Seltsame Wege ins Glück
Naturfreunde ziehen hinaus, ins Freie, um die Schönheiten und Reize ihres natürlichen Umfelds zu genießen und werden dabei recht glücklich. Andere, denen die eigene Bude zu eng wird, treibt es hinaus, um ihre Triebe zu besänftigen, um, unter freiem Himmel oder unter einen hohen Baum, ihre Lust zu befriedigen, an sich herumspielend mit Spielzeugen, die man ihnen bestimmt nicht zum Geburtstag schenkte, die man aber in bestimmten Läden kaufen kann, auf der Reeperbahn und anderswo. selbst im braven Südwesten der Republik, etwa in Bad Mergentheim, wo sich ein „Erotik Lädle“, unmittelbar neben dem Kapuziner-Kloster gelegen, über Jahrzehnte halten konnte.
Die sonderbaren Spielzeuge der obszönen, abstoßenden Art aus Kunststoff in schrillen, naturfernen Farben und mit Batterie bleiben dann – zur willkommenen Irritation der Naturfreunde - in der Umwelt liegen und werfen den sinnenden Betrachter zurück aus der harmonischen Kontemplation zurück, in die verdreckte Welt von heute, in eine Zeit der Dekadenz, die menschenunwürdige Mittel braucht, um Unglücklichen und Vereinsamten, fern der echten Leibe, zu etwas Lust zu verhelfen, zu einem Selbstbetrug, der die Liebesuchenden noch unglücklicher macht und am Ende auch noch krank.
Immer neue Höhepunkte – Naturerlebnisse sind besser als jeder Sex
Während Sex auf Dauer langweilig wird, bietet die Natur immer neue, aufregende Erlebnisse an, Faszinationen, die die Gefühle ins Wallen bringen, das Herz schneller schlagen lassen – mit der Seele, dem Gemüt, den die Natur Erlebenden, der mehr ist als nur ein stiller Betrachter, erheben und ihn auch noch zum Genießer werden lassen. Immer wenn ich glaubte, nun müssten doch alle hier am Bach und am Fluss fotografisch einzufangenden Motive erschöpft sein, setzte die Natur noch etwas drauf. In jüngster Zeit waren das die jungen Bisamratten, niedliche Tierchen, die sich in keinen käfig sperren lassen, auch nicht vor ein Drehrad, Nachkommen der Bisamratte – wie es mir schien, gleich in zwei Generationen – die, auch das nahm ich an, vom Hochwasser ans Licht gedrängt worden waren und glücklicherweise vor meine Kamera. Dann kam der Bussard, eine Maus schlagend und am Fressplatz vor meinen Augen verzehrend. Hunderte Aufnahmen entstanden dank des glücklichen Zufalls, die erklären, weshalb der Bussard, der keinem Singvogel etwas zuleide tut, Mäusebussard heißt. Es folgte der Kormoran, den ich fast immer nur am hohem Himmle hatte beobachten können, von fern auf den Bäumen, im Wildpark und in einem seltenen Augenblick einmal auch in der Tauber schwimmend auf der Suche nach einem Fisch. Schließlich flogen mir die Möwen vom Dach der Welt zu, Braunkopfmöwen aus Tibet, bestimmt auf Wanderschaft, frei durch die Lüfte segelnd und unbeschwert die Hochspannungsleitung überfliegend, eine Hürde und tägliche Qual für Flugenten und Graureiher. Der Atem steht still beim Fotografieren, der Puls rast – und doch will man nicht innehalten, weil der „schöne“ Augenblick, wie ihn Goethe nennt, so selten ist und weil er – nach Lenaus Don Juan „ewigen Gehalt“ hat.
Die Bilder kann man später wieder mit Genuss ansehen und dabei mehr erkennen, als man in dem seltenen Moment erkannte – mit neuem Genuss. Genossenes Liebesglück schafft das manchmal auch, nur anders und als Trost für seltene Stunden, die es nicht mehr geben wird. Naturfotographie ist also nicht nur Liebessersatz für ältere Herrschaften, die nach neuen Reizen suchen, sondern weitaus mehr, ein immer neues Eintauchen in die offenbarten Geheimnisse der Natur, ein mystisches Erlebnis für Erkenntnisfähige, die keine der monotheistischen Religionen mir vermitteln kann und somit der Genuss an sich.
Carl Gibson,
Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker,
Naturfotograf, im September 2021
Mehr zu Carl Gibson, Autor, (Vita, Bibliographie) hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/
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