Dienstag, 28. Dezember 2021

Ernst Jünger, mit dem „Pour le Mérite“ nach Paris. Oder Der unpolitische Soldat, der kein Mörder sein will, auch kein Tyrannenmörder. Zu Volker Schlöndorffs Fernsehfilm „Das Meer am Morgen“ – eine Empfehlung von Carl Gibson - Traumatische Kapitel französischer Geschichte und die Erinnerungskultur im Film

 

 

Widerstand und aktive Mitwirkung: Traumatische Kapitel französischer Geschichte und die Erinnerungskultur im Film – das Bild der „Résistance“ und der „Kollaboration“ zwischen realistischer Darstellung und konstruierter Inszenierung

 

 

 

    Ernst Jünger, mit dem „Pour le Mérite“ nach Paris. Oder Der unpolitische Soldat, der kein Mörder sein will, auch kein Tyrannenmörder. Zu Volker Schlöndorffs Fernsehfilm „Das Meer am Morgen“ – eine Empfehlung von Carl Gibson

Die deutsche Besatzungszeit in Frankreich - nach dem die Große Nation bis zum heutigen Tag demütigenden „Blitzsieg“ in dem fälschlicherweise dem „größten Feldherrn aller Zeiten zugeschriebenen „Blitzkrieg“ – hat einige illustre Figuren hervorgebracht, deutsche Soldaten im Dilemma, die sich in Teufelskreisen, vollendeten Tatsachen und im ethischen Zwiespalt gefangen, für Positionen und Haltungen entscheiden mussten, die immer nur falsch sein konnten: General vom Stülpnagel, der mächtige Kommandant des Besatzungsheeres, der ungekrönte König von Paris auf Zeit, der – gegen den eindeutigen Führerbefehl, das geistige, politische und vor allem kulturelle Zentrum der Französischen Nation nicht zerstörte, und ein Mann des Widerstands gegen Hitler fast von Anfang an, General Erwin Rommel, Kommandeur des Verteidigungswalles am Atlantik, und schließlich Pour le Mérite-Träger Ernst Jünger, Fremdenlegionär, Stoßtrupp-Führer im Kampf gegen Frankreich und England in den Anfangstagen des Ersten Weltkriegs, Käfersammler und Dichter, erfolgreicher Verfasser von „In Stahlgewittern[1]“ und anderen Büchern, die selbst in den Tagen der NS-Zeit in Deutschen Reich gelesen wurden, als Offizier abkommandiert nach Paris, um dort, im Umfeld von General vom Stülpnagel, Gutes zu tun und Böses nach Möglichkeit zu verhindern.

Etwas von diesem noblen Tun in schwerer Zeit, das auch erklärt, weshalb Ernst Jünger auch im heutigen Frankreich immer noch hoch verehrt wird, hat Volker Schlöndorff in seinem Streifen „Das Meer am Morgen[2] einzufangen versucht, in einem gut gemachten Fernsehfilm aus dem Jahr 2011, zu dem der deutsche Regisseur auch das Drehbuch geschrieben hat, in welchem eine zutiefst inhumame Repressalie der Vergeltungsmacht Deutschland an der Französischen Nation im Mittelpunkt steht: das sinnlose Erschießen von Geißeln in übergroßer Zahl, so angeordnet von dem – damals schon – durch und durch verbrecherischen Führer des Reiches nach dem Attentat von jugendlichen Kommunisten auf einen Besatzungsoffizier in Nantes. Weil Hitler ein Zeichen setzen wollte, sollten 150 Geißeln exekutiert werden, hauptsächlich ausgewiesene Kommunisten[3], antideutsche Patrioten, die nach Widerstandsaktionen festgenommen und in ein Lager interniert worden waren, darunter einige Jugendliche, auch Juden.

Der Film, aufgebaut auf authentische Zeitzeugnissen hauptsächlich aus den vor Ort verfassten Tagebuchaufzeichnungen und Beschreibungen Ernst Jüngers, dokumentiert und vergegenwärtigt das Schreckliche: die standesrechtliche Erschießung von 27 willkürlich, doch hauptsächlich nach weltanschaulichen Kriterien ausgewählten politischen Häftlingen in einer „Sandgrube“. Die sinnlose Aktion vollzieht sich unter Mitwirkung der Kollaborationskräfte unter Feldmarschall Petain[4], die, den Besatzungsgesetzen unterworfen, zu Handlangern der deutschen Besatzer werden, ebenso in psychische Konflikte verstrickt wie der Dichter und der General, die, eingebettet zwischen Befehl und Pflicht, genauer zwischen „verbrecherischem Führerbefehl“ und teilweise „christlichem“ Gewissen, ihre Pflicht tun müssen.

Schlöndorff, der das Drehbuch nach heutigen Erkenntnissen geschrieben hat und – einer auktorialen Gottheit gleich – mehr weiß, als die Akteure vor Ort auf beiden Seiten damals wissen konnten, kann in dem Streifen natürlich nur wenige Schlüsselmomente dieser äußerst komplexen Situation einfangen: der Dichter, der als Geistesmensch, als Literat und als Repräsentant einer anderen „Kulturnation“ den „Geschmack“ der Franzosen hervorhebt und somit das Ästhetische über Ethik und Moral erhebt, also die französische „Kultur und Zivilisation“ über dem deutschen Wesen, an dem doch die Welt genesen sollte, ansiedelt, ehrt als Soldat die Uniform[5], als Kämpfer an der Front, der kämpfend seiner Pflicht nachkommt, ohne die politischen Hintergründe und Absichten zu bedenken, als ein Mann der konkreten Tat, der aber nicht zum Widerstandskämpfer und zum Cäsaren-Mörder werden will.

Den Tyrannenmord im Verständnis der Antike lehnt Ernst Jünger ab, nicht anders als lange Zeit General Otto von Stülpnagel und der von den Alliierten auch nach dem Krieg noch geachtete Feldmarschall Erwin Rommel, der seinerzeit nicht die Kraft fand den Führer von Angesicht zu Angesicht zu erschießen. Pflicht, Gehorsam, Loyalität, gerade nach der Vereidigung der deutschen Soldaten auf den Führer?

Also ehrt der Soldat der Wehrmacht mit deutscher Nibelungentreue die Uniform, will aber nicht zum ausführenden Tyrannenmörder werden. Auch setzt er die Kraft und Aura der Uniform des deutschen Soldaten nicht ein, um Leben zu retten, Juden auf dem Weg in die Deportation oder fast unschuldige, Jugendliche Patrioten im Lager. Jünger wird mit dem Vorwurf konfrontiert und muss die – an sich heuchlerische – Situation ertragen, irgendwo doch einsehend, dass ein deutscher Kulturmensch sich nicht einfach so jenseits von Ethik und Moral begeben kann, vor allem dann nicht, wenn es um höheres Leben geht, nicht um Insekten im biologischen Raum, nicht um Ameisen und Käfer, sondern um echte, nackte Menschenleben, wenn über Sein und Nichtsein entschieden wird.

Volker Schlöndorffs Fernsehfilm „Das Meer am Morgen“, ein humaner Streifen, der das Elementare als das Existentielle einfängt, ist eine Problematisierung vieler wunder Punkte im Ansatz, von gewichtigen Fragen im Grenzbereich zum Tabu, die auf der Leinwand nur angedeutet, aber nicht ausdiskutiert werden können: die deutsch-französische Rivalität im Kulturbereich, die aus den früheren Jahrhunderten auch noch das Jahrhundert der verheerende Weltkrieg bestimmt, mit dem Bild des korrekten, anständigen Deutschen, der, anders als „die blonde Bestie“ im weltanschaulich bestimmten Vernichtungskrieg im Osten, kultiviert erscheinen will, als Dichter eben; dann der ethische Konflikt zwischen Gehorsam und Pflicht oder, nicht zuletzt, die – nahezu traumatisch nachwirkende – „Kollaboration[6]“ in Frankreich, die dort immer noch nicht ganz bewältigt ist.



[2] Im November 2021 ausgestrahlt von „arte“. Abrufbar unter: https://www.arte.tv/de/videos/044733-000-A/das-meer-am-morgen/

 

Zweimal habe ich mir den preisgekrönten Film angesehen, auch, weil ich – aus dem Widerstand kommend – später viel über politische Gegenwehr ja, selbst über „Tyrannenmord“ viel nachgedacht und geschrieben habe. (Vgl. dazu den Auszug weiter unten im Blog.)

Mehr dazu unter:

https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Meer_am_Morgen

 

[3] Kommunisten kommen in diesem Streifen gut weg – es sind die Idealisten, die sich nach dem Hitler-Stalin-Pakt von der kommunistischen Linie der Sowjets abwandten und im Untergrund einen nationalen Widerstand im besetzten Frankreich, die „Resistance“ aufbauten.

 

[4] Der Nationalheld des Ersten Weltkriegs, der den Franzosen als der große Krieg gilt, wird von Schlöndorff durchaus gewürdigt – als Soldat alter Schule, bereit, als guter Patriot selbst zur Geisel zu werden. Andere sehen in Petain, der sich der Staatsraison beugt, um einem Teil Frankreichs die Freiheit zu sichern und um durch Mitwirkung letztendlich ganz Frankreich zu retten, nur den „Kollaborateur“.

[5] Ein Kommunist kann sich auf dem Weg zum Schafott des Gestus nicht verkneifen, vor einem an der Aktion mitwirkenden Gendarmen auszuspucken, demonstrativ betonend, der Blaumann des Arbeiters, der – wie der Kommunist - für das internationale Proletariat steht, sei reiner als die Uniform, die eine moralisch fragwürdige Kluft der Unterdrücker aus dem eigenen Volk ist.

[6] Während ich hier diese – lange Zeit zurückgestellte - Materie nun hier und jetzt aufarbeite, ohne alles sagen zu können, was ich gerne dazu sagen würde, nicht zuletzt, weil ich den Druck dieses Buches selbst bezahlen muss, fern von allen Sponsoren und Seilschaften mit Eigeninteressen, lief in den letzten Tagen des August 2020 auf dem deutsch-französischen Kultursender „arte“ ein einfach gemachter Spielfilm - aus dem Jahr 1971 - französischer Provenienz, deutscher Titel „Die Verfolgten“, in welchem einige wichtige Phänomene zu den – seinerzeit noch nicht aufgearbeiteten, ja, tabuisierten Themen „Kollaboration“ und „Widerstand“ treffend auf den Punkt gebracht wurden.

Geschildert wird die Deportation französischer Juden aus dem Judenviertel in Paris, durchgeführt, während der Besatzungszeit, doch ohne deutsche Mithilfe, durch französische Polizei. Deutlich wird auch ein Aspekt, der sonst, da nicht ganz politisch korrekt, unter den Tisch fällt: der stigmatisierte Jude mit gelbem Stern lässt sich nicht helfen, weil er, staatloyal und patriotisch, immer noch an die Gerechtigkeit des französischen Staates glaubt und so gutgläubig in den Tod geht, aufs Schafott; ferner die Schäbigkeit des Menschen an sich: kaum sind die Juden aus der Wohnung geholt und in den Bus zum Abtransport in ein Lager gepfercht worden – und schon stürmen die Nachbarn, die alles mitbekommen haben, die menschenleere Wohnung, um sich an Hab und Gut der Abgeholten zu bedienen.

 

Statt Mitgefühl zu zeigen, reagiert der „kleine Mann“ und Durchschnittsfranzose mit Gleichgültigkeit auf das Los seiner Mitmenschen, interessiert, auch noch von dem mitangeschauten Unrecht zu profitieren.

In der tiefen deutschen Provinz, in der Kleinstadt Bad Mergentheim, war es nicht anders; auch dort schauten, am Morgen in der Früh am Fenster stehend, wenige Bürger dem Abtransport ihrer Mitbürger zum Bahnhof zu, wohl ahnend, dass es in die Vernichtung geht. In der Metropole Paris erlebte die ganze Stadt die Ausgrenzung über den „gelben Stern“ und die minutiös-akribisch durchgeführte Auslieferung. Der deutsche Besatzungsoffizier und angeblich Immoralist Ernst Jünger, der die „Reichskristallnacht“ in Deutschland nicht hingenommen hatte, schämte sich nun auch in Paris für diesen Stern, ging heim und legte die Uniform ab – und mit dieser auch den – sonst stolz getragenen „Pour le Mérite“.

 

 Vgl. auch:


 

  Der sympathische Kommunist und der heuchlerische Christ

Drehbuchautor und Regisseur Volker Schlöndorff hat in seinem Fernsehfilm „Das Meer am Morgen“ beide Typen trefflich eingefangen: den sympathischen Kommunisten, den es auch gibt, gerade im Westen Europas, in Italien, wo die Linken gegen Faschisten und andere Rechtskonservative antraten, in Spanien ebenso wie in dem besetzten Frankreich gegen die Kollaborationsregierung Petain. Dieser „Eurokommunist“ ist - anders als die ideologisch verbohrten Stalinisten in den Staaten des späteren Ostblocks - ein flammender Idealist alter Schule, der, immer noch vom Geiste der Barrikadenkämpfer und Bastille-Stürmer beflügelt mit den Worten der „Internationalen“ auf den Lippen vor das Erschießungskommando der Wehrmacht tritt und - weltanschaulich überzeugt - singend in den Tod geht. Der Film kennt aber auch den Typus des wahren Christen, der als Priester zur Verfügung steht, um die ausgewählten Geiseln, fast ausschließlich Atheisten, in der letzten Lebensstunde vor allem seelisch zu betreuen, ehrlich, ohne Rücksicht auf ideologische Differenzen, während der deutsche Offizier, der die anstehende standesrechtliche Erschießungsaktion Aktion leitet, als „heuchlerischer Christ“ dasteht, indem er den aufzuführenden - an sich verbrecherischen Führer-Befehl aus dem fernen Berlin- über das eigene Gewissen – des freien Christenmenschen - stellt. 

 

 

 

 

 


 

Carl Gibson, 

Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker,

Naturfotograf, im Jahr 2021



Mehr zu Carl Gibson, Autor,  (Vita, Bibliographie) hier:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)

(Das Wikipedia-Porträt Carl Gibsons in englischer Sprache)


https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/


 Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.


Copyright: Carl Gibson 2021.

 

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