Vgl. auch:
„Geschichtsklitterung“ findet
de facto immer wieder statt, wenn auch – oft nur aus der Unwissenheit heraus - ohne
Täuschungsabsicht, ohne Intention, historische Abläufe zu einem bestimmten
Zweck verfälschen zu wollen – und das in der wissenschaftlich weniger genauen,
oft unprätentiösen „Belletristik“, wo, an historische Ereignisse
angelehnt, bestimmte Behauptungen und Mythen in die Welt gesetzt werden, die
fast nichts mit der Wirklichkeit, den tatsächlichen Ereignissen und der
„exakten Historiografie“ zu tun haben.
Herta Müllers „Werk“ ist voll davon – und ich habe in
mehreren Studien mit Argumenten und Bewiesen dagegengehalten. Aber es
gibt immer wieder auch andere belege dafür, auf die man unfreiwillig stößt und
mit deren Falschaussagen man konfrontiert wird, wenn man nur zur Entspannung
einmal einen Spielfilm sehen will, der – vom Thema her – etwas verspricht, der
nicht nur fiktive Welten vorgaukelt, sondern Phänomene problematisiert, die den
Rezipierenden – neben dem Filmgenuss – auch im Erkenntnisbereich weiterbringen.
Gelegentlich aber wird der Kinofreund enttäuscht, nämlich dann, wenn
Drehbuchautor und Regisseur das darzustellende Sujet verzerren, gelegentlich
aufbauend auf einer „literarischen“ Vorlage, die Fakten ignoriert und
Phänomene, Dinge, Daten, Zahlen, die es nicht gibt, einfach „erfindet“. Danach
kursieren Mythen, die böses Blut schaffen, die Hass und Hetze schüren, die
durch und durch destruktiv wirken, alte Dämonen wachrufen. Hier und dort, und
die das gefährden, zurückwerfen, was andere mit Einsicht und Empathie bereist
erreicht hatten.
Wer heute – ohne große Ahnung von Geschichte, von Propaganda
und gezielter Deviation als Instrument der Machpolitik in Friedens- und
Kriegszeiten – sich den kaum erst gedrehten Streifen „Der Schmerz“
ansieht, wird geschockt sein, wenn er die dort genannte drastische
Erschießungszahl vernimmt.
Aber er wird, gutgläubig und im Vertrauen auf die Medien,
heute, lange nach 1944, die Aussage über den angeblichen Massenmord als bare
Münze nehmen, als gültige, überprüfte Sachinformation, die man doch so nicht
verbreiten würde, wenn sie nicht der Wahrheit entspräche.
Was bedenklich stimmt: kaum ein Wissenschaftler wird sich ad
hoc finden, der bereit wäre, in diesem Punkt zu widersprechen oder gar das
Thema „wissenschaftlich“ aufzugreifen aus der Befürchtung heraus, von
ideologisch korrekten Gutmenschen in die rechte Ecke gerückt, ja, als
vorschnell Revisionist der Geschichte eingestuft und somit öffentlich wie
wissenschaftlich erledigt zu werden.
Zahlenwerke, die heute viel Verwirrung stiften,
überprüfen – das klingt nach Aufrechnen von Verbrechen gegen die
Menschlichkeit!
Ich sage: ein Opfer ist ein Opfer zu viel!
Und doch poche ich – als Philosoph. Mensch und Geist – auf
die volle Wahrheit! Einfach so, gedeckt nur durch die künstlerische
Freiheit und in Berufung aus diese, mit Opferzahlen um sich werfen: das geht
nicht! Das darf keiner!
Auch ich, der langjährige Zeitkritiker, zufällig auch „Historiker“,
war verblüfft, als ich von den 150 000 Erschossenen in Buchenwald hörte.
Da ich aber – nicht ganz zufällig – das unmittelbar vor den
Toren Weimars gelegene Konzentrationslager besichtigt, darüber nachgedacht und
geschrieben hatte, ohne je auf diese schreckliche Aussage gestoßen zu sein,
fragte ich mich:
„Stimmt das, kann das sein, habe ich da etwas
übersehen?“
Fragen dieser Art hatte ich mir seinerzeit auch gestellt, in
kritischer Nachfrage, als ich bei der Ausarbeitung meines
Dissidenten-Testimoniums „Symphonie der Freiheit, 2008, in dem Lügenwerk
Herta Müllers auf die gesammelten und gebündelten Erfindungen der mit absurder
Fantasie ausgestatteten Autorin aus einem kleinen Dorf im Banat stieß,
dargeboten in „literarischer“ Form, über deren Qualität man genau so
unterschiedlicher Meinung sein kann, wie das bei der nicht ganz unumstrittenen
Marguerite Duras der Fall ist.
Was hat Herta Müller, die Ewig Verfolgte, im
Securitate-Staat des Diktators Ceausescu, wo sie angeblich gequält, ja,
gefoltert wurde, nicht alles erlebt?
Ein Artikel in dem Zeit-Magazin aus dem Jahr 2009, als sie
noch keine Nobelpreisträgerin war, aber in Stockholm auf obskure Weise
nominiert, reicht aus, um in diese abstruse Welt der Münchhausiaden
einzutauchen!
Und in mehreren Büchern aus meiner Feder findet man die
Erläuterungen dazu, nachdem die märchenhaften Aussagen mit den Fakten und dem
tatsächlichen Geschehen konfrontiert worden waren.
Dürfen Dichter lügen?
Danach fragt schon die Antike nach Homer und Platon bis hin
zu Nietzsche! Dürfen moderne Schriftsteller nach Dada willkürlich Mythen in die
Welt setzen, die dann von anderen, von unkritischen Lesern und Blauäugigen
aller Art als Fakten angesehen und als solche weiterverbreitet werden?
Wohin führt diese Kultur der Lüge?
Zahlen, die nicht stimmen – das ist Wasser auf die Mühlen der
Revisionisten und der Holocaust-Leugner, denn dieser Personenkreis, der
Verschwörungstheorien aller Art nährt und kultiviert, wird nach der Verbreitung
solcher Zahlen sagen: nichts stimmt, alles ist Propaganda, alles ist gelogen!
Und diese Leute werden weiter und mir ihren wirren
Zersetzungstheorien weiter großen Schaden anrichten, Menschen verunsichern,
über hetze Feindschaft säen, die Gesellschaft und die Völker spalten – und mit
einer Aura der Verunsicherung und der Angst Unfrieden stiften, ja, den heißen,
echten Krieg vorbereiten.
Der böse Deutsche
und die Massererschießung von 150 000 Gefangenen im KZ Buchenwald,
die es nie gegeben hat
Was
würde ein französischer Patriot sagen, wenn man sein geleibtes
Frankreich und die Grand Nation für einen Massenmord verantwortlich
machen würde, den es nie gegeben hat?
Würde er aufschreien, sich zur Wehr setzen, die Sache zurechtrücken und aus derWelt schaffen?
Vielleicht!
Und der deutsche, was würde er in gleicher Situation tun?
Was
muss er tun, gerade wenn er sich Historiker nennt und auch sonst für
Wahrheit und gerechtigkeit antritt, auf die Barriakden geht?
Wahrscheinlich wird er nichts tun.
Er wird schweigen, sich verskireichen und die Angelenheit anderen überlassen,
frei nach dem Motto: was kümmern mich die Lügen, die andere in die Welt setzen!
So etwas wie Ehre habe ich nicht!
So etwas wie Ehre kann ich mir nicht leisten!
bzw. :
Sie starben, damit Deutschland leben kann und eine Zukunft hat -
Zum 20. Juli 1944,
Erinnerung: Allein in der Gedenkstätte Plötzensee,
Hommage, Dem deutschen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur -
In Stuttgart
In Stuttgart
http://de.wikipedia.org/wiki/Gedenkst%C3%A4tte_Pl%C3%B6tzensee
Foto: Carl Gibson
Krematorium im ehemaligen KZ Buchenwald bei Weimar -
zuerst wurden im "Land der Dichter und Denker" Bücher" verbrannt ...
und dann ...
verbrannten "Richter und Henker"
Menschen.
Memento!
(Auszug aus dem Werk: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur. 2008.)
Allein in der Gedenkstätte Plötzensee
Es lebe die Freiheit! Hans Scholl
Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist für seine Überzeugung sein Leben hin zu geben.
Henning von Tresckow am 21. Juli 1944.
Es
ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas
zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die
deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann
wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.
Es
gibt Orte, wohin man nicht gerne geht, weil einem das eigene schlechte
Gewissen im Wege steht; Orte des Grauens, vor denen man zurückschreckt,
wenn man sich den Terror vergegenwärtigt, der von ihnen ausging.
Vergessen
wird dabei, dass es auch Orte sind, wo die Würde des Menschen, der
Anstand und die sittliche Haltung am greifbarsten werden, trotz des
Schreckens. Ein solcher Ort ist die Gedenkstätte Plötzensee; ein
ehemaliges Gestapo-Gefängnis, in welchem in ganz kurzer Zeit nahezu
dreitausend Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und die
Hitlerdiktatur in menschenverachtender Weise hingerichtet wurden,
darunter illustre Charaktere, die heute das Gewissen der Nation
verkörpern und das bessere Deutschland repräsentieren.
Dorthin
wollte ich allein gehen. Es wurde ein individueller, ein aufwühlender
Gang, denn das eigene Gehirn hatte vieles noch nicht bewältigt. Als ich
nach Deutschland kam, kam ich aus einer langen Auseinandersetzung mit
der deutschen Geschichte. Sie hatte meinen Werdegang deutlich
mitgeprägt. Und ich kam aus einer Widerstandsbewegung gegen ein
totalitäres System. Nur bewältigt war noch gar nichts. Dafür waren die
historischen Abläufe zu vielschichtig und zu komplex. Mir fehlte die
geistige Durchdringung der Gesamtmaterie und noch mancher historische
Baustein, um die Abläufe im deutschen Widerstand gegen Hitler bis hin
zum Attentat am 20. Juli ganz zu verstehen. Einiges hatte ich mir
bereits erarbeitet.
Mit
unbestimmtem Grauen betrat ich die Anlage - als ein Eingeweihter in
Sachen Menschenvernichtung. Sie hatte etwas von einer Schlachtbank, die
an den Großen Terror während der Endtage der Französischen Revolution
erinnerte. Die Guillotine, deren Anschaffung Hitler persönlich angeregt
hatte, um das systematische Abschlachten von Menschen in industrieller
Weise zu ermöglichen, war nicht mehr zu sehen. Sie war entfernt worden,
um die Empfindungen der Nachwelt zu schonen. Nur die Haken waren noch da
an einem Stahlträger – wie in einer Metzgerei – an denen die edelsten
Köpfe der Nation aufgehängt worden waren, beim Kerzenschein und selbst
in der Nacht, während draußen Bomben fielen.
Nun
stand ich stand da, nach Jahrzehnten, und schaute in einen Raum, in dem
es nichts zu sehen gab bis auf wenige Symbole des Schreckens, die zum
Nachdenken anregen sollten, erfüllt von Bitterkeit und Grausen.
Biographien einiger der Opfer rollten vor mir ab, individuelle
Leidensgeschichten, Einzeltragödien mit Namen, deren Wohlklang ich schon
im fernen Temeschburg vernommen hatte, ohne Details zu kennen; Namen
aus dem Umfeld des Kreisauer Kreises und aus dem militärischen
Widerstand gegen Hitler. Während ich starr da stand und stumm ins Leere
blickte, drängten sich mir spärliche Bilder auf, verschwommene, vom
Gehirn künstlich zusammengefügte Szenen aus dem Leben jener Charaktere,
die hier hingemordet worden waren, nachdem sie ein perverses
Polittribunal unter Rechtsbeugung im Schnellverfahren zum Tode
verurteilt hatte.
Berthold Graf von Stauffenberg war in diesem Hinrichtungsschuppen würdelos erhängt worden; und mit ihm Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder, nachdem der so genannte Volksgerichtshof ihnen einen schnellen Prozess gemacht und sie abgeurteilt hatte.
Ein
kurzer Prozess? Leider wusste ich, was das war – den ich hatte selbst
einen erleben müssen, mit glücklicherem Ausgang! Kein echter Vergleich –
aber eine Ahnung davon.
Claus Schenk von Stauffenberg war
bereits am 20. Juli – nach dem Scheitern des Attentats auf den Diktator
Hitler – von einem Erschießungskommando in Berlin erschossen wurden.
Mit ihm starben auf die gleiche Weise seine Mitverschwörer Albrecht Mertz von Quirnheim, Friedrich Olbricht und Hans-Bernd Haeften. Viele weitere Widerstandskämpfer folgten. Bevor Claus von Stauffenberg erschossen worden war, hatte er noch ausrufen können: Es lebe das geheiligte Deutschland!
Jetzt stand ich an der Stelle, wo Ströme Blut geflossen waren – so lange, bis die Guillotine versagte.
Dann wurde gehängt, makaber im Schein der Fackel.
Im
Licht der Bombenfeuer und im Kampfgetöse des Zusammenbruchs waren die
aufrichtigsten und wahrhaftigsten eines Volkes einfach aufgeknüpft
worden wie Strolche und Tagediebe im rechtsfreien Raum!
Viele
Unbeteiligte ahnten nichts davon. Viele Informierte blickten weg.
Manche sahen zu. Und manche agierten, blind, fanatisiert oder aus reiner
Bosheit heraus. Dass sich immer Menschen fanden, die bereit waren,
andere Menschen umzubringen, einfach hinzumorden … Der Mensch – die
Krone der Schöpfung? Und das im Volk der Dichter und Denker?
Wie
dünn war das kulturelle Substrat wirklich? Wann wurde der Mensch zur
Bestie? Auch darüber hatte ich bis zum Exzess, bis zur Grenze der
Verzweiflung räsoniert, ohne eine Antwort zu finden.
In meiner Rückschau sah ich Helmuth James Graf von Moltke, den aufgeklärten Urgroßneffen des preußischen Feldherrn, der auf seinem Gut in Schlesien den Kreisauer Kreis begründet
und am Leben gehalten hatte. Sein Tun war auf ein demokratisches
Deutschland nach Hitler gerichtet. Und er handelte, vom Gewissen getrieben. An einem dieser Haken vor mir musste er unwürdig sterben.
Dann sah ich Adam von Trott zu Solz, den
Spross einer alten Diplomatenfamilie, der bereits 1939 im Widerstand
agierte und als Diplomat in London und New York um Kontakte zu den
dortigen Regierungen bemüht war, aber überhört wurde. Weder in England,
das, wie man heute weiß, damals vor der Münchner Konferenz den Krieg
noch hätte verhindern können, wenn es Hitler mit einer Kriegsandrohung
Einhalt geboten hätte, noch in Amerika war er ernst genommen worden.
Vielleicht, weil er sehr früh opponierte. Aber verhöhnt wurde er und
zynisch abgewiesen, als die Logik des Krieges ihrer Autodynamik verfiel.
Also flog er auf und musste hängen, weil das Unrechtssystem der Braunen
Diktatur es so befahl.
Und ich sah Peter Graf Yorck von Wartenburg und Hans von Dohnanyi,
zwei andere konservative Intellektuelle, Widerstandskämpfer frühester
Stunde, die sterben mussten, damit ein kranker Diktator weiter leben und
im Endkampf nochmals Millionen Menschen in den Tod schicken konnte.
Weiter sah ich vor meinem geistige Auge Carl Friedrich Goerdeler, den aufrechten konservativen Politiker und Widerständler, gedemütigt vor dem Volksgericht stehen, einem schreienden Richter Freisler ausgeliefert, der mit der gleichen Dämonie schrie wie Hitler geiferte.
Goerdeler
sollte nach Hitlers Sturz der künftige Reichskanzler sein. Da, wo ich
jetzt stand, wurde er enthauptet, nachdem seine schon angefertigten
Minister-Listen den Schlächtern weitere Opfer ans Messer geliefert
hatten. Wie gut, dass unsere Liste nicht gefunden worden war. Listen,
das sind oft Todeslisten ….
Die
Reihe der aufrechten Charaktere, die nur an dieser Stelle von
Verbrechern hingemordet wurden, fern von Recht und Gesetz, fern von
Gnade, wollte kein Ende nehmen. Es gab doch aufrechte Deutsche, die,
ihrem Gewissen folgend, in schwerer Zeit das Richtige taten. Manche von
Anfang an; andere wie die Hitlerattentäter Henning von Tresckow und
Claus von Stauffenberg später, nachdem die Menschheitsverbrechen, die
aus der Logik des Krieges resultieren, die verbrecherischen
Führerbefehle aus dem Bunker und der befohlene Mord an Frauen und
Kindern nicht mehr zu rechtfertigen waren. Aber sie handelten aus
höherer Einsicht und von wahrer Verantwortung für Volk und Vaterland getrieben!
Die
Tat Stauffenbergs hatte mich immer schon beschäftigt; schon damals, als
unser kleiner Widerstandskreis sich formierte, in den Tagen der
Untersuchungshaft und in den langen Nächten des Gefängnisaufenthalts.
Jetzt war ich hier am Ufer der Spree in Plötzensee, am Ort des Geschehens. Hier war, Stunden nach dem Attentat, die Operation Walküre angelaufen,
der Auftakt zu einem Staatsstreich, der ein demokratisches und freies
Deutschland begründen sollte. Eine Reihe ungünstiger Zufälle und
befehlsblinde Offiziere - wie der von Hitler zum Generalmajor beförderte Ernst Otto Remer, dem ich bald darauf unter anderen Umständen begegnete - führten zum Scheitern des letzten großen Aufbegehrens für Freiheit und
Gerechtigkeit. Während Revisionisten wie Remer, der die
Widerstandskämpfer um Graf von Stauffenberg öffentlich als
Vaterlandsverräter bezeichnet hatte, Hetze und Hass verbreitend
weiterlebten und bis ins hohe Alter hin der weltanschaulichen Haltung
ihrer persönlichen Glanzzeit treu blieben, mussten die eigentlichen
Widerstandskämpfer und mit ihnen ungezählte andere aufrichtige Deutsche,
die an dem politischen Umsturz mitgewirkt hatten, ihr Leben lassen,
während ihre Familien in Sippenhaft genommen und lange diskriminiert
wurden. War das gerecht? Nach Remers Putschvereitelung forderten die
kommenden Monate des fortgesetzten Krieges an allen Fronten mehr
deutsche Opfer als die Kriegsjahre seit dem Ausbruch.
Etwas
von dieser schier unbegreiflichen Tragik rollte in meinem Gedächtnis
ab, nach Szenen, die ich aus Büchern kannte, aus Dokumentationen und vom
Bildschirm. Viel Mut war bewiesen worden in einem Aufstand des
Gewissens gegen massives Unrecht: Ich sah Trott zu Solz’ entschlossene
Selbstbehauptung gegenüber dem Scheusal Freisler, und sah, wie Erwin von Witzleben von derselben Bestie in Robe niedergeschrien wurde.
Das
Bildnis Dietrich Bonhoeffers einsam in der Zelle sitzend, drängte sich
mir auf, ein Christ vor Gott, in Gebete, in Verse vertieft, Zeilen eines
geistigen Vermächtnisses aufsetzend, den Blick voller Zuversicht zum
Himmel erhoben.
Miserere domine!
Und dann hörte ich erneut, klar wie die Posaunen von Jericho, die leitmotivische Mahnung des Claus von Stauffenberg:
Es lebe das geheiligte Deutschland!
An diesem Ort verblutete das andere Deutschland;
seine Edelsten und Besten ließen hier ihr Leben im bewussten Opfergang
für das gesamte deutsche Volk, um ihm, dem geopferten Phönix, nach dem
Zusammenbruch eine Reinwaschung zu ermöglichen von den
Menschheitsverbrechen, in die es der dämonische Diktator Hitler gestürzt
hatte und ein österliches Wiederauferstehen.
Doch
war Stauffenbergs Tat repräsentativ für den deutschen Widerstand gegen
Hitler kein letztes müdes Aufbäumen kurz vor dem Untergang, als das
Gewissen gegen das maßlose Unrecht und Leid aufbegehrte, sondern eine
bewusste Gegnerschaft, ein luzider Widerstand gegen ein totalitäres
System, der von frühester Stunde an da war und konsequent durch gehalten
wurde – bis in den Tod.
Foto: Carl Gibson
Die Dichter und Denker blicken oft weg, wenn Urecht geschieht - damals ...
und heute?
Es entspricht nicht der historischen Wahrheit, wie vor allem im Osten Europas immer wieder behauptet worden war, das gesamte deutsche Volk hätte geschlossen hinter Hitler gestanden,
es hätte seine Aggressionspolitik mitgetragen, sein Hegemoniestreben,
seinen Imperialismus; und es hätte seine Verbrechen gedeckt.
Richtig
ist, dass es aus dem deutschen Volk heraus einen höchst beachtlichen
Widerstand gegen Hitler gab – und dies von Anfang an aus Prinzip, lange
noch bevor die schlimmen Wahrheiten bekannt wurden.
Wie
vom Teufel persönlich beschützt, überlebte der Führer vierzig
Anschläge! Eine makabre Groteske des Zufalls, eine Undenkbarkeit! Und
Ceauşescu, dem wir kleine Dissidenten nichts entgegen zu setzen hatten,
was mit der Operation Walküre vergleichbar gewesen wäre? Keinen!
Doch
vom systematischen Kampf gegen Hitler wusste selbst ich, der historisch
interessierte Europäer, der westliche Medien auswertete, wenn sie
erreichbar waren, im fernen Banat fast nichts.
Erst späte westliche Quellen und die intensive Beschäftigung mit der Materie über Jahre erschlossen mir die volle Dimension des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, der von allen Teilen der Bevölkerung getragen wurde,
vom einfachen Mann aus den Volk wie Georg Elser im Münchner Bierkeller
bis in die Spitzen der Wehrmacht zu Persönlichkeiten wie General Ludwig Beck, dem Gehirn des versuchten Staatsstreichs vom 20. Juli.
General
Beck durchschaute die kriminellen Machenschaften Hitlers schon sehr
früh und setzte seit 1938, also noch vor dem Einmarsch in die
Tschechoslowakei, alles daran, den Widerstand gegen Hitler zu fördern,
um den Diktator von der Macht zu entfernen. Die Generalität unterstützte
ihn – nur England zögerte, als um Mitwirkung angesucht wurde. Wenn wir
euch gegenüber so aufrichtig gewesen wären wir ihr im Gespräch mit uns,
dann hätten Hitlers imperialistische Expansion, der Zweite Weltkrieg und
mit ihm 55 Millionen Opfer vermieden werden können, bekennen die Briten
heute offenherzig. Sie haben ihre moralischen Hausaufgaben inzwischen
fast erledigt und einiges zur Vergangenheitsbewältigung beigetragen.
Auf andere kommt dieser Komplex noch zu – auch auf die Rumänen!
An
dieser matten Stelle in der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin starben
für ihr Vaterland – aus einer ethischen Überzeugung und tiefer
protestantischer Gesinnung heraus – innerhalb von Monaten fast
dreitausend Menschen. Unter den Opfern waren auch herausragende
Repräsentanten der militärischen Elite: Erwin von Witzleben und Karl Heinrich von Stülpnagel. Sie opferten ihr Leben für höhere Werte, für Gerechtigkeit, politische Freiheit und Vaterlandsliebe.
Erwin
von Witzleben war als Generalfeldmarschall der ranghöchste Soldat, der
von den Nationalsozialisten ermordet wurde, nachdem sie auch ihn, den
General der noch vor Jahren als erster jene verhängnisvolle Vereidigung
der Wehrmacht auf den Führer durchgeführt hatte, öffentlich degradiert,
vor den Volksgerichtshof gezerrt und in einem schäbigen Schauprozess,
ohne Hosenriemen der Lächerlichkeit preisgegeben, entwürdigt, beleidigt
und gedemütigt hatten.
Foto: Carl Gibson
Das KZ-Gelände von Buchenwald - Locus terribilis,
Ort des Grauens,
Ort des Schreckens,
Ort des Verbrechens,
die Diktaturen mahnen.
Erwin
von Witzleben, dessen Stammbaum bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgt
werden kann, ging bereits 1934 auf Distanz zu Hitler. Die Ermordung
Ernst Röhms auf Befehl Hitlers, wobei Teile der Wehrmacht mit involviert
und somit instrumentalisiert wurden, sowie die ebenfalls von Hitler
angeordneten und öffentlich im Reichstag verteidigten Ermordungen der
Generale von Schleicher und von Bredow bei krasser
Hinwegsetzung über die geltenden Gesetze hatten ausgereicht, um diese
Haltung, die er mit General Beck, General von Stülpnagel, mit Henning von Tresckow und anderen oppositionellen Militärs teilte, herbei zu führen.
Erwin
von Witzlebens Plan, den Usurpator Hitler bereits 1938, also zu einem
Zeitpunkt von der Macht zu entfernen, als Europa noch nicht an allen
Ecken brannte, scheiterte an einem dummen Zufall der Geschichte – an der
Beschwichtigungspolitik der Engländer, am Appeasement Chaimberlains und
dem verhängnisvollen Münchner Abkommen, das die Tschechoslowakei dem
Diktator auslieferte und ihn mit diesem - so genannten diplomatischen -
Erfolg nach innen hin stärkte; der Opposition hingegen jeden Wind aus
den Segeln nahm. General Halder und von Witzleben konnten bei
entsprechender politischer Kulisse ihren Plan, Hitler verhaften zu
lassen nicht durchsetzen. Die späteren Blitzkriegerfolge in Polen und
Frankreich erzielten den gleichen Effekt und zementierten noch den
Mythos der Unfehlbarkeit.
Auch
der gemeinsame Plan General von Stülpnagels, damals Oberkommandierender
der Wehrmacht in Frankreich, und von Generalfeldmarschall Erwin Rommel,
der die Abwehrmaßnahmen einer drohenden Invasion am Kanal koordinierte,
Hitler zu einer Besichtigung der Wehranlagen nach Westfrankreich zu
locken, um ihn dort durch loyale Truppen der Wehrmacht verhaften zu
lassen, scheiterte an einem dummen Zufall. Hitler, der bis dahin immer
wieder Gründe finden konnte, nicht nach Frankreich zu reisen, blieb
endgültig fern, nachdem eine nach England gelenkte V 1 versehentlich im
Abwehrgebiet einschlug.
Foto: Carl Gibson
Hier ermordeten NS-Schergen der Kommunist Ernst Thälmann.
Nach
dem gescheiterten Staatsstreich von 20. Juli nahmen sich General von
Beck, Generalfeldmarschall Rommel, Henning von Tresckow und andere
Mitverschwörer selbst das Leben, nicht zuletzt, um keine anderen Mitwisser in drohenden Verhören zu belasten.
Heinrich
Karl von Stülpnagel richtete seine Pistole an die Schläfe und schoss
sich durch den Kopf. Er überlebte schwer verwundet – und wurde
wahrscheinlich noch von der Gestapo gefoltert bevor er in dieser Halle
an diesem Haken wie ein Strauchdieb erhängt wurde.
Wie
er starb hier, wo meine Füße ruhten, der andere aufrechte Soldat, der
nach einem Umsturz die Führung der Wehrmacht übernommen hätte: Erwin von
Witzleben.
Wie viel menschliche Größe war hier verrauscht, hier vor mir?
Wie
konnte ich alle würdigen und die Erinnerung an ihre altruistischen
Taten wach halten? Und das große Aufbegehren jedes einzelnen Opponenten,
jedes offenen Regimekritikers ins rechte Licht rücken? Die Taten von
Tausenden, die gegen das Unrecht aufstanden und ihr Leben hingaben, um
es zu beseitigen?
Wo war jetzt die heitere Gelassenheit eines Dietrich Bonhoeffer,
der mit Gottvertrauen zuversichtlich in den Tod ging, in der Hoffnung
auf das wahre Leben? Tragische Betroffenheit überkam mich – und ein
spätes Schaudern vor der Dämonie des Bösen, auf die ich keine Antwort
fand.
Wie
viele einfältige Leute hatte ich über das Böse plaudern hören,
philosophisch abstrakt und ironisch wie Mephisto in Faust. Das Böse der
Geschichte war echt und immer noch real. Gleichzeitig spürte ich aber
auch etwas von der Macht des Ethos, das über Jahre aufrechterhalten und
von ganz unterschiedlicheren Charakteren vorgelebt wurde.
An solchen Taten verblasste das eigene Tun.
Doch die Botschaft der Geschichte ist eindeutig – der Mensch muss in jeder Situation am Humanum festhalten und alles menschenmögliche tun, um es zu beschützen. Die Würde des Menschen, Freiheit und Gerechtigkeit sind
Grundwerte, die über allem positiven Recht angesiedelt sein müssen –
auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Die Verfassung der
Bundesrepublik ist eine nationale Antwort darauf – die Charta der
Vereinten Nationen die Antwort der Völkergemeinschaft.
Wir
hatten auch einiges erlebt in unserer Auseinandersetzung mit dem
repressiven System einer Diktatur. Doch was waren unsere Erlebnisse
gemessen an der Tragik, die an dieser Stelle kulminierte und im
Vergleich mit dem Grauen in den Konzentrationslagern mit dem
millionenfachen Tod, Leid und Schrecken, der sich im Anonymen und
Namenlosen vollzog?
Das
Böse hatte wieder einmal über das Gute und Gerechte triumphiert. Und
das Feige über Mut und Tapferkeit! Die gesamte Weltordnung schien für
alle Zeiten erschüttert. Wie schwer war es doch, in kritischer Zeit
aufrecht zu gehen?
Vor
dem schweren Gang an den Unort hatte ich mir eine Liste besorgt – schon
wieder eine Liste - mit den Namen der Beteiligten des nationalen
Aufstandes vom 20. Juli 1944, die für die Sache der Freiheit ihr
Leben hingegeben hatten. Darunter waren viele illustre Persönlichkeiten
bis hin zu legendären Gestalten wie Feldmarschall Erwin Rommel. Jede von
ihnen wirkte als Vorbild. Und jede von ihnen verdient eine würdige
Auseinandersetzung. Denn hinter jedem individuellen Einsatz für Freiheit und
Demokratie bei Preisgabe des eigenen Lebens steht eine schwere
Gewissensentscheidung, ein Golgotha-Erlebnis, zu dem in schwerer Zeit
nur die wenigsten Menschen fähig waren.
Noch
einmal sah ich zu den Haken hin und erkannte dort die Gnade meines
Schicksals durch die späte Geburt. Wäre das Baumeln dort am Haken mein
Los gewesen, wenn ich einige Jahrzehnte früher gelebt hätte? Wie hätte
ich mich entschieden? Hätten mein Patriotismus und mein Ethos
ausgereicht, um dort zu hängen?
Berechtigte
Zweifel kamen auf … Wir hatten es einfacher! Wir wussten, wo wir zu
stehen hatten und wo wir standen! Dafür musste ich dankbar sein. Die
Zweifel an der eigenen Festigkeit wurden deutlicher, je mehr ich über
die innere Entscheidungssituation der Widerständler nachdachte. An ihrer
Entschlossenheit verblasste die meine. Als ich ging, ging ich in tiefer
Betroffenheit, doch unerfüllt über den Verlauf der Geschichte.
Auszug aus dem Werk: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur. 2008.
Gedenken in Stuttgart:
Stuttgart
Foto: Monika Nickel
Auf den braunen Totalitarismus folgte der rote - Reste der "Berliner Mauer",
entdeckt:
1000 Kilometer südlich der deutschen Hauptstadt
irgendwo in Südbaden - sie erinnern und mahnen.
Die Opfer der beiden Diktaturen auf deutschem Boden im 20. Jahrhundert sollen nicht umsonst gewesen sein.
Dort, wo die Würde des Menschen bedroht wird, ist Widerstand angesagt - überall, weltweit.
Mehr zum Thema Kommunismus hier:
Carl Gibsons neues Buch
zur kommunistischen Diktatur in Rumänien -
über individuellen Widerstand in einem totalitären System.
Allein in der Revolte -
im Februar 2013 erschienen.
Das Oeuvre ist nunmehr komplett.
Alle Rechte für das Gesamtwerk liegen bei Carl Gibson.
Eine Neuauflage des Gesamtwerks wird angestrebt.
Carl Gibson
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel
©Carl Gibson. Alle Rechte vorbehalten.
Werke von Carl Gibson:
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