Da war so ein Gefühl ... ich
sah nach ... und tatsächlich: der
befreundete Dissident Paul Goma war kürzlich verstorben, in den Tagen, als ich
- fern vom politischen Geschehen - selbst im Krankenhaus lag, nach schwerer
Krebs-OP.
Goma starb in Paris an den
Folgen der Covid-19-Infektion im Alter von 84 Jahren.
Moldawien hatte ihn für den
Nobelpreis nominiert - es sollte nicht sein.
Meine Heimatstadt Temeschburg
(Timisoara) hingegen, die Stadt im Banat, wo die im Herbst 1989 die „rumänische
Revolution“ gegen den Diktator Ceausescu begann, hat den Streitbaren noch
rechtzeitig geehrt - in der rumänischen Hauptstadt Bukarest aber war er
verhasst.
„Ich
glaube fast alles, was Carl Gibson sagt“,
schrieb Goma an einer Stelle.
Das „fast“ fügte er aus
prinzipiellen Gründen ein, denn einer, der durch die kommunistische Gefängnishölle
ging, muss skeptisch bleiben, gegenüber jedermann. Intellektuell redlich,
konnte er auch nicht alles wissen, was ich gesagt und geschrieben hatte.
In Gomas deutschem
Wikipedia-Porträt unter
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Goma
findet sich der Satz:
„1979
beteiligte sich Paul Goma aktiv an der Gründung der Freien Gewerkschaft der
Werktätigen von Rumänien“,
rumänisch
Sindicatul Liber al
Oamenilor Muncii din România (SLOMR)."
Das ist nicht zutreffend.
Goma setzte sich in Paris für
SLOMR publizistisch ein, war aber nicht an der Gründung beteiligt.
(Als Gründer von SLOMR
Temeschburg und Sprecher von SLOMR im Westen ab Herbst 1979 kann ich das
richtigstellen.
In meinem Testimonium "Symphonie
der Freiheit" wurde Goma gewürdigt, damals, 2008.
Hier ein Auszug.
Écrasez l’infâme
Ein Rendezvous mit dem
zwangsexilierten Dissidenten
Paul Goma
Jeder Emigrant ist ein Odysseus auf dem Weg nach Ithaka. Jede wirkliche Existenz zieht eine „Odyssee“ nach. Mircea Eliade, Im Mittelpunkt
Am
nächsten Tag traf ich Paul Goma, den wichtigsten der rumänischen
Dissidenten, zweifellos aber den bekanntesten. Er wirkte primär durch
seine Haltung und als Träger einer Idee; erst in zweiter Linie wurde er
als politischer Schriftsteller und Romancier registriert. Das machte ihm
Kummer. Doch er lebte damit. Wir hatten uns in einem Straßencafé
verabredet. Schon saß ich da, als er kam. Ein mittelgroßer, stämmiger
Mann mit weißem Rundbart, einer wuchtigen Brille mit starken Gläsern und
dunklem Rahmen, auf dem Haupt eine graue Lotsenmütze. Er steckte in
einer hellbraunen Kaschmirjacke mit Kapuze, am Hals ein karierter
Wollschal. Es war kalt und windig. Wir begrüßten uns und bestellten Tee.
Er studierte mich - und ich ihn. Wir kannten uns schon lange, waren uns
aber noch nie begegnet.
„Ich
habe dir eines meiner Bücher mitgebracht - und dir eine Widmung
hineingeschrieben, als kleine Wertschätzung deines Engagements!“ sagte
er ruhig. Interessiert nahm ich es entgegen und bedankte mich.
„Gherla?“ konstatierte ich anerkennend.
„Ja,
Gherla, ein unseliger Ort in Siebenbürgen, ein Unort wie Aiud und
Jilava“ sagte Goma und fügte hinzu: „Dieses Buch ist mir noch das
liebste von allen, die ich geschrieben habe!“
Vor einiger Zeit hatte ich in Ostinatogeblättert,
in der deutschen Fassung, ohne systematisch zu lesen und ohne in
größere Begeisterung zu verfallen. Später auch in anderen Werken. Vieles
davon war schwere Kost und Geschmacksache. Gemessen an den Literaten
der Weltliteratur, die ich viel häufiger las als moderne Autoren, hatten
Gegenwartsschriftsteller einen schweren Stand. Bei Goma hing darüber
hinaus noch viel vom Talent seiner Übersetzer ab, die vieles von den
Subtilitäten der rumänischen Sprache und der in ihr mitschwingenden
Atmosphäre kaum ins Französische oder ins Deutsche herüberretten
konnten. Auch befreundete Schriftsteller konnte man nicht immer gut
finden. Wie bei anderen schreibenden Freunden auch, setzte ich mehr auf
die ideelle Relevanz der Aussage als auf den Individualstil, gerade bei
politischen Büchern. Solschenizyn, mit dem Goma gelegentlich verglichen
wurde, schrieb systematischer, archaischer und sprachlich
differenzierter. Jelena Bonner, die Gattin des Dissidenten Sacharow,
schrieb später während ihres kurzen Aufenthalts im Westen, quasi
zwischen Tür und Angel, die Dokumentation In Einsamkeit vereint
über ihren Alltag an der Seite Sacharows am Verbannungsort Gorki auf
eine nahezu unliterarische Art. Goma stand stilistisch irgendwo
dazwischen. Sein naturalistischer Stil wirkte manchmal direkt, derb und
provozierend, nicht immer fein, aber redlich.
Doch
ich wollte hier nicht über Literatur reden, noch über Fragen der
Wertung oder Ästhetik, sondern ausschließlich über menschenrechtliche
Fragen. Schließlich war er primär ein politischer Schriftsteller, ein
Zola unseres Jahrhunderts, einer der frei und unverblümt redete, der
klagte, anklagte, der polemisierte und polarisierte - bis zum heutigen
Tag!
„Wie lebt es sich so in Paris?“ fragte ich zunächst mehr rhetorisch mit leichter Ironie, nebenbei am heißen Tee nippend.
„Bis
auf die Bomben, die selbst in Friedenszeiten über uns herunter krachen,
ganz anständig. Hier in Frankreich darf ich mich artikulieren und mit
jedermann reden - soviel ich will, ohne belauscht zu werden. Politische
Meinungen hat hier jeder. Die gesellschaftliche Kultur ist einfach
anders - und der Zivilisationsgrad der Bevölkerung. Keiner hindert mich
daran zu schreiben, was ich will. Und ich kann alles drucken lassen, was
ich verfasst habe. Selbst die Publikumsverlage machen mit, vielleicht
auch aus Solidarität mit den Menschen in Rumänien und Osteuropa- oder
weil es eine Sache des politischen Anstands ist, bestimmte Themen zu
drucken, auch wenn sie sich nicht groß verkaufen. Der Homme des lettres steht
hier in Frankreich immer noch hoch im Kurs- und auch der kritische
Essay, bis hin zum provozierenden Pamphlet. Kurz, ich kann als
Schriftsteller veröffentlichen, soviel ich will. Und hier kennt man auch
keine Zensur! Der Franzose unserer Tage weiß kaum noch, was das Wort
bedeutet. Deshalb erinnere ich in meinen Lesungen auch daran und
verweise darauf, wie es hinter dem Eisernen Vorhang zugeht, speziell im
autoritären Rumänien, an die Maulkörbe dort und das generelle Leben in
Unfreiheit. Doch gerade deshalb lebe ich hochgradig exponiert, ohne am
Morgen zu wissen, ob ich den Abend noch erlebe, ohne sicher sein zu
können, dass es überhaupt ein Morgen geben wird! Sie wollen mich immer
noch ausgrenzen und fertig machen. Auch hier an der Seine. Es gefällt
ihnen einfach nicht, wenn ich über Radio Freies Europa
mit den Menschen im Land kommuniziere und den Eingesperrten von
Wahrheiten berichte und von Freiheiten, die es in Rumänien noch lange
nicht geben wird, wenn die gegenwärtigen Verhältnisse anhalten!
So oder so! Der lange Arm der Revolution,
du weißt ja, was damit gemeint ist, greift nach mir … Sie haben mich in
New York bedroht und in Kanada, ganz so nebenbei in Montreal, in der
U-Bahn … Und sie sind auch hier, mitten unter uns. Sie bewegen sich frei
im freien Westen … wie die Fische im Wasser - und keiner kann ihr
destruktives Vorgehen aufhalten. Ich glaube, sie werden auch in Zukunft
nicht aufhören, uns zu diskreditieren, zu diffamieren! Mit allen
Mitteln! Sie bestechen Journalisten, sie kaufen Verleger, sie lassen
Bücher drucken … Geld spielt keine Rolle, wenn es darum geht, ihre Lügen
aufrechtzuhalten. Dahinter stecken auch ökonomische Interessen. Und mit
der blanken Fassade erhalten sie sich selbst. Der Schein des Scheins
ist für Uneingeweihte noch schwerer zu durchschauen.“
Goma
wirkte ernst, besorgt und schon leicht verbittert. Nicht jeder sah die
Dinge so klar. Vieles war selbst erlebt und existentiell fundiert. Auch
die Enttäuschung über die allgemeine Ohnmacht. Sein Zynismus konnte
nicht alles auffangen. Irgendwo stand er allein und kämpfte gegen alle.
Das Gefühl war mir nicht ganz fremd. Doch gemessen an seiner radikalen
Kompromisslosigkeit, war ich eine konziliante Natur.
Als
er vor zwei Jahren öffentlich aufmuckte, gab es weder Intellektuelle
noch bekannte Schriftstellerkollegen, die ihm gefolgt wären. Persönliche
Animositäten, Neid, aber auch Angst und Opportunismus hielten viele ab,
sich etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen, Position zu beziehen und
eindeutig Flagge zu zeigen. Weshalb sollten sich erstrangige Namen mit
einem zweit-, ja drittklassigen Schriftsteller einlassen, nur weil er moralisch im Recht war?
Sie würdigten ihn vielmehr herab, sie stigmatisierten und schnitten ihn
- zu Unrecht! Denn nur er erhob seine Stimme, als die selbst erkorene
Elite versagte.
Der
Schriftsteller in Rumänien zur Zeit der Ceauşescu-Diktatur: Das war
fast immer der feige Schriftsteller - und das galt auch für Deutsche und
Ungarn. Zivilcourage, geistiges Vorreitertum? Weit gefehlt!
Duckmäuserisches Mitläufertum war ein Kennzeichen der Intellektuellen im
Sozialismus - ostblockweit!
Goma
hatte auch nach seiner Zwangsexilierung von Frankreich aus
weitergemacht und aufgeklärt, unterstützt nur von Ionesco. Er hatte sich
auch für die Sache der Freien
Gewerkschaft SLOMR engagiert, nachdem diese unterdrückt worden war und,
noch bevor ich im Westen eingetroffen war, als provisorischer Sprecher von Paris aus weiter öffentlich für die Bewegung geworben.
Wie
es schien, hatte er noch nichts von seiner kommunismuskritischen
Haltung eingebüßt. Doch ich merkte, dass er hart am Wind segelte - und
dass er es nicht einfach hatte. Wer sich mit einem allmächtigen Gegner
herumschlägt, wer sich mit einem totalitären Staat anlegt, mit einem
repressiven System, das über einen effizienten Geheimdienst selbst im
Ausland agiert, wird von vielen Seiten angefeindet. Das ertragen nur
ganz wenige.
Neben
den tatsächlichen Feinden gibt es noch Rivalen, Neider, die kreative
Energie abziehen und den Aufklärer schwächen. Hinzu kommen noch die
Herausforderungen des Alltags, die oft vergessen werden. Bücher schreibt
man nicht über Nacht. Sondern sie entstehen oft unter extremem Verzicht
in einer Schwerstarbeit von Jahren, wobei das Erlittene vielfach wieder
und wieder erlitten werden muss. Ein Schriftsteller im Exil hat nicht
selten Schwierigkeiten, im teuren Paris oder sonst wo seine Miete zu
bezahlen, obwohl seine Bücher veröffentlicht werden. Was hat er von
seiner Arbeit? Zehn Prozent? Ein Hungerlohn in teurer Zeit! Aber selbst
die Botschaft wird nicht immer verstanden. Das Abgeschnittensein von den
Wurzeln und vom vertrauten Umfeld daheim in Bukarest, wo man viel
direkter reden konnte, so richtig gerade heraus auf Rumänisch, wo man
einen, nahe am Knastjargon, schnell einmal irgendwohin schicken konnte, zurück zum Ursprung,
das fehlte Goma in fremden Paris und in der kultivierten Umgebung der
aktiven Exilanten. Paul Gomas Ton wurde zunehmend sarkastischer: „Ich
bin ein Schriftsteller, der aus seinem Vaterland vertrieben wurde, nur
weil die Mächtigen nicht hören wollten, was ich zum gesellschaftlichen
Miteinander zu sagen hatte, zu den Spielregeln einer zivilisierten
Demokratie. Nie habe ich allzu viel gefordert! Nur an einem Prinzip
sollten sie festhalten: Wenn
ihr Gesetze macht, dann haltet euch daran, respektiert sie auch und
setzt sie um, vor allem das, was an internationalen Vereinbarungen
ratifiziert wurde - soviel, mehr nicht! Und mit welchem Resultat?
Noch bin ich am Leben und sitze hier in Paris - in der Einsamkeit des
Exils - wie ein Fisch auf dem Trockenen!“
Goma
wirkte verärgert. In meinem längeren Interview mit Max Bănuş hatte
selbst ich die Respektierung der rumänischen Verfassung angemahnt und
diese Constituţie sogar noch in ein positiveres Licht gerückt, als es ihr eigentlich als undemokratischer Verfassung zustand. Doch die Respektierung der schon bestehenden Gesetze, ein Aspekt, den die Charta 77-Anhäger um Kohout und Vaclav Havel für die Tschechoslowakei angestrebt hatten, war nur ein Anfang, ein erster Schritt. Das Ziel war die Umwandlung der autoritären, ja totalitären Gesellschaft in eine demokratische.
Darauf hoffte Goma von Paris aus und machte, unterstützt nur von Eugen
Ionesco, unverzagt weiter. Trotzdem war eine gewisse Resignation nicht
zu verkennen. Skepsis kam auf, selbst bei mir: „Auf was können wir noch
hoffen? Dürfen wir die Ideale aufgeben - und mit ihnen das Handeln?“
fragte ich leicht provokativ nach, ohne die Aussichtslosigkeit unseres
Tuns verstärken zu wollen.
„Nun“, holte der Bärtige,
denn das war sein Spitzname bei der Securitate, zögerlich aus „ich kann
nur für mich sprechen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich weiter
agieren, weiter schreiben und meiner Linie treu bleiben … Auch auf die
Gefahr hin, das ich scheitern werde. Dass sie mich von einer Sekunde zur
anderen auslöschen können, daran habe ich mich gewöhnt. Schon seit
geraumer Zeit lebe ich mit Briefbomben und mit den profanen
Schwierigkeiten, die jeder andere Schriftsteller in der Fremde auch hat.
Er will etwas mitteilen; doch die meisten Zeitgenossen interessiert
seine Botschaft überhaupt nicht … Manchmal komme ich mir vor wie einer,
der überhaupt noch nichts publiziert hat … Von mir liegt mehr in der
Schublade als im Bücherregal steht. Wie du vielleicht weißt, schreibe
ich nach wie vor in Rumänisch. Das macht weitere Schwierigkeiten. Die
Sachen müssen erst in mühsamer Arbeit adäquat übersetzt werden, bevor
die Menschen hier in Frankreich oder im Westen etwas von den
Wirklichkeiten sozialistischer Lebenswelten erfahren. Und was noch
schlimmer ist: In Rumänien, dort, wo ich tatsächlich wirken will und wo
ich eigentlich gehört werden sollte, gerade dort bleiben meine Werke
vorerst tabu, vielleicht für alle Zeiten … Bis auf die wenigen Sachen,
die Radio Freies Europa gesendet hat und noch sendet, kennt man nichts
von mir in meiner Heimat! Doch war es je anders? Der große Ovid ließ,
als er vor zweitausend Jahren nach Tomis in die Verbannung musste,
immerhin ein Oeuvre zurück, die Metamorphosen, die Kunst des Liebens -
und er schickte seine Briefe vom Pontus heim nach Rom und seine tristen
Elegien! Doch was ließ ich zurück? Nichts! Belele! Ärger! Das ist Dichter-Los, Dissidenten-Los und namenlos: Mein Los! Hier lebe ich inmitten
einer amorphen Masse, anonym und zurückgezogen, isoliert wie auf einer
Klippe, die ins Meer ragt, nicht weniger einsam als Ovid unter den Geten
am Schwarzen Meer! Aber, darf ich klagen? Selbst die Götter kannten das
Exil!“
„Und was ist mit dem kulturellen Widerstand im Land, mit der literarischen Opposition?“hakte ich nach.
Goma
blickte mich verdutzt, ja fast beleidigt an: „Widerstand? Welch ein
Hohn! Selbst wenn Diogenes nach ihm suchte mit seiner Leuchte oder am
hellsten Tag mit einer Lupe bewaffnet - er würde ihn nicht finden. Wir
durchleben sonderbare Phänomene in Rumänien, Erscheinungen, die noch
nicht genau definiert wurden. Wie soll ich die Dinge nennen?
Defaitismus? Persönliche Feigheit? Politischer Autismus? Viele kluge
Köpfe, die das offizielle Programm nicht mitmachen wollen, verkriechen
sich in ihren Kammern und schweigen! Innere Emigration nennt man das
auch heute! Fast alle Schriftsteller sind Feiglinge und schnöde
Opportunisten! Ihre Tschorba reicht ihnen wie bei Stendal die
Kartoffelsuppe … Und ihre fade Mămăliga, die nie explodieren wird! Sie
wollen weiter mit der Feder hantieren, statt mit der Spitzhacke und
Schaufel im Steinbruch! Steineklopfen behagt den feinen Leiten nicht!
Also verkriechen sie sich - kuschen und schweigen! Geistige Autoritäten,
dass ich nicht lache! Sie, die hehren Geister und Hüter der Moral,
tolerieren jede Perfidie und segnen jede Schandtat ab wie Popen! Und
damit folgen sie - gewollt oder ungewollt - dem Plan der Kommunisten und
sanktionieren auch den Status quo in der Politik auf ihre Weise … Was
soll ich tun? Gerade hier und jetzt - und allein?
Soll
ich mich mit jedem anlegen, der nichts tut, der schweigt? Kann ich sie
alle zur Raison rufen, die Leute aus dem Schriftstellerverband, an ihre
Ehre appellieren- oder an ihr möglicherweise noch vorhandenes Gewissen?
Wer hört mir zu? Du vielleicht, Ionesco, die Idealisten von der Liga und
ein kleines Häufchen Unverbesserlicher vielleicht? Und ein paar stille
Fans! Ja, wir haben Fans! Doch die stille Bewunderung unserer
Verrücktheit nutzt keinem, an wenigsten der Gesellschaft, die es zu
verändern gilt! Wahrscheinlich bleiben wir hier im Exil nur einsame
Rufer in der Wüste! Propheten, denen keiner lauschen will … Das nemo propheta in patria gilt
immer noch. Vielleicht werden wir hier am lauten Puls der Welt
endgültig vereinsamen … Oder vom Lärm um nichts erschlagen werden.
Ionesco ist schon auf dem besten Weg in die Selbstisolation, auch der
scheue Cioran, der keine Lust mehr hat. Den Goncourt-Preis verschmähte
er, um ein Signal zu setzen gegen die omnipotente Scheinheiligkeit! Nur
wer rezipiert heute solche Gesten? Wen schert noch Philosophie, nach
Sartre, nach Camus? Bestimmt werden auch wir einsam untergehen, ohne
dass auch nur etwas von unserer Botschaft gehört wird … Was soll’s? C’est la vie,
sagte der Franzose immer schon, fast genauso fatalistisch wie sein
Bruder, der Rumäne, der wirklich alles erträgt … Maisfladen explodieren
nicht, sagen einige mit Recht! So sind die Rumänen nun einmal -
fatalistisch, duldsam, nicht viel rebellischer als die viel verachteten
Nomaden aus Hinterindien. Die Geschichte hat sie leidensfähig gemacht!
Du kennst den Knast und weißt, was er aus freien Menschen macht, Krüppel
und Geisteskrüppel! Wer lange Turtoi essen musste und Arpakasch bis zum
Überdruss wird nicht nur friedfertig, sondern auch fatalistisch passiv,
ja nihilistisch und depressiv, bereit alles zu ertragen, auch ein Leben ohne Würde.
Irgendwann bestimmen nur noch Ekel und Melancholie, Sisyphus und Don
Quichotte! Wie soll ich darauf reagieren? Mit Erbrechen vielleicht?
Die
Heuchelei stinkt zum Himmel, überall - und keiner rümpft die Nase!
Meine Arbeit ist fast getan! Darf ich schon Bilanz ziehen? Je ne regret rien, pflichte ich Edith Piaf bei. Das war mein Weg, mein Tao und vielleicht auch meine Bestimmung - und ich bereue nichts, I did it my way.“
Gomas
Jammern wirkte müde und enttäuscht. Die Desillusion hatte ihn
verbittert. Nur wenige Freunde wussten davon, dass er einst auch der
Musik nahe stand, nicht nur dem Chanson, sondern der ernsthaften Musik,
während andere, fern von Bach, nur die Kunst der Fuga beherrschten -ganz nach einem geflügelten Wort der Rumänen in Reimform: Fuga-i ruşinoasă, dar sănătosă! Die Fuga - also die Flucht - ist schändlich, doch heilsam! Also erst das Leben retten, überleben - und dann nach der Moral Ausschau halten.
In
den Nachwirren der Ungarnrevolution, als andere davonliefen, um ihre
Haut zu retten, Goma aber als Student opponierte und wie Freund Felix in
Temeschburg in den Knast ging, übte er nach der Entlassung gleich
mehrere Berufe aus - auch als Musiker. Vielleicht blies er damals die
große Tuba und schlug die Pauke? Genau weiß ich es nicht mehr. Aber er
hatte auch einen Sinn für Bolero, Tango und triste Walzer an traurigen
Sonntagen - und er war ein Stehaufmännchen nach meinem Geschmack, das
sich täglich neu motivieren und neu entwerfen konnte.
Aufgeben
war Gomas Sache nicht: „Im Land muss sich bald etwas tun, sonst werden
sie den Diktator nie los! Eure Gewerkschaft war schon ein großer Schritt
in die richtige Richtung und eine Erhöhung dessen, was ich damals
begonnen habe. Doch es muss noch mehr werden. Die Vielen müssen
aufspringen! Und der Kopf der Hydra muss weg - der unsterbliche Kopf.
Das klingt paradox - aber der Fisch stinkt vom Kopf her,
besagt eine Volksweisheit, die man selbst in Afrika kennt. Bei uns im
Land ignoriert man sie immer noch, obwohl jeder inzwischen merkt, wie
kräftig es schon muffelt in der Baracke! In Polen rotieren inzwischen
die Regierungschefs - bei uns in Bukarest hingegen rotieren nur die
Vasallen unterhalbdes Diktators … Ach, hören wir auf damit, all das regt mich viel zu sehr auf!“
Gomas
cholerischer Charakter trieb ihm das Blut in die Schläfen. Auch mir war
diese Art des Ärgerns vertraut, ein innerer Aufruhr, der auch mich
nachts ergriff, wenn ich über die allgemeine Heuchelei nachdachte, vor
allem aber über Personen, die sie mit ihrem bigotten Handeln erst
ermöglichten. Manches konnte ich gut nachvollziehen, denn ich entstammte
Verhältnissen, in welchen die kleinbürgerliche Heuchelei bis zum Exzess
kultiviert wurde, so sehr, dass sie selbst in meinem persönlichen
Umfeld in nächster Nähe Opfer forderte. Und dabei war die
Scheinheiligkeit die Wurzel aller Übel!
Eine
ganze Reihe französischer Geister hatten ihr den Kampf angesagt und sie
vehement bekriegt wie die vielköpfige Hydra, von Villon bis zu Voltaire
und Cioran. Hatte nicht noch Nietzsche mit ausgerufen: Écrasez l’ infâme
Doch
die Hydra der Heuchelei hatte wohl neun Köpfe - und der letzte, der
Unsterbliche, von Herakles am Wegrand verscharrt, schien wieder munter
zu sprießen.
In
Rumänien, in einem europäischen Land, das auf seine zweitausendjährigen
Wurzeln stolz ist und das sich von den Römern herleitet, trieben noch
im Jahr 1980 und darüber hinaus die kulturellen Paladine des Diktators
ihr Unwesen; Panegyriker der Superlative wie Adrian Păunescu, der einen
Ceauşescu-Kult inszenierte, dass selbst die Koreaner vor Neid
erblassten. Die anständigen Intellektuellen kuschten, schauten zu und applaudierten Beifall, während Goma als Vaterlandsverkäuferund Schurke diffamiert wurde. Nach einer guten Stunde verließen wir das Café und spazierten noch eine Weile durch einen nahen Park.
Die
Rosen blühten nicht mehr. Dafür zeigten sie ihre Dornen. So nebenbei
berichtete ich ihm von meinem Hineinschlittern in die Dissidenz, von
meiner Verhaftung vor seiner Wohnung und von dem Versuch der Securitate,
falsche Angaben aus mir herauszupressen, die ihn möglicherweise hätten
belasten können. Das alles überraschte ihn nicht. Das hatte Methode und
gehörte zu den Geschäftspraktiken der Securitate. Auch hier rechnete er
jederzeit mit dem Schlimmsten. Dann sprach ich von den antisemitischen
Tiraden gegen ihn. Für die Securitate war er ein Fremdling aus
Bessarabien, der eine Jüdin zur Frau hatte, also ein Philosemit, während
ich ein liberalkonservativer Deutscher war. Auch das wunderte ihn
nicht. Vielfach hatte er die stalinistischen Verhörmethoden erlebt, die
sich durch nichts von einem Gestapo-Verhör unterschieden. Und Goma
kannte das Wasserpredigen und das Weintrinken der Kommunisten in- und
auswendig. Wir ergingen uns dann auch noch in Klatsch und Tratsch und
redeten nicht mehr ganz so ernst über Trivialitäten an Rande, über die
Zerstrittenheit der Rumänen im Exil, über die Unart jedes kleinen
Opponenten, den Marschallstab führen zu wollen, über antiquierte
Strömungen, über die ewig Gestrigen, über individuelle Eitelkeiten
einzelner Leader sowie über die Kunst, sich selbst im Wege zu stehen und
gute Sachen zu verhindern, statt sie zu fördern.
Goma
war ein feuriger Kopf, ein streitbarer Geist; ein Schriftsteller, der
mehr geachtet als geliebt wurde - und er hatte manche Neider und Feinde,
selbst im Exil. Wo Menschen sind, ist viel Allzumenschliches.
Kurz
vor der Verabschiedung skizzierte ich ihm noch meine künftigen Pläne
und den angestrebten Weg in die internationale Politik. Auch sprach ich
über ein mögliches Projekt, die freie Gewerkschaftsbewegung
historisch-literarisch dokumentieren zu wollen, ohne zu ahnen, dass
dies noch fünfundzwanzig Jahre reifen sollte und verwies auf die
Bestrebung, noch eine Weile auf dem engen Pfad, der früher mit Tugenden
verknüpft wurde, weiterschreiten zu wollen. Dann schieden wir wie zwei
alte Kombattanten in der Hoffnung, uns in besseren Tagen wiederzusehen.
Was wurde aus Paul Goma?
Er
lebt auch heute noch in Paris und fährt fort, auf seine Weise den
Kommunismus in Rumänien zu bekämpfen, allerdings in einer wesentlich
radikalisierten Form. Den Aufruf zur Rückkehr in seine Heimat, den der
Altstalinist und Wendelhals der ersten Stunde Ion Iliescu nach langen
Jahren der Bedenkzeit endlich formulierte, ignorierte Goma - aus vielen
Gründen. Und selbst in jüngster Zeit, als er von Koordinator Vladimir
Tismăneanu in die Kommission zur Analyse und Aufarbeitung des
Kommunismus in Rumänien berufen werden sollte, verscherzte ihm seine
lose Zunge Teilnahme und Mitwirkung.
Nur in meiner Geburtsstadt, wo man es seit der Proklamation von Temeschburg
mit der Aufarbeitung des Kommunismus und dem Aufbau demokratischer
Strukturen ernst nahm, wurde seinen Verdiensten eine Ehrung zuteil,
indem im Bürgermeister Ciuhandu die Ehrenbürgerschaft der Stadt anbot
-eine Geste, die Goma gerne annahm, die aber einen Sturm der Proteste
hervorrief, weil Goma sich inzwischen aufs Glatteis begeben hatte. Goma,
oft zum Juden gestempelt, war - bis zu einem hohen Grad
selbstverschuldet - in eine Antisemitismusdiskussion hineingeraten, die
bis zum heutigen Tag anhält und die viel von seinem Renommee als
Dissident geschmälert hat.
Auszug
aus: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit Widerstand gegen die
Ceauşescu-Diktatur Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung
in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,
Leseprobe
Pestsäule und Dom, Temeschburg,
OTB-Organisator Georg Weber, 1982 in Dortmund
Bürgerrechtler Carl Gibson zur Zeit der UNO-Beschwerde gegen Ceausescu (1981)
in Rottweil
Kathedrale, Temeschburg
ZK
Ceausescus Palast
Carl Gibson, Lesung
Ein Pressebericht, Tauber-Zeitung, FN (2008)
Carl Gibson, Symphonie der Freiheit,
Dettelbach, 2008, 418 Seiten.
Dettelbach 2008, 418 Seiten - Leseprobe
Zeitzeuge und Autor Carl Gibson
Philosoph Carl Gibson
Mehr zum "Testimonium" von Carl Gibson in seinem Hauptwerk in zwei Bänden,
in:
"Symphonie der Freiheit"
bzw.
in dem jüngst (Februar 2013) erschienenen zweiten Band
"Allein in der Revolte".
Copyright: Carl Gibson (Alle Rechte liegen beim Autor.)
Fotos: Monika Nickel
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