenz einzuwirken. Die Vergangenheit ändern wir nicht mehr - doch wir können die Zukunft kreativ und positiv gestalten, für uns und für die anderen.
Ferner dokumentiere ich in meiner provisorischen Bilanz auch einiges für gute Freunde, für jene, die mich über Jahre zur Niederschrift drängten, weil auch sie glaubten, dass einiges von dem verwerflichen Geschehen in einer Schreckensherrschaft für künftige Generationen festgehalten werden muss. Also schrieb ich auch repräsentativ für langjährige Wegbegleiter im Auf und Ab des Lebens und für Menschen aus meinem weiteren Lebensumfeld, die mir auf ihre Weise nahe stehen. Und nicht zuletzt schreibe ich natürlich - wie die meisten Schriftsteller dieser Welt - für die mir „unbekannten Leser“, doch nur für diejenigen, die unvoreingenommen auf ein „offenes Buch“ zugehen können, auf ein Werk, das trotzdem seinen weltanschaulichen Standort hat. Die Tausend Seiten meiner Symphonie der Freiheit sind für einen Leser bestimmt, der an „einer freien Konzeption seine Freude hat“, am Spiel der Worte und der Gedanken und der diese Freiheiten des Geistes zu genießen weiß. Je mehr unbekannte Gourmets an meiner Tafel sitzen, an meinem Wein nippen, an meinem Gericht knabbern und probieren, desto eher erreicht diese Kreation, die vor der Häme der Tangierten nicht gefeit ist, ihr Ziel. Doch die Häme kenne ich seit zwei Jahrzehnten. Sie schockte mich zwar heftig und bremste mich lange aus - doch sie war letztendlich nicht stark genug, um mich auch zu vernichten. Mein Frühwerk lebt und wirkt, weitaus mächtiger als je zuvor! Meinen eigenen Kindern aber, und nicht nur ihnen, sondern allen jungen, unverfälschten Aufstrebenden, will ich mit diesem Werk ein geschriebenes Vermächtnis hinterlassen, ein Testament, das nicht beim Notar eröffnet wird, eines, das keine „materiellen Werte“ transportiert, sondern geistige Botschaften, die besagen, dass sich „der Kampf um Werte immer lohnt“, trotz implizierter Rückschläge.
Sie mögen selbst erkennen, dass geistige Herkunft und Tradition keine leeren Wahnvorstellungen sind, keine Chimären und Illusionen, denen man vergebens hinterher jagt, sondern Fundamente, auf denen die eigene Identität und das souveräne Selbst aufgebaut werden - ganz nach dem Motto Nietzsches aus Ecce Homo: „Ja, ich weiß, woher ich stamme“, das sich leitmotivisch durch dieses Buch zieht.
Mein Testimonium schreibe ich im Geist der Antike als Apologie der eigenen Existenz und als Rechtfertigung des beschrittenen Weges - auch im Künstlerisch-Wissenschaftlichen - in einer arg verfahrenen Welt der Materie, die das Geistige in vielfacher Form preisgegeben und die den geistigen Menschen fast vergessen hat, aus einem moralischen Impetus heraus, so wie es die selbst sprechenden Fakten vorgeben, ungeachtet aller Toleranz, teils als Klage und, wo es Verbrechen tangiert, auch als Anklage in schärfster Form. Das J’accuse des Zola kann fast überall auf dem Globus ausgesprochen werden. Ich beschrieb nur einen Winkel.
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn“, dichtet Rilke im Stundenbuch. Diese Publikation knüpft an das Bild des großen Poeten an und zeigt in wechselnder Perspektive von innen nach außen und von außen nach innen die sich ändernden Lebenslinien des Menschen im Fluss. Es zeigt vielschichtige Entwicklungen auf, den viel sagenden Jahresringen eines Baumes gleich, die, vordringend bis zum Wesenskern, aus dem alles emaniert, Auskunft geben. Auskunft über die Güte des Jahres, über die Höhen und Tiefen eines Lebensprozesses.
Nietzsches Diktum, jeder große Schriftsteller schreibe eigentlich nur ein Buch; alles andere seien Vorreden, Nachreden, Kommentare dazu, stand Pate bei diesem bescheidenen Versuch, etwas aus der eigenen Existenz in einen größeren Kontext rücken zu wollen. Die Einzelgeschichten stehen, wie bereits hervorgehoben, in einem gesamtkonzeptionellen Zusammenhang, ganz wie die existenzielle Erkenntniserfahrung in den gesamtphilosophischen Kontext eingebettet wird.
Als dieses Werk im Schreiben heranreifte, wuchs und wuchs, bot ich es frühzeitig größeren Verlagen an unter dem Titel: „Gegen den Strom - Eine Symphonie der Freiheit“. Wenige Monate vor der Veröffentlichung, entschloss ich mich dann, das recht umfangreiche Werk in seine zwei organisch gewachsenen Teile aufzuspalten, allein aus „editorischen Gründen“. Somit liegen nun zwei Werke vor, die eng miteinander verknüpft sind, Siamesischen Zwillingen gleich und mit dem Hauch des Janusköpfigen ausgestattet, zwei Bücher, die um ein großes Thema kreisen, um den „Freiheitskampf im Widerstand“ gegen den Kommunismus. Während die Symphonie primär „ein Buch über Rumänien und neueste rumänische Geschichte ist“, das darlegt, was Terror und Angst vermögen, umschreibt der zweite Band „Gegen den Strom“ das Schicksal der Deutschen Minderheit in Rumänien „im Verhältnis zur Staatsnation“ und erklärt die vielschichtigen Gründe des Exodus der Deutschen aus Rumänien.
Der zweite Band, der chronologisch eigentlich der „erste“ ist und vor dem historischen Kernwerk hätte erscheinen müssen, erscheint erst jetzt, ganze zwei Jahre nach der „Symphonie der Freiheit“, weil der historischen Dokumentation der noch relativ unbekannten Ereignisse und Oppositionsphänomene rund um die „Freie Gewerkschaft rumänischer Werktätiger“ SLOMR absolute Priorität eingeräumt werden musste. „Das Wichtigste zuerst“, sagte ich mir, als die Entscheidung fiel. „Wie es zur Gründung kam“, wird hier in „Gegen den Strom“ beschrieben, in einem Band, dessen Untertitel ursprünglich auf „Deutsche Identität und Exodus“ festgelegt war. Obwohl ich an der Erklärung und Beschreibung dieses großen Komplexes bis ins Detail im Buch festhalte, änderte ich den Untertitel ab in: „Eine Jugend im Banat“, um das Subjektive und zugleich das Spezifische für jene Region, die für mich Heimat ist, hervorzukehren. Der Zusatz im Untertitel „Aus dem Tagebuch eines Andersdenkenden“ akzentuiert noch einmal die „subjektive Sicht der Dinge“ aus der eigenen Perspektive heraus betrachtet, wobei die zeitspezifischen Entwicklungen seinerzeit „objektiv“ und wissenschaftlich kritisch beschrieben werden. Viel vom dem, was ich sagen wollte und vielleicht auch „zu sagen hatte“, wie einige meinen, habe ich tatsächlich gesagt. Anderes habe ich entnommen, ausgeklammert, weil noch in vielen Fragen Ungewissheiten bestehen, die neue Recherchen und Aufklärungsarbeit erfordern. Dieser zweite Band wurde nicht gefördert. Auch er wurde – noch eindeutiger als frühere Schriften – dem Leben abgetrotzt bei sich dramatisch verschärfenden Existenzbedingungen. Historische „Wahrheiten“ darstellen? Wofür eigentlich in Zeiten, wo „Wahrheit“ überhaupt nicht mehr interessiert und kaum mehr gefragt ist?
Die „Bahnhöfe“, wo ich seinerzeit in den Zug stieg oder in den Kastenwagen der „Securitate“ einsteigen musste, existierten wirklich. Und auch der von mir erlebte Geheimdienst „Securitate“ war noch ein anderer als der von Belletristen später „fiktional“ dargestellte. „Ohne Haftbefehl gehe ich nicht mit“, konnte man zu meinen Zeiten nicht zur „Securitate“ sagen, wenn die Schergen anrückten, um uns zu verhaften. Wir, die Zeitzeugen aus den Folterzellen des Kommunismus, haben bestimmte Wirklichkeiten anders erlebt als die Systemzöglinge aus den Reihen der RKP, die manches nur durch eine rote Brille sahen.
Audiatur et altera pars? Cui bono? Das habe ich in unzähligen Beiträgen und Kommentaren nach der Edition der „Symphonie“ gefragt, ferner aufgeklärt, berichtigt und dabei bewusst in Kauf genommen, dass dieser Band erst jetzt erscheint. Die Wahrheit kommt nie zu spät – und gemäß dem Jesu-Wort aus dem Johannes- Evangelium wird die „Wahrheit“ uns letztendlich auch „frei machen“, wenn sie denn eines Tages ans Licht kommt.
Aufgrund des verlegerischen Drucks wurde dieser „Druck“ etwas forciert, wobei nicht alle früheren Beiträge, Geschichten, Essays bis in die letzten sprachlich-stilistischen Feinheiten hinein überarbeitet werden konnten. Wenn ich sie trotzdem integrierte, dann geschah es – neben der chronologischen Vollständigkeit - primär um der „Sache willen“, der eine „historisch-politische Relevanz“ zukommt, gerade in einer Zeit, wo Realitäten oft eklatant und schamlos verfälscht werden. Bestimmte Aussagen wurden „bewusst und gezielt“ mehrfach an unterschiedlicher Stelle wiederholt, leitmotivisch als wichtiges „Thema mit Variationen“, wobei es mir auf die „Botschaft“ ankommt, die andere gerne verwischen und vergessen machen wollen.
Während der „erste Band“ in der Regel noch der guten „alten deutschen Rechtschreibung“ folgte, wurde hier bevorzugt die „neue“ Form eingesetzt, obwohl sie bestimmt nicht die „bessere“ ist. Vieles musste umgeschrieben werden, ein Abenteuer und ein unerfreuliches Verwirrspiel, Quelle für viel Unsicherheit und so manch neuen „Fehler“. Auch diesmal musste mein Werk ohne „professionellen Lektor“ auskommen, ohne die logistische Unterstützung eines Großverlags mit unversiegbaren Geldressourcen, Medienkontakten und bestellten Rezensenten. Die zahlreichen Tippfehler des aufgeregt agierenden Autors wurden überwiegend von meiner lieben Lebenspartnerin Monika Nickel aus Berlin-Pankow ausgemerzt, die, als vielfältiges Opfer selbst gut mit dem „totalitären System“ des Unrechtsstaates DDR vertraut, als „erste Leserin“ kritisch-wohlwollend, selbstlos und einfühlsam die Genese dieses Werkes mit begleitet hat. Dafür sei ihr an dieser Stelle recht herzlich gedankt; ebenso danke ich Michael Schleicher, dem „Lektor“ der „Symphonie“ für seine letzte Durchsicht des Manuskripts mit „wertvollen Anregungen“ sowie allen aus dem Freundeskreis, die mit vielfachen Solidaritätsbekundungen und Ermutigungen dieses Buch vorantrieben.
Lenau glaubte einmal sich dafür entschuldigen zu müssen, dass sein Herzblut in einem bestimmten Werk nicht regelmäßig verströmt sei. Das gleiche Phänomen kennzeichnet auch diese Bände - die zum Teil stilbildende „Betroffenheit“ blieb erhalten, auch nach mehr als dreißigjähriger Distanz zu den Geschehnissen. Chaos und Schrecken lassen sich nicht so gleichmäßig darstellen, wie es der deutsche Professor, der viel vom Leben weiß, erwartet. Das Leben, das sagte ihm auch Nietzsche, ist chaotisch - und jede seiner Darstellungen bricht sich, wie Zola betont, in einem Temperament - und in einer eigenen Betroffenheit, die nie aus der Welt zu schaffen ist. Wer schlimme Dinge erlebt hat, weiß davon.
„Authentisch“ ist alles, was ich selbst erlebt habe. Und ich habe einiges erlebt in drei intensiven Jahren der Opposition. Alle anderen Zusatzinformationen, die den Hintergrund zur eigenen Erlebniswelt bilden, wurden so gut wie möglich in „langwieriger Forschungsarbeit“ recherchiert. Die Gespräche mit Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die ich zum Teil vor vielen Jahren geführt habe, wurden nach bestem Wissen und Gewissen rekonstruiert, wobei in der Darstellung der „Geist der Gespräche“ über das „exakte Wort“ gestellt wurde. Deshalb wurde - in einer freiwilligen Konzession - der Literat manchmal dem Wissenschaftler und der Dichter gelegentlich dem Denker untergeordnet, damit auch bei mir Aristoteles über Platon hinausgeht. Neben der Antike, deren humanistische Leistung in diesem Werk mit gewürdigt werden soll, dem Mythos und dem Symbol, schwingen hier noch zwei weitere Substanzen mit, die heute ebenfalls auf der roten Liste stehen: die „Freundschaft“ und die „Loyalität“. Es sind zwei Tugenden, die ich vielfach erfahren durfte, Werte, die das Menschsein mit ausmachen.
Der große Report zur „Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien“ hat vieles an Fakten und Phänomenbeschreibungen zutage gefördert, was an dieser Stelle im Vorfeld erarbeitet wurde - und er hat vieles davon bestätigt. Gleichzeitig hat das dokumentative wie analytische Werk der fast fünfzig Autoren um Professor Vladimir Tismăneanu, welches in seiner Art wohl einzigartig ist, noch einmal meinen Blick auf Essenzen gelenkt und eine zusätzliche Fokussierung der Themen ermöglicht. Dafür bin ich dankbar und hoffe, dass dieses Aufarbeitungswerk, das sich nur als erster Schritt auf einem langen Weg der Vergangenheitsaufarbeitung und -bewältigung versteht, auch in anderen Sprachen Verbreitung finden wird, damit der Materie die generelle Beachtung zukommen möge, die sie verdient. Aus vielen Einzelbeiträgen und Sichtweisen formt sich irgendwann ein Ganzes, das der historischen Wahrheit und der gesellschaftlichen Gerechtigkeit nahe kommt. Mein Beitrag ist nur ein Baustein in einer großen Pyramide, die zum Licht des Himmels strebt.
Die Welt ist bunt. Etwas von der Farbigkeit ist in dieses Buch mit eingeflossen; auch einiges von ihrer Mehrdeutigkeit und Relativität. Obwohl der Ernst der Materie teilweise die Grenzen der Enttäuschung tangiert, bleibt noch viel Raum für das Phänomen des Schönen, teils als Poesie - und noch ausgeprägter - als Musik. Etwas von dem, was das Wort der Musik noch an Erklärendem hinzufügen kann, auch an Nachdenken über Musik, wurde in diesem Buch ebenfalls versucht, soweit es die Konzeption gestattete. Vielleicht erklingen einmal in einer späteren Hörbuchfassung auch die genialen Kompositionen an jenen Stellen, wo sie eingearbeitet wurden, wie im Film als Zeugnisse eines individuellen Musikgeschmacks, der von der Idee der Freiheit diktiert wurde.
Die Symphonie der Freiheit ist ein offenes Buch für freie Geister der Jetztzeit, ohne sieben Siegel; ein Buch für jedermann, der sich nicht festgelegt und kritisch mit unserer vernetzten Welt auseinandersetzt. Es ist kein Werk für rückwärtsgewandte Nostalgiker, die, in ideologischen Scheuklappen gefangen, an der Statik einer weitgehend untergegangen Welt von gestern festhalten, aber ein Stimulans für Freunde der reflektierten Reminiszenz, die bewusst auf ihre eigene Geschichte in der Gesamtgeschichte zurücksehen, sie analysieren und ganzheitlich deuten. Die „Symphonie der Freiheit“ und „Gegen den Strom“ sollen Brücken sein für europäisch ausgerichtete Menschen, die auf tradierten Werten aufbauend mit selbstbewusster, nationaler wie individueller Identität sich einem näher rückenden Volk und Land interessiert zuwenden wollen.
Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen, Sudetendeutsche, Schlesier, Russlanddeutsche und zahlreiche Auslandsdeutsche aus anderen Gegenden Osteuropas und der Sowjetunion hatten - beginnend mit den Anfängen der Kolonisation bis hinein in die jüngste Auseinandersetzung mit den kommunistischen Regierungen der Nachkriegszeit - in ihrem Ringen um „nationale Identität“ und auf ihrem Weg in die individuelle Freiheit viel zu leiden. Alles, was über Generationen aufgebaut wurde, ist heute, über materielle Güter hinaus, weitgehend verloren: Heimat, Geborgenheit, Freundschaft, Identität - vieles als Opfergabe für die Freiheit!
Nachdem mein erstes Buch dem Freiheitsdichter“ Lenau“ galt, widme ich die „Symphonie der Freiheit“ in zwei Bänden und somit das Werk, das ich als mein eigentliches ansehe, nicht nur meinen beiden Töchtern Melanie und Julia, die Teil meines Selbst sind, sondern allen Adepten und künftigen Aspiranten der Freiheitden Heroen aller Nationen, die den Kampf für die große Idee zu allen Zeiten in allen Formen austrugen - und jenen Unbekannten, die für den hohen Wert ihr Leben hingaben. Diese Schrift eigne ich der großen Volks- und Leidensgemeinschaft zu, aus der ich selbst stamme und der ich mich sehr verbunden fühle, weil sie ihr Opfer mit Würde trug.
Im Besonderen aber widme ich die „Symphonie der Freiheit“ den aufrechten Charakteren unter den Deutschen, die in jüngster Vergangenheit um den Preis ihres Lebens gleich gegen „zwei totalitäre Machtsysteme“ anzukämpfen hatten: Die Symphonie der Freiheit ist eine große Hommage an den „Deutschen Widerstand“ gegen Hitlers Nationalsozialismus und gegen den Stalinismus, ein Aufstand des Geistes und der Moral, der von Menschen getragen wurde, die ein „anderes Deutschland“ repräsentierten.



Foto: Privatarchiv Carl Gibson

Carl Gibson mit der "Symphonie der Freiheit" auf der Buchmesse in Frankfurt 2008.



Carl Gibson –

Links zu Sach- und Fachbuch-Publikationen (Referenzprojekte, Arbeitsproben) und Belletristik
 
Bücher im Internet, zum Teil digitalisiert:
 
Damit potenzielle Leser und Interessenten – über Buchdeckel und Titelbild hinausgehend – sich „ein Bild machen können“, über das, was die Fach- und Sachbücher bzw. die belletristischen Titel enthalten, über Konzeption, Inhalt und Fotos,
habe ich einige Seiten aus den Werken eingescannt und als Zitate in meinen Blogs ins Internet gestellt:
 
Wasserversorgung:
 

Erdgas:

Trinkwasser:

Strom/ Elektrische Energie:
Verleger machen manchmal gar nichts, wenn es um die Vermarktung von Publikationen geht, nachdem sie ihre Ernte bereist eingefahren haben und der Mohr seine Schuldigkeit getan hat.
Das war das Schicksal meines Werks über den Dichter Nikolaus Lenau.
Lenau. Leben- Werk – Wirkung, Heidelberg 1989.

Andere Verleger sind übereifrig und stellen über den US-Riesen Google ganze Bücher fast vollständig ins Internet, digitalisiert und für jeden jederzeit abrufbar, quasi als „Werbung“ – sie bieten also ein Buch umsonst an, das gleiche Buch, dass sie regulär verkaufen wollen.

Das betrifft mein 2008 erschienenes Buch Symphonie der Freiheit“:


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