Freitag, 21. Januar 2022

Das Jungfernspielzeug unter der Esche im Gras. Triebbefriedigung ist kein Liebesersatz Oder Vom Ding an sich zu einem schmutzigen Ding

  Das Jungfernspielzeug unter der Esche im Gras. 

Triebbefriedigung ist kein Liebesersatz 

Oder 

Vom Ding an sich zu einem schmutzigen Ding

Doch der Tag war noch nicht zu Ende. Später, am Nachmittag, als Wolken aufzogen und die ersten schweren Tropfen auf der Erde niedergingen suchte ich spontan Schutz unter einem hohen Baum in der Hoffnung, dass die Blitze der Götter mich nicht gleich hier und heute heimholen würden. Als ich dann die hochgeschossenen Brennnesseln wegtrat, um mir so, begleitet von hundert Verbrennungen auf der Haut, etwas Platz zum Stehen zu schaffen, sah ich ihn, den dritten Fund, nicht weniger makaber als die beiden vorausgegangen – giftig rot und schrill: ein Phallusobjekt aus Kunststoff, ein Instrument zur Triebbefriedigung, eingesetzt vielleicht von einer einsamen Frau fern der Liebe oder von mehreren Frauen oder Männern oder vor wem auch immer, um das zu stillen, was keine Liebe war, um Lust zu schaffen, billige Lust, im Kopf erzeugt und mechanisch herbeigeführt mit einen Instrument, dass in industrielen Mengen hergestellt und, Profite schürfend, in Umlauf gebracht wird, toleriert von einer - von christlichen Parteien regierten - Gesellschaft, die alles toleriert, auch sexuelle Abartigkeiten und Praktiken, die gestern noch gesetzlich verfolgt und in bestimmten Staaten sogar mit Gefängnishaft bestraft wurden.

Sexspiele ganz egal welcher Art werden wahre Liebe nicht ersetzen, noch abmildern. Sie stürzen die Praktizierenden nur noch tiefer in die Krise, in die Vereinsamung, in die Verzweiflung. Sie befreien nicht von großer Last und seelischer Not – ganz im Gegenteil: sie zerstören auch noch die Würde des Menschen, der so seine Selbstbestimmung auch in anderen Dingen einbüßt.

Drei Tage nach dem ekligen Fund, den ich irritiert fotografierte und am Fundort zurückließ, weil ich ihn nicht berühren wollte, trieb es mich, nachzusehen. Also nahm ich einen kleinen Umweg in Kauf – und tatsächlich: das bunte Ding lag noch da, nutzlos geworden, inmitten der Natur wie der Plastikeimer im Bach, wie der zahlreiche Abfall überall am Wegrand und wie der Schlappen im Fluss der nicht verrottet und dem Weltmeer entgegentreibt.

Sollen bestimmte Tabus unangesprochen bleiben? Soll man bei wenig Appetitlichem, bei obszönen Dingen einfach wegsehen, um nur für die schönen Dinge da zu sein in einer Zeit, in welcher die Natur massiv missbraucht wird und das Wort „Umweltschutz“ zur Floskel verkommen, zum billigen Vehikel in dem Gebrauch von Parteien, um das träge Wahlvolk auch in diesem Punkt zu verdummen? Früher, als es in Deutschland noch etwas gesittet zuging, beschäftigten sich die hehren Geister der Deutschen auch außerhalb des akademischen Bereichs mit dem Ding an sich; heute, lange nach dem Aufklärer aus Königsberg, der über Sitte und Moral, über theoretische, praktische und reine Vernunft schrieb, nur noch ein Ding übrig, ein schmutziges Ding, das auf den Geist der Zeit verweist, in der wir leben.

 

 



 

 

 


 Immer neue Höhepunkte – Naturerlebnisse sind besser als jeder Sex

Während Sex auf Dauer langweilig wird, bietet die Natur immer neue, aufregende Erlebnisse an, Faszinationen, die die Gefühle ins Wallen bringen, das Herz schneller schlagen lassen – mit der Seele, dem Gemüt, den die Natur Erlebenden, der mehr ist als nur ein stiller Betrachter, erheben und ihn auch noch zum Genießer werden lassen. Immer wenn ich glaubte, nun müssten doch alle hier am Bach und am Fluss fotografisch einzufangenden Motive erschöpft sein, setzte die Natur noch etwas drauf. In jüngster Zeit waren das die jungen Bisamratten, niedliche Tierchen, die sich in keinen käfig sperren lassen, auch nicht vor ein Drehrad, Nachkommen der Bisamratte – wie es mir schien, gleich in zwei Generationen – die, auch das nahm ich an, vom Hochwasser ans Licht gedrängt worden waren und glücklicherweise vor meine Kamera. Dann kam der Bussard, eine Maus schlagend und am Fressplatz vor meinen Augen verzehrend. Hunderte Aufnahmen entstanden dank des glücklichen Zufalls, die erklären, weshalb der Bussard, der keinem Singvogel etwas zuleide tut, Mäusebussard heißt. Es folgte der Kormoran, den ich fast immer nur am hohem Himmle hatte beobachten können, von fern auf den Bäumen, im Wildpark und in einem seltenen Augenblick einmal auch in der Tauber schwimmend auf der Suche nach einem Fisch. Schließlich flogen mir die Möwen vom Dach der Welt zu, Braunkopfmöwen aus Tibet, bestimmt auf Wanderschaft, frei durch die Lüfte segelnd und unbeschwert die Hochspannungsleitung überfliegend, eine Hürde und tägliche Qual für Flugenten und Graureiher. Der Atem steht still beim Fotografieren, der Puls rast – und doch will man nicht innehalten, weil der „schöne“ Augenblick, wie ihn Goethe nennt, so selten ist und weil er – nach Lenaus Don Juan „ewigen Gehalt“ hat.

Die Bilder kann man später wieder mit Genuss ansehen und dabei mehr erkennen, als man in dem seltenen Moment erkannte – mit neuem Genuss. Genossenes Liebesglück schafft das manchmal auch, nur anders und als Trost für seltene Stunden, die es nicht mehr geben wird. Naturfotographie ist also nicht nur Liebessersatz für ältere Herrschaften, die nach neuen Reizen suchen, sondern weitaus mehr, ein immer neues Eintauchen in die offenbarten Geheimnisse der Natur, ein mystisches Erlebnis für Erkenntnisfähige, die keine der monotheistischen Religionen mir vermitteln kann und somit der Genuss an sich.

 

  


Carl Gibson, 

Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker,

Naturfotograf, im September 2021



Mehr zu Carl Gibson, Autor,  (Vita, Bibliographie) hier:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

(Das Wikipedia-Porträt Carl Gibsons in englischer Sprache)


https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/


 

 Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.



Copyright: Carl Gibson 2022.



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