Die deutsche Besatzungszeit in
Frankreich - nach dem die Große Nation bis zum heutigen Tag demütigenden „Blitzsieg“
in dem fälschlicherweise dem „größten Feldherrn aller Zeiten zugeschriebenen „Blitzkrieg“
– hat einige illustre Figuren hervorgebracht, deutsche Soldaten im Dilemma, die
sich in Teufelskreisen, vollendeten Tatsachen und im ethischen Zwiespalt gefangen,
für Positionen und Haltungen entscheiden mussten, die immer nur falsch sein
konnten: General vom Stülpnagel, der mächtige Kommandant des Besatzungsheeres,
der ungekrönte König von Paris auf Zeit, der – gegen den eindeutigen Führerbefehl,
das geistige, politische und vor allem kulturelle Zentrum der Französischen
Nation nicht zerstörte, und ein Mann des Widerstands gegen Hitler fast von
Anfang an, General Erwin Rommel, Kommandeur des Verteidigungswalles am
Atlantik, und schließlich Pour le Mérite-Träger Ernst Jünger, Fremdenlegionär,
Stoßtrupp-Führer im Kampf gegen Frankreich und England in den Anfangstagen des
Ersten Weltkriegs, Käfersammler und Dichter, erfolgreicher Verfasser von „Unter
Stahlgewittern“ und anderen Büchern, die selbst in den Tagen der NS-Zeit in Deutschen
Reich gelesen wurden, als Offizier abkommandiert nach Paris, um dort, im Umfeld
von General vom Stülpnagel, Gutes zu tun und Böses nach Möglichkeit zu
verhindern.
Etwas von diesem noblen Tun in
schwerer Zeit, das auch erklärt, weshalb Ernst Jünger auch im heutigen
Frankreich immer noch hoch verehrt wird, hat Volker Schlöndorff in seinem
Streifen „Das Meer am Morgen“
einzufangen versucht, in einem gut gemachten Fernsehfilm aus dem Jahr 2011, zu
dem der deutsche Regisseur auch das Drehbuch geschrieben hat, in welchem eine zutiefst
inhumame Repressalie der Vergeltungsmacht Deutschland an der Französischen Nation
im Mittelpunkt steht: das sinnlose Erschießen von Geißeln in übergroßer
Zahl, so angeordnet von dem – damals schon – durch und durch verbrecherischen
Führer des Reiches nach dem Attentat von jugendlichen Kommunisten auf einen
Besatzungsoffizier in Nantes. Weil Hitler ein Zeichen setzen wollte,
sollten 150 Geißeln exekutiert werden, hauptsächlich ausgewiesene Kommunisten,
antideutsche Patrioten, die nach Widerstandsaktionen festgenommen und in ein
Lager interniert worden waren, darunter einige Jugendliche, auch Juden.
Der Film, aufgebaut auf
authentische Zeitzeugnissen hauptsächlich aus den vor Ort verfassten
Tagebuchaufzeichnungen und Beschreibungen Ernst Jüngers, dokumentiert und
vergegenwärtigt das Schreckliche: die standesrechtliche Erschießung von 27
willkürlich, doch hauptsächlich nach weltanschaulichen Kriterien ausgewählten
politischen Häftlingen in einer „Sandgrube“. Die sinnlose Aktion vollzieht sich
unter Mitwirkung der Kollaborationskräfte unter Feldmarschall Petain, die,
den Besatzungsgesetzen unterworfen, zu Handlangern der deutschen Besatzer
werden, ebenso in psychische Konflikte verstrickt wie der Dichter und der
General, die, eingebettet zwischen Befehl und Pflicht, genauer zwischen
„verbrecherischem Führerbefehl“ und teilweise „christlichem“ Gewissen, ihre
Pflicht tun müssen.
Schlöndorff, der das Drehbuch
nach heutigen Erkenntnissen geschrieben hat und – einer auktorialen Gottheit
gleich – mehr weiß, als die Akteure vor Ort auf beiden Seiten damals wissen
konnten, kann in dem Streifen natürlich nur wenige Schlüsselmomente dieser
äußerst komplexen Situation einfangen: der Dichter, der als Geistesmensch, als
Literat und als Repräsentant einer anderen „Kulturnation“ den „Geschmack“ der
Franzosen hervorhebt und somit das Ästhetische über Ethik und Moral erhebt,
also die französische „Kultur und Zivilisation“ über dem deutschen Wesen, an
dem doch die Welt genesen sollte, ansiedelt, ehrt als Soldat die Uniform,
als Kämpfer an der Front, der kämpfend seiner Pflicht nachkommt, ohne die
politischen Hintergründe und Absichten zu bedenken, als ein Mat der konkreten
Tat, der aber nicht zum Widerstandskämpfer und zum Cäsaren-Mörder werden will.
Den Tyrannenmord im Verständnis der Antike lehnt Ernst Jünger ab, nicht anders
als lange Zeit General Otto von Stülpnagel und der von den Alliierten
auch nach dem Krieg noch geachtete Feldmarschall Erwin Rommel, der seinerzeit
nicht die Kraft Fand den Führer von Angesicht zu Angesicht zu erschießen.
Pflicht, Gehorsam, Loyalität, gerade nach der Vereidigung der deutschen
Soldaten auf den Führer?
Also ehrt der Soldat der Wehrmacht
mit deutscher Nibelungentreue die Uniform, will aber nicht zum ausführenden
Tyrannenmörder werden. Auch setzt er die Kraft und Aura der Uniform des
deutschen Soldaten nicht ein, um Leben zu retten, Juden auf dem Weg in die
Deportation oder fast unschuldige, Jugendliche Patrioten im Lager. Jünger wird
mit dem Vorwurf konfrontiert und muss die – an sich heuchlerische – Situation
ertragen, irgendwo doch einsehend, dass ein deutscher Kulturmensch sich nicht
einfach so jenseits von Ethik und Moral begeben kann, vor allem dann nicht,
wenn es um höheres Leben geht, nicht um Insekten im biologischen Raum, nicht um
Ameisen und Käfer, sondern um echte, nackte Menschleben, wenn über Sein und
Nichtsein entschieden wird.
Volker Schlöndorffs Fernsehfilm „Das Meer am Morgen“, ein
humaner Streifen, der das Elementare als das Existentielle einfängt, ist
eine Problematisierung vieler wunder Punkte im Ansatz, von gewichtigen Fragen
im Grenzbereich zum Tabu, die auf der Leinwand nur angedeutet, aber nicht
ausdiskutiert werden können: die deutsch-französische Rivalität im
Kulturbereich, die aus den früheren Jahrhunderten auch noch das Jahrhundert der
verheerende Weltkrieg bestimmt, mit dem Bild des korrekten, anständigen
Deutschen, der, anders als „die blonde Bestie“ im weltanschaulich bestimmten
Vernichtungskrieg im Osten, kultiviert erscheinen will, als Dichter eben; dann
der ethische Konflikt zwischen Gehorsam und Pflicht oder, nicht zuletzt, die –
nahezu traumatisch nachwirkende – „Kollaboration“ in Frankreich, die dort immer
noch nicht ganz bewältigt ist.
Carl Gibson,
Natur- und Lebensphilosoph, ethisch ausgerichteter Zeitkritiker,
Naturfotograf, im August 2021
Mehr zu Carl Gibson, Autor, (Vita, Bibliographie) hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
https://de.zxc.wiki/wiki/Carl_Gibson_(Autor)
(Das Wikipedia-Porträt Carl Gibsons in englischer Sprache)
https://www.worldcat.org/identities/lccn-nr90-12249/
Bücher von Carl Gibson, zum Teil noch lieferbar.
Copyright: Carl Gibson 2021.
Auszug aus dem Werk: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur. 2008.
Hommage
dem deutschen Widerstand
gegen die Hitler-Diktatur -
In memoriam 20. Juli 1944
Neuzeitliches Requiem –
Sprech-Drama mit Trauermusik,
http://de.wikipedia.org/wiki/Gedenkst%C3%A4tte_Pl%C3%B6tzensee
|
Krematorium im ehemaligen KZ Buchenwald bei Weimar -
zuerst wurden im "Land der Dichter und Denker" Bücher" verbrannt ...
und dann ...
verbrannten "Richter und Henker"
Menschen.
Memento!
|
Foto: Carl Gibson
Es lebe die Freiheit! Hans Scholl
Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist für seine Überzeugung sein Leben hin zu geben.
Henning von Tresckow am 21. Juli 1944.
Es
ist Zeit, dass jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas
zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die
deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann
wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg
Es
gibt Orte, wohin man nicht gerne geht, weil einem das eigene schlechte
Gewissen im Wege steht; Orte des Grauens, vor denen man zurückschreckt,
wenn man sich den Terror vergegenwärtigt, der von ihnen ausging.
Vergessen
wird dabei, dass es auch Orte sind, wo die Würde des Menschen, der
Anstand und die sittliche Haltung am greifbarsten werden, trotz des
Schreckens. Ein solcher Ort ist die Gedenkstätte Plötzensee; ein
ehemaliges Gestapo-Gefängnis, in welchem in ganz kurzer Zeit nahezu
dreitausend Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und die
Hitlerdiktatur in menschenverachtender Weise hingerichtet wurden,
darunter illustre Charaktere, die heute das Gewissen der Nation
verkörpern und das bessere Deutschland repräsentieren.
Dorthin
wollte ich allein gehen. Es wurde ein individueller, ein aufwühlender
Gang, denn das eigene Gehirn hatte vieles noch nicht bewältigt. Als ich
nach Deutschland kam, kam ich aus einer langen Auseinandersetzung mit
der deutschen Geschichte. Sie hatte meinen Werdegang deutlich
mitgeprägt. Und ich kam aus einer Widerstandsbewegung gegen ein
totalitäres System. Nur bewältigt war noch gar nichts. Dafür waren die
historischen Abläufe zu vielschichtig und zu komplex. Mir fehlte die
geistige Durchdringung der Gesamtmaterie und noch mancher historische
Baustein, um die Abläufe im deutschen Widerstand gegen Hitler bis hin
zum Attentat am 20. Juli ganz zu verstehen. Einiges hatte ich mir
bereits erarbeitet.
Mit
unbestimmtem Grauen betrat ich die Anlage - als ein Eingeweihter in
Sachen Menschenvernichtung. Sie hatte etwas von einer Schlachtbank, die
an den Großen Terror während der Endtage der Französischen Revolution
erinnerte. Die Guillotine, deren Anschaffung Hitler persönlich angeregt
hatte, um das systematische Abschlachten von Menschen in industrieller
Weise zu ermöglichen, war nicht mehr zu sehen. Sie war entfernt worden,
um die Empfindungen der Nachwelt zu schonen. Nur die Haken waren noch da
an einem Stahlträger – wie in einer Metzgerei – an denen die edelsten
Köpfe der Nation aufgehängt worden waren, beim Kerzenschein und selbst
in der Nacht, während draußen Bomben fielen.
Nun
stand ich stand da, nach Jahrzehnten, und schaute in einen Raum, in dem
es nichts zu sehen gab bis auf wenige Symbole des Schreckens, die zum
Nachdenken anregen sollten, erfüllt von Bitterkeit und Grausen.
Biographien einiger der Opfer rollten vor mir ab, individuelle
Leidensgeschichten, Einzeltragödien mit Namen, deren Wohlklang ich schon
im fernen Temeschburg vernommen hatte, ohne Details zu kennen; Namen
aus dem Umfeld des Kreisauer Kreises und aus dem militärischen
Widerstand gegen Hitler. Während ich starr da stand und stumm ins Leere
blickte, drängten sich mir spärliche Bilder auf, verschwommene, vom
Gehirn künstlich zusammengefügte Szenen aus dem Leben jener Charaktere,
die hier hingemordet worden waren, nachdem sie ein perverses
Polittribunal unter Rechtsbeugung im Schnellverfahren zum Tode
verurteilt hatte.
Berthold Graf von Stauffenberg war in diesem Hinrichtungsschuppen würdelos erhängt worden; und mit ihm Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und Korvettenkapitän Alfred Kranzfelder, nachdem der so genannte Volksgerichtshof ihnen einen schnellen Prozess gemacht und sie abgeurteilt hatte.
Ein
kurzer Prozess? Leider wusste ich, was das war – den ich hatte selbst
einen erleben müssen, mit glücklicherem Ausgang! Kein echter Vergleich –
aber eine Ahnung davon.
Claus Schenk von Stauffenberg
war bereits am 20. Juli – nach dem Scheitern des Attentats auf den
Diktator Hitler – von einem Erschießungskommando in Berlin erschossen
wurden. Mit ihm starben auf die gleiche Weise seine Mitverschwörer Albrecht Mertz von Quirnheim, Friedrich Olbricht und Hans-Bernd Haeften. Viele weitere Widerstandskämpfer folgten. Bevor Claus von Stauffenberg erschossen worden war, hatte er noch ausrufen können: Es lebe das geheiligte Deutschland!
Jetzt stand ich an der Stelle, wo Ströme Blut geflossen waren – so lange, bis die Guillotine versagte.
Dann wurde gehängt, makaber im Schein der Fackel.
Im
Licht der Bombenfeuer und im Kampfgetöse des Zusammenbruchs waren die
aufrichtigsten und wahrhaftigsten eines Volkes einfach aufgeknüpft
worden wie Strolche und Tagediebe im rechtsfreien Raum!
Viele
Unbeteiligte ahnten nichts davon. Viele Informierte blickten weg.
Manche sahen zu. Und manche agierten, blind, fanatisiert oder aus reiner
Bosheit heraus. Dass sich immer Menschen fanden, die bereit waren,
andere Menschen umzubringen, einfach hinzumorden … Der Mensch – die
Krone der Schöpfung? Und das im Volk der Dichter und Denker?
Wie
dünn war das kulturelle Substrat wirklich? Wann wurde der Mensch zur
Bestie? Auch darüber hatte ich bis zum Exzess, bis zur Grenze der
Verzweiflung räsoniert, ohne eine Antwort zu finden.
In meiner Rückschau sah ich Helmuth James Graf von Moltke, den aufgeklärten Urgroßneffen des preußischen Feldherrn, der auf seinem Gut in Schlesien den Kreisauer Kreis
begründet und am Leben gehalten hatte. Sein Tun war auf ein
demokratisches Deutschland nach Hitler gerichtet. Und er handelte, vom Gewissen getrieben. An einem dieser Haken vor mir musste er unwürdig sterben.
Dann sah ich Adam von Trott zu Solz,
den Spross einer alten Diplomatenfamilie, der bereits 1939 im
Widerstand agierte und als Diplomat in London und New York um Kontakte
zu den dortigen Regierungen bemüht war, aber überhört wurde. Weder in
England, das, wie man heute weiß, damals vor der Münchner Konferenz den
Krieg noch hätte verhindern können, wenn es Hitler mit einer
Kriegsandrohung Einhalt geboten hätte, noch in Amerika war er ernst
genommen worden. Vielleicht, weil er sehr früh opponierte. Aber verhöhnt
wurde er und zynisch abgewiesen, als die Logik des Krieges ihrer
Autodynamik verfiel. Also flog er auf und musste hängen, weil das
Unrechtssystem der Braunen Diktatur es so befahl.
Und ich sah Peter Graf Yorck von Wartenburg und Hans von Dohnanyi,
zwei andere konservative Intellektuelle, Widerstandskämpfer frühester
Stunde, die sterben mussten, damit ein kranker Diktator weiter leben und
im Endkampf nochmals Millionen Menschen in den Tod schicken konnte.
Weiter sah ich vor meinem geistige Auge Carl Friedrich Goerdeler, den aufrechten konservativen Politiker und Widerständler, gedemütigt vor dem Volksgericht stehen, einem schreienden Richter Freisler ausgeliefert, der mit der gleichen Dämonie schrie wie Hitler geiferte.
Goerdeler
sollte nach Hitlers Sturz der künftige Reichskanzler sein. Da, wo ich
jetzt stand, wurde er enthauptet, nachdem seine schon angefertigten
Minister-Listen den Schlächtern weitere Opfer ans Messer geliefert
hatten. Wie gut, dass unsere Liste nicht gefunden worden war. Listen,
das sind oft Todeslisten ….
Die
Reihe der aufrechten Charaktere, die nur an dieser Stelle von
Verbrechern hingemordet wurden, fern von Recht und Gesetz, fern von
Gnade, wollte kein Ende nehmen. Es gab doch aufrechte Deutsche, die,
ihrem Gewissen folgend, in schwerer Zeit das Richtige taten. Manche von
Anfang an; andere wie die Hitlerattentäter Henning von Tresckow und
Claus von Stauffenberg später, nachdem die Menschheitsverbrechen, die
aus der Logik des Krieges resultieren, die verbrecherischen
Führerbefehle aus dem Bunker und der befohlene Mord an Frauen und
Kindern nicht mehr zu rechtfertigen waren. Aber sie handelten aus
höherer Einsicht und von wahrer Verantwortung für Volk und Vaterland getrieben!
Die
Tat Stauffenbergs hatte mich immer schon beschäftigt; schon damals, als
unser kleiner Widerstandskreis sich formierte, in den Tagen der
Untersuchungshaft und in den langen Nächten des Gefängnisaufenthalts.
Jetzt war ich hier am Ufer der Spree in Plötzensee, am Ort des Geschehens. Hier war, Stunden nach dem Attentat, die Operation Walküre
angelaufen, der Auftakt zu einem Staatsstreich, der ein demokratisches
und freies Deutschland begründen sollte. Eine Reihe ungünstiger Zufälle
und befehlsblinde Offiziere - wie der von Hitler zum Generalmajor
beförderte Ernst Otto Remer, dem ich bald darauf unter anderen Umständen begegnete - führten zum Scheitern des letzten großen Aufbegehrens für Freiheit
und Gerechtigkeit. Während Revisionisten wie Remer, der die
Widerstandskämpfer um Graf von Stauffenberg öffentlich als
Vaterlandsverräter bezeichnet hatte, Hetze und Hass verbreitend
weiterlebten und bis ins hohe Alter hin der weltanschaulichen Haltung
ihrer persönlichen Glanzzeit treu blieben, mussten die eigentlichen
Widerstandskämpfer und mit ihnen ungezählte andere aufrichtige Deutsche,
die an dem politischen Umsturz mitgewirkt hatten, ihr Leben lassen,
während ihre Familien in Sippenhaft genommen und lange diskriminiert
wurden. War das gerecht? Nach Remers Putschvereitelung forderten die
kommenden Monate des fortgesetzten Krieges an allen Fronten mehr
deutsche Opfer als die Kriegsjahre seit dem Ausbruch.
Etwas
von dieser schier unbegreiflichen Tragik rollte in meinem Gedächtnis
ab, nach Szenen, die ich aus Büchern kannte, aus Dokumentationen und vom
Bildschirm. Viel Mut war bewiesen worden in einem Aufstand des
Gewissens gegen massives Unrecht: Ich sah Trott zu Solz’ entschlossene
Selbstbehauptung gegenüber dem Scheusal Freisler, und sah, wie Erwin von Witzleben von derselben Bestie in Robe niedergeschrieen wurde.
Das
Bildnis Dietrich Bonhoeffers einsam in der Zelle sitzend, drängte sich
mir auf, ein Christ vor Gott, in Gebete, in Verse vertieft, Zeilen eines
geistigen Vermächtnisses aufsetzend, den Blick voller Zuversicht zum
Himmel erhoben.
Miserere domine!
Und dann hörte ich erneut, klar wie die Posaunen von Jericho, die leitmotivische Mahnung des Claus von Stauffenberg:
Es lebe das geheiligte Deutschland!
An diesem Ort verblutete das andere
Deutschland; seine Edelsten und Besten ließen hier ihr Leben im
bewussten Opfergang für das gesamte deutsche Volk, um ihm, dem
geopferten Phönix, nach dem Zusammenbruch eine Reinwaschung zu
ermöglichen von den Menschheitsverbrechen, in die es der dämonische
Diktator Hitler gestürzt hatte und ein österliches Wiederauferstehen.
Doch
war Stauffenbergs Tat repräsentativ für den deutschen Widerstand gegen
Hitler kein letztes müdes Aufbäumen kurz vor dem Untergang, als das
Gewissen gegen das maßlose Unrecht und Leid aufbegehrte, sondern eine
bewusste Gegnerschaft, ein luzider Widerstand gegen ein totalitäres
System, der von frühester Stunde an da war und konsequent durch gehalten
wurde – bis in den Tod.
Foto: Carl Gibson
Die Dichter und Denker blicken oft weg, wenn Urecht geschieht - damals ...
und heute?
Es entspricht nicht der historischen Wahrheit, wie vor allem im Osten Europas immer wieder behauptet worden war, das gesamte deutsche Volk hätte geschlossen hinter Hitler gestanden,
es hätte seine Aggressionspolitik mitgetragen, sein Hegemoniestreben,
seinen Imperialismus; und es hätte seine Verbrechen gedeckt.
Richtig
ist, dass es aus dem deutschen Volk heraus einen höchst beachtlichen
Widerstand gegen Hitler gab – und dies von Anfang an aus Prinzip, lange
noch bevor die schlimmen Wahrheiten bekannt wurden.
Wie
vom Teufel persönlich beschützt, überlebte der Führer vierzig
Anschläge! Eine makabre Groteske des Zufalls, eine Undenkbarkeit! Und
Ceauşescu, dem wir kleine Dissidenten nichts entgegen zu setzen hatten,
was mit der Operation Walküre vergleichbar gewesen wäre? Keinen!
Doch
vom systematischen Kampf gegen Hitler wusste selbst ich, der historisch
interessierte Europäer, der westliche Medien auswertete, wenn sie
erreichbar waren, im fernen Banat fast nichts.
Erst späte westliche Quellen und die intensive Beschäftigung mit der Materie über Jahre erschlossen mir die volle Dimension des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, der von allen Teilen der Bevölkerung getragen wurde,
vom einfachen Mann aus den Volk wie Georg Elser im Münchner Bierkeller
bis in die Spitzen der Wehrmacht zu Persönlichkeiten wie General Ludwig Beck, dem Gehirn des versuchten Staatsstreichs vom 20. Juli.
General
Beck durchschaute die kriminellen Machenschaften Hitlers schon sehr
früh und setzte seit 1938, also noch vor dem Einmarsch in die
Tschechoslowakei, alles daran, den Widerstand gegen Hitler zu fördern,
um den Diktator von der Macht zu entfernen. Die Generalität unterstützte
ihn – nur England zögerte, als um Mitwirkung angesucht wurde. Wenn wir
euch gegenüber so aufrichtig gewesen wären wir ihr im Gespräch mit uns,
dann hätten Hitlers imperialistische Expansion, der Zweite Weltkrieg und
mit ihm 55 Millionen Opfer vermieden werden können, bekennen die Briten
heute offenherzig. Sie haben ihre moralischen Hausaufgaben inzwischen
fast erledigt und einiges zur Vergangenheitsbewältigung beigetragen.
Auf andere kommt dieser Komplex noch zu – auch auf die Rumänen!
An
dieser matten Stelle in der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin starben
für ihr Vaterland – aus einer ethischen Überzeugung und tiefer
protestantischer Gesinnung heraus – innerhalb von Monaten fast
dreitausend Menschen. Unter den Opfern waren auch herausragende
Repräsentanten der militärischen Elite: Erwin von Witzleben und Karl Heinrich von Stülpnagel. Sie opferten ihr Leben für höhere Werte, für Gerechtigkeit, politische Freiheit und Vaterlandsliebe.
Erwin
von Witzleben war als Generalfeldmarschall der ranghöchste Soldat, der
von den Nationalsozialisten ermordet wurde, nachdem sie auch ihn, den
General der noch vor Jahren als erster jene verhängnisvolle Vereidigung
der Wehrmacht auf den Führer durchgeführt hatte, öffentlich degradiert,
vor den Volksgerichtshof gezerrt und in einem schäbigen Schauprozess,
ohne Hosenriemen der Lächerlichkeit preisgegeben, entwürdigt, beleidigt
und gedemütigt hatten.
Foto: Carl Gibson
Das KZ-Gelände von Buchenwald - Locus terribilis,
Ort des Grauens,
Ort des Schreckens,
ort des Verbrechens,
die Diktaturen mahnen.
Erwin
von Witzleben, dessen Stammbaum bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgt
werden kann, ging bereits 1934 auf Distanz zu Hitler. Die Ermordung
Ernst Röhms auf Befehl Hitlers, wobei Teile der Wehrmacht mit involviert
und somit instrumentalisiert wurden, sowie die ebenfalls von Hitler
angeordneten und öffentlich im Reichstag verteidigten Ermordungen der
Generale von Schleicher und von Bredow bei krasser
Hinwegsetzung über die geltenden Gesetze hatten ausgereicht, um diese
Haltung, die er mit General Beck, General von Stülpnagel, mit Henning von Tresckow und anderen oppositionellen Militärs teilte, herbei zu führen.
Erwin
von Witzlebens Plan, den Usurpator Hitler bereits 1938, also zu einem
Zeitpunkt von der Macht zu entfernen, als Europa noch nicht an allen
Ecken brannte, scheiterte an einem dummen Zufall der Geschichte – an der
Beschwichtigungspolitik der Engländer, am Appeasement Chaimberlains und
dem verhängnisvollen Münchner Abkommen, das die Tschechoslowakei dem
Diktator auslieferte und ihn mit diesem - so genannten diplomatischen -
Erfolg nach innen hin stärkte; der Opposition hingegen jeden Wind aus
den Segeln nahm. General Halder und von Witzleben konnten bei
entsprechender politischer Kulisse ihren Plan, Hitler verhaften zu
lassen nicht durchsetzen. Die späteren Blitzkriegerfolge in Polen und
Frankreich erzielten den gleichen Effekt und zementierten noch den
Mythos der Unfehlbarkeit.
Auch
der gemeinsame Plan General von Stülpnagels, damals Oberkommandierender
der Wehrmacht in Frankreich, und von Generalfeldmarschall Erwin Rommel,
der die Abwehrmaßnahmen einer drohenden Invasion am Kanal koordinierte,
Hitler zu einer Besichtigung der Wehranlagen nach Westfrankreich zu
locken, um ihn dort durch loyale Truppen der Wehrmacht verhaften zu
lassen, scheiterte an einem dummen Zufall. Hitler, der bis dahin immer
wieder Gründe finden konnte, nicht nach Frankreich zu reisen, blieb
endgültig fern, nachdem eine nach England gelenkte V 1 versehentlich im
Abwehrgebiet einschlug.
Foto: Carl Gibson
Hier ermordeten NS-Schergen der Kommunist Ernst Thälmann.
Nach
dem gescheiterten Staatsstreich von 20. Juli nahmen sich General von
Beck, Generalfeldmarschall Rommel, Henning von Tresckow und andere
Mitverschwörer selbst das Leben, nicht zuletzt, um keine anderen Mitwisser in drohenden Verhören zu belasten.
Heinrich
Karl von Stülpnagel richtete seine Pistole an die Schläfe und schoss
sich durch den Kopf. Er überlebte schwer verwundet – und wurde
wahrscheinlich noch von der Gestapo gefoltert bevor er in dieser Halle
an diesem Haken wie ein Strauchdieb erhängt wurde.
Wie
er starb hier, wo meine Füße ruhten, der andere aufrechte Soldat, der
nach einem Umsturz die Führung der Wehrmacht übernommen hätte: Erwin von
Witzleben.
Wie viel menschliche Größe war hier verrauscht, hier vor mir?
Wie
konnte ich alle würdigen und die Erinnerung an ihre altruistischen
Taten wach halten? Und das große Aufbegehren jedes einzelnen Opponenten,
jedes offenen Regimekritikers ins rechte Licht rücken? Die Taten von
Tausenden, die gegen das Unrecht aufstanden und ihr Leben hingaben, um
es zu beseitigen?
Wo war jetzt die heitere Gelassenheit eines Dietrich Bonhoeffer,
der mit Gottvertrauen zuversichtlich in den Tod ging, in der Hoffnung
auf das wahre Leben? Tragische Betroffenheit überkam mich – und ein
spätes Schaudern vor der Dämonie des Bösen, auf die ich keine Antwort
fand.
Wie
viele einfältige Leute hatte ich über das Böse plaudern hören,
philosophisch abstrakt und ironisch wie Mephisto in Faust. Das Böse der
Geschichte war echt und immer noch real. Gleichzeitig spürte ich aber
auch etwas von der Macht des Ethos, das über Jahre aufrechterhalten und
von ganz unterschiedlichren Charakteren vorgelebt wurde.
An solchen Taten verblasste das eigene Tun.
Doch die Botschaft der Geschichte ist eindeutig – der Mensch muss in jeder Situation am Humanum festhalten und alles menschenmögliche tun, um es zu beschützen. Die Würde des Menschen, Freiheit und Gerechtigkeit
sind Grundwerte, die über allem positiven Recht angesiedelt sein müssen
– auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Die Verfassung der
Bundesrepublik ist eine nationale Antwort darauf – die Charta der
Vereinten Nationen die Antwort der Völkergemeinschaft.
Wir
hatten auch einiges erlebt in unserer Auseinandersetzung mit dem
repressiven System einer Diktatur. Doch was waren unsere Erlebnisse
gemessen an der Tragik, die an dieser Stelle kulminierte und im
Vergleich mit dem Grauen in den Konzentrationslagern mit dem
millionenfachen Tod, Leid und Schrecken, der sich im Anonymen und
Namenlosen vollzog?
Das
Böse hatte wieder einmal über das Gute und Gerechte triumphiert. Und
das Feige über Mut und Tapferkeit! Die gesamte Weltordnung schien für
alle Zeiten erschüttert. Wie schwer war es doch, in kritischer Zeit
aufrecht zu gehen?
Vor
dem schweren Gang an den Unort hatte ich mir eine Liste besorgt – schon
wieder eine Liste - mit den Namen der Beteiligten des nationalen
Aufstandes vom 20. Juli 1944, die für die Sache der Freiheit
ihr Leben hingegeben hatten. Darunter waren viele illustre
Persönlichkeiten bis hin zu legendären Gestalten wie Feldmarschall Erwin
Rommel. Jede von ihnen wirkte als Vorbild. Und jede von ihnen verdient
eine würdige Auseinandersetzung. Denn hinter jedem individuellen Einsatz
für Freiheit
und Demokratie bei Preisgabe des eigenen Lebens steht eine schwere
Gewissensentscheidung, ein Golgotha-Erlebnis, zu dem in schwerer Zeit
nur die wenigsten Menschen fähig waren.
Noch
einmal sah ich zu den Haken hin und erkannte dort die Gnade meines
Schicksals durch die späte Geburt. Wäre das Baumeln dort am Haken mein
Los gewesen, wenn ich einige Jahrzehnte früher gelebt hätte? Wie hätte
ich mich entschieden? Hätten mein Patriotismus und mein Ethos
ausgereicht, um dort zu hängen?
Berechtigte
Zweifel kamen auf … Wir hatten es einfacher! Wir wussten, wo wir zu
stehen hatten und wo wir standen! Dafür musste ich dankbar sein. Die
Zweifel an der eigenen Festigkeit wurden deutlicher, je mehr ich über
die innere Entscheidungssituation der Widerständler nachdachte. An ihrer
Entschlossenheit verblasste die meine. Als ich ging, ging ich in tiefer
Betroffenheit, doch unerfüllt über den Verlauf der Geschichte.
Auszug aus dem Werk: Carl Gibson, Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceausescu-Diktatur. 2008.
Foto: Monika Nickel
Auf den braunen Totalitarismus folgte der rote - Reste der "Berliner Mauer",
entdeckt:
1000 Kilometer südlich der deutschen Hauptstadt
irgendwo in Südbaden - sie erinnern und mahnen.
Die Opfer der beiden Diktaturen auf deutschem Boden im 20. Jahrhundert sollen nicht umsonst gewesen sein.
Dort, wo die Würde des Menschen bedroht wird, ist Widerstand angesagt - überall, weltweit.
Mehr zum Thema Kommunismus hier:
Carl Gibsons neues Buch
zur kommunistischen Diktatur in Rumänien -
über individuellen Widerstand in einem totalitären System.
Allein in der Revolte -
im Februar 2013 erschienen.
Das Oeuvre ist nunmehr komplett.
Alle Rechte für das Gesamtwerk liegen bei Carl Gibson.
Eine Neuauflage des Gesamtwerks wird angestrebt.
Carl Gibson
Buchrückseite
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel
©Carl Gibson. Alle Rechte vorbehalten.
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