Ceausescus „Staatsfeind(in)“ Herta Müller reist nach Paris … und retour!
Der
kleine, schüchterne, stammelnde Ceausescu, von Gottes Gnaden
Kommunisten- und Staatschef aller Rumänen innerhalb der
realsozialistischen Republik, hatte eigentlich nur zwei „Staatsfeinde“ –
die Dissidentin aus dem Kindergarten Herta Müller und ihren Sancho
Panza aus der Rumänischen Kommunistischen Partei, Mitglied des
Rumänischen Schriftstellerverbandes, Polit-Agitator und Scharfmacher,
weltbekannt geworden durch seine regimekritische Sentenz aus dem Jahr
1978, verkündet von den Gerüsten des Sozialismus auf der eigenen Brust:
„hier ist alles in ordnung!
Nachdem
der intellektuell moderate Ceausescu von seinem ewig wachen Bluthund
„Securitate“ eines schönen Tages erfahren hatte, wie die von seinen
Kommunisten prämierte, später als Horst Köhlers „Unbeugsame“ und Joachim Gaucks „Vielgegehrte“ bekannt
gewordene Dadaistin von Weltruf ihre in Agonie und Exodus existierenden
deutschen Landsleute literarisch desavouiert und so seine auf Harmonie
bedachte, großzügige Minderheitenpolitik torpediert, ja kaputt macht,
kam ich eine zündende Idee:
„Schicken
wird diese wild gewordene Amazone doch nach Paris! Vielleicht geht sie
dort zum Frisör, kauft sich einen Hut, ein Kleid …
Vielleicht
gefällt es ihr dort …und sie bleibt weg, wie der Esel Goma, dessen
Reform-Geschwätz uns hier nicht weiter ärgern wird!
Sonst frisst sie uns hier noch alle Eier weg, gerade jetzt, wo die Eier so knapp geworden sind und die Mamaliga rar ist!
Dann müssen wir sie doch noch im Fluss ersäufen!“
Beide „Staatsfeinde“ durften
reisen und sich in konkreter „Wahrnehmung“ ein realistisches Bild
machen - – vom Klassenfeind an sich, von der bis dahin verachteten Welt
der Erben Hitlers und von der glitzernden, freien Welt des Kapitalismus,
in welcher das Geld regiert und wo alles seinen Preis hat, auch die
Prostitution des Geistes – und wo der Teufel längst nicht so schwarz ist
wie von den Roten als Menetekel der Dekadenz an die Wand gemalt!
Doch zum großen Verdruss Ceausescus kamen seine beiden Staatsfeinde immer
wieder zurück wie die Krätze – wie der Bumerang an den eigenen Kopf und
das fehlgelenkte Torpedo ins Schlachtschiff des Kommunismus.
Erst
als die Zigaretten knapp wurden und die Wodkaströme aus dem
Parteikeller versiegten, kamen Wendung und „Kehre“, doch
triebdeterminiert, nicht als Sache des Bewusstseins – und das gleich um
hundertachtzig Grad!
Auszug aus: Carl Gibson,
Ein Deutscher in Paris -
Dissident und Zeitzeuge Carl Gibson 1979 als SLOMR-Sprecher Gast der Liga für Menschenrechte in Paris,
mit einem Auszug aus Carl Gibsons "Symphonie der Freiheit, 2008.
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Dissident und Zeitzeuge Carl Gibson als SLOMR-Sprecher, Gast der Liga für
Menschenrechte in Paris im Jahr 1979 unmittelbar nach der Ausreise aus
Rumänien |
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Im Jardin du Luxembourg - Dissident und Zeitzeuge Carl Gibson als SLOMR-Sprecher Gast der Liga für
Menschenrechte in Paris im Jahr 1979 unmittelbar nach der Ausreise aus
Rumänien |
Ein Deutscher in Paris - Impressionen und Expressionen, Auszug
aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit Widerstand gegen die
Ceauşescu-Diktatur Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Leseprobe
Ein Deutscher in Paris -
Impressionen und Expressionen
Als es mich erstmals mit Macht nach Frankreich hinüber zog, in das Land, wo mir Freiheit und
Menschenwürde fester verankert schienen als sonst wo in Europa, in das
Land, wo die intellektuelle Streitkultur noch blühte, wo Dichter,
Schriftsteller, Philosophen, ja selbst Köche immer noch mehr gelten als
Manager, fielen kaum noch Blätter von den Bäumen. Paris, der Nabel der
Welt, lag in dichtem Bodennebel versunken, als ich an einem Abend im
November im Ostbahnhof einlief.
Es
war nass und kalt. Drei Tage standen mir zur Verfügung, um das Mekka
der Rumänen zu erkunden und nebenbei einige Dinge zu erledigen, die
wichtiger waren als das touristische Programm. Mein Hotel, Teil des
mitgebuchten Städtetourenprogramms und deshalb auch ohne mein Zutun
ausgesucht, lag gerade richtig, am berüchtigten Place Pigalle; also in
einer Gegend, wo sich nicht nur gelangweilte, prüde Lords, sondern auch
kreative Geister wie Toulouse-Lautrec wohlgefühlt hatten. Als ich das
einfache Zimmer betrat, dessen übel riechender Teppichboden seit
Jahrzehnten nicht mehr erneuert worden war, fiel mir eine
Sanitäreinrichtung auf, die ich noch nie gesehen hatte. Ein Bidet!
Sekundenlang rätselte ich über den Sinn dieser sonderbaren Einrichtung
mitten im Zimmer. Schließlich dämmerte es. Flüchtig sah ich mich um,
inspizierte das richtige Bad und ließ mich mehr vergnügt als müde in das
breite Franzosenbett fallen. Allein. Erst in der kleinen Dachkammer in
München und jetzt dieser Spelunke in Paris. Da war ich also, am Born der
Lust, allein auf einer ausgeleierten Matratze - und draußen vor der Tür
pulsierte das blühende Leben. Langsam versank ich in einer Mulde. Die
Wirbelsäule überdehnte sich, während die Stahlfedern schmerzhaft ins
Kreuz drangen und den Ischiasnerv aus dem Schlummer kitzelten.
Erinnerungen an den Komfort im Knast wurden wach, an die stinkenden
Strohmatratzen dort und an das ewige Kreuz mit dem Kreuz. Auch das
modrige Heim hier war kein Hilton.
Ohne
weiter zu grübeln, verließ ich das Touristenhotel der
Zwei-Sterne-Kategorie und trat hinaus auf die Straße. Inzwischen war es
dunkel geworden. Doch die hellen Lichter mit den schrillen
Werbebotschaften erleuchteten den Weg taghell. Während ich mich ein paar
Meter durch die urbane Landschaft bewegte, ohne es zu wissen auf das
Moulin Rouge zu, wurde ich immer wieder von Türstehern angesprochen; in
Wortfetzen aus Deutsch und Englisch, die um einige wenige Begriffe
kreisten. Die schon sprichwörtlichen Freuden des kleinen Mannes schienen
auch hier hoch im Kurs zustehen - doch weniger die kulinarischen,
vielmehr die Fleischeslust des Mannes. Einige Werber zerrten an mir
herum und versuchten, nachdem ihre Überredungskünste nicht fruchteten,
mich mit sanfter Gewalt in einen der Freudentempel zu ziehen, um mir
dort die besonderen Reize und die Annehmlichkeiten von Paris
vorzuführen. Aus den Türen dröhnte Cancan-Musik … Schöne Nacht, du Liebesnacht …Was
war aus Jacques Offenbach geworden? Was aus der Quadrille? Und was aus
mir, dem ehemaligen Widerständler, dem moralisierenden Wolf aus der
Fabel? Ein Amerikaner aus dem Banat in Paris?
Zumindest die Stimmung stimmte. Kaum da - und schon mittendrin! Das
Ewig Weibliche als trivialer Widerschein? Wieder widerstand ich heroisch
wie ein Tamino auf dem Pfad der Prüfungen. Nachdem schon der Lockruf
des Goldes verhallt war, trotzte ich auch der zweiten Versuchung. Die
freie Welt hatte wohl ihre Tücken und feine Verführungen, die Trieb und
Willen in einen schweren Konflikt brachten. Die Zeit des Neuen war
übermächtig. Aber noch dominanter war die Abneigung, Liebesdienste zu
erkaufen. Offensichtlich wurde hier alles feilgeboten, was Geld
einbrachte, auch menschliche Köper wie auf einem antiken Sklavenmarkt.
Nach diesem ersten kleinen Kulturschock, der mir schnell verdeutlichte,
dass es zumindest in dieser Gegend von Paris nichts zu erobern, nichts
zu verführen und auch nichts zu lieben gab, suchte ich ein paar Straßen
weiter eine ruhigere Gegend auf, wo ich wenigstens die Gaumenfreuden
ausleben und einen genüsslichen Abendimbiss einnehmen konnte.
Schließlich war ich im Land der Spitzengastronomie angekommen.
Was
wusste ich überhaupt von Paris? Nicht viel mehr als das, was im
Französisch-Lehrbuch zu erfahren war. Nicht viel mehr, als ich vom Mond
und den Planeten unseres Sonnensystems wusste. Da war die Ile de la
Cité, das Herz von Paris, mit der ehrwürdigen Notre Dame, der Louvre,
die Sorbonne … Einiges davon wollte ich am nächsten Tag in Angriff
nehmen. Das schien möglich. Denn Paris ist eine systematische Stadt, in
der man sich kaum verirren kann. Die Untergrundbahn bringt einen schnell
und zuverlässig überall hin.
Gleich
nach dem spartanischen Frühstück im Hotel, das eher den Appetit
stimulierte als zu sättigen, machte ich mich ans Telefonieren, das in
dieser Metropole nicht viel einfacher war als in Bukarest. Die meisten
öffentlichen Telefonkabinen waren beschädigt und verschlangen nur Münzen
ohne Gegenleistung. Irgendwann klappte es dann doch noch, und ich
erreichte die Gattin des Historikers und Menschenrechtsaktivisten
Berindei. Spontan lud sie mich zum Abendessen ein. Am gleichen Abend
gegen sechs Uhr sollte ich mich in ihrer Wohnung einfinden und
berichten. Der Zeitpunkt kam mir sehr entgegen, denn Paris wartete.
An
irgendeiner Ecke mit dem Metro-Symbol stieg ich hinab in die modernen
Katakomben der Großstadt und ließ mich in das mondäne Zentrum fahren.
Alles, was ich dort zu sehen bekommen sollte, war mir willkommen.
Neugierig kletterte ich die vielen Treppen hoch und sah mich um wie ein
Erdmännchen, das aus dem Bau schaut und nicht viel anders als jeder
Tourist auch, der zum ersten Mal die französische Hauptstadt erkundet.
Paris! Das klang wie Elysium! Und was entdeckten meine Augen? Markante
Punkte überall, alles dicht geballt aufeinander wie in einem
amerikanischen Vergnügungspark! Da war der Triumphbogen, ein Koloss aus
Stein, der an die Siege eines großen Kaisers erinnerte, fast so
beeindruckend wie der echte in Orange, doch immer noch imposanter als
die etwas forcierte Kopie in Bukarest! Der Platz war nach Charles de
Gaulle benannt, nach dem General, der aus dem Widerstand des
englischen Exils heraus sein Land befreit und es als großer Präsident
in eine lichte Zukunft geführt hatte. Unweit dann ein anderer Koloss,
ein Gigant aus Stahl, das Wahrzeichen von Paris, der Eiffel-Turm. Ja,
das hier war Mekka vorzuziehen, wenigstens für ein paar Tage.
Mittendrin, am Nabel der Welt, verharrte ich im stillen Staunen,
beeindruckt von der gewaltigen, lange so unerreichbar fernen Kulisse,
deren unscheinbarer Teil ich jetzt war. Plötzlich schien das
Unerfüllbare mit den Händen greifbar. Nur die Sehnsucht war dahin, wo
sie sich gerade erfüllte.
Paris
war ein Universum, das noch erschlossen werden musste. Wohin zuerst?
Unschlüssig, ohne genaues Ziel und Zeitvorstellung, spontanen
Impressionen, Gefühlen und Gedanken überlasen, folgte ich der Avenue des
Champs Ellysee in Richtung Concorde und Tuilerien. Alles war sowieso
nicht zu erfassen. Ein erster Eindruck musste genügen. Dort ragte der
Obelisk in die Symmetrie, den die einst Franzosen aus Ägypten
mitgebracht hatten, einfach so, als Andenken an eine vieltausend Jahre
alte Kultur und als unangenehme Erinnerung an ein militärisches Debakel,
das noch als Erfolg verkauft worden war. Napoleon, dessen Überreste im
Invalidendom warteten, war nicht nur ein geschulter Psychologe, sondern
auch ein schlauer Stratege nach innen, wohl wissend dass Kriege und
Eroberungszüge nicht nur auf dem Schlachtfeld gewonnen werden.
Aus
allem leuchtete die Historie hervor, die große Geschichte einer
wahrhaftig Großen Nation verknüpft mit dem Los der Welt. En passant fiel
mir das pulsierende Leben der Stadt auf, das Treiben … Die selbst im
Herbst noch gut besuchten Kaffeehäuser, die faszinierende Symmetrie der
Ordnung, die Größe und Weite der einzigartigen Prachtstraße, in der kaum
Normalsterbliche wohnten. Neben dem einzigen Wolkenkratzer in der sonst
recht flach gehaltenen Hauptstadt hielt ich inne und suchte im
Stadtplan kramend verkrampft nach dem Tour Montparnasse, der hier
irgendwo sein musste und den ich nirgendwo erspähen konnte. Nirgends war
ein alter Geschlechterturm zu sehn, wie man ihn aus Bologna oder aus
dem toskanischen San Gimignano kennt.
„Wo finde ich den Tour Montparnasse?“ fragte ich leicht entnervt einen Passanten.
„Hier,
hier gleich neben Ihnen Monsieur“, gab der Herr leicht irritiert
zurück. Penibel! Peinlich! Bei soviel Wald sah ich den Mammutbaum nicht
mehr, den die schiere Größe verhüllte.
Drohte
nicht auch das Individuum in der Menge unterzugehen wie die
Einzigartigkeit des Einzelnen in der Anonymität der amorphen Masse der
Allgemeinheit? Assoziatives Denken - assoziatives Schreiben! Hier konnte
ich beides einüben. Und alles zur Methode erheben, zum Stil des neuen
Homme des lettres lange nach Diderot und Voltaire!
Auszug aus: Carl Gibson,
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Dettelbach 2008, 418 Seiten - Leseprobe
Zeitzeuge und Autor Carl Gibson
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson
in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
"Allein in der Revolte".
Eine Jugend im Banat
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
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Dissident
und Zeitzeuge Carl Gibson als SLOMR-Sprecher - Gast der Liga für
Menschenrechte in Paris im Jahr 1979 unmittelbar nach der Ausreise aus
Rumänien vor der noch intakten Notre Dame im Herzen der Stadt - Ile de
la Cité. |
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